Goethe
Der Tragödie zweiter Teil
Goethe

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Choretide 5
Mit was ernährst du so gepflegte Magerkeit?

Phorkyas
Mit Blute nicht, wonach du allzulüstern bist.

Choretide 6
Begierig du auf Leichen, ekle Leiche selbst!

Phorkyas
Vampyren-Zähne glänzen dir im frechen Maul.

Chorführerin
Das deine stopf' ich, wenn ich sage, wer du seist.

Phorkyas
So nenne dich zuerst; das Rätsel hebt sich auf.

Helena
Nicht zürnend, aber traurend schreit' ich zwischen euch,
Verbietend solchen Wechselstreites Ungestüm!
Denn Schädlicheres begegnet nichts dem Herrscherherrn
Als treuer Diener heimlich unterschworner Zwist.
Das Echo seiner Befehle kehrt alsdann nicht mehr
In schnell vollbrachter Tat wohlstimmig ihm zurück,
Nein, eigenwillig brausend tost es um ihn her,
Den selbstverirrten, ins Vergebne scheltenden.
Dies nicht allein. Ihr habt in sittelosem Zorn
Unsel'ger Bilder Schreckgestalten hergebannt,
Die mich umdrängen, daß ich selbst zum Orkus mich
Gerissen fühle, vaterländ'scher Flur zum Trutz.
Ist's wohl Gedächtnis? war es Wahn, der mich ergreift?
War ich das alles? Bin ich's? Werd' ich's künftig sein,
Das Traum- und Schreckbild jener Städteverwüstenden?
Die Mädchen schaudern, aber du, die älteste,
Du stehst gelassen; rede mir verständig Wort.

Phorkyas
Wer langer Jahre mannigfaltigen Glücks gedenkt,
Ihm scheint zuletzt die höchste Göttergunst ein Traum.
Du aber, hochbegünstigt sonder Maß und Ziel,
In Lebensreihe sahst nur Liebesbrünstige,
Entzündet rasch zum kühnsten Wagstück jeder Art.
Schon Theseus haschte früh dich, gierig aufgeregt,
Wie Herakles stark, ein herrlich schön geformter Mann.

Helena
Entführte mich, ein zehenjährig schlankes Reh,
Und mich umschloß Aphidnus' Burg in Attika.

Phorkyas
Durch Kastor und durch Pollux aber bald befreit,
Umworben standst du ausgesuchter Heldenschar.

Helena
Doch stille Gunst vor allen, wie ich gern gesteh',
Gewann Patroklus, er, des Peliden Ebenbild.

Phorkyas
Doch Vaterwille traute dich an Menelas,
Den kühnen Seedurchstreicher, Hausbewahrer auch.

Helena
Die Tochter gab er, gab des Reichs Bestellung ihm.
Aus ehlichem Beisein sproßte dann Hermione.

Phorkyas
Doch als er fern sich Kretas Erbe kühn erstritt,
Dir Einsamen da erschien ein allzuschöner Gast.

Helena
Warum gedenkst du jener halben Witwenschaft,
Und welch Verderben gräßlich mir daraus erwuchs?

Phorkyas
Auch jene Fahrt, mir freigebornen Kreterin
Gefangenschaft erschuf sie, lange Sklaverei.

Helena
Als Schaffnerin bestellt' er dich sogleich hieher,
Vertrauend vieles, Burg und kühn erworbnen Schatz.

Phorkyas
Die du verließest, Ilios' umtürmter Stadt
Und unerschöpften Liebesfreuden zugewandt.

Helena
Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leids
Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt.

Phorkyas
Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild,
In Ilios gesehen und in ägypten auch.

Helena
Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar.
Selbst jetzo, welche denn ich sei, ich weiß es nicht.

Phorkyas
Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf
Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir!
Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß.

Helena
Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.
Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst.
Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.

Chor
Schweige, schweige!
Mißblickende, Mißredende du!
Aus so gräßlichen einzahnigen
Lippen, was enthaucht wohl
Solchem furchtbaren Greuelschlund!
Denn der Bösartige, wohltätig erscheinend,
Wolfesgrimm unter schafwolligem Vlies,
Mir ist er weit schrecklicher als des drei-–
köpfigen/ Hundes Rachen.
ängstlich lauschend stehn wir da:
Wann? wie? wo nur bricht's hervor,
Solcher Tücke
Tiefauflauerndes Ungetüm?
Nun denn, statt freundlich mit Trost reich begabten,
Letheschenkenden, holdmildesten Worts
Regest du auf aller Vergangenheit
Bösestes mehr denn Gutes
Und verdüsterst allzugleich
Mit dem Glanz der Gegenwart
Auch der Zukunft
Mild aufschimmerndes Hoffnungslicht.
Schweige, schweige!
Daß der Königin Seele,
Schon zu entfliehen bereit,
Sich noch halte, festhalte
Die Gestalt aller Gestalten,
Welche die Sonne jemals beschien.

Phorkyas
Tritt hervor aus flüchtigen Wolken, hohe Sonne dieses Tags,
Die verschleiert schon entzückte, blendend nun im Glanze herrscht.
Wie die Welt sich dir entfaltet, schaust du selbst mit holdem Blick.
Schelten sie mich auch für häßlich, kenn' ich doch das Schöne wohl.

Helena
Tret' ich schwankend aus der öde, die im Schwindel mich umgab,
Pflegt' ich gern der Ruhe wieder, denn so müd' ist mein Gebein:
Doch es ziemet Königinnen, allen Menschen ziemt es wohl,
Sich zu fassen, zu ermannen, was auch drohend überrascht.


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