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Jungfer Lottchen sitzt auf einem Stuhle und macht Knötchen. Bald darauf kömmt Herr Reinhart.
Herr Reinhart. Nun, wie stehts, Jungfer Lottchen? Ich habe heute zu Mittage unmöglich zu Hause speisen können. Ich fand auf der Börse einen guten Freund aus Siebenbürgen, den ich mit in den blauen Engel nahm: denn ich bin meiner Frauen nicht gern mit unerwarteten Gästen beschwerlich. Ist Ihnen auch bey Tische die Zeit sehr lang geworden?
Jungfer Lottchen lacht. Ach nein! mir zum mindesten nicht! So lange wir ein so abgeschmacktes Thier am Tische haben, als der junge Vielwitz ist; so wird mir die Zeit wohl nicht leicht lang werden.
Herr Reinhart. Ey, was sagt Sie, Jungfer Lottchen! der junge Vielwitz sollte abgeschmackt seyn? Sein Vater ist ein so reicher Mann! ich wollte ihm wohl mein ganzes Vermögen creditiren.
Jungfer Lottchen lacht sehr. Der Reichthum hilft so wenig für Thorheit, als das Alter. Sein Vater sey so reich als er wolle: sein Herr Sohn ist ein Geck.
Herr Reinhart sich verwundernd. Ich weis doch nicht! mir kömmt es vor, daß der junge Mensch recht sehr klug thut.
Jungfer Lottchen. Eben darinn besteht seine Thorheit. Glauben Sie mirs nur, Herr Reinhart, nichts steht einem jungen Menschen närrischer, als wenn er klüger thun will, als alle andere. Er ist ein rechter großer Verehrer von seiner Wenigkeit; sie lacht, er ist aber, meines Wissens, auch der einzige.
Herr Reinhart. Es ist wohl wahr, er redet immer von sich selbst, und von seiner Gelehrsamkeit; und vergißt bey Tische fast das Essen darüber, daß er uns immer seine Verse herbethet, die er auf Schulen gemacht hat. Allein es ist die liebe Jugend; solche Fehler geben sich mit den Jahren.
Jungfer Lottchen. Nein, mein Herr Reinhart; dieser Fehler nimmt gewiß mit den Jahren nur noch mehr zu. Die Fehler, an denen die Jugend schuld ist, und die mit den Jahren vergehen, die bestehen gemeiniglich nur in einem gar zu großen Feuer der Leidenschaften. Bey ihm aber ist es ein Mangel der Vernunft, ein innerer Hochmuth des Herzens, eine närrische Selbstliebe: und die nimmt mit den Jahren immer mehr zu.
Herr Reinhart. Glaube Sie das nicht, Jungfer Lottchen.
Jungfer Lottchen. Das glaube ich gewiß. Wer in seinem 20sten Jahre noch nicht so viel Urtheilskraft hat, daß er seine Selbstliebe verbergen kann: der bleibt sein Lebenlang ein Thor.
Herr Reinhart schüttelt den Kopf. Es ist mir sehr leid, Jungfer Lottchen, daß Sie wider den jungen Menschen so sehr aufgebracht ist.
Jungfer Lottchen. Daran hat er selbst Schuld. Hätte er mir einen bessern Begriff von sich beygebracht: so würde ich ihn auch haben.
Herr Reinhart. Der Mensch denket und saget doch aber alles Gutes von sich.
Jungfer Lottchen lachend. Eben darum glaube ich es nicht, weil er es selbst sagt.
Herr Reinhart. Nun, nun, er ist nur erst vierzehn Tage hier: wenn Sie ihn länger kennen wird; so wird er Ihr schon noch gefallen.
Jungfer Lottchen lächelnd. Ich versichere Sie, daß er mir je länger je abgeschmackter vorkommen wird. Gewisse Leute haben nun einmal das Schicksal, je länger man sie sieht, desto verdrießlicher werden sie einem: und Herr Vielwitz ist gewiß von der Art.
Herr Reinhart. Das sollte mir sehr leid seyn! Die Wahrheit zu sagen, Jungfer Lottchen, des Vielwitzes Vater, ist mein sehr guter Freund: es ist nunmehr länger als 20 Jahre, daß wir mit einander im Handel zu thun haben.
Jungfer Lottchen. Das kann wohl seyn. Muß denn deswegen sein Sohn klug seyn?
Herr Reinhart. Höre Sie mich doch nur erst aus. Mit Ihr meyne ich es auch herzlich gut, mein liebes Lottchen.
Jungfer Lottchen. Das bin ich versichert, und werde es Lebenslang mit allem Danke erkennen.
Herr Reinhart. Ihr Vater war ein braver ehrlicher, reicher Mann; und wußte, daß ich wohl mein Leben für ihn gelassen hätte: darum hat er mich auch zum Vormunde über Sie gesetzt, und zwar mit einer Bedingung, die sehr selten ist: daß nämlich, wofern Sie in Ihren unmündigen Jahren wider meinen Willen heirathet, ich Ihr von Ihrem Vermögen keinen Häller auszahlen darf. Weis Sie das, Jungfer Lottchen?
Jungfer Lottchen. O ja! und ich werde mein Vermögen gewiß ganz behalten.
Herr Reinhart. Das soll mir sehr lieb seyn. Auf die Art aber muß der junge Vielwitz Ihr nicht so albern vorkommen.
Jungfer Lottchen. Wie so? Was geht den jungen Witzling meines Vaters letzte Verordnung an?
Herr Reinhart schüttelt den Kopf. Sie ist sonst so klug, und kann oder will mich nun nicht verstehen!
Jungfer Lottchen. Nein, ich verstehe Sie nicht.
Herr Reinhart. Ich habe aber im Sinne, aus Ihnen beyden ein Paar zu machen.
Jungfer Lottchen erschrickt. Aus uns? aus mir und aus dem Vielwitz?
Herr Reinhart. Ja, ja. Er ist brav reich, und Sie ist auch brav reich. Sie liest und hört und redt gern was Kluges: und er sagt auch, daß er sehr klug ist. So dünkt mich, Ihr schicktet Euch gut zusammen.
Jungfer Lottchen. Nichts minder, als das. Von allem Unglücke in der Welt, stelle ich mir das als das größte vor, einen solchen Mann zu haben, als der junge Vielwitz ist.
Herr Reinhart. Was? einen so reichen Menschen?
Jungfer Lottchen. Ich habe Geld genug, auch einen Armen glücklich zu machen.
Herr Reinhart. Den klügsten Menschen von der Welt?
Jungfer Lottchen. Der Himmel bewahre mich vor dem klügsten Menschen von der Welt; zumal, wenn er ein eingebildeter Thor ist.
Herr Reinhart. Bedenke Sie nur die Macht, die mir Ihres Vaters Testament gegeben hat!
Jungfer Lottchen. Diese Vollmacht sieht einem vernünftigen Vater ähnlich. Er hat nur einer unbedachtsamen Thorheit der Jugend vorbeugen wollen. Er hat mich aber nicht zu einer Sklavinn eines fremden Eigensinnes auf Lebenslang gemacht. Wenn ich mündig, und hoffentlich vernünftig genug seyn werde: so kann ich mich nach eigenem Gefallen verheirathen. Mich dünkt dieß ist der Sinn des väterlichen Willens.
Herr Reinhart besinnt sich ein wenig. Es ist endlich wohl wahr! Aber wird Sie wohl noch fünf Jahre Geduld haben?
Jungfer Lottchen. Ehe ich den Vielwitz nähme; so hätte ich gewiß noch fünfzig Jahre Geduld.
Herr Reinhart. Kränke Sie mich doch nicht so! Ich bin Ihr so gut, als wenn Sie mein eigenes Kind wäre! darum sollte Sie mir auch wohl wieder was zu Gefallen thun.
Jungfer Lottchen. Von Herzen gern, alles was Sie wollen. Nur daß ich den Vielwitz nicht für klug halten darf.
Herr Reinhart. Der Mensch hat doch aber was gelernet!
Jungfer Lottchen. Das spreche ich ihm nicht ganz ab. Für einen jungen Menschen weis er schon etwas. Aber darum muß er so stolz und klug nicht thun, als wenn er allen großen Gelehrten in Deutschland die Wage halten könnte.
Herr Reinhart. Das wird sich schon noch geben!
Jungfer Lottchen. Ich glaube gewiß, wenn er minder von sich hielte, so würde man ihn für einen geschickten jungen Menschen halten können: nun er aber sein Bißchen Vollkommenheiten durch ein Vergrößerungsglas ansieht, so wird er zu einem Gecken.
Herr Reinhart. Nun, verspreche Sie mir zum mindesten, Jungfer Lottchen, daß Sie ihm einen freyen Zutritt des Nachmittags zum Caffee, wenn Sie doch ohnedem andere gute Freunde bey sich auf dieser Stube hat, verstatten will. Thue Sie mirs zu Liebe!
Jungfer Lottchen zuckt die Achseln. Was will ich machen?
Herr Reinhart. Ich will meinem Sohne sagen, daß er ihm seinen Hochmuth ein wenig verweisen soll. Sie sind ja gute Freunde.
Jungfer Lottchen. Ihr Herr Sohn ist sein guter Freund, aus Ehrfurcht gegen Sie; weil Sie es ihm befohlen haben: sonst ist er viel zu vernünftig, als daß er ihn eine Stunde um sich leiden könnte.
Herr Reinhart. Nun, nun! es wird sich schon noch geben. Mein Sohn liebt ja auch die schönen Wissenschaften: so kann er ihm desto dreister zureden. Wird Sie heute Besuch haben, zum Caffee?
Jungfer Lottchen. So viel ich weis, wird sonst niemand kommen, als der junge Vielwitz und Ihr Herr Sohn. Sie fiengen heute bey Tische einen Streit an, den sie hier auf meiner Stube enden wollen.
Herr Reinhart. Wie? was? einen Streit?
Jungfer Lottchen. Ja, sie redeten von der Gottschedischen Schaubühne. Da machte nun der Vielwitz alle Stücke darinnen herunter.
Herr Reinhart schüttelt den Kopf. Nun! das wüßte ich doch nicht. Ich lese manchmal des Abends darinnen. Alle Stücke gefallen mir zwar auch nicht; aber einige sind doch recht hübsch, und ich denke immer: was mir nicht gefällt, das kann doch wohl einem andern gefallen.
Jungfer Lottchen. Das macht, Sie denken wie ein vernünftiger Mann; aber nicht wie ein junger Witzling.
Herr Reinhart. Nein! so überhaupt muß man kein Buch verachten: so lange noch keines für einen Menschen allein geschrieben ist. Er geht zum Tische und sieht einen versiegelten Brief liegen.
Jungfer Lottchen. Das ist aber die Art dieser jungen Herren. Sie glauben, alle Schriftsteller sollen nur streben, die Ehre ihres Beyfalls allein zu erhalten. Ungeachtet dieser Lohn ein wenig klein wäre!
Herr Reinhart. Was hat Sie denn da für einen Brief, Jungfer Lottchen?
Jungfer Lottchen. Ach! es sind Verse von dem jungen Vielwitz. Er hat sie mir heute früh herunter geschickt.
Herr Reinhart erfreut. Ey! das ist mir lieb! Es wird wohl gar eine Liebeserklärung seyn. Warum hat Sie sie denn noch nicht aufgemacht?
Jungfer Lottchen. Weil ich heute keine Lust zu Kopfschmerzen habe.
Herr Reinhart. Zu Kopfschmerzen? Wie so?
Jungfer Lottchen. Ich kenne seine Verse schon. Das Rechnen wird mir nicht so sauer, als die Gedichte zu verstehen, die er macht. Sie sind des Kopfbrechens schon bey Ihren Handelsbüchern gewohnet, Herr Reinhart, machen Sie den Brief nur auf, und lesen Sie ihn.
Herr Reinhart. Ey! wenn ich in meinem Handelsbuche lese: so bringt mir das Geld ein, und hiervon hätte ich nichts. Nein, nein! es ist billig, daß Sie Ihre Liebesbriefe selber erbreche. Er giebt ihr den Brief. Da! lese Sie es nur selbst. Ich habe ohnedem nothwendig ein Paar Briefe zu schreiben. Er geht ab.
Jungfer Lottchen wirft den Brief verächtlich auf den Tisch, indem kömmt der junge Reinhart.
Jungfer Lottchen. Ihre Dienerinn, mein Herr Reinhart.
Herr Reinhart. Ergebenster Diener, ist der Herr Vielwitz noch nicht hier?
Jungfer Lottchen. Nein, aber Ihr Papa ist hier gewesen, und hat mich versichert, daß er Ihnen auftragen wollte, den jungen Vielwitz vernünftig zu machen.
Herr Reinhart. Was? meynt mein Vater, daß ich unmögliche Dinge möglich machen kann?
Jungfer Lottchen lacht. So wie es scheint, traut er Ihnen das zu.
Herr Reinhart. Wenn mein Vater nicht mein Vater wäre, so würden wir, der junge Herr Vielwitz und ich, uns gar selten sprechen.
Jungfer Lottchen lächelnd. Ey! seyn Sie immer so gut, und machen Sie ihn ein wenig gescheidt. Es ist zu meinem Besten.
Herr Reinhart. Wie? zu Ihrem Besten?
Jungfer Lottchen lachend. Ja, Sie müssen wissen, daß ich im Sinne habe, einmal eine Frau Vielwitzinn zu werden.
Herr Reinhart. Sie? Sie?
Jungfer Lottchen. Ja, ja! ich! Es giebt gute christliche Herzen, die mir dieß Glück wünschen.
Herr Reinhart. Ich merke schon, was Sie damit meynen; darum mag ich meine Gedanken nicht sagen. Ich möchte auf eine Person treffen, der ich Ehrfurcht schuldig bin.
Jungfer Lottchen. Ach lieber Herr Reinhart, helfen Sie mir nur bey eben der Person, den Menschen verhaßt machen!
Herr Reinhart. Ach! das wollen wir ihm selbst überlassen. Glauben Sie nur, er wird sich schon selbst bey meinem Vater, und allen andern so verhaßt machen, daß wir alle Mühe dabey werden ersparen können. Dergleichen hochmüthige und kützelhärige Leute machen ihr Glück in der Welt niemals. Das habe ich schon oft erlebet.
Jungfer Lottchen. Nun! mit mir ist er fertig. Ich weis schon, was ich von ihm halten soll.
Herr Reinhart. Ich auch. Zum mindesten werde ich mich vor noch einer solchen schlaflosen Nacht hüten, als die vorige gewesen ist.
Jungfer Lottchen. Wie so? warum haben Sie nicht geschlafen?
Herr Reinhart. Gestern Abends bath er mich, ich möchte doch noch zu ihm auf sein Zimmer kommen, weil er nicht so früh zu Bette gehen könnte. Ich saß zwar schon selber bey einem Buche, darinn ich viel lieber gelesen hätte: indessen gieng ich, theils aus Höflichkeit, theils meinem Vater zu gefallen, zu ihm. Allein! ein Schelm der ihm wieder kömmt! vor drey Uhren des Morgens bin ich nicht von seiner Stube gekommen.
Jungfer Lottchen. Wie so? Sie werden doch nicht mit einander noch poculirt haben?
Herr Reinhart lachend. Ach nein! Es gieng ganz trocken zu! Zum mindesten floß nichts als die Hippokrene bey uns. Denn er empfing mich mit Versen, und unterhielt mich mit Versen. Was er seit 5 oder 6 Jahren gemacht hat, das sagte er mir erst alles auswendig her, bis er ganz blau im Gesichte ward, und der Schaum ihm vor dem Munde stand. Nachmals kam er auf seine Jugendgedichte, und da holte er einen großen Ballen Papier hervor, daß ich vor Schrecken bald des Todes war. Daran mußte ich nun meine Pein hören, bis die Glocke drey schlug.
Jungfer Lottchen lacht sehr. Warum schliefen Sie aber nicht ein dabey?
Herr Reinhart. Ja! wenn das vor dem Geschrey angienge. Es ist nicht anders, als wenn die jungen Dichter eine quackerische Begeisterung überfällt, wann sie jemanden ihre Gedichte vorlesen, oder vorsagen. Sie sind alsdann ärgere Schreyer, als der Stentor.
Jungfer Lottchen lacht. Nun! das gefällt mir!
Herr Reinhart. Ich weis aber wohl, was ich thun werde. Ich will ihm den jungen Sinnreich und Jambus einmal des Abends auf die Stube schicken. Das sind auch solche Herren, die sich auf ihre Gedichte was rechts einbilden, und sie gern alle Menschen auswendig lehren möchten. Da wird nun eine rechte Hetze angehen! Entweder sie werden alle drey zugleich schreyen; oder einer wird dem andern das Maul zuhalten müssen. Er lacht.
Jungfer Lottchen. O! da müssen Sie mir sagen, wenn Sie das thun wollen. Da will ich doch die schöne Comödie zum mindesten vor der Thüre anhören.
Herr Reinhart. Ey, Sie sollen jetzo gleich einen schönen Vorschmack davon haben; denn die Wahrheit zu sagen, ich habe sie herbestellt. Sie werden mir das nicht übel nehmen.
Jungfer Lottchen. Ey was haben Sie gemacht? Sollt ich die poetische Cordegarde hier in meinem Zimmer haben?
Herr Reinhart. Sie wird Ihnen tausend Lust machen! Und wer weis, wozu es gut seyn kann?
Jungfer Lottchen. Ich wollte mein Gehör gern bis an mein Ende behalten, und die – – –
Jungfer Lottchen. Herr Reinhart. Herr Vielwitz kömmt mit dem Hute auf dem Kopfe herein, und nimmt ihn erst ab, nachdem er die Thüre zugemacht hat.
Herr Vielwitz sehr gravitätisch. Ihr gehorsamer Diener meine liebe Demoiselle! Ihr ergebner Diener, Herr Reinhart!
Jungfer Lottchen. Ihre Dienerinn, Herr Vielwitz. Regnet es etwa draußen im Vorsaale?
Herr Vielwitz sich verwundernd und lächelnd. Im Vorsaale? nein!
Jungfer Lottchen. Ich glaube es wohl. Aber ich vermuthete etwas dergleichen; weil Sie mit dem Hute auf dem Kopfe herein kamen.
Herr Reinhart. Sein Herr Vater kömmt allezeit so auf seine Schreibstube.
Jungfer Lottchen lächelnd. Ja, da sitzen auch seine Kaufmannsdiener; aber hier nicht.
Herr Vielwitz. Ländlich, sittlich. Bey mich kömmt niemand anders in einer Stube, als mit den Hut auf den Kopf.
Jungfer Lottchen. Ja, ja! grobe Moden, sind auch Moden. Setzen Sie sich doch. Sie setzen sich, Jungfer Lottchen klingelt.
Herr Reinhart. Sind Sie etwa ausgegangen gewesen, mein Herr Vielwitz?
Herr Vielwitz. Ja, heute Vormittage bin ich in etliche Collegia gewesen.
Jungfer Lottchen. Nun, wie haben Ihnen unsere Lehrer gefallen?
Herr Vielwitz zuckt die Achseln. Was das für schlechte Leute sind! Wie werde ich noch meine Präceptores zu Hause bedauren! Nein! so was elendes hätte ich mich nicht vermuthet.
Herr Reinhart erstaunt. Wie? bey wem sind Sie denn gewesen?
Herr Vielwitz verächtlich. Ach! ich mag die lieben Leute nicht nennen! Sie stehn einmal in einem gewissen Ansehn bey der Welt. Lächelnd. Sie mögen ihren Ruhm genießen! ich will sie nicht zu Boden schlagen.
Jungfer Lottchen. Ihr Urtheil würde sie vielleicht auch wohl nicht gleich zu elenden Leuten machen: wenn es gleich Männer sind, die, wie Sie sagen, schon ein Ansehen in der Welt erhalten haben.
Die Vorigen. Paul.
Paul zu Jungfer Lottchen. Was befehlen Sie?
Jungfer Lottchen. Bringt Caffee!
Der Diener geht ab.
Herr Reinhart lächelnd. Sie werden also Ihren Zweck hier sehr schlecht erreichen, da Sie studierens wegen hergekommen sind?
Herr Vielwitz. Studierenswegen bin ich eben nicht hiergekommen. Ich habe nur im Sinne gehabt, das was ich zu Hause gehöret, nicht ganz und gar zu vergessen! Allein ehe ich das elende Zeug anhören wollte, ehe wollte ich in ein Jahr nicht aus meine Stube gehen.
Jungfer Lottchen. Ey: wenn ich an Ihrer Stelle wäre, so reisete ich gleich wieder nach Hause, und wiese den Leipzigern, auf was für Lehrer sie sich erst geschickt machen müßten, wenn ich bey ihnen studieren sollte.
Herr Vielwitz. Es ist nun in meiner Vaterstadt der Schlendrian, daß wir erst drey oder vier Jahre auf die hohen Schulen das vergessen müssen, was wir zu Hause gelernet haben.
Herr Reinhart. Das ist ja erbärmlich!
Jungfer Lottchen. Schade, um so viel treffliche Gelehrsamkeit!
Herr Reinhart. Zum mindesten aber könnten Sie doch in dieser Zeit der Welt mit Schriften dienen. Es giebt ja mehr große Geister, die kaum von der Schule kommen, und auf der Akademie nichts zu thun wissen, als daß sie gleich Scribenten werden.
Herr Vielwitz. Ich habe freylich an Leibnitzens seiner Infinitesimalrechnung und an des Aristoteles Poetik verschiedene wichtige Puncte auszusetzen gefunden. Vielleicht mache ich mir einmal darüber. Allein wie viel gute Namen wird das nicht kosten. Wie viel Stümper werden da nicht zum Vorscheine kommen! die man bisher für große Leute gehalten, und die doch diesen zween Leuten alles nur so treuherzig nachgebethet haben.
Jungfer Lottchen lächelnd. Ey! mit denen wollte ich gar kein Mitleiden haben. Wenn sie solche blinde Affen gewesen sind: so mögen sie sichs auch gefallen lassen, daß sie mit zu Schanden werden.
Hier kömmt der Diener und bringt einen Caffeetisch mit dem Geräthe, Jungfer Lottchen schenkt ein.
Herr Vielwitz. Es taugt hernach, wenn ich meine Anmerkungen über dem Aristoteles fertig habe, darinn ich seine Regeln widerlege, keine Poetik, weder bey die Franzosen, noch bei die Deutschen was.
Herr Reinhart. Haben wir denn dieß Werk bald zu hoffen?
Herr Vielwitz. Das kann ich nicht sagen. Es liegt zwar schon fertig: denn ich habe es, die Wahrheit zu sagen, gemacht, wie ich noch in die Schule auf Secunda war: allein wenn man doch schon eine gewisse Reputation für sich hat . . .
Jungfer Lottchen. Freylich! die darf man so nicht ins Gelag hinein wagen. Zumal wenn sie noch so frisch ist. Sie giebt ihm ein Schälchen Caffee, dem Reinhart auch.
Herr Vielwitz. trinkt. Das ist ein schöner Caffee! Mademoiselle, was geben Sie davor.
Jungfer Lottchen. Ey! solche große Gelehrten, die müssen nicht wissen, was solche Kleinigkeiten in der Haushaltung kosten!
Herr Vielwitz. Ja, das ist nun einmal meine Schwachheit, daß ich das alles wissen muß. Da kann ich nicht vor. Ich will es Ihnen sagen. Vor den Caffee haben Sie höchstens 20 Gr. gegeben: denn bey uns kostet er 16 Gr. schwer Geld.
Herr Reinhart. Nun das ist wahr! Ich schmecke wohl, daß der Caffee sehr gut ist: aber zu schmecken: was er kostet, dazu ist meine Zunge zu dumm.
Herr Vielwitz nimmt ein Stück Zucker vom Schälchen. Und vor den Zucker? Er besieht ihn. Wo Sie vor den Zucker mehr als 22 Rthlr. vor den Centner gegeben haben! so sind Sie betrogen.
Herr Reinhart. Sie haben von Ihrem Herrn Vater die Preise besser gelernet, als ich von meinem.
Jungfer Lottchen. Nein, Herr Vielwitz, ich verliere alle Hochachtung gegen Ihre zukünftige gelehrte Schriften; wo Sie die Preise von mehrern Eßwaaren wissen.
Die Vorigen. Herr Sinnreich. Herr Jambus. Sie kommen mit ungezogenen wilden Minen ins Zimmer. Reinhart empfängt sie.
Herr Reinhart. Ihr Diener meine Herren. Hier sehen Sie den Herrn Vielwitz, einen jungen Menschen aus Niedersachsen, der unserer Universität die Ehre thun, und hier studieren will.
Herr Sinnreich. Ihr Diener, mein Herr, ich bin erfreut, Ihnen zu sehen.
Herr Jambus. Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen kennen zu lernen.
Herr Vielwitz. Es ist mich herzlich angenehm, ein Paar solche Männer hier zu sehen, von die der Herr Reinhart mich so viel Gutes gesagt hat.
Herr Reinhart. Setzen Sie sich doch.
Sie laufen beide in eine Ecke des Zimmers und legen die Hüte und die Degen ab. Jungfer Lottchen will sich darüber aufhalten. Reinhart aber winkt ihr, sie soll es nur lassen gut seyn. Sie setzen sich zum Caffeetische. Jungfer Lottchen schenkt einem jeden Caffee ein.
Herr Jambus der allemal sehr schreyet. Ist es schon lange mein Herr Vielwitz, daß wir die Ehre haben, Ihnen hier zu sehen?
Herr Vielwitz. Es ist erst vierzehn Tage.
Herr Sinnreich. Wo logieren Sie denn?
Herr Vielwitz. Ich bin hier bey dem Herrn Reinhart ins Haus.
Herr Jambus. Haben Sie in Willens lange hier zu bleiben?
Jungfer Lottchen. Ey, was? meine Herren, Sie müssen mit dem Herrn Vielwitz solche gleichgültige Dinge, nicht reden. Er ist ein großer Poet.
Herr Jambus. Ein Poet?
Herr Vielwitz. Zu dienen.
Herr Reinhart. Und ein Mathematicus dazu!
Herr Sinnreich. Ein Mathematicus? Wie haben Sie sich denn bis zum Dichter erniedrigen können?
Herr Jambus. Ey, mein lieber Herr Sinnreich, es hat eher gescheide Poeten gegeben, als gescheide Mathematicos.
Herr Sinnreich. Ey, Herr Jambus, wir sind gute Freunde: aber in das Alter der Mathematik müssen Sie nicht pfuschen. Sie möchten sonst eine Sau machen.
Herr Vielwitz. Es ist wahr, die Mathematik ist das Edelste, was ein denkendes Wesen lernen und wissen kann.
Herr Sinnreich. Sie ist die einzige Wissenschaft, die Wahrheiten auf zuweisen hat: mit allen ändern ist es lauter Ungewißheit.
O Meßkunst! Zaum der Phantasie,
Wer dir nur folget, irret nie! Wer ohne dich will gehn, der gleitet! |
Jungfer Lottchen spöttisch. Es ist wohl wahr; daß 2 mal 2 4 ist, das ist eine viel gewissere Wahrheit, als daß die Sonne hell scheint!
Herr Reinhart lachend. Ich möchte gleichwohl lieber ein Capitel von Leibnitzens Theodicee gemacht haben, als der Erfinder des Einmal Eins seyn: was für ewige Wahrheiten auch immer darinnen stehen. Zu Jungfer Lottchen. Ich bleibe mit Fleiß bey dem Gleichnisse, was Sie aus der Arithmetik genommen haben: ungeachtet sie nur ein Theil der Mathematik ist.
Herr Sinnreich. Ich streite Ihnen nicht, daß Leibnitz ein großer Mann gewesen! das macht aber, er war ein großer Mathematicus.
Herr Reinhart zeigt auf Vielwitzen. Da sitzt aber ein Mann, der an der Leibnitzischen Infinitesimalrechnung sehr viel auszusetzen hat.
Herr Sinnreich sieht ihn von oben bis unten an. Sie? an Leibnitzens Infinitesimalrechnung?
Herr Vielwitz sieht ihn wieder so an. Ja, mein Herr. Ich bin nicht gern ein blinder Verehrer von die großen Leute. Ich untersuche gern alles, und da finde ich, daß sie alle irrende Menschen gewesen.
Herr Sinnreich voll Verwunderung. Nun? z. E. was haben Sie denn daran auszusetzen?
Herr Vielwitz hochmüthig. Das wird sich zeigen, wenn mein Werk herauskommen wird.
Herr Reinhart. Sie müssen wissen, daß der Herr Vielwitz sein Werk schon auf der Schule, als ein Secundaner, geschrieben hat. Es ist also schon fertig.
Herr Sinnreich sich verwundernd. Auf der Schule? Sind Sie auf einer Schule gewesen?
Herr Vielwitz. Ja, mein Herr. Meines wissens bringt man das Latein nicht mit auf die Welt. Sind Sie etwa auf keiner Schule gewesen?
Herr Sinnreich. Es wäre eben so gut, wann es unterblieben wäre! Ich habe doch von keinem Lehrer was gelernet, als von dem Mathematico: das ist noch der einzige, von dem ich was gelernet habe!
Jungfer Lottchen lachend. Haben Sie denn das Lesen und Schreiben schon die ersten acht Tage Ihres Lebens gekonnt?
Herr Jambus. Nun, das könnte wohl seyn! Wenigstens kann ich ihm das Zeugniß geben, daß er so schreibt, als ich in meinem ersten Jahre auch hätte schreiben wollen.
Herr Reinhart lachend. Ja, Herr Sinnreich, Ihre Liebste wird sich erst einmal an D. Fausts Zauberzeichen üben müssen, ehe sie Ihre Hand wird lesen können.
Herr Sinnreich stolz. Docti male pingunt! Indessen, um wieder auf die Schulen zu kommen; so wird man da nur mit lauter Ungewißheiten gequälet. Mit der philosophischen Ungewißheit, mit der juristischen, medicinischen, oratorischen, historischen, poetischen und tausend andern Ungewißheiten: so daß noch das einzige Wahre, was man höret, die Mathematik ist.
Herr Reinhart lachend. Also, mein Herr Sinnreich, alles was Sie außer der Mathematik gelernet haben, das ist erlogen?
Herr Sinnreich. Es giebt wohl einige Arten von halben Gewißheiten, oder Wahrscheinlichkeiten, in den andern Wissenschaften; allein auf die kann ein Kopf, der zu den ewigen Wahrheiten gebohren ist, allenfalls von sich selbst kommen. Dazu hätte ich keine Lehrer nöthig gehabt!
Jungfer Lottchen. Nun es ist mir lieb, daß ich keiner von Ihren Lehrern gewesen bin. Das würde mir ein wenig undankbar vorkommen!
Herr Sinnreich. Wenn Sie mir die Ehre thun, und meine Lehrmeisterinn werden wollen; so will ich Ihnen gern alle meine Wissenschaften verdanken.
Herr Vielwitz. Sie werden also wohl schon etwas mathematisches geschrieben haben? Darf ich mich wohl etwas davon zu sehen ausbitten?
Herr Sinnreich. In etwa vierzehn Tagen, werde ich Sie mit einer Dissertation aufwarten können.
Herr Vielwitz. Wovon wird sie handeln?
Herr Sinnreich. Von dem Maaße des Winkels der Abweichung derer Gesichtsstralen, womit ein Schielender einen Gegenstand ansieht.
Herr Vielwitz. Das ist eine neue Materie!
Herr Sinnreich. Was ich davon sagen werde, das wird auch alles ganz neu seyn. Die Erfindungen gehören alle meine: und ich habe deswegen kein optisches Werk, ja nicht einmal den Newton nachgeschlagen: ungeachtet dieser noch das einzige Buch ist, das man sich nicht schämen darf, gelesen zu haben.
Herr Vielwitz. Ich bin recht neugierig, das zu lesen.
Herr Sinnreich. Die Beweise schließe ich allemal mit einer oder zwey Zeilen aus einem mathematischen Poeten, als Pope, Gebhardi, oder dergleichen.
Herr Jambus. Nun, da sehen wirs! vorhin wollten Sie die Poesie herunter machen, und jetzt spicken Sie Ihre mathematischen Abhandlungen damit aus.
Herr Sinnreich. Ey Poesie und Poesie ist sehr unterschieden: Ich meyne nicht die Wiegenliederpoeten, wie Opitz, Canitz, Besser, Neukirch, Günther, und andere Dichter; sondern diejenigen, darinn man, das Wahre, das Schöne, das Hohe, das Tiefe, das Dunkele, das Gedachte, das Schalkhafte . . . kurz, alles, was man nur abstract nennen kann, antrifft.
Jungfer Lottchen lachend. Abstract? könnte man das nicht das Abgezogene nennen?
Herr Reinhart lacht. Ja ja! das Abgezogene in Gedichten. Das ist sehr schön und abgezogen gesagt!
Herr Jambus. Nun Herr Sinnreich, Sie haben anjetzt den Herren Vielwitz lange genug unterhalten; nunmehr lassen Sie mich auch einmal mit der Dichtkunst daran kommen. Es ist ganz unnatürlich, daß ein Poet so lange schweigen und zuhören soll.
Herr Sinnreich. Meinethalben! Ich werde zum mindesten von der Poesie auch mit reden können. Dahingegen Sie von der Mathematik schweigen, und uns allein reden lassen mußten.
Herr Jambus zum Vielwitze. Sie haben unfehlbar schon viel schönes drucken lassen?
Herr Vielwitz. Nein, das eben nicht. Aber ich denke dennoch, daß meine Arbeiten hier nicht unbekannt seyn können.
Herr Sinnreich. Ich besinne mich nicht; etwas von Sie gelesen zu haben.
Herr Vielwitz erstaunt. Haben Sie nicht vergangenen August die Cantate auf dem Schellhaferischen Saale gehört?
Herr Jambus. Nein. Haben Sie die etwa gemacht?
Herr Vielwitz. Ja. Der Componist schrieb an mir und ersuchte mir, ich möchte ihm die Ehre thun und ihm eine Cantate machen.
Herr Reinhart zu den andern. Ey! meine Herren, das sollten Sie dem Manne nicht für ungenossen ausgehen lassen! Was? Zween solche körnichte Dichter in der Stadt zu haben, und noch nach Niedersachsen zu gehen, wenn man was schönes haben will? Das litte ich nicht! Sie schütteln die Köpfe. Lottchen lacht.
Herr Vielwitz. Ich mochte es ihm auch nicht abschlagen: denn ich dachte, es könnte des ehrlichen Mannes Glück seyn. Wenn er aber so dumm gewesen ist, und hat meinen Namen nicht darzu drucken lassen: Da habe ich nicht schuld an! Da kann ich nicht vor.
Herr Sinnreich. Nein, wir haben hier nichts davon gewußt.
Herr Vielwitz. Das ist ein dummes Beest! Bey mich hat sich ein Componist Haus und Hof mit einer von meinen Cantaten verdient: sie war mich aber auch schön gerathen.
Herr Reinhart. O! daran ist kein Zweifel.
Herr Vielwitz. Indessen, die ich nach hier machte, war auch schön: denn ich dachte, du mußt doch die Leipziger was hermachen, das eine Art hat! In eine Arie hatte ich aus der Algebra was angebracht. Das war recht schön. Ich hatte mich aber auch viel Mühe gegeben . . . kann ich mir nicht noch darauf besinnen? Er sinnt nach.
Herr Jambus. Bedienen Sie sich auch der Participiorum, Herr Vielwitz?
Herr Vielwitz. Ey! die sind meine beste Zierde! Die Cantate war recht voll davon.
Jungfer Lottchen. Was sind das für Dinger, Herr Reinhart?
Herr Reinhart lächelnd. Das ist eben das, als wenn ich Ihnen sagte: zu kalt zum Trinken, wird der Caffee wohl weggeräumt werden müssen.
Jungfer Lottchen lacht. So so! und: Nicht gebohren zum aufwarten, werde ich wohl den Diener rufen müssen. Sie steht auf; die andern lachen und Jambus aus vollem Halse: so daß sich Lottchen die Ohren zuhält und abgeht.