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Da ward es wieder heller, die Blitze minder feurig, die einzelnen Donnerschläge ließen sich unterscheiden, waren weniger betäubend, wurden majestätischer, die armen Sterblichen atmeten wieder, sie hofften wieder, über die Gerichte sei aufgegangen die Sonne der Gnade. Da kam plötzlich eine Stimme durch die Küchentüre: »Barthli, lebst noch?« »U de?« war alles, was Barthli hervorbringen konnte. »Gschwing, gschwing komm, sonst nimmts dir dsHüsli weg.« Ohne weitern Übergang brachte dieser Ruf Barthli urplötzlich aus allen höheren Stimmungen heraus in die Gegenwart, er machte sich hinaus. Durch Züseli bebte es wunderbar, es hatte sich ergeben, alsbald vor Gott zu stehen, jetzt kam plötzlich Benzens Stimme zur Türe hinein. Es konnte nicht aufstehen, der Atem fehlte ihm, die Glieder waren wie gelähmt, Ströme fluteten um sein Herz, die Ströme ums Hüsli vergaß es.
Bedenklich sah es um das letztere aus, schon war eine Ecke untergraben, und die Wasser mehrten sich noch. Aber Benz tat klug und kühn das Nötigste, den Strom zu brechen, den Zorn desselben abzuleiten. Barthli schleppte Material herbei, ihr weltlicher Ruf um Beistand scholl weithin, brachte Helfende herbei, und das Häuschen ward zur Not aufrecht erhalten, aber es war die höchste Zeit gewesen, daß dazu getan wurde, in wenigen Minuten wäre es verschlungen gewesen. Nun ward es durch gemeinsame Anstrengungen außer Gefahr gestellt, die Wasser begannen zu mindern glücklicherweise, ihren Lauf konnte man wieder meistern, die nachhaltige Kraft der Menschen siegte über die rasch verbrausende Gewalt des Elements.
Die Angst wich aus den Herzen der Menschen, machte aber bei vielen nur dem Jammer Platz, absonderlich bei Barthli. Er gehörte, wie man gesehen haben wird, unter die Jammersüchtigen, welche immer Ursache haben zum Wehklagen, nie zum Frohlocken, über Verlorenes klagen, des Geretteten nicht gedenken, nie dankbar sind in der Glückseligkeit, aber fort und fort mit der Vorsehung hadern über jede Widerwärtigkeit. Wie ihm die Nachbaren auch sein Glück priesen, daß er, sein Kind und das Häuschen gerettet worden, er hatte keine Ohren dafür, er jammerte nur über seine verlorenen Geißen. Wie die Alte gebe es keine mehr, weder im Oberland noch im Unterland, kein Ratsherr sei so witzig wie sie gewesen, die hätte gewußt, wo das Gras melchiger sei, außer dem Zaun oder inner dem Zaun, und wo sie innerhalb hätte grasen wollen, habe es ihr kein Zaun gewehrt, und dazu sei sie wenigstens acht Taler wert gewesen. Wenn das Gitzi geworden wäre wie die Geiß, so wäre es auch acht Taler wert geworden, zusammen also sechzehn Taler, woher jetzt die nehmen? Und wenn man sie auch je wieder zusammenbrächte, wo dann Geißen finden so melchig und witzig und merkiger als key Ratsherr? Was nütze so das Hausen, wenn dann der Herrgott selbst komme und die Sache verherge, daß es key Art und Gattig habe, man sein Lebtag sie nicht wieder zwegbringe?
Solche Rede ärgerte die Leute stark, und während sie starke Antworten beizten, mäckerte es hinter Barthli erst grob, dann fein. Hastig sah er sich um, es waren seine Ziegen, welche ihm die Antwort brachten, hellauf und wohlbehalten, und Benz wars, der sie hielt. Da war wieder größer als die Freude über die Geißen der Ärger, daß Benz es war, der sie hielt. »Hieltest sie versteckt, hätten sie dir vielleicht auch gefallen?« sagte er giftig. »He«, sagte Benz ganz kaltblütig, »wie kam ich zu ihnen? Wo es so wetterte, daß man nicht wußte, bleibt etwas ganz auf dem Erdboden, oder ists Matthäi am letzten, da sagte mir der Meister: ›Benz, und unsere Ware im Schürli! Die erbarmet mich, darfst es wagen und sehen, ob ihnen zu helfen ist?‹ ›Meister‹, sagte ich, ›warum nicht! Wenns aus ist, so kömmt es in eins, bin ich hier oder draußen, und allweg ists den armen Tieren ein Trost, wenn jemand Vernünftiges bei ihnen ist.‹« Als er znot hinausgekommen, denn bald habe ihn der Wind genommen, bald das Wasser, habe er nebem Schürli mäckern hören und da die Geiß gefunden, die sich dahin unter Dach geflüchtet und schön Wind ab.
»Ja«, sagte Barthli, »die ist witziger als mancher Ratsherr, hab ich ja gesagt.« Er habe sie in Stall gelassen, fuhr Benz fort, und weil er sie erkannt, habe er gleich gedacht, die sei unten dem Wasser entronnen, und Barthlis könnte ein Unglück begegnet sein, und als er für das Schürlein gesorgt und gesehen, daß es demselben nichts mehr tue, sei er dahergekommen, wie, wisse er nicht, das Häuschen sei noch gestanden, aber not, z'wehre, hätte es getan; wenn ihm die Geiß die Beine nicht gleitig gemacht, wer weiß, ob der Alt und das Meitschi noch am Leben wären. »He ja, ja, man hätte eigentlich Ursache, dir zu danken, aber was soll ich jetzt mit den Geißen anfangen, wo soll ich sie hintun, das Ställi hanget ja in der Luft und hat keinen Boden mehr, und das Hüsli ist über Ort, was soll ich jetzt mit den Geißen, wo wir nicht wissen, wohin?« antwortete Barthli hässig.
»Barthli, du bist doch der Wüstest, hättest Ursache, dem lieben Gott zu danken, daß du mit dem Leben davongekommen, hast ja auch die Geißen wieder, und tust nichts als brummen und zanken«, sagte ein Nachbar. »Dank du, wenn es dir drum ist!« antwortete Barthli. »Jetzt noch danken für ein solches Wetter, wie nie eins erhört worden ist seit Noahs Zeiten!« Darin hatte Barthli recht, daß in dieser Gegend nie ein solches Gewitter erhört worden war, es mußten Wolken geborsten sein vom Druck gewaltiger Wassermassen, die dann über den Rücken und an den Seiten einer nicht hohen Hügelkette hinstürzten, wo sie nicht wie in einem Trichter sich fingen und gepreßt zu einem Loch ausmußten, sondern wo von allen Seiten Abfluß war in verschiedene Täler, verschiedenen Flüssen zu, nach Ost und nach West. Barthlis Häuschen hing über der halben Höhe des Berges, die Wasser, welche dort hinunterbrachen, flossen in ganz kleinem Raume zusammen, und doch brachten sie über hundert Zentner schwere Steine zu Tale, trugen unter Barthlis Hütte von einem Hause einen schweren, steinernen Brunnentrog weg und begruben ihn weit unten im Tale tief in den Schlamm, wo er lange nicht gefunden wurde. Als in der Tat das Ställchen unbewohnbar gefunden wurde, sagte der gutmütige Benz, den Barthlis schlechter Dank nicht gekränkt hatte: »He, weißt was, das Meitschi söll se melche, de nimme ih se i üses Schürli, uf es paar Hämpfeli Futter chunnts dem Meister nit a, und es ist nit wyt, am Abe und am Morge cha das Meitschi se cho melche.«
Da sah der Barthli den Benz an mit einem unbeschreiblichen Blick; »meinst, Bürschli, meinst?« sagte er. »Hans«, wandte er sich zu einem Nachbar, »du nimmst mir sie zu deinen, will sehen, daß ich fürs Fressen sorge.« Die Nachbaren hatten Spaß und Ärger ob Barthli. Natürlich war Benzens Abferggete bekannt, und wie Barthli gesagt, er wüßte nicht, für was er einen Tochtermann nötig hätte. Natürlich hielten es alle mit Benz. Die Antwort ward zum Sprüchwort, und wenn man Barthli einen Streich spielen konnte, so sparte es sicherlich niemand. Er war eben eine bei der immer größeren Abgeschliffenheit der Menschen, der immer größer werdenden Menge ohne Gepräge immer seltener werdende Persönlichkeit, vor der man eine Art Respekt hat und doch, sooft man sie sieht, lachen muß und Lust verspürt, sie zu helken oder zum besten zu halten. »Nein, Barthli, nein«, sagte Hans, »Platz für deine Geißen habe ich nicht, und wenn ich hätte, so schickten sie sich nicht zusammen, meine Geißen sind gar so dumm und deine ja witziger wie ein Ratsherr. Die wird gewußt haben, warum sie da hinauf zu Benze Schürli lief. Sei nicht dümmer jetzt als die Geiß und laß sie gehen mit Benz! Und daneben glaube ich, wir haben das Wetter deinetwegen leiden müssen. Unser Herrgott wird dir haben zeigen wollen, für was man einen Tochtermann brauchen kann.« »Öppis Dumms eso!« brummte Barthli, »üse Herrgott wird sih sellige Sache achte! Für e Geiß z'fa, braucht man kein Tochtermann zu sein, das kann jeder Maulaff, und für ein solch Wetter wird man, so Gott will, keine Hülf mehr brauchen, es ist genug, wenn man eins erlebt! Wie dumm wärs, deretwegen e Tochtermann anzustellen, für e Sach, die nimme chunnt, was soll me mit emne söllige Mulaff afa?« »Wenn Hans drKolder macht, so nimmst du mir sie, Niggi, nicht wahr?« sagte Barthli zu einem andern Nachbar. »Nein, Barthli, nein, brauch Verstand, denke, was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nit scheide! Junge, fahr mit dene Geiße drBerg uf, su hört das Gstürm uf.«
Benz begriff das, rief Züseli, das begreiflich nicht weit davon stund, zu: »Um sechsi, hörst, ist gfutteret und wird gmulche, chast mache, daßd ufmagst und obe bist, nachher bschließe ih wieder u chönntisch nit yche, u jetz milch geschwing, was noch da isch, su chann ih fahre, muß ga zur War luege.« Züseli tat das geschwind und schweigend ab, und Benz sagte auch nicht viel, wahrscheinlich befaßten sie sich mehr mit der Zukunft als mit der Vergangenheit. Und als gemolken war, folgte stolz mit hoch emporgehobenen Haupte, wie wirklich ein Ratsherr es nicht besser gekonnt hätte, die Ziege ohne Widerstand Benz nach, als ob sie wüßte, was sie verrichtet hätte. Lustig tanzte das Gitzlein um sie herum, akkurat wie ein achtzehnjährig Meitschi, wenn es vernimmt, es gäbe nächstens eine Hochzeit, wo es Brautjungfer sein müsse und dann tanzen könne nach Herzenslust und dann vielleicht, man kann nicht wissen, einen Mann auflesen und dann wiederum eine Hochzeit und dazu eine noch lustigere, denn Braut sein ist doch noch lustiger als Brautjungfer sein; oder ist Bratis essen nicht besser als Bratis riechen? Wir fragen.
»Morgen wirst dich kaum verschlafen, Meitschi!« lachte Niggi. »Danebe vergiß nicht, was dein Alter mit Schein noch nit weiß, daß, was Gott tut, wohlgetan ist. Als es anfing zu donnern, und als die Wasserbäche kamen, da dachtest du nicht daran, was die Sache für einen Austrag nehmen würde.« Züseli vergaß es aber auch nicht, und selbe Nacht schlief es nicht, verschlief sich am Morgen nicht. Die ganze Nacht stund der gestrige Nachmittag vor seinen Augen als wie ein großes, bewegliches Gemälde. Es dachte nicht, es schaute nur, fühlte die Angst rieseln durch Mark und Bein, es war ihm das Herz eingeklemmt, daß es oft kaum Atem hatte, und doch war ihm wohl dabei, es war ihm, als ob hinter dem Graus die Sonne stehe und bald schöner als nie scheinen werde und die Greuel verklären und alles vergehen bis an Benz und Geiß und Gitzlein und sonst noch allerlei. So lag es da und sah, was vor ihm stund, bis es ungsinnet graute draußen. Dann machte es sich auf, leise, um den Alten nicht zu wecken, der gar tapfer schnarchte.
Der hatte auch lange nicht schlafen können, aber daran nicht so wohlgelebt wie sein Meitschi, im Gegenteil, sehr schlecht. Er war zornig über den lieben Gott und über seine Nachbaren, rechnete seinen Schaden nach und ärgerte sich über die Schadenfreude. Er hätte nicht geglaubt, daß die Menschen so schlecht sein könnten, ihm ein solch Unglück noch zu gönnen, das Gspött mit ihm zu treiben und mit einem solchen Schnürfli gegen ihn zusammenzuspielen. Aber wohl, denen wolle er vor der Freude sein, die müßten ihn nicht auslachen! Morgen wolle er gehen und die Geiß melken, das werde kein Hexenwerk sein, und gsetzt, er brächte die Milch nicht alle heraus, und die Geiß würde wüst tun, so werde das nicht alles zwingen, und sie hätten doch dann nichts zum Lachen. Er sei gestraft genug mit dem Hüsli, das er müsse plätzen lassen, das Meitschi müsse ihm nicht noch heiraten obendrein, er wolle nicht zwei Unglück aufeinander, wo eins größer sei als das andere. Er wälzte Vorsätze in seinem Gemüte, groß, wild, trüb, fast wie die Wasserwogen am gestrigen Abend. Und mittendrein schlich der Schlaf, gaukelte ihm immer Wilderes vor, band ihm leise die Glieder, drückte ihm die Augen zu, entriß ihm das Bewußtsein, blies ihm die Einbildungskraft noch einmal tapfer an und ließ dann das miteinander machen; weiß Gott, wo Barthli war, in welchem Weltteil oder gar im Himmel oder der Hölle, als sein Meitschi ihm davonlief und zwar noch lange, ehe es sechs Uhr war!
Diesmal war der Himmel nicht trüb, wie er sonst oft nach solch gewaltigen Ergüssen, in klarer Bahn ging die Sonne, und frisch und schön war es auf Erden, wo die Wasser gestern nicht gehauset; wo sie gewütet, war es fürchterlich. Züseli hatte Mühe, zum Wasser zu kommen, wo es gewöhnlich mit Hülfe eines alten zwilchenen Lumpens Toilette machte und dabei eine schönere Haut hervorbrachte, strahlender vom Bache kam als je eine Hochgeborne von ihrer Toilette und deren tausendfältigem Kram von Seifen, Pomaden, Essenzen, Bürsten, Kämmen, Zangen und Scheren und anderlei unnennbaren Dingen. Diesmal, vielleicht zum erstenmal, war es Züseli dran gelegen, anzuwenden und sich so schön zu machen als möglich mit Hülfe von Wasser und dem zwilchenen Lumpen, der einer dahingegangenen Kutte des alten Barthli entstammte. Der gewöhnliche Weg zum Bach war fortgerissen, es rutschte hinunter, kam nicht bloß zum Wasser, sondern ins Wasser und weit mehr, als nötig und ihm lieb war. Überdem war das Wasser trüb und häßlich und mörderlich kalt. Desto mehr wandte Züseli an, desto kräftiger drehte es seinen Lumpen aus, fing wieder von vornen an, und als es mit Vorsicht am zerrissenen Uferrand emporstieg, erschien es oben lieblich und glänzte fast wie der Morgenstern oder wie die Morgenröte, wenn sie das Haupt der großen Jungfrau im Berneroberlande verklärt. Davon aber wußte Züseli denn doch nichts, hatte nicht einmal einen Spiegel, um sich über den Erfolg seiner Anstrengungen zu vergewissern, dachte auch nicht daran, sondern nahm das Milchgeschirr und eilte damit den Berg auf. Es möchte sich verspäten, das war seine Sorge. Gar zu ungerne hätte es gehabt, wenn Benz geglaubt, es seie e fule Hung.
So ein Meitschi wie Züseli setzt seinen Stolz in Arbeitsamkeit und Arbeitsgeschick, es hat keinen Begriff davon, daß man mit Klavierspielen und Affektieren zu einem Mann kommen könne. Es sucht dahin zu kommen, daß die Leute sagen: »Der is gfellig, wo das bekömmt, von wegen es ist ein bsunderbar werchbar Mensch, versteht alles wohl und dreht sich des Tags nicht bloß einmal.« Doch lief das Meitschi nicht in gleichem Schritte bis oben. Der müsse doch nicht meinen, daß es ihm so pressiere, daß es nicht warten möge, bis es bei ihm sei, er könnte sonst meinen, wieviel ihm an ihm gelegen sei.