Johann Nikolaus Götz
Die Gedichte Anakreons und der Sappho Oden
Johann Nikolaus Götz

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Anakreons Vermählung.

    Eines Tages kam Cythere
An dem Fuse des Parnaßes
Zu Anakreon dem Dichter;
Und ersucht ihn, ihren Knaben,
Der so wild zu unterrichten.
Gleich nahm er ihn in die Lehre;
Lehrt ihn der Camönen Künste;
Macht ihn sittsam und gehorsam
Gegen seine schöne Lehren;
Und gewöhnt ihn, vor den Musen
Stets gekleidet zu erscheinen.

    Lange nachher kam sie wieder.
Weiser, und geliebter Dichter,
Sprach sie, was kann ich dir geben,
Deinen Fleiß an meinem Kleinen
Nach Verdienste zu belohnen?
Du erzogest ihn so sittsam,La plupart des Odes d'Anacréon sont des fictions ingenieuses, qui ne sont ni trop tendres, ni trop nues, qui occupent plus les Lecteurs de l'Art du Poëte, que des choses mêmes, qu' elles représentent, et qui respectent la delicatesse du goút, l'innocence des jeunes personnes, et la pudeur du sexe. Ces Odes ressemblent à ces femmes aimables, qui plaisent plus par les graces de leur esprit, que par ta regularité de leur traits, et qui ont beaucoup d'Amis, et peu d'amans. Idée de la Poëtie Angl. par Mr. l'Abbé YART. T. V. p. 123.
Daß ihn alle Pierinnen,
Daß ihn alle Menschen lieben.
Möchtestu doch selber sagen,
Wie ich dich belohnen könne!
Soll ich von den Charitinnen
Dir die Artigste vermählen?
Oder willstu eine andre?

    Er erwiederte bescheiden,
Und mit großer Ehrerbietung:
»Ach! wen kann ein Weiser lieben,
»Wenn er dich einmahl gesehen,
»Göttin, wie ich dich gesehen!

    Sie verstund ihn, und vermählte
Sich in des Parnaßes Garten
Mit ihm, in geheimer Stille.
Wenn sie badete, so hielt er
Ihren Gürtel in Verwahrung;
Wenn er dichtete, so schrieben
Ihre Gratien die Lieder,
Die sie ihn verbessern lehrte.
Amor selbst mußt ihn bedienen:
Ihm den alten Bart von Silber,
Ihm die alten Locken salben,
Ihn bey holdem Sonnenscheine
An der Hand spazieren führen,
Ihm die goldne Leyer tragen,
Ihm, mit jedem neuen Morgen,
Neue Rosenkränze binden,
Und um seine Schläfe winden;
Und ihn immer: treuer Lehrer!
Und ihn immer: Vater! nennen.
Niemand wolle sich verwundern,
Daß man seine Kleinigkeiten
Annoch liest, und übersetzet.
»Was die Gratien geschrieben,
»Was Cythere selbst verbessert,
»Ueberlebet alle Zeiten,
»Und bleibt ewig liebenswürdig.

 

Lob des Anakreons und der Sappho.

    Als itzt Sappho verschied, ward eben der teische Dichter
Auf entspriesenden Blumen gebohren.Sappho lebte ohngefähr ums Jahr der Welt 3340; Anakreon aber ums Jahr der Welt 3420. Den Liebreiz desselben,
Und seine niedliche Bildung zu sehn, lies Venus ihn holen.
Schnell sprang Amor herbey, und sprach mit zornigem Muthe:
»Warum schenkte dann nicht das sonst so altkluge Schicksal
»Diesem Knaben, mit der nunmehr verblichenen Sappho,
»Eine Geburtssonn, und einen anmuthigen Todesabend?
»Diese zween flammende Stern, ihr Götter, ehlich vereinet,
»Hätten ein Feuer gezeugt, das alles angesteckt hätte;
»Und ich, ohne die Welt stets mühsam durchreisen zu müssen,
»Könnt itzt, ruhig, wie ihr, beym Necktar sizen, und lachen.

 


 


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