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Nicht jeder Abschied braucht traurig zu sein; dem jungen Verwalter Ferdinand Wagner wenigstens scheint es nicht schwer zu fallen, Mutter und Schwester und deren Gartenstöckl zu verlassen.
Dank seiner Sparsamkeit und Beförderung ist dieses bescheidene Besitztum nunmehr schuldenfrei und er weiß die Seinen darin wohlgeborgen. Die Mutter ist trotz ihrer Jahre noch rüstig; sie ist noch immer die seine, gebildete Städterin, obwohl sie sich längst schon in die ländliche Umgebung hineingefunden hat. Anna, die Schwester, ist über die heikligsten Jahre hinaus, ist ledig geblieben und hat gut daran getan. Sie ist dem Vater nachgeraten, der als Syndikus, als strenger, rechtschaffener Mann ein rühmliches Andenken hinterlassen hat; ein herbes Juristengesicht, eine unfreiwillige Richtermiene kommt aber einem Mädchen wenig zustatten. Übrigens ist sie eine gute, ehrliche Haut.
Man sitzt noch beim Frühstückstisch im Freien; wenn auch der Morgen so herbstdämmerig und neblig ist, daß man kaum den Kirchturm des Örtleins ausnimmt, das dem kleinen Anwesen zu Füßen liegt, und obwohl manches vergilbte Blatt auf das Tischtuch niederrauscht: man deutet's nicht schwermütig. Denn man hat sich jetzt näher als früher. Ferdinand hat auf einem Schloß zu schaffen und zu walten, hat Pferde und Wagen zu seiner Verfügung, und dies sein Gespann soll recht oft vor dem lieben Gartenstöckl halten.
Jetzt freilich muß die Antrittsrede fortgesetzt werden, jetzt muß geschieden sein. Der Braune, außen am Gartenzaun angebunden, scharrt schon ungeduldig.
Die Mutter langt mit Mund und Armen zu dem geliebten Kind empor und flüstert unter Küssen:
»Und jetzt, nachdem du dich fort und fort unser angenommen, sorg auch einmal für dich selbst. Du weißt, wie gern ich eine Schwiegertochter ans Herz drücken möchte ...«
»Kommt Zeit, kommt Rat, liebe Mutter! Und wenn ich daran soll, dann nicht ohne euere Zustimmung, nicht ohne deinen Segen.« So Ferdinand.
»Viel Glück, Bruder, zu deinem neuen Amte!« lautete Annas letzter Gruß, und sie reichte dem Scheidenden die knorrige Rechte.
Dieser schwang sich leicht in den Sattel, zog aber gelassen fürbaß, wiederholt zurücknickend, bis die Krümmung des Weges ihn den Seinen entrückte.
Der »Graben« verengte sich bald, und das Sträßlein setzte da und dort über den Bach, sich zwischen zwei langgestreckten Waldrücken hindurchwindend.
Es war keine lustige Wanderung. Der Tag hatte sich zwar etwas aufgehellt, aber der Himmel lag wie eine schwere silbergraue Decke auf den Höhensäumen, die obersten Fichten- und Lärchengipfel verhüllend.
Wenn der Reiter trotzdem Anregung fand, so hatte er's seinem fachmännischen Auge zu verdanken. Seiner Aufmerksamkeit entging denn auch kein Holzriese, kein frischer »Schlag«, kein Kohlenmeiler, keine Sägemühle und kein ziehendes Fuhrwerk.
Der Graben läuft ins breitere Flußtal aus. Der bisherige Weg biegt auf die Hauptstraße ein und diese führt linkshin in die Kreisstadt. Ferdinand kennt sie gar wohl, die Kreisstadt, und gedenkt ihrer nicht ohne regeres Herzklopfen. Schöne Stunden hat er in ihr verlebt. Etliche Jahre jünger, Forstadjunkt, mit dem Hirschfänger an der Seite und dem Eichenzweiglein am Kragen, war er ein flotter Tänzer auf dem Bürgerball. Und die munterste der Schönen, die Bäckerstochter, hatte es ihm angetan: einen Schritt weiter, und er hätte nicht mehr zurücktreten können! Sie hat sich dann in eine noch entschiedenere Uniform verliebt und einen Offizier geheiratet, aber gar bald wieder sollen die jungen Leutchen auseinandergekommen sein. Wie sie wohl jetzt aussieht, die vielumschwärmte Rosa, und ob sie Kinder hat? Wahrscheinlich lebt sie wieder im elterlichen Hause.
Diese Erinnerungen machten den Reiter tief aufatmen und übergossen sein Gesicht mit jähem Rot.
Gleichwohl ließ er die Kreisstadt abseits liegen und schlug den Weg zur Rechten ein, der ihn unmittelbar seinem Ziele näher brachte.
Im kleinen Marktflecken, hinter welchem der Grenzsattel ansteigt, hielt er Mittagsrast. Er hätte ihn nicht zu berühren gebraucht, sondern ohne diesen Umweg zu seinem Schlößlein emporsteigen können. Aber er wollte daselbst lieber abends erst eintreffen und seine Leute beisammen finden.
Als er sich wieder aufmachte, lenkte er vorerst an einigen Meierhöfen vorüber in den Sensenschmiedgraben; denn es kann nicht schaden, wenn er unterwegs gleich inne wird, was die rußigen Gesellen schaffen, welche Vorräte aufgehäuft liegen und welchen Bestellungen nachzukommen ist. Die Werke sind ja auch gräflich, und er hat ihre Erträgnisse zu verrechnen.
Nun aber wird's Zeit, an den förmlichen Eintritt zu denken: also zurück aus dem Graben und dann den Schloßberg hinan.
Der Weg zum letzteren führt an der Gemeindeweide vorüber, und da bot sich dem Wanderer ein Anblick, dem zulieb er Halt machte und dem Gaul sich auszuschnaufen gestattete, ob er's not hatte oder nicht.
Den Gemeindegrund durchzieht ein Wässerlein, das nahe am vorderen Zaun einen ruhigen, spiegelnden Tümpel bildet. Daselbst unterhielten sich zwei seltsame weibliche Wesen, eine bettelnde Alte und ein Kind, das Hirtenmädchen. Erstere kennt Ferdinand bereits, sich nur verwundernd, daß sie auch hier herum komme. Ihr Auftreten ist immer gleich eigen und verrückt. Auf dem Kopf trägt sie eine papierne dreifache Krone, mit Rauschgoldflitter da und dort noch; sie mag ursprünglich bei einem ländlichen Paradeisspiel in Verwendung gewesen sein. In der Rechten führt die harmlose Landstreicherin einen Stecken, der vorn einem Hammer gleicht; im offenen Körbchen an der Linken sind allerlei ungleiche Stäbchen mit eingeritzten Zeichen; das Wanderbündel ist blau, und aus dem Bettelsack holt sie nun allerlei farbiges, glitzerndes Zeug hervor, das sie blöd lächelnd in offener Hand dem Kind darbietet, welches seine Rehaugen mit gespanntem, musterndem Ausdruck darauf heftet.
Es ist eine anmutige, eine phantastische Kleine, halbwüchsig erst. Um das braune Hälschen schlingt sich eine rote Beerenschnur, die vorn aufs Kleidchen niederhängt. Die dunklen Seidenhaare fallen ihr wellig auf die Schultern, und auf dem Scheitel sitzt ein Kränzlein aus buntem Herbstlaub. Offenbar hat sich das Mädchen im Silbertümpel bespiegelt, als sie sich diesen Schmuck ordnete. Des Gesichtchen ist ein zartes Rund; fein sind die Händchen, die braunen Füßchen, und das ärmliche Röckchen ist sichtlich schon zu kurz.
Jetzt gewahrt die Kleine den Reiter und schaut ihn mit einem verwunderten, einem langen, unverwandten Blick an, und dabei richtet sie sich gerade auf, die Füßchen eng geschlossen, die Gerte in der Rechten auf den Boden stützend. Sie ist mehr erstaunt als verwirrt, und es fällt ihr nicht ein, sich des nichtigen Geschmeides zu entledigen.
Ferdinand schüttelt das Haupt und murmelt für sich: »Was die für Augen macht! Ein merkwürdiges Kind!«
Und wohlgemut trabt das Rößlein aufwärts, als wüßte es, daß es, wie sein Herr, etwas zu gelten habe.
Der neue Verwalter ist erwartet, wird bewillkommnet, er sieht alte bekannte wie fremde Gesichter, offene Mienen und krumme Rücken. Er richtet ein kurzes Wort an die Umstehenden; es klingt aber schneidig. »Der Herr Graf hat, wie ihr wißt, mich zum Verwalter ernannt, mich über euch gesetzt. Ich will genau zusehen, aber nichts Unbilliges verlangen. Wer fleißig ist und redlich dient, kann mich leicht zum Freunde haben. Für heut' ist bereits Feierabend. Morgen geht's ans Tagewerk, frischen Mutes, wie ich hoffe. Und nun allseits guten Abend!«