Christian Dietrich Grabbe
Napoleon oder die hundert Tage
Christian Dietrich Grabbe

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Vierter Aufzug

Erste Szene

Paris. Das Marsfeld.

Eine große, mit rotem Sammet überzogene Bühne ist im Hintergrunde errichtet. Mitten auf derselben der Thronsitz des Kaisers, – ringsum, amphitheatralisch geordnet, die Sitze der Pairs und der Deputierten. Kanonen donnern, Truppen und Nationalgarden ziehen auf. Volk überall. Jouve im blauen Frack darunter.

Ein Junge. Eine Zigarre, mein Herr, à la reine Hortense.

Jouve. Her damit, Bengel. Was kostet der Stümmel?

Der Junge. Zwei Sous, denn heute –

Jouve. Denn heute machen wohlfeile Konstitutionen schlechte Zigarren teuer. Da – drei Sous!

Der Junge. Gnädiger Herr –

Eine Dame. Wie schrecklich donnern die Kanonen – von allen Seiten, den ganzen Morgen schon.

Jouve. Es sind die bestellten Salven vom Invalidenhause, von Montmartre und Vincennes.

Die Dame. Heute ist doch ein großer Tag.

Jouve. Wenigstens knallt er sehr. – Mademoiselle, oder, wie ich glauben muß, Madame, weil Ihre Schönheit schon irgend jemand zur Heirat bezaubert haben wird, –

Die Dame (für sich). Wie galant der Herr ist!

Jouve. – lassen Sie uns weiter links gehen – Von hier aus erblicken wir nichts. (Für sich.) Auch eine vor Eitelkeit lächelnde Bestie, – vielleicht gut genug zur Zerstreuung.

Die Dame. Mein Herr, wie dringen wir so weit durch? Es ist überall Volk.

Jouve. Volk! Weiter nichts? Auseinander der Dreck – (Er ruft.) Ein Adler! ein Adler! Da fliegt er – von der Militärschule herüber – Welches günstige Zeichen!

Volk (durcheinander). Ein Adler! ein Adler! – Siehst du ihn? Nein – Da ist er! – Das ist ja eine Wolke – – Wolke? Ein Haufen Adler, wollt ihr sagen!

Jouve. Nun, meine Dame, lassen Sie die Herren den Himmel betrachten, – wir kommen auf der Erde desto weiter.

Die Dame. Sie sind ein Genie, mein Herr, und ihre Hände sind sehr kräftig.

Jouve. Es geht mir wie einigen Monarchen: zum Amusement schmiede ich bisweilen.

Die Dame. Mein Wagen hält nicht weit von uns. – Fahren Sie mit mir nach Haus zum Souper?

Jouve. Ohne andere Begleitung?

Die Dame. Nur Ihre Ehre soll mich führen.

Jouve (für sich). Wer weiß, wohin wir dann geraten. (Laut.) Ich nehme die Einladung an, und Sie sollen meine Ehre Ihrer Erwartung gemäß finden. – – Oh, – da stehen schon die allerliebsten Weihnachtspuppen, die Nationalgarden, – dort sprengen Mamelucken oder gut verkleidete Franzosen heran – da brüstet sich die alte, da die neue Garde zu Pferd und zu Fuß mit dem schnöden Trabantenstolze –

Die Dame. Wie Sie alles scharf und richtig bezeichnen!

Jouve. Der Erzbischof von Paris mit seinen Pfaffen fängt an die Zeremonie einzuräuchern – Wenn die Religion von dem vielen Dampf, den sie machen muß, nur nicht bald selbst verdampft! –

Die Dame. Sehen, sehen Sie! Pairs, Deputierte, Senatoren setzen sich auf ihre Plätze! – Welche prächtige Mäntel sie tragen!

Jouve. Und da steigt Bonaparte auf das Gerüst mit seinen gleichfalls aufgeputzten Ministern.

Donnerndes Geschreider Truppen und des Volkes. Hoch lebe der Kaiser!

Die Dame. Er ist wahrlich ein großer Mann.

Jouve. Er verstand, auf unsren Nacken sich zu erheben.

Die Dame. Wie Sie sagen? – – Wie ernst-majestätisch er blickt.

Jouve. Solang er weiß, daß ihn die Menge anblickt. Zu Hause ist er nach den Umständen mürrisch, lustig, schwatzhaft, wie jeder andere. Geht er aus, so überlegt er, wenn er im Zweifel ist, erst mit dem Komödianten Talma Minenspiel und Faltenwurf. (Für sich.) 's ist ja alles Komödie – Es wird nächstens schwer halten Theaterprinzessinnen von echten zu unterscheiden.

Die Dame. Da tritt ein Herr vor, die additionelle Zusatznote zu lesen.

Jouve. Ja, er spuckt schon aus.

Die Dame. Diese Note wird die Revolution beendigen.

Jouve. Auf das Ende, Madame, folgt stets wieder ein Anfang. (Er horcht auf.) Ah, er liest – Wahrhaftig, wie ich vermutete, der alte Brei in neuen Schüsseln – »Die Pairskammer erblich« – Daß grade ein Bonaparte nicht spüren will, wie erbärmlich die aristokratische Erblichkeit ist – »Der Kaiser ernennt die Pairs« – Früher hieß es »Der König ernennt sie« – »Kein Mitglied der Repräsentantenkammer kann wegen Schulden verhaftet werden« – Da werden sich die Bankerotteurs in Masse hineinmachen – »Der Kaiser bezeichnet aus der Pairskammer die Präsidenten der Wahlkollegien auf lebenslang« – Er wird seine Leute schon finden – »Der Gottesdienst frei« – Das Präsent kostet nichts – Ich wollte, es hieße: »unbedingt freie Presse«. – Gottlob, der Herr Vorleser ist zu Ende.

Die Dame. Der Kaiser hebt die Hand in die Höhe und beschwört die Akte!

Jouve. Und die Pairs und Deputierten der Wahlkollegien äffen ihm nach.

Die Dame. Das Volk erhebt sich – Wir müssen auch schwören –

Savoyardenknabe.

La marmotte, la marmotte –

Jouve. Junge, laß das Singen, – man beschwört hier die Zusatzakte der Charte der französischen Nation.

Savoyardenknabe. Weiter nichts? Ich bin auch ein patentierter Franzose. (Er reckt drei Finger empor.)

Jouve (für sich). Heiligkeit des Eides! – Schafotte und Laternen an seine Stelle! Sie wirken besser!

Das Volk. Wir beschwören die Konstitution und die additionelle Charte!

Jouve. Madame, Madame, – wir schwören mit!

Die Dame. Ist's Zeit? – Was die Dienstmagd da prächtige Straußfedern trägt –

Jouve. Geschwind, geschwind lassen Sie sich dadurch nicht aufhalten – (Er und die Dame.) Wir schwören mit! (Er für sich.) Fünf mal hunderttausend Meineidige, mich selbst mit eingeschlossen, ohne daß ein Blitz auf sie fällt, sind doch eine interessante Erscheinung! Was haben wir nicht alles beschworen und gebrochen, die erste, die zweite, die dritte Konstitution, die Satzungen Napoleons, die Charte der Bourbons –

Die Dame. Der Kaiser entfernt sich. Welch herrliche Musik die Truppen haben!

Jouve. Madame, Ihren Arm?

Die Dame. Mit Vergnügen, mein Herr.

Jouve (für sich). Die ehebrecherische Kokette! – – – Ob nicht im unerforschten Innern der Erde schwarze Höllenlegionen lauern und endlich einmal an das Licht brechen, um all den Schandflitter der Oberfläche zu vernichten? Oder ob nicht einmal Kometen mit feuerroten, zu Berge stehenden Haaren – Doch was sollten unsre Albernheiten, was sollte ein elendes, der Verwesung entgegentaumelndes Gewimmel, wie dieser Haufen, Erdentiefen oder Sternhöhen empören? (Laut.) Kommen Sie, Madame.

Zweite Szene

Paris. Ein Zimmer in den Tuilerien.

Napoleon und Hortense treten ein.

Napoleon. Nun geht's in das Feld, Hortense. – Ich und meine Armee werden unsre Schuldigkeit zu tun wissen.

Hortense. Ahnt' ich nicht, daß es so kommen würde? – Bitte, Sire, nimm dieses Etui.

Napoleon. Wahrlich, schön überzogen – Adler, Bienen, Veilchen daraufgestickt. – Und darin? Allerliebste Sachen! Ein ganzes kostbares Schreibzeug en miniature darunter!

Hortense. Länder, womit du zu spielen gewohnt bist, kann ich dir nicht geben. Nimm die Kleinigkeit, und denke dabei der großen Liebe der armen Hortense:

Napoleon. – Wann sticktest du den Überzug?

Hortense. Als – oh – als du fern warest.

Napoleon. Auch etwas wie Tränen darauf gefallen?

Hortense. Harter, fragst du? – Es waren trübe Stunden – ja, entsetzliche!

Napoleon. Hätt' ich doch nicht gefragt – – Dein Etui vergess' ich nicht unter den Donnern der Schlacht.

Hortense. Und, Kaiser, schone deiner Gesundheit, – du tust es leider nie.

Napoleon. Was ist auch zu schonen in einem Feldzuge?

Hortense. Feldzug, Feldzug! – Ach, laß uns flüchten!

Napoleon. Wohin?

Hortense. Nach Nordamerika.

Napoleon. Gute, dahin flüchte ein Bürger, der sich einmal gegen seinen Monarchen empört hat; Napoleon aber kann nicht flüchten, kann sich nicht verstecken. Ist er nicht vernichtet, oder nicht behütet wie Feuer, so stürzt Europa zürnend oder liebend ihm nach. – Nordamerika wird übrigens binnen vierzig Jahren ein größeres Karthago, der atlantische Ozean ein größeres Mittelmeer, um welches die alte und neue Welt sich lagern – Wie lange, liebe Hortense, währt das aber? Zwei, drei ärmliche Jahrhunderte und dann wandeln auf den Inseln und Küsten der noch grenzenloseren Südsee die Herrscher des Menschengeschlechts.

Hortense. Bei jedem Anlaß in den entferntesten politischen Ideen!

(Bertrand kommt.)

Napoleon. Alles im Marsch?

Bertrand. Ja, Sire.

Napoleon. Die Truppen sollen die Adler mit Flor umhängen, bis sie einen Sieg errungen haben. Besonders das Augenmerk auf die Artillerie und schwere Reiterei gerichtet, denn wir müssen diesesmal rascher als je niederschmettern und zuschlagen – Drouot kommandiert die erstere, Milhaud die andere, zu den Kavalleristen meistenteils Elsasser oder Normannen genommen, – sie reiten am besten, aber einige Gascogner unter sie gemengt, damit sie durch die verleitet werden, auch toll daraufloszureiten, – die Kürasse sollen ein Drittel dichter als früher sein, um recht nah dem Feinde ins Auge blicken zu können, – Kriegsmanifeste nicht nötig, weil ich Formalien nicht mehr beobachte, – für die Armee ein paar Proklamationen gegen die Preußen und Engländer, denen wir zuerst begegnen, – meine Schnauzbärte lesen sie zwar nicht, wickeln sie um die Patronen, aber mancher meint doch unbesehens, es wäre etwas darin, – von den alten dotierten, zu Herzogen und Fürsten gemachten Marschällen bloß der Ney mit mir nach Norden, – nützt' es mir nicht, daß Europa glaubt, er sei freiwillig zu mir übergegangen, auch ihn behielt' ich vielleicht nicht, – die Mehrzahl jener Herren waren tüchtigere und redlichere Corporale als Generale, – mehrere sonstige Anordnungen kennst du, und ich bitte, besorg' alles so gut wie du meine Marschordres besorgt hast, wofür ich dir auch danke.

Bertrand. Den Dank verdien' ich nicht, denn für dich zu arbeiten ist mir Ehre und Freude. (Er entfernt sich.)

Hortense. Wenn der Mann all das behält und expediert, was du ihm eben und jede Stunde aufträgst, so ist er ein Genie, fast größer als du selbst!

Napoleon. Käm' es auf das bloße Talent, und nicht auf die Tatkraft an, durch welche es in Bewegung gesetzt wird, so wäre Berthier statt meiner Kaiser der Franzosen. (Er klingelt. Ein Ordonnanz-Offizier tritt ein.) Sind die Mitglieder des Ministeriums versammelt?

Ordonnanz-Offizier. Ja, Sire.

Napoleon. So will ich noch einmal bei ihnen präsidieren, und selbst sehen, was und wie sie arbeiten.

Hortense. Und dann –

Napoleon. Mach' ich einen Staatsbesuch in der Pairs- und einen in der Deputiertenkammer.

Hortense. Zuletzt aber?

Napoleon. Nehm' ich Abschied von dir und besiege die Koalition, oder erblicke dich nie wieder.

Hortense. Trifft das letztere ein, so sei mir die Blindheit willkommen.

(Beide ab.)

Dritte Szene

Paris. Platz vor dem kaiserlichen Marstall.

Drei kaiserliche Piqueurs treten auf.

Erster Piqueur. Den jungen Araber vor.

Dritter Piqueur. Das arme Geschöpf! (Geht ab.)

Erster Piqueur. Was hilft das Bedauern? Der Kaiser zieht vermutlich in's Feld, reitet schnell, aber schlecht, und wir müssen das Tier mit unsrem Unterricht so lange quälen, bis wir sicher sind, daß es ihn nicht abwirft.

Dritter Piqueur (kommt mit dem Pferde zurück). Da ist der Araber.

Erster Piqueur. Ein treffliches Gewächs! – Hussa, über den Block!

(Das Pferd setzt über einen Holzblock.)

Ha! muckt die Kreatur? – Sie zuckte bei dem Übersetzen mit dem linken Vorderbein. (Er schlägt heftig auf das Pferd.)

Dritter Piqueur. Schone das Tier!

Erster Piqueur. Eh, junger Mensch – kennst du den Kaiser genau?

Dritter Piqueur. Nein. Ich bin ja erst seit drei Tagen in seinem Dienst.

Erster Piqueur. So wisse, er haut bisweilen mit seiner Reitpeitsche ärger auf seinen Piqueur als dieser auf sein Pferd, wenn es nicht so sicher springt als dieses da lernen soll.

Zweiter Piqueur. Es ist wahr, – ich weiß es von Eßlingen her.

Erster Piqueur. Die geladnen Pistolen! (Er schießt zwei Pistolen vor den Ohren des Pferdes ab.) Es bäumt sich – Prügelt es! (Es geschieht.) Die Kanonen herbei.

(Ein Kommando der Artillerie fährt mit einigen Kanonen vor.)

Das Pferd mitten unter die Geschütze – Brennt ab! (Es geschieht.) Schlagt den Gaul – Er zittert!

Dritter Piqueur. O Gott, das unselige Pferd!

Erster Piqueur. Es muß mit dem Kaiser in die Schlacht, und da gilt keine Furcht vor Geknall. – Bajonette her – Blinzelt ihm damit dicht vor den Augen. (Es geschieht.) Ah, da erschrickt es nicht mehr.

Zweiter Piqueur. Bravo, Araber!

Erster Piqueur. Pst! Laß das Schmeicheln – Es möchte sich verwöhnen – Der Kaiser schmeichelt ihm auch nicht. – Jetzt setze dich darauf und tumml' es in die Runde, bis es über und über Schweiß ist!

(Der zweite Piqueur tut es.)

So – so – – Und nun mit ihm in die Schwemme, wo das Wasser am kältesten – Auch die Sporen in seine Seiten, daß es lernt wie sein Blut fließt.

(Zweiter Piqueur mit dem Pferde ab.)

Bei Gott, des Kaisers Pferd sein, ist ebenso schwer als sein Piqueur oder sein Minister. – Teufel, da kommt der Oberstallmeister – Gewiß wieder Befehl über Befehl, einer eiliger als der andere – Unter dem Kaiser sind die Stunden tausendmal kleiner als die Geschäfte.

Oberstallmeister (mit Gefolge zu Pferde). Erster Piqueur, in einer Stunde mit allen Reitpferden und Feldequipagen im schnellsten Marsch nach Laon. Dort das Weitere.

Erster Piqueur. Hab' ich Zeit zum Abschied von Frau und Kind?

Oberstallmeister. Nein.

Erster Piqueur. Auch gut. So spar' ich meine paar Tränen für schicklichere Gelegenheit. – – Aber das ist verflucht, Herr Oberstallmeister: mein bester Kollege ritt eben mit dem besten Gaul in die Schwemme, und kehrt kaum in einer Stunde – – Doch wartet – ich hol' ihn ein, oder – (Zum dritten Piqueur.) Den Soliman aus dem Stall, – ist er auch der eigensinnigste, steifste aller Gäule, so ist er doch zugleich der tollste und schnellste, beinah wie –

(Dritter Piqueur führt das Pferd Soliman vor.)

Erster Piqueur (sich auf den Soliman setzend). Herr Oberstallmeister, der Kaiser liefert binnen vierzehn Tagen eine große Bataille, oder ich kenne seine Marstallsgebote sehr schlecht.

(Er braust mit dem Pferde davon.)

Vierte Szene

Nachmittag. Preußisches Feldlager bei Ligny.

Viele Feuer. Soldaten aller Waffengattungen um und zwischen demselben. Einige rauchen, andere kochen, andere striegeln ihre Pferde etc. Marketender und Marketenderinnen an vielen Orten. An einem Feuer im Vordergrunde sitzen auf Holzblöcken ein ostpreußischer Feldwebel und ein Berliner Freiwilliger. Ein schlesischer Infanterist steht bei ihnen. Über den Flammen hängt ein Kessel.

Der Berliner. Schlesier, da hast du zwei Münzgroschen. Hole mich von jene Marketenderin einen blauen Zwirn, und vor dir einen halben.

(Der Schlesier geht.)

Herr Feldwebel –

Feldwebel. Was ist?

Berliner. Ihre Pfeife ist leer – Darf ein Berliner Bürgersohn Sie etwas Tabak anbieten?

Feldwebel. Habe noch selbst Tabak. Danke.

(Der Schlesier kommt zurück.)

Berliner (trinkt). Das wärmt! – – Herr Feldwebel, wir bekommen schlechtes Wetter – der Himmel ist gräulich grau.

Feldwebel. Das ist er.

Berliner. Wie lange liegen wir wohl noch hier?

Feldwebel. Bis wir aufstehn.

Berliner (für sich.) Der Kerl ist, wie ein berühmter Autor sagt, göttlich grob. Statt mir mit ihm zu ennuyieren, will ich lesen und mir bilden. (Er zieht ein Buch aus der Tasche. Dann laut.) Schlesier, wenn Huhn und Krickente gar gekocht sind, verkündest du es mich.

Feldwebel. Woher habt ihr das Geflügel?

Berliner. Requiriert, requiriert – Herr Feldwebel, Sie essen mit.

Feldwebel. Gern.

Berliner. Herr Feldwebel, was halten Sie von diese Campagne?

Feldwebel. Wir müssen tüchtig auf die Franzosen losschlagen.

Berliner. Versteht sich, so weh es mich tun wird. – Wann sind wir wohl in Paris?

Feldwebel. Sobald wir einrücken.

Berliner. Waren Sie schon einmal da?

Feldwebel. Ja, 1814.

Berliner. Ist es so schön wie unsre große Hauptstadt?

Feldwebel. So ziemlich.

Schlesier. Huhn und Ente sind gar.

Berliner. Herr Feldwebel, so wollen wir die verfluchten Luder miteinander teilen. – Da, Sie die Ente, ich das Huhn – Kamm, Schnabel und Füße sind dein Teil, Schlesier.

Feldwebel. Behandle den Burschen nicht wie einen Hund.

Berliner. Es ist man ein Wasserpole, ohne Bildung, aus die Gegend von Ratibor. Der Kamm schmeckt ihm wie Sirup.

Feldwebel. Kamerad Schlesier, hier hast du von meiner Ente das halbe Bruststück.

Berliner. Herr Feldwebel, kennen Sie die Gebrüder Schlegel?

Feldwebel. Nein.

Berliner. Die kennen Ihnen auch nicht, aber kennten sie Ihnen, so würden sie sagen, Sie wären äußerst sentimental.

Feldwebel. Alle Donner, ein ostpreußischer im Regiment geborener und aufgewachsener vierzigjähriger Feldwebel sentimental?

Berliner. Ja, ja, Ihr Herz ist weicher als sie ahnen. Es geht Sie, wie Alexander dem Großen, als er seinen Freund zu geschwind totgeschlagen hatte.

Feldwebel. Warum nicht gar wie Napoleon, als er aus Rußland flüchtete?

Berliner. Napoleon? – Oh, der ist auch noch lange kein Iffland! – – Kannten Sie Iffland?

Feldwebel. War er nicht Komödiant?

Berliner. Komödiant! Sei Gott mich gnädig! – Ein Schauspieler, ein darstellender Künstler, ein Mime war er wie keiner unter die Sonne. Lesen, studieren Sie die Journale – – ach, Sie hätten die großartige Charakteristik sehen sollen, mit welcher er wundersam eindrang in den Geist der Rolle – Na, Lemm, Beschort sind auch sehr schätzbare Talente, aber – Wer kommt da zu Pferde?

Feldwebel. Aufgestanden! Der Feldmarschall und General Gneisenau!

Berliner. Der Feldmarschall ist doch ein großer Kopf!

Feldwebel. Woran merkst du das?

Berliner. Das sieht man ja, so wie er die Mütze abnimmt.

(Blücher und Gneisenau sind bis in den Vorgrund gesprengt. Adjutanten hinter ihnen.)

Blücher. Kamerad, was für ein Buch das?

Berliner. Isabella von Mirando oder die Kürassierbeute –

Blücher. Wirf's in das Feuer. – Feldwebel, Sie kenn' ich.

Feldwebel. An der Katzbach präsentiert' ich Ewr. Durchlaucht zwei von mir gefangene Franzosen.

Blücher. Wahr. Und Sie haben kein eisernes Kreuz? – Hier das meinige. Heften Sie es sogleich an die Brust, und wenn die Kugeln pfeifen, denken Sie bei ihm: es ist doch alles Kreuz, Jammer und Elend, aber das beste Kreuz ist doch immer das des Königs – – Wisset Leute, Bonaparte soll in der Nähe sein, angekommen wie ein Dieb in der Nacht. Ist es so, so haben wir morgen früh Bataille, und wenn das Heer will, morgen abend Sieg.

Gneisenau. Der Posten von St-Amand muß verstärkt werden.

Blücher. Nicht vielmehr der von Sombref? Er liegt dem Feinde näher.

Gneisenau. Der französische Kaiser –

Blücher. Nenne den Schurken nicht Kaiser, der meiner Königin das Herz brach.

Gneisenau. Napoleon wird uns gern von den Engländern trennen, auf die Seite werfen wollen, und, du kennst ihn, da wird er ohne sich umzusehen die Stellung zuerst angreifen, die uns zunächst mit ihnen verbindet, und, diese ist: St-Amand.

Blücher. Du hast recht, Freund. – St-Amand mit fünf Infanterie- und drei Dragoner-Regimentern verstärkt.

(Mehrere Adjutanten ab.)

Kuriere zu Wellington – Gruß ihm, und die Bitte, er möge vorrücken – Andere zu Bülow: der breche sofort mit seinem Corps auf und sei morgen mit Tagesanbruch hier.

Gneisenau. Jetzt erfahren wir ein mehreres. – Da schickt Ziethen drei Husaren von der Vorhut.

(Drei ziethensche Husaren jagen heran.)

Blücher. Es könnten verkleidete französische Spione sein. Dem Bonaparte ist keine List fremd. – Die Parole?

Ein ziethenscher Husar. Zorndorf!

Blücher. Richtig. – Was gibt es?

Der ziethensche Husar. Französische Truppen zu Fuß und zu Pferde, wie Sand am Meer, in Charleroi, Chatelet, Marchienne, Avesnes. Ihre Voltigeurs drängen sich schon an uns und schießen aus Strauch und Busch.

Gneisenau. Haben die Feinde viele Kanonen?

Der ziethensche Husar. Unabsehbare Züge.

Blücher. Sogenannte Kaisergardisten unter ihnen?

Der ziethensche Husar. Regiment an Regiment.

Blücher. So ist Er mit seiner ganzen Armee da, und hat uns überrascht. Doch, es soll ihm wenig helfen, denn er macht uns nicht bestürzt. – Zurück zu Ziethen – er ziehe sich fechtend bis Sombref.

(Die drei ziethenschen Husaren wieder ab.)

Gneisenau. Alarm, Feldherr?

Blücher. Versteht sich, auf der Stelle! Überall Rappell! Der Generalmarsch durchs Lager – Neue Patronen ausgeteilt, die Güte der alten untersucht!

(Viele Adjutanten ab.)

Und wir beiden, Freund Gneisenau, einen Ritt nach Charleroi hin – Es sieht sich nicht besser als mit eignen Augen.

(Mit Gneisenau ab. Gleich darauf Rappell und Generalmarsch im ganzen preußischen Bivouac. Alle zerstreut gewesenen Soldaten eilen zu ihren Compagnien und Schwadronen, rasch sich waffnend und ordnend.)

Feldwebel. Adieu, Berliner und Schlesier – Gott mit euch in der Schlacht! (Ab.)

Berliner. Herr Schlesier, holen Sie für uns beide noch einen großen Kümmel.

(Schlesier geht.)

Mein Jesus, welch ungeheurer Unterschied, wenn man erwartet, ob es losgeht, oder wenn es losgeht. Vorher besah ich die Gefahr halb mit Lust, fast wie einen schön gemalten Bären, – jetzt wird der Bär lebendig, und mich bebt der Hemdschlapp. O hätte meine Mutter mir bei sich behalten, mir nie geboren, ich brauchte doch nicht zu sterben, – oder wär' ich doch kein Freiwilliger geworden – Ach, der mußt' ich werden, sonst hätten sie mir unfreiwillig dazu gemacht!

(Schlesier kommt mit dem Schnaps zurück.)

Berliner. Zittern Sie nicht vor die Bataille?

Schlesier. Nein.

Berliner. Gnädiger Himmel, wie kommt denn das?

Schlesier. Es hilft ja zu nichts, – ich muß doch mit vorrücken.

Berliner (für sich). Das gesteh' ich, der weiß sich in die Umstände zu finden. Diesem könnte die Polizei Rock und Camisol wegnehmen und er wäre grenzenlos zufrieden! (Laut.) Wissen Sie auch, warum wir kämpfen?

Schlesier. Das hört man auf allen Wegen – Für König, Freiheit, Vaterland –

Berliner. Was halten Sie von die Freiheit?

Schlesier. Man sagt, sie wäre was Gutes.

Berliner (für sich). – – Wie ich ahnte, – pure Dummheit – wasserpolackisches Vieh! – Der hat gut sprechen, hat gut krepieren! Ob der dahinsinkt oder nicht, – es ist man ein Ochs weniger oder mehr, – aber ein Kopf wie der meinige – Jammerschade wär' es! – (Laut.) Da, trinken Sie das Glas aus.

Schlesier (leert das Glas. Dann). Leben Sie wohl – ich muß zu meinem Regiment. (Ab.)

Berliner. Was? Auch du Brutus, dem ich so viele halbe Schnäpse gegeben? – Gott, o Gott, nun bin ich so ganz allein mit meiner Angst!

Ein zweiter Berliner Freiwilliger (kommt). Schul-, Kriegs-Kamerad, was hier gezaudert? Mit mir zu unsrer Compagnie. Man erschießt dich, bist du nicht sogleich da.

Erster Berliner. Herr Regierungsrat –

Der andere Berliner. Zum Geier den Regierungsrat! Wer denkt an Rang und Titel, wenn der Korse mit seinen Horden hereinbricht, um Preußens und Deutschlands Ehre zu zertreten? – Ich bin Freiwilliger und Gemeiner wie du.

Erster Berliner. Das ist richtig mit Preußens Ehre, denn die Franzosen haben in Berlin erschrecklich geschändet – Unsre Magd Lotte weiß auch davon zu sagen – – Aber vor dem Erschießen, wenn ich zu spät komme, ist mich nun gar nicht bange, – zwischen dem und mir steht noch ein deutsches Standrecht, und das schont das Pulver.

Der andere Berliner. Horch, der Zapfenstreich unsres Regiments!

Erster Berliner. Sehr mißtönig! sehr schlechte Noten!

Der andere Berliner. Fort mit mir!

Erster Berliner. Ich wollte, Sie würden verwundet – Wie schnell trüg' ich Ihnen aus die Schlacht!

(Der andere Berliner reißt ihn mit sich fort. Blücher und Gneisenau kommen zurück.)

Blücher. Teufel, man muß sich in acht nehmen – die französischen Tirailleure sind ja schon überall wie das Unkraut – Da tanzmeistert wieder ein Haufen aus der Holzung! – – Heda, von jenem brandenburgischen Husarenregiment zwei Schwadronen hieher!

(Die zwei Schwadronen sprengen auf seinen Wink heran.)

Husaren, in die Trompete gestoßen, und heraus die Preußenschwerter!

(Es geschieht.)

Ha, wie das blitzt – Es tut einem wohl wie ein warmer Sonnenstrahl am kalten Wintertag. – – Seht ihr jene vorausgelaufenen Franzosenhunde? Wetterleuchtet unter ihnen mit euren Säbeln und jagt sie zurück wie der Habicht die jungen Hühner.

Die Husaren. Wir jagen sie! (Sie sprengen fort.)

Blücher. Hast du gesehn, Gneisenau, wie der welsche Grünrock seine Raubrotten herausgeputzt hat? Selbst als er nach Rußland zog, prunkten seine Reitergarden nicht mit so prachtvollen, hohen, roten Federn!

Gneisenau. Auch die paar Kürassiere, die ich erblickte, waren wie mit Erz übergossen.

Blücher. Hatten aber auch dabei wieder die schöngeputztesten Lappen Bärenfelles vorn am Helm –

Gneisenau. Ohne Flitter geht's bei den Franzosen nicht ab.

Blücher. Ein Narr verarg' es ihnen, daß sie bei Tüchtigem und Großem auch den Glanz lieben, wenn ihnen der Schimmer nur nicht meistens die Hauptsache würde. – Und ihre Reiter verdienen die herrliche Montur wahrhaftig nicht, – ein gutes Pferd schämt sich einen von ihnen zu tragen – sie reiten wie die Judenjungen, nicht bügel-, nicht sattelfest.

Gneisenau. Aber so wilder und verwegener.

Blücher. Ei was, die Verwegenheit einer schlechten Reiterei ist einer guten gegenüber nichts als blindes Feuer. Fast all' unsre Landwehrulanen sind eben vom Pfluge genommene Bauern, aber keiner darunter, der nicht die Zügel besser hält als siebentausend Franzosen, und könnt' ich heute nacht die Herren mit einem Kavallerie-Überfall regulieren, wie einst bei Hainau und Laon, so wollt' ich dir beweisen –

Gneisenau. Eine Überrumpelung ist unmöglich – die feindlichen Vorposten sind zu zahlreich.

Blücher. Leider, – sorge du für die unsrigen. – Ich sehe mich derweilen im Heere um und finde hoffentlich überall den alten Kriegsmut. (Er und Gneisenau auf entgegengesetzten Seiten ab.)

Fünfte Szene

Andere Gegend des preußischen Feldlagers. Abenddämmerung.

Ein Bataillon freiwilliger Jäger in Reih und Glied.

Der Major. Es fehlt niemand – – Büchsen ab – Aus dem Glied getreten und an den Wachtfeuern ausgeruht, bis das Flügelhorn ruft.

Erster Jäger. Herr Major, setzen Sie sich in den Kreis, der sich um dieses Wachtfeuer lagert. Er enthält Ihre besten Bekannten.

Major. Gern, Brüder, deren Major zu sein, mir die höchste Ehre ist. – Wann auch wohl säh' man sich so gern bei dem Schein der geselligen Flamme noch einmal gegenseitig in das befreundete, lebensfrische Antlitz als am Vorabend der Schlacht? (Major und sechs Jäger setzen sich um das Feuer.)

Vierter Jäger. Freunde, denken wir unserer Lieben – Wie mancher zärtliche, besorgte Blick von Müttern, Schwestern, Bräuten richtet sich hierher!

Major. Mit ihnen das Auge des Königs.

Dritter Jäger. So umwölke der Himmel seine Sterne noch dichter als er schon tut – uns leuchten bessere Sonnen als er besitzt.

Erster Jäger. Große Augenblicke erwecken große Erinnerungen: Es war doch eine wundervolle, alles entflammende Zeit, als wir im Februar 1813 den Aufruf des Königes vernahmen und sofort Breslaus Straßen zu eng wurden für unsere bis zum Tode für das Vaterland begeisterten Scharen, – als wir dann in den furchtbaren Schlachten von Lützen und Bautzen zurückgedrängt, aber nicht besiegt, sondern immer kühner, immer stolzer wurden, als selbst Rußlands Kaiser mit seinen Veteranen von Eylau und Borodino, denen wir die Ehre des Vorkampfes nicht gönnten, uns als staunende Zuschauer ihr bewunderndes Hurra zurufen mußten – Welchen Klang hatten da alle großen Worte!

Zweiter Jäger. Ja, das ganze Heer war wie elektrisch, – Berliner und Schlesier, Pommer und Märker, alle Eine freudige, aber übergewaltige Glut, sowie es hieß »Auf den Feind!« Jetzt ist's ziemlich anders: Die Feigheit unserer Diplomaten ließ auf Wiens Kongresse sich die Früchte unserer Tapferkeit rauben. Hielt man den Kongreß im Feldlager der siegenden Nationen, so möchte für die Souveränität Kniphausens und für Aufbewahrung manches anderen Zeugs nicht so außerordentlich besser gesorgt sein, als für das Interesse Europas, und insbesondere Preußens. Wir Preußen opferten das meiste, den größern Lohn erhielten die anderen.

Major. Was bedeutet der Quadratmeilengewinn gegen die Sternenkrone, die das dreimal erneuerte, aber dreimal wieder mit ihr geschmückte Preußenheer der beiden vergangenen Jahre umflicht? Die Lappen von Ländereien, welche Osterreich, Rußland, England und Holland sich anflickten, fallen einstens doch ab, aber wahrlich die blutroten Arkture der Schlachten, in denen wir vor allen die Kette des Weltherrschers zerreißen halfen, funkeln noch nach Jahrhunderten vom Himmel, und zeigen, wenn Preußen längst untergegangen, den spätesten Geschlechtern die Stellen, wo es prangte.

Sechster Jäger. Das, Herr Major, hilft alles nichts gegen den Spruch »Besser ist besser«, und besser war es, wenn Preußen, wenn Deutschland sich mehr konsolidierten.

Fünfter Jäger. Alter Bruder Studio, ich sag's auch: Ruhm ist gut, ein fideler Bursch ist auch gut, aber ein rundes Stück Land hält den Ruhm, ein rundes Stück Geld den Burschen am besten zusammen.

Zweiter Jäger. Denken Sie an sich selbst, Herr Major – Goldnere Träume als die jetzigen, umglänzten uns, als wir mit hochschlagender, in der Hitze der Schlacht entblößter Brust, durch die Gärten von Leipzig dem Feinde in die Flanken drängten – Preußens Hoheit, der Kaiserthron Deutschlands, dem sie als schützender Cherub zur Seite stand, warfen ihre Strahlen mitten durch den Qualm der Geschütze. Der Rhein war wieder frei und deutsch, wie er geboren, in der Mosel und der Maas spiegelten sich nur deutsche Gauen, – das schöne Elsaß, das freundliche Lothringen, das herrliche Burgund mit seinen sonne- und weinglühenden Gebirgen, – wie grüßten wir sie schon als zurückgewonnene Glieder deutscher Genossenschaft! – Und dermalen?

Major. Unser König ist nicht schuld, ward nicht alles, wie wir wollten. Er wollte wie wir.

Fünfter Jäger. Er hätte seinen Willen nur durchsetzen und den Augenblick ergreifen sollen, – nichts in der Welt konnte ihn damals hindern, und hätt' er auch die vom sonst so bedenklichen Österreich so leichtsinnig aufgegebene römisch-deutsche Krone als ein herrenlos gewordenes Gut in Besitz genommen und sich auf das Haupt gedrückt.

Dritter Jäger. Er konnt' es wagen, – wir wären gern für ihn gefallen, und Hunderttausende mit uns.

Major. Wer fiele nicht gern für einen Herrscher, so ritterlich, gerecht und edel als Er?

Sechster Jäger. Ja, Napoleon ist auch groß, ist riesengroß, aber er ist es nur für sich, und ist darum der Feind des übrigen Menschengeschlechtes, – unser König ist es für alle.

Major. Marketenderin!

(Marketenderin kommt.)

Führst du einige Flaschen erträglichen Weines? – Guten hast du nicht, und kannst ihn auch im Felde nicht haben.

Marketenderin. Herr Major, ich hole Ihnen doch vier bis fünf sehr gute Flaschen. (Sie geht.)

Major. Kinder, noch einmal wechselseitig die Hand – Männerfreundschaft in der Lust wie in dem Kampf – Es gibt nichts Höheres. – Da – da – Ihr haltet Tränen zurück – Laßt sie rinnen – sie fließen edlen Abschiedsgefühlen, – wer sich deren schämt, wer die nicht besitzt, hat sie aus der Brust verbannt, weil er sich davor fürchtet.

Zweiter Jäger. So kalt der Regen zu tröpfeln beginnt, so rauh der Wind weht, so nahe der korsische Löwe liegt, und vermutlich schon auf den Hinterfüßen steht, und die Vordertatzen nach uns ausreckt, – wahrhaftig, mir ist's hier wohler um das Herz, als wenn ich in der gut geheizten Stube am Teetisch sitze, daselbst Geschwätz vernehme, was die Sekunde darauf vergessen ist, oder gar selbstgefällige belletristische Vorlesungen anhöre, bei denen ich mein Aufgähnen in Bewunderungsausrufungen verstecken muß.

Fünfter Jäger. Überleb' ich diesen Feldzug, so wird mir das Andenken an euch manche flaue Teevisite, in der ich sonst nichts gefühlt hätte, sehr heiß machen.

Major. Was bloß Teevisiten! Nicht nur bei ihnen, – auch in Sturm und Not, unter Kanonenkugeln und unter Friedenssonnen, vor dem Trauungsaltar und vor dem Grabeshügel, brenne in unseren Brüsten im ersten Glanze stets der Name eines jeden von uns – Seht, die Marketenderin hat den Wein gebracht, und er ist unendlich trefflicher als ich vermutete – das Weib ist eine brave Seele, sie kennt unsere Art, und hat für einen Augenblick, wie den gegenwärtigen, trefflichen Hochheimer aus dem Mutterfäßchen aufgespart. – Angestoßen!

Zweiter Jäger. Zuerst denn: »Die Toten sollen leben«, und über alle hinaus die auf den Schlachtfeldern von 1813 und 1814 hingesunkenen vaterländischen Helden!

Major. »Die Toten sollen leben«, und mit ihnen der, welcher es schrieb: der erhabene, wetterleuchtende Schiller!

Alle. Schiller hoch!

Fünfter Jäger. Schillers Jünger nicht vergessen, der grade durch seinen Tod bewies, daß er ihm nicht nachklimperte, sondern nachfühlte.

Major. Theodor Körner, hoch trotz seiner ofenhockerischen Rezensenten!

Erster Jäger. Wie wär' es, wir sängen seine wilde Jagd?

Major. Ein herrlicher Einfall – Die Hornmusik des Bataillons begleite uns!

(Die Hornisten des Bataillons treten herbei.)

Angefangen!

Major und Jäger (singen, unter Begleitung der Hörner).

»Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?
Hör's näher und näher erbrausen.
Es zieht sich herunter in düsteren Reihn,
Und gellende Hörner schallen darein,
Und erfüllen die Seele mit Grausen.
Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt,
Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd!«

Vierter Jäger. Wer ließe sich nicht gern von Kartätschen zerschmettern bei diesem Liede und seiner Musik?

Major und Jäger.

»Was zieht dort rasch durch den finstern Wald,
Und streift von Bergen zu Bergen?
Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt,
Das Hurra jauchzt, und die Büchse knallt,
Es fallen die fränkischen Schergen.
Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt,
Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd.

Wo die Reben dort glühen, dort braust der Rhein,
Der Wütrich geborgen sich meinte,
Da naht es schnell mit Gewitterschein,
Und wirft sich mit rüst'gen Armen hinein,
Und springt ans Ufer der Feinde.
Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt,
Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd.

Was braust dort im Tale die laute Schlacht,
Was schlagen die Schwerter zusammen?
Wildherzige Reiter schlagen die Schlacht,
Und der Funke der Freiheit ist glühend erwacht,
Und lodert in blutigen Flammen.
Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt,
Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd.«

Blücher (kommt zu Fuß von einigen Adjutanten begleitet). Recht, Kinder – ihr haltet mit eurem Singen und Musizieren das Lager wacher als ich mit zwanzig Tags- und Nachtsbefehlen.

Der Major und die Jäger (springen auf). Der Feldmarschall hoch, und noch einmal und tausendmal hoch!

(Tusch der Hörner.)

Blücher. Danke, danke, – ich bitte, hört nur wieder auf, – still die Hörner, – es ist genug.

Der Major. Ich muß gestehen, Feldherr, wir haben eben bei unseren Toasten an alle Welt gedacht, und Sie, das uns Nächste, Liebste vergessen.

Blücher. Major, das nehm' ich nicht übel. Man sucht zuerst das, was man nicht bei der Hand hat. – Burschen, bleibt morgen so lustig wie heute.

(Ein preußischer Unteroffizer und mehrere Gemeine treten auf mit dem General Grafen Bourmont und einem Adjutanten desselben.)

Der Unteroffizier. Herr Feldmarschall –

Blücher. Was bringst du?

Unteroffizier. Zwei Franzosen.

Blücher. Weiter nichts? (Er blickt seitwärts über die Achseln nach Bourmont und dessen Adjutanten. Dann zu den Jägern.) Man wird finster, wird man in eurer heiteren Gesellschaft durch solchen Anblick gestört. (Zu Bourmont.) Wer sind Sie und Ihr Nebenmann?

Bourmont. Er ist mein Adjutant, und ich, Herr Feldmarschall, erscheine hier freiwillig, und bin Graf Bourmont, General im sogenannten kaiserlichen Heere –

Blücher. Demnach nunmehr ein Überläufer aus demselbigen Heere?

Bourmont. Ich werde Ihnen alle Operationspläne Bonapartes entdecken.

Blücher. Französische Entdeckungen mag ich nicht, – überdem sehen Sie grade nicht darnach aus, als hätt' er Ihnen viel von seinen Operationen zum besten gegeben.

Bourmont. Solchen Empfang hätten treue Diener König Ludwigs des Achtzehnten, für den auch Sie kämpfen, für den auch wir mit Ihnen und Ihren Truppen streiten wollen, nicht erwartet.

Blücher. Kennen Sie Deutschland?

Bourmont. Ich habe Achtung für die lobenswürdige, loyale Nation, welche es bewohnt.

Blücher. So wissen Sie denn, Herr Graf, wenn wir kämpfen, so kämpfen wir just für dieses Land mit der von Ihnen geachteten, lobenswürdigen, loyalen Nation – unser Blut opfern wir, daß nicht abermals ein Tyrann, wie Bonaparte es ist, von seinen Bivouacs aus uns und die Welt wie Negersklaven kommandiert, – aber Gott soll uns behüten, daß wir für Ihren Sire Louis dix-huit, den ich, als er emigriert war, in Hamm samt seinen Mätressen, recht gut kennen und schätzen lernte, nur an ein Degengehenk faßten, – unsrethalb mag er auf Frankreichs Thron oder auf seinem N – – sitzen, Kirschen oder Roastbeef essen, – abscheulich, wenn das Blut, welches wir verlieren, bloß für Herrn Ludwig den Achtzehnten hingeströmt sein sollte.

Bourmont. Ich ersuche, mich sofort in das englische Lager bringen zu lassen, Herr Blücher.

Blücher. Ich heiße Blücher, Fürst von Wahlstadt, bin königlich-preußischer Feldmarschall, duze mich gern mit jedem braven deutschen Füselier, aber mit Ihnen und Ihresgleichen nicht, – verlange daher von Ihnen die geziemende Titulatur oder es –

Bourmont. Eure Durchlaucht, es war verzeihliche Unvorsicht, wenn ich –

Blücher. Schon gut. Machen Sie Ihre Unvorsicht durch einen Schwanz von Entschuldigungen nur nicht länger. (Zu dem Unteroffizier und dessen Soldaten.) Schafft den Herrn mit seinem Begleiter zu den Engländern, und meldet dem Wellington dabei, es wäre mir eins, ob er sie zu König Ludwig schickte oder sie festhielte, – aber weder er noch ich dürften Überläufern trauen.

Bourmont. Ha!

Blücher. Pah! (Zu den Jägern.) Kinder, singt wieder darauflos! (Bourmont und sein Adjutant werden fortgeführt, – Blücher mit seiner Begleitung ab.)

Dritter Jäger. Wetter, der Feldmarschall ist ein Mann von Schrot und Korn. Wie schrumpften die beiden Franzosen zusammen, als er mit dem Fürsten Wahlstadt herausrückte.

Sechster Jäger. Ja, und er ist darum so tüchtig, weil seine Nase im Feuer der Schlacht nicht weiß wird, – weil er immer gradeaus sieht, wo andere links und rechts die Augen verdrehen, weil er dem Napoleon ohne Furcht auf den Leib geht, und dabei denkt: »Hab' ich dich, pack' ich dich«, – weil er die Franzosen so offenbar haßt, als er die Deutschen liebt, – und kurz und wahr: Blücher ist ein rascher Mann, der mehr als ein anderer 1813 und 1814 dem Korsen das Genick brach, weil er so ehrlich und kühn in die Welt sah, wie der Korse verschmitzt und verwegen.

Sechste Szene

Vor Ligny.

Das französische Heer. Kanonen werden aufgefahren, die Kaisergarden stehen in Schlachtordnung, die Infanterie- und Kavallerieregimenter der Linie marschieren an beiden Seiten auf. Napoleon liegt, bis an die Brust lose von einem grünen Mantel überdeckt, schlummernd auf der Lafette einer Kanone. Eine Menge Adjutanten und Ordonnanzen zu Pferd und zu Fuß, vom General bis zum Gemeinen, Chassecoeur und Vitry darunter, in seiner Nähe. Desgleichen viele Piqueurs mit gesattelten Handpferden.

Bertrand und Cambronne stehen, ersterer rechts, der zweite links an seiner Seite, – der Obrist und Adjutant Labédoyère nicht weit von ihnen.

Vitry. Chassecoeur, nun hast du, was du wolltest – Da schläft er, und die Gewitter der Schlacht umziehen uns, als wären es seine Träume. – Wie kann er schlafen? – Vor uns Preußen, vom Himmel Regen, um uns schlachtdurstende, aufmarschierende Franzosen.

Chassecoeur. Der Kaiser kann, was er will. So sah' ich ihn schon oft.

Vitry. Lies, bis der Lärm losgeht die Proklamation.

Chassecoeur. Was steht darin? (Die Proklamation flüchtig überblickend.) Die »Preußen« – Ja, die Hunde hass' ich. – Und »die Alliierten haben zwölf Millionen Polen, eine Million Sachsen, sechs Millionen Belgier an sich gerissen« – Meinetwegen noch neunundneunzig Millionen von all dem Volke dazu, aber nur kein Haar des Kaisers!

Vitry (übergibt die Proklamation einem Sergeanten der in der Nähe haltenden Garde zu Fuß). Da – die heutige Proklamation.

Sergeant. Proklamation? – Um die Patrone damit und sie den Preußen in den Leib gejagt – Die Canaillen rücken doch schon von jenen Höhen heran.

Ein Capitain der Voltigeurs (kommt). Den Kaiser geweckt – Die Schlacht beginnt.

Cambronne. Mein Herr, was schreien Sie dicht vor dem Ohr des Kaisers? Mit Ruhe und Anstand gesprochen!

Der Capitain. Die Preußen fahren dort Batterien auf.

Cambronne. Lassen Sie von den Preußen die ganze Hölle auffahren – Der Kaiser schlummert.

Bertrand. Und die Rast ist ihm zu gönnen.

Der Capitain. Aber, meine Herren, die Armee gerät in Gefahr –

Bertrand. Sie irren, Freund. Wäre das, so hätt' er diese Stunde nicht zum Schlafen gewählt. (Der Capitain der Voltigeurs zieht sich zurück. – Mehrere andere Offiziere sind im Gespräch miteinander.)

Erster Offizier. Die Preußen schieben uns Batterien unter die Nase – fast riech' ich die Lunten.

Zweiter Offizier. Man sieht ihren Achtzehnpfündnern bereits tief in die dunklen, hohlen Augen.

Erster Offizier. Die Augen werden bald hell sein und unsere Reihen licht machen.

Dritter Offizier. In der Tat, ich wollte der Kaiser wachte auf oder würde geweckt, ehe die feindlichen Batterien sich festwurzeln – Aber man darf ja kaum vom Erwecken etwas sagen, denn der Cambronne und Bertrand stehen neben seiner Lagerstätte wie die zurückdrohenden Cherubim an der Pforte des Paradieses.

Ein in der Ferne in die Schlachtlinie rückendes Regiment (singt).

Allons enfans de la patrie,
Le jour de gloire est arrivé.
Contre nous de la tyrannie
L'étendard sanglant est levé. –

Cambronne. Ein Adjutant an jenes Regiment – Der Kaiser liebt die Marseillaise nicht – Man soll mit ihr aufhören.

Labédoyère. Herr General, die Marseillaise ist ein liberales Lied, passend für den Zeitgeist – Das Volk siegte mit ihm bei Valmy und Jemappes.

Cambronne. Herr Obrist – »Liberal«? »Zeitgeist?« – Die elende Kanonade von »Valmy« und das jämmerliche Tirailleurgefecht von »Jemappes«? – Wissen Sie, wo wir stehen? Unter den Waffen der großen Armee. Da gibt es keinen anderen Liberalismus als Ihm zu gehorchen, keinen anderen Geist als den Seinigen, keine anderen Gefechte als die à la Kairo, Austerlitz, Jena und der Moskwa.

Labédoyère. Weh, ich habe mich geirrt, – ich dachte, endlich die freisinnige Zeit, von den Umständen selbst bedungen, leuchten zu sehen, und es blinken schon wieder nichts als Bajonette, Säbel, Kürasse und Kanonen.

Cambronne. Sehen Sie, Herr Obrist, ein wenig an den Schwadronen und Bataillonen dieser Schnauzbärte hinunter, und zeigen Sie mir unter ihnen einen, dem der Kaiser nicht lieber ist, als alle die zeitgeistigen Phrasen.

Bertrand. Mein junger und tapferer Labédoyère, – verzagen Sie nicht ganz, halten Sie sich an den Kaiser – Er kann die Welt eher umgestalten als die Welt ihn, und ich versichere, er hat in seiner großen Brust auch einen Platz für Ihren Liberalismus, und schützt und fördert ihn da, wo er des Schutzes und der Förderung wert ist.

Cambronne. Der Kaiser erwacht!

Ein Offizier. Nun bin ich neugierig, was er zu den preußischen Batterien sagt, deren Auffahren er verschlief.

Napoleon (steht auf, – der Mantel, welcher ihn bedeckte, fällt zur Seite). Alles wie ich befohlen?

Bertrand. Jedes Regiment an seinem Posten.

Napoleon. Was ist das dort?

Bertrand. Sire, preußische Batterien.

Napoleon. Albernes Zeug, – die sollen die feindliche Armee maskieren und sind zu weit vorgerückt. Sie haben nicht Zeit zum Schuß, fällt man ihnen in die Flanke. Das fünfundfünfzigste Regiment am rechten Flügel tue das, im Geschwindschritt, – zwei Kürassierschwadronen begleiten es.

Vitry. Chassecoeur, er ist wach!

Chassecoeur. Man merkt es: das Regiment und die Kürassiere marschieren, die Batterien jagen zurück, und da – sehen wir die ganze preußische Armee.

Vitry. Was wohl die Offiziere, welche hier eben schwatzten, davon halten?

Napoleon. Generalkommandant der Artillerie –

Drouot (tritt vor.) Sire – ?

Napoleon. Die preußischen Kolonnen entwickeln sich – Ligny ist die Mitte und der Schlüssel ihrer Schlachtordnung – merken Sie sich das – – Und nun lassen Sie uns anfangen.

Drouot. Sie befehlen – (Zu der Artillerie.) Abgeprotzt!

(Es geschieht.)

Jener Zwölfpfündner den Signalschuß!

(Der Zwölfpfünder wird abgefeuert. Sofort donnern auch alle französischen Batterien, Heergeschrei, Trommeln, Trompeten, Janitscharenmusik dazwischen. Infanterie und Kavallerie rückt vor, nur die Garde bleibt stehen. Die Preußen bewegen sich gleichermaßen unter gewaltigem Artillerie- und Kleingewehrfeuer den Franzosen entgegen.)

Napoleon. Ha! meine Schlachtendonner wieder – – In mir wird's still – – – (Er schlägt die Arme übereinander.)

Cambronne. Wer sollte sich nicht freuen, der ihn jetzt sieht? – Welche Ruhe, welche stillglänzende Blicke!

Bertrand. Ja, nun ist's mit ihm als stiegen heitere Sommerhimmel in seiner Brust auf, und erfüllten sie mit Wonne und Klarheit. Still und lächelnd wie jetzt, sah' ich ihn in jeder Schlacht, selbst bei Leipzig.

Napoleon (für sich). Josephine – Hortense – Das Etui – – Und mein Sohn!

Adjutanten (sprengen heran). Rechts, bei Sombref, drängen uns die Preußen zurück.

Napoleon. Die zurückgedrängten Truppen sollen sich an den rechten Flügel der Garde schließen.

(Kanonenkugeln schlagen in die Erde.)

Vitry. (ergreift einige und wirft sie fort). Canaillen, ihr könntet rikochettieren!

Napoleon. Wie heißt du?

Vitry. Philipp Vitry.

Napoleon. Du bist Hauptmann.

Chassecoeur. Gift und Tod, was hat der Kerl für Glück.

Vitry. Sire, trauen Sie mir Ehre zu?

Napoleon. Hätt' ich dich sonst zum Hauptmann gemacht?

Vitry. So versichr' ich auf meine Ehre, hier dieser Chassecoeur verdient eher Hauptmann zu sein als ich. Er dient schon seit Quiberon und rettete bei Leipzig einen Adler – Bitte, Sire, lassen Sie mich Gemeiner bleiben, und ernennen Sie ihn statt meiner zum Hauptmann.

Napoleon. Ihr seid beide Hauptleute.

Chassecoeur. Mein Kaiser, wobei?

Napoleon. In meiner Suite.

Ein Flügeladjutant (sprengt heran). Graf Vandamme muß das eben von ihm genommene St-Amand wieder räumen. Die Preußen sind zahllos und wütig wie die Teufel.

Napoleon. Ob die Preußen St-Amand oder Otaheiti haben, ist in diesem Augenblick gleichgültig. – Aber melden Sie Vandamme: es wäre mir lieb, wenn er durch wiederholte hartnäckige Angriffe den Feind glauben machte, ich hielte etwas auf die Stellung. Blüchers Generalstab wär' imstande die Position bei Ligny wegen St-Amands noch mehr zu schwächen, als er schon getan hat.

(Der Flügeladjutant ab.)

Ordonnanzen zu Gérard: daß er bei Ligny allmählich auch die Truppen der schweren Waffengattungen in das Gefecht führt.

(Mehrere Ordonnanzen ab.)

Ein Fußgardist (wird von einer Kugel getroffen). Jesus Maria!

Nebenstehende Kameraden. Karl wird fromm!

Wieder ein Gardist (dem eine Kanonenkugel den Leib aufreißt). Es lebe der Kaiser!

Garde und Heer. Er lebe!

Napoleon. Diese Kugeln kommen von Sombref. Vier Reservebatterien vor, unsre von dorther weichenden Truppen besser zu bedecken.

Ein Adjutant (hervorspringend). Der Fürst von der Moskwa bittet um Hülfe. Die englische Armee enfiliert mit ihm bei Quatrebras eine Schlacht.

Napoleon. Der Fürst von der Moskwa ist ein – Sie, mein Herr, melden ihm: ich wüßte, Wellington tanze noch in Brüssel, und er, der Marschall Ney, hätt' es nur mit dem englischen Vortrab zu tun. Nicht erschrecken soll er sich von ihm lassen, – kühn zurückwerfen, oder doch aufhalten, bis ich hier gesiegt habe, soll er ihn. Dann läuft er von selbst.

(Der Adjutant ab.)

Daß doch die meisten Menschen Aug' und gesunde Vernunft verlieren, sobald sie das Glück haben, mit zwanzig- oder dreißigtausend Mann selbständig auf dem Schlachtfelde zu stehen. (Zu mehreren Adjutanten.) Schnell zum General Erlon. Er trenne und bedrohe mit seinem Corps zwischen Quatrebras und St-Amand die Engländer und die Preußen, – er schont aber seine Truppen, oder Bülow möchte bei St-Amand ankommen; wäre das, so stürzt er ihm entgegen.

(Adjutanten ab. Zwei andere sprengen noch hintereinander heran.)

Erster Adjutant. General Gérard nimmt Ligny mit dem Bajonett –

Zweiter Adjutant. Die Preußen treiben ihn Schritt vor Schritt wieder hinaus –

Napoleon. Drei Voltigeurregimenter sollen sich debandieren, und dort die Preußen überall, von jedem Vorsprung, jedem Fenster her, beängstigen helfen.

(Adjutanten ab.)

Ein Adjutant (jagt herbei). Zwischen St-Amand und Ligny wird es schwarz wie die Nacht von sich anhäufender feindlicher Kavallerie.

Napoleon. Die reitende Artillerie mit Kartätschen wider sie vor.

(Reitende Artillerie jagt vor und schießt, kommt aber gleich darauf in Eile und Unordnung zurück.)

Was? Der wilde Blücher bricht doch los? – Milhauds Kürassiermassen auf ihn ein.

(Milhauds Kürassiere stürmen los.)

Ein Offizier. Ah, wie leuchtet und klirrt auf einmal die Luft von gezückten Schwertern.

Ein anderer Offizier. Und horch, jetzt treffen sie Blüchers Horden – Wie ingrimmig und gräßlich wiehern die gegeneinander kämpfenden Pferde!

Napoleon. Bertrand, was sagst du zu der Schlacht?

Bertrand. Die Preußen fechten besser wie bei Jena.

Napoleon. Geschlagen werden sie doch, nur ein paar Stunden später.

(Adjutanten kommen.)

Erster Adjutant. Milhauds Kürassiere treiben die feindliche Reiterei zurück –

Zweiter Adjutant (später). Blücher erholt sich und Milhaud weicht –

Napoleon. Pajols Reiter dem Milhaud verhängten Zügels zu Hülfe.

(Adjutanten ab.)

Ha, da einer von Gérard mit siegtrunkenem Antlitz – Wie bei Ligny?

Der heransprengende Adjutant. Die westliche Seite ist unter unsren Kolben, und ganz Europa entreißt sie uns nicht wieder!

Napoleon. Ein Pferd! (Es wird ihm ein Pferd gebracht, und er setzt sich auf.)

Vitry. Chassecoeur, nun muß die Garde daran, – der Feind ist mürbe.

Chassecoeur. Mürb' oder hart, die Garde macht ihn zu Brei.

Napoleon. Lieber Drouot, ein Kreuzfeuer des schwersten Geschützes auf Lignys Ostseite.

Drouot. Wehe dem Mutterkinde, das noch darin ist! – Schwere Artillerie marsch! (Mit der schweren Artillerie ab.)

Napoleon. Cambronne, alle Garden zum Sturm auf Ligny!

Cambronne. Alte und junge Garden, zu Pferd und zu Fuß: den Kaiser salutiert!

Die Offiziere der Garde (den Befehl Cambronnes weiter rufend). Den Kaiser salutiert!

Die Garde (salutierend). Der Kaiser hoch!

Cambronne. Und nun Bajonette gefällt, Säbel geschwungen, unser der letzte Trümmer von Ligny, oder der Tod! (Ab mit der Garde.)

Napoleon. Estafetten nach Paris: ich hätte gesiegt, – während Blücher mir mit seiner Reiterei meinen linken Flügel habe zerbrechen wollen, hätt' ich sein Zentrum durchbrochen, und so weiter, wie jedes Auge es hier sieht. Zugleich der Munizipalität durch den Moniteur angedeutet, sie möchte mit Abnahme der Vormundschaftsrechnungen nicht so nachlässig sein, wie im vorigen Jahr, oder mein Zorn träfe sie ärger als die Preußen.

(Adjutanten und Ordonnanzen ab. Sombref, Ligny, St-Amand lodern vor der französischen Schlachtlinie in lichten Flammen, – hinter ihr Quatrebras, Pierrepont, Frasnes, Géminoncourt und andere Ortschaften ebenso.)

Napoleon (sieht sich nach den Feuersbrünsten um). Ist's nun meine Schuld, daß ich mit einem unermeßlichen, weit und weiter sich ausdehnenden Flammendiadem, wie dieses, meine Stirn schmücken muß? Oder ist es das trübselige Fünkchen, die elende Ächtungsakte von Wien, welche diesen Weltbrand veranlaßt?

Adjutanten (heransprengend). Sire, Drouots Batterien haben auch die Ostseite von Ligny zu Staub gemacht – sie schweigen, weil die Garden schon über die Trümmer vorrücken, nur einzelne preußische Jäger stecken noch hier und da hinter Hecken und Gräben.

Napoleon. Ligny ganz mein! – Das Tor Europas ist erbrochen und ich stürme hindurch bis –

Bertrand (für sich). Da spiegeln die goldglänzenden Kuppeln von Moskau sich schon wieder in seinem Auge.

Napoleon. Den schwarzen Krepp von den Legionsadlern, daß sie die wieder aufsteigende Sonne des Sieges sehen! (Zu Adjutanten und Ordonnanzen.) Grouchy verfolgt mit seinem Corps die Preußen – unter ihm noch Vandamme und Pajol mit ihren Heerteilen, – er kann nicht rasch und kühn genug sein, darf sich durch keine Demonstration, keine Position aufhalten lassen.

(Viele Adjutanten und Ordonnanzen ab.)

Wir, Bertrand, besehen einige Augenblicke das Schlachtfeld, und dann mit der großen Armee links, um mit Ney den Vortrab der Engländer auf ihre Hauptmacht zu werfen, diese zu vertilgen, und übermorgen in Brüssel zu schlafen. (Napoleon, Bertrand und die kaiserliche Suite ab.)


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