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»Dreh' dich doch um, mein Sohn! Ach, was bist du komisch! Was habt ihr da für Popengewänder an? Gehen so alle in der Akademie?«
Mit diesen Worten begrüßte der alte Bulba seine zwei Söhne, die in der Kiewer »Burse« gelernt hatten und zum Vater nach Hause gekommen waren.
Seine Söhne waren eben erst von den Pferden gestiegen, zwei kräftige, junge Burschen, die noch von untenher blickten, wie unlängst entlassene Seminaristen. Ihre festen gesunden Gesichter bedeckte der erste Flaum. Noch hatte sie das Rasiermesser nicht berührt. Sie waren sehr verlegen über einen solchen Empfang des Vaters und standen unbeweglich, die Augen zu Boden gesenkt.
»Haltet doch still! Laßt mich euch schön ansehen!« fuhr er fort, indem er sie umdrehte, »was habt ihr denn da für lange Mäntel an! Ach, was für Mäntel! Solche gab es noch gar nicht auf der Welt! Laufe doch einmal einer von euch! Ich will sehen, ob er sich nicht in den Rockschößen verfängt und zu Boden kracht!«
»Lache nicht, Vater«, sprach endlich der Älteste von beiden.
»Sieh mal an, was für ein aufgeblasener Kerl! Weshalb soll ich denn nicht lachen?«
»Ja, so: magst du auch mein Vater sein, wirst du aber über mich lachen, so werde ich dich, bei Gott, durchprügeln!«
»Ach, das ist ein Sohn! Wie? Deinen Vater?« sprach Taras Bulba, nachdem er erstaunt einige Schritte zurückgewichen war.
»Ja, wenn es auch mein Vater ist! Beleidigt mich jemand, so frage ich gar nicht, wer das ist!«
»Wie willst du dich denn mit mir schlagen? Etwa mit Fäusten?«
»Ja, auf irgendeine Weise!«
»Nun, so laß uns mit Fäusten kämpfen!« sprach Bulba, und er schlug sich die Ärmel auf, »ich will sehen, was für ein Faustkämpfer du bist!«
Und statt sich nach langer Trennung zu bewillkommnen, begannen Vater und Sohn einander Faustschläge zu versetzen: in die Seiten, ins Kreuz und in die Brust, bald zurückweichend und sich umschauend, bald von neuem angreifend.
»Seht nur, gute Leute: dumm ist der Alte geworden! Völlig hat er seinen Verstand verloren!« sprach die hagere, bleiche, liebevolle Mutter. Sie stand an der Schwelle und hatte noch nicht einmal ihre Kinder, an denen sie sich nicht satt sehen konnte, umarmen können. »Die Kinder sind nach Hause gekommen, länger als ein Jahr haben wir sie nicht gesehen, er aber dachte sich, Gott weiß was, aus: sich mit Fäusten mit ihnen zu schlagen!«
»Ja, er schlägt sich gut!« sprach Bulba, innehaltend. »Bei Gott, gut!« fuhr er fort, und er brachte sich ein wenig in Ordnung, »so daß es gar nicht nötig wäre, es zu versuchen. Er wird ein guter Kosak werden! Nun gut, Söhnchen! Laßt uns einander umarmen!« Und Vater und Sohn begannen sich zu küssen. »Gut, Söhnchen! Siehst du, so prügle jeden, wie du mich pufftest: niemandem gib nach! Aber gleichwohl hast du einen lächerlichen Anzug an: was hängt denn da für eine Kordel? Aber du, Beibas, was stehst du denn da und läßt die Arme sinken?« sprach er, sich an den Jüngeren wendend. »Was prügelst du mich denn nicht, du Hundesohn?«
»Sieh mal an, was er sich noch ausdachte!« sprach die Mutter, die währenddessen den Jüngeren umarmt hatte. »Wem kommt denn so etwas in den Kopf, daß das leibliche Kind seinen Vater schlagen soll! Ja, nun genug für heute: das Kind ist jung, hat einen solchen Weg hinter sich, ward müde … (dies Kind war mehr als zwanzig Jahre alt und genau sechs Fuß hoch); es müßte jetzt ausruhen und etwas essen, er aber zwingt es, sich mit ihm zu schlagen.«
»Eh, du bist ja ein Muttersöhnchen, wie ich sehe!« sprach Bulba. »Höre nicht, Söhnchen, auf die Mutter: sie ist ein Weib, sie versteht gar nichts. Was ist euch Zärtlichkeit! Eure Zärtlichkeit – ist ein weites Feld und ein gutes Pferd: das ist eure Zärtlichkeit. Aber seht ihr diesen Säbel hier? Das ist eure Mutter! Alles das ist Dreck, womit man eure Köpfe auspolstert: die Akademie und alle diese Büchelchen, Wörterbücher, Philosophie und alle p, qu, r, s. Ich spucke auf das alles!« Hier fügte Bulba ein solches Wörtchen ein, wie man es gar nicht wiedergeben kann. »Aber seht, am besten werde ich euch schon in dieser Woche nach Soporogien schicken. Dort gibt es eine Wissenschaft, und was für eine! Dort ist eure Schule, nur dort werdet ihr zu Verstande kommen!«
»Sie sollen nur eine einzige Woche zu Hause sein?« sprach betrübt, Tränen in den Augen, die hagere, greise Mutter. »Ihnen, den Armen, soll es nicht beschieden sein, sich etwas zu erholen, nicht beschieden soll es ihnen sein – das Vaterhaus kennenzulernen, und mir – mich an ihnen satt zu sehen.«
»Genug, hör' auf zu heulen, Alte! Der Kosak ist nicht dazu geschaffen, sich mit Weibern herumzutreiben. Du würdest sie alle beide unter deinem Rock verstecken, ja, und auf ihnen sitzen, wie die Henne auf den Eiern. Geh, geh, ja, und stell' uns rasch alles auf den Tisch, was da ist. Keine Plätzchen, Honigkuchen, Mohnküchelchen und andere Puddinge, schleppe uns Hammelbraten herbei; Ziegenfleisch gib her, vierzigjährigen Met! Ja, und möglichst viel Branntwein, nicht mit allerlei Scherzen, nicht mit Rosinen und allen möglichen Spielereien, vielmehr reinen, schäumenden Branntwein, und er soll spielen und zischen wie toll!«
Bulba führte seine Söhne ins Zimmer, von wo rasch zwei schöne dienende Mädchen mit roten Halsketten hinausliefen. Sie hatten die Zimmer gemacht und waren augenscheinlich erschrocken über die Ankunft der Herrensöhne, die niemand in Ruhe zu lassen pflegten, oder sie wollten nur einfach ihre Frauengewohnheit wahren: aufzuschreien, Hals über Kopf davonzustürzen beim Anblick eines Mannes und sich dann lange noch vor heftiger Scham das Gesicht mit dem Ärmel zu bedecken. Das Zimmer war im Geschmacke der Zeit eingerichtet, von der sich nur in den Liedern lebendige Zeugnisse erhielten, ja, in den Volksgesängen, die jetzt schon nicht mehr in der Ukraine von bärtigen blinden Greisen gesungen werden, zum leisen Klimpern der Bandura, vor versammeltem Volke – im Geschmacke jener kampfesfrohen, schweren Zeit, als in der Ukraine die Schlachten und Kämpfe um die Einigung sich abzuspielen begannen. Alles war sauber, mit farbigem Mörtel gestrichen. An den Wänden hingen Säbel, Peitschen, Vogel- und Fischernetze und Gewehre, kunstvoll verzierte Pulverhörner, goldgeschmücktes Zaumzeug und mit silbernen Platten belegte Spannfesseln. Die Fenster waren klein und hatten runde, trübe Scheiben, wie man sie jetzt nur noch in alten Kirchen findet und durch die man nur sehen kann, wenn man eine bewegliche Glasscheibe aufhebt. Rote Rahmen umgaben Fenster und Türen. Auf Wandbrettern in den Ecken standen Krüge, Flaschen und Fläschchen aus grünem und blauem Glas, gravierte Silberbecher, vergoldete Branntweinschalen von jeder Art Arbeit: venezianischer, türkischer, tscherkessischer. Sie waren auf allerlei Wegen durch dritte und vierte Hände in das Gemach des Bulba gekommen, wie das äußerst gewöhnlich war in jenen fernen Zeiten. Bänke aus ungeschältem Birkenholz führten um das ganze Zimmer; ein gewaltiger Tisch stand unter den Heiligenbildern in der »schönen« Ecke; ein breiter Ofen mit Ofenbank, Abstufungen und Vorsprüngen, aus farbigen, bunten Kacheln. – Alles dies war unseren beiden jungen Burschen sehr bekannt, da sie jedes Jahr zur Ferienzeit nach Hause kamen – zu Fuß, weil sie noch keine Reitpferde hatten und es nicht gebräuchlich war, den Schülern zu reiten zu erlauben. Jeder Kosak, der eine Flinte trug, konnte sie an ihren langen Schöpfen ziehen. Erst als sie aus der Schule entlassen waren, sandte ihnen Bulba aus seiner Pferdeherde ein Paar junger Hengste.
Gelegentlich der Ankunft seiner Söhne hatte Bulba allen Unterbefehlshabern befohlen, selber herzukommen und den ganzen Regimentsstab zusammenzurufen, was nur von dem aufzutreiben war; und als zwei von ihnen erschienen, unter ihnen der Esaul Dmitro Towkatsch, sein alter Kamerad, stellte er ihnen auch sogleich seine Söhne vor: »Da seht einmal, was für forsche Kerle! Nach Sjetsch werde ich sie bald schicken.« Die Gäste beglückwünschten Bulba und die beiden jungen Leute und sagten ihnen, sie täten ein gutes Werk, und es gäbe keine bessere Lehre für einen jungen Menschen als die Saporoger Sjetsch.
»Nun, ihr Herren Brüder, setze sich ein jeder an den Tisch, wo es ihm am besten gefällt. Nun, Söhnchen! Zuallererst laßt uns Branntwein trinken!« so sprach Bulba. »Gott segne es! Bleibt gesund, Söhnchen: du, Ostap, und du, Andrij! Gott gebe, daß ihr im Kriege immer glücklich seid! Daß ihr die Busurmanen schlagt, die Türken und die Tataren und auch die Ljachen, wenn sie etwas gegen unseren Glauben tun werden. Nun, reiche deinen Becher her, wie, ist der Schnaps gut? Wie heißt denn Branntwein auf lateinisch? Wie dumm waren doch die Lateiner: sie wußten gar nicht, ob es Branntwein auf der Welt gibt. Wie hat denn nur der geheißen, der die lateinischen Knittelverse schrieb? Ich bin nicht sehr fest in der Literatur, und deshalb weiß ich auch nicht: war es etwa Horaz?«
»Sieh mal an, was unser Väterchen für ein Kerl ist!« dachte für sich der älteste Sohn, Ostap. »Alles weiß der alte Hund, und dabei spielt er den Dummen.«
»Ich glaube, der Archimandrit gab euch Branntwein nicht einmal zu riechen«, fuhr Taras fort. »Aber gesteht nur, Söhnchen, fest hat man euch dort gehauen mit Birkenruten und frischen Kirschzweigen auf den Rücken und was der Kosak sonst noch hat. Vielleicht hat man euch aber auch mit Riemen gezüchtigt, weil ihr schon allzu gescheit wurdet? Und nicht nur am Samstag, es gab vielmehr auch Mittwochs und Donnerstags Prügel?«
»Man soll nicht an das erinnern, was war, Väterchen!« antwortete kaltblütig Ostap. »Was war, das ist vergangen!«
»Möge es jetzt irgendwer versuchen!« sprach Andrij. »Möge jetzt irgendwer auch nur anzubinden wagen. Möge jetzt irgendwelches Tatarenvolk auch nur mucksen, es wird erfahren, was der Kosakensäbel für eine Sache ist!«
»Bravo, Söhnchen! Bei Gott, bravo! Ja, wenn es dazu kommt, so werde auch ich mit euch ziehen! Bei Gott, ich werde das tun. Welchen Teufel soll ich denn hier erwarten? Soll aus mir ein Buchweizensäer werden, ein Hauswirt, der die Schafe hütet, ja, die Schweine, und mit der Gattin schön tut? Ja, möge sie nur zugrunde gehen; ich bin ein Kosak, ich will nicht! Ja, wie schade, daß kein Krieg ist! Ich werde so mit euch nach Saporogien ziehen – zu bummeln. Bei Gott, das will ich!« Und der alte Bulba ereiferte sich allmählich immer mehr, geriet endlich völlig in Zorn, stand vom Tisch auf, richtete sich kerzengerade auf und stampfte mit dem Fuße. »Noch morgen werden wir ziehen! Weshalb denn aufschieben? Welchen Feind können wir denn hier ersitzen? Wozu uns diese Hütte? Wozu uns dies alles? Wozu diese Töpfe? …« Und als er das gesagt hatte, begann er die Töpfe und Flaschen in Scherben zu schlagen und zu Boden zu schleudern.
Die arme Alte, schon gewöhnt an solche Taten ihres Mannes, saß auf der Bank und blickte traurig drein. Sie wagte nichts zu sagen, als sie aber diesen, für sie so schrecklichen Entschluß vernahm, konnte sie sich nicht der Tränen enthalten; sie schaute auf ihre Kinder, von denen ihr eine so rasche Trennung drohte – und niemand hätte die ganze wortlose Kraft des Kummers beschreiben können, der in ihren Augen und auf ihren krampfhaft zusammengepreßten Lippen bebte.
Bulba war furchtbar eigensinnig. Das war einer von jenen Charakteren, wie sie nur im schweren fünfzehnten Jahrhundert und in der halbnomadenhaften Ecke Europas aufkommen konnten, damals, als das ganze südliche, ursprüngliche Rußland von seinen Fürsten verlassen und verwüstet war, bis auf den Grund durch die Einfälle der unbändigen Mongolenräuber versengt. Damals ward, des Hauses und Daches beraubt, der Mensch hier wagemutig, siedelte sich auf den Brandstätten an, im Angesichte schrecklicher Nachbarn, ewige Gefahr vor Augen. Er gewöhnte sich daran, ihr gerade ins Gesicht zu schauen, und er verlernte zu wissen, ob es so etwas wie Furcht in der Welt gibt. Zu jener Zeit offenbarte sich der altfriedliche slawische Geist als flammender Kampfesmut, und das Kosakentum kam auf – der breite, unbändige Schwung der russischen Natur. Alle Flußtäler, Übergänge, abschüssigen Ufer und dergleichen geeignete Orte waren mit Kosaken übersät, die niemand jemals zählte. Ihre kühnen Gefährten hatten recht, als sie dem Sultan, der ihre Zahl erfahren wollte, antworteten: »Wer kennt sie! Bei uns sind sie zerstreut über die ganze Steppe hin: wo ein kleines Hügelchen steht, da ist auch schon ein Kosak!« Das war sicherlich eine ungewöhnliche Offenbarung der russischen Kraft: sie hatte aus der Brust des Volkes die feurige Not geboren. Statt der früheren Teilfürstentümer und der kleinen Städtchen, die nur Hundewärtern und Jagdhunden zum Aufenthalt dienten, statt der einander befehdenden und mit ihren Städten handelnden kleinen Fürsten entstanden drohende Ansiedlungen, Dörfer und Weiler, die gemeinsame Gefahr und gemeinsamer Haß gegen die heidnischen Räuber zusammenschloß. Es ist schon allgemein bekannt aus der Geschichte, wie ihr ewiger Kampf und ihr unruhiges Leben Europa vor erbarmungslosen Einfällen rettete, die es zu vernichten drohten. Wenn auch die polnischen Könige, die nach den Teilfürsten Herrscher dieser ausgedehnten Länder wurden, weit entfernt wohnten und wenig Macht über sie hatten, so begriffen sie dennoch die Bedeutung der Kosaken und die Vorteile eines solchen kampfesfrohen Lebens auf ständiger Wacht. Sie unterstützten sie und schmeichelten dieser Neigung. Unter ihrer entfernten Oberhoheit formten die Hetmane, die aus der Mitte der Kosaken selber gewählt wurden, Dörfer und Ansiedlungen in Regimenter und regelrechte Militärbezirke um. Das war nicht ein regelrecht ausgehobenes Heer; ein solches hatte niemand gesehen. Im Falle des Krieges und der allgemeinen Bewegung erschien aber in acht Tagen, nicht später, ein jeder zu Pferd, in seiner vollen Ausrüstung – ein jeder empfing nur einen Dukaten Sold vom Könige – und in zwei Wochen versammelte sich ein solches Heer, wie es keinerlei Rekrutenaushebungen hätten ansammeln können. War der Feldzug beendet – so kehrte der Krieger zu seinen Wiesen und Äckern zurück, zu den Übergängen des Dnjepr, fing Fische, trieb Handel, braute Bier und war ein freier Kosak. Die Ausländer wunderten sich damals mit Recht über seine ungewöhnlichen Fähigkeiten. Es gab kein Handwerk, das der Kosak nicht verstand: Wein zu keltern, Wagen zu bauen, Pulver zu bereiten, Schmiede- und Schlosserarbeit zu verrichten und bei dem allen unsinnig zu bummeln, zu saufen und zu schlemmen, wie das einzig und allein der Russe versteht, dem allem war er gewachsen. Außer den eingeschriebenen Kosaken, die es für ihre Pflicht hielten, sich zur Kriegszeit zu stellen, konnte man zu jeder Zeit, im Falle großer Not, ganze Scharen Freiwilliger sammeln. Die Esaule brauchten nur über die Märkte und Plätze der Dörfer und Flecken zu gehen, sich auf einen Wagen zu stellen und aus Leibeskraft zu rufen: »Heda, ihr Bierbrauer, ihr Biersäufer! Lang genug habt ihr Bier gebraut, hinter dem Ofen gelegen und mit eurem fetten Leib die Fliegen gefüttert! Zieht aus, Ritterruhm und Ehre zu erwerben! Ihr Pflüger, Weizensäer, Schafehüter, Weiberfreunde! Hört auf, hinter dem Pflug zu gehen, eure gelben Stiefel mit Dreck zu beschmieren, euch bei den Weibern einzuschmeicheln und eure Ritterkraft zu vergeuden. Es ist Zeit, Kosakenruhm zu erwerben!« Und diese Worte wirkten wie Funken, die in dürres Laub fallen. Der Pflüger zerbrach seinen Pflug. Die Bierbrauer verließen ihre Bottiche und zerschlugen ihre Fässer, der Handwerker und der Händler schickten Handwerk und Kaufbude zum Teufel, zerschlugen alle Töpfe zu Hause – und alles, was da war, setzte sich aufs Pferd. Mit einem Wort, der russische Charakter erhielt hier einen mächtigen, breiten Schwung, eine machtvolle Äußerung.
Taras war einer jener alteingewurzelten Obersten, wie geschaffen für die Unruhe des Kampfes und ausgezeichnet durch rauhe Offenheit des Charakters. Damals begann sich bereits der Einfluß Polens auf den russischen Adel geltend zu machen. Viele nahmen schon polnische Sitten an, führten Luxus ein: großartiges Gesinde, Falken, Jagdhunde, Gastmahle, Höfe. Das alles war nicht nach dem Herzen des Taras. Er liebte das einfache Leben der Kosaken und verzankte sich mit denjenigen seiner Kameraden, die nach der »Warschauer« Seite neigten, indem er sie Sklaven und polnische Pane nannte. Ewig in Unruhe, hielt er sich für den gesetzlichen Beschützer der Rechtgläubigkeit. Aus eigener Vollmacht ging er in die Dörfer, wo man sich über die Bedrückung der Pächter und die Erhöhung der Abgaben vom Kamin beklagte. Selber mit seinen Kosaken hielt er über sie Gericht und machte es sich zur Regel, daß man in drei Fällen stets zum Säbel greifen müsse, nämlich erstens, wenn die Kommissäre es irgendwie an Ehrerbietung fehlen ließen vor den »Älteren« und mit der Mütze auf dem Kopfe vor ihnen standen; zweitens, wenn man über die Rechtgläubigkeit spottete und die Gewohnheiten der Vorfahren nicht ehrte, und endlich, wenn die Feinde Busurmanen und Türken waren, gegen die er es in jedem Falle für erlaubt hielt, zum Ruhme des Christentums die Waffe zu erheben.
Jetzt freute er sich im voraus, wenn er daran dachte, wie er mit seinen zwei Söhnen in Sjetsch erscheinen und sagen werde: »Seht einmal her, was ich euch für forsche Kerle gebracht habe!« Wie er sie allen alten, in Schlachten erprobten Kameraden vorstellen werde; wie er ihre ersten Schritte überwachen werde in der Kriegskunst und auch in der Zecherei, die er gleichfalls für eine von den Haupttugenden des Ritters hielt. Anfangs hatte er sie allein ziehen lassen wollen; als er aber ihre Frische, ihren Wuchs, ihre mächtige Körperschönheit erschaute, brannte sein Kriegsgeist auf, und er beschloß, schon am nächsten Tage selber mit ihnen zu ziehen, obgleich dazu keine andere Veranlassung vorlag, als einzig und allein sein Eigensinn. Er machte sich bereits zu schaffen, gab Befehle, wählte Pferde und Zaumzeug für die jungen Söhne aus, hielt Nachfrage auch in den Ställen und Vorratsräumen und wählte die Dienstleute aus, die morgen mit ihnen ziehen sollten. Dem Esaul Towkatsch übergab er sein Kommando zugleich mit dem strengen Befehl, sofort mit dem ganzen Regiment zu erscheinen, sobald er nur aus Sjetsch irgendwelche Nachricht gebe. War er auch angetrunken und gärte in seinem Kopfe der Rausch, so vergaß er doch gar nichts; er gab sogar Befehl, die Pferde zu tränken und ihnen in die Krippen besten, grobkörnigen Weizen zu streuen, und kehrte endlich von allen seinen Mühen ermüdet zurück.
»Nun, Kinder, jetzt muß man schlafen, morgen aber werden wir tun, was Gott befiehlt. Ja, mach' uns kein Bett zurecht! Wir brauchen kein Bett, wir werden im Hofe schlafen.«
Die Nacht hatte eben erst den Himmel umfangen. Bulba begab sich aber stets früh zur Ruhe. Er legte sich auf einen Teppich, bedeckte sich mit einem Schafpelz, weil die Nachtluft ziemlich kühl war und Bulba es liebte, sich etwas wärmer zuzudecken, wenn er zu Hause war. Bald schnarchte er, und ihm folgte der ganze Hof; alles, was da in den Ecken lag, schnarchte in allen Tonarten. Zuallererst schlief der Wächter ein, weil er sich zur Feier der Ankunft der Herrensöhne am stärksten betrunken hatte.
Einzig und allein die Mutter schlief nicht. Sie beugte sich zu ihren teuren Söhnen nieder, die nebeneinander lagen; sie kämmte ihre jungen, achtlos in Unordnung gelassenen Locken und netzte sie mit ihren Tränen. Sie verlor sich in ihren Anblick, schaute auf sie mit allen ihren Sinnen. Sie hatte sich in ein Sehen verwandelt und konnte sich nicht satt sehen. Mit ihrer eigenen Brust hatte sie sie gestillt; sie hatte sie herangezogen, aufgefüttert und sollte sie nur auf einen Augenblick schauen! »Meine Söhne, meine lieben Söhne! Was wird aus euch werden! Was erwartet euch?« sprach sie, und Tränen füllten die Runzeln, die ihr einstmals schönes Gesicht entstellten. In der Tat, sie war zu bemitleiden wie jedes Weib in dieser weit zurückliegenden Zeit. Nur einen Augenblick hatte sie durch die Liebe gelebt, nur im ersten Fieber der Leidenschaft, im ersten Feuer der Jugend, und schon verließ sie ihr rauher Verführer – um sich dem Säbel, den Kameraden, dem Zechen und Schlemmen hinzugeben. Zwei, drei Tage im Jahre sah sie den Gatten, und dann war einige Jahre hindurch gar nichts von ihm zu hören. Ja, und wenn sie ihn auch sah, wenn sie zusammen lebten, was war da ihr Leben? Beleidigungen, sogar Schläge mußte sie erdulden; Liebkosungen wurden ihr nur aus Gnade zuteil; sie war ein ganz verlorenes Geschöpf unter diesen frauenlosen Rittern, auf die das dem Zechen ergebene Saporogien seinen rauhen Abglanz geworfen hatte. Jugend ohne Genuß war ihr Schicksal, ohne Liebkosungen verblühten ihre schönen frischen Wangen und Brüste und bedeckten sich vor der Zeit mit Runzeln. Ihre ganze Liebe, alle ihre Gefühle, alles, was Zärtliches und Leidenschaftliches im Weibe lebt – das alles wandelte sich in ihr in das eine Gefühl der Mütterlichkeit. Wie die Steppenmöwe hatte sie sich an ihre Kinder geschmiegt, mit Leidenschaft und mit Tränen. Ihre Söhne, ihre lieben Söhne nimmt man ihr – nimmt man ihr auf Nimmerwiedersehen! Wer weiß, vielleicht wird ihnen der Tatar in der ersten Schlacht die Köpfe abhauen, und sie wird nicht einmal wissen, wo die herbeifliegenden Raubvögel ihre hingeworfenen Leiber zerhacken, und dabei hätte sie ihr Leben hingegeben für jeden Tropfen ihres Blutes. Schluchzend schaute sie ihnen in die Augen, als der allmächtige Schlummer sie bereits zu umfangen begann, und dachte: »Vielleicht wird Bulba, wenn er aufwacht, die Abreise auf zwei Täglein verschieben; vielleicht hat er sich nur deshalb die rasche Abfahrt ausgedacht, weil er so viel getrunken hatte.«
Längst schon beleuchtete der Mond von der Höhe des Himmels herab den ganzen von Schlafenden erfüllten Hof, das dichte Weidengebüsch und das hohe Steppengras, in dem der Palisadenzaun förmlich ertrank. Immer noch saß sie zu Häupten ihrer lieben Söhne, wandte keinen Augenblick ihre Blicke von ihnen und dachte gar nicht an Schlummer. Schon witterten die Pferde die Morgendämmerung, legten sich auf dem Gras nieder und hörten auf zu fressen; die oberen Zweige der Weiden begannen zu flüstern, und allmählich floß säuselnde Bewegung ganz an ihnen hinunter. Sie saß, bis es hell ward, sie war gar nicht müde und wünschte in ihrem Herzen, die Nacht möchte sich möglichst lange hinziehen. Von der Steppe erhob sich das klangvolle Wiehern der Pferde; rote Streifen leuchteten klar am Himmel.
Plötzlich erwachte Bulba und sprang auf. Er entsann sich wohl an alles, was er gestern befohlen hatte.
»Nun, Burschen, genug geschlafen! Es ist Zeit, es ist Zeit! Tränkt die Rosse! Wo ist denn die Alte? (So nannte er gewöhnlich seine Frau.) Munter, Alte, bereite uns das Essen: ein weiter Weg steht uns bevor!«
Die arme Frau, der letzten Hoffnung beraubt, schleppte sich mürrisch in das Haus. Während sie unter Tränen alles bereitete, was zum Frühstück nötig war, gab Bulba seine Befehle, machte sich im Pferdestall zu schaffen und wählte selber für seine Kinder sein bestes Sattel- und Zaumzeug. Die Bursaken verwandelten sich plötzlich: statt der früheren beschmutzten Schuhe trugen sie rote Saffianstiefel mit silbernen Beschlägen; Pluderhosen, breit wie das Schwarze Meer, mit tausend Falten und Fältchen, wurden zusammengehalten von einem goldenen Schnürband; an ihm hingen lange schmale Riemen mit Troddeln und allerlei Klapperzeug für die Pfeife. Ein Halbrock von hochroter Farbe, grell wie Feuer, war umbunden mit einem gemusterten Gürtel; in ihm staken ziselierte türkische Pistolen; der Säbel klirrte den Jünglingen zu Füßen. Ihre Gesichter, wenig von der Sonne verbrannt, waren, so schien es, noch schöner geworden; die jungen schwarzen Schnurrbärte hoben sich jetzt noch deutlicher ab gegen die helle Haut und ihre gesunde Jugendfarbe. Schön waren sie unter ihren schwarzen Schafsfellmützen mit goldnen Zipfeln. Arme Mutter! Als sie sie erblickte, vermochte sie kein Wort hervorzubringen, und die Tränen blieben ihr in den Augen stehen.
»Nun, Söhne, alles ist fertig! Da ist nicht zu zaudern!« rief endlich Bulba. »Jetzt vor der Fahrt müssen sich alle nach Christensitte niedersetzen.«
Alle setzten sich, sogar die Dienstleute, die ehrerbietig bei den Türen gestanden hatten.
»Mutter, segne jetzt deine Kinder!« sprach Bulba, »bete zu Gott, daß sie tapfer kämpfen, stets die Ritterehre verteidigen, stets für den Christenglauben einstehen, sonst aber – mögen sie lieber so zugrunde gehen, daß auch kein Hauch mehr von ihnen auf der Welt bleibt! Geht, Kinder, zur Mutter: der Mutter Gebet bringt Rettung zu Wasser und zu Lande.«
Die Mutter, schwach wie jede Mutter, umarmte sie, nahm zwei kleine Heiligenbildchen hervor und hängte sie ihnen schluchzend um den Hals.
»Möge euch … die Mutter Gottes … behüten! Vergeßt nicht, Söhnchen, eure Mutter … sendet wenigstens bisweilen ein kleines Nachrichtchen von euch …« Weiter konnte sie nicht sprechen.
»Nun laßt uns gehen, Kinder!« sprach Bulba.
Bei der Haustür standen die gesattelten Pferde. Bulba sprang auf seinen »Teufel«; der schwankte wie toll, als er die Zentnerlast auf sich fühlte, denn Taras war außerordentlich schwer und dick.
Als die Mutter sah, daß sich auch die Söhne schon auf ihre Pferde setzten, stürzte sie zu dem jüngeren hin, in dessen Gesichtszügen sich mehr Zärtlichkeit ausdrückte; sie faßte ihn am Steigbügel, sie klebte sich förmlich an seinen Sattel, und mit Verzweiflung in den Blicken ließ sie ihn nicht aus ihrer Umarmung. Zwei kräftige Kosaken nahmen sie vorsichtig unter die Arme und führten sie ins Haus. Kaum waren aber die Söhne aus dem Tore geritten, da lief sie mit der ganzen Leichtigkeit einer wilden Katze – was man bei ihren Jahren gar nicht vermuten konnte – hinaus, hielt mit unwiderstehlicher Kraft das Pferd an und umarmte einen ihrer Söhne mit einer ganz verrückten, sinnlosen Leidenschaft. Man führte sie wiederum fort.
Die jungen Kosaken ritten in innerer Bewegung dahin und hielten die Tränen zurück, da sie den Vater fürchteten, der seinerseits gleichfalls etwas erregt war, wenn er sich auch bemühte, es nicht merken zu lassen. Der Tag war grau; grell schimmerte das Grün; die Vöglein zwitscherten, wie wenn sie uneinig wären. Als sie eine Weile geritten waren, schauten die Reisenden zurück: es war, als sei ihr Hof in die Erde versunken – nur die zwei Schornsteine ihres bescheidenen Häuschens erhoben sich über ihr, ja, und die Wipfel der Bäume, in deren Zweigen sie einst wie Eichhörnchen kletterten; noch breitete sich vor ihnen jene Wiese aus, deren Anblick ihnen die ganze Geschichte ihrer Kindheit wachrufen konnte: von den Jahren an, als sie sich im betauten Grase wälzten, bis zu der Zeit, da sie hier die schwarzbrauige Kosakin erwarteten, die furchtsam daherflog auf ihren jungen flinken Füßen. Jetzt ragt nur noch einzig und allein in den Himmel die Stange über dem Brunnen mit nach oben gebundenem Wagenrade; schon scheint die Ebene in der Ferne wie ein Berg und verhüllt alles. – Lebt wohl, Kindheit und Spiel, und alles, alles!
Schweigend ritten die drei Reiter dahin. Der alte Taras dachte an die Vergangenheit. Seine Jugendzeit ließ er an sich vorübergleiten, seine Jahre, seine verflossenen Jahre, die der Kosak stets beweint, in dem Wunsche, sein ganzes Leben möchte eine einzige Jugend sein. Er dachte daran, wen er von seinen alten Kameraden in Sjetsch antreffen werde. Er besann sich, wieviele schon gestorben waren, welche noch lebten. Leise rundete sich eine Träne in seinem Auge, und sein ergrauter Kopf senkte sich betrübt.
Seine Söhne waren mit anderen Gedanken beschäftigt. Man muß aber jetzt mehr von ihnen erzählen. Mit zwölf Jahren waren sie in die Kiewer Akademie eingetreten, weil alle angesehenen Würdenträger der damaligen Zeit es für notwendig hielten, ihren Kindern eine Bildung zu geben, wenn das auch in der Absicht geschah, daß sie sie nachher völlig vergessen sollten. Sie waren damals, wie alle, die in die »Burse« eintraten, wild in Freiheit erzogen worden, und dort schliffen sie sich gewöhnlich etwas ab und erhielten etwas Gleichartiges, das sie einander ähnlich machte. Der Älteste, Ostap, begann seine Laufbahn damit, daß er schon im ersten Jahre davonlief. Man brachte ihn zurück, prügelte ihn furchtbar durch und setzte ihn hinter ein Buch. Viermal begrub er seine Fibel in die Erde, und viermal kaufte man ihm eine neue, nachdem man ihn jedesmal unmenschlich geschlagen hatte. Er hätte das aber zweifellos noch zum fünften Male wiederholt, wenn ihm nicht sein Vater das feierliche Versprechen gegeben hätte, ihn volle zwanzig Jahre im Kloster einzusperren, und wenn er ihm nicht im voraus geschworen hätte, er werde in alle Ewigkeit Saporogien nicht erschauen, wenn er nicht alle Wissenschaften in der Akademie auslerne. Es ist eigenartig, daß dies ganz derselbe Taras Bulba sagte, der alle Gelehrsamkeit schmähte und, wie wir schon sahen, riet, die Kinder sollten sich überhaupt nicht mit ihr beschäftigen. Von da an begann Ostap mit ungewöhnlichem Eifer hinter den Büchern zu sitzen, und ward rasch einer der besten Schüler. Die damalige Art des Unterrichts stand in furchtbarem Gegensatz zu der Art des Lebens: diese scholastischen, grammatischen, rethorischen und logischen Feinheiten entsprachen entschieden nicht der Zeit, wurden niemals im Leben angewandt und wiederholt. Die solches lernten, konnten ihre Kenntnisse zu gar nichts brauchen, sogar die am wenigsten scholastischen. Die damaligen Gelehrten waren aber selber noch ungebildeter als die übrigen, weil sie der Erfahrung des Lebens fernblieben. Außerdem aber hätten sie auch schon die republikanische Einrichtung der Burse und diese furchtbare Menge kräftiger, gesunder, junger Leute zu einer Betätigung veranlassen müssen, die durchaus außerhalb ihrer Schultätigkeit lag. Bisweilen war es schlechte Ernährung, bisweilen allzu häufige Hungerstrafen, bisweilen andere Bedürfnisse, die in einem frischen, gesunden, starken Jüngling zu erwachen pflegen, was in ihnen jenen Unternehmungsgeist wachrief, der späterhin in Saporogien zur Entfaltung gelangte. Die hungrige »Burse« lief durch die Straßen Kiews und zwang alle zur Vorsicht. Die Händlerinnen auf dem Markte bedeckten sogleich mit beiden Händen ihre Pasteten, Kringel und Kürbiskerne, wie Adlermütter ihre Jungen, sobald sie nur einen Bursaken vorbeigehen sahen. Der »Konsul«, der verpflichtet war, auf die ihm unterstellten Kameraden achtzugeben, hatte selber so furchtbare Taschen in seinen Pluderhosen, daß er die ganze Bude einer unachtsamen Händlerin hätte darin unterbringen können. Diese Bursaken bildeten durchaus eine Welt für sich: zur höheren Gesellschaft, die aus polnischen und russischen Edelleuten bestand, wurden sie nicht zugelassen. Ungeachtet der Protektion, die der Wojewode Adam Kisel selber der Akademie erwies, führte er sie nirgends ein und befahl, sie möglichst streng zu halten. Diese Anordnung war übrigens völlig überflüssig, weil der Rektor und die mönchischen Professoren so schon Gerten und Ruten nicht schonten und auf ihren Befehl hin die »Liktoren« ihre »Konsuln« häufig so grausam prügelten, daß die mehrere Wochen ihre Hosen kratzten. Vielen von ihnen war das völlig gleichgültig und schien ihnen nur etwas kräftiger zu sein als schöner Schnaps mit Pfeffer; anderen endlich wurden solche unaufhörlichen »heißen Umschläge« heftig zuwider, und sie entflohen nach Saporogien, wenn sie den Weg zu finden vermochten und sie nicht unterwegs ergriffen wurden. Ungeachtet dessen, daß Ostap Bulba mit großem Eifer die Logik zu erlernen begann und sogar die Theologie, konnte er auf keine Weise der unerbittlichen Rute entrinnen. Natürlich mußte dies alles irgendwie den Charakter verhärten und ihm jene Festigkeit geben, die von jeher den Kosaken auszeichnete. Ostap galt immer für einen der besten Kameraden. Er ging zwar selten den anderen voran in frechen Unternehmungen – einen fremden Garten oder ein fremdes Gemüsefeld zu plündern, dafür war er aber stets einer von den ersten, die unter das Banner eines unternehmenden Bursaken traten, und niemals, unter keinen Umständen, verriet er seine Kameraden; keine Stöcke und Ruten vermochten ihn dazu zu zwingen. Er war unempfänglich für andere Vorstellungen als von Krieg und wilden Trinkgelagen, wenigstens dachte er fast niemals an etwas anderes. Er war offenherzig unter Gleichen. Er besaß Güte von solcher Art, wie sie eben nur vorhanden sein konnte bei einem solchen Charakter und zur damaligen Zeit. Jetzt war er seelisch ergriffen durch die Tränen seiner armen Mutter, und nur das allein verwirrte ihn und ließ ihn nachdenklich den Kopf hängen.
Sein jüngerer Bruder, Andrij, hatte ein wenig lebhaftere und wohl auch etwas entwickeltere Empfindungen. Er lernte mit mehr Lust und ohne die Anspannung, mit der sich gewöhnlich ein schwerer und starker Charakter an die Sache macht. Er war erfinderischer als sein Bruder und trat häufiger als Führer eines ziemlich gefährlichen Unternehmens auf, und dabei verstand er es bisweilen, mit Hilfe seines erfinderischen Geistes sich der Bestrafung zu entwinden, während sein Bruder Ostap jede Protektion abwies, seinen Rock abnahm und sich auf den Boden legte, ohne überhaupt daran zu denken, um Gnade zu bitten. Auch in Andrij siedete der Tatendurst, doch war seine Seele noch anderen Empfindungen zugänglich. Das Bedürfnis nach Liebe entbrannte lebhaft in ihm, als er das achtzehnte Jahr überschritten hatte; das Weib begann sich häufiger seinen heißen Vorstellungen darzubieten; während er philosophische Dispute anhörte, sah er es jeden Augenblick vor sich: frisch, schwarzäugig, zärtlich. Unaufhörlich schimmerten vor ihm ihre funkelnden, elastischen Brüste, ihr zarter, schöner, völlig entblößter Arm; selbst ihrem Kleid, das ihre jungfräulichen und dabei kräftigen Glieder einhüllte, entströmte in seiner Vorstellung eine ganz unaussprechliche Wollust. Vor seinen Kameraden verbarg er sorgfältig diese Bewegungen seiner leidenschaftlichen Jünglingsseele, weil es zu damaliger Zeit als schimpflich und ehrlos für einen Kosaken galt, an Weib und Liebe zu denken, bevor man die Schlacht geschmeckt hatte. Überhaupt trat er in den letzten Jahren seltener als Führer irgendeiner Bande auf, schweifte vielmehr häufiger allein umher, irgendwo in einem einsamen Winkel Kiews, der ganz ertrank in Kirschengärten, zwischen niedrigen Häuserchen, die verlockend auf die Straße blickten. Bisweilen verirrte er sich auch in die Straße der Aristokraten, im heutigen alten Kiew, wo die kleinrussischen und polnischen Adligen wohnten und die Häuser mit einer gewissen Üppigkeit gebaut waren. Einstmals, als er so vor sich hinträumte, überfuhr ihn fast die Kalesche eines polnischen Pans, und der auf dem Bock sitzende Kutscher – mit einem furchtbaren Schnurrbart – schlug ihn ziemlich heftig mit der Peitsche. Der junge Bursak brauste auf: mit wahnwitziger Kühnheit griff er mit seinem starken Arm in das Hinterrad und brachte den Wagen zum Stehen. Der Kutscher aber, der eine Abrechnung fürchtete, schlug auf die Pferde, sie zogen an, und Andrij – glücklicherweise hatte er doch noch seine Hand zurückziehen können – schlug auf die Erde hin, gerade mit dem Gesicht in den Schmutz. Das allerklangvollste und harmonischste Lachen erscholl über ihm. Er erhob seine Augen und sah ein so schönes Mädchen am Fenster stehen, wie er noch nie eines im Leben gesehen hatte: schwarzäugig und weiß wie Schnee, beleuchtet vom Morgenrot. Sie lachte aus ganzer Seele, und ihr Lachen gab ihrer blendenden Schönheit funkelnde Kraft. Er kam ganz aus der Fassung. Völlig verloren schaute er auf sie, wobei er sich zerstreut den Schmutz von seinem Gesicht abwischte und sich nur noch mehr beschmierte. Wer war diese Schöne? Er wollte das von dem Gesinde erfahren, das in Scharen und in reicher Tracht um einen jungen Banduraspieler herum vor dem Tore stand. Das Gesinde brach aber in Lachen aus, als es sein beschmutztes Gesicht sah, und würdigte ihn keiner Antwort. Endlich erfuhr er, dies sei die Tochter des auf Besuch weilenden Wojewoden von Kowno. In der folgenden Nacht kroch Andrij mit der nur dem Bursaken eigenen Frechheit über den Palisadenzaun in den Garten und kletterte auf einen Baum, der sich mit seinen Ästen über das Dach des Hauses neigte. Von hier sprang er auf das Dach und gelangte durch den Kamin unmittelbar ins Schlafzimmer der Schönen, die gerade bei einer Kerze saß und ihre kostbaren Ohrringe ablegte. Als die schöne Polin plötzlich einen unbekannten Mann vor sich sah, erschrak sie derart, daß sie kein einziges Wort hervorbringen konnte; als sie aber bemerkt hatte, daß der Bursak mit gesenkten Augen dastand und vor Schüchternheit nicht die Hand zu rühren wagte, als sie in ihm jenen selbigen erkannte, der vor ihren Augen auf der Straße hingefallen war, überwältigte sie von neuem Lachen. Zudem war in Andrijs Zügen gar nichts Furchtbares: er war vielmehr sehr hübsch. Sie lachte von Herzen und ergötzte sich lange über ihn. Die Schöne war launisch wie eine echte Polin; und dabei warfen ihre Augen, wundervolle Augen, durchdringend und klar, einen Blick, aus dem Beständigkeit strahlte. Der Bursak vermochte sich nicht zu bewegen, er war gebannt, wie wenn er in einem Sack stecke, als die Tochter des Wojewoden keck zu ihm hintrat, ihm ihr blitzendes Diadem auf den Kopf setzte, ihm ihre Ohrringe an die Lippen hing und ihm ein durchsichtiges Muselintuch überwarf mit goldgestickten Blumengewinden. Sie schmückte ihn und trieb mit ihm tausenderlei Spielereien, mit jener kindlichen Ungezwungenheit, die die launischen Polinnen auszeichnet und den armen Bursaken noch mehr in Verwirrung setzte. Er machte eine komische Figur, als er geöffneten Mundes unbeweglich in ihre bezaubernden Augen schaute. Ein Klopfen an der Tür erschreckte sie. Sie befahl ihm, sich unter dem Bett zu verstecken, und als nur eben wieder Stille eingetreten war, rief sie ihr Dienstmädchen, eine gefangene Tatarin, und gab ihr den Befehl, ihn vorsichtig in den Garten zu führen und von da über den Zaun entweichen zu lassen. Diesmal aber gelangte unser Bursak nicht mehr so glücklich hinüber: der Wächter war erwacht, faßte ihn tüchtig bei den Beinen, und das herbeigeeilte Gesinde schlug lange noch auf der Straße auf ihn ein, bis ihn seine flinken Füße gerettet hatten. Daraufhin nochmals vor dem Hause vorüberzugehen, schien allzu gefährlich, weil das Gesinde des Wojewoden sehr zahlreich war. Er begegnete ihr noch einmal in der Kirche: sie erkannte ihn und lächelte ihm sehr freundlich zu, wie einem alten Bekannten. Noch einmal sah er sie flüchtig; bald darauf reiste der Kownoer Wojewode ab, und statt der schönen schwarzäugigen Polin schaute irgendein feistes Gesicht aus dem Fenster. Das war es, woran Andrij jetzt dachte, den Kopf geneigt und die Blicke gesenkt auf die Mähne seines Rosses.
Währenddessen hatte sie alle längst schon die Steppe in ihre grüne Umarmung aufgenommen, das hohe Gras umhüllte und verbarg sie, und einzig und allein die schwarzen Kosakenmützen schimmerten zwischen den Halmspitzen.
»Eh, eh, eh! Was seid ihr denn so verstummt, Burschen?« sprach endlich Bulba, als er aus seiner Versonnenheit erwachte, »gerade als wäret ihr Mönche! Nun, zum Teufel mit allen Gedanken! Nehmt die Pfeife zwischen die Zähne, laßt uns rauchen, laßt uns den Pferden die Sporen geben, ja, laßt uns so dahinfliegen, daß uns kein Vogel mehr einholt!«
Und die Kosaken, auf ihre Pferde gebeugt, verschwanden im Grase. Schon konnte man nicht einmal mehr die schwarzen Mützen sehen; einzig und allein die Welle des niedergetretenen Grases zeigte die Spur ihres raschen Rittes.
Längst hatte sich der Himmel aufgeklärt, und die Sonne übergoß mit ihrem belebenden, wärmewirkenden Licht die Steppe. Alles, was unklar und verträumt gewesen war in der Seele der Kosaken, entschwand in einem Augenblick; ihre Herzen erwachten wie Vögel, die den Schlaf abschüttelten.
Je weiter sie ritten, um so herrlicher ward die Steppe. Damals war noch der ganze Süden, jene ganze Fläche, die das heutige Neurußland einnimmt, bis zum Schwarzen Meere eine einzige, grüne, jungfräuliche Einöde. Noch niemals war der Pflug durch die unermeßlichen Wogen der wilden Pflanzen gegangen; einzig und allein die Pferde, die sich in ihnen wie in einem Walde verbargen, stampften sie. Nichts konnte herrlicher sein: die ganze Oberfläche des Landes stellte einen einzigen grüngoldenen Ozean dar, auf dem Millionen mannigfaltiger Blumen sprühten. Durch die feinen, hohen Stiele des Grases schimmerten hellblaue, tiefblaue und lilafarbene Kornblumen; der gelbe Ginster sprang empor mit seinen pyramidenförmigen Dolden; weißer Wiesenklee mit schirmartigen »Mützen« breitete sich auf der Oberfläche aus. Gott weiß woher getragene Weizenähren reiften im Dickicht. Bei ihren feinen Wurzeln huschten Feldhühner umher, den Hals vorgestreckt. Die Luft war erfüllt mit tausend verschiedenen Vogelstimmen. Am Himmel standen unbeweglich Habichte, die Flügel ausgebreitet und unentwegt ihre Augen auf das Gras gerichtet. Der Schrei einer sich zur Seite bewegenden Schar wilder Gänse widerhallte Gott weiß in welchem fernen See. Aus dem Grase erhob sich mit gleichmäßigem Flügelschlag die Möwe und badete sich üppig in den blauen Wogen der Luft. Jetzt ist sie in der Höhe verschwunden und schwimmt nur noch wie ein schwarzes Pünktchen; jetzt dreht sie sich, und ihre Flügel erstrahlen in der Sonne … Der Teufel möge euch holen, ihr Steppen, wie seid ihr schön!
Unsere Reisenden hielten nur wenig Minuten zum Mittagessen an, wobei die zehn Kosaken des Gefolges von den Pferden sprangen und hölzerne Fäßchen mit Schnaps und Kürbisse, die als Behälter dienten, losbanden. Sie aßen nur Brot mit Speck oder Plätzchen aus Weizenmehl; sie tranken nur jeder einen Becher, einzig und allein zur Stärkung, weil Taras Bulba niemals erlaubte, sich unterwegs anzutrinken, und setzten dann ihren Weg bis zum Abend fort. Inzwischen hatte sich die Steppe völlig verändert: ihre ganze bunte Fläche hatte der letzte grelle Widerschein der Sonne erfaßt, und es ward allmählich so dunkel, daß man sehen konnte, wie der Schatten über sie hinlief und sie dunkelgrün ward; die Ausdünstungen wurden betäubender, jedes Blümchen, jedes Gräschen gab Duft von sich, und die Steppe atmete Wohlgeruch. An dem dunkeltaubenfarbigen Himmel standen wie mit dem Pinsel gezogen breite Streifen von Rosagold; hier und da schimmerten weiße, flockige, leichte und durchsichtige Wolken, und das allerfrischeste Lüftchen, verführerisch wie Meereswogen, wehte fast unmerkbar über die Spitzen des Grases und erreichte kaum die Wangen. Die Musik, die den Tag über erschallte, war völlig verstummt, und es ertönte eine andere. Bunte Zieselmäuse krochen aus ihren Höhlen hervor, stellten sich auf ihre Hinterpfoten und erfüllten die Steppe mit ihrem Pfeifen. Das Zirpen der Grillen ward vernehmbarer. Bisweilen erklang aus irgendeinem einsamen See der Schrei des Schwanes und hallte silbern wider. Die Reisenden hielten inmitten der Felder an, wählten sich ein Nachtlager, machten Feuer, stellten einen Kessel auf und kochten sich Grütze. Rauch stieg auf und zog schräg in die Luft. Nach dem Abendessen begaben sich die Kosaken zur Ruhe; ihre gekoppelten Pferde ließen sie grasen. Ohne sich auszuziehen, legten sie sich nieder. Die nächtlichen Sterne schauten gerade auf sie herunter. Sie vernahmen die zahllose Welt der Insekten, die sich im Grase tummelten: all ihr Summen, Pfeifen, Zirpen klang hell durch die Nacht, klärte sich in der frischen Luft und wiegte die Schlummernden ein. Hätte sich irgendwer von ihnen erhoben, so wäre ihm die Steppe übersät erschienen von den strahlenden Funken der Leuchtkäfer. Bisweilen ward an wechselnden Stellen der nächtliche Himmel erleuchtet von dem fernen Schein eines auf den Wiesen oder an den Flüssen entzündeten Lagerfeuers von trockenem Schilfrohr, und der finstere Zug von Schwänen, die nach Norden flogen, ward dann plötzlich von rosasilbernem Licht erhellt, und es schien, als flögen rote Tücher am dunkeln Himmel daher.
Die Reisenden hatten keinerlei Abenteuer. Nirgends stießen sie auf Bäume: immer die gleiche unendliche, wogende, herrliche Steppe. Nur bisweilen blauten seitwärts die Wipfel eines fernen Waldes, der sich an den Ufern des Dnjepr hinzog. Ein einziges Mal wies Taras seinen Söhnen ein kleines, im fernen Gras schimmerndes Pünktchen: »Seht, Kinderchen, da galoppiert ein Tatar!« Das kleine Köpfchen mit Schnurrbart richtete gerade auf sie seine schmalen Augen, roch die Luft wie ein Jagdhund, und der Tatar verschwand wie eine Gemse, als er gesehen hatte, daß die Kosaken dreizehn Mann stark waren. »Jetzt aber, Kinderchen, versucht, den Tataren einzuholen! Oder versucht es lieber nicht. – Ihr werdet ihn niemals einholen: er hat ein Pferd, rascher noch als mein ›Teufel‹.« Gleichwohl traf Bulba Vorsichtsmaßregeln, da er einen Hinterhalt fürchtete. Sie galoppierten zu einem kleinen Flüßchen, das »Tatarka« heißt und in den Dnjepr mündet, sprangen mit ihren Pferden ins Wasser und schwammen lange, um ihre Fährte zu verbergen, und dann erst erklommen sie das Ufer und setzten ihren Weg fort.
Drei Tage später waren sie schon nicht weit von dem Ziel ihrer Fahrt. In der Luft ward es plötzlich kühler: man fühlte die Nähe des Dnjepr. Da blitzte er auch schon in der Ferne auf und hob sich mit dunkeln Streifchen vom Horizonte ab. Kalt wehte es von seinen Wogen, er breitete sich näher und näher aus, und endlich umfaßte er die Hälfte des ganzen Horizontes. Das war jene Stelle des Dnjepr, wo er, bis dahin durch Felsentore beengt, endlich freie Bahn erhält und wie das Meer braust, sich in Freiheit ergießend; die in seiner Mitte gelagerten Inseln drängen ihn noch mehr aus seinen Ufern, und seine Wogen wälzen sich breit über die Erde hin, weder Felsen noch Erhöhungen begegnend. Die Kosaken stiegen von ihren Pferden, betraten eine Fähre, und schon nach dreistündiger Fahrt landeten sie an den Ufern der Insel Chortiza, wo damals Sjetsch lag, das so häufig seinen Ort wechselte.
Ein Haufen Volkes stritt sich am Ufer mit den Fährleuten. Die Kosaken brachten ihre Pferde in Ordnung. Taras nahm eine würdige Haltung an, zog sich den Gürtel fester zu und fuhr stolz mit der Hand über seinen Schnurrbart. Seine jungen Söhne musterten sich gleichfalls vom Kopf bis zu den Füßen, während sie eine unbestimmte Angst und zugleich auch eine seltsame Lust erfüllte, und alle zusammen ritten sie in die Vorstadt ein, die eine halbe Werst von Sjetsch entfernt lag. Da ließen fünfzig Schmiedehämmer ihren betäubenden Lärm vernehmen – in fünfundzwanzig Schmieden, die mit Rasen bedeckt und in der Erde eingegraben waren. Kräftige Gerber walkten unter dem Schirmdach der Haustüre auf der Straße Rinderhäute mit ihren starken Armen; Krämer saßen unter Zelten: Feuerstein, Feuerstahl und Pulver in Haufen vor sich getürmt; ein Armenier hing kostbare Tücher auf; ein Tatar drehte auf einem Spieß Hammelfleisch in Teig; ein Jude seihte, den Kopf vorgeneigt, Branntwein aus einem Fäßchen. Der erste Saporoger aber, der ihnen da begegnete, hatte Arme und Beine ausgestreckt und schlief inmitten des Weges. Taras Bulba brachte es nicht über sich, vorbeizureiten. Er hielt sein Pferd an und sprach, um sich an ihm zu ergötzen: »Ei, wie gewichtig hat er sich ausgestreckt! Pfui, was für eine üppige Gestalt!« In der Tat bot sich ein ziemlich kühnes Bild: der Saporoger hatte sich wie ein Löwe auf dem Wege ausgestreckt; sein stolz zurückgeworfener Schopf nahm einen halben Arschin ein, die Pluderhosen aus knallrotem, teurem Tuch waren mit Teer beschmutzt, um die volle Verachtung vor solchen Dingen auszudrücken. Taras ritt weiter in die enge, mit Handwerkern angefüllte Straße hinein, die dort ihre Arbeit verrichteten. Leute aller Nationen drängten sich in dieser Vorstadt von Sjetsch, die einem Jahrmarkt glich und Sjetsch, das selber nur zu bummeln und mit dem Gewehre zu knallen verstand, kleidete und nährte. Endlich hatten sie die Vorstadt hinter sich und erschauten einige Ansiedlungen: zerstreute, mit Rasen oder auf tatarische Art mit Filz bedeckte Hütten. Vor einigen standen Kanonen. Weder war ein Zaun zu sehen noch jene niedrigen Häuschen der Vorstadt mit Schirmdächern auf kleinen hölzernen Säulchen. Ein niedriger Wall und Verhau, von niemand bewacht, offenbarten eine furchtbare Sorglosigkeit. Einige kräftige Saporoger lagen, die Pfeifen zwischen den Zähnen, mitten auf dem Wege, schauten ziemlich gleichgültig auf die Ankömmlinge und rührten sich nicht vom Flecke. Taras ritt vorsichtig mit seinen Söhnen zwischen ihnen hindurch, nachdem er gesagt hatte: »Guten Tag, ihr Herren!« – »Guten Tag auch ihr!« antworteten die Saporoger. Überall auf dem ganzen Felde trieb sich das Volk umher in bunten, malerischen Haufen. An den sonnverbrannten Gesichtern war zu sehen, daß alle diese Männer in Schlachten erprobt waren und jede Art Unbilden erfahren hatten. Das ist also Sjetsch! Das ist also jenes Nest, aus dem alle jene ausflogen, die stolz und stark waren wie Löwen! Das ist der Ort, von wo sich Freiheit und Kosakentum ergießt über die ganze Ukraine!
Die Reisenden ritten auf einen geräumigen Platz, wo gewöhnlich die Beratungen stattfanden. Auf einem großen, umgeworfenen Faß saß ein Saporoger ohne Hemd; er hielt es in Händen und nähte bedächtig die Löcher in ihm zu. Wiederum verlegte ihnen den Weg ein ganzer Haufe von Musikanten. In ihrer Mitte tanzte ein junger Saporoger, keck die Mütze in den Nacken geschoben und die Arme emporgeworfen. Er schrie nur: »Spielt rascher, ihr Musikanten! Laß es dir nicht leid sein, Thomas, um den Schnaps für die rechtgläubigen Christen!« Und Thomas, ein Auge blaugeschlagen, goß, ohne zu zählen, jedem Hinzutretenden einen gewaltigen Krug voll. Um den jungen Saporoger arbeiteten rasch mit den Füßen vier alte. Sie hupften zur Seite wie ein Wirbelwind, fast den Musikanten auf den Kopf, und plötzlich ließen sie sich in Kniestellung nieder und schlugen stark und gleichmäßig mit ihren silberbeschlagenen Absätzen die festgetretene Erde. Dumpf dröhnte im ganzen Umkreis der Boden von dem Aufschlagen der silberbeschlagenen Absätze, und in der Ferne widerhallten Hopser und Springer. Einer aber schrie lauter als alle. Er flog hinter den anderen im Tanze her, sein Schopf wehte im Winde, ganz entblößt war die mächtige Brust, über die Arme hatte er einen warmen Winterpelz gezogen, und der Schweiß floß in Strömen von ihm wie aus einem Eimer. – »Ja, so zieh doch den Pelz aus!« rief endlich Taras. »Du siehst doch, wie er raucht.« – »Unmöglich!« entgegnete der Saporoger. – »Weshalb?« – »Unmöglich! Ich habe schon eine solche Sitte: was ich ausziehe, das vertrinke ich auch.« Eine Mütze hatte der junge Bursche schon längst nicht mehr, auch weder einen Gürtel am Kaftan noch ein gesticktes Tuch: alles war dahin gewandert, »wohin es gehört« … Der Haufe wuchs; zu den Tanzenden traten andere hinzu, und man konnte nicht ohne innere Bewegung sehen, wie jener Tanz alles mit sich fortriß, der allerfreieste, allerwildeste Tanz, den die Welt sah und der nach seinen mächtigen Erfindern »Kosakentanz« genannt wird.
»Ach, wenn das Pferd nicht wäre!« rief Taras »Ich würde mich selber in den Tanz stürzen, wahrlich, ich würde das!«
Währenddessen begannen auch die um ihrer Verdienste willen vom ganzen Sjetsch geehrten ergrauten alten Schopfträger im Volke zu erscheinen, die mehr als einmal Älteste gewesen waren. Taras begegnete rasch einer Menge bekannter Gesichter: Ostap und Andrij hörten nichts als Begrüßungen. »Ah, das bist du, Petscheriza! Sei gegrüßt, Kosolup!« – »Von wo hat dich Gott hergeführt, Taras?« – »Wie bist du denn hierhergekommen, Doloto? Sei gegrüßt, Kirdjaga! Sei gegrüßt, Gustoi! Habe ich etwa geglaubt, dich zu sehen, Rimen?« Und die Ritter, die aus der ganzen Bummelwelt Ostrußlands zusammengekommen waren, küßten sich und begannen einander zu fragen: »Was macht denn Kassjan?« »Was macht Borodawka?« »Was macht Koloper?« »Was macht Pidsjuschok?« – Zur Antwort vernahm Taras, Borodawka sei in Tolopan erhängt worden, Koloper habe man bei Kisikirmen die Haut abgezogen, das Haupt des Pidsjuschok sei eingesalzen in einem Faß nach Zargrad selber geschickt worden. Da runzelte der alte Bulba die Stirn und sprach nachdenklich: »Das waren gute Kosaken!«
Schon ungefähr eine Woche lebte Taras Bulba mit seinen Söhnen in Sjetsch. Ostap und Andrij beschäftigten sich wenig mit kriegerischer Schulung. Sjetsch liebte es nicht, sich mit kriegerischen Übungen abzuplagen und Zeit zu verlieren; die Jugend ward hierin einzig und allein durch die Erfahrung erzogen und gebildet, im Staube der Schlachten selber, die deshalb auch fast niemals aufhörten. Die Kosaken fanden es langweilig, die Zwischenzeiten mit dem Erlernen irgendeiner Disziplin auszufüllen, außer höchstens einmal nach dem Ziele zu schießen, ja bisweilen Pferderennen zu veranstalten oder eine Hetzjagd hinter dem Wild her in den Steppen und Wiesen; alle übrige Zeit ward dem Saufen gewidmet – und darin offenbarte sich ein breites Auseinanderfließen des seelischen Willens. Ganz Sjetsch bot eine ungewöhnliche Erscheinung: das war eine Art ununterbrochenen Festmahls, ein Ball, der geräuschvoll begonnen und sein Ende verloren hatte. Einige beschäftigten sich mit Handwerk, einige hielten Buden und handelten; der größte Teil aber bummelte vom Morgen bis zum Abend, wenn in den Taschen die »Möglichkeit« klang und das erbeutete Gut noch nicht in die Hände der Händler und Kneipwirte gewandert war. Dieses allgemeine Feiern hatte etwas Bezauberndes an sich. Das war nicht etwa eine Versammlung von Bummlern, die sich aus Kummer antranken, das war vielmehr ein verrücktes Bacchanal von Lustigkeit. Jeder, der hierher kam, vergaß und warf von sich alles, was ihn bis dahin beschäftigt hatte. Er spuckte, sozusagen, auf seine Vergangenheit und ergab sich sorglos der Freiheit und der Kameradschaft ganz ebensolcher Bummler wie er selber, die weder Verwandte noch einen Winkel noch eine Familie hatten außer dem freien Himmel und dem ewigen Festmahl ihrer Seele. Dies erzeugte jene wahnsinnige Lustigkeit, die aus keinem anderen Quell hervorgehen konnte. Die Erzählungen und Plaudereien unter dem versammelten Volke, das faul auf der Erde liegend ausruhte, waren häufig so zum Lachen und atmeten eine solche Kraft lebendiger Mitteilung, daß man die ganze Kaltblütigkeit eines Saporogers haben mußte, um hierbei den unbeweglichen Gesichtsausdruck zu bewahren, ohne auch nur mit dem Schnurrbart zu zucken – ein auffallender Zug, durch den sich bis jetzt noch der Südrusse vor seinen übrigen Brüdern auszeichnet. Diese Heiterkeit war betrunken, lärmend, aber bei dem allem ging es durchaus nicht zu wie in einer schwarzen Kneipe, wo in einer finster-entstellenden Heiterkeit der Mensch sich selber vergißt, das war vielmehr ein enger Kreis von Schulkameraden. Der Unterschied bestand nur darin, daß sie, statt hinter dem Griffel zu sitzen und den langweiligen Worten des Lehrers zu lauschen, einen Überfall ausführten auf fünftausend Pferden, daß sie statt der Wiesen, auf denen man Ball spielt, unbewachte, endlose Grenzen vor sich hatten, im Angesicht deren der Tatar seinen flinken Kopf hervorstreckte und unbeweglich finster der Türke dreinschaute in seinem grünen Turban. Der Unterschied war der, daß, während sie in der Schule ein gewaltsamer Wille vereinigte, sie hier von sich selber aus Vater und Mutter verlassen hatten und aus dem Elternhause entlaufen waren; hier waren solche, bei deren Hals schon der Strick baumelte und die statt des bleichen Todes das Leben sahen und das Leben in voller Lust; hier waren diejenigen, die nach vornehmer Gewohnheit keine Kopeke in der Tasche halten konnten; hier waren solche, die bis dahin einen Dukaten für einen Reichtum gehalten hatten und bei denen man, dank ihren jüdischen Pächtern, die Taschen umwenden konnte, ohne jede Gefahr, daß irgend etwas herausfallen könnte. Hier waren alle diejenigen Bursaken, die die Ruten der Akademie nicht ertragen hatten und aus der Schule nicht einen Buchstaben mitgebracht hatten; aber mit ihnen waren auch diejenigen hier, die wußten, was Horaz, Cicero und die römische Republik gewesen sind. Hier weilten viele von den Offizieren, die sich dann später in den königlichen Heeren auszeichneten; hier trieb sich eine Menge erfahrener und erprobter Partisaner herum, welche die edle Überzeugung hegten, daß es einerlei sei, wo man Krieg führe, wenn man nur Krieg führe, weil es für einen edelgeborenen Menschen unanständig sei, ohne Schlachten zu leben. Viele waren auch in der Absicht nach Sjetsch gekommen, später sagen zu können, sie seien in Sjetsch gewesen und schon schlachtenerprobte Ritter. Aber wen gab es dort nicht? Diese seltsame Republik war geradezu ein Bedürfnis jenes Zeitalters. Liebhaber des Kriegslebens, von goldenen Bechern, Brokaten, Dukaten und Talern konnten hier zu jeder Zeit Arbeit finden. Einzig und allein die Vergötterer von Frauen gingen leer aus, weil sich sogar in der Vorstadt von Sjetsch kein einziges Weib zu zeigen wagte.
Ostap und Andrij schien es außerordentlich seltsam, daß schon vor ihnen ein Haufe Volk nach Sjetsch kam und dabei niemand fragte, von woher diese Leute sind, wer sie sind und wie sie heißen. Sie kamen dahin, als seien sie in ihr eigenes Haus zurückgekehrt, das sie erst eine Stunde vordem verlassen hatten. Der Neuangekommene erschien nur beim Obersten, der gewöhnlich sprach: »Sei gegrüßt! Wie, glaubst du an Christus?« »Ich glaube an ihn!« antwortete der Ankömmling. »Und an die heilige Dreieinigkeit?« »Auch an sie glaube ich.« »Gehst du auch in die Kirche?« »Ich gehe dahin!« »Bekreuze dich!« Der Ankömmling bekreuzte sich. »Nun gut!« antwortete der Oberst. »Geh nur in die Abteilung, die du selber kennst.« Hiermit endete die ganze Zeremonie. Ganz Sjetsch betete in einer Kirche und war bereit, sie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, wenn es auch gar nichts von Fasten und Enthaltung hören wollte. Nur von heftiger Gewinnsucht angetriebene Juden und Armenier erkühnten sich, in der Vorstadt zu leben und zu handeln, weil die Saporoger niemals zu feilschen liebten, vielmehr so viel Geld bezahlten, als gerade ihre Hand aus der Tasche zog. Übrigens war das Schicksal dieser gewinnsüchtigen Händler äußerst jämmerlich; sie glichen denen, die sich am Fuß des Vesuv angesiedelt hatten: denn sobald die Saporoger kein Geld mehr hatten, zerschlugen sie ihre Buden und nahmen alles umsonst. Sjetsch bestand aus mehr als sechzig Abteilungen, die durchaus einzelnen unabhängigen Republiken glichen und mehr noch einer Schule und Burse von Kindern, die in voller Pension lebten. Niemand schaffte sich irgend etwas an und hielt irgend etwas bei sich: alles war in den Händen des Abteilungsatamans, der deswegen gewöhnlich den Namen »Vater« trug. Er hatte die Kasse, alle Kleider, die gesamte Verpflegung, die Grütze und sogar das Feuerungsmaterial in Händen; ihm gab man sein Geld zum Aufbewahren. Nicht selten brach unter den einzelnen Abteilungen Streit aus: in diesem Falle ging die Sache sogleich zum Schlagen über. Man trat auf den Platz heraus und zerschlug einander mit Fäusten die Seiten, bis die einen endlich die anderen überwunden und die Oberhand gewonnen hatten, und dann begann ein Trinkgelage. So war dies Sjetsch beschaffen, das auf die jungen Leute so viel Reiz ausübte.
Ostap und Andrij stürzten sich mit dem ganzen Feuer des Jünglings in dieses Meer von Bummelei; sie vergaßen sogleich das Vaterhaus, die Burse und alles, was vordem ihre Seele erregt hatte, und ergaben sich ganz dem neuen Leben. Alles interessierte sie: die Trinkgebräuche von Sjetsch, die so einfache Verwaltung und die Gesetze. Letztere schienen ihnen bisweilen sogar allzu streng inmitten einer so freien Republik. Hatte ein Kosak einen Diebstahl begangen, irgendeine Kleinigkeit gestohlen, so galt das schon für eine Schmach der ganzen Kosakenschaft. Wie einen Ehrlosen band man ihn an den Schandpfahl und legte einen Eichenprügel neben ihn, mit dem jeder Vorübergehende ihm einen Schlag zu geben verpflichtet war, bis man ihn so zu Tode geprügelt hatte. Wer seinen Gläubiger nicht bezahlte, den schmiedete man mit einer Kette an eine Kanone, wo er so lange sitzen mußte, bis irgendeiner von den Kameraden ihn loszukaufen beschloß und für ihn die Schuld zahlte. Den tiefsten Eindruck aber machte auf Andrij die furchtbare Strafe, die auf Totschlag stand. Unmittelbar vor den Augen des Mörders grub man sogleich eine Grube, senkte ihn lebendig hinein, stellte über ihn den Sarg mit dem Körper des von ihm Ermordeten, und dann verschüttete man sie beide mit Erde. Noch lange nachher träumte Andrij immer von diesem furchtbaren Strafvorgang und sah immer noch diesen lebendig begrabenen Menschen vor sich zugleich mit dem furchtbaren Sarg.
Bald waren beide jungen Kosaken bei den Kameraden wohl gelitten. Häufig zogen sie mit Kameraden ihrer Abteilung, bisweilen sogar mit der ganzen und mit der benachbarten Abteilung in die Steppe, um eine unermeßliche Zahl aller möglichen Steppenvögel, Hirsche und Rehe zu schießen, oder sie zogen nach den Seen, Flüssen und Bächen, die durch das Los einer jeden Abteilung zugeteilt waren, und legten Netze und Angeln aus, um reiche Beute zu machen zum Unterhalt ihrer ganzen Abteilung. Obgleich es dort keine Übung gab, in der sich der Kosak versuchte, fielen sie doch schon unter den anderen jungen Leuten auf durch ihren offenen Wagemut und ihren Erfolg in allem. Flink und sicher schossen sie ins Ziel, durchschwammen sie den Dnjepr gegen die Strömung – eine Leistung, wofür ein Neuling feierlich in den Kreis der Kosaken aufgenommen ward.
Der alte Taras bereitete ihnen aber eine andere Tätigkeit vor. Ihm war ein solches müßiges Leben durchaus nicht nach dem Herzen – eine wirkliche »Sache« wollte er. Er überdachte beständig, wie er Sjetsch zu einem waghalsigen Unternehmen bestimmen könne, wo es einem Ritter möglich wäre, sich auszutoben, wie es sich gehört. Endlich eines Tages kam er zum Obersten und sagte ihm geradeheraus: »Wie denn, Oberst, Zeit wäre es für die Saporoger, sich zu tummeln!«
»Nirgends kann man sich tummeln«, antwortete der Oberst, nachdem er sein kleines Pfeifchen aus dem Munde genommen und zur Seite ausgespuckt hatte.
»Wie denn nirgends? Man kann nach dem Türkenland ziehen oder zu den Tataren.«
»Man kann weder zu den Türken noch gegen die Tataren ziehen«, antwortete der Oberst, und er nahm phlegmatisch sein Pfeifchen wiederum in den Mund.
»Wieso denn nicht?«
»So. Wir versprachen dem Sultan Frieden.«
»Ja, er ist doch ein Busurman! Gott und die Heilige Schrift befehlen, die Busurmanen zu schlagen.«
»Wir haben kein Recht. Hätten wir nicht bei unserem Glauben geschworen, dann wäre es vielleicht noch möglich, jetzt aber nicht, es ist unmöglich.«
»Wie denn unmöglich? Wie sprichst du denn: ›Wir haben kein Recht?‹ Siehst du, ich habe doch zwei Söhne, beide junge Leute. Noch war keiner von ihnen im Kriege; du aber sprichst: ›Wir haben kein Recht!‹ Du aber sprichst: ›Nicht nötig ist es, mit den Saporogern auszuziehen.‹«
»Nein, es geht nicht an.«
»Es geht dennoch an, daß die Kosakenkraft umsonst verloren gehe, daß der Mensch faule wie ein Hund, ohne gute Tat; daß weder dem Vaterlande noch der ganzen Christenheit von ihm irgendein Nutzen werde? Wofür leben wir denn dann, für welchen Teufel leben wir? Erkläre du mir das doch! Du bist ein kluger Mensch, nicht umsonst hat man dich zum Obersten gewählt; erkläre mir, wozu leben wir?«
Auf diese Frage gab der Oberst keine Antwort. Das war ein eigensinniger Kosak. Er schwieg ein wenig und sagte dann: »Gleichwohl wird es keinen Krieg geben.«
»So wird es also keinen Krieg geben?« frug wiederum Taras.
»Nein.«
»So lohnt es sich nicht einmal, daran zu denken?«
»Auch nur daran zu denken, lohnt sich nicht!«
»Warte nur, du Teufelsfaust!« sprach Bulba für sich, »du wirst mich kennenlernen!« Und er beschloß sogleich, sich an dem Obersten zu rächen.
Nachdem er mit diesem und jenem gesprochen hatte, gab er allen ein Trinkgelage, und die betrunkenen Kosaken, nur wenige an Zahl, stürzten ohne weiteres auf den Platz, wo an Pfählen angebunden die Pauken standen, auf denen man Alarm zu schlagen pflegte. Da sie die Schlegel nicht fanden, die immer beim Pauker aufbewahrt wurden, ergriffen sie jeder ein Holzscheit und begannen drauflos zu schlagen. Auf den Alarm lief zuallererst der Pauker herbei, ein hochgewachsener Mann mit nur einem Auge, das dessenungeachtet furchtbar verschlafen dreinschaute.
»Wer wagt es, die Pauken zu schlagen?!« schrie er.
»Schweig still! Nimm deine Schlegel, ja, und schlage drauflos, wenn man es dir befiehlt!« antworteten die angetrunkenen Ältesten.
Der Pauker nahm sogleich die Schlegel aus der Tasche, die er vorsorglich mit sich genommen hatte, da er sehr wohl wußte, womit derartige Vorfälle zu endigen pflegten. Die Pauken dröhnten – und bald begannen sich die schwarzen Wolken der Saporoger wie Hummeln auf dem Platze zu versammeln. Alle traten zu einem Kreis zusammen, und nach dem dritten Paukenschlag zeigten sich endlich die Ältesten: der Oberst, den Stab, das Zeichen seiner Würde, in Händen, der Richter mit dem Wachsstempel, der Schreiber mit dem Tintenfaß und der Esaul mit dem Kommandostab. Der Oberst und die Ältesten nahmen die Mützen ab und verneigten sich nach allen Seiten vor den Kosaken, die stolz dastanden, die Arme in die Seiten gestützt.
»Was bedeutet diese Versammlung? Was wollt ihr Herren?« frug der Oberst. Schelten und Schreien ließen ihn nicht ausreden.
»Lege den Stab nieder! Lege, Teufelssohn, sogleich den Stab nieder! Wir wollen dich nicht mehr!« schrien einzelne Kosaken aus dem Haufen. Einige von den nüchternen Abteilungen wollten sich, wie es schien, widersetzen. Aber die übrigen und die betrunkenen begannen schon einen Faustkampf. Das Schreien und der Lärm waren allgemein.
Der Oberst wollte sprechen, da er aber wußte, daß der aufgeregte, eigenwillige Haufe ihn deswegen totschlagen konnte, was sich fast immer in derartigen Fällen ereignete, verneigte er sich sehr tief, legte den Stab nieder und verschwand im Haufen.
»Befehlt ihr Herren auch uns, die Zeichen der Würde niederzulegen?« sprachen die Richter, der Schreiber und der Esaul, – und sie bereiteten sich sogleich vor, das Tintenfaß, das Siegel und den Kommandostab niederzulegen.
»Nein, ihr bleibt!« schrie man aus dem Haufen. »Wir mußten nur den Oberst verjagen, weil er – ein Weib ist und wir zum Obersten einen Mann brauchen.«
»Wen werdet ihr denn jetzt zum Obersten wählen?« sprachen die Ältesten.
»Den Kukubenka soll man wählen!« schrie ein Teil.
»Wir wollen nicht den Kukubenka!« schrien andere. »Zu früh ist es für ihn, noch trocknete ihm nicht die Milch auf den Lippen.«
»Schilo soll Ataman sein!« schrien einige. »Schilo soll man zum Obersten machen!«
»In den Rücken dir den Schilo!« schrie und schimpfte der Haufe. »Was ist das für ein Kosak, da er stahl, der Hundesohn, wie ein Tatar? Zum Teufel in den Sack den Säufer Schilo!«
»Borodatij, laßt uns Borodatij zum Obersten machen!«
»Wir wollen nicht Borodatij! Zur unreinen Mutter mit Borodatij!«
»Schreit Kirdjaga!« flüsterte Taras Bulba einzelnen zu.
»Kirdjaga! Kirdjaga!« schrie der Haufe. »Borodatij, Borodatij! Kirdjaga! Kirdjaga! Schilo! Zum Teufel mit Schilo! Kirdjaga!«
Alle Kandidaten traten, sobald sie nur ihre Namen nennen hörten, auch schon aus dem Haufen hervor, um keinerlei Anlaß zum Glauben zu geben, sie unterstützten durch persönliche Anteilnahme ihre Wahl.
»Kirdjaga! Kirdjaga!« erschallte es lauter als die übrigen, »Borodatij!« Man begann die Sache mit Fäusten auszutragen, und Kirdjaga triumphierte.
»Geht und holt Kirdjaga!« schrie man. Etwa zehn Kosaken lösten sich sogleich aus der Menge; einige von ihnen hielten sich kaum auf den Beinen – so sehr hatten sie es fertiggebracht, sich zu betrinken – und begaben sich ohne weiteres zu Kirdjaga, um ihm seine Ernennung kundzugeben.
Kirdjaga, ein zwar sehr alter, aber kluger Kosak, saß längst schon in seiner Behausung und machte so, als habe er gar nicht erfahren, was sich zugetragen hatte. »Wie, ihr Herren? Was ist euch gefällig?« frug er.
»Komm, man hat dich zum Obersten erwählt!«
»Habt Erbarmen, ihr Herren!« sprach Kirdjaga. »Wie soll ich einer solchen Ehre würdig sein! Wie soll ich Oberst sein! Ja, mein Verstand reicht gar nicht aus zum Ausüben eines solchen Amtes. Hat sich wirklich niemand Besseres im ganzen Heere gefunden?«
»Geh doch, man sagt es dir!« schrien die Saporoger. Zwei von ihnen nahmen ihn unter die Arme, und wie sehr er sich auch widersetzte, er ward endlich auf den Platz gezerrt, begleitet von Schimpfen, von Faustschlägen von hinten, von Fußtritten und Ermahnungen: »Stell dich doch nicht so an, Teufelssohn! Nimm doch die Ehre an, Hund, wenn man sie dir erweist!« – Auf diese Weise ward Kirdjaga in den Kreis der Kosaken geführt.
»Wie denn, ihr Herren?« frugen laut, daß alle es hören mußten, die, die ihn herbeiführten. »Seid ihr einverstanden, daß dieser Kosak unser Oberst sei?«
»Alle sind einverstanden!« schrie der Haufe, und vom Schreien dröhnte lange noch das ganze Feld.
Einer von den Ältesten nahm den Stab und reichte ihn dem neuerwählten Obersten. Nach altem Brauch verweigerte Kirdjaga die Annahme. Der Älteste reichte den Stab zum zweiten Male. Kirdjaga verweigerte wiederum die Annahme, und darauf erst, zum dritten Male, nahm er den Stab. Ein Ruf der Zustimmung erscholl in der ganzen Menge, und von neuem dröhnte vom Kosakenruf das weite Feld. Darauf traten aus der Mitte des Volkes die vier allerältesten Kosaken mit grauen Schnurrbärten und grauen Schöpfen (allzu alte gab es nicht in Sjetsch, denn keiner von den Saporogern starb eines natürlichen Todes). Jeder von ihnen nahm etwas Erde in die Hand, die sich um diese Zeit von dem eben gefallenen Regen in Schmutz verwandelt hatte, und legten sie Kirdjaga aufs Haupt. Die nasse Erde floß ihm vom Kopfe, floß an dem Schnurrbart und den Wangen herab und beschmierte ihm das ganze Gesicht. Kirdjaga stand aber da, ohne sich zu bewegen, und dankte den Kosaken für die ihm erwiesene Ehre.
So endigte die lärmvolle Wahl. Man wußte nicht, ob die anderen so froh über sie waren wie Taras Bulba: auf diese Weise hatte er sich an dem früheren Obersten gerächt; zudem war aber auch Kirdjaga sein alter Kamerad und hatte mit ihm in denselben Feldzügen zu Wasser und zu Land die Entbehrungen und Mühen des Schlachtenlebens geteilt. Der Haufe machte sich nun sogleich daran, die Wahl zu feiern, und es erhob sich ein Gelage, wie es bis dahin Ostap und Andrij noch gar nicht erlebt hatten. Die Weinschenken wurden erbrochen: Met, Schnaps und Bier wurden einfach herbeigeholt, ohne daß dafür gezahlt ward; die Kneipwirte waren noch froh, daß sie selber keinen Schaden nahmen. Die ganze Nacht verlief mit Schreien und Gesängen, in denen Heldentaten gepriesen wurden, und der aufgegangene Mond sah lange noch Haufen von Musikanten, die durch die Straßen zogen, mit Banduren und runden Balalaiken, und Kirchensänger, die man in Sjetsch für den Kirchengesang hielt und zum Preisen der Saporogertaten. Endlich begannen Rausch und Müdigkeit die starken Glieder der Kosaken zu überwältigen. Bald da, bald dort fiel ein Kosak zur Erde. Ein Kamerad umarmte den anderen und stürzte gerührt und sogar weinend mit ihm zu Boden. Hier hatte sich eine ganze Schar, einer auf den anderen, niedergelegt, dort hatte sich einer ausgesucht, wo er sich besser betten könnte, und sich geradeswegs auf einen hölzernen Klotz gelegt. Der letzte von allen, der stärker war als die übrigen, führte noch zusammenhanglose Reden; endlich mähte aber auch ihn die Kraft des Rausches nieder, er fiel zur Erde, und ganz Sjetsch war entschlummert.
Am anderen Tage beriet sich bereits Taras Bulba mit dem neuen Obersten darüber, wie man die Saporoger zu irgendeiner Unternehmung veranlassen könne. Der Oberst war ein kluger und schlauer Kosak, er kannte die Saporoger in- und auswendig und sagte zuerst: »Man kann nicht den Eid verletzen, man kann das durchaus nicht.« Darauf fügte er aber, nachdem er etwas geschwiegen hatte, hinzu: »Das hat nichts zu sagen, man kann es, den Eid werden wir nicht brechen, aber wir werden schon irgend etwas ausdenken. Möge sich nur das Volk versammeln; das soll aber nicht auf meinen Befehl geschehen, vielmehr einfach aus eigener Lust. Ihr wißt schon, wie das zu machen ist – wir aber mit den Ältesten werden sogleich auf den Platz gelaufen kommen und machen, als ob wir gar nichts wüßten.«
Noch war keine Stunde seit dieser Unterhaltung vergangen, als schon die Pauken dröhnten. Es fanden sich sofort betrunkene wie auch von Hause aus unvernünftige Kosaken ein. Eine Million Kosakenmützen strömte auf einmal auf den Platz. Es erhob sich ein Fragen: »Wie, weshalb, wegen welcher Sache hat man Alarm geschlagen?« Niemand antwortete. Endlich begann es in dieser und jener Ecke laut zu werden: »Seht, umsonst verkommt die Kosakenkraft: es gibt keinen Krieg! Seht, die Ältesten sind auf einmal Schlafmützen geworden, im Fett verschwammen ihre Augen! Nein, es ist zu sehen, es gibt keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt!« – Andere Kosaken hörten ernst zu und begannen dann selber zu sprechen: »Ja, in Wahrheit, es gibt keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt!« Die Ältesten schienen erstaunt zu sein über solche Reden. Endlich trat der Oberst vor und sprach:
»Erlaubt ihr Herren Saporoger, eine Rede zu halten?«
»Nur zu!«
»Seht, in der Erwägung dessen geht jetzt die Rede, ihr Herren, ja ihr wißt das vielleicht selber besser, daß viele Saporoger in den Schenken den Juden und ihren eigenen Brüdern so viel schuldig blieben, daß kein Teufel ihnen mehr Glauben schenkt. Sodann geht wiederum in Erwägung dessen die Rede, es gäbe viele junge Burschen, die noch gar nicht mit Augen schauten, was eigentlich ein Krieg ist, während es doch einem jungen Menschen – ihr wißt das selber, ihr Herren – gar nicht möglich ist, zu leben, ohne Krieg. Was wird denn für ein Saporoger aus ihm, wenn er noch niemals den Busurmanen schlug?«
»Er spricht gut!« dachte Bulba.
»Glaubt übrigens nicht, ihr Herren, daß ich dies darum sage, um den Frieden zu stören: Gott bewahre! Ich sage das nur so. Zudem steht aber auch bei uns ein Tempel Gottes – es ist Sünde, zu sagen, was das ist; so viele Jahre sind es schon, daß, durch Gottes Gnade, Sjetsch steht, aber bis jetzt ist unsere Kirche nicht nur von außen, vielmehr sind sogar innen die Heiligenbilder ohne jeden Schmuck. Wenn wenigstens jemand auf den Gedanken gekommen wäre, ihnen einen silbernen Rahmen zu schmieden; sie erhielten nur das, was einige Kosaken ihnen in ihrem Testamente vermachten; ihre Spende war aber ärmlich, weil sie fast alles schon zu Lebzeiten vertrunken hatten. So führe ich denn diese Rede nicht dazu, um Krieg anzufangen mit den Busurmanen: wir versprachen dem Sultan Frieden, und es wäre für uns eine große Sünde, weil wir nach unserem Glauben geschworen haben!«
»Was mengt er denn alles durcheinander«, sprach Bulba zu sich.
»Ja, so seht ihr, ihr Herren, daß man den Krieg nicht beginnen kann: die Ritterehre erlaubt es nicht. Aber nach meinem schwachen Verstande denke ich so: Man soll nur die jungen Burschen ziehen lassen mit Booten, mögen sie ein wenig die Ufer Natoliens absuchen. Wie denkt ihr, ihr Herren?«
»Führe, führe uns alle!« schrie von allen Seiten der Haufe. »Für den Glauben sind wir bereit, unsere Häupter niederzulegen!«
Der Oberst erschrak; er wünschte durchaus nicht das ganze Saporogertum zu erheben; den Frieden zu brechen, schien ihm in diesem Falle ungerecht.
»Erlaubt ihr Herren, noch eine Rede zu halten?«
»Genug!« schrien die Saporoger. »Besseres wirst du doch nicht sprechen!«
»Wenn so, so möge es so sein. Ich bin der Diener eures Willens. Das ist schon eine bekannte Sache, auch aus der Schrift geht es hervor: des Volkes Stimme ist Gottes Stimme. Klügeres als das, was das ganze Volk ausdachte, kann man gar nicht ausdenken. Nur ist da eines: Ihr wißt, daß der Sultan das Vergnügen nicht unbestraft lassen wird, dem sich die jungen Burschen hingeben werden. Laßt uns aber um diese Zeit bereit sein, frische Kräfte haben und niemand fürchten! In der Zeit unserer Abwesenheit können ja auch die Tataren einfallen: sie, die tückischen Hunde, greifen einen ja niemals offen an und wagen nicht zum Hausherrn ins Haus zu kommen, von hintenher beißen sie in die Fersen, ja, und sehr schmerzhaft. Ja, wenn es schon dahin kam, die Wahrheit zu sagen: wir haben gar nicht so viele Boote vorrätig, und auch Pulver ward nicht in solcher Menge gemahlen, daß alle sich aufmachen könnten. Ich aber, ich wäre bereit: ich bin der Diener eures Willens.«
Der schlaue Ataman verstummte. Die einzelnen Gruppen begannen sich zu unterhalten, die Abteilungsatamane sich zu beraten. Betrunkene gab es glücklicherweise wenige, und deshalb beschloß man, dem vernünftigen Rat zu folgen.
Noch zu dieser Stunde begaben sich einige Mann auf das entgegengesetzte Ufer des Dnjepr, nach dem Heeresschatze, dahin, wo, in unzugänglichen Schlupfwinkeln, unter Wasser und im Schilfrohr, die Heereskasse verborgen lag und ein Teil der beim Feinde erbeuteten Gewehre. Alle anderen stürzten zu den Booten, um sie zu untersuchen und zur Fahrt zu rüsten. In einem Augenblick war das Ufer von Volksscharen erfüllt. Einige Zimmerleute erschienen mit Beilen in Händen. Alte, sonnverbrannte, breitschultrige, starkbeinige Saporoger, mit graumeliertem Schnurrbart und mit schwarzem Bart, die Hosen aufgeschürzt, standen bis zu den Knien im Wasser und zogen die Boote an festem Seile zum Ufer. Andere schleppten fertige, trockene Balken herbei und allerhand Holz. Hier umschalte man Boote mit Brettern, dort hatte man eines mit dem Boden nach oben gedreht und dichtete und teerte es; wieder anderswo band man zu den Seiten anderer Boote, nach Kosakenbrauch, Bündel langen Schilfrohrs, damit kein Boot durch die Meereswoge zum Sinken gebracht werde; wieder anderswo, weiter am ganzen Ufer entlang, hatte man Feuer angelegt und kochte in kupfernen Kesseln Teer zum Streichen. Erfahrene, alte Kosaken lehrten die jungen. Hämmern und Lärmen erhob sich in der ganzen Umgebung; das lebendige Ufer schwankte und wogte.
Zu dieser Zeit begann eine große Fähre sich dem Ufer zu nähern. Schon von weitem winkten die auf ihm Stehenden. Das waren Kosaken in abgerissenen Röcken. Ihre unordentliche Kleidung – viele hatten überhaupt nichts an als ein Hemd und eine kurze Pfeife zwischen den Zähnen – bewies, daß sie entweder eben erst einem Unglück entronnen waren oder aber alles vertrunken hatten, was sie am Leibe trugen. Aus ihrer Mitte löste sich ein untersetzter, breitschultriger Kosak von etwa fünfzig Jahren und trat hervor. Er schrie und winkte mehr als alle anderen; wegen des Hämmerns und Rufens der Arbeiter verhallten aber seine Worte.
»Was bringt ihr denn Neues?« frug der Oberst, als die Fähre zum Ufer lenkte. Alle hielten in ihrer Arbeit inne und blickten, die Beile und Meißel erhoben, in Erwartung auf die Ankommenden.
»Eine Unglücksnachricht!« schrie von der Fähre der breitschultrige Kosak.
»Was für eine?«
»Erlaubt ihr Herren Saporoger, eine Rede zu halten?«
»Sprich!«
»Oder wollt ihr vielleicht eine Versammlung berufen?«
Das ganze Volk drängte sich zu einem Haufen zusammen.
»Habt ihr denn gar nicht gehört, was in der Hetmanschaft vor sich geht?«
»Was denn?« frug einer von den Abteilungsatamanen.
»Eh, was? Es ist zu ersehen, der Tatar hat euch die Ohren mit Kleister verstopft, daß ihr gar nichts gehört habt!«
»So sprich doch, was geht denn dort vor?«
»Was dort vorgeht? Etwas, was wir noch niemals sahen, seit wir geboren und getauft sind!«
»Ja, so erzähle doch, was dort vorgeht, du Hundesohn!« schrie einer aus dem Haufen, dem augenscheinlich die Geduld ausgegangen war.
»Eine solche Zeit brach an, daß schon die heiligen Kirchen jetzt nicht mehr unser sind.«
»Wie denn, nicht mehr unser?«
»Jetzt sind sie bei den Juden in Pacht. Zahlst du dem Juden nicht im voraus, so kann man keine Messe lesen!«
»Was schwätzt du denn da?«
»Und wenn der hündische Jude nicht mit seiner unreinen Hand seinen Stempel auf den Osterkuchen legt, so kann man auch die Osterkuchen nicht weihen.«
»Er lügt, ihr Herren Brüder, es kann gar nicht sein, daß der unreine Jude seinen Stempel auf die geweihten Osterkuchen legt.«
»Hört! Noch ganz anderes habe ich zu erzählen: auch die Pfaffen fahren jetzt in der ganzen Ukraine auf Karren. Ja, und nicht das ist ein Unglück, daß sie auf Karren fahren, vielmehr das ist ein Unglück, daß sie schon nicht mehr Pferde anspannen, vielmehr ganz einfach rechtgläubige Christen. Hört! Schon werde ich nicht dies erzählen: die Jüdinnen, sagt man, nähen sich aus Popenkleidern Röcke. Seht, das sind die Dinge, die in der Ukraine vor sich gehen, ihr Herren! Ihr aber sitzt hier in Saporogien und sauft, ja, es ist zu sehen: der Tatar jagte euch solche Furcht ein, daß ihr weder Augen noch Ohren habt – gar nichts habt ihr, und ihr hört nicht, was auf der Welt vorgeht.«
»Halt, halt!« unterbrach ihn der Oberst, der bis dahin, die Augen auf den Boden gesenkt, dagestanden hatte, wie alle anderen Saporoger, die in wichtigen Dingen sich niemals dem ersten Aufbrausen hingaben, vielmehr zu schweigen pflegten, um währenddessen in der Stille die schreckliche Gewalt ihres Unwillens zu häufen. »Halt! Auch ich will ein Wort sagen. Was aber euch betrifft – so möge der Teufel eure Väter durchprügeln – was habt denn ihr selber getan? Hattet ihr denn keine Säbel, wie denn? Wie habt ihr denn eine solche Gesetzlosigkeit zugelassen?«
»Eh! Wie wir eine solche Gesetzlosigkeit zuließen? … Aber hättet ihr es doch einmal versuchen sollen, wenn es allein der Ljachen fünfzigtausend waren, ja, und es taugt auch nicht, die Sünde zu verschweigen, es waren Hunde auch unter den Unserigen – schon nahmen sie deren Glauben an.«
»Aber euer Hetman, aber die Obersten, was taten sie?«
»Solche Dinge, daß Gott uns alle davor bewahren möge!«
»Wie denn?«
»Aber so, daß der Hetman jetzt schon geschmort im kupfernen ›Stier‹ zu Warschau liegt, von den Obersten aber fährt man die Arme und Köpfe auf den Jahrmärkten umher, dem ganzen Volke zur Schau. Das ist es, was die Obersten taten!«
Es wogte der ganze Haufe. Anfangs trat das ganze Ufer entlang ein Schweigen ein, dem vergleichbar, wie es einem wilden Sturm voranzugehen pflegt; dann aber erhoben sich plötzlich Reden, und das ganze Ufer begann durcheinander zu schreien: »Wie! Die Juden sollten die christlichen Kirchen in Pacht halten?! Die Pfaffen sollten rechtgläubige Christen an die Deichsel spannen?! Wie! Solche Martern sollte man zulassen auf der russischen Erde von seiten der verfluchten Halbgläubigen?! So sollte man mit dem Hetman und den Obersten verfahren?! Ja, das soll nicht sein, das wird nicht sein!« Solche Worte flogen von einem Ende zum anderen. Es lärmten die Saporoger und fühlten ihre Kräfte. Das war schon nicht mehr die Erregung des leichtsinnigen Volkes, auch alte Charaktere, schwere und starke, gerieten in Aufregung, solche, die sich nicht rasch entzünden, aber, einmal entflammt, hartnäckig und lange das innere Feuer in sich bewahren. »Alles Judentum soll man aufhängen!« erklang es aus dem Haufen. »Sie sollen nicht mehr ihren Jüdinnen aus Popenkleidern Röcke nähen! Sie sollen nicht ihre Stempel auf die heiligen Osterkuchen drücken! Ertränken soll man sie alle, die Heiden, im Dnjepr!« Diese Worte, die jemand aus dem Haufen gesprochen hatte, flogen wie ein Blitz über alle Köpfe, und die Menge stürzte nach der Vorstadt, um alle Juden zu töten.
Die armen Söhne Israels hatten allen ihren an sich schon so geringen Mut verloren. Sie versteckten sich in leeren Branntweinfässern und in Öfen und krochen sogar unter die Röcke ihrer Jüdinnen, die Kosaken fanden sie aber überall.
»Durchlauchtige Herren!« schrie ein hochgewachsener Jude, lang wie eine Bohnenstange, indem er seine jämmerlich von Furcht entstellte Fratze aus dem Haufen seiner Gefährten hervorstreckte. »Durchlauchtige Herren! Ein Wort nur laßt uns sagen, ein Wort! Wir werden euch ein solches kundgeben, wie ihr es noch niemals hörtet – ein so wichtiges, daß man gar nicht sagen kann, wie wichtig es ist!«
»Nun, mögen sie es sagen«, sprach Bulba, der immer auch den Angeklagten zu hören liebte.
»Lichte Herren!« sprach der Jude. »Solche Herren hat man noch niemals gesehen, bei Gott, niemals! Solche gute, schöne und tapfere Herren gab es noch gar nicht auf der Welt!« Seine Stimme erstarb und zitterte vor Entsetzen. »Wie ist es denn möglich, daß wir von den Saporogern irgend etwas Schlechtes dächten! Jene sind durchaus nicht unsere Leute, die Pächter da in der Ukraine! Bei Gott, nicht unsere Leute! Das sind überhaupt nicht Juden, der Teufel weiß wer, das ist so etwas, daß man nur auf es spucken soll, ja, und es wegwerfen! Seht, auch die da werden dasselbe sagen. Ist es nicht so, Schlema oder du, Schmul?«
»Bei Gott, es ist so!« antworteten aus dem Haufen Schlema und Schmul in ihren zerrissenen Käppchen, beide weiß wie Kreide.
»Noch niemals haben wir uns mit euren Feinden beschnüffelt,« fuhr der lange Jude fort, »und von den Katholiken wollen wir schon gar nichts wissen: möge ihnen der Teufel im Traume erscheinen! Wir sind mit den Saporogern wie leibliche Brüder …«
»Wie? Die Saporoger sollten mit euch Brüder sein?« sprach einer aus der Menge. »Ihr werdet das nicht erwarten, verfluchte Juden! In den Dnjepr mit ihnen, ihr Herren, laßt uns alle Heiden ersäufen!«
Diese Worte waren das Signal. Man faßte die Juden an den Armen und begann sie in die Wogen zu schleudern. Jammergeschrei erscholl von allen Seiten, die harten Saporoger aber lachten nur, wenn sie sahen, wie die Beine der Juden in Stiefeln und Strümpfen in der Luft baumelten.
Der arme Redner, der selber das Unglück auf seinen Hals herabgerufen hatte, sprang aus seinem Kaftan heraus, an dem man ihn eben erfaßt hatte, ergriff, nur angetan mit seinem scheckigen, engen Kamisol, die Füße des Bulba und flehte mit jämmerlicher Stimme: »Hoher Herr, durchlauchtiger Herr! Ich kannte auch Ihren Bruder, den verstorbenen Doroscha. Das war ein Ritter zur Zierde dem ganzen Rittertum. Ich habe ihm achthundert Zechinen, als es nötig war, ihn aus der Gefangenschaft bei den Türken loszukaufen …«
»Du kanntest meinen Bruder?« frug Taras.
»Bei Gott, ich kannte ihn! Das war ein großmütiger Herr!«
»Wie heißt du denn?«
»Jankel.«
»Schön«, sprach Taras, dachte ein wenig nach und wandte sich an die Kosaken mit den Worten: »Den Juden zu hängen, wird immer noch Zeit sein, wenn es nötig ist; für heute aber überlaßt ihn mir.«
Nachdem er so gesprochen, führte ihn Taras zu seiner Fuhre, neben der seine Kosaken standen. – »Nun krieche unter den Wagen, liege dort und rühr dich nicht; aber ihr, Brüderchen, laßt den Juden nicht heraus.«
Nach diesen Worten wandte er sich dem Platze zu, weil sich dort längst der ganze Haufe versammelt hatte. Alle hatten sofort das Ufer verlassen und das Ausrüsten der Boote aufgegeben, denn es stand jetzt ein Feldzug zu Lande, nicht zu Wasser bevor, nicht Schiffe und nicht »Kosakenmöwen« benötigte man, vielmehr Wagen und Pferde. Jetzt wollten schon alle ins Feld, Alte und Junge. Auf den Rat aller Ältesten, der Abteilungsführer und des Obersten und mit Einverständnis des ganzen saporogischen Heeres beschloß man, geradeswegs nach Polen zu ziehen, Rache zu nehmen für alle Übel, die Beschimpfung des Glaubens und des Kosakenruhmes, Beute zu sammeln von den Städten, Feuer zu legen an die Dörfer und Getreidescheunen, weit über die Steppe hin den Ruhm von sich zu verbreiten. Sogleich gürteten und bewaffneten sich alle. Der Oberst wuchs um Haupteslänge. Das war schon nicht mehr jener schüchterne Vollbringer launischer Wünsche eines freien Volkes: das war ein unbeschränkter Befehlshaber. Das war ein Despot, der nur zu befehlen verstand. Alle eigenwilligen und müßigen Ritter standen in Reihen geordnet da, ehrerbietig die Häupter gesenkt, und wagten nicht die Blicke zu erheben, als der Oberst Befehle erteilte; er tat das leise, ohne zu schreien und ohne zu hasten, vielmehr mit Pausen, wie ein alter, tief erfahrener Kosak, der nicht zum erstenmal vernünftig überdachte Unternehmungen zur Ausführung brachte.
»Seht alles gut nach!« So sprach er. »Bringt die Fuhren und Eimer in Ordnung, erprobt euer Gewehr. Nehmt nicht viel Kleider mit: ein Hemd und zwei Hosen für den Kosak, ja, und je einen Topf Mehlbrei und gestoßene Hirse – weiter nichts! An Mundvorrat wird in den Fuhren alles sein, was nötig ist. Jeder Kosak soll zwei Pferde haben! Ja, zweihundert Paar Stiere soll man mitnehmen, weil ich ihrer an den Übergängen und sumpfigen Stellen bedarf. Ja, ihr Herren, vor allem haltet Ordnung. Ich weiß, es gibt unter euch solche, die, sobald nur Gott irgendwelches Gut sendet, sogleich Seide und teure Samte zerreißen und sich Fußlappen daraus machen. Weg mit solcher Teufelsgewohnheit! Werft alle Weiberröcke weg, nehmt nur allein Gewehre, wenn euch Gut in die Hände fällt, Dukaten, Silbertaler, weil sie von handlicher Beschaffenheit sind und in jedem Falle taugen. Ja, dies ihr Herren, will ich euch im voraus sagen: wenn sich irgendwer auf dem Marsche antrinkt, so wird es gar kein Gericht über ihn geben: wie einen Hund am Halsband werde ich ihn an eine Fuhre zu fesseln befehlen, wer er auch sei, und sei es der glanzvollste Kosak aus dem ganzen Heere; wie ein Hund wird er auf der Stelle erschossen und liegengelassen werden, unbegraben, den Vögeln zum Fraß, weil, wer auf dem Marsche säuft, des christlichen Begräbnisses unwürdig ist. Ihr Jungen hört in allem auf die Alten! Wird euch eine Kugel kratzen oder bekommt ihr eins mit dem Säbel über den Kopf ausgewischt oder über irgendeinen anderen Körperteil, so gebt dem keine große Beachtung: mischt eine Ladung Pulver in einen Becher Schnaps, trinkt in einem Zuge aus, und alles wird vorübergehen – es wird nicht einmal Fieber geben; auf eine Wunde aber, wenn sie nicht allzu groß ist, legt einfach Erde, nachdem ihr sie vorher in der Hand mit Speichel vermengtet, und dann wird die Wunde eintrocknen. Nun aber ans Werk, Burschen, an die Tat, ja, und ohne zu hasten!«
So sprach der Oberst, und als er nur eben seine Rede geendet hatte, machten sich auch sogleich alle Kosaken an die Arbeit. Ganz Sjetsch ward auf einmal nüchtern, und man hätte nirgends einen einzigen Betrunkenen ausfindig machen können. Es war so, als hätte es solche niemals unter den Kosaken gegeben. Die einen brachten die Felgen der Räder in Ordnung und wechselten Achsen aus an den Wagen; andere trugen Säcke mit Mundvorrat auf die Fuhren, auf die man auch Gewehre lud; andere wiederum trieben Stiere und Pferde herbei. Von allen Seiten erklang Hufschlag der Rosse, Probeschießen aus den Gewehren, Säbelschleifen, Ochsengebrüll, Knarren von wendenden Fuhren, Rufen, heller Schrei und Antreiben. Und bald zog weit, weit der Kosakenzug über das ganze Feld. Und gar sehr hätte sich beeilen müssen, wer von seinem Kopfe bis zu seinem Schwanze hätte laufen wollen. In der nicht großen hölzernen Kirche hielt der Geistliche einen Bittgottesdienst ab und bespritzte alle mit geweihtem Wasser; alle küßten das Kreuz. Als sich der Zug in Bewegung setzte und sich aus Sjetsch schlängelte, wandten alle Saporoger die Köpfe zurück. »Leb wohl, du, unsere Mutter!« sprachen sie fast alle auf einmal. »Möge dich Gott vor jedem Unglück bewahren!«
Die Vorstadt durchschreitend, sah Taras Bulba, daß sein Jude Jankel bereits ein Zelt mit Schirmdach aufgeschlagen hatte und Feuersteine verkaufte, Schraubenzieher, Pulver und allerhand Heeresbedarf, der auf dem Marsch nötig ist, sogar Kringel und Brotlaibe. »Was für ein Teufelsjude!« dachte Taras für sich, ritt zu ihm hin und sagte: »Du bist wohl nicht recht bei Trost, daß du hier sitzt? Willst du denn, daß man dich erschießt wie einen Sperling?«
Zur Antwort auf dies trat Jankel näher zu ihm hin, machte mit beiden Händen ein Zeichen, als ob er ihm etwas Geheimnisvolles mitteilen wollte, und sprach: »Möge der Herr nur schweigen und es niemand sagen: unter den Kosakenfuhren ist auch einer von mir; ich werde allen nötigen Vorrat für die Kosaken führen und unterwegs jeden Proviant zu einem so billigen Preis stellen, zu dem noch kein Jude verkaufte, bei Gott, so ist es, bei Gott, so ist es …!«
Taras Bulba zuckte die Achseln, wunderte sich über die Gewandtheit der jüdischen Natur und ritt zu dem Zuge zurück.
Bald war der ganze Südwesten Polens eine Beute der Furcht. Überall verbreiteten sich Gerüchte: »Die Saporoger! Es zeigten sich die Saporoger!« Alles, was sich retten konnte, rettete sich. Alles erhob sich und lief davon, nach der Gewohnheit dieses uneinigen sorglosen Zeitalters, als man weder Festungen errichtete noch Schlösser, der Mensch vielmehr, wie es gerade kam, auf Zeit sein strohbedecktes Wohnhaus aufstellte. Er dachte: »Ich will nicht Arbeit und Geld verlieren auf meine Hütte, da sie ja ohnedies davongetragen wird, wenn die Tataren einfallen!« Alles geriet in Unordnung: der eine tauschte Stiere und Pflüge gegen ein Pferd und ein Gewehr ein, und begab sich zum Regiment; der andere versteckte sich, wobei er sein Vieh mittrieb und so viel mit sich nahm, als er nur konnte. Man traf bisweilen auf dem Wege auch solche, die mit bewaffneter Hand die Gäste empfingen, weit mehr aber waren es derer, die vorher davonliefen. Alle wußten, daß es schwer sei, es mit jenem wilden Kriegerhaufen zu tun zu haben, bekannt unter dem Namen Saporogerheer, das bei aller seiner äußeren eigenwilligen Unordnung eine Ordnung in sich trug, die für die Zeit der Schlacht bedacht war. Die Reiter ritten, ohne die Pferde anzustrengen und zu spornen; die Fußgänger gingen achtsam mit den Fuhren, und der ganze Zug bewegte sich nur in der Nacht und ruhte am Tage aus, wozu man Einöden, unbesiedelte Orte und Wälder auswählte, die es damals noch im Überfluß gab. Vorausgeschickt waren Spione und Kundschafter, um zu erfahren und herauszufinden: wo, was und wie. Und häufig erschienen die Saporoger an den Orten, wo man sie am allerwenigsten erwarten konnte, ganz plötzlich, und alles nahm dann vom Leben Abschied: Feuersbrunst erfaßte die Dörfer, Vieh und Pferde, die man nicht hinter dem Heere hertrieb, wurden dort auf der Stelle niedergemacht. Es schien, sie feierten mehr Schmausereien und Zechgelage, als daß sie ihren Feldzug vollzogen. Die Haare würden uns heute zu Berge stehen vor den furchtbaren Taten – Zeichen der Vertiertheit eines halbwilden Zeitalters –, welche die Saporoger überall vollführten: Brustkinder wurden ermordet, Frauen die Brüste abgeschnitten, denen, die man freiließ, die Haut bis zum Knie abgezogen – mit einem Wort: mit großer Münze bezahlten die Kosaken ihre Schulden von früher. Als der Prälat eines Klosters von ihrer Annäherung gehört hatte, sandte er zwei Mönche, um ihnen zu sagen, sie benähmen sich nicht so, wie es sich gehöre, zwischen den Saporogern und der Regierung bestehe ein Vertrag, sie brächen ihre Pflicht vor dem König und damit auch jedes Völkerrecht. »Sage dem Bischof von mir und allen Saporogern,« sprach der Oberst, »er möge gar nichts fürchten: mit solchen Dingen wie seinem Kloster entzünden die Kosaken vorerst nur ihre Pfeifchen und rauchen sie an.« Und bald ward die majestätische Abtei von zerstörender Flamme erfaßt und ihre kolossalen gotischen Fenster blickten streng durch die sich teilenden Feuerwogen. Fliehende Haufen von Mönchen, Juden und Frauen bevölkerten plötzlich die Städte, wo noch irgendeine Hoffnung war auf Garnison und städtische Bürgerwehr. Die von Zeit zu Zeit von der Regierung ausgesandte, verspätete Hilfe, aus nicht starken Regimentern bestehend, konnte entweder den Feind nicht finden, oder aber sie verloren den Mut, wandten bei der ersten Begegnung den Rücken und flogen auf ihren flinken Pferden davon. Es ereignete sich, daß viele königliche Heerführer, die bis dahin, in früheren Schlachten, gesiegt hatten, beschlossen, ihre Kräfte zu vereinigen und den Saporogern die Stirn zu bieten. Und gerade da bewährten sich am allermeisten die jungen Kosaken, die Raub, Beute und einen wehrlosen Feind verschmähten: brennend vor Verlangen, sich vor den Alten zu zeigen, sich Mann gegen Mann mit dem flinken und prahlerischen Ljachen zu messen, der auf stolzem Rosse prangt, mit im Winde flatternden zurückgeschlagenen Mantelärmeln. In einem Monate wurden die eben erst ausgeflogenen Vögelchen mannbar und völlig neugeboren, ja sie wurden Männer; ihre Gesichter, in denen sich bis dahin noch jugendliche Weichheit malte, wurden drohend und fest. Und dem alten Taras war es eine Freude, zu erkennen, daß seine beiden Söhne zu den ersten gehörten. Ostap schien von Geburt an der Schlachtenweg vorbestimmt zu sein und das schwierige Wissen, Kriegertaten zu vollbringen. Niemals verlor er den Kopf und ward von keinem Vorfall verwirrt. Mit einer Kaltblütigkeit, die fast unnatürlich war für einen Zweiundzwanzigjährigen, vermochte er in einem Augenblick die ganze Gefahr und die ganze Sachlage zu ermessen und sogleich auch ein Mittel ausfindig zu machen, ihr zu entgehen, aber nur, um sie alsdann um so besser zu beherrschen. Schon von erprobter Sicherheit begannen jetzt seine Bewegungen zu zeugen, und in ihnen offenbarten sich unverkennbar die Neigungen des zukünftigen Führers. Kraft atmete sein Leib, seinen ritterlichen Tugenden eignete bereits die breite Kraft der Eigenschaften des Löwen. »O ja, das wird mit der Zeit ein guter Oberst!« sprach der alte Taras. »Ja, ja, das wird ein guter Oberst, ja, und er wird auch noch sein Väterchen in die Tasche stecken!«
Andrij versenkte sich völlig in die bezaubernde Musik der Kugeln und Schwerter. Er wußte nicht, was es bedeutet, zu bedenken und zu berechnen oder im voraus die eigenen und fremden Kräfte zu bemessen. Rasende Lust und Bezauberung erlebte er in der Schlacht: etwas Feierliches lag für ihn in den Augenblicken, wenn der Kopf entflammt, alles vor den Augen flimmert und sich vermischt, Köpfe vom Rumpfe fliegen, Pferde mit Krachen zur Erde stürzen, er aber dahinfliegt wie ein Trunkener, im Kugelpfeifen und Säbelblitzen, selber allen Schläge austeilt und nicht achtet der empfangenen. Mehr als einmal wunderte sich der Vater auch über Andrij, wenn er sah, wie der, getrieben einzig und allein von wahnwitziger Leidenschaft, Dinge wagte, wozu sich niemals ein Kaltblütiger und Vernünftiger erkühnt hätte, und einzig und allein durch sein wahnsinniges Drauflosgehen solche Wunder verrichtete, worüber selbst die im Kampfe Ergrauten staunen mußten. Es wunderte sich der alte Taras und sprach: »Auch das wird ein guter Krieger – möchte er nicht zu früh dem Feind zum Opfer fallen. Nicht so einer wie Ostap, aber gleichwohl ein guter, guter Krieger!«
Das Heer beschloß, geradeswegs nach der Stadt Dubno zu ziehen, wo, wie das Gerücht ging, viel Geld und reiche Einwohner waren. In zwei Tagen war der Marsch zurückgelegt, und die Saporoger zeigten sich vor der Stadt. Die Einwohner beschlossen, sich bis zu den letzten Kräften und bis zum äußersten zu verteidigen und wollten lieber auf den Plätzen und Straßen vor ihren Schwellen sterben, als den Feind in die Häuser hereinlassen. Ein hoher Erdwall umgab die Stadt; wo er niedriger war, sah eine steinerne Mauer hervor oder ein Haus, das zur Batterie diente, oder endlich ein Palisadenzaun aus Eichenholz. Die Besatzung war stark und fühlte die Wichtigkeit ihrer Sache. Mutig begannen die Saporoger den Wall zu ersteigen, sie wurden aber mit heftigem Kartätschenfeuer empfangen. Die Bürger und Stadtbewohner wollten offenbar auch nicht müßig sein und standen zu Haufen auf dem Stadtwall. Verzweifelten Widerstand konnte man in ihren Augen lesen; sogar die Weiber beschlossen mitzumachen, und den Saporogern auf die Köpfe flogen Steine, Fässer, Töpfe, kochendes Wasser und endlich Säcke voll Sand, der ihnen die Augen blendete. Die Saporoger liebten nicht, sich mit Festungen abzugeben; eine Belagerung zu führen, war nicht ihre Sache. Der Oberst befahl zurückzugehen und sprach: »Das hat nichts zu sagen, ihr Herren Brüder, wir gehen zurück; möge ich aber ein heidnischer Tatar und kein Christ sein, wenn wir auch nur einen einzigen von ihnen aus der Stadt herauslassen!« Das Heer wich zurück, umlagerte die ganze Stadt und begann zum Zeitvertreib die umliegenden Dörfer zu verwüsten und die noch nicht eingebrachten Getreidehaufen anzuzünden. Ihre Pferdeherden trieben sie auf die Felder, die noch nicht von der Sichel berührt waren und wo gerade, wie absichtlich, fette Ähren wogten; eine ungewöhnlich gute Ernte hatte damals alle Mühen der Landarbeiter reichlich belohnt. Mit Entsetzen erblickte man von der Stadt aus, wie die Mittel zu ihrem Dasein vernichtet wurden. Währenddessen hatten aber die Saporoger um die ganze Stadt herum in zwei Reihen ihre Wagen gezogen und sich ebenso wie in Sjetsch in Abteilungen verteilt. Sie rauchten ihre Pfeifen, tauschten die erbeuteten Gewehre aus, spielten »Bockspringen« und »Glück und Unglück« und schauten mit tödlicher Kaltblütigkeit auf die Stadt. Nachts wurden Wachtfeuer angezündet; die Breikocher kochten in jeder Abteilung in mächtigen Kupferkesseln Grütze; bei den die ganze Nacht hindurch brennenden Feuern stand schlaflos die Wache. Bald aber begannen die Saporoger sich etwas zu langweilen infolge der Untätigkeit und der fortgesetzten Nüchternheit, die mit keiner Unternehmung verbunden war. Der Oberst befahl sogar, die Schnapsportion zu verdoppeln, was niemals im Felde geschah, wenn es nicht schwere Taten und Märsche galt. Den Jungen und vor allem den Söhnen des Taras Bulba mißfiel ein solches Leben. Andrij langweilte sich merklich. »Unvernünftiger Kopf«, sagte ihm Taras. »Harre aus, Kosak, und du wirst Ataman werden! Nicht der ist ein guter Krieger, der nicht den Mut verlor in wichtiger Sache, vielmehr wer alles aushält und, mag man ihm bieten, was man will, gleichwohl auf dem seinigen bestehen wird.« Der feurige Jüngling stimmte aber nicht mit dem Greise überein: sie hatten verschiedene Naturen, und mit verschiedenen Augen blickten sie auf eine und dieselbe Sache.
Währenddessen war das Regiment des Taras angekommen, das Towkatsch herbeigeführt hatte; mit ihm kamen noch zwei Esaule, ein Schreiber und andere Regimentsbeamte; Kosaken waren alles in allem mehr als viertausend ausgehoben worden, unter ihnen hatten sich auch nicht wenig Freiwillige selber gestellt, aus eigenem Antrieb, ohne jede Aufforderung, sobald sie nur erfahren hatten, worum es sich handle. Die Esaule brachten den Söhnen des Taras den Segen der greisen Mutter und jedem ein Heiligenbild aus Zypressenholz aus dem Meschigorschen Kloster in Kiew. Beide Brüder hingen sich die Heiligenbilder um und versanken unwillkürlich in Gedanken, als sie sich der greisen Mutter erinnerten. Was prophezeit und bedeutet ihnen dieser Segen? Ist das ein Segen zum Siege über den Feind und dann zur lustigen Rückkehr in die Heimat, mit Beute beladen und mit Ruhm bedeckt, gepriesen in den ewigen Liedern der Banduristen, oder aber …? Doch unbekannt ist die Zukunft. Sie steht vor dem Menschen dem Herbstnebel gleich, der sich aus Sümpfen erhebt. Ziellos fliegen über ihm hin, mit den Flügeln schlagend, die Vögel und erkennen einander nicht, die Taube erblickt nicht den Habicht, der Habicht nicht die Taube, und niemand weiß, wie nahe er fliegt seinem Untergang …
Ostap befaßte sich schon mit seinen Dienstangelegenheiten und war längst schon zum Lager zurückgekehrt; Andrij aber fühlte, er wußte selber nicht warum, einen seltsamen Druck auf dem Herzen. Die Kosaken hatten ihr Abendbrot beendet. Längst war das Abendrot erloschen, eine wundervolle Julinacht umfing den Himmel; Andrij aber ging nicht zu seiner Abteilung zurück, er legte sich nicht schlafen und blickte unwillkürlich auf das ganze vor ihm liegende Bild. Hoch oben funkelten zahllos mit feinem und scharfem Glanz die Sterne. Das Feld war weithin übersät mit zerstreut stehenden, mit jeder Art erbeutetem Gut und allerlei Proviant beladenen Fuhren, an denen mit Teer übergossene Eimer hingen. Neben den Wagen, unter ihnen und weiter von ihnen entfernt – überall sah man auf dem Gras ausgestreckte Saporoger. Sie schliefen in malerischen Stellungen: dieser hatte sich einen Sack unter den Kopf gelegt, jener seine Mütze, wieder ein anderer benutzte einfach die Hüfte seines Kameraden als Kopfkissen. Der Säbel, das Gewehr, die kurze kleine Pfeife mit messingenem Beschlag, mit eisernem Bohrer und einem Feuerstahl waren unzertrennlich von jedem Kosak. Schwere Stiere lagen da, die Beine untergelegt, in großen weißlichen Massen und sahen von weitem aus wie graue Steine, die auf den Böschungen des Feldes verstreut liegen. Von allen Seiten begann sich schon das tiefe Schnarchen der schlafenden Kriegerschaft aus dem Grase zu erheben, und vom Felde her antworteten mit lautem Gewieher die Hengste, unwillig darüber, daß ihnen die Vorderfüße zusammengekoppelt waren. Es lag aber etwas Majestätisches und Furchtbares in der Schönheit der Julinacht. Das war der Widerschein der weithin brennenden Umgebung. An einer Stelle stand die Flamme ruhig und majestätisch am Himmel; an einer anderen war sie auf etwas Entzündliches gestoßen, und plötzlich, sich wirbelnd losreißend, zischte und flog sie bis zu den Sternen empor, und ihre abgerissenen Flocken erloschen erst unter den allerfernsten Himmeln. Dort stand ein abgebranntes schwarzes Kloster wie ein finsterer Kartäusermönch drohend da und zeigte bei jedem Aufflammen seine finstere Hoheit; dort brannte ein Klostergarten. Es war förmlich zu hören, wie die Blätter zischten, sich mit Dampf umhüllend, und wenn das Feuer hervorsprang, so beleuchtete es plötzlich mit phosphorischem, lilafeurigem Lichte ganze Büschel von reifen Pflaumen oder verwandelte in rotes Gold die da und dort schon gelb gewordenen Birnen, und unter ihnen hing auf der Mauer des Gebäudes oder an einem Holzast der schwarz gewordene Körper eines armen Juden oder Mönchs, die zugleich mit dem Gebäude im Feuer umgekommen waren. Die belagerte Stadt schien entschlummert zu sein, ihre Spitzen, Dächer, Palisaden und Mauern strahlten leise wider vom Glanze der fernen Feuersbrünste. Andrij ging durch die Reihen der Kosaken. Die Wachtfeuer, bei denen die Wachen saßen, konnten jeden Augenblick erlöschen, und die Wachen selber schliefen, nachdem sie mit echtem Kosakenappetit zu Abend gegessen hatten. Er wunderte sich etwas über diese Sorglosigkeit und dachte: »Gut, daß kein mächtiger Feind in der Nähe und niemand zu fürchten ist.« Endlich ging auch er selber auf eine von den Fuhren zu, kroch auf sie, streckte sich auf dem Rücken aus und legte die Hand unter den Kopf; er konnte aber nicht einschlafen und schaute lange zum Himmel empor: der lag ganz offen vor ihm; rein und durchsichtig war die Luft; der dichte Sternenschwarm, der die Milchstraße bildet und mit schrägem Gürtel den Himmel überzieht, erschien ganz in Licht getaucht. Bisweilen war es Andrij so, als vergesse er sich, und ein ganz leichter Nebel des Schlummers verbarg ihm auf einen Augenblick den Himmel, und dann klärte er sich wieder auf und ward von neuem sichtbar.
Plötzlich kam es ihm so vor, als schimmere da vor ihm ein merkwürdiges Abbild eines menschlichen Gesichts. In dem Glauben, das sei einfach ein Trugbild des Schlummers, das sogleich wieder verschwinden werde, öffnete er seine Augen etwas mehr und sah, daß sich tatsächlich ein ganz erschöpftes, vertrocknetes Gesicht über ihn beugte und ihm gerade in die Augen schaute. Lange, kohlschwarze Haare, ungeordnet, zerzaust, krochen aus einem dunkeln, über den Kopf geworfenen Tuche hervor; der seltsame Glanz des Blickes und die tote dunkle Farbe des Gesichtes, das in scharfen Zügen hervortrat, ließen eher vermuten, dies sei ein Gespenst. Unwillkürlich faßte er mit der Hand die Büchse und sprach fast krampfhaft: »Wer bist du? Bist du ein unreiner Geist, so geh mir aus den Augen, bist du aber ein lebendiger Mensch, so hast du zu unrechter Zeit einen Streich ausgedacht – ich werde dich mit einem Schuß töten.«
Zur Antwort nahm das Gespenst die Finger an die Lippen und schien um Schweigen zu flehen. Er ließ die Hand sinken und begann aufmerksamer auf es hinzublicken. An den langen Haaren, dem Hals und der halbentblößten braunen Brust erkannte er, daß es ein Weib war. Es war aber keine hiesige Eingeborene: ihr ganzes Gesicht war braun, abgezehrt vom Leiden; ihre breiten Backenknochen traten stark hervor über den eingefallenen Wangen; die schmalen Augen waren in bogenförmigem Schlitz nach aufwärts gerichtet. Je mehr er ihre Züge betrachtete, um so bekannter kamen sie ihm vor. Endlich hielt er nicht länger an sich und frug: »Sage, wer bist du? Mir scheint es, ich habe dich gekannt oder irgendwo gesehen.«
»Vor zwei Jahren, in Kiew.«
»Vor zwei Jahren, in Kiew?« wiederholte Andrij, und er bemühte sich, sich alles in Erinnerung zu rufen, was von seinem früheren Schülerleben in seinem Gedächtnis haften geblieben war. Noch einmal schaute er durchdringend auf sie und rief plötzlich mit voller Stimme: »Du bist die Tatarin! Die Dienerin des Fräuleins, des Töchterchens des Wojewoden!«
»Schsch!« sprach die Tatarin, mit flehender Miene die Hände faltend und am ganzen Körper zitternd, und sie wendete dabei den Kopf zurück, um zu sehen, ob nicht irgendwer erwacht sei auf den heftigen Schrei, den Andrij ausgestoßen hatte.
»Sprich, sprich doch, weshalb, wie kamst du her?« sprach Andrij fast keuchend, flüsternd, jeden Augenblick stockend vor innerer Erregung. »Wo ist das Fräulein? Lebt sie noch?«
»Sie ist dort, in der Stadt!«
»In der Stadt?« wiederholte er, wobei er wiederum fast aufgeschrien hätte, und er fühlte, wie ihm plötzlich all sein Blut zum Herzen strömte. »Weshalb ist sie denn in der Stadt?«
»Deshalb, weil ihr Herr Vater selber in der Stadt ist; schon anderthalb Jahre ist er Wojewode in Dubno.«
»Wie denn, ist sie verheiratet? Ja, so sprich doch – was bist du seltsam – was ist mit ihr …?«
»Sie hat bereits zwei Tage nichts gegessen.«
»Wie?«
»Längst hat keiner von den Einwohnern der Stadt mehr ein Stück Brot, alle essen nur noch Erde.«
Andrij erstarrte.
»Das Fräulein hat dich vom Stadtwall herab bei den Saporogern gesehen. Sie sagte mir: ›Gehe, sage dem Ritter: wenn er an mich denkt, möge er zu mir kommen; denkt er aber nicht an mich, so möge er dir ein Stück Brot geben für die Greisin, meine Mutter, weil ich nicht sehen will, wie sie vor mir stirbt. Möge ich früher sterben, sie aber nach mir. Bitte ihn und umfasse seine Knie und Füße: auch er hat eine alte Mutter – um ihretwillen möge er Brot geben.‹«
Gefühle aller Art erwachten und entflammten sich in der Brust des jungen Kosaken.
»Wie stehst du denn hier? Wie bist du denn gekommen?«
»Durch einen unterirdischen Gang.«
»Gibt es einen solchen?«
»Ja.«
»Wo denn?«
»Wirst du es nicht verraten, Ritter?«
»Ich schwöre beim heiligen Kreuz.«
»Wenn man das Ufer hinabsteigt und den Bach dort überschreitet, wo ein Röhricht ist.«
»Führt dieser unterirdische Gang geradeswegs in die Stadt?«
»Geradeswegs zum städtischen Kloster.«
»Laß uns gehen, laß uns sogleich gehen!«
»Aber, um Christus und der heiligen Maria willen, ein Stück Brot!«
»Gut, du sollst es haben. Stehe hier neben dem Wagen, oder, besser noch, lege dich auf ihn: niemand wird dich sehen, alle schlafen; ich werde sogleich zurückkehren.«
Und er ging zu den Fuhren, wo die Vorräte aufbewahrt wurden, die seiner Abteilung gehörten. Das Herz schlug ihm heftig. Alles Vergangene, alles, was betäubt war durch das rauhe Kriegsleben – alles strömte auf einmal zur Oberfläche, nachdem es das Gegenwärtige hatte versinken lassen. Wiederum tauchte auf vor ihm, wie aus finsterem Meeresgrund, das stolze Weib, wiederum strahlten vor seinem inneren Auge die schönen Arme, die herrlichen Augen, die lachenden Lippen, die dichten dunkelnußfarbenen Haare, die in Locken auf die Brust herabfielen, und alle die elastischen, in vollendetem Ebenmaß geschaffenen Glieder des jungfräulichen Körpers. Nein, sie sind nicht erloschen, diese Erinnerungen, sie sind gar nicht entschwunden aus seiner Brust, um vorübergehend Raum zu gewähren anderen mächtigen Gefühlen; vielmehr oft, so oft war der tiefe Schlaf des jungen Kosaken von ihnen beunruhigt worden, und so oft war er plötzlich aufgewacht und hatte dann schlaflos auf seinem Lager gelegen und sich nicht erklären können, weshalb ihn der Schlaf floh.
Er ging, aber das Klopfen seines Herzens ward immer heftiger, und es zitterten seine jungen Knie, allein schon bei dem Gedanken, daß er sie wiedersehen werde. Als er zu den Fuhren gelangt war, hatte er völlig vergessen, weshalb er gekommen sei; er fuhr mit der Hand nach der Stirn und rieb sie lange, wobei er sich bemühte, sich zu besinnen, was er eigentlich tun müsse. Endlich erzitterte er, ganz erfüllt von Schrecken: es kam ihm plötzlich in den Sinn, daß sie vor Hunger sterbe. Er stürzte sich auf die Fuhre und nahm einige große Laibe Schwarzbrot unter den Arm; aber sogleich dachte er auch schon: Wird nicht diese Speise, die für einen kräftigen, nicht verwöhnten Saporoger taugt, zu grob sein und unangemessen ihrer zarten Körperbeschaffenheit? Da fiel ihm ein, daß gestern der Oberst die Grützekocher deshalb gescholten hatte, weil sie auf einmal das ganze Buchweizenmehl zu Mehlbrei verkocht hatten, während es doch für gute drei Mahlzeiten gereicht hätte. Durchaus überzeugt davon, er werde Mehlbrei im Überfluß in den Kesseln finden, zog er die Feldschüssel seines Vaters hervor und begab sich mit ihr zum Grützekocher ihrer Abteilung, der bei zwei zehneimerigen Kesseln schlief, unter denen die Asche noch warm war. Andrij blickte in sie hinein und wunderte sich, daß beide leer waren. Es erforderte übermenschliche Kräfte, das alles aufzuessen, um so mehr, als seine Abteilung weniger Mitglieder zählte als alle anderen. Er schaute in die Kessel der anderen Abteilungen: nirgends war etwas vorhanden. Unwillkürlich kam ihm das Sprichwort in den Kopf: »Die Saporoger sind wie Kinder: ist wenig da, essen sie alles auf; ist viel da, lassen sie auch nichts übrig.« Was zu tun? Es war gleichwohl irgendwo, so schien ihm, auf der Fuhre des väterlichen Regiments ein Sack mit Weißbrot, den sie gefunden hatten, als sie eine Klosterbäckerei plünderten. Er ging geradeswegs zum Wagen seines Vaters hin, aber da war der Sack schon nicht mehr: Ostap hatte ihn sich unter den Kopf gelegt, sich neben dem Wagen auf der Erde ausgestreckt und schnarchte über das ganze Feld hin. Andrij erfaßte den Sack mit einer Hand und zog ihn so plötzlich hervor, daß Ostaps Kopf auf die Erde fiel, er selber aber traumbefangen aufsprang und mit geschlossenen Augen dasitzend aus Leibeskräften losschrie: »Haltet, haltet den Teufelsljachen, ja, fangt das Pferd, fangt das Pferd!« »Schweig still, ich werde dich totschlagen!« schrie voll Schrecken Andrij, wobei er mit dem Sack nach ihm ausholte. Ostap fuhr aber auch so schon nicht mehr in seiner Rede fort, besänftigte sich vielmehr und stieß sogleich ein solches Schnarchen aus, daß sich von seinem Atem das Gras bewegte, auf dem er lag. Andrij schaute angstvoll nach allen Seiten, um zu erfahren, ob nicht Ostaps Phantasieren irgendwen von den Kosaken erweckt habe. Tatsächlich erhob sich ein beschopfter Kopf in der benachbarten Abteilung, sah sich nach allen Seiten um und senkte sich wieder zur Erde. Andrij wartete zwei Minuten und machte sich endlich mit seiner Last auf den Weg. Die Tatarin lag da und atmete kaum. »Steh auf, laß uns gehen! Alle schlafen, fürchte dich nicht! Wirst du wenigstens eines von diesen Broten tragen können, wenn es mir nicht möglich sein wird, alle zu halten?« Darauf lud er sich die Säcke auf den Rücken, zog im Vorübergehen noch einen Sack Hirse von einer Fuhre herunter, nahm sogar noch die Brote, die er der Tatarin hatte zu tragen geben wollen, in die Hand, und ein wenig unter der Last gebeugt, schritt er keck zwischen den Reihen der schlafenden Saporoger hindurch.
»Andrij!« sprach der alte Bulba in dem Augenblick, als der gerade an ihm vorüberschritt. Sein Herz erbebte; er blieb stehen, und, am ganzen Körper zitternd, frug er leise: »Was denn?«
»Ein Weib geht mit dir! Bei Gott, ich werde aufstehen und dich in die Seiten schlagen! Nicht zum Guten werden dich die Weiber führen!«
Als er das gesagt hatte, stützte er sich mit dem Kopf auf die Arme und begann eindringlich auf die in ein Tuch gehüllte Tatarin zu schauen.
Weder tot noch lebendig stand Andrij da und wagte nicht, dem Vater ins Gesicht zu schauen. Als er endlich seine Augen erhob und auf ihn blickte, sah er, daß der alte Bulba schon schlief, den Kopf auf die Handfläche gelegt.
Er bekreuzte sich. Plötzlich schwand der Schrecken von seinem Herzen, noch schneller, als er es übermannt hatte. Als er sich umschaute, um auf die Tatarin zu blicken, stand sie vor ihm, in ihr Tuch gehüllt wie eine dunkle Statue aus Granit, und der Widerschein der fernen Feuersbrunst beleuchtete aufflammend nur ihre Augen, die starr waren wie die einer Toten. Er zog sie am Ärmel, und beide gingen miteinander, unaufhörlich zurückschauend, und endlich stiegen sie die Böschung hinunter in einen tiefgelegenen, fast steilen Hohlweg, wie er an einigen Ortschaften Kluft genannt wird. Auf seinem Grund floß träge ein Bach, dessen Ufer mit Riedgras überwachsen und mit kleinen Erdhügeln besät war. Sie stiegen in diese Schlucht hinab und verschwanden völlig aus dem Gesichtskreis des ganzen Feldes, auf dem die Saporoger lagerten. Als sich Andrij umschaute, sah er, daß hinter ihm mehr als mannshoch die Böschung aufragte wie eine steile Mauer; auf ihrem Gipfel schwankten einige Halme Feldgras, und über ihnen erhob sich am Himmel der Mond in Gestalt einer schrägliegenden Sichel aus hellem Dukatengold. Ein Lüftchen hatte sich aus der Steppe erhoben und gab zu erkennen, daß schon wenig Zeit mehr geblieben war bis zum Morgengrauen. Nirgends vernahm man aber das ferne Krähen eines Hahnes: in der Stadt wie auch in der verwüsteten Umgebung war längst kein Hahn mehr am Leben. Auf einem kleinen Balken überschritten sie den Bach, hinter dem sich das entgegengesetzte Ufer erhob, das höher zu sein schien als das hinter ihnen liegende und ganz wie ein Abhang emporragte. Es schien, gerade an dieser Stelle war die städtische Befestigung fest und zuverlässig; wenigstens war der Erdwall dort niedriger, und es schaute keine Besatzung über ihn hinaus. Dafür erhob sich aber ein wenig weiter die starke Klostermauer. Das abschüssige Ufer war ganz mit Steppengras überwachsen, und auf dem nicht großen Zwischenraum zwischen ihm und dem Bach wuchs fast in Mannshöhe dichtes Röhricht. Auf der Höhe des Abhangs erblickte man die Reste einer Hecke, die einstmals einen jetzt nicht mehr vorhandenen Gemüsegarten umgeben hatte, vor ihm breites Klettengebüsch; aus ihm schauten Gänsefuß und wilde, stachliche Distel heraus, und die Sonnenblume erhob höher als alle ihr Haupt. Hier nahm die Tatarin ihre Schuhe ab und ging barfuß, nachdem sie vorsichtig ihr Kleid erfaßt hatte, weil der Ort sumpfig und der Boden mit Wasser bedeckt war. Sich zwischen Schilfrohr den Weg bahnend, blieben sie stehen vor aufgehäuftem Reisig- und Faschinenholz. Sie beugten das Reisig zur Seite und fanden eine Art Erdgewölbe – die Öffnung war ein wenig größer als die eines Backofens. Die Tatarin neigte den Kopf und trat zuerst hinein, hinter ihr Andrij, wobei er sich so tief als möglich bückte, damit er mit seiner Last durchkommen könne, und bald befanden sich beide in völliger Dunkelheit.
Andrij bewegte sich kaum vorwärts im dunkeln und engen Korridor, der Tatarin folgend und die Brotsäcke schleppend. »Bald werden wir sehen können,« sprach seine Führerin, »wir nähern uns der Stelle, wo ich eine Kerze aufstellte.« Tatsächlich begannen die finsteren Erdwände ein wenig heller zu werden. Sie erreichten einen kleineren Platz, wo sich eine Kapelle zu befinden schien; wenigstens war ein schmales Tischchen an die Mauer herangerückt, in Gestalt eines Altars, und über ihm hing ein fast völlig verblichenes Bild der katholischen Madonna. Ein kleines silbernes Lämpchen hing vor ihm und erleuchtete es nur eben. Die Tatarin bückte sich und erhob einen von ihr zurückgelassenen kupfernen Leuchter auf feinem hohem Fuße von der Erde, um den an Kettchen eine Zange, eine Nadel, um den Docht zu richten, und ein Löscher herumhingen. Sie entzündete ihn an dem Lämpchen. Das Licht verstärkte sich, und als sie zusammen gingen, bald grell beleuchtet, bald eingehüllt in kohlschwarzen Schatten, erinnerten sie an die Bilder von Gerardo dalle notti. Das frische, von Gesundheit und Jugend strahlende schöne Gesicht des Ritters bildete einen scharfen Gegensatz zu den abgezehrten und bleichen Zügen seiner Gefährtin. Der Durchgang ward etwas breiter, so daß sich Andrij aufrichten konnte. Er betrachtete mit Neugierde diese Erdwände, die ihn an die Höhlen in Kiew erinnerten. Ebenso wie dort waren auch hier in den Wänden Vertiefungen sichtbar, und standen hier und dort Särge; an einzelnen Stellen stieß man sogar auf Menschenknochen, die durch die Feuchtigkeit weich geworden und zu Mehl zerfallen waren. Offenbar hatten auch hier einst heilige Menschen gelebt und hatten sich geborgen vor den Stürmen der Welt, ihrem Kummer und ihren Verführungen. Die Feuchtigkeit war stellenweise äußerst stark: ihre Füße traten bisweilen ins Wasser. Andrij mußte häufig stehenbleiben, um seine Begleiterin ausruhen zu lassen, da sie immer wieder müde ward. Sie hatte ein großes Stück Brot verschlungen, und das verursachte ihr nun Schmerzen im Magen, da dieser sich der Speise fast entwöhnt hatte. Immer wieder verharrte sie einige Minuten bewegungslos auf einer Stelle.
Endlich zeigte sich eine kleine eiserne Tür vor ihnen. »Nun, Gott sei Dank, wir sind angekommen«, sprach mit schwacher Stimme die Tatarin, erhob die Hand, um anzuklopfen, und hatte nicht die Kraft dazu. Andrij schlug statt ihrer kräftig an die Tür; ein schallendes Dröhnen bewies, daß sich hinter der Tür ein großer Raum befand. Dieser Schall veränderte sich, indem er, wie es schien, hohe Gewölbe traf. Nach zwei Minuten klapperten Schlüssel, und es war so, als schritt irgendwer eine Treppe herunter. Endlich öffnete sich die Tür, ein Mönch empfing sie, der auf einer engen Treppe stand und ein Schlüsselbund und eine Kerze in Händen trug. Andrij blieb unwillkürlich stehen beim Anblick des katholischen Mönchs, der solchen Haß und solche Verachtung in den Kosaken zu erregen pflegte, daß sie mit ihnen noch unmenschlicher verfuhren als mit Juden. Der Mönch wich gleichfalls etwas zurück, als er den saporogischen Kosaken erschaute; aber ein Wort, das die Tatarin kaum hörbar flüsterte, beruhigte ihn. Er leuchtete ihnen, schloß hinter ihnen die Tür, führte sie auf der Treppe nach oben, und sie befanden sich unter dem hohen, dunklen Gewölbe der Klosterkirche. Vor einem von den Altären, auf denen hohe Leuchter und Lichter standen, lag ein Geistlicher auf Knien und betete leise. Zu beiden Seiten von ihm knieten zwei Meßknaben in lilafarbenen Mänteln mit weißem Spitzenüberwurf und mit Weihrauchgefäßen in Händen. Er betete, es möge ein Wunder geschehen: die Stadt möge errettet werden, der sinkende Mut sich wieder festigen, Geduld wieder aufleben, der Versucher weichen, der Murren einflößt und kleinmütiges, angstvolles Weinen um irdisches Ungemach. Einige Weiber, die aussahen wie Gespenster, knieten gleichfalls, wobei sie sich aufstützten und die entkräfteten Häupter auf die Rücklehnen der vor ihnen stehenden Stühle und dunkeln hölzernen Bänke legten; auch einige Männer mit kummervoller Miene hatten sich kniend an die Säulen und Pfeiler gelehnt, auf denen die Seitengewölbe ruhten. Das bunte Glasfenster über dem Altar erstrahlte in rosafarbenem Morgenlicht, und blaue, gelbe und andersfarbige Lichtkreise fielen von ihm auf den Boden und erhellten plötzlich die dunkle Kirche. Der ganze Altar in seiner weiten Vertiefung leuchtete plötzlich im Strahlenglanze; der Weihrauch blieb in der Luft schweben als ein regenbogenfarbiges leuchtendes Wölkchen. Nicht ohne Verwunderung schaute Andrij aus seiner dunkeln Ecke auf dies Wunder, das durch das Licht vollbracht ward. Zu dieser Zeit erfüllte plötzlich das erhabene Dröhnen der Orgel die ganze Kirche; es ward immer machtvoller, schwoll an zum dumpfen Rollen des Donners und plötzlich, sich wandelnd in himmlische Musik, hob es sich hoch empor unter den Gewölben, mit seinen singenden Klängen an zarte Mädchenstimmen erinnernd, und dann ging es wiederum über in tiefes Dröhnen und Donnern und verstummte. Lange noch hallte das Donnergrollen zitternd unter den Gewölben wider, und es staunte Andrij, den Mund halb geöffnet, über die erhabene Musik.
Da fühlte er, daß ihn jemand am Rockschoß ziehe.
»Es ist Zeit!« sprach die Tatarin. Von niemand bemerkt, durchschritten sie die Kirche und traten auf einen Platz, der vor ihr lag. Längst schon färbte Morgenrot den Himmel; alles verkündete den Aufgang der Sonne. Der quadratische Platz war völlig leer; in seiner Mitte standen noch hölzerne Tischchen und bewiesen, daß hier, vielleicht noch eine Woche vordem, ein Lebensmittelmarkt abgehalten worden war. Die Straßen, die man damals nicht pflasterte, waren einfach getrocknete Schmutzhaufen. Den Platz umsäumten rings kleinere, aus Stein und aus Lehm gebaute einstöckige Häuser, in deren Mauern hölzerne Pfosten und Säulen in ihrer ganzen Höhe zu sehen waren, schräg gekreuzt mit gleichfalls hölzernen Verbindungsbalken. So baute man damals die Häuser, und das kann man jetzt noch an einigen Orten Litauens und Polens sehen. Alle Gebäude hatten unverhältnismäßig große Dächer, die eine Menge Dachfenster und Luken enthielten. Auf der einen Seite des Platzes, fast bei der Kirche, erhob sich, höher als die anderen, ein freistehendes Gebäude, wahrscheinlich das städtische Rathaus oder irgendein Regierungsbau. Es hatte zwei Stockwerke, und darüber stand in zwei Bogen ein Belvedere, wo sich eine Wache aufhielt; ein großes Zifferblatt war in das Dach eingelassen. Der Platz war wie ausgestorben; Andrij kam es aber so vor, als vernehme er ein ganz schwaches Stöhnen. Um sich schauend, erblickte er auf der anderen Seite eine Gruppe von zwei, drei Menschen, die fast ohne jede Bewegung auf der Erde lagen. Er schaute aufmerksam hin, um zu erkennen, ob sie schliefen oder tot seien, und dabei stieß er auf etwas, was zu seinen Füßen lag. Das war der leblose Körper eines Weibes, offenbar einer Jüdin. Sie schien noch jung zu sein, wenn man das auch nicht aus ihren entstellten, abgezehrten Zügen erkennen konnte. Auf dem Kopfe trug sie ein rotes Seidentuch; Perlen in zwei Reihen verzierten ihren Kopfputz; zwei, drei lange, geringelte Locken fielen aus ihm heraus auf ihren vertrockneten Hals, auf dem die Adern scharf hervortraten. Neben ihr lag ein Kindchen, das krampfhaft mit der Hand nach ihrer ausgetrockneten Brust griff und sie mit seinen kleinen Fingern umkrallte in unwillkürlichem Zorn darüber, daß es in ihr keine Milch gefunden hatte. Es weinte und schrie schon nicht mehr, und nur an seinem sich leise hebenden und senkenden Leibe konnte man erkennen, daß es noch nicht gestorben war und sich eben erst anschickte, seinen letzten Seufzer auszustoßen. Sie bogen in eine Querstraße und wurden plötzlich von einem Rasenden angehalten; kaum hatte der die kostbare Last Andrijs gesehen, als er sich wie ein Tiger auf ihn warf, sich in ihn festkrallte und schrie: »Brot!« Seine Kräfte entsprachen aber nicht seiner Leidenschaft. Andrij stieß ihn zurück: er flog auf die Erde. Von Mitleid bewegt schleuderte ihm Andrij ein Brot hin, auf das sich jener wie ein tollgewordener Hund stürzte, sich hineinbiß, es verschlang und sogleich auf der Straße unter schrecklichen Krämpfen seinen Geist aufgab, da er allzu lange jeder Speise entwöhnt war. Fast bei jedem Schritt erschütterten sie die furchtbaren Opfer des Hungers. Es schien, als hätten viele die Qualen in den Häusern nicht mehr ertragen und seien absichtlich auf die Straße gelaufen: ob ihnen nicht aus der Luft irgend etwas herabflöge, womit sie sich ihre Kräfte erhalten könnten. Bei dem Tore eines Hauses saß eine Greisin, und man konnte nicht sagen, ob sie eingeschlafen oder gestorben sei, sie war einfach in Vergessen versunken; wenigstens hörte und sah sie schon nichts mehr, sie saß, den Kopf auf die Brust gesenkt, unbeweglich auf ein und demselben Fleck. Vom Dache eines andern Hauses hing in einer Schlinge ein langgezogener und abgezehrter Körper: ein armer Teufel hatte die Qualen des Hungers nicht bis zu Ende ertragen können und lieber durch Selbstmord sein Ende beschleunigen wollen.
Beim Anblick solcher erschütternden Zeugnisse des Hungers konnte Andrij nicht umhin, die Tatarin zu fragen: »Haben sie denn wirklich gar nichts gefunden, um das Leben zu fristen? Wenn die letzte Not an den Menschen herantritt, dann ist nichts zu machen, er muß sich mit dem nähren, wovor er sich bisher ekelte; er kann dann Tiere essen, die vom Gesetze verboten sind, alles kann dann zur Nahrung dienen.«
»Alles hat man aufgegessen«, sprach die Tatarin. »Alles Vieh: weder ein Pferd noch einen Hund, nicht einmal eine Maus wirst du in der ganzen Stadt finden. Bei uns in der Stadt hielt man niemals irgendwelche Vorräte, alles ward vom Lande hereingebracht.«
»Wie aber glaubt denn ihr, die ihr eines solchen grausamen Todes sterbt, immer noch die Stadt halten zu können?«
»Ja, vielleicht hätte sie der Wojewode auch übergeben, gestern morgen aber ließ der Oberst, der in Badschaki ist, einen Habicht in die Stadt, der einen Zettel trug: man solle die Stadt nicht übergeben: er eile mit seinem Regiment zum Entsatz herbei, ja, er erwarte nur noch einen andern Obersten, um sich mit ihm zu vereinen. Und jetzt erwartet man sie jeden Augenblick … Aber da sind wir auch schon beim Hause angelangt.«
Schon von weitem hatte Andrij ein Haus erblickt, das den andern nicht ähnlich sah und, so schien es, von einem italienischen Baumeister entworfen war; es war aus schönen feinen Ziegeln in zwei Stockwerken erbaut. Die Fenster der ersten Etage umgaben stark hervortretende granitne Gesimse; das obere Stockwerk bestand ganz aus nicht hohen Bögen, die eine Galerie bildeten; zwischen ihnen erschaute man Gitterfenster mit Wappen; solche befanden sich auch an den Ecken des Hauses. Die breite Eingangstreppe aus bunten Ziegeln führte unmittelbar auf den Platz. Unten saßen zwei Wachen, an jeder Seite der Treppe eine, die sich malerisch und symmetrisch mit einer Hand an den neben ihnen stehenden Hellebarden hielten, mit der andern aber ihre gesenkten Häupter stützten und daher eher Statuen glichen als lebendigen Menschen. Sie schliefen weder, noch waren sie im Halbschlafe, sie waren nur, so schien es, unempfindlich für alles; sie gaben sogar nicht einmal mehr darauf acht, wer die Treppe hinaufschritt. Oben stand, in reicher Tracht und vom Kopf bis zu den Füßen bewaffnet, ein Krieger, der ein Gebetbüchlein in der Hand hielt. Er wollte gerade seine matten Augen auf sie richten, die Tatarin sagte ihm aber ein Wort, und er senkte wiederum seine Blicke in die geöffneten Seiten seines Gebetbuchs. Sie traten in das erste Zimmer, das ziemlich geräumig war und zum Empfangs- oder einfach zum Vorzimmer diente. Es war ganz angefüllt mit in mannigfachen Stellungen an den Wänden herumsitzenden Soldaten, Dienern, Schreibern, Mundschenken und dem übrigen Gesinde, das unerläßlich ist, um den Rang eines polnischen Würdenträgers anzuzeigen, sowohl als Krieger wie als Besitzer eigener Güter. Der Qualm einer erloschenen Kerze stand in der Luft; zwei andere brannten noch in gewaltigen, fast mannshohen Leuchtern in der Mitte des Zimmers, ungeachtet dessen, daß längst der Morgen in das breite vergitterte Fenster schaute. Andrij wollte sogleich in die breite Eichentür eintreten, die mit einem Wappen und einer Menge Schnitzereien geschmückt war; die Tatarin zog ihn aber am Ärmel und wies ihn auf eine kleine Tür in der Seitenwand. Durch diese traten sie in den Korridor und dann in ein Zimmer, das er aufmerksam zu betrachten begann. Das Licht drang durch einen Spalt des Fensterladens und erhellte da und dort etwas: einen himbeerfarbenen Vorhang, ein vergoldetes Karnies, eine Malerei an der Wand. Hier hieß die Tatarin Andrij warten und öffnete die Tür in ein anderes Zimmer, aus dem heller Lichtschein fiel. Er hörte Flüstern und eine leise Stimme, bei der alles in ihm erzitterte. Als die Tür sich öffnete, sah er, wie eine wohlgebildete Frauengestalt rasch vorüberhuschte, er sah einen langen prächtigen Zopf, der auf ihren erhobenen Arm fiel. Die Tatarin kehrte zurück und sagte, er möchte eintreten. Er bemerkte gar nicht, wie er eintrat und die Tür sich hinter ihm schloß. Im Zimmer brannten zwei Kerzen, die Lampe leuchtete vor dem Heiligenbild, vor welchem, nach katholischem Brauche, ein hohes Tischchen mit Stufen zum Hinknien während des Gebetes stand. Aber nicht das suchten seine Augen. Er drehte sich nach der andern Seite um und erblickte ein Weib, das erstarrt und zu Stein geworden schien, in einer ganz raschen Bewegung. Es war so, als hätte ihre ganze Gestalt zu ihm hinstürzen wollen und habe plötzlich innegehalten. Und auch er blieb erstaunt vor ihr stehen. Nicht so hatte er sie zu sehen erwartet; das war gar nicht sie, nicht jene, die er vordem gekannt hatte; nichts war in ihr, das jener glich; aber doppelt so schön und wunderbar war sie jetzt als vordem: damals lag etwas Unfertiges, Nichtvollendetes in ihr, jetzt war das aber eine Schöpfung, welcher der Künstler den letzten Pinselstrich gegeben hatte. Jene war ein reizendes, mutwilliges Mädchen; dies hier eine Schönheit, ein Weib in der vollen Entfaltung seiner Schönheit! Ein volles Gefühl sprach aus ihren erhobenen Blicken, nicht Bruchstücke von, nicht Ansätze zu einem Gefühl, vielmehr ein ganzes Empfinden. Noch hatten die Tränen in ihren Augen nicht trocknen können und umhüllten sie mit nassem Leuchten, das die Seele durchdrang; die Brust, der Hals, die Schultern zeigten jene schönen Grenzen, die der völlig entfalteten Schönheit bestimmt sind; ihre Haare, die vordem in leichten Locken über das Gesicht fielen, waren jetzt zu einem prachtvollen dunklen Zopf vereinigt, von dem ein Teil geordnet war, ein anderer hingegen die ganze Länge ihres Armes überzog und in feinen, langen, schön gelockten Haaren auf die Brust fiel. Es schien, alle ihre Züge hatten sich verwandelt. Vergeblich bemühte sich Andrij, auch nur einen von denjenigen wiederzufinden, die in seinem Gedächtnis haftengeblieben waren –, nicht einen einzigen fand er. Wie bleich sie auch war, das umdüsterte gar nicht ihre wunderbare Schönheit, im Gegenteil, es war so, als gewähre es ihr etwas ungestüm, unwiderstehlich Siegreiches. Und in Andrijs Seele stieg ehrfurchtsvolle Furcht auf, und unbeweglich stand er vor ihr. Auch sie schien betroffen vom Anblick des Kosaken; er stand vor ihr in der ganzen Schönheit und Kraft seiner jugendlichen Männlichkeit, die sogar schon in seiner ruhigen Haltung die ungezwungene Freiheit seiner Bewegungen zu verraten schien; in klarer Festigkeit leuchteten seine Augen, in kühnem Bogen wölbte sich seine samtne Braue, seine gebräunten Wangen strahlten in vollem Glanz jungfräulichen Feuers, und wie Seide glänzte sein schwarzer Schnurrbart.
»Nein, ich habe nicht die Macht, dir irgendwie zu danken, großmütiger Ritter«, sprach sie, und ein Zittern lag im silbernen Klang ihrer Stimme – »Gott allein kann dich belohnen, nicht ich schwaches Weib …« Sie senkte ihre Augen; in schönen schneeweißen Halbkreisen bewegten sich auf ihnen die Lider, begrenzt von Wimpern, lang wie Strahlen; ihr ganzes wundervolles Gesicht neigte sich, und feine Röte beschattete es von unten her. Nichts wußte Andrij darauf zu entgegnen; er wollte alles sagen, was er auf der Seele trug, es so heiß aussprechen, wie es ihm auf der Seele brannte – und er vermochte das nicht. Er fühlte, daß irgend etwas ihm die Lippen zuhielt; der Klang war dem Worte genommen, er fühlte, daß nicht er, groß geworden in der Burse und im rauhen Kriegsleben, auf solche Reden antworten könne, und er ward wütend auf seine Kosakennatur.
Zu dieser Zeit trat die Tatarin ins Zimmer. Sie hatte bereits das Brot, das der Ritter gebracht hatte, in Scheiben geschnitten, trug es auf goldenem Teller herein und stellte es vor ihre Herrin. Die Schöne schaute auf sie, auf das Brot und richtete dann ihre Augen auf Andrij – und viel lag in diesen Augen. Dieser gerührte Blick, der das Unvermögen und die Machtlosigkeit offenbarte, dem Gefühl, das sie übermannte, Ausdruck zu geben, war Andrij zugänglicher als ihre Worte. Plötzlich ward seine Seele leicht; es schien, alles hatte sich in ihm gelöst, Erregungen und Gefühle, die bis dahin irgendwer wie an schwerem Zügel gehalten hatte – fühlten sich nunmehr befreit, in voller Ungebundenheit, und schon wollten sie sich ergießen in unaufhaltsamen Wortströmen, als sich plötzlich die Schöne zur Tatarin wandte und unruhig frug: »Aber die Mutter? Hast du ihr Brot gebracht?«
»Sie schläft!«
»Aber dem Vater?«
»Ich brachte ihm Brot; er sagte, er werde selber kommen, um dem Ritter zu danken.«
Sie nahm ein Stück Brot und führte es zum Munde. Mit unaussprechlichem Entzücken sah Andrij, wie sie es mit ihren leuchtenden Fingern brach und aß; und plötzlich entsann er sich an den vor Hunger Rasenden, der vor seinen Augen den Geist aufgegeben hatte, nachdem er ein Stück Brot verschlungen hatte. Er erbleichte, ergriff sie bei der Hand und rief: »Genug! Iß nicht mehr, du hast so lange nichts gegessen, das Brot wird dir jetzt giftig sein!« Und sie ließ auf der Stelle die Hand sinken; sie legte das Brot auf den Teller und schaute ihm in die Augen wie ein gefügiges Kind. Und soll es nur irgendein Wort ausdrücken … es vermögen aber gar nicht der Meißel, noch der Pinsel, noch das sonst so hochmütige Wort: das zu deuten, was bisweilen in den Blicken einer Jungfrau liegt, und das Gefühl der Rührung, das den ergreift, der solche Mädchenblicke erschaut.
»Zarin!« rief Andrij aus, aus der Fülle seines Herzens, seiner Seele und seines ganzen Innern. »Wessen bedarfst du? Was wünschest du? Befiehl es mir! Gib mir die allerunmöglichste Aufgabe auf der Welt – ich will eilen, sie zu erfüllen! Befiehl mir das zu tun, was gar nicht mehr in den Kräften eines Menschen liegt – ich werde es tun, ich werde mich zugrunderichten. Ja, ja, das werde ich! Für dich zugrundezugehen, ich schwöre es beim heiligen Kreuz, ist mir so süß … ich kann das gar nicht sagen! Ich habe drei Höfe, die Hälfte der Pferdeherden meines Vaters ist mein, alles, was dem Vater meine Mutter brachte, was sie sogar vor ihm verbirgt – alles ist mein. Kein einziger von unsern Kosaken hat jetzt solche Waffen wie ich: allein für den Griff meines Säbels gibt man mir die beste Pferdeherde und dreitausend Schafe. Und dem allen entsage ich, ich will es verlassen, wegwerfen, verbrennen, versenken, wenn du mir nur ein Wort zuflüsterst, oder wenn du auch nur deine feine schwarze Braue bewegst! Ich weiß aber, ich führe vielleicht dumme Reden und nicht am rechten Ort, und dies alles gehört nicht hierher, ich weiß, daß nicht ich, der ich mein Leben auf der Burse und im Saporogertum verbrachte, so zu sprechen vermag, wie es Brauch ist dort, wo Könige und Fürsten sind und das Edelste, was es gibt an erlauchtem Rittertum. Ich sehe: du bist eine andere Schöpfung Gottes als wir alle, und weit hinter dir stehen alle übrigen Bojarenfrauen und Mädchen. Wir taugen nicht einmal dazu, deine Sklaven zu sein, nur die Engel des Himmels können dir dienen!«
Mit wachsendem Staunen, sich ganz in ein Hören wandelnd, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, lauschte das Mädchen auf die offene, herzliche Rede, in der wie in einem Spiegel die junge kraftvolle Seele widerstrahlte. Jedes einfache Wort dieser Rede, gesprochen von einer Stimme, die geradeswegs vom Grunde des Herzens kam, war in Kraft gekleidet. Ihr schönes Gesicht beugte sich vor; weit zurück hatte sie die lästigen Haare geworfen, sie hielt den Mund geöffnet und schaute so lange auf ihn hin. Dann wollte sie etwas sagen und hielt plötzlich inne: sie erinnerte sich, daß der Ritter von einem andern Endziel beseelt sei, daß sein Vater, sein Bruder und sein ganzes Vaterland hinter ihm stehe als finstere Rächer, daß furchtbar sind die die Stadt belagernden Saporoger, daß mit grausamem Tode bedroht sind sie alle in ihrer Stadt … und ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen; rasch faßte sie ein seidengesticktes Tuch und warf es sich aufs Gesicht. Es ward augenblicklich ganz naß, und lange saß sie so da, ihr schönes Haupt zurückgeworfen, mit schneeweißen Zähnen die schöne Unterlippe nagend – als habe sie plötzlich den Biß einer giftigen Schlange gefühlt –, und sie nahm das Tuch nicht vom Gesicht, damit er nicht ihren zerstörenden Kummer sehe.
»Sprich nur ein Wort!« sprach Andrij und ergriff ihre atlassene Hand. Funkelndes Feuer durchlief seine Adern bei dieser Berührung, und er preßte die Hand, die leblos in der seinen ruhte.
Sie aber schwieg, sie nahm das Tuch nicht von ihrem Gesichte und blieb unbeweglich.
»Weshalb bist du denn so traurig? Sage mir, weshalb du so traurig bist?«
Sie warf ihr Tuch von sich, stieß die langen Haare, die ihr über die Augen gefallen waren, zurück und ergoß sich ganz in klagenden Reden, die sie mit leiser, leiser Stimme sprach, so, wie der Wind, wenn er sich an einem schönen Abend erhebt, plötzlich über das dichte Uferröhricht läuft: da rauschen, erklingen und erheben sich auf einmal wehmütig-feine Klänge, Es fängt sie der Wanderer auf und bleibt stehen in ihm selber unverständlicher Traurigkeit, weder hört er die heiteren Lieder des Volkes, das von der Feldarbeit und der Ernte heimkehrt, noch das Rasseln eines in der Ferne vorbeifahrenden Karrens.
»Bin ich nicht ewiger Klagen wert? Ist nicht unglücklich die Mutter, die mich zur Welt brachte? Ist denn nicht bitter das Los, das mir zufiel? Bist du denn nicht mein erbarmungsloser Henker, du mein grausames Geschick?! Alle hast du mir zu Füßen gelegt: die besten Ritter des ganzen Adels, die reichsten Herren, Grafen und ausländischen Barone und alles, was die Blüte unserer Ritterschaft ist. Ihnen allen war es ein Glück, mich zu lieben, und jeder von ihnen hätte meine Liebe für ein hohes Gut erachtet. Ich hätte nur die Hand auszustrecken brauchen, und jeder von ihnen, der Allerschönste von Antlitz und der Edelste von Geschlecht wäre mein Gatte geworden. Und keinem einzigen von ihnen hast du mein Herz zugeneigt, du mein hartes Geschick; du neigtest mein Herz nicht den besten Rittern unseres Landes zu, vielmehr einem Fremden, unserem Feinde. Wofür denn, reinste Mutter Gottes, für welche Sünden, für welche schweren Verbrechen verfolgst du mich so unerbittlich und erbarmungslos? In Reichtum und üppigem Überfluß an allem flossen meine Tage dahin; die besten, teuersten Gerichte und süßen Weine nährten mich. Und wofür das alles? Wohin führte das alles? Dazu, um schließlich eines grausamen Todes zu sterben, den der letzte Bettler im Königreich nicht stirbt? Und nicht genug damit, daß ich verurteilt bin zu einem so schrecklichen Schicksal, nicht genug damit, daß ich vor meinem Ende sehen muß, wie in unerträglichen Qualen Vater und Mutter sterben, für deren Rettung ich zwanzigmal bereit wäre, mein Leben hinzugeben, nicht genug mit dem allen: es war auch noch nötig, daß es mir vor meinem Ende beschieden war, Worte zu hören und einer Liebe inne zu werden, wie ich sie noch niemals gekannt hatte. Es war nötig, daß er in Stücke zerriß mein Herz mit seinen Reden, damit mein bitteres Los noch bitterer werde, damit es mir noch mehr leid sei um mein junges Leben, damit mir mein Tod noch furchtbarer erscheine und ich sterbend noch mehr dich anklage, mein grausames Geschick, und dich – verzeih mir die Sünde – heilige Mutter Gottes!«
Als sie verstummt war, malte sich völlige Hoffnungslosigkeit in ihrem Gesichte; von nagendem Gram sprach jeder ihrer Züge und alles, von der traurig geneigten Stirn und den gesenkten Augen bis zu den Tränen, die auf ihren still erflammten Wangen erkaltet und getrocknet waren, alles schien zu sagen: »Es lebt kein Glück in diesem Geschöpf!«
»Unerhört ist es auf der Welt, unmöglich, es kann gar nicht sein,« sprach Andrij, »daß die schönste und beste der Frauen ein so bitteres Los ertrage, während sie doch dazu geschaffen ward, daß vor ihr wie vor einer Heiligen sich alles neige, was es Bestes auf Erden gibt. Nein, du wirst nicht sterben! Nicht dir ist es beschieden, zu sterben; ich schwöre es bei meiner Geburt und allem, was mir lieb ist auf der Welt – du wirst nicht sterben! Wenn es aber schon dazu kommt und man durch nichts – durch keine Kraft, durch kein Gebet und durch keinen Wagemut das bittere Los wird abwenden können, dann werden wir gemeinsam sterben, und ich werde zuerst sterben, vor dir werde ich sterben, vor deinen schönen Knien, und nur als Leiche wird man mich von dir trennen.«
»Betrüge nicht, Ritter, dich und mich«, sprach sie, indem sie leise ihr schönes Haupt schüttelte. »Ich weiß, und zu meinem großen Kummer weiß ich es allzugut, daß du mich nicht lieben kannst; ich weiß auch, was deine Pflicht und Bestimmung ist: dich ruft der Vater, die Gefährten, die Heimat, wir aber – sind deine Feinde.«
»Aber was sind mir denn Vater, Gefährten und Heimat?« sprach Andrij, rasch sein Haupt zurückwerfend, und er richtete sich ganz gerade auf, wie die Pappel am Ufer, in seiner ganzen Größe. »Wenn dem so ist, so wisse denn dieses: Ich habe niemand! niemand! niemand!« wiederholte er mit derselben Stimme und begleitete sie mit derselben Handbewegung, mit der ein fester, unerschütterlicher Kosak seinen Entschluß kundgibt zu einer unerhörten und für jeden anderen unmöglichen Tat. »Wer sagte denn, daß meine Heimat die Ukraine ist? Wer gab sie mir denn zur Heimat? Heimat ist das, was unsere Seele sucht, was ihr lieber ist als alles andere. Meine Heimat – bist du! Das ist meine Heimat! Und ich werde diese Heimat in meinem Herzen tragen, ich werde sie da tragen, solange ich lebe, und ich will einmal sehen, ob sie irgendwer von den Kosaken herausreißen wird! Und alles – was es auch sei – werde ich verkaufen, verschenken, vernichten für eine solche Heimat!«
Auf einen Augenblick erstarrt wie eine schöne Statue, schaute sie ihm in die Augen, und plötzlich weinte sie, und mit wundervollem weiblichem Ungestüm, zu dem niemand sonst fähig ist als einzig und allein eine unermeßlich großmütige Frau, die geschaffen ward zur schönen Erregung des Herzens, stürzte sie ihm an den Hals, umfaßte sie ihn mit ihren schneeweißen wundervollen Armen und brach in Schluchzen aus. Zu dieser Zeit erklangen auf der Straße verworrene Schreie, begleitet von Hörnern und Paukenklang; er hörte sie aber nicht, er fühlte nur, wie ihn wundervolle Lippen mit der wohlriechenden Wärme ihres Atems umfingen, wie ihre Tränen in Strömen ihm über das Gesicht liefen und all ihr duftendes Haar, vom Kopf herabsinkend, ihn umfing mit seiner dunkeln und leuchtenden Seide.
Da lief mit einem Freudeschrei die Tatarin zu ihnen herein. »Gerettet, gerettet!« rief sie wie von Sinnen. »Die Unsrigen sind in die Stadt gezogen, haben Brot, Weizen, Mehl und gefesselte Saporoger mitgebracht!« Voll von nicht irdischen Gefühlen küßte Andrij die duftenden Lippen, die sich seiner Wange anschmiegten, und die duftenden Lippen blieben die Antwort nicht schuldig. Sie gaben dieselbe Antwort, und in diesem ineinanderfließenden Kuß ward das empfunden, was nur einmal im Leben den Menschen zu fühlen beschieden ist.
Und zugrunde ging der Kosak! Verloren ging er für das ganze kosakische Rittertum! Nicht sollte er mehr Saporogien schauen, noch seine väterlichen Höfe, noch die Kirche Gottes. Auch die Ukraine sollte nicht mehr erblicken den tapfersten von ihren Söhnen, der ausgezogen war, sie zu schützen. Ausreißen wird sich der alte Taras ein Büschel grauer Haare und den Tag und die Stunde verfluchen, wo er sich zur Schande einen solchen Sohn zeugte.
Lärm und Bewegung erhoben sich im Lager der Saporoger. Anfangs vermochte sich niemand genaue Rechenschaft zu geben, wie es sich ereignet hatte, daß die Heere in die Stadt eingezogen waren. Später erst erwies es sich, daß die ganze Perejaslawische Abteilung, die vor den Seitentoren der Stadt ihr Lager hatte, tödlich betrunken war; man brauchte sich deshalb nicht zu wundern, daß die eine Hälfte niedergemacht, die andere aber gefesselt worden war, bevor sie noch herausbringen konnte, worum es sich handelte. Bis die benachbarten Abteilungen, von dem Lärm erweckt, zum Gewehr greifen konnten, war das Heer schon in die Tore eingezogen, und nur die letzten Reihen tauschten Schüsse aus mit den in Unordnung auf sie eindringenden verschlafenen und halb betrunkenen Saporogern.
Der Oberst befahl allen, sich zu versammeln, und als alle im Kreise herumstanden, die Mützen abgenommen hatten und verstummt waren, sprach er: »Da seht ihr also, ihr Herren Brüder, was sich in dieser Nacht ereignete; da habt ihr es, wozu der Suff führt! Da seht ihr, welche Schmach uns der Feind antat! Bei euch, das ist zu ersehen, besteht schon eine solche Einrichtung: erlaubt man die Portion zu verdoppeln, so seid ihr schon bereit, euch so zu betrinken, daß der Feind der Christenkriegerschaft euch nicht nur die Hosen auszieht, euch vielmehr mitten ins Gesicht niest, ohne daß ihr das auch nur merkt!«
Die Kosaken standen da, die Köpfe gesenkt, ihrer Schuld bewußt; einzig und allein der Nesamaikowskische Abteilungsataman, Kukubenko, antwortete. »Halt ein, Väterchen!« sprach er. »Wenn es auch nicht gesetzlich ist, einen solchen Ausdruck zu gebrauchen, wenn der Oberst im Angesichte des ganzen Heeres spricht – ja, aber die Sache war gar nicht so, das muß man sagen. Du hast nicht völlig gerecht dem ganzen christlichen Heere einen Vorwurf gemacht. Die Kosaken wären schuldig und des Todes würdig, wenn sie sich betrunken hätten auf dem Marsche, im Kriege, bei schwerer, mühevoller Arbeit, wir aber saßen tatenlos, trieben uns ziellos vor der Stadt umher. Weder Fasten war es noch eine andere christliche Enthaltung: wie kann es da anders sein, als daß der Mensch sich beim Müßiggang antrinkt? Sünde ist dabei gar keine. Wir aber wollen ihnen jetzt lieber zeigen, was es heißt, unschuldige Leute zu überfallen. Vordem schon schlugen wir uns gut, jetzt aber wollen wir schon so schlagen, daß auch nicht fünfe mehr von ihnen nach Hause zurückkehren.«
Die Rede des Abteilungsatamans gefiel den Kosaken. Sie begannen schon die gesenkten Häupter zu erheben und murmelten: »Gut sprach Kukubenko!« Taras Bulba aber, der nicht weit vom Obersten stand, sagte: »Wie denn, Oberst, es ist zu sehen, Kukubenko hat die Wahrheit gesprochen! Was wirst du darauf entgegnen?«
»Was ich darauf sagen werde? Das werde ich sagen: Gesegnet ist der Vater, der einen solchen Sohn gebar: es gehört schon keine große Weisheit dazu, ein tadelndes Wort zu sprechen, wohl aber ist es große Weisheit, ein solches Wort zu sprechen, das, ohne über das Unglück des Menschen zu schelten, ihn aufmuntert, ihm Mut gibt, wie die Sporen dem Pferde, das sich durch einen Trunk Wasser erfrischte. Ich selber wollte euch vorhin noch ein tröstendes Wort sagen, Kukubenko ist mir aber zuvorgekommen.«
»Gut sprach auch der Oberst!« vernahm man in den Reihen der Saporoger. »Ein gutes Wort!« wiederholten andere. Auch die allerältesten, die dastanden wie graue Tauben, auch die nickten mit dem Kopfe, zuckten mit dem grauen Schnurrbart und sagten leise: »Ein gut gesprochenes Wort!«
»So hört denn, ihr Herren!« fuhr der Oberst fort. »Eine Festung zu nehmen, hinaufzukrabbeln und sie zu unterwühlen, wie das die ausländischen deutschen Meister machen – der Teufel soll sie holen –, ist nicht anständig und nicht Sache der Kosaken. Aber nach dem zu urteilen, was ist, so zog der Feind in die Stadt nicht mit großen Vorräten ein, nur wenige Karren hatte er mit sich, das Volk in der Stadt ist aber hungrig, demnach werden sie alles auf einmal aufessen, ja, und den Pferden sogar das Heu … ich weiß schon nicht, ob einer ihrer Heiligen ihnen etwas vom Himmel auf ihre Gabel fallen lassen wird … das weiß Gott allein; ihre Pfaffen verstehen sich aber einzig und allein auf Worte. Aus diesem oder aus einem anderen Grunde werden sie schon aus der Stadt herauskommen. Verteilt euch in drei Haufen und stellt euch auf die drei Wege vor den drei Toren. Vor dem Haupttore fünf Abteilungen, vor den übrigen je drei. Die Djadkiwskische und Korsunskische Abteilung in den Hinterhalt. Der Oberst Taras mit seinem Regiment in den Hinterhalt! Die Tütarewskische und Tümoschewskische Abteilung zur Reserve von der rechten Seite der Fuhren! Die Schtscherbinowskische und Steblikowskische hingegen von der linken! Ja tretet aus der Reihe hervor, junge Burschen, die ihr euch aufs Höhnen versteht, den Feind zu reizen! Der Ljach ist von leerköpfiger Natur: Schimpfen hält er nicht aus; und vielleicht werden sie alle heute schon aus dem Tore hinausziehen. Die Atamane sollen ein jeder seine Abteilung mustern, bei wem Lücken sind, der fülle sie mit den Resten der Perejaslawischen auf! Schaut noch einmal alles nach! Zur Ernüchterung soll man jedem Kosak einen Becher und ein Brot geben. Wohl ist ein jeder noch satt vom Gestrigen, denn wahrlich, es ist kein Platz da, alle haben sich derart vollgegessen, daß ich mich wundere, daß in der Nacht niemand platzte. Ja, da ist noch etwas zu sagen: wenn irgendein Schnapswirt von Juden einem Kosaken auch nur ein Krüglein Schnaps verkauft, so werde ich ihm mitten auf die Stirn ein Schweinsohr nageln, dem Hunde, und ihn mit den Füßen nach oben aufhängen! Nun an die Arbeit, Brüderchen! An die Arbeit!«
Solche Befehle erteilte der Oberst, und alle neigten sich ihm bis zum Gürtel, und ohne die Mützen aufzusetzen begaben sie sich zu ihren Fuhren und nach ihren Lagern, und erst als sie schon ganz weit weg waren, da erst setzten sie die Mützen auf. Alle begannen sich auszurüsten: sie erprobten die Säbel und Pallasche, schütteten Pulver aus Säcken in die Pulverhörner, stellten die Wagen auf und wählten Pferde aus.
Als Taras zu seinem Regimente schritt, dachte er darüber nach, wohin Andrij verschwunden sei, und er konnte zu keinem Schlusse gelangen. Hat man ihn etwa mit den anderen gefangengenommen und im Schlafe gefesselt? Das konnte aber nicht sein, Andrij hätte sich nicht lebendig gefangennehmen lassen. Unter den erschlagenen Kosaken war er gleichfalls nicht gewesen. In tiefen Gedanken schritt Taras vor seinem Regimente her, ohne zu hören, daß ihn lange schon jemand bei Namen rief. »Wer hat mich nötig?« sprach er endlich, zu sich kommend. Vor ihm stand Jankel.
»Herr Oberst! Herr Oberst!« sprach der Jude mit hastiger und stockender Stimme, so, als wolle er eine nicht ganz unwichtige Sache mitteilen. »Ich war in der Stadt, Herr Oberst!«
Taras blickte auf den Juden und wunderte sich, daß er es schon fertiggebracht hatte, in der Stadt zu sein … »Welcher Feind hat dich denn dahin geführt?«
»Ich will es sogleich erzählen«, sprach Jankel. »Als ich nur eben beim Morgengrauen Lärm vernahm und die Kosaken zu schießen begannen, ergriff ich meinen Kaftan, und ohne ihn anzuziehen, lief ich eilends dahin! Erst unterwegs schlüpfte ich in die Ärmel, weil ich möglichst rasch erfahren wollte, was der Lärm bedeute, weshalb die Kosaken gerade bei Tagesanbruch zu schießen begannen. Ich lief bis ganz zu den Toren der Stadt, zu der Zeit, als die letzten Soldaten in die Stadt einzogen. Ich sehe – vor einer Abteilung der Herr Fähnrich Galjandowitsch. Er ist mir bekannt: schon das dritte Jahr schuldet er mir hundert Dukaten. Ich lief ihm nach, wie in der Absicht, mit ihm die Schuld zu ordnen, und betrat mit ihnen zusammen die Stadt.«
»Wie bist du denn in die Stadt gekommen, ja, und dazu wolltest du auch noch eine Schuld einziehen?« sprach Bulba. »Hat er denn nicht befohlen, dich auf der Stelle aufzuhängen wie einen Hund?«
»Ja, bei Gott, er wollte mich aufhängen,« antwortete der Jude, »schon hatten mich seine Diener ergriffen und mir die Schlinge um den Kopf geworfen; ich aber flehte den Pan an, sagte, daß ich mit der Schuld warten werde, so lange er will, und versprach ihm noch weiter auf Borg zu geben, sobald er mir nur helfen werde, die Schulden bei den anderen Rittern einzukassieren; denn beim Herrn Fähnrich – ich werde alles dem Pan sagen – ist nicht ein Dukaten in der Tasche. Wenn er auch Höfe besitzt und Landhäuser und vier Schlösser und Steppenland bis zum Schkloff, so hat er doch ebenso wie ein Kosak niemals einen Groschen in der Tasche. Und auch jetzt, wenn ihn nicht seine Breslauer Juden ausgerüstet hätten, hätte er gar nicht gehabt, worin in den Krieg zu ziehen. Er war deshalb auch nicht auf der Ständeversammlung …«
»Was hast du denn in der Stadt gemacht? Sahst du dort die Unsrigen?«
»Wie denn? Der Unsrigen sind viele dort: Izka, Rachum, Sumuilo, Chaiwaloch, der jüdische Pächter …«
»Mögen sie krepieren, die Hunde!« rief im Zorn Taras, »Was reibst du mir denn deinen jüdischen Stamm unter die Nase. Ich frage dich nach unseren Saporogern.«
»Unsere Saporoger habe ich nicht gesehen, ich sah nur Pan Andrij.«
»Andrij sahst du?!« rief Bulba aus. »Wie denn, wo hast du ihn gesehen? Im Keller? In der Grube? Entehrt? Gefesselt?«
»Wer würde denn wagen, Pan Andrij zu fesseln? Jetzt ist er ein so wichtiger Ritter … Bei Gott, ich habe ihn gar nicht erkannt! Die Achselbänder in Gold und die Ärmlinge in Gold, und der Kragen in Gold, und die Mütze in Gold, und am Gürtel Gold, und überall Gold, und alles Gold. So wie die Sonne ausschaut im Frühling, wenn im Felde jedes Vögelchen zwitschert und singt und das Gräschen duftet, so strahlt auch er ganz in Gold. Auch ein Pferd gab ihm der Wojewode, das allerbeste, zum Reiten. Zweihundert Dukaten kostet allein das Pferd.«
Taras erstarrte. »Weshalb legte er denn fremde Kleidung an?«
»Weil sie besser ist, deshalb hat er sie angezogen. Und selber reitet er umher, und die anderen reiten umher; er lehrt, und ihn lehrt man: wie der allerreichste polnische Pan!«
»Wer hat ihn denn dazu gezwungen?«
»Ich sage ja gar nicht, daß ihn irgendwer gezwungen hat. Weiß denn der Pan gar nicht, daß er freiwillig zu ihnen überging?«
»Wer ging über?«
»Aber doch Pan Andrij!«
»Wohin ging er über?«
»Er ging auf ihre Seite über; er ist jetzt schon völlig der ihrige.«
»Du lügst, Schweinesohn!«
»Wie ist es denn möglich, daß ich log? Bin ich denn ein Dummkopf, daß ich lügen werde? Werde ich denn auf mein eigenes Haupt lügen? Weiß ich denn nicht, daß man einen Juden aufhängt wie einen Hund, wenn er vor einem Pan lügt?«
»So kommt das denn darauf hinaus: Deiner Anschauung nach verkaufte er Vaterland und Glauben?!«
»Ich sage ja gar nicht, daß er etwas verkauft hat: ich sagte nur, daß er zu ihnen überging.«
»Du lügst, Teufelssohn! So etwas gab es noch gar nicht auf der christlichen Erde! Du irrst, Hund!«
»Möge Gras wachsen auf der Schwelle meines Hauses, wenn ich mich irre. Möge jeder auf das Grab meines Vaters spucken, meiner Mutter, des Vaters meiner Frau, des Vaters meines Vaters und des Vaters meiner Mutter, wenn ich mich irre. Wünscht es der Pan, so werde ich sogar auch sagen, weshalb er zu ihnen überging.«
»Weshalb?«
»Der Wojewode hat eine schöne Tochter. Heiliger Gott, was für eine Schönheit!« Hier bemühte sich der Jude, so gut er konnte, in seinem Gesicht die Schönheit auszudrücken, indem er die Arme ausbreitete, die Augen zukniff und den Mund zur Seite zog, als ob er irgend etwas schmecke.
»Nun, was folgt denn daraus?«
»Für sie hat er ja alles getan, für sie ist er auch übergegangen. Wenn der Mensch sich verliebt, so ist er wie eine Schuhsohle: hast du die im Wasser eingeweicht, so nimm sie und biege sie – sie wird sich sogar zusammenbiegen lassen.«
Tief dachte Bulba nach. Er erinnerte sich, daß die Macht des schwachen Weibes groß ist, daß sie schon viele Starke zugrunderichtete, daß von dieser Seite her die Natur des Andrij empfänglich sei; und lange stand er, wie angeschmiedet, an ein und derselben Stelle.
»Höre, Pan, ich will alles dem Pan erzählen«, sprach der Jude. »Wie ich nur eben den Lärm hörte und sah, daß man durch das Stadttor schritt, nahm ich auf jeden Fall eine Perlschnur mit mir, weil es in der Stadt schöne und adlige Frauen gibt; wenn es aber in der Stadt schöne und adlige Frauen gibt, sprach ich zu mir, so mögen sie auch nichts zu essen haben, gleichwohl werden sie Perlen kaufen. Und als mich nur eben die Diener des Fähnrichs losgelassen hatten, lief ich zum Hause des Wojewoden, die Perlen zu verkaufen. Alles erfrug ich bei der tatarischen Dienerin: ›Die Hochzeit wird gefeiert werden, sobald man die Saporoger verjagt hat. Pan Andrij versprach ja, die Saporoger zu verjagen.‹«
»Hast du ihn nicht gleich dort auf der Stelle getötet, den Teufelssohn?« schrie Bulba.
»Wofür denn töten? Er ging freiwillig über. Wodurch ist der Mann schuldig? Dort ist es ihm besser, dahin ging er auch über.«
»Hast du ihn von Angesicht gesehen?«
»Bei Gott! Gerade von Angesicht! Was für ein herrlicher Krieger! Ansehnlicher als alle. Möge ihm Gott Gesundheit schenken, er hat mich sogleich erkannt; und als ich zu ihm trat, sagte er sogleich …«
»Was hat er denn gesagt?«
»Er sagte, vordem winkte er mit dem Finger, dann aber sagte er schon: ›Jankel!‹ Ich aber sprach: ›Pan Andrij!‹ ›Jankel, sage dem Vater, sage den Saporogern, sage allen, daß mein Vater mir jetzt nicht mehr Vater ist, mein Bruder nicht mehr Bruder, mein Kamerad nicht mehr Kamerad, und daß ich mit ihnen kämpfen werde, mit ihnen allen.‹«
»Du lügst, Teufelssohn!« schrie Taras außer sich. »Du lügst, Hund! Du hast auch Christus gekreuzigt, von Gott verfluchter Kerl! Ich werde dich totschlagen, Satan! Verschwinde von hier, nein, nicht das – hier auf der Stelle soll dein Tod sein!« Mit diesen Worten ergriff Taras seinen Säbel. Der erschrockene Jude riß sogleich aus, so rasch, als ihn nur seine dünnen, vertrockneten Beine tragen konnten. Lange lief er noch, ohne sich umzuschauen, durch das Kosakenlager und dann weit über das ganze freie Feld, obgleich ihm Taras durchaus nicht nachjagte, da er sich darauf besonnen hatte, daß es unvernünftig sei, seinen Zorn an dem ersten besten auszulassen.
Jetzt erinnerte er sich auch, daß er in der letzten Nacht den Andrij gesehen habe, wie er durch das Lager schritt mit irgendeinem Weib, und er senkte seinen grauen Kopf, aber immer noch wollte er nicht glauben, daß sich so etwas Schmähliches ereignen konnte und daß sein eigener Sohn Glauben und Seele verkauft habe.
Endlich führte er sein Regiment in den Hinterhalt und versteckte sich mit ihm hinter dem einzigen Wald, der von den Kosaken nicht verbrannt worden war. Die Saporoger aber zu Pferd und zu Fuß zogen auf die drei Wege, die zu den drei Toren führten. Eine hinter der anderen drängten sich die Abteilungen: die Umanskische, Popowitschewskische, Kanewskische, Steblikowskische, Nesamaikowskische, Gurgusiwische, Tütarewskische, Tümoschewskische. Nur allein die Perejaslawskische Abteilung fehlte: gar zu fest hatten deren Kosaken geschlafen und ihr Schicksal verschlafen. Der eine war aufgewacht, gefesselt, in den Armen des Feindes, der andere konnte durchaus nicht wach werden und war schlafend in die feuchte Erde übergegangen, und der Ataman Chlib selber befand sich ohne Hosen und Oberkleid im Ljachenlager.
In der Stadt hatte man die Bewegung der Kosaken wahrgenommen. Alle waren auf den Wall hinausgeströmt, und es bot sich den Kosaken ein prächtiges Bild: polnische Ritter, einer schöner als der andere, standen auf dem Wall. Wie die Sonne glänzten die Kupferhelme, mit schwanenweißen Federn geschmückt. Andere hatten leichte Mützen auf, rosafarbene und blaue, mit seitwärts gebogenen Zipfeln; Kaftane mit zurückgeschlagenen Ärmeln, mit Gold gestickt oder einfach mit Schnüren belegt; ihre Säbel und Gewehre zeigten kostbaren Schmuck, wofür die Pane teuer überzahlt hatten – viel war da jeder Art anderen Zierats vorhanden. Vorn stand, hochmütig, in schöner, mit Gold verzierter Mütze, der budschakowskische Oberst. Schwer war er, größer und dicker als alle anderen, und ein breiter, kostbarer Kaftan vermochte ihn kaum zu umhüllen. Auf der anderen Seite, fast an dem Seitentor, stand ein anderer Oberst, von nicht hohem Wuchs, ganz vertrocknet; aber die kleinen, scharfen Augen blickten lebhaft aus den dicht verwachsenen Brauen, und er drehte sich rasch nach allen Seiten, während er flink mit seiner schmalen, vertrockneten Hand Zeichen gab und Befehle erteilte; es war zu sehen, daß er ungeachtet seines kleinen Wuchses die Soldatenwissenschaft gut beherrschte. Nicht weit von ihm stand ein Fähnrich, sehr lang, mit dichtem Schnurrbart, und es fehlte seinem Gesicht durchaus nicht an Farbe: der Pan liebte kräftige Weine und ein gutes Mahl. Und viel war zu sehen hinter ihnen von jeder Art Schlachta, von denen sich die einen auf eigene Kosten, die anderen auf Kosten des Königs ausgerüstet hatten, wieder ein anderer auf jüdische Gelder, wozu er alles versetzt hatte, was sich nur im Schlosse seiner Ahnen vorfand. Nicht wenig waren es auch aller Art Schmarotzer, wie sie die Senatoren mit sich zum Mittagessen nehmen, um sie auszuzeichnen, die von der Tafel und aus den Büfetts Silberbecher stehlen und nach der heutigen Ehrung sich am anderen Tag auf den Bock setzen, um bei irgendeinem Pan die Rosse zu lenken. Jeder Art Leute gab es dort. Einige hatten nicht einmal, wofür zu trinken, für den Krieg hatten sich aber alle herausgeputzt.
Die Kosaken standen still vor den Mauern. An keinem von ihnen war Gold zu erblicken: höchstens blitzte es irgendwo an den Säbelklingen und Gewehren. Die Kosaken liebten nicht, sich reich zu schmücken in den Schlachten. Einfach waren bei ihnen die Ringpanzer und Kleider, und weithin sichtbar glänzten ihre goldbezipfelten schwarzen Schafpelzmützen.
Zwei Kosaken ritten aus den Reihen der Saporoger hervor: einer, noch ganz jung, der andere älter, beide in Worten gewandte und auch in Taten nicht schlechte Kosaken: Ochrim Nasch und Nikita Golokopütinko. Hinter ihnen ritt auch Demid Popowitsch, ein stämmiger Kosak, der sich schon lange in Sjetsch herumtrieb, bei Adrianopel gewesen war und viel in seinem Leben durchgemacht hatte: er sollte verbrannt werden und war nach Sjetsch gelaufen mit beteertem, schwarzgewordenem Kopf und verbranntem Schnurrbart; Popowitsch war aber von neuem fett geworden, und es war ihm auch wieder ein neuer Schnurrbart gewachsen, dicht und schwarz wie Pech. Stark war in beißenden Worten Popowitsch.
»Ja, rote Röcke sehe ich im ganzen Heere, ich möchte nur wissen, ob auch ›rote‹ Kraft im Heere ist?«
»Sieh mal an, ich werde euch!« schrie von oben herab der dicke Oberst. »Alle werde ich binden lassen! Gebt ab Gewehre und Pferde, ihr Knechte! Habt ihr gesehen, wie ich die Eurigen fesseln ließ? Führt ihnen die Saporoger auf den Wall!«
Und man führte die mit Stricken gebundenen Saporoger hinaus. Allen voran den Abteilungsataman, ohne Hosen und Oberkleid, so wie man den Betrunkenen ergriffen hatte. Sein Haupt senkte der Ataman zur Erde und schämte sich vor seinen eigenen Kosaken, seiner Blöße wegen und auch deshalb, weil er in Gefangenschaft gefallen war wie ein Hund, schlafend. In einer einzigen Nacht war sein starkes Haupt ergraut.
»Sei nicht traurig, Chib! Wir werden dich schon befreien!« schrien ihm von unten her die Kosaken zu.
»Sei doch nicht traurig, Freundchen!« ließ sich der Abteilungsataman Borodatij vernehmen. »Das ist nicht deine Schuld, daß man dich nackt ergriff: Unglück kann jedem Menschen passieren; schämen müssen sich aber die da, daß sie dich zur Schmach ausstellten, ohne vorher anständig deine Blöße zu bedecken.«
»Ihr seid augenscheinlich sehr tapfer gegen schlafende Leute?« sprach auf den Wall hinaufschauend Golokopütenko.
»Gebt nur acht, wartet nur, wir werden euch die Schöpfe abschneiden!« rief man ihnen von oben zu.
»Ich möchte nur sehen, wie sie uns die Schöpfe abschneiden werden!« sprach Popowitsch, drehte sich vor ihnen auf dem Pferde herum und sagte dann, auf die Seinen blickend: »Aber wie denn? Vielleicht sprechen die Ljachen auch die Wahrheit: Wenn sie dieser Dickbauch da herausführen wird, werden sie alle wohl geschützt sein.«
»Weshalb glaubst du das denn?« frugen die Kosaken, wohl wissend, daß Popowitsch sich wahrscheinlich schon vorbereitet hatte, irgend etwas loszulassen.
»Deshalb, weil sich das ganze Heer hinter ihm verstecken kann, und man wird kaum irgendwen hinter solchem Schmerbauch mit der Lanze erreichen können.«
Alle Kosaken lachten; und lange noch schüttelten viele von ihnen den Kopf und sagten: »Nun ja … Popowitsch! Wenn der schon auf irgendwen ein Wörtchen losläßt, so ist es – nun …« Und es sagten doch nicht die Kosaken, was das für ein »nun« ist.
»Weichet, weichet rascher von den Mauern zurück!« rief der Kosakenoberst, denn die Ljachen hielten, so schien es, das bissige Wort nicht aus: der Oberst winkte mit der Hand.
Kaum hatten sich aber nur eben die Kosaken zurückgezogen, als vom Walle herab die Kartätschen dröhnten. Auf dem Walle ward es lebendig; es zeigte sich der grauhaarige Wojewode selber zu Pferde. Das Tor öffnete sich, und das Heer trat heraus. Voraus ritten in Reih und Glied beschnürte Husaren, hinter ihnen die Krieger in Ringpanzern und im Harnisch, mit Lanzen, dann alle die, die Kupferhelme trugen, dann ritten einzeln die besten Schlachtitzen, jeder in seiner Art gekleidet. In ihrem Stolze wollten sie sich nicht mit den Reihen der anderen mischen, und wer kein Kommando hatte, der ritt allein mit seinen Dienern. Dann wiederum neue Reihen, und hinter ihnen ritt der Fähnrich; hinter ihm neue Reihen, und dann kam der dicke Oberst geritten, aber schon hinter dem ganzen Heere ritt als letzter der kleine Oberst.
»Gebt ihnen keine Ruhe! Laßt sie sich nicht aufstellen und in Reihen treten!« schrie der Kosakenoberst. »Bedrängt sie alle auf einmal, ihr Abteilungen! Verlaßt alle übrigen Tore! Die Tütarewskische Abteilung greife von der einen Seite an! Die Djadkiwskische Abteilung von der anderen! Drängt in den Rücken, Kukubenko und Paliwoda! Stört sie, stört sie und bringt sie auseinander!«
Und die Kosaken schlugen von allen Seiten drauflos, verwirrten die Ljachen, brachten sie in Unordnung und vermischten sich selber mit ihnen. Sie gaben ihnen nicht einmal die Möglichkeit, zu schießen; es kam zum Kampf mit dem Schwert, ja, und mit der Lanze. Alle drängten sich zu einem Haufen zusammen, und jedem bot sich die Gelegenheit, sich zu zeigen.
Demid Popowitsch durchbohrte drei einfache Schlachtitzen und schlug zwei der besten von den Pferden mit den Worten: »Das sind einmal gute Pferde! Solche Pferde wollte ich schon lange haben.« Und er jagte die Pferde weit ins Feld und schrie den dort stehenden Kosaken zu, sie anzuhalten. Dann stürzte er sich wieder in den Haufen und stieß wieder auf die von den Pferden heruntergeschlagenen Schlachtitzen; den einen tötete er, dem anderen warf er eine Schlinge um den Hals, band ihn an den Sattel und schleifte ihn über das ganze Feld, nachdem er ihm den Säbel mit teurem Griff abgenommen und ihm vom Gürtel einen ganzen Beutel mit Dukaten losgebunden hatte.
Kobita, ein guter Kosak und noch jung, geriet gleichfalls mit einem von den Tapfersten im polnischen Heere aneinander, schon hatte der Kosak die Oberhand gewonnen, den Gegner niedergeworfen und ihm ein spitzes türkisches Messer in die Brust gestoßen; er kam aber auch selber nicht mit dem Leben davon: gerade dort traf ihn eine heiße Kugel in die Schläfe. Der berühmteste der Pans hatte ihn hingestreckt, der schönste Ritter, von altem Fürstengeschlecht. Wie eine schlanke Pappel flog er dahin auf seinem rotbraunen Pferde. Und er hatte schon viel bojarischen Heldenmut bewiesen, zwei Saporoger hatte er erschlagen. Den Fjedor Korsch, einen guten Kosaken, hatte er mitsamt seinem Pferde zu Fall gebracht, auf das Pferd geschossen und den Kosaken unter dem Pferde hervor mit der Lanze erreicht; vielen hatte er die Köpfe und Hände abgeschlagen und endlich den Kosaken Kobita zu Fall gebracht, indem er ihm eine Kugel in die Schläfe jagte.
»Der ist es, mit dem ich meine Kräfte messen möchte!« schrie der Nesamaikowskische Ataman Kukubenko. Er trieb sein Pferd an, flog ihm gerade in den Rücken und schrie so stark, daß alle in der Nähe Stehenden vor dem unmenschlichen Schrei erzitterten. Der Ljach wollte sein Pferd plötzlich drehen und dem Feinde sein Gesicht zuwenden, das Pferd gehorchte aber nicht: erschrocken von dem schrecklichen Schrei scheute es zur Seite, und es erreichte ihn mit seiner Gewehrkugel Kukubenko. Zwischen die Schulterblätter traf ihn die heiße Kugel, und er stürzte vom Pferd herab. Aber auch jetzt ergab sich der Ljache nicht, immer noch bemühte er sich, dem Feinde einen Schlag zu versetzen. Doch schwach ward die Hand und fiel herab mitsamt dem Säbel. Kukubenko aber nahm in beide Hände seinen schweren Pallasch und schlug ihn mitten in die bleich gewordenen Lippen: zwei zuckerne Zähne schlug der Pallasch aus, spaltete die Zunge, zerspaltete den Halswirbel und drang noch tief in die Erde. So nagelte er ihn dort für immer an die feuchte Erde. In einem Springquell sprang nach oben, rot wie Rotdorn, das hohe Adelsblut und färbte ganz seinen goldgestickten gelben Kaftan. Kukubenko hatte ihn aber schon verlassen und sich mit seinen Nesamaikowern in einen anderen Haufen gestürzt.
»Ach, er ließ unberührt eine so kostbare Ausrüstung«, sprach der Umanskische Abteilungsataman Borodatij, als er von den Seinigen weg zu dem Platze geritten kam, wo der von Kukubenko erschlagene Schlachtitze lag. »Sieben Schlachtitzen habe ich mit eigener Hand erschlagen, eine solche Ausrüstung aber noch bei keinem gesehen!« Und Borodatij ließ sich von Habsucht verführen: er bückte sich, um dem Toten die teure Rüstung abzunehmen, schon nahm er den türkischen Dolch in einer Scheide von Edelsteinen, band vom Gürtel einen Beutel mit Dukaten ab, nahm von der Brust ein Säckchen aus feinem Linnen, mit teurem Silber und der Locke einer Jungfrau, sorgfältig zum Andenken aufbewahrt. Dabei hörte Borodatij nicht, wie von hinten der rotnasige Fähnrich auf ihn zuflog, den er schon einmal aus dem Sattel gehoben, und dem er einen guten Hieb zum Andenken versetzt hatte. Der holte mit dem ganzen Arm aus und schlug ihm mit dem Säbel auf den gebückten Hals. Nicht zum Guten hatte die Habsucht den Kosaken geführt: das mächtige Haupt sprang ab, und der kopflose Körper fiel hin, weit um sich her die Erde mit Blut benetzend. Die Kosakenseele erhob sich zu den Höhen, mürrisch und unwillig und dabei staunend, daß sie so früh entflohen sei aus einem so kräftigen Körper. Noch hatte der Fähnrich nicht das Haupt des Atamans am Schopfe zu fassen vermocht, um es an den Sattel zu binden, als ihn auch schon der rauhe Rächer ereilte.
Wie der am Himmel schwebende Habicht viele Kreise beschreibt mit mächtigen Flügeln und dann plötzlich stehenbleibt an einem Platze und von daher wie ein Pfeil herunterstößt auf das gerade am Wege aufschreiende Feldhuhn, so flog Taras' Sohn, Ostap, plötzlich auf den Fähnrich zu und warf ihm sogleich einen Strick um den Hals. Noch tiefer braunrot ward das rote Gesicht des Fähnrichs, als ihm die grausame Schlinge die Kehle zuzog; er wollte nach der Pistole greifen, aber die krampfhaft geführte Hand konnte den Schuß nicht lenken, und umsonst flog die Kugel ins Feld. Ostap band dort schon von des Fähnrichs eigenem Sattel die Seidenschnur ab, welche der mit sich führte, um die Gefangenen zu binden, und band ihn damit an Händen und Füßen, befestigte das Ende des Strickes am Sattel und schleifte ihn über das Feld, indem er laut alle Kosaken der Umanskischen Abteilung herbeirief, um ihrem Ataman die letzte Ehre zu erweisen.
Als die Umanzer vernahmen, daß ihr Ataman nicht mehr am Leben sei, verließen sie das Schlachtfeld und liefen herbei, um seinen Leichnam zu richten, und auf der Stelle begannen sie sich zu beraten, wen sie zum Ataman wählen sollten. Endlich sprachen sie: »Ja, wozu uns beraten? Einen Besseren können wir gar nicht zum Ataman machen als den Bulbenko Ostap: er ist freilich jünger als wir alle, Verstand hat er aber wie ein Alter!«
Ostap nahm die Mütze ab, dankte allen Kosakenkameraden für die Ehre und entschuldigte sich keineswegs mit seiner Jugend und seinem jungen Verstand, wissend, daß es Kriegszeit sei und es sich jetzt nicht darum handle, er führte sie vielmehr sogleich gerade zu dem Haufen der Kämpfenden und zeigte ihnen allen, daß sie ihn nicht umsonst zum Ataman erwählt hatten. Die Ljachen fühlten, daß die Sache schon allzu heiß geworden war, sie wichen zurück und liefen über das Feld, um sich an dessen anderem Ende zu sammeln. Der kleine Oberst winkte den gesondert bei dem Tore stehenden vier frischen Abteilungen, und sie schossen mit Kartätschen auf die Kosakenhaufen; die Kugeln trafen aber kaum irgendwen von ihnen, vielmehr die Ochsen der Kosaken, die scheu auf die Schlacht schauten. Die erschreckten Ochsen brüllten auf, wandten sich dem Kosakenlager zu, zerschlugen die Fuhren und zertrampelten viele Leute. Taras aber stürzte um diese Zeit mit seinem Regimente aus dem Hinterhalt und warf sich mit Schreien ihnen entgegen. Kehrt machte die rasende Herde, erschreckt vom Schrei, und stürzte sich auf die Regimenter der Ljachen, warf die Reiter um, verwirrte alle, drängte sie zusammen und zerstreute sie.
»Dank euch, ihr Ochsen!« schrien die Saporoger. »Den ganzen Zugdienst habt ihr geleistet, und jetzt habt ihr auch noch Kriegsdienst getan!« Und sie schlugen mit neuen Kräften auf den Gegner. Viele Feinde erschlugen sie damals. Viele zeichneten sich aus: Meteliza, Schilo, beide Pisarenko, Wowtusenko und noch viele, viele andere. Die Ljachen sahen, daß die Sache schlecht ablaufe, verließen die Fahnen und schrien, man solle die Stadttore öffnen.
Knarrend öffnete sich das eisenbeschlagene Tor und ließ die sich wie Schafe in den Schafstall drängenden ermatteten und staubbedeckten Reiter ein. Viele von den Saporogern wollten sie verfolgen. Ostap aber hielt seine Umanzer zurück und sagte: »Weiter, weiter, ihr Herren Brüder, von den Mauern weg! Es taugt nicht, ihnen nahe zu kommen.« Und er sprach die Wahrheit, denn von den Mauern schoß und warf man mit allem, was gerade zur Hand war, und viele wurden getroffen. Zu dieser Zeit ritt der Kosakenoberst heran und lobte Ostap, indem er sagte: »Da ist auch ein neuer Ataman, er führt aber das Heer so, als ob er ein alter sei!« Der alte Bulba blickte sich um, um zu schauen, was dort für ein neuer Ataman sei, und er sah, daß allen Umanzern voran Ostap zu Pferde saß; die Mütze ist zurückgeschoben, und den Atamanstab trägt er in der Hand. »Sieh mal an, was du für ein Kerl bist!« sprach Bulba, auf ihn schauend, und es freute sich der Alte und begann allen Umanzern für die seinem Sohn erwiesene Ehre zu danken.
Die Kosaken wichen wiederum zurück und wollten zum Lager zurückgehen; auf dem Stadtwall zeigten sich aber von neuem die Ljachen, schon in zerrissenen Mänteln. Blut klebte auf vielen kostbaren Kaftanen, und mit Staub bedeckt waren die schönen kupfernen Helme.
»Wie, habt ihr uns gebunden?« schrien ihnen von unten die Saporoger zu.
»Seht, da werde ich euch!« schrie immer noch ebenso von oben der dicke Oberst, indem er seine Schnur zeigte; und immer noch hörten nicht auf zu drohen die bestaubten, ermatteten Krieger, und die Frechsten auf beiden Seiten riefen einander kecke Worte zu.
Endlich gingen sie auseinander. Dieser wollte, erschöpft vom Kampfe, sich ausruhen; jener bestreute seine Wunden mit Erde und zerriß zu Verbänden Tücher und kostbare Kleider, die dem getöteten Feind abgenommen waren. Andere aber, die etwas frischer waren, begannen die Leichen zurechtzumachen und ihnen die letzte Ehre zu erweisen; mit Säbeln und Lanzen gruben sie Gräber, in Mützen und Rockschößen trugen sie die Erde heraus; sie legten die Kosakenkörper nieder, wie es sich gehört, und bestreuten sie mit frischer Erde, damit es den Raben und Raubadlern nicht gelinge, ihnen die Augen auszuhacken. Die Körper der Ljachen banden sie hingegen, wie es gerade kam, zu Dutzenden an die Schwänze wilder Pferde und ließen sie über das ganze Feld hinlaufen, und noch lange nachher jagten sie hinterdrein und peitschten sie in die Seiten. Es flogen die rasenden Pferde über Furchen und Erhöhungen, über Gräben und Bäche, und es schlugen an die Erde an die mit Blut und Staub bedeckten Leichen der Ljachen.
Dann setzten sich alle Abteilungen im Kreise zur Abendmahlzeit, und lange noch sprachen sie von den Taten und Heldentaten, die einem jeden zu vollführen beschieden war, zum ewigen Gedächtnis den Kommenden und der ganzen Nachkommenschaft. Lange legten sie sich nicht nieder; später als alle ging der alte Taras zur Ruhe; immer noch sann er darüber nach, was es wohl zu bedeuten habe, daß Andrij nicht unter den feindlichen Kriegern war. Schämte sich der Judas, gegen die Seinigen zu ziehen, oder hatte der Jude gelogen und war Andrij einfach unfreiwillig in Gefangenschaft geraten? Aber da entsann er sich auch, daß das Herz Andrijs über das Maß empfänglich war für Frauenworte, er fühlte Kummer und verschwor sich heftig im Herzen gegen die Polin, die seinen Sohn bezaubert hatte. Und er hätte seinen Schwur gehalten: er hätte nicht auf ihre Schönheit geschaut, an ihrem dichten üppigen Zopf hätte er sie herausgeschleppt und sie hinter sich hergeschleift über das ganze Feld zwischen allen Kosaken. Es hätten sich an der Erde zerschlagen und mit Blut und Staub bedeckt ihre wundervollen Brüste und Schultern, an Glanz gleich dem nie schmelzenden Schnee, der die Berggipfel bedeckt. Er hätte in Stücke zerfetzt ihren üppigen schönen Körper. Bulba sah aber nicht, was Gott den Menschen bereit hält, er begann sich im Schlummer zu vergessen und schlief endlich ein. Die Kosaken aber sprachen noch immer miteinander, und die ganze Nacht hindurch stand bei den Wachtfeuern, aufmerksam nach allen Seiten spähend, die nüchterne, schlaflose Wache.
Noch war die Sonne nicht bis zur Mitte des Himmels gestiegen, als alle Saporoger zu einem Kreise zusammentraten. Aus Sjetsch war die Nachricht gekommen, die Tataren hätten während der Abwesenheit der Kosaken dort alles geplündert, alles Hab und Gut ausgegraben, was die Kosaken unter der Erde verborgen hielten, alle Zurückgebliebenen verprügelt und gefangengenommen und mit allen zusammengetriebenen Rinder- und Pferdeherden den Weg nach Perekop eingeschlagen. Nur ein Kosak – Kaksin Goloducha – hatte sich unterwegs den Händen der Tataren entrungen, einen Tatarenfürsten erstochen, ihm einen Beutel mit Zechinen abgenommen und war, auf einem Tatarenpferde in Tatarentracht, anderthalb Tage und zwei Nächte der Verfolgung entronnen, hatte ein Pferd zu Tode gehetzt, sich unterwegs auf ein zweites gesetzt, auch das zu Tode gejagt und war nun auf dem dritten im Lager der Saporoger angekommen, nachdem er unterwegs erfahren hatte, daß die Saporoger bei Dubno lagen. Er konnte auch nur berichten, daß sich ein solches Unheil ereignet habe; weshalb es sich aber ereignet hatte, ob die zurückgebliebenen Saporoger nach Kosakengewohnheit gebummelt und sich hatten betrunken fangen lassen, und wie die Tataren den Ort erfahren hatten, wo das Heeresbesitztum vergraben lag – davon sagte er gar nichts. Gar sehr erschöpft war der Kosak und ganz aufgeschwollen, sein Gesicht war versengt von Wind und Sonne; er sank eben hin und verfiel in einen tiefen Schlaf.
In dergleichen Fällen war es bei den Saporogern üblich, auf der Stelle den Räubern nachzujagen, um sie noch auf dem Wege einzuholen, weil die Gefangenen sonst sogleich nach den Basaren Kleinasiens geschleppt werden konnten: nach Smyrna, auf die Insel Kreta und Gott weiß, an was für Orten man beschopfte Saporogerköpfe erblicken konnte. Das war es, weshalb sich die Saporoger versammelt hatten. Alle ohne Ausnahme standen, die Mützen auf dem Kopfe, da, weil sie nicht gekommen waren, einen obrigkeitlichen Befehl des Atamans zu vernehmen, vielmehr um sich wie Gleiche miteinander zu beraten. »Erst sollen die Ältesten Rat geben!« schrie man im Haufen.
»Der Oberst soll einen Rat geben«, sprachen andere.
Der Oberst nahm die Mütze ab, schon nicht so wie ein Vorgesetzter, vielmehr wie ein Kamerad, dankte allen Kosaken für die Ehre und sprach: »Viele Ältere und an Rat Klügere sind unter uns, wenn man mich aber ehrte, so ist mein Rat der: Keine Zeit zu verlieren, Kameraden, und hinter den Tataren herzujagen; denn ihr selber wißt, was der Tatar für ein Mensch ist: er wird mit dem geraubten Gut nicht erst unsere Ankunft abwarten, es vielmehr augenblicklich durchbringen, so daß man auch keine Spur mehr finden wird. So ist denn mein Rat: zu ziehen. Wir haben uns hier schon genug getummelt. Die Ljachen wissen jetzt, was die Kosaken für Kerle sind; für den Glauben haben wir uns gerächt, soweit es in unserer Kraft lag; Beute ist aber von einer hungrigen Stadt wenig zu holen. Und so ist denn mein Rat – zu ziehen.«
»Zu ziehen!« erklang es einstimmig in den saporogischen Abteilungen. Taras aber waren solche Worte durchaus nicht nach dem Herzen, und er ließ noch niedriger auf die Augen fallen seine mürrischen, graumelierten Brauen, Büschen ähnlich, die auf dem hohen Scheitel eines Berges erwuchsen und deren Gipfel nördlicher Nadelreif völlig bedeckt.
»Nein, nicht richtig ist dein Rat, Oberst!« sprach er. »Du sprichst nicht so, wie es sich gehört: du hast augenscheinlich vergessen, daß in Gefangenschaft die Unserigen bleiben, die von den Ljachen ergriffen wurden. Offenbar willst du, wir sollen das erste heilige Gesetz der Kameradschaft mißachten, wir sollen Mitbrüder zurücklassen, damit man ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abziehe oder ihre Kosakenkörper vierteile und sie in den Städten und Dörfern herumschicke, wie es bereits geschah mit dem Hetmann und den besten russischen Rittern in der Ukraine. Haben sie nicht etwa auch so schon genug unser Heiligtum gehöhnt? Was sind wir denn für Leute? frage ich euch alle. Was ist das für ein Kosak, der den Kameraden im Unglück verläßt, damit er wie ein Hund in der Fremde verkomme? Wenn es schon dahin gekommen ist, daß jeder die höchste Ehre für nichts achtet und sich beleidigende Worte auf seinen weißen Schnurrbart spucken läßt, so soll doch niemand mich tadeln. Allein werde ich hier bleiben!«
Unschlüssig waren die versammelten Saporoger.
»Hast du denn aber vergessen, tapferer Oberst,« sprach da Kadjaga, »daß Kameraden von uns auch in den Händen der Tataren sind, daß, wenn wir sie nicht jetzt befreien, ihr Leben zu ewiger Sklaverei den Heiden verkauft sein wird, was schlimmer ist als jeder Tod? Hast du denn vergessen, daß sie jetzt unseren ganzen Schatz in Händen haben, der erbeutet ward mit Christenblut?«
Alle Kosaken überlegten und wußten nicht, was zu sagen. Keinen von ihnen verlangte es danach, einen beleidigenden Ruhm zu verdienen. Da trat der an Jahren Älteste im ganzen Saporogerheere, Kasjan Bowdjug, vor alle hin. In Ehren stand er bei allen Kosaken, zweimal war er schon zum Obersten erwählt worden, und im Krieg war er gleichfalls ein gar guter Kosak, er war aber alt geworden und lange schon in keinen Feldzügen mehr gewesen; auch liebte er es nicht, Ratschläge zu erteilen; hingegen pflegte der alte Krieger im Kreise der Kosaken auf der Seite zu liegen und den Erzählungen von allerlei Taten und Feldzügen zu lauschen. Niemals mischte er sich in ihre Reden, er hörte vielmehr immer nur zu und drückte mit dem Finger die Asche in seiner kurzen Pfeife zusammen, die er niemals aus dem Munde nahm, und saß dann lange, leicht die Augen zusammengekniffen, und die Kosaken wußten nicht, ob er schlief oder immer noch zuhörte. Bei den letzten Feldzügen war er zu Hause geblieben, diesmal aber hatte es den Alten gepackt. Er schwenkte die Hand nach Kosakenart und sprach: »Was soll man da machen? Auch ich will ziehen: vielleicht werde ich dem Kosakentum zu irgendwas taugen!« Alle Kosaken verstummten, als er jetzt vor die Versammlung trat; denn lange schon hatten sie von ihm kein einziges Wort mehr vernommen. Jeder wollte hören, was Bowdjug sagen werde.
»Auch an mich kam die Reihe, ein Wort zu sagen, ihr Herren Brüder!« so begann er. »Hört, Kinder, auf einen Alten! Weise sprach der Oberst; und als Haupt des Kosakenheeres verpflichtet, den Heeresschatz zu schützen und um ihn zu sorgen, konnte er gar nichts Weiseres sagen. Das ist es, was ich sagen will … Möge dies meine erste Rede sein. Jetzt aber vernehmt, was meine andere Rede sagen wird: Eine große Wahrheit sagte auch Taras, der Oberst, Gott gebe ihm viele Jahre, und daß es mehr solcher Obersten in der Ukraine gebe! Die erste Pflicht und die höchste Ehre des Kosaken ist, die Kameradschaft aufrechtzuerhalten. Solange ich auf der Welt lebe, habe ich noch nicht gehört, ihr Herren Brüder, daß ein Kosak irgendwo seinen Kameraden verließ oder irgendwie ihn verriet. Diese und jene sind aber unsere Kameraden – ob es ihrer mehr oder weniger sind, ist einerlei, gleichwohl sind sie Kameraden, alle uns gleich teuer. So hört denn, was meine Rede ist: diejenigen, denen die von den Tataren Gefangenen lieb sind, mögen hinter den Tataren herjagen, denen aber die von den Ljachen Gefangenen lieb sind und die eine gerechte Sache nicht im Stich lassen wollen, die mögen bleiben. Der Oberst wird, seiner Pflicht nach, mit der einen Hälfte die Tataren verfolgen, die andere Hälfte wird sich aber einen stellvertretenden Ataman erwählen. Das zu sein kommt aber, wenn ihr ein weißes Haupt hören wollt, niemand anderem zu als einzig und allein Taras Bulba. Es ist keiner unter euch, der ihn an Heldentum erreichte.«
So sprach Bowdjug und verstummte. Da freuten sich alle Kosaken, daß sie der Alte so zur Vernunft zurückgeführt habe. Alle warfen ihre Mützen in die Höhe und schrien: »Dank dir, Väterchen! Du schwiegst, du schwiegst, lange schwiegst du, ja, und endlich hast du auch gesprochen; nicht umsonst meintest du, als du ins Feld zogst, du werdest dem Kosakentum taugen: so hat es sich auch gefügt.«
»Wie, seid ihr damit einverstanden?« frug der Oberst.
»Alle sind einverstanden!« schrien die Kosaken.
»Die Versammlung ist demnach beendet?«
»Die Versammlung ist beendet!« schrien die Kosaken.
»Hört aber jetzt den Heeresbefehl, Kinder«, sprach der Oberst, trat vor und setzte die Mütze auf, alle anderen Saporoger hingegen, so viele es ihrer waren, nahmen ihre Mützen ab und blieben unbedeckten Hauptes, die Augen zu Boden gesenkt, wie es immer unter den Kosaken war, wenn sich der Älteste anschickte, etwas zu reden. »Jetzt trennt euch, ihr Herren Brüder! Wer ziehen will, gehe zur Rechten; wer bleibt, gehe zur Linken! Wohin der größere Teil einer Abteilung geht, dahin geht auch der Ataman; wenn der kleinere Teil einer Abteilung übergeht, soll sie sich den anderen Abteilungen anschließen!«
Und alle begannen auseinanderzugehen, diese zur Rechten, jene zur Linken. Wohin der größere Teil einer Abteilung überging, dahin ging auch der Ataman; wohin der kleinere Teil einer Abteilung überging, da schloß er sich den anderen Abteilungen an; und es kam fast auf die Hälfte auf jeder Seite heraus. Bleiben wollten fast die ganze Nesamaikowskische Abteilung, die größere Hälfte der Popowitschewskischen, die ganze Umanskische, die ganze Kanewskische, der größere Teil der Steblikowskischen und Tümoschewskischen Abteilung. Alle übrigen erklärten sich bereit, zu ziehen, die Tataren einzuholen. Viel waren auf beiden Seiten starker und tapferer Kosaken. Unter denen, die den Tataren auf der Spur zu folgen beschlossen, war Tscherewatij, ein guter alter Kosak, Pokotipole, Lemisch, Prokopowitsch Thoma. Demid Popowitsch ging ebenfalls dahin über, weil er ein Kosak von gar unternehmendem Charakter war und nicht lange auf einer Stelle sitzen konnte: mit den Ljachen hatte er schon die Sache erprobt, er wollte es noch mit den Tataren probieren. Die Abteilungsatamane waren: Nostügan, Pokrischka, Newelitschkij, und noch viele andere tüchtige und tapfere Kosaken begehrten das Schwert zu erproben und die mächtige Schulter im Handgemenge mit den Tataren. Nicht wenig waren gleichfalls äußerst tüchtige Kosaken unter denen, die bleiben wollten: die Atamane Demitkowitsch, Kukubenko, Wertichwist, Balaban, Bulbenko Ostap und außer ihnen noch viele andere berühmte und starke Kosaken: Wowtusenko, Tscherewitschenko, Stepan Guska, Ochrim Guska, Nikola Gustoi, Sadoroschnij, Meteliza, Iwan Sakrutiguba, Mossij Schilo, Degtjarenko, Sidorenko, Pisarenko, dann der andere Pisarenko, dann noch ein Pisarenko und noch viele andere gute Kosaken. Alle waren viel gefahren und herumgekommen, an den anatolischen Ufern gewesen, an den Salinen und Steppen der Krim, an allen großen und kleinen Flüssen, die in den Dnjepr einmünden, an allen seinen Buchten und Inseln: sie waren im moldauischen, im walachischen und türkischen Lande gewesen; sie hatten das ganze Schwarze Meer befahren auf zweirudrigen Kosakenbooten, sie waren mit fünfzig Booten zugleich über die reichsten und höchsten Schiffe hergefallen; sie hatten nicht wenige türkische Galeeren versenkt und viel, viel Pulver in ihrem Leben verschossen. Mehr wie einmal hatten sie teure Kissenbezüge und Samte zu Fußlappen zerrissen; mehr wie einmal hatten sie ihre Beutel an der Gürtelschnur ganz mit goldenen Zechinen gefüllt. Wieviel aber ein jeder von ihnen von Gut, das einem anderen fürs ganze Leben gereicht hätte, vertrunken und verbummelt hatte, das kann man gar nicht zählen. Alles hatten sie ausgegeben auf Kosakenart; die ganze Welt hatten sie bewirtet und Musikbanden spielen lassen, damit alles sich erheitere, was nur da ist. Auch jetzt noch besaß kaum einer nicht irgendein Gut: Krüge, silberne Kelche und Armbänder, das unter dem Schilf auf den Inseln des Dnjeprs vergraben war, damit der Tatar es nicht finden könnte, wenn es ihm, im Falle des Unglücks, gelungen sei, plötzlich über Sjetsch herzufallen; es wäre aber den Tataren schwer gefallen, es zu finden, weil schon der Besitzer selber zu vergessen begann, an welchem Orte er sein Gut vergraben hatte. So waren die Kosaken, die zu bleiben und sich an den Ljachen zu rächen wünschten, wegen ihrer treuen Kameraden und wegen des Christenglaubens! Auch der alte Kosak Bowdjug wollte bleiben und sprach: »Jetzt sind meine Jahre nicht solche, um hinter den Tataren herzujagen, hier aber ist der Ort, um eines guten Kosakentodes zu sterben. Längst schon bat ich Gott, wenn es dazu kommen werde, mein Leben abzuschließen, daß das im Kriege geschehen möge für eine heilige und christliche Sache. So hat es sich auch ereignet. Ein tüchtigeres Ende wird es schon nicht geben an einem anderen Ort für einen alten Kosaken!«
Als alle sich getrennt hatten und auf zwei Seiten getreten waren, in zwei Reihen, nach den einzelnen Abteilungen, da ging der Oberst zwischen ihnen durch und sagte: »Wie denn, ihr Herren Brüder, ist eine Seite mit der anderen zufrieden?«
»Alle sind zufrieden, Väterchen!« antworteten die Kosaken.
»Nun, so küßt euch denn und gewährt einer dem anderen Vergebung, denn Gott weiß, ob es noch im Leben dazu kommen wird, daß wir uns wiedersehen. Hört auf eure Atamane und vollführt das, was ihr selber wißt; ihr selber wißt, was die Kosakenehre befiehlt!«
Und alle Kosaken, so viele es ihrer waren, küßten einander. Es begannen die Atamane: sie schoben mit der Hand den grauen Schnurrbart zurück und küßten sich übers Kreuz, nahmen sich dann an die Hände und hielten sie fest, einer wollte den anderen fragen: »Wie, Herr Bruder, werden wir uns wiedersehen oder nicht?« Sie frugen aber nicht, sie verstummten – und beide Grauköpfe versanken in Gedanken. Die Kosaken aber verabschiedeten sich alle ohne Ausnahme, wissend, daß viel Arbeit bevorstehe für diesen und jenen; sie beschlossen, sich nicht sogleich zu trennen, vielmehr die dunkle Nacht zu erwarten, um nicht dem Feind die Verminderung des Kosakenheeres zu erkennen zu geben. Alsdann begaben sich alle zu ihren Abteilungen, um zu Mittag zu essen.
Nach dem Essen legten sich alle diejenigen, denen der Weg bevorstand, hin, um auszuruhen, und schliefen einen festen und langen Schlaf, gleich als fühlten sie, daß ihnen vielleicht beschieden sei, in solcher Freiheit den letzten Schlaf zu genießen. Sie schliefen bis ganz zum Sonnenuntergang; als es aber ein wenig dunkler ward, begannen sie die Wagen zu schmieren. Sie rüsteten sich, ließen die Fuhren vorausfahren, verabschiedeten sich noch einmal von den Kameraden, wobei sie die Mützen abnahmen, und folgten dann leise den Fuhren nach; ruhig und leicht stampfte die Reiterei, ohne den Pferden zuzurufen und ihnen zu pfeifen, hinter dem Fußvolk her, und bald verlor man sie aus dem Blick in der Finsternis. Dumpf schallte nur das Pferdegetrappel und hie und da das Knarren eines Rades, das noch nicht in Schwung geraten oder wegen der nächtlichen Finsternis nicht gut geschmiert worden war.
Lange noch winkten ihnen die zurückgebliebenen Gefährten aus der Ferne mit den Händen nach, obgleich gar nichts mehr zu sehen war. Als sie sich aber umwandten und zu ihrem Lager zurückkehrten, als sie bei den hellstrahlenden Sternen sahen, daß die Hälfte der Wagen schon nicht mehr auf ihrem Platze stand, daß viele, viele nicht mehr da waren, da ward es allen traurig ums Herz, und unwillkürlich verfielen sie in Gedanken und senkten ihre sonst so lustigen Häupter zur Erde.
Taras sah, wie nachdenklich die Kosakenreihen geworden waren und wie Betrübnis, die dem Tapferen nicht ziemt, leise die Kosaken zu umfangen begann, er schwieg aber: er wollte allen Zeit lassen, damit sie sich auch abfänden mit der Betrübnis, die durch den Abschied von den Kameraden hervorgerufen war. Währenddessen bereitete er sich aber in der Stille vor, auf einmal und plötzlich sie alle zu wecken, aufjauchzend nach Kosakenart, damit aufs neue und mit größerer Kraft als vordem der Mut einem jeden in die Seele zurückkehre. Und dazu ist einzig und allein die slawische Rasse fähig. Breit und mächtig verhält sie sich zu den anderen Rassen wie das Meer zu den wasserarmen Flüssen: ist es stürmisch, so verwandelt es sich ganz in Brüllen und Donner und hebt und rollt solche Wogen, wie sie machtlose Flüsse gar nicht erheben können; ist es aber windstill und ruhig, so breitet es klarer als alle Flüsse seine unübersehbare gläserne Oberfläche aus, eine ewige Liebkosung den Augen.
Und Taras befahl seinen Dienern, eine von den Fuhren auszupacken, die abseits stand. Größer und fester war sie als alle anderen im Kosakenlager; mit zweifacher starker Schiene waren ihre weißen kräftigen Räder umzogen; schwer war sie beladen, bedeckt mit Pferdedecken und dicken Rinderhäuten und sorgfältig umschnürt mit geteerten Stricken. Auf der Fuhre lagen nur Fässer und Fäßchen von altem, gutem Wein, der lange bei Taras im Keller gelegen hatte. Er hatte ihn zum Vorrat mitgenommen für eine feierliche Gelegenheit, damit, wenn ein solcher Augenblick eintrete und allen eine Sache bevorstehe, würdig, den Nachkommen überliefert zu werden, dann alle Kosaken ohne Ausnahme alten, kostbaren Wein tränken. Zur großen Minute soll auch ein erhabenes Gefühl den Menschen umfangen! Als die Diener den Befehl ihres Obersten vernommen hatten, stürzten sie sich zu den Fuhren hin, durchschnitten mit Säbeln die festen Stricke, nahmen die dicken Rinderhäute und Pferdedecken ab und rollten die Fässer und Fäßchen von der Fuhre.
»Nehmet alle,« sprach Bulba, »alle, so viele es eurer sind, nehmet, was ein jeder gerade zur Hand hat: einen Kelch oder Schöpfeimer, womit man die Pferde tränkt, oder den Ärmel, oder die Mütze, und wenn das nicht, so halte er einfach die Hände unter!«
Und die Kosaken, so viele es ihrer waren, nahmen: dieser einen Kelch, jener einen Schöpfeimer, womit er die Pferde tränkte, jener den Ärmel, jener die Mütze, wieder ein anderer hielt nur so beide Hände hin. Ihnen allen schenkten Tarasoffs Diener, zwischen den Reihen hergehend, aus Fässern und Fäßchen ein.
Nicht früher aber erlaubte Taras zu trinken, bevor er das Zeichen gebe, damit sie alle auf einmal austränken. Offenbar wollte er etwas sagen. Wie kräftig auch an und für sich alter guter Wein ist und wie sehr er auch den Geist des Menschen zu stärken vermag, Taras wußte, daß, wenn sich mit ihm noch ein geziemendes Wort vereint, daß dann doppelt so stark sein wird die Kraft des Weines und des Geistes.
»Ich bewirte euch, ihr Herren Brüder,« so sprach Bulba, »nicht zur Ehrung dessen, daß ihr mich zu eurem Ataman wähltet, wie groß auch eine solche Ehre ist; auch nicht, um den Abschied von unseren Kameraden zu feiern: nein, zu anderer Zeit ziemt sich dieses und jenes; aber nicht einen solchen Augenblick erleben wir eben. Taten heißen Schweißes, starken Kosakentumes stehen uns bevor! Und so, Kameraden, laßt uns alle auf einmal trinken, laßt uns zuallererst trinken auf den heiligen rechtgläubigen Glauben: möge endlich die Zeit kommen, daß auf der ganzen weiten Welt ein einziger heiliger Glaube sich verbreite und überall sei und alle Busurmanen, so viele es ihrer gibt, zu Christen werden! Ja, schon in einem Zuge laßt uns auch auf Sjetsch trinken, daß es lange stehen möge zum Verderben des ganzen Busurmanentums, daß mit jedem Jahre aus ihm junge Kerle hervorgehen mögen, einer besser als der andere, einer schöner als der andere. Ja, gleichzeitig laßt uns auch schon trinken auf unseren eigenen Ruhm, damit unsere Enkel und die Söhne dieser Enkel sagen, daß es einst solche gab, die der Kameradschaft keine Schmach zufügten und nicht die Ihrigen verrieten. Also auf den Glauben, ihr Herren Brüder, auf den Glauben!«
»Auf den Glauben!« schrien alle auf einmal, die in nahen Reihen standen, die Köpfe zusammengedrängt. »Auf den Glauben!« griffen die Weiterstehenden auf – und alles, was da war, alt und jung, trank auf den Glauben.
»Auf Sjetsch!« sprach Taras, und er hob seine Hand hoch über sein Haupt.
»Auf Sjetsch!« klang es mächtig zurück in den vorderen Reihen. »Auf Sjetsch!« sprachen leise die Alten, zwinkernd mit grauem Schnurrbart; und aufflatternd wie junge Falken, wiederholten die Jungen: »Auf Sjetsch!« Und es vernahm weithin das Feld, wie die Kosaken ihres Sjetsch gedachten.
»Nunmehr den letzten Schluck, Kameraden, auf den Ruhm und alle Christen, die auf der Welt leben!«
Und alle Kosaken, bis zum letzten, tranken den letzten Schluck auf den Ruhm und alle Christen, die auf der Welt leben. Und lange noch wiederholte man in allen Reihen zwischen allen Abteilungen: »Auf alle Christen, die es auf der Welt gibt!«
Schon war es leer in den Kelchen, aber immer noch standen die Kosaken mit erhobenen Händen; wenn auch lustig dreinschauten aller Augen, vom Weine erhellt, so waren sie doch gar sehr nachdenklich geworden. Nicht an Habsucht und Kriegsbeute dachten sie jetzt, nicht daran, wem es glücken werde, Dukaten zu sammeln, kostbare Gewehre, gestickte Kaftans und Tscherkessenpferde; sie waren vielmehr in Gedanken versunken wie Adler, die sich niedersetzten auf den Felsenhöhen an abschüssigen hohen Bergen, von denen aus weithin sichtbar ist das sich in der Ferne ausbreitende unermeßliche Meer, bestreut wie mit kleinen Vögeln mit Galeeren, Schiffen und allerart Booten, begrenzt an den Seiten von kaum sichtbaren, ganz fein gezogenen Ufern mit daranliegenden Städten, die wie Mücken ausschauen, und mit Wäldern, die sich neigen wie niedriges Gras. Wie Adler beschauten sie ringsum mit ihren Augen das ganze Feld und ihr sich in dunkler Ferne verlierendes Geschick. Kommen wird der Tag, und das ganze Feld mit allen seinen Abhängen und allen seinen Wegen wird bedeckt sein mit ihren ragenden weißen Knochen, nachdem es reichlich überwaschen ward mit ihrem Kosakenblut und ganz zugedeckt mit zerschlagenen Fuhren, zerbrochenen Säbeln und Lanzen; weithin zerstreut werden die beschopften Häupter liegen mit zusammengedrehten und im Blute klebenden Schöpfen und mit nach unten herabhängenden Schnurrbärten; Adler werden herbeifliegen und ihre Kosakenaugen hacken und auspicken. Aber ein großes Gut ist in solchem weit und breit sich ausbreitenden Totenlager! Nicht verloren geht eine einzige großmütige Tat, und nicht verliert sich, wie ein kleines Pulverkorn aus einem Gewehrlauf, der Kosakenruhm! Es wird der Bandurist, mit grauem Bart über der Brust, vielleicht aber auch ein noch von reifer Männlichkeit erfüllter, nur weißhaariger Alter prophetischen Geistes sein tiefes, mächtiges Wort sagen über sie. Und hoch aufgerichtet wird ihr Ruhm über die ganze Welt schreiten, und alles, was immer später geboren wird, wird von ihnen sprechen: denn weithin getragen wird das mächtige Wort, es ist gleich einer dröhnenden kupfernen Glocke, in die der Meister viel teures reines Silber hineingab, damit weithin über Städte, Hütten, Paläste und Dörfer der schöne Klang hinschalle und alle auf einmal zum heiligen Gebet rufe.
In der Stadt hatte niemand erfahren, daß die Hälfte der Saporoger aufgebrochen war, um die Tataren zu verfolgen. Nur die Wächter hatten vom Rathausturme gesehen, wie ein Teil der Fuhren in den Wald zog; sie glaubten aber, die Kosaken bereiteten einen Hinterhalt vor, und dasselbe dachte auch der französische Ingenieur. Dabei waren aber die Worte des Obersten nicht unbegründet gewesen; in der Stadt offenbarte sich ein Mangel an Lebensmitteln: nach der Gewohnheit der vergangenen Jahrhunderte hatten die Heere nicht berechnet, wieviel ihnen nötig sei. Sie hatten versucht, einen Ausfall zu machen, aber die Hälfte der Kühnen war dort schon von den Kosaken zusammengehauen, die andere aber in die Stadt zurückgejagt worden, ohne irgendeinen Erfolg zu erzielen. Indessen hatten die Juden aus dem Ausfall Nutzen gezogen und alles »errochen«: wohin und wozu die Saporoger abgezogen seien und mit welchen Anführern, was für Abteilungen, wie viele an Zahl, wie viele am Orte verblieben waren und was sie zu tun gedächten – mit einem Wort: schon in einigen Minuten hatte man alles in der Stadt erfahren. Die Obersten ermutigten sich und bereiteten sich vor, eine Schlacht zu liefern. Taras sah das schon an der Bewegung und dem Lärm in der Stadt und traf rasch Vorkehrungen, gab Befehle und Anordnungen, stellte die Abteilungen in drei Zügen auf und umgab sie festungsartig mit den Fuhren – eine Gefechtsart, in der die Saporoger unbesiegbar zu sein pflegten; zwei Abteilungen befahl er, sich in den Hinterhalt zu legen; einen Teil des Feldes ließ er mit spitzen Pfählen, zerbrochenen Gewehren und Resten von Lanzen beschlagen, um gegebenenfalls die feindliche Reiterei dahin zu jagen. Und als alles getan war, was nötig war, hielt er den Kosaken eine Rede, nicht, um sie zu ermutigen und zu erfrischen – er wußte, daß sie auch ohnedies fest an Geist waren –, er wollte vielmehr einfach nur selber alles aussprechen, was er auf dem Herzen hatte.
»Es drängt mich, euch zu sagen, ihr Herren, was das eigentlich ist, unsere Kameradschaft. Wir haben von Vätern und Großvätern vernommen, in welcher Ehre bei allen unser Land stand: die Griechen lernten es kennen, und von der Zarenstadt nahmen sie Dukaten, und Städte gab es, üppige, und Tempel und Fürsten, Fürsten russischen Geschlechts, eigene Fürsten, nicht aber katholische Ungläubige. Alles nahmen die Busurmanen, alles ging verloren; es blieben nur wir, Waisenkinder, und wie eine Witwe, die ihren starken Mann verlor, ebenso verwaist wie auch wir, ist unser Land! Das ist die Zeit, in der wir Kameraden uns die Hand reichten zum Brüdertum! Das ist es, worauf unsere Kameradschaft steht. Es gibt kein Band, das heiliger wäre als sie. Der Vater liebt sein Kind, die Mutter liebt ihr Kind, das Kind liebt Vater und Mutter; das ist aber nicht das, Brüderchen: auch das wilde Tier liebt sein Junges! Doch verwandt werden durch Verwandtschaft der Seele – nicht des Blutes – kann einzig und allein der Mensch. Wohl gab es auch in anderen Ländern Kameradschaften, solche aber wie auf der russischen Erde gab es nirgends. Mehr wie einem von euch ist es beschieden gewesen, in die Fremde zu kommen. Du siehst: auch dort sind Menschen! Auch er ist ein Gottesmensch, und du wirst dich mit ihm einsprechen wie mit dem deinigen; kommt es aber dazu, ein herzliches Wort anzuvertrauen – so wirst du sehen: Nein! Gescheite Leute sind das, doch nicht jene; ebensolche Menschen, aber nicht jene! Nein, Brüderchen, so zu lieben, wie die russische Seele lieben kann, nicht nur so zu lieben, mit dem Verstand oder irgend etwas anderem, vielmehr mit allem, was Gott gab, was in dir ist – ah!« sprach Taras und schwenkte die Hand, schüttelte sein graues Haupt, zwinkerte mit dem Schnurrbart und sagte: »Nein, so kann niemand lieben! Ich weiß, niederträchtig geht es jetzt auf unserer Erde zu: nur daran denken sie, Getreidehaufen zu haben, volle Scheunen, Pferdeherden, ja, daß in den Kellern unversehrt seien ihre versiegelten Mete; der Teufel weiß, welche busurmanischen Gewohnheiten sie annehmen; sie schämen sich ihrer Sprache; der Landsmann will nicht mit dem Landsmann sprechen; der Landsmann verkauft den Landsmann, wie man eine seelenlose Ware verkauft, auf dem Handelsmarkte. Die Gnade eines fremden Königs, ja nicht eines Königs, vielmehr die schäbige Gnade eines polnischen Magnaten, der ihnen mit seinen gelben Stiefeln aufs Maul schlägt, ist ihnen teurer als alle Kameradschaft. Aber auch in dem letzten Schuft, wie er sich auch in Schmutz und Schmeichelei gewälzt haben mag, auch in ihm, Brüderchen, ist ein Körnchen russischen Gefühls; und es wird erwachen irgendwann – und er wird sich, ein Bedauernswerter, mit den Händen seine Seiten schlagen, wird sich an den Kopf fassen, laut sein niederträchtiges Leben verfluchen, bereit, mit Qualen die schmachvolle Tat zu sühnen. Mögen sie aber alle wissen, was Kameradschaft auf der russischen Erde bedeutet. Wenn es schon dazu kam, zu sterben, so wird es niemand von ihnen beschieden sein, so zu sterben! Niemand! Niemand! Nicht reicht dafür bei ihnen ihre Mäusenatur!«
So sprach der Ataman, und als er seine Rede geendet hatte, schüttelte er immer noch sein in Kosakentaten silbern gewordenes Haupt. Einen jeden, wer auch dastand, ergriff heftig eine solche Rede, die tief ins Herz drang; die Allerältesten standen unbeweglich in den Reihen, die grauen Häupter zur Erde gesenkt, die Träne rollte leise aus alten Augen, langsam wischten sie sie mit dem Ärmel ab. Und dann schwenkten alle, als hätten sie sich verabredet, zu gleicher Zeit die Hand und schüttelten ihre erfahrenen Häupter. Das bedeutet: offenbar hatte sie der alte Taras gar sehr an Bekanntes und Bestes erinnert, was einem Menschen im Herzen wohnt, der weise ward durch Kummer, Arbeit, Gefahr und jedes Unglück des Lebens, oder wenn er auch noch nicht damit bekannt gemacht wurde, doch vieles erfühlte mit junger perlenhafter Seele, zur ewigen Freude seiner alten Eltern, die ihn erzeugt hatten.
Schon aber zog das feindliche Heer aus der Stadt heraus. Lärmend mit Pauken und Hörnern und sich in den Hüften wiegend ritten die Pans heraus, umgeben von zahllosen Dienern. Der dicke Oberst befehligte. Und sie begannen dicht gedrängt die Kosakenzüge anzugreifen, mit den Gewehren zielend, drohend mit den Blicken und strahlend in kupferner Rüstung. Als eben die Kosaken nur erschaut hatten, daß der Gegner auf Schußweite herangekommen war, ließen sie alle auf einmal ihre Büchsen knallen und schossen ununterbrochen. Weithin schallte das laute Knallen über alle benachbarten Felder und Wiesen hin und vereinigte sich zu einem ununterbrochenen Knattern; mit Rauch umzog sich das ganze Feld; die Saporoger aber schossen immer noch, ohne auch nur einen Augenblick innezuhalten; die hinteren luden nur und übergaben dann den vorderen die Flinten, und das setzte den Feind in Staunen, der gar nicht begreifen konnte, daß die Kosaken unaufhörlich schossen, ohne die Gewehre zu laden. Schon war nichts mehr zu sehen wegen des dichten Rauches, der beide Heere umfaßt hatte, es entging den Blicken, wie bald der eine, bald der andere hinsank; die Ljachen fühlten aber, daß die Kugeln dicht flogen und die Sache heiß war, und als sie sich zurückzogen, um aus dem Pulverdampf herauszukommen und sich umzuschauen, zählten sie viele nicht mehr in ihren Reihen; von den Kosaken waren hingegen vielleicht nur zwei bis drei in jedem Hundert getötet. Und immer fuhren die Kosaken fort, aus den Flinten zu schießen, ohne einen Augenblick Unterbrechung. Selbst der ausländische Ingenieur wunderte sich über eine solche, von ihm noch niemals gesehene Taktik und sprach dort schon vor allen: »Seht, das sind forsche Kerle, die Saporoger. So sollte man sich auch in anderen Ländern schlagen!« Und er riet, sogleich die Kanonen auf das Lager zu richten. Schwer brüllten mit breiten Kehlen die Eisengeschütze; weithin dröhnend zitterte die Erde, und doppelt so dicht umzog sich das ganze Feld mit Pulverdampf. Man roch das Pulver auf den Plätzen und Straßen in nahen und fernen Städten. Die Ljachen zielten aber allzu hoch, die glühenden Kugeln beschrieben einen allzu weiten Bogen: furchtbar heulend in der Luft flogen sie über die Köpfe des ganzen Lagers fort und gruben sich weit entfernt in den Boden, wobei sie die schwarze Erde aufwühlten und hoch in die Luft schleuderten. Der französische Ingenieur griff sich in die Haare, als er dies Ungeschick sah und machte sich selber daran, die Kanonen zu richten, ohne darauf zu achten, daß die Kosaken ununterbrochen ihre heißen Kugeln nur so regnen ließen.
Taras sah schon von ferne, daß es ein Unheil geben werde für die ganze Nesamaikowskische und Steblikowskische Abteilung, und er schrie gellend laut: »Macht rasch, daß ihr aus den Fuhren herauskommt, und setze sich ein jeder auf sein Pferd!« Die Kosaken hätten aber weder dieses noch jenes tun können, wäre nicht Ostap gerade mitten hinein gestürzt: sechs Kanonieren schlug er die Lunten aus der Hand, nur bei vieren konnte er das nicht, die Ljachen hatten ihn zurückgejagt. Währenddessen hatte aber der ausländische Kapitän selber eine Lunte in die Hand genommen, um aus der größten Kanone zu schießen, einer solchen, wie sie bis dahin noch keiner von den Kosaken gesehen hatte. Furchtbar blickte sie drein mit breitem Rachen, und tausend Tode schauten von dort heraus. Und wie dröhnte sie, ihr folgend drei andere, viermal hintereinander die dumpfantwortende Erde erschütternd – viel Kummer bereiteten sie. Mehr wie einen Kosaken wird die alte Mutter beweinen, sich mit knochigen Händen auf die kraftlosen Brüste schlagend; mehr wie eine Witwe wird bleiben in Gluchoff, Nemiroff, Tschernigoff und anderen Städten. Die Liebe wird jeden Tag auf den Markt hinauslaufen, sich an alle Vorübergehenden anklammern, jedem in die Augen schauen, ob nicht einer unter ihnen sei der Liebste von allen; es wird aber viel Heer durch die Stadt ziehen, und ewig wird unter ihnen nicht der eine sein, der Liebste von allen.
Es war so, als sei die Hälfte der Nesamaikowskischen Abteilung gar nicht gewesen! Wie Hagel plötzlich das ganze Feld niederschlägt, wo eben noch jede Ähre geprangt hat wie ein vollgewichtiger Dukaten, so hatte es auch sie niedergelegt und niedergeschlagen.
Wie aber stürzten nun die Kosaken vor! Wie griffen sie an! Wie schäumte der Ataman Kukubenko, als er sah, daß die beste Hälfte seiner Abteilung nicht mehr war! Er schlug sich mit seinen übrigen Nesamaikowskiern bis ganz in die Mitte vor. In seiner Wut zerhackte er den ersten, der ihm in die Hände fiel, zu Kraut, viele Reiter schlug er von den Pferden herunter, indem er Roß und Reiter mit der Lanze traf, er schlug sich zu den Kanonieren durch und eroberte schon eine Kanone, er sieht aber, dort macht sich schon der Umanskische Abteilungsataman zu schaffen, und Stephan Guska nimmt bereits die Hauptkanone. Kukubenko überließ das diesen Kosaken und wandte sich mit den Seinen einem anderen Feindeshaufen zu: da, wo die Nesamaikowskier durchkamen – da ist auch eine Straße! Wo sie sich zur Seite wendeten, da ist eine Gasse! So wurden dort die Reihen lichter und stürzten in Garben die Ljachen zu Boden. Ganz bei den Fuhren aber steht Wowtusenko, weiter vorn Tscherewitschenko, bei den fernstehenden Fuhren Degtjarenko und hinter ihm der Ataman Wertichwost. Schon zwei Schlachtitzen hatte Degtjarenko auf seine Lanze erhoben, endlich traf er einen hartnäckigen dritten. Geschickt und stark war der Ljache, in üppigem Zaumzeug prangte sein Roß, und fünfzig Diener hatte er allein mit sich gebracht. Heftig bedrängte er Degtjarenko, warf ihn zur Erde und schrie schon, mit dem Säbel auf ihn ausholend: »Unter euch Hunden von Kosaken gibt es nicht einen einzigen, der es wagte, mir zu widerstehen!«
»Aber da ist gerade einer!« sprach Mosij Schilo und trat vor. Das war ein starker Kosak, mehr wie einmal war er Ataman auf dem Meere gewesen, und viel und allerart Ungemach hatte er bestanden. Bei Trapezunt waren sie von den Türken ergriffen und alle als Sklaven auf die Galeeren gebracht worden, an Händen und Füßen in eiserne Ketten geschlossen. Ganze Wochen lang hatte man ihnen nichts zu essen gegeben und sie mit widerlichem Meerwasser getränkt. Alles hatten die armen Sklaven ertragen und erduldet, um nicht ihrer Rechtgläubigkeit untreu zu werden. Nicht ausgehalten hatte es aber der Ataman Mosij Schilo, mit Füßen trat er das heilige Gesetz, mit ekligem Turban umgab er sein sündiges Haupt. Er gewann das Vertrauen des Paschas, ward Beschließer auf dem Schiff und Ältester über alle Sklaven. Gar sehr betrübte das die armen Sklaven, denn sie wußten, daß, wenn er seinen Glauben verkaufen und zu den Bedrängern übergehen werde, es dann schwerer und kummervoller unter seiner Hand sein werde als unter der jedes anderen Nichtchristen: so ereignete es sich auch. Mosij hatte alle in neue Ketten geschlossen, zu drei in einer Reihe, bis auf die weißen Knochen hatte er ihnen die grausamen Stricke festgezogen; alle hatte er auf den Nacken geschlagen, ihnen Nackenstöße erteilt. Und als die Türken, froh, einen solchen Diener erlangt zu haben, zu zechen begannen und, ihr Gesetz vergessend, sich alle betrunken hatten, brachte er alle vierundsechzig Schlüssel herbei und verteilte sie an die Sklaven, damit sie sich losschlössen, die Ketten und Fesseln ins Meer schleuderten, an ihrer Statt die Säbel nahmen und die Türken niedermachten. Viel Beute erlangten damals die Kosaken, und sie kehrten mit Ruhm in ihr Vaterland zurück, und lange noch verherrlichten die Banduristen den Mosij Schilo. Sie hätten ihn zum Obersten erwählt, er war aber ein seltsamer Kosak. Bisweilen tat er solche Dinge, wie sie der Weiseste nicht ausdenken kann, ein andermal aber bemächtigte sich einfach Narrheit des Kosaken. Er vertrank und verbummelte alles, allen war er schuldig in Sjetsch, und zum Überfluß stahl er einmal wie ein Straßendieb: nachts hatte er aus einer fremden Abteilung das ganze Kosakenzaumzeug gestohlen und an einen Kneipwirt versetzt. Für eine so schmähliche Tat hatte man ihn auf dem Platze an den Pfahl gebunden und einen Knüppel neben ihn gelegt, damit jeder, nach dem Maße seiner Kraft, ihm einen Schlag versetze; es fand sich aber nicht einer von allen Saporogern, der auf ihn den Knüppel erhoben hätte, gedenkend seiner früheren Verdienste. Ein solcher Kerl war der Kosak Mosij Schilo.
»Es gibt solche, die euch schlagen, ihr Hunde!« sprach er, auf den Schlachtitzen stürzend. Und schon hieben sie aufeinander ein. Die Schulterpanzer bogen sich bei den beiden von Schlägen. Der feindliche Ljache zerhieb auf ihm das eiserne Hemd und traf mit der Klinge den nackten Körper: rot ward das Kosakenhemd. Aber nicht darauf schaute Schilo, er fuhr vielmehr mit seinem ganzen sehnigen Arm aus (schwer war sein mächtiger Arm) und betäubte den Gegner plötzlich durch einen Schlag aufs Haupt. Der Kupferhelm zerbrach, der Ljache schwankte und stürzte hin. Schilo aber machte sich daran, kreuz und quer den Betäubten zu versäbeln. Schlag nicht den Feind tot, Kosak, kehr lieber um! Das tat aber nicht der Kosak, und dort stieß ihm einer von den Dienern des Getöteten das Messer in den Nacken. Schilo drehte sich um und hätte schon den Frechen getroffen, der war aber im Pulverdampf verschwunden. Von allen Seiten begannen die Flinten zu knallen. Da schwankte der Kosak und fühlte, daß seine Wunde tödlich war. Er fiel zu Boden, legte die Hand auf seine Wunde und sagte, zu den Kameraden gewandt: »Lebt wohl, ihr Herren Brüder und Kameraden! Möge auf ewige Zeiten die rechtgläubige russische Erde siegreich sein!« Und er kniff seine schwachgewordenen Augen zusammen, und es entfloh die Kosakenseele aus dem rauhen Körper. Da aber kam schon Sadoroschnij mit den Seinen geritten, die Reihen der Feinde durchbrach der Ataman Wertichwost, und es rückte auch Balaban an.
»Wie denn, ihr Herren!« sprach Taras, nachdem er mit den Abteilungsatamanen Rufe ausgetauscht hatte, »ist noch Pulver in den Pulverhörnern? Ist nicht ermattet die Kosakenkraft? Beugen sich nicht die Kosaken?«
»Noch ist, Väterchen, Pulver in den Pulverhörnern, noch ermattet nicht die Kosakenkraft; noch beugen sich nicht die Kosaken!«
Und heftig drängten die Kosaken auf den Feind: ganz in Verwirrung brachten sie alle Reihen. Der kleingewachsene Oberst ließ zum Sammeln schlagen und befahl, acht bemalte Fahnen aufzuziehen, um die Seinen zu sammeln, die sich weithin über das ganze Feld zerstreut hatten. Alle Ljachen liefen zu den Fahnen; sie hatten sich aber noch nicht aufstellen können, als schon der Ataman Kukubenko von neuem mit seinen Nesamaikowskiern in ihre Mitte einbrach und gerade auf den dickbäuchigen Obersten stieß. Der Oberst hielt nicht stand, er wandte sein Pferd und setzte sich in Galopp: Kukubenko jagte ihn aber weit übers Feld und ließ ihn sich nicht mit seinem Regiment vereinigen. Als dies von der seitwärts stehenden Abteilung aus Stephan Guska erschaut hatte, jagte er ihm gerade entgegen mit einer Schlinge in der Hand, den Kopf ganz auf den Hals des Pferdes gebückt, und den Moment abpassend, warf er ihm auf einmal die Schlinge um den Hals: ganz braunrot ward der Oberst, faßte mit beiden Händen den Strick und bemühte sich, ihn zu zerreißen, aber schon hatte ihm ein kräftiger Schwung die todbringende Lanze gerade in den Bauch gestoßen; dort blieb er denn auch liegen, an die Erde genagelt. Aber auch Guska sollte nicht davonkommen! Kaum konnten die Kosaken sich umschauen, als sie ihn schon auf vier Lanzen erhoben erschauten. Der Arme konnte nur noch rufen: »Mögen alle Feinde zugrundegehen und die russische Erde auf ewige Zeiten triumphieren!« Und da gab er auch schon seinen Geist auf.
Die Kosaken schauten sich um, aber da schlug von der Seite aus der Kosak Meteliza auf die Ljachen ein, diesen und jenen mit seinen Schlägen betäubend; dort von der anderen Seite bedrängt den Feind mit den Seinen der Ataman Newilitschkij; bei den Fuhren aber tummelt sich und schlägt den Feind Sakrutiguba; bei den weiterstehenden Fuhren hatte Pisarenko der Dritte schon einen ganzen Haufen verjagt; aber dort, bei den letzten Fuhren, ist man handgemein geworden und schlägt sich schon auf den Fuhren selber.
»Wie, ihr Herren,« rief der Ataman Taras, allen voran vorbeireitend, »ist noch Pulver in den Pulverhörnern? Ist noch stark die Kosakenkraft? Beugen sich noch nicht die Kosaken?«
»Noch ist, Väterchen, Pulver in den Pulverhörnern, noch ist stark die Kosakenkraft, noch weichen nicht die Kosaken!«
Aber schon war Bowdjuga von einer Fuhre gefallen. Gerade unter das Herz hatte ihn die Kugel getroffen; es nahm aber der Alte all seinen Geist zusammen und sprach: »Nicht leid ist es mir, vom Lichte zu scheiden. Gebe Gott jedem ein solches Ende! Möge aber bis zum Ende der Zeiten sich rühmen die russische Erde!« Und es erhob sich zu den Höhen die Seele des Bowdjuga, um den längst geschiedenen Greisen zu erzählen, wie man sich auf der russischen Erde zu schlagen versteht, und besser noch, wie man auf ihr zu sterben weiß für den heiligen Glauben.
Bald darauf fiel auch Balaban, der Abteilungsataman, krachend zur Erde. Drei tödliche Wunden hatte er erhalten: von einer Lanze, von einer Kugel und von einem schweren Pallasch. Er war einer der tapfersten Kosaken gewesen: viel Meereszüge hatte er vollbracht, als er Ataman war; am ruhmvollsten aber war sein Zug zu den anatolischen Ufern. Große Beute war eingebracht worden an Zechinen, kostbarer türkischer Habe, Kaftanen und allerart Zierat; auf der Rückfahrt hatte man aber Unglück gehabt: die Lieben waren unter türkisches Kanonenfeuer geraten. Wie es sie vom Schiffe aus traf, kenterte die Hälfte aller Boote und begrub unter sich nicht wenige; das an den Seiten angebundene Schilf bewahrte aber die Boote vor dem Untergehen. Balaban war so rasch als möglich fortgefahren, hatte sich direkt gegen die Sonne gestellt und sich dadurch dem Türkenschiff unsichtbar gemacht. Die ganze Nacht hatten sie dann mit Eimern und Mützen das Wasser ausgeschöpft, die durchschlagenen Stellen verstopft, aus Kosakenhosen Segel geschnitten, waren davongejagt und dem schnellsten türkischen Schiffe entronnen. Und nicht genug damit, daß sie unversehrt nach Sjetsch gekommen waren, brachten sie auch noch ein goldgesticktes Priesterkleid dem Archimandriten des Meschigorskischen Kiewer Klosters und für die Pokrowkirche in Saporogien einen Rahmen aus reinem Silber. Lange noch rühmten die Banduristen das Glück der Kosaken. Jetzt neigte er sein Haupt, Todesqualen fühlend, und er sprach leise: »Es glückt mir, ihr Herren Brüder, ich sterbe einen schönen Tod: sieben habe ich niedergemacht, neun habe ich mit der Lanze erstochen, ich zertrat mit dem Pferde eine Masse Feinde, und ich erinnere mich schon nicht mehr, wie viele ich mit der Kugel traf. Möge aber ewig blühen die russische Erde!« Und es entfloh seine Seele.
Kosaken! Kosaken! Gebt nicht hin die beste Blüte eures Heeres! Schon umringen die Feinde Kukubenko, schon waren nur noch sieben Mann geblieben aus der ganzen Nesamaikowskischen Abteilung, und auch die verteidigten sich schon über ihre Kraft; schon war Kukubenkos Kleid mit Blut befleckt, Taras selber, sein Unglück sehend, eilte ihm zur Hilfe herbei. Aber zu spät kamen die Kosaken: schon hatte sich ihm unter das Herz eine Lanze eingegraben, bevor noch die ihn bedrängenden Feinde zurückgetrieben werden konnten. Leise fiel er in die Arme der ihn auffangenden Kosaken, und einem Quell gleich sprang das junge Blut hervor, wie ein teurer Wein, den unvorsichtige Diener in einem Glasgefäß aus dem Keller trugen: dort schon am Ausgang, waren sie ausgeglitten und hatten die teure Flasche zerbrochen; ganz ergoß sich der Wein auf die Erde, und es griff sich an den Kopf der herbeigeeilte Hauswirt, der den Wein aufgespart hatte für die beste Gelegenheit im Leben, um, wenn Gott ihm erlaube, in seinen alten Jahren einem Kameraden der Jugend zu begegnen, dann mit ihm gemeinsam der früheren, so ganz anderen Zeit zu gedenken, als sich der Mensch anders und besser erheiterte … Kukubenko schaute rings um sich und murmelte: »Ich danke Gott, daß es mir beschieden ward, vor euren Augen zu sterben, Kameraden! Mögen aber nach uns bessere leben als wir und ewig prangen die von Christus geliebte russische Erde!« … Und es entflog die junge Seele. Engel faßten sie unter die Arme und erhoben sie und entführten sie zu den Himmeln. Schön wird es ihm dort sein. »Setze dich, Kukubenko, zu meiner Rechten!« wird ihm Christus sagen. »Du hast die Kameradschaft nicht verraten, du begingst keine ehrlose Tat, niemand verließest du im Unglück, du beschütztest und behütetest meine Kirche!« Alle betrübte der Tod des Kukubenko. Schon lichteten sich mächtig die Reihen; viele, viele Tapfere zählte man nicht mehr, aber es standen und hielten sich noch die Kosaken.
»Wie denn, ihr Herren,« rief Taras den übriggebliebenen Abteilungsführern zu, »ist noch Pulver in den Pulverhörnern? Wurden noch nicht stumpf die Säbel? Ermüdete noch nicht die Kosakenkraft? Beugten sich nicht die Kosaken?«
»Noch wird, Väterchen, das Pulver reichen; es taugen noch die Säbel; nicht ermattete die Kosakenkraft; es beugten sich noch nicht die Kosaken!«
Und von neuem stürzten sich die Kosaken so auf den Feind, als ob sie gar keine Verluste erlitten hätten. Nur noch drei Atamane waren am Leben; schon leuchteten überall rote Ströme; hoch türmten sich Brücken aus Kosaken- und Feindeskörpern. Taras schaute zum Himmel, aber dort zog sich ein Zug Jagdfalken hin. Nun, jetzt wird irgend jemand Beute machen! Aber dort haben sie schon den Meteliza aufgespießt; schon drehte sich alles im Kopf dem zweiten Pisarenko, und seine Augen klappten auf und zu; schon war Ochrim Guska zusammengebrochen und auf die Erde hingekracht, in vier Stücke zerhauen. »Jetzt!« sprach Taras und winkte mit dem Tuche. Ostap verstand das Zeichen und stieß, heftig aus dem Hinterhalt hervorbrechend, auf die feindliche Reiterei. Die Ljachen hielten dem kraftvollen Ansturm nicht stand, er aber jagte sie und jagte sie gerade auf den Platz, wo Pfähle und Reste von Lanzen in die Erde eingeschlagen waren. Die Pferde begannen zu stolpern und zu fallen, und über ihre Köpfe flogen die Ljachen. Doch um diese Zeit begannen die Korsunzer, die zuhinterst hinter den Fuhren standen, plötzlich aus den Flinten zu knallen, da der Feind auf Kugelweite herangekommen war. Alle Ljachen verwirrten sich und gerieten in Unordnung, und die Kosaken faßten neuen Mut. »Da ist er denn, unser Sieg!« erklangen von allen Seiten die Stimmen der Saporoger; sie stießen in die Hörner und zogen die Siegesfahne auf. Überall liefen und versteckten sich die Ljachen. »Nein, nein, noch ist nicht völlig Sieg!« sprach Taras, auf die Stadttore schauend, und er sagte die Wahrheit.
Das Tor öffnete sich, und herausflog von dort ein Husarenregiment, die Zierde aller Regimenter. Alle Reiter ohne jede Ausnahme saßen auf braunen Rossen; den übrigen voraus jagte ein Ritter, flinker als alle, schöner als alle; es flogen nur so die schwarzen Haare unter seinem Kupferhelme hervor; es blähte sich im Winde die um seinen Arm gebundene kostbare Schärpe, genäht von den Händen der ersten Schönheit. Taras erstarrte, als er erkannte, daß das Andrij war. Der aber, umfangen vom Staub und der Hitze der Schlacht, gierig, das ihm um den Arm gebundene Geschenk zu verdienen, flog daher wie ein junger Jagdhund, der schönste, rascheste und jüngste in der Meute. Der erfahrene Jäger hatte ihm zugerufen – und er jagt davon, seine Füße in der Luft in gerader Linie haltend, ganz auf die Seite gebeugt mit dem ganzen Körper, den Schnee aufwirbelnd und zehnmal den Hasen selber überholend in der Hitze seines Laufes. Stehen blieb der alte Taras und schaute zu, wie Andrij den Weg vor sich säuberte, seine Feinde auseinanderjagte, dreinschlug und Schläge regnen ließ nach rechts und nach links. Nicht hielt an sich Taras und schrie: »Wie? Die Deinigen? Die Deinigen schlägst du, Teufelssohn?!« Andrij aber unterschied nicht, wer vor ihm war, ob die Seinigen oder irgendwelche andere; gar nichts sah er. Locken, Locken sah er, lange, lange Locken und eine Brust, dem Schwan ähnlich, und einen schneeweißen Hals, und Schultern, und alles, was geschaffen ward für wahnsinnige Küsse.
»Ech! Burschen! Lockt ihn mir in den Wald, nur zu, nur zu!« schrie Taras. Und zugleich wurden dreißig der raschesten Kosaken herausgerufen, um Andrij in den Wald zu locken. Sie rückten sich die hohen Mützen zurecht und jagten auch schon auf ihren Pferden dahin, den Husaren gerade in die Flanke stoßend. Sie schlugen von der Seite auf die vorderen ein, verwirrten sie, trennten sie von den hinteren, gaben dem und jenem einen Denkzettel, Golokopütenko holte mit der flachen Klinge nach dem Rücken von Andrij aus, und augenblicklich begannen sie von ihm wegzurasen mit ganzer Kosakenkraft. Wie stürzte Andrij hinterher! Wie brauste in den Adern das junge Blut! Mit spitzen Sporen schlug er das Pferd und flog mit ganzer Kraft hinter den Kosaken her, ohne zurückzuschauen, ohne zu sehen, daß nicht mehr als zwanzig Mann ihm hatten nachkommen können, die Kosaken aber jagten, was das Zeug hält, auf den Pferden dahin und lenkten direkt zum Walde. Andrij stürmte nach und hatte fast schon Golokopütenko eingeholt, als plötzlich irgend jemandes starke Hand seinem Pferd in die Zügel griff. Andrij schaute auf: vor ihm stand Taras! Er erzitterte am ganzen Körper und ward plötzlich kreidebleich: wie ein Schulknabe, der versehentlich seinen Kameraden anstieß und dafür von ihm mit dem Lineal einen Schlag auf die Stirn erhielt, aufbraust wie Feuer, rasend von der Bank aufspringt und seinem erschreckten Kameraden nachjagt, bereit, ihn in Stücke zu reißen, und dabei plötzlich auf den in die Klasse eintretenden Lehrer stößt: augenblicklich verstummt die rasende Heftigkeit und sinkt die maßlose Wut. Dem ähnlich erlosch in einem Augenblick die Wut Andrijs, gleich als wäre sie überhaupt nicht gewesen. Und er sah vor sich einzig und allein seinen furchtbaren Vater.
»Nun, was werden wir denn jetzt tun?« sprach Taras, ihm gerade in die Augen schauend. Es vermochte aber nichts darauf zu entgegnen Andrij, und er stand da, die Augen zur Erde gesenkt.
»Wie, Söhnchen, halfen dir deine Ljachen?«
Andrij gab keine Antwort.
»Wie verkaufen? Verkaufen den Glauben? Verkaufen die Seinigen? Halte doch, steig vom Pferde herunter!«
Gefügig wie ein Kind sprang er vom Pferde und blieb mehr tot als lebend vor Taras stehen.
»Steh und rühr dich nicht! Ich habe dich geboren, ich werde dich auch töten!« sprach Taras, trat einen Schritt zurück und nahm sein Gewehr von der Schulter. Weiß wie ein Leinentuch war Andrij; leise bewegten sich seine Lippen und sprachen irgendeinen Namen aus; das war aber nicht der Name des Vaterlandes, noch der Mutter, noch der Brüder – das war der Name der schönen Polin. Taras schoß.
Wie eine Getreidegarbe, von der Sichel gefällt, wie ein junges Lämmchen, das unter dem Herzen das tödliche Eisen fühlt, senkte Andrij den Kopf und stürzte auf das Gras, ohne ein Wort zu sagen.
Stehen blieb der Kindesmörder und schaute lange auf den entseelten Körper. Noch im Tode war er schön: sein männliches Gesicht, unlängst noch erfüllt von Kraft und unwiderstehlichem Zauber für die Frauen, offenbarte immer noch eine wundervolle Schönheit, die Brauen, schwarz wie ein Trauersamt, beschatteten seine erblaßten Züge. »Was für ein Kosak wäre er!« sprach Taras, »hoch von Wuchs, schwarzbewimpert, das Gesicht von Adel, und der Arm war stark im Kampf! Er ging aber zugrunde! Ging ruhmlos zugrunde, wie ein gemeiner Hund!«
»Vater, was hast du getan?! Hast du ihn getötet?!« frug Ostap, der währenddessen herangeritten war.
Taras nickte mit dem Kopfe.
Eindringlich schaute Ostap dem Toten in die Augen. Leid ward es ihm um den Bruder, und er sprach leise:
»Laß uns ihn ehrlich der Erde übergeben, Vater, damit nicht die Feinde mit ihm ihren Spott treiben und nicht die Raubvögel seinen Körper verschleppen!«
»Begraben wird man ihn auch ohne uns!« sprach Taras. »Er wird Beweiner haben und Klageweiber!«
Und zwei Minuten dachte er nach: soll man ihn den Wölfen hinwerfen oder in ihm die Rittertugend schonen, die der Tapfere ehren soll, in wem es auch sei – als er sieht, Golokopütenko galoppiert auf ihn zu: »Unglück, Ataman, die Ljachen erstarkten, neue Kraft kam ihnen zu Hilfe!« Golokopütenko hatte noch nicht geendet, da galoppiert Wowtusenko heran: »Unglück, Ataman, noch neue Kraft wälzt sich heran! Wowtusenko hatte noch nicht ausgeredet, so eilt Pisarenko herbei, schon ohne Pferd: »Wo bist du, Vater? Die Kosaken suchen dich. Schon fiel der Ataman Newelitschenko, Sadaroschnij fiel, es fiel Tscherewetschenko; es stehen aber die Kosaken, sie wollen nicht sterben, bevor sie dich mit Augen sahen: sie wollen, du sollst vor ihrer Todesstunde auf sie schauen!«
»Aufs Pferd, Ostap!« sprach Taras und eilte, um noch die Kosaken anzutreffen, um noch einmal auf sie zu schauen und damit sie vor dem Tode ihren Ataman sähen. Sie waren aber noch nicht aus dem Walde herausgeritten, als schon die Feindesmacht von allen Seiten den Wald umzingelte und sich zwischen den Bäumen von allen Seiten Reiter mit Säbeln und Lanzen zeigten.
»Ostap! Ostap! Ergib dich nicht!« schrie Taras, zog selbst den Säbel und begann die ersten, die ihm unter die Klinge kamen, kreuz und quer zu versäbeln. Auf Ostap hatten sich plötzlich sechs gestürzt; sie waren aber offenbar nicht zu guter Stunde gekommen: dem einen flog der Kopf herunter, der zweite kehrte um und entfloh, dem dritten stieß er die Lanze in die Rippen, der vierte war mutiger, er wich mit dem Kopf der Kugel aus, und es traf die heiße Kugel in die Brust des Pferdes. Es schlug zur Erde und erdrückte den Reiter. »Gut, Söhnchen! Gut, Ostap!« schrie Taras. »Siehst du, ich folge dir!« Selber aber verteidigt er sich vor den Angreifenden, haut und schlägt um sich, teilt Geschenke aus, diesem und jenem auf den Kopf, und schaut dabei immer nur geradeaus auf Ostap und sieht, daß schon von neuem acht auf einmal auf Ostap eindringen. »Ostap, Ostap, gib nicht nach!« Aber schon überwältigen sie Ostap; schon warf ihm einer die Schlinge über den Hals, schon binden sie, schon nehmen sie Ostap. »Ech, Ostap, Ostap!« schrie Taras, indem er zu Kraut zerhieb, wer ihm nur nahe kam. »Ech, Ostap, Ostap …!« Aber wie mit einem schweren Stein traf es ihn selber in diesem Augenblick. Alles kreiste und drehte sich in seinen Augen. Einen Augenblick noch funkelten vor ihm durcheinander Körper, Lanzen, Rauch, Feuerschein, Äste mit Blättern daran, ihm gerade vor den Augen flimmernd. Und er stürzte wie eine gefällte Eiche auf die Erde. Und Nebel bedeckte seine Augen.
»Ich habe aber lange geschlafen!« sprach Taras, als er erwachte, wie aus einem schweren Rauschschlaf, und sich bemühte, die ihn umgebenden Gegenstände zu erkennen. Furchtbare Schwäche umfing seine Glieder. Kaum unterschied er die Wände und Winkel einer ihm unbekannten Stube. Endlich bemerkte er, daß Towkatsch vor ihm saß und auf jeden Atemzug von ihm zu lauschen schien.
»Ja« – dachte Towkatsch für sich –, »eingeschlafen wärst du vielleicht auch für immer!« Er sagte aber gar nichts, drohte mit dem Finger und gab das Zeichen, zu schweigen.
»Ja, so sage mir doch, wo ich jetzt bin?« frug wiederum Taras, seinen Verstand anspannend und bemüht, sich an das Vergangene zu erinnern.
»So schweige doch!« schrie ihn der Kamerad hart an – »was willst du denn noch wissen? Siehst du denn nicht, daß du ganz zerhauen bist? Zwei Wochen sind es schon, daß wir mit dir galoppieren, ohne Atem zu schöpfen, und daß du in Fieber und Hitze Unsinn schwätzest. Jetzt bist du gerade zum erstenmal ruhig eingeschlafen. So schweige doch, wenn du dich nicht selber unglücklich machen willst!«
Taras aber bemühte sich krampfhaft, seine Gedanken zu sammeln und sich an das Geschehene zu erinnern. »Ja, mich hatten ja die Ljachen gefaßt und von allen Seiten umzingelt? Ich hatte ja keinerlei Möglichkeit mehr, mich aus dem Haufen herauszuschlagen?«
»Schweig doch, man sagt es dir doch, Teufelskind!« schrie Towkatsch, erzürnt wie eine Wärterin, die, aus der Fassung gebracht, ihr Kindchen anschreit, das nicht ruhig werden will. »Was nützt es dir, zu wissen, wie du herauskamst? Genug, daß du herauskamst. Es fanden sich Leute, die dich nicht auslieferten – nun, genug mit dir! Wir werden noch mehr wie eine Nacht zusammen galoppieren müssen! Du glaubst wohl, daß du für einen einfachen Kosaken galtest? Nein, deinen Kopf schätzte man auf zweitausend Dukaten!«
»Aber Ostap?« schrie plötzlich Taras, bemühte sich, sich zu erheben, und erinnerte sich plötzlich, wie man Ostap ergriff und vor seinen Augen band, und daß er jetzt schon in den Händen der Ljachen sei. Und Kummer umfing sein altes Haupt. Er zerriß und riß ab alle Verbände seiner Wunden; er warf sie weit weg, er wollte irgend etwas laut sagen – und statt dessen fing er an, Unsinn zu schwätzen: Fieber und Phantasieren überwältigten ihn von neuem, und es ergossen sich ohne Vernunft und Zusammenhang seine sinnlosen Reden. Währenddessen stand aber der treue Kamerad vor ihm, scheltend, ihn überschüttend mit heftigen und tadelnden Worten und Vorwürfen ohne Zahl. Endlich faßte er ihn an Händen und Füßen, wickelte ihn wie ein kleines Kind, brachte alle Verbände in Ordnung, wickelte ihn in ein Stierfell, band ihn in Holzbretter, befestigte ihn mit Stricken am Sattel und jagte mit ihm von neuem auf dem Wege dahin.
»Wenn auch nicht lebend, ich werde dich doch in die Heimat bringen. Nicht dulden will ich, daß die Ljachen Spott treiben mit deinem Kosakentum, deinen Körper in Stücke reißen und ihn ins Wasser werfen. Ja, wenn schon ein Adler die Augen aus deiner Stirne aushacken soll, so möge es schon unser Steppenadler sein, nicht aber der der Ljachen, nicht der, der aus polnischer Erde auffliegt. Wenn auch nicht lebend, ich werde dich doch zur Ukraine bringen …«
So sprach der treue Kamerad. Er galoppierte Tag und Nacht und brachte den Bewußtlosen nach der Saporoger Sjetsch. Dort machte er sich daran, ihn unermüdlich mit Kräutern und Umschlägen zu heilen; er fand eine heilkundige Jüdin, die dem Kranken einen Monat lang verschiedene Heilkräuteraufgüsse zu trinken gab, und endlich ward es Taras besser. Mag die Arznei oder seine eiserne Natur den Sieg davongetragen haben, nach anderthalb Monaten stand er auf; die Wunden waren verheilt, und nur die Säbelnarben ließen erkennen, wie tief einstmals der alte Kosak verwundet worden war. Er war aber merklich mürrisch und traurig geworden. Drei schwere Falten hatten sich in seine Stirn gegraben und verließen sie schon niemals mehr. Er schaute jetzt um sich; alles war neu in Sjetsch, alle alten Kameraden waren tot. Nicht einer war mehr da von denen, die für die gerechte Sache eingetreten waren, für Glauben und Brudertum. Auch jene, die mit dem Obersten sich aufgemacht hatten, die Tataren zu verfolgen, auch sie waren längst schon nicht mehr: alle hatten ihre Häupter niedergelegt, alle waren sie zugrundegegangen: dieser hatte im Kampfe selber sein ehrliches Haupt gebettet, jener war in den Salzgruben der Krim verdurstet und verhungert; ein dritter war in Gefangenschaft geraten und hatte die Schande nicht ertragen; auch der frühere Oberst selber war längst schon nicht mehr auf der Welt, und keiner von den alten Kameraden, und längst schon war die einstmals schäumende Kosakenkraft mit Gras überwachsen. Er hatte nur gehört, daß es ein heftiges Gelage gewesen war, ein lärmendes Gelage, und alles Geschirr war in Scherben gegangen, nirgends ein Tropfen Wein geblieben, beiseite gebracht hatten Gäste und Diener alle teuren Becher und Gefäße – und verlegen steht der Hausherr da und denkt: »Besser wäre es gewesen, dieses Gastmahl hätte nicht stattgefunden.« Vergeblich bemühte man sich, Taras abzulenken und zu erheitern; vergeblich rühmten bärtige, weißhaarige Banduristen, zu zweit und zu dritt kommend, seine Kosakentaten; streng und teilnahmlos schaute er auf alles, untröstlicher Gram malte sich auf seinem unbeweglichen Gesicht, und, das Haupt gesenkt, sprach er leise: »Mein Sohn! Mein Ostap!«
Die Saporoger versammelten sich zu einer Meeresfahrt. Zweihundert Boote waren in den Dnjepr gelassen worden, und Kleinasien sah sie mit geschorenen Köpfen und langen Schöpfen, wie sie dem Schwert und Feuer seine blühenden Ufer übergaben: es sah die Turbane seiner mohammedanischen Bewohner verstreut, gleich seinen zahllosen Blumen, auf blutgetränkten Feldern und an den Ufern schwimmend. Es sah nicht wenig mit Teer befleckte saporogische Hosen, kräftige Arme mit schwarzen Knuten. Die Saporoger verzehrten und zerstörten, was an Trauben gezogen worden war; in den Moscheen hinterließen sie ganze Haufen von Mist; kostbare persische Tücher benutzten sie statt Gürtel und banden mit ihnen ihre befleckten Röcke. Noch lange nachher fand man an diesem Orte kurze saporogische Pfeifchen. Lustig fuhren sie zurück, hinter ihnen her eilte ein zehnkanoniges türkisches Schiff und jagte durch eine Salve aus seinen sämtlichen Geschützen wie Vögel ihre durchlöcherten Boote auseinander. Der dritte Teil von ihnen versank in den Meerestiefen; die übrigen aber vereinigten sich aufs neue und gelangten zur Mündung des Dnjepr mit zwölf Fäßchen, angefüllt mit Zechinen. Aber das alles beschäftigte schon nicht Taras. Er ging in die Wiesen und Steppen, als ob er jagen wolle, seine Ladung blieb aber unverschossen. Und das Gewehr niederlegend, voll Gram, setzte er sich an das Meeresufer. Lange saß er dort, das Haupt gesenkt und immer murmelnd: »Mein Ostap! Mein Ostap!« Vor ihm leuchtete und breitete sich aus das Schwarze Meer; aus fernem Röhricht schrie die Möwe, sein weißer Schnurrbart war silbern geworden, und eine Träne nach der andern tropfte hinab.
Und endlich hielt es Taras nicht mehr aus: »Mag kommen, was da will, ich werde gehen und erfahren, was mit ihm ist. Lebt er? Ist er im Grabe? Oder ist er noch nicht unter der Erde? Ich erfahre es, was es auch kosten mag!« Und eine Woche später befand er sich in der Stadt Uman, gerüstet, zu Pferde, mit Lanze, Säbel, das Fäßchen für den Weg am Sattel, zugleich auch den Feldtopf mit Mehlbrei, Pulverhorn, Pferdekoppel und der übrigen Ausrüstung. Er ritt geradeswegs zu einem unsaubern, beschmutzten Häuschen, dessen kleine Fensterchen ganz trübe geworden und kaum sichtbar waren; der Schornstein war mit einem Tuch zugestopft, und auf dem durchlöcherten Dach saß eine Menge Spatzen. Ein Haufen von allerlei Unrat lag gerade vor der Tür. Aus dem Fenster schaute der Kopf einer Jüdin heraus im Häubchen mit dunkelgewordenen Perlen.
»Ist dein Mann zu Hause?« sprach Bulba, indem er vom Pferde sprang und den Zügel an einem eisernen Haken bei der Tür befestigte.
»Zu Hause«, sprach die Jüdin und kam sogleich heraus, mit einem Beutel voll Weizen für das Pferd und einem Krug Bier für den Ritter.
»Wo ist denn dein Jude?«
»Er ist im anderen Zimmer, er betet«, murmelte die Jüdin, und sie verneigte sich und wünschte Gesundheit, als Bulba den Krug zu den Lippen führte.
»Bleib hier, füttere und tränke mein Pferd, ich aber werde hineingehen, ich will allein mit ihm sprechen. Ich habe einen Auftrag für ihn.«
Dieser Jude war der bekannte Jankel. Er wohnte dort schon als Pächter und Schenkwirt; in aller Stille hatte er sämtliche Pans und Schlachtitzen der Umgegend in seine Hände gebracht; allmählich saugte er alle Gelder auf und machte gar sehr seine jüdische Anwesenheit bemerkbar in diesem Lande. Im Umkreis von drei Meilen nach allen Seiten hin war nicht eine einzige Hütte in Ordnung geblieben: alles stürzte ein und ward hinfällig, alles wurde vertrunken, und zurück blieb Armut und Lumpen; wie nach einer Feuersbrunst oder nach der Pest war der ganze Kreis »ausgeblasen«. Hätte Jankel dort noch zehn Jahre gelebt, er hätte wahrscheinlich die ganze Wojewodenschaft »ausgeblasen«.
Taras ging ins Wohnzimmer. Der Jude betete, bedeckt mit seinem ziemlich beschmutzten Kittel, und drehte sich gerade um, um zum letzten Male zu spucken, nach dem Brauche seines Glaubens, als plötzlich seine Augen auf den im Hintergrund stehenden Bulba fielen. So kamen denn auch zuallererst dem Juden die zweitausend Dukaten in den Sinn, die für dessen Haupt versprochen waren; er schämte sich aber seiner Habsucht und bemühte sich, den ewigen Gedanken an das Geld in sich zu unterdrücken, der wie ein Wurm die Seele des Juden zernagt.
»Höre, Jankel!« sprach Taras zum Juden, der sich vor ihm zu verneigen begann und vorsichtig die Tür schloß, damit man sie nicht sehe. »Ich rettete dein Leben – die Saporoger hätten dich wie einen Hund zerrissen, jetzt ist die Reihe an dir, jetzt leiste du mir einen Dienst!«
Das Gesicht des Juden verfinsterte sich etwas.
»Was für einen Dienst? Wenn einen solchen, den man tun kann, weshalb nicht?«
»Sprich gar nichts. Bringe mich nach Warschau!«
»Nach Warschau? Wie denn nach Warschau?« rief Jankel. Seine Brauen und Schultern hoben sich vor Verwunderung.
»Sage gar nichts. Bringe mich nach Warschau. Was es auch kosten mag, ich will ihn noch einmal sehen, ihm wenigstens ein Wort sagen.«
»Wem ein Wort sagen?«
»Ihm, Ostap, meinem Sohne!«
»Hat denn der Pan nicht gehört, daß schon …«
»Ich weiß, ich weiß alles: für mein Haupt gibt man zweitausend Dukaten. Die Schafsköpfe kennen demnach seinen Wert! Ich werde dir zwölftausend geben. Da hast du zweitausend sogleich« (Bulba streute zweitausend Dukaten aus seinem Lederbeutel aus), »die andern aber erhältst du – wenn ich zurückkehren werde!«
Der Jude erfaßte sogleich ein Handtuch und bedeckte damit die Dukaten.
»Ach, eine solche Münze! Ach, eine gute Münze!« sprach er, indem er einen Dukaten in Händen drehte und ihn mit den Zähnen erprobte. »Ich glaube, der Mensch, dem der Pan so schöne Dukaten abnahm, hat auch keine Stunde mehr in der Welt gelebt: er ist auf der Stelle in den Fluß gegangen, ja, und hat sich dort ertränkt nach dem Verlust von so herrlichen Dukaten!«
»Ich hätte dich nicht gebeten. Ich hätte vielleicht selber den Weg nach Warschau gefunden; die verfluchten Ljachen können mich aber irgendwie erkennen und festnehmen: denn ich bin nicht gerade groß im Ausdenken von Listen. Ihr aber, ihr Juden, seid dazu wie geschaffen. Den Teufel selber werdet ihr hinters Licht führen; ihr kennt alle Schliche: deshalb komme ich auch zu dir! Ja, und auch in Warschau hätte ich selber allein gar nichts erreicht. Sogleich spanne eine Fuhre an und fahre mich!«
»Der Pan glaubt wohl, ich nehme so geradeswegs eine Stute, spanne sie an, ja, und rufe wohl: ›Ei nun los, Schimmel!‹ Glaubt denn der Pan, man könne den Pan, so wie er ist, ohne ihn zu verstecken, fahren?«
»Nun, so verstecke mich, verstecke mich, wie du es für richtig hältst; in ein Pulverfaß etwa?«
»Ei, ei! Glaubt denn der Pan, man könne ihn in ein Faß verstecken? Weiß denn der Pan nicht, daß jedermann glauben wird, im Fasse sei Branntwein!«
»Nun, so möge man das glauben!«
»Wie? Mögen sie glauben, es sei Branntwein?« sprach der Jude, faßte sich mit beiden Händen an seine Schläfenhaare und erhob dann beide Hände.
»Nun, was bist du denn so erschrocken?«
»Aber weiß denn der Pan wirklich nicht, daß Gott den Branntwein dazu schuf, damit ihn jeder probiere? Dort sind alle Leckermäuler, Näscher: ein Schlachtitz wird fünf Werst dem Faß nachlaufen, wird sogleich ein Löchelchen durchschlagen, sehen, daß es nicht fließt, und sagen: ›Ein Jude fährt kein leeres Faß, wahrscheinlich steckt da irgend etwas dahinter! Man fasse den Juden, man binde den Juden, man nehme dem Juden alles Geld ab, man werfe den Juden ins Gefängnis!‹ Weil alles, was es Nichtgutes gibt, alles auf den Juden gewälzt wird, weil jeder den Juden für einen Hund hält, weil man glaubt, man sei schon kein Mensch mehr, wenn man ein Jude ist.«
»Nun, so lege mich auf eine Fuhre mit Fischen!«
»Unmöglich, Pan, bei Gott unmöglich! In ganz Polen sind jetzt die Menschen hungrig wie Hunde: auch den Fisch wird man stehlen und den Pan herausfühlen!«
»So fahre mich denn auf des Teufels Rücken, nur fahre mich!«
»Höre, höre, Pan!« sprach der Jude, schlug die Aufschläge seiner Ärmel zurück und trat mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. »Das ist es, was wir tun werden. Jetzt baut man überall Festungen und Schlösser; aus Deutschland kamen französische Ingenieure, und deshalb fährt man viel Ziegel und Steine auf den Wegen. Möge sich der Pan auf den Boden der Fuhre legen, oben aber werde ich ihn mit Ziegeln zudecken. Der Pan ist gesund und stark von Ansehen, und deshalb ist es ihm nichts, wenn es etwas schwer sein wird, ich aber werde in der Fuhre unten ein Löchelchen machen, um den Pan zu ernähren.«
»Mach, wie du willst, nur fahre mich!«
Und eine Stunde später fuhr ein Wagen Ziegel aus Uman, bespannt mit zwei Schindmähren. Auf der einen von ihnen saß der hochgewachsene Jankel, und seine langen Schläfenlocken wehten unter dem jüdischen Käppchen hervor in dem Maße, wie er auf dem Pferde emporhüpfte, lang, wie ein am Wege aufgestellter Werstpfahl.
Zu der Zeit, als dies eben beschriebene Ereignis sich zutrug, gab es in den Grenzorten noch keinerlei Zollbeamte und Zollwärter, diese furchtbaren Gefahren für unternehmende Leute, und deshalb konnte jeder fahren, was er wollte. Nahm aber irgendwer eine Untersuchung und eine Prüfung vor, so tat er das größtenteils zu seinem eigenen Vergnügen, besonders wenn auf der Fuhre für die Augen verlockende Gegenstände lagen und wenn seine eigene Hand tüchtiges Gewicht und Schwere hatte. Ziegelsteine fanden aber keinen Liebhaber, und Jankel fuhr ungehindert ins Hauptstadttor ein. Bulba konnte in seinem engen Käfig nur Lärm vernehmen, Schreie von Fuhrleuten und weiter nichts. Jankel, hüpfend auf seinem frommen, mit Staub bedeckten Traber, beschrieb einige Kreise und lenkte dann in eine finstere, enge Straße ein, die die »Schmutzige« und zugleich auch die »Judenstraße« hieß, weil sich hier tatsächlich die Juden fast aus ganz Warschau aufhielten. Diese Straße glich außerordentlich dem Innern eines Hinterhofes. Die Sonne schien überhaupt nicht dahin zu kommen. Ganz schwarz gewordene Holzhäuser mit vielen aus den Fenstern herausgehängten Stangen vermehrten noch die Dunkelheit. Hier und da schimmerte eine rote Ziegelmauer dazwischen, aber auch die hatte sich schon an vielen Stellen völlig in eine schwarze verwandelt. Nur bisweilen leuchtete ein von oben verstucktes Stück Wand, von der Sonne erfaßt, in für das Auge unerträglicher Weiße. Dort bestand alles aus starken Gegensätzen: Kamine, Lappen, Abfälle, herausgeworfene, zerbrochene Bottiche. Ein jeder schleuderte auf die Straße, was er nicht mehr brauchen konnte, und gab so den Vorübergehenden jede Möglichkeit, alle seine Sinne an diesem Dreck zu erlaben. Der zu Pferde sitzende Wagenlenker konnte mit der Hand fast die Stangen erfassen, die von einem Hause zum anderen über die Straße gezogen waren und auf denen jüdische Strümpfe hingen, kurze Unterhosen und Stücke von geräucherter Gans. Bisweilen sah das ziemlich nette Gesichtchen einer Jüdin, mit dunkel gewordenen Wachsperlen geschmückt, aus einem verfallenen Fensterchen. Ein Haufe kleiner Jüdchen, beschmutzt, abgerissen, mit lockigen Haaren, schrie und wälzte sich im Schmutz. Ein rothaariger Jude mit Sommersprossen im ganzen Gesicht, die ihn einem Spatzenei ähnlich machten, schaute aus einem Fenster heraus; sogleich begann er mit Jankel ein Gespräch in seinem Kauderwelsch, und Jankel fuhr darauf in einen Hof ein. Auf der Straße ging ein anderer Jude, blieb stehen, fing gleichfalls ein Gespräch an, und als Bulba endlich aus den Ziegeln hervorkrabbelte, sah er drei Juden, die mit großem Feuer sprachen.
Jankel wandte sich an ihn und sagte, alles werde geschehen, sein Ostap sitze im städtischen Gefängnis, und es sei zwar schwer, die Wächter zu überreden, aber gleichwohl hoffe er, ihm ein Wiedersehen zu ermöglichen.
Bulba trat mit den drei Juden in das Zimmer.
Die Juden begannen wiederum miteinander zu sprechen in ihrer unverständlichen Sprache. Taras schaute sich einen jeden von ihnen an. Irgend etwas schien ihn heftig erschüttert zu haben: auf seinem rauhen und gleichgültigen Gesicht hatte sich eine ganz verzehrende Hoffnungsflamme entzündet, jener Hoffnung, die bisweilen den Menschen umfängt im letzten Stadium der Verzweiflung; sein altes Herz begann heftig zu schlagen, als wäre es das eines Jünglings.
»Hört, ihr Juden«, sprach er, und in seinen Worten lag etwas Feierliches. »Ihr könnt alles auf der Welt machen, ihr grabt sogar aus dem Meeresgrunde Schätze hervor, und ein altes Sprichwort sagt schon, der Jude werde sich selber stehlen, wenn er das nur wolle. Befreit mir meinen Ostap! Gebt ihm die Möglichkeit, den Händen der Teufel zu entrinnen. Ich habe diesem Menschen da zwölftausend Dukaten versprochen – ich füge noch zwölftausend hinzu. Alles, was ich habe, kostbare Becher und in der Erde vergrabenes Gold, mein Haus und mein letztes Kleid will ich verkaufen und mit euch einen Vertrag abschließen für mein ganzes Leben, alles, was ich im Kriege erbeuten werde, mit euch zur Hälfte zu teilen.«
»Oh, es ist nicht möglich, lieber Pan, nicht möglich!« sprach seufzend Jankel.
Alle drei Juden schauten einander an.
»Nein, nicht möglich!« sprach ein anderer Jude.
»Aber versuchen?« sprach der dritte, indem er die beiden andern scheu anblickte. »Vielleicht wird es Gott geben?«
Alle drei Juden sprachen auf Deutsch miteinander. Wie sehr auch Bulba sein Ohr anstrengte, er vermochte nichts zu erraten; er hörte nur häufig das Wort »Mardochai« und weiter nichts.
»Höre, Pan!« sprach Jankel, »man muß sich mit einem Menschen beraten, wie es noch niemals einen auf der Welt gegeben hat. Uh! Uh! So weise wie Salomo, und wenn er nichts tun wird, dann wird schon niemand auf der Welt etwas machen. Sitze hier; da ist der Sessel, und laß niemand ein!« … Die Juden gingen auf die Straße.
Taras schloß die Tür und schaute durch das kleine Fensterchen auf diese schmutzige jüdische Straße. Die drei Juden waren in der Mitte der Straße stehengeblieben und begannen ziemlich lebhaft zu sprechen, ihnen schloß sich bald ein vierter, endlich noch ein fünfter an. Er hörte wiederum wiederholt: »Mardochai, Mardochai!« Die Juden schauten unaufhörlich auf eine Seite der Straße: endlich zeigte sich dort aus einem schmutzigen Hause ein Fuß in jüdischem Schuh und schimmerten die Falten eines Halbkaftans. »Ah, Mardochai, Mardochai!« schrien alle Juden auf einmal. Ein schwächlicher Jude, etwas kleiner als Jankel, aber bei weitem mehr mit Runzeln bedeckt, mit einer gewaltig großen Oberlippe, näherte sich dem ungeduldigen Haufen, und alle Juden sprachen alle auf einmal auf ihn ein, wobei Mardochai mehrmals nach dem kleinen Fensterchen hinschaute, und Taras erriet, daß von ihm die Rede war. Mardochai rang die Hände, hörte zu, unterbrach die Rede, spuckte häufig zur Seite, und, die Falten seines Halbkaftans erhebend, steckte er die Hand in die Tasche und nahm irgendwelchen Krimskrams heraus, wobei er seine äußerst schlechten Hosen zeigte. Endlich stießen alle Juden einen solchen Schrei aus, daß der Jude, der auf Wache stand, ihnen ein Zeichen zum Schweigen geben mußte und Taras schon für seine Sicherheit zu fürchten begann; er entsann sich aber, daß die Juden nicht anders beraten können als auf der Straße und daß ihre Sprache der Teufel selber nicht verstehen würde, und beruhigte sich.
Zwei Minuten später traten die Juden alle zusammen in sein Zimmer. Mardochai näherte sich Taras, klopfte ihm auf die Schulter und sprach: »Wenn Gott wünschen wird, daß wir es tun, so wird es schon so sein, wie es nötig ist!«
Taras blickte auf diesen »Salomo, wie noch keiner auf der Erde war« und schöpfte etwas Hoffnung. Tatsächlich vermochte sein Anblick ein gewisses Vertrauen zu wecken: Seine Oberlippe war einfach ein Ungetüm; ihre Dicke rührte zweifellos her aus abseits des natürlichen Wachstums liegenden Ursachen. Im Barte dieses Salomos waren nicht mehr wie fünfzehn Härchen, und das nur auf der linken Seite. Im Gesichte Salomos schaute man so viele Merkmale von Prügeln, die er für seine Frechheit erhalten hatte, daß er es zweifellos längst aufgegeben hatte, sie zu zählen, und sich daran gewöhnt hatte, sie für Muttermale anzusehen.
Mardochai ging zugleich mit seinen Kameraden hinaus, die von Staunen erfüllt waren über seine Weisheit. Bulba blieb allein. Er war in seltsamer, ungewöhnlicher Stimmung: zum ersten Male im Leben fühlte er Unruhe. Seine Seele war in einem fieberhaften Zustand. Er war nicht jener Frühere, Unbeugsame, nicht zu Erschütternde, fest wie eine Eiche; er war kleinmütig, er war schwach. Er zitterte bei jedem Rascheln, bei jeder neuen jüdischen Figur, die sich am Ende der Straße zeigte. In einem solchen Zustande verbrachte er endlich den ganzen Tag; er aß nichts, er trank nichts, und seine Augen trennte er nicht einen Augenblick von dem kleinen Fensterchen nach der Straße. Endlich, schon spät am Abend, zeigten sich Mardochai und Jankel. Taras' Herz erstarb.
»Nun? Erfolgreich?« frug er sie mit der Ungeduld eines wilden Rosses.
Bevor aber noch die Juden sich im Geiste sammelten, um zu antworten, bemerkte Taras, daß Mardochai auch die letzte Locke schon nicht mehr besaß, die, wenn auch ziemlich unsauber, aber gleichwohl sich aus seinem Käppchen hervorgeringelt hatte. Es war zu sehen, er wollte etwas sagen, er sprach aber ein solches Kauderwelsch, daß Taras gar nichts verstand. Ja, und auch Jankel selber legte sehr häufig die Hand zum Munde, als litte er an einer Erkältung.
»Oh, lieber Pan!« sprach Jankel, »jetzt ist es völlig unmöglich! Bei Gott, unmöglich! Ein so schlechtes Volk, daß man ihm mitten auf den Kopf spucken muß. Auch Mardochai hier wird das sagen. Mardochai tat solches, wie noch niemals irgendein Mensch auf der Welt; aber Gott wollte nicht, daß es so wäre: dreitausend Soldaten stehen da, und morgen wird man sie alle hinrichten.«
Taras sah dem Juden in die Augen, aber ohne Ungeduld und ohne Zorn.
»Wenn ihn aber der Pan sprechen will, so muß das morgen so früh sein, daß die Sonne noch gar nicht aufging. Die Wachen sind einverstanden, und ein Hauptmann hat versprochen. Möge ihnen nur auf dieser Welt kein Glück sein, oh, wehe mir! Was ist das für ein habgieriges Volk! Unter uns, solche gibt es gar nicht: fünfzig Dukaten gab ich jedem, dem Hauptmann aber …«
»Gut, führe mich zu ihm!« sprach Taras entschlossen, und die ganze Festigkeit war zurückgekehrt in seine Seele. Er ging auf den Vorschlag Jankels ein, sich in einen ausländischen, aus deutschem Lande gekommenen Grafen zu verkleiden, wozu ihm der vorsichtige Jude bereits die Kleider zu verschaffen Zeit gefunden hatte. Es war schon Nacht. Der Besitzer des Hauses, der erwähnte Jude mit Sommersprossen, zog eine dünne Matratze hervor, die mit einer Art Bastdecke bedeckt war, und breitete sie auf der Bank für Bulba aus. Jankel legte sich auf eine ebensolche Matratze auf den Boden. Der rothaarige Jude trank ein kleines Gläschen von irgendeinem Aufguß aus, legte seinen Halbkaftan ab (in Strümpfen und Schuhen glich er etwas einem Hühnchen) und begab sich mit seiner Jüdin nach etwas, was einem Schrank ähnlich war. Zwei Jüdchen legten sich wie zwei Haushündchen auf den Boden neben den Schrank. Taras schlief aber nicht. Er saß unbeweglich und trommelte leicht mit den Fingern auf den Tisch; er hielt sein Pfeifchen im Munde und ließ Dampf aus, wovon der Jude im Halbschlaf niesen mußte und seine Nase in die Decke wickelte. Kaum hatte sich der Himmel mit dem blassen Vorglanz der Morgenröte zu bedecken begonnen, da stieß schon Taras Jankel mit dem Fuß: »Steh auf, Jude, und gib dein Grafengewand!«
In einem Augenblick zog er sich an; er schwärzte sich den Schnurrbart, die Brauen, setzte ein kleines dunkles Mützchen auf den Kopf, und keiner von seinen allernächsten Kosaken hätte ihn erkennen können. Dem Aussehen nach schien er nicht mehr als fünfunddreißig Jahre alt zu sein. Gesundes Rot spielte auf seinen Wangen, und die Narben selber gaben ihm etwas Gebieterisches. Das goldgeschmückte Kleid stand ihm sehr gut.
Die Straßen schliefen noch. Noch kein handeltreibendes Geschöpf mit einem Korbe in der Hand zeigte sich in der Stadt. Bulba und Jankel kamen zu einem Gebäude, das einem sitzenden Reiher glich. Es war niedrig, breit, geräumig, dunkel geworden, und von seiner einen Seite erhob sich, wie der Hals eines Storches, ein langer schmaler Turm, auf dessen Spitze ein Stück Dach hing. Dieser Bau erfüllte eine Menge verschiedener Aufgaben: da befand sich eine Kaserne, das Gefängnis und sogar das Kriminalgericht. Unsere Wanderer traten ins Tor und befanden sich inmitten eines geräumigen Saales oder gedeckten Hofes. Ungefähr tausend Menschen schliefen da. Geradeaus war eine niedrige Tür, vor der zwei Wachen saßen und ein Spiel spielten, das darin bestand, daß einer dem anderen mit zwei Fingern in die Handfläche schlug. Sie schenkten den Ankömmlingen wenig Beachtung und kehrten ihnen die Köpfe erst dann zu, als Jankel sprach: »Das sind wir, hört ihr Pans, das sind wir!«
»Geht!« sprach einer von ihnen, indem er mit einer Hand die Tür öffnete, die andere aber seinem Kameraden bot, um von ihm die Schläge zu empfangen.
Sie traten in einen engen und dunklen Korridor, der sie wiederum in einen ebensolchen Saal führte, mit kleinen Fensterchen oben. »Wer da?« schrien einige Stimmen, und Taras sah eine beträchtliche Menge Krieger in voller Rüstung. »Es ist uns nicht erlaubt, irgendwen einzulassen.«
»Das sind wir!« schrie Jankel. »Bei Gott, wir, lichte Pans!« Aber niemand wollte hören. Glücklicherweise trat gerade ein dicker Kerl hinzu, der allen Anzeichen nach der Hauptmann zu sein schien, denn er schimpfte heftiger als alle.
»Pan, das sind doch wir. Sie kennen uns schon, auch der Pan Graf wird noch danken.«
»Laßt passieren, hundert Teufel der Teufelsmutter! … Sonst laßt aber niemand durch. Ja, und die Säbel nicht abnehmen, und sich nicht auf dem Boden wälzen!«
Die Fortsetzung des beredten Befehles hörten unsere Wanderer schon nicht mehr. »Das sind wir, das bin ich, das sind unsere!« sprach Jankel zu jedem, dem er begegnete.
»Wie denn, kann man jetzt?« frug er einen von den Wächtern, als sie endlich zu dem Orte gelangt waren, wo der Korridor endigte.
»Man kann; nur weiß ich nicht, ob man euch ins Gefängnis selber lassen wird. Jetzt ist schon nicht mehr Jan dort: an seiner Stelle steht ein anderer«, antwortete die Wache.
»Ei, ei!« sprach leise der Jude, »das ist schlimm, lieber Pan!«
»Führe mich!« antwortete hartnäckig Taras. Der Jude gehorchte.
Bei der Tür zu den unterirdischen Räumen, die oben in einer Spitze endete, stand ein Haiduck, mit einem Schnurrbart von drei Rängen. Der oberste Rang ging zurück, der zweite direkt vor, der dritte hinab, und das machte ihn gar sehr einem Kater ähnlich.
Der Jude hatte sich zu einem Knäuel zusammengezogen und trat fast mit der Seite an ihn heran. »Euer Erlaucht! Erlauchter Pan!«
»Du, Jude, sagst du das mir?«
»Ihnen, erlauchter Pan!«
»Hm … ich bin aber einfach ein Haiduck!« sprach der dreirangige Schnurrbartträger, und seine Augen wurden heiter.
»Ich aber, bei Gott, ich dachte, das sei der Wojewode selber. Ei! Ei! Ei!« Dabei schüttelte der Jude den Kopf und spreizte die Finger auseinander. »Ei, was für ein wichtiges Aussehen! Bei Gott, ein Oberst, durchaus ein Oberst! Fügt man hier nur noch ein ganz klein wenig hinzu, so ist das ein Oberst! Man müßte den Herrn auf einen Hengst setzen, der so rasch ist wie eine Fliege, ja, und dann möge er die Regimenter einüben.«
Der Haiduck richtete den unteren Rang seines Schnurrbartes zurecht, wobei seine Augen ganz lustig blickten.
»Was ist das für ein Kriegsvolk,« fuhr der Jude fort, »ach, wehe mir, was für ein schönes Volk! Schnürchen, Metallplättchen, es glänzt nur so von ihnen, wie von der Sonne; aber die Mädchen, wenn sie solche Krieger sehen, ei! … ei! …« Der Jude schüttelte wiederum seinen Kopf.
Der Haiduck drehte den oberen Schnurrbart und stieß durch die Zähne einen Laut hervor, der etwas an das Wiehern eines Pferdes erinnerte.
»Ich bitte den Pan um eine Gefälligkeit!« sprach der Jude. »Da ist dieser Fürst hier aus einem fremden Land gekommen, er möchte sich die Kosaken anschauen. Er hat noch niemals von Geburt an gesehen, was das für ein Volk ist, die Kosaken.«
Das Erscheinen ausländischer Grafen und Barone war in Polen nicht selten: häufig veranlaßte sie einfach die Neugierde, diesen fast halbasiatischen Winkel Europas sich anzusehen. Von Moskowien und der Ukraine glaubten sie, sie lägen schon in Asien. Und deshalb hielt es der Haiduck, nachdem er sich ziemlich tief verneigt hatte, für angebracht, einige Worte von sich aus zuzufügen.
»Ich weiß nicht, Euer Durchlaucht,« sprach er, »weshalb es Sie danach verlangt, die Kosaken anzusehen. Das sind Hunde, aber keine Menschen. Auch ihr Glaube ist ein solcher, daß ihn niemand achtet.«
»Du lügst, Teufelssohn!« rief Bulba. »Selber bist du ein Hund! Wie wagst du es, zu sagen, man achte nicht unseren Glauben! Das ist euer ketzerischer Glaube, den man nicht achtet!«
»Oho!« sprach der Haiduck, »jetzt weiß ich, Freundchen, wer du bist: du bist selber von denen, die schon da bei mir sitzen. Warte nur, ich werde die Unseren hierherrufen!«
Taras erkannte seine Unvorsichtigkeit, aber Eigensinn und Ärger hinderten ihn, zu überlegen, wie das wieder gutzumachen sei. Zum Glück konnte Jankel in diesem Augenblick eingreifen.
»Erlauchter Pan! Wie ist es denn möglich, daß der Graf da ein Kosak sei? Wäre er aber ein Kosak, wo hätte er dann ein solches Kleid und eine solche Grafenmiene erlangt?«
»Erzähle das anderen! …« Und der Haiduck öffnete schon seinen breiten Mund, um zu schreien.
»Ihre Königliche Hoheit! Schweigen Sie! Schweigen Sie um Gottes willen!« schrie Jankel. »Wir werden Ihnen dafür schon so bezahlen, wie Sie es noch niemals erschauten. Wir werden Ihnen zwei Golddukaten geben!«
»Oho! Zwei Dukaten! Zwei Dukaten sind mir gar nichts. Soviel gebe ich dem Barbier, damit er mir nur die Hälfte meines Bartes zurechtstutze. Hundert Dukaten gib, Jude!« Hier drehte der Haiduck seinen oberen Schnurrbart. »Wirst du aber nicht hundert geben, so werde ich sofort rufen!«
»Aber wofür denn so viel?« sprach kummervoll der blaßgewordene Jude, indem er seinen Lederbeutel aufband; er war indes glücklich, daß in seinem Beutel nicht mehr war und der Haiduck nicht weiter zählen konnte als bis hundert.
»Pan, Pan! Laßt uns rascher fortgehen! Sie sehen, was hier für schlechtes Volk ist!« sprach Jankel, der bemerkt hatte, daß der Haiduck in seiner Hand das Geld drehte, gerade so, als bedauere er, daß er nicht mehr verlangt habe.
»Was willst du denn, Teufelssohn,« sprach Bulba, »das Geld nahmst du, aber die Gefangenen uns zu zeigen denkst du nicht? Nein, du mußt sie uns zeigen! Wenn du schon Geld empfingst, so bist du schon nicht mehr im Recht, jetzt abzusagen …«
»Geht, geht zum Teufel! Sonst werde ich noch in diesem Augenblick Lärm schlagen, und euch wird man hier … Packt euch rasch, sage ich euch!«
»Pan, Pan! Laßt uns gehen, bei Gott, laßt uns gehen! Möge ihm etwas solches träumen, daß man spucken muß!« schrie der arme Jankel.
Das Haupt gesenkt, drehte sich Bulba langsam um und ging zurück, verfolgt von den Vorwürfen des Juden, den der Kummer verzehrte bei dem Gedanken an die umsonst verlorenen Dukaten.
»Wozu sich denn aufregen? Möge er doch schimpfen, der Hund! Das ist doch ein solches Volk, daß es nicht auskommt, ohne zu schimpfen! Ei, wehe mir, was für ein Glück sendet doch Gott bisweilen den Menschen! Hundert Dukaten nur dafür, daß er uns wegjagte! Unser Bruder aber: ihm reißt man die Schläfenlocken ab und macht aus seinem Maul so etwas, daß man gar nicht hinschauen kann, und niemand wird ihm dafür hundert Dukaten geben. Oh, mein Gott! Barmherziger Gott!«
Dieser Mißerfolg übte aber bei weitem mehr Wirkung auf Bulba; sie äußerte sich nur durch eine verzehrende Flamme in seinen Augen.
»Laß uns gehen!« sprach er plötzlich, als sei er wieder zu sich gekommen. »Laß uns auf den Platz gehen. Ich will sehen, wie sie ihn martern werden.«
»Ei, Pan! Weshalb dahin gehen? Wir werden ihm ja damit schon nicht helfen!«
»Laß uns gehen!« sprach eigensinnig Bulba, und der Jude folgte ihm seufzend nach wie eine Wärterin.
Der Platz, auf dem die Hinrichtung stattfinden sollte, war nicht schwer zu finden: von allen Seiten strömte das Volk dahin. In der damaligen rohen Zeit bedeutete dies eines von den bemerkenswertesten Schauspielen, nicht nur für den Pöbel, vielmehr selbst für die höchsten Klassen. Viele alte Weiber, die allergottesfürchtigsten, viele junge Mädchen und Frauen, die allerängstlichsten, denen hernach die ganze Nacht hindurch von den Leichen träumte und die im Halbschlaf dann so laut schrien, wie nur ein betrunkener Husar schreien kann, ließen gleichwohl nicht die Gelegenheit vorübergehen, ihre Neugierde zu befriedigen. »Ach, was für eine Quälerei!« schrien viele von ihnen in hysterischem Fieber, die Augen schließend und sich wegwendend, aber gleichwohl standen sie bisweilen ziemlich lang. Ein anderer hätte, den Mund aufgesperrt und die Hände vor sich gestreckt, allen auf die Köpfe springen mögen, um nur von da aus besser zu sehen. Aus der Menge der schmalen, nicht großen und gewöhnlichen Köpfe streckte ein Metzger sein dickes Gesicht hervor, betrachtete den ganzen Prozeß mit dem Blicke eines Kenners und sprach in kurzen Worten mit einem Waffenschmied, den er Gevatter nannte, weil er sich am Feiertag mit ihm in demselben Wirtshaus zu betrinken pflegte. Einige disputierten eifrig, andere gingen sogar Wetten ein; der größte Teil bestand aber aus solchen, die auf die ganze Welt und alles, was da vorfällt, mit dem Finger in der Nase bohrend hinblicken. Auf dem vordersten Plane, dicht neben den Schnurrbartträgern, welche die städtische Garde bildeten, stand im Kriegergewand ein junger Schlachtitz oder jemand, der so aussah. Er hatte entschieden alles angezogen, was er besaß, so daß in seiner Wohnung nur ein zerrissenes Hemd geblieben war und ein Paar alte Stiefel. Zwei Ketten, eine über der anderen, hingen ihm am Halse, mit irgendeinem Dukaten daran. Er stand mit seinem Schätzchen, Jususja, und schaute sich ständig um, damit niemand ihr seidenes Gewand beschmutze. Er hatte ihr schon alles erklärt, so daß durchaus nichts mehr hinzuzufügen blieb: »Sehen Sie hier, Seelchen Jususja,« sprach er, »alles dies Volk, das Sie da sehen, ist gekommen, zuzuschauen, wie man die Verbrecher hinrichten wird. Aber der dort, Seelchen, der, wie Sie sehen, das Beil in Händen hält und die anderen Instrumente, das ist der Henker, er wird die Hinrichtung vornehmen. Wenn er zu rädern und die anderen Foltern vorzunehmen beginnen wird, dann wird der Verbrecher noch am Leben sein; wenn man ihm aber den Kopf abhackt, dann wird er, Seelchen, auch sogleich sterben. Vorher wird er schreien und sich bewegen, sobald man ihm aber den Kopf abhacken wird, wird es ihm nicht mehr möglich sein, zu schreien, auch nicht zu trinken, weil er, mein Seelchen, schon keinen Kopf mehr haben wird.« Und Jususja hörte das alles mit Furcht und Neugier an. Die Dächer der Häuser waren mit Volk besät. Aus den Dachluken schauten seltsame Fratzen in Schnurrbärten heraus und in etwas, was aussah, wie Häubchen. Auf Balkonen, unter Baldachinen, saß die Aristokratie. Das schöne Händchen einer lachenden und wie weißer Zucker schimmernden Panotschka hielt sich am Geländer. Erlauchte Pans, ziemlich vierschrötig, schauten mit wichtigen Mienen drein. Ein junger Diener in glänzender Tracht mit zurückgeschlagenen Ärmeln trug dort verschiedene Getränke und Speisen herum. Häufig erfaßte eine schwarzäugige Mutwillige mit ihren hellen Handschuhen einen Kuchen und Früchte und warf sie unters Volk. Ein Haufe hungriger Ritter streckte zum Auffangen die Degen vor, und irgendein hochgewachsener Schlachtitz, der aus dem Haufen um eines Hauptes Länge herausragte, in einem verschossenen roten Rock mit schwarz gewordenen goldenen Schnüren, fing vermöge seiner langen Arme als erster auf, küßte die erlangte Beute, drückte sie ans Herz und steckte sie dann in den Mund. Ein Falke hing in goldenem Käfig unter einem Balkon. Auch er war Zuschauer: den Schnabel auf die Seite geneigt und den Fuß erhoben, schaute auch er aufmerksam auf das Volk. Plötzlich begann aber der Haufe zu lärmen, und von allen Seiten erschollen Stimmen: »Man führt sie herbei! Man führt sie herbei, die Kosaken!«
Sie schritten daher bloßen Hauptes und mit langen Schöpfen; die Bärte waren ihnen lang gewachsen. Weder furchtsam noch mürrisch schauten sie drein, vielmehr mit einem gewissen stillen Stolz; ihre Kleider, aus kostbarem Tuch, waren vertragen und hingen in verblichenen Fetzen an ihnen herab; sie schauten nicht auf das Volk und verneigten sich ihm nicht. Allen voran schritt Ostap.
Was fühlte der alte Taras, als er seinen Ostap erschaute? Was ging da in seinem Herzen vor? Er schaute auf ihn aus der Menge und ließ sich keine seiner Bewegungen entgehen. Sie näherten sich schon dem Richtplatz. Ostap blieb stehen. Ihm kam es als erstem zu, diesen bitteren Kelch zu leeren. Er schaute auf die Seinigen, erhob die Hand und rief laut aus: »Gebe doch Gott, daß alle die Ketzer, die ehrlosen, die hier stehen, nicht vernehmen, wie ein Christ gefoltert wird! Daß nicht einer von uns ein Wort murmle!« Darauf näherte er sich dem Schafott.
»Gut, Söhnchen, gut!« sprach leise Bulba und neigte sein greises Haupt zur Erde.
Der Henker riß ihm die alten Lumpen ab, man band ihm Hände und Füße in eigens zu diesem Zwecke gemachte Gestelle und … Wir werden den Leser nicht verwirren durch das Bild von Höllenfoltern, von denen ihm die Haare zu Berge stehen würden. Das war eine Ausgeburt der damaligen rohen, grausamen Zeit, als der Mensch noch ein blutiges Leben führte, einzig und allein in Kriegstaten, und hart ward in seiner Seele, ohne Menschlichkeit zu empfinden. Vergeblich bekannten sich einige, sehr wenige, die Ausnahmen in ihrer Zeit waren, als Gegner dieser furchtbaren Maßregeln. Vergeblich machte der König und viele Ritter, die an Geist und Seele erleuchtet waren, geltend, so grausame Strafen würden nur die Rache der Kosakennation entzünden. Die Macht des Königs und der klugen Meinungen versagte vor der Zuchtlosigkeit und der frechen Willkür der Magnaten, die durch Unüberlegtheit, hoffnungslosen Mangel jeglichen Weitblicks, durch kindische Selbstliebe und nichtigen Stolz die Ständeversammlung in einen Hohn auf jede Regierung verwandelten. Ostap ertrug die Qualen und Foltern wie ein Held. Weder ein Schrei noch ein Stöhnen war zu vernehmen, selbst dann, als man ihm an Armen und Beinen die Knochen zu zerbrechen begann, als ihr entsetzliches Krachen in dem totenstillen Haufen vernommen ward, selbst von den entfernten Zuschauern, als die Panotschkas ihre Augen wegwandten – entrang sich nichts, was einem Stöhnen glich, seine Lippen, sein Antlitz zuckte nicht. Taras stand in der Menge, das Haupt gesenkt und dabei stolz die Augen erhoben und sprach nur beifällig: »Gut, Söhnchen, gut!«
Als man aber Ostap zu den letzten Todesqualen führte, schien es, als lasse seine Kraft nach. Er suchte mit den Augen im Kreise herum: Mein Gott! Alles noch nie gesehene, alles fremde Gesichter! Wenn nur irgendwer von den ihm Nahen bei seinem Tode zugegen wäre! Nicht das Schluchzen und Zusammenbrechen seiner schwachen Mutter hätte er hören mögen noch das wahnsinnige Winseln einer Gattin, die sich die Haare rauft und sich die weiße Brust schlägt; jetzt hätte er einen festen Mann sehen mögen, der ihn mit einem vernünftigen Wort erfrischt und getröstet hätte bei seinem Tode. Und ihn verließ die Kraft, und er schrie in seelischer Ohnmacht: »Vater! Wo bist du?! Hörst du denn das alles?!«
»Ich höre!« erscholl es unter der allgemeinen Stille, und die ganze Masse des Volkes erzitterte für einen Augenblick. Ein Teil der Kriegsleute stürzte hin, um aufmerksam in die lautlose Menge zu schauen. Jankel erbleichte wie der Tod, und als die Kriegsleute sich ein wenig von ihm entfernt hatten, wandte er sich furchtsam nach Taras um. Der aber stand schon nicht mehr neben ihm: jede Spur war von ihm entschwunden.
Sie fand sich aber, die Spur des Taras. Ein Heer von hundertzwanzigtausend Kosaken zeigte sich an den Grenzen der Ukraine. Das war schon nicht mehr ein kleiner Teil oder eine einzige Abteilung, die auf Beute ausgezogen war oder zur Befreiung der gefangenen Kosaken. Nein, die ganze Nation hatte sich erhoben, denn die Geduld des Volkes war erschöpft – sie hatte sich erhoben, um sich zu rächen für die Verspottung ihrer Rechte, für die schmachvolle Erniedrigung ihrer Sitten, für die Beleidigung des Glaubens der Vorfahren und der heiligen Gebräuche, für die Schandtaten der fremden Pans, für die Bedrückung, für die Union, für die schmachvolle Herrschaft des Judentums im christlichen Lande, für alles, was angehäuft und von langer Zeit her vertieft hatte den rauhen Haß der Kosaken. Ein junger, aber an Geist starker Hetman, Ostranitza, befehligte die ganze zahllose Kosakenmacht. Ihm zur Seite stand ein uralter, erfahrener Gefährte und Ratgeber, Gunja. Acht Obersten führten je zwölftausend Mann starke Regimenter. Zwei Generalesaule und ein Hauptmann vom Stab ritten hinter dem Hetman. Der Generalfähnrich ging dem Heeresbanner voran; viele andere Fahnen und Banner wehten in der Ferne; Stabskapitäne trugen die goldenen Hetmansstäbe. Viel gab es auch anderer Regimentschargen: Troß- und Heereskameraden, Regimentsschreiber und mit ihnen Abteilungen zu Fuß und zu Pferde, fast ebensoviel als eingeschriebene Kosaken hatten sich freiwillig und unaufgefordert versammelt. Von überallher erhoben sie sich: aus Tschetscherin, aus Perejaslav, von Baturin, von Glukoff, vom Unterlauf des Dnjepr, von allen seinen Oberläufen und Inseln. Ohne Zahl zogen Pferde und Wagenzüge über die Felder. Und unter diesen Kosaken, unter diesen acht Regimentern, war auserlesener als alle ein Regiment, und das führte Taras Bulba. Alles gab ihm Übergewicht vor den anderen: sein vorgerücktes Alter, seine Erfahrung, seine Fähigkeit, ein Regiment zu führen, und sein Feindeshaß, der an Heftigkeit den aller anderen übertraf. Sogar den Kosaken selber erschien sein schonungsloses Wüten und seine Grausamkeit maßlos. Nur Feuer und Galgen bestimmte sein graues Haupt, und sein Rat in der Regimentsversammlung roch einzig und allein nach Ausrottung.
Es lohnt sich nicht, alle Schlachten zu beschreiben, wo sich die Kosaken auszeichneten, noch den ganzen allmählichen Verlauf des Feldzugs: dies alles ist in die Tafeln der Geschichte eingetragen. Es ist bekannt, wie auf der russischen Erde ein Krieg geführt wird, der für den Glauben ausbrach: es gibt ja dort keine Kraft, die stärker wäre als der Glaube. Unüberwindlich und furchtbar ist er, wie ein nicht von Menschen geschaffner Fels inmitten des stürmischen, ewig verräterischen Meeres. Frei aus dem Meeresgrunde erhebt er zum Himmel seine unzerstörbaren Wände, geschaffen aus einem einzigen massigen Steine. Von überallher ist er zu sehen, und gerade in die Augen schaut er den vorbeilaufenden Wellen. Und wehe dem Schiff, das auf ihn geworfen wird! In Trümmer fliegt sein schwaches Gerüst, es sinkt und fällt in Staub alles, was auf ihnen ist, und von dem kläglichen Schrei der Umkommenden wird die Luft erschüttert und erfüllt.
Auf den Seiten der Chronik ist ausführlich geschildert, wie die polnischen Besatzungen aus den befreiten Städten flohen; wie die gewissenlosen jüdischen Pächter erhängt wurden; wie machtlos war der Kronshetman Nikolai Potozkj mit seinem zahlreichen Heer gegen diese unerschütterliche Macht; wie er, geschlagen und verfolgt, in einem kleinen Flüßchen den besten Teil seines Heeres ertrinken ließ; wie ihn in dem kleinen Städtchen Polonny drohende Kosakenregimenter belagerten, und wie, zum Äußersten gebracht, der polnische Hetman endlich in allem die volle Befriedigung versprach von seiten des Königs und der Staatsbeamten und die Rückgabe aller früheren Rechte und Vorrechte. Die Kosaken waren aber nicht bereit, darauf einzugehen: sie wußten schon, was ein polnischer Eid ist. Und Potozky hätte nicht mehr geprangt auf seinem sechstausend Dukaten werten Roß, das die Blicke der höchsten Damen und den Neid des Adels auf sich zog, er hätte nicht mehr gelärmt auf den Ständeversammlungen und nicht mehr den Senatoren prächtige Gastmähler gegeben, wenn ihn nicht die russische Geistlichkeit dieses Ortes gerettet hätte. Als den Kosaken alle Popen entgegenkamen in hellen goldenen Gewändern, Heiligenbilder und Kreuze tragend, und allen voran der Bischof selber mit dem Kreuz in der Hand und in der Hirtenmitra, da beugten alle Kosaken ihre Häupter und nahmen die Mützen ab. Niemand hätten sie zu dieser Zeit geachtet, der niedriger war als der König selber, aber gegen ihre christliche Kirche wagten sie nichts, und sie achteten ihre Geistlichkeit. Es kam der Hetman mit den Obersten überein, Potozky freizulassen, nachdem man ihm einen feierlichen Schwur abgenommen hatte, alle christlichen Kirchen in Freiheit zu lassen, die alte Feindschaft zu vergessen und keinerlei Beleidigung mehr der kosakischen Kriegerschaft zuzufügen. Nur ein Oberst war nicht einverstanden mit einem solchen Frieden. Dieser eine war Taras. Er riß sich ein Büschel Haare vom Kopf und rief aus:
»Ei, Hetman und Obersten! Macht doch nicht eine solche Weibersache! Glaubt doch nicht den Ljachen: sie werden Verrat üben, die Hunde!« Als aber der Regimentsschreiber den Vertrag reichte und der Hetman seine mächtige Unterschrift gab, nahm Taras die reine Damaszener Klinge von sich. Seinen kostbaren türkischen Säbel, aus allerfeinstem Stahl, zerbrach er wie einen Stock in zwei Stücke, warf weit auseinander nach verschiedenen Seiten beide Enden und sprach: »So lebt denn wohl! Wie die beiden Teile dieses Pallasches sich nicht mehr vereinigen und nie mehr einen Säbel bilden werden, so werden auch wir Kameraden uns nicht mehr auf dieser Welt wiedersehen! Erinnert euch denn an meine Abschiedsworte« (bei diesem Worte schwoll seine Stimme an, erhob sich höher, nahm eine unbekannte Kraft an – und alle waren bestürzt über seine prophetischen Worte): »Vor eurer Todesstunde erinnert euch meiner! Ihr glaubt, ihr erkauftet Ruhe und Frieden; ihr glaubt, ihr werdet Herr sein? Ihr werdet Herr sein durch ein anderes Herrentum: man wird von deinem Haupte, Hetman, die Haut abziehen, man wird sie mit Buchweizenspreu anfüllen, und lange wird man sie sehen auf allen Jahrmärkten! Auch ihr, Herren, werdet nicht eure Häupter behalten! Ihr werdet verkommen in feuchten Kellern, mit Gras bewachsen, in Steinmauern, wenn man euch alle nicht wie Hammel lebendig in Kesseln schmoren wird! … Ihr aber, Burschen!« fuhr er fort, indem er sich an die Seinen wandte, »wer von euch will seinen Tod sterben – nicht hinter dem Ofen, in weibischem Bettlager, nicht betrunken unter dem Zaune bei einer Kneipe, jedem gefallenen Vieh gleich, vielmehr einen ehrlichen Kosakentod, alle auf einem Bett, wie der Bräutigam mit der Braut? Oder wollt ihr vielleicht nach Hause zurückkehren, ja? euch in Ungläubige verwandeln, ja? auf euren Rücken polnische Pfaffen tragen?!«
»Dir nach, Herr Oberst! Dir nach!« schrien alle, die vom Regimente des Taras waren, und zu ihm liefen auch nicht wenige der andern.
»Wer aber mir folgt, vorwärts!« sprach Taras, indem er sich die Mütze tiefer in die Stirn rückte, drohend auf alle Zurückgebliebenen schaute, sich auf seinem Pferd aufrichtete und den Seinen zurief: »Uns wird schon niemand mit beleidigender Rede schimpfen! Nun aber, vorwärts, Burschen, zu den Katholiken zu Gast!« Und darauf schlug er auf sein Pferd, und es zog hinter ihm ein Zug aus hundert Wagen, und mit ihm waren viele Kosakenreiter und Fußgänger, und sich umschauend drohte er mit seinem Blick allen Zurückgebliebenen, und wütend war sein Blick. Niemand wagte, ihn aufzuhalten. Vor den Augen der ganzen Kriegerschaft zog das Regiment ab, und lange noch drehte sich Taras um und drohte immer wieder.
Verlegen standen der Hetman und die Obersten, alle dachten nach und schwiegen lange, als wären sie bedrängt von einem schweren Vorgefühl. Nicht umsonst hatte Taras prophezeit: es kam alles so, wie er vorhergesehen hatte. Wenige Zeit später nach dem Treubruch bei Kanewo ward das Haupt des Hetmans auf einen Pfahl gespießt, zugleich mit den Häuptern vieler von den ersten Würdenträgern.
Was aber ward mit Taras? Er zog durch ganz Polen mit seinem Regiment, verbrannte achtzehn Ortschaften, gegen vierzig Kirchen und war schon bis in die Nähe von Krakau gekommen. Viel vernichtete er von allerart Schlachta, er plünderte die reichsten und die besten Schlösser; die Kosaken entsiegelten und vergossen auf die Erde jahrhundertalte Mete und Weine, die in den Kellern der Pans sorgfältig aufgehoben wurden; man vernichtete und verbrannte teure Tuche, Gewänder und Geschirre, die man in den Schatzkammern fand. »Nichts verschont!« wiederholte immer nur Taras. Nicht achteten die Kosaken die schwarzbrauigen Panotschkas, die weißbrüstigen, weißgesichtigen Jungfrauen; selbst bei den Altären vermochten sie sich nicht zu retten; Taras verbrannte sie mitsamt den Kirchen. Mehr wie ein Paar schneeweiße Arme erhoben sich aus der Feuerflamme zum Himmel, begleitet von Jammerschreien, vor denen sich selbst die feuchte Erde und das Gras der Steppe vor Mitleid gebeugt hätten.
Die grausamen Kosaken verschonten aber gar nichts: mit den Lanzen hoben sie die kleinen Kinder von der Straße auf und warfen sie zu den Müttern in die Flammen. »Das sei euch, Teufelsljachen, die Gedächtnisfeier für Ostap!« sprach nur Taras. Und derartige Gedächtnisfeiern für Ostap feierte er in jedem Dorfe, bis die polnische Regierung endlich einsah, daß die Taten des Taras mehr waren als gewöhnliches Räubertum und jenem selbigen Potozky übertragen ward, mit fünf Regimentern unbedingt Taras zu fangen.
Sechs Tage entgingen die Kosaken auf Seitenwegen allen Verfolgungen; kaum ertrugen die Pferde den ungewöhnlichen Lauf und retteten die Kosaken. Potozky war aber diesmal würdig des ihm gewordenen Auftrags: unaufhörlich verfolgte er sie und erreichte sie am Ufer des Dnjepr, wo Bulba, um zu rasten, eine verlassene, verfallene Festung besetzt hatte.
Gerade auf dem Abhange beim Dnjestr ragte sie empor mit ihrem eingefallenen Wall und ihren eingestürzten Mauerresten. Mit Schutt und zerbrochenen Ziegeln war der Gipfel des Felsens bedeckt, bereit, jede Minute sich loszulösen und hinunterzufliegen. Gerade dort, von den zwei Seiten, die nach den Feldern zu gelegen waren, griff Taras der Kronshetman Potozky an. Vier Tage schlugen sich die Kosaken und kämpften, indem sie sich mit Steinen und Ziegeln verteidigten. Die Vorräte und Kräfte erschöpften sich aber, und Taras beschloß, sich durch die Reihen durchzuschlagen. Das taten auch die Kosaken, und vielleicht hätten ihnen noch einmal die raschen Pferde treu gedient, als plötzlich, mitten im Lauf, Taras anhielt und rief: »Halt! Ich verlor meine Tabakspfeife, nicht einmal sie soll den Teufelsljachen in die Hände fallen!« Und es beugte sich der alte Ataman und begann im Gras sein Tabakspfeifchen zu suchen, seinen unzertrennlichen Begleiter zu Wasser und zu Land, auf Feldzügen und zu Hause.
Währenddessen lief aber ein Haufe heran und faßte ihn unter die mächtigen Schultern. Er begann, sie mit allen Kräften abzuschütteln, aber die Haiducken, die ihn erfaßt hatten, fielen nicht mehr wie früher von ihm ab. »Ach, Alter, Alter!« sprach er, und der tapfere alte Kosak brach in Tränen aus. Doch nicht das Alter war schuld: Kraft überwältigte Kraft. Kaum weniger als dreißig Mann hingen ihm an Armen und an Beinen. »Gefangen ist der Rabe!« schrien die Ljachen. »Jetzt muß man nur noch ausdenken, wie man ihm, dem Hunde, die beste Ehre erweist.« Und sie verurteilten ihn mit Einwilligung des Hetmans dazu, bei lebendigem Leibe vor aller Augen verbrannt zu werden. Gerade dort stand ein kahler Baum, dem der Blitz den Wipfel abgeschlagen hatte. Man fesselte Taras mit eisernen Ketten an den Baumstamm, durchschlug ihm die Hände mit einem Nagel und zog ihn höher hinauf, damit der Kosak von überallher zu sehen sei; und dann begann man sogleich unter dem Baum einen Scheiterhaufen zu errichten. Aber nicht darauf blickte Taras, nicht an das Feuer dachte er, womit man ihn zu verbrennen sich anschickte; er blickte, der Liebe, nach jener Seite, wo die Kosaken Schüsse wechselten mit dem Feind: von seiner Höhe herab konnte er alles sehen, alles lag da wie auf seiner Handfläche. »Besetzt, Burschen, besetzt rascher«, schrie er, »den Hügel, der hinter dem Wald ist: dort werden sie euch nicht angreifen!« Der Wind trug aber seine Worte nicht hin. »Da werden sie zugrundegehen, zugrundegehen um gar nichts!« sprach er verzweifelt und blickte hinab, wo der Dnjestr funkelte. Da sah er vier Boote aus dem Dickicht hervorschauen, nahm die ganze Kraft seiner Stimme zusammen und schrie gellend: »Zum Ufer! Zum Ufer, Burschen! Jagt den Pfad, der links ist, hinunter. Beim Ufer stehen Boote, nehmt alle, damit keine Verfolgung möglich ist!«
Diesmal blies der Wind von der anderen Seite, und alle seine Worte wurden von den Kosaken vernommen. Für diesen Rat bekam er aber sogleich einen Schlag mit einem Beilrücken auf den Kopf, daß sich alles vor seinen Augen drehte …
Es jagten die Kosaken in vollem Galopp den Pfad hinunter, doch schon sind die Verfolger ihnen auf den Fersen. Man sieht: es verwirrt sich der Weg und krümmt sich und gibt viel Zickzackwege zur Seite. »Ach, Kameraden, mag kommen, was will!« sprachen alle, blieben einen Augenblick stehen, erhoben ihre Knuten, pfiffen – und ihre Tatarenpferde trennten sich von der Erde, breiteten sich flach aus in der Luft wie Drachen, flogen über den Abgrund und plumpsten gerade in den Dnjestr. Nur zwei erreichten nicht den Fluß, stürzten von der Höhe auf die Steine und blieben dort für immer mit ihren Pferden liegen, ohne daß sie vorher auch nur einen Schrei ausstoßen konnten. Die Kosaken aber schwammen schon mit ihren Pferden im Fluß und banden die Boote los. Die Ljachen blieben über dem Abgrund stehen, staunend über die unerhörte Kosakentat, und überlegten: sollen sie springen oder nicht? Ein junger Oberst, ein lebhaftes, heißes Blut, der leibliche Bruder der schönen Polin, die Andrij bezaubert hatte, dachte nicht lange nach und stürzte sich aus allen Kräften mit dem Pferde den Kosaken nach, überschlug sich dreimal in der Luft und krachte mit seinem Pferde direkt auf die scharfen Felsen hin. In Stücke zerrissen ihn die scharfen Steine. Er verschwand im Abgrund, und sein Gehirn, mit Blut gemischt, bespritzte die auf den ungleichen Wänden des Abhanges wachsenden Büsche.
Als Taras Bulba von dem Schlage zu sich kam und auf den Dnjestr schaute, waren die Kosaken schon in den Booten und ruderten; Kugeln prasselten von oben auf sie, aber erreichten sie nicht. Und froh strahlten die Augen des alten Atamans.
»Lebt wohl, Kameraden!« schrie er ihnen von obenher zu. »Erinnert euch meiner und kommt im kommenden Frühjahr wieder hierher, ja, und tummelt euch gut! – Was habt ihr erreicht, ihr Teufelsljachen? Glaubt ihr, es sei irgend etwas auf der Welt, was der Kosak fürchtet? Wartet nur, die Zeit wird kommen, es kommt die Zeit, und ihr werdet erfahren, was der rechtgläubige russische Glauben ist! Auch jetzt schon erfaßt Angst die weiten und nahen Völker: erheben wird sich aus der russischen Erde ihr Zar, und es wird auf Erden keine Macht sein, die sich ihm nicht fügt!« Aber schon hatte sich das Feuer auf dem Scheiterhaufen erhoben, seine Füße erfaßt und mit breiter Flamme den Baum umfangen. Ja, wird man denn auf der Welt solches Feuer, solche Qualen und eine solche Macht finden, welche die russische Kraft überwältigen könnte?! …
Nicht klein ist der Fluß Dnjestr, und viele Buchten sind in ihm, dichtes Röhricht, Sandbänke und Tiefen; es leuchtet der Wasserspiegel, erfüllt von dem hellen Schreien der Schwäne, und die stolze Reiherente fährt rasch über ihn hin, und viel Waldschnepfen und allerlei andere Vögel sind im Röhricht an seinen Ufern … Die Kosaken fuhren flink dahin auf schmalen zweirudrigen Booten, kräftig holten sie aus, vorsichtig entgingen sie den Sandbänken, aufscheuchend die auffliegenden Vögel, und sie sprachen von ihrem Ataman.
Saporoger, wörtlich der »hinter den Stromschnellen des Dnjepr«, das heißt, der Kosak, der in dem dort gelegenen, befestigten Kosakenlager, der sog. Sjetsch, sich aufhält.
Saporogien, gleich Sjetsch.
Burse, eine von Geistlichen geleitete Erziehungsanstalt in Kiew.
Bursak, Zögling dieser Anstalt.
Ataman, Befehlshaber der Kosaken, und zwar sowohl einer Abteilung (Kurjen) des Kosakenheeres wie des ganzen.
Busurman, der Muselman (im verächtlichen Sinne).
Ljach, der Pole (im verächtlichen Sinne).
Esaul, ein Unterbefehlshaber im Kosakenheere.
Pan, auf polnisch: »Herr«, vor allem in der Anrede des Adligen.
Panotschka, das adlige Fräulein (im Polnischen).