Franz Grillparzer
Weh dem, der lügt!
Franz Grillparzer

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Erster Aufzug

Garten im Schlosse zu Dijon, im Hintergrunde durch eine Mauer geschlossen, mit einem großen Gittertore in der Mitte.

Leon, der Küchenjunge, und der Hausverwalter am Gartentor.

Leon.
Ich muß den Bischof durchaus sprechen, Herr!

Hausverwalter.
Du sollst nicht, sag ich dir, verwegner Bursch!

Leon (sein Küchenmesser ziehend).
Seht Ihr? ich zieh vom Leder, weicht Ihr nicht.
Teilt Sonn' und Wind, wir schlagen uns, Herr Sigrid.

Hausverwalter (nach dem Vorgrunde ausweichend).
Zu Hilfe! Mörder!

Leon.                       's ist mein Scherz ja nur.
Doch sprechen muß ich Euch den Bischof, Herr.

Hausverwalter.
Es kann nicht sein, jetzt in der Morgenstunde
Geht er lustwandeln hier und meditiert.

Leon.
Ei, meditier' er doch vor allem erst auf mich
Und mein Gesuch, das liegt ihm jetzt am nächsten.

Hausverwalter.
Dein Platz ist in der Küche, dahin geh!

Leon.
So? In der Küche, meint Ihr? Zeigt mir die!
Wenn eine Küch' der Ort ist, wo man kocht,
So sucht Ihr sie im ganzen Schloß vergebens.
Wo man nicht kocht ist keine Küche, Herr,
Wo keine Küche ist kein Koch. Das, seht Ihr?
Wollt' ich dem Bischof sagen; und ich tu's,
Ich tu's fürwahr, und säht Ihr noch so scheel.
Pfui Schande über alle Knauserei!
Erst schickten sie den Koch fort, nun, da meint' ich,
Sie trauten mir so viel, und war schon stolz,
Doch als ich anfing meine Kunst zu zeigen,
Ist alles viel zu teuer, viel zu viel.
Mit Nichts soll ich da kochen, wenn auch nichts.
Nur gestern noch erhascht' ich ein Stück Wildbret,
So köstlich als kein andres, um 'nen Spottpreis,
Und freute mich im voraus, wie der Herr sich,
Der Alte, Schwache, laben würde dran.
Ja, prost die Mahlzeit! Mußt' ich's nicht verkaufen,
An einen Sudelkoch verhandeln mit Verlust;
Weil's viel zu teuer schien, gar viel zu kostbar.
Nennt Ihr das Knauserei? wie, oder sonst?

Hausverwalter.
Man wird dich jagen, allzu lauter Bursch!

Leon.
Mich jagen? Ei, erspart Euch nur die Müh'!
Ich geh von selbst. Hier, meine Schürze, seht!
Und hier mein Messer, das Euch erst erschreckt,
(er wirft beides auf den Boden)
So werf ich's hin und heb es nimmer auf.
Sucht einen andern Koch für eure Fasten!

Glaubt Ihr, für Geld hätt' ich dem Herrn gedient?
Es gibt wohl andre Wege noch und beßre,
Sich durchzuhelfen, für 'nen Kerl wie ich.
Der König braucht Soldaten, und, mein Treu!
Ein Schwert wär' nicht zu schwer für diese Hand.
Doch sah ich Euern Bischof durch die Straßen
Mit seinem weißen Bart und Lockenhaar,
Das Haupt gebeugt von Alterslast,
Und doch gehoben von – ich weiß nicht was,
Doch von was Edlem, Hohem muß es sein;
Die Augen aufgespannt, als säh' er Bilder
Aus einem andern, unbekannten Land,
Die allzugroß für also kleine Rahmen:
Sah ich ihn so durch unsre Straßen ziehn,
Da rief's in mir: dem mußt du dienen, dem,
Und wär's als Stallbub. Also kam ich her.
In diesem Haus, dacht' ich, wär' Gottesfrieden,
Sonst alle Welt im Krieg. Nun da ich hier,
Nun muß ich sehn, wie er das Brot sich abknappt,
Als hätt' er sich zum Hungertod verdammt,
Wie er die Bissen sich zum Munde zählt.
Mag das mit ansehn, wer da will, ich nicht.

Hausverwalter.
Was sorgst du mehr um ihn, als selbst er tut?
Ist er nicht kräftig noch für seine Jahre?

Leon.
Mag sein! Doch ist's was andres noch, was Tiefers.
Ich weiß es manchmal deutlich anzugeben,
Und wieder manchmal spukt's nur still und heimlich.
Daß er ein Bild mir alles Großen war
Und daß ich jetzt so einen schmutz'gen Flecken,
Als Geiz ist, so 'nen hämisch garst'gen Klecks,
Auf seiner Reinheit weißem Kleide seh,
Und sehen muß, ich tu auch, was ich will;
Das setzt mir alle Menschen fast herab,
Mich selber, Euch; kurz alle, alle Welt,
Für deren Besten ich so lang ihn hielt,
Und quält mich, daß ich wahrlich nicht mehr kann.
Kurz, ich geh fort, ich halt's nicht länger aus.

Hausverwalter.
Und das willst du ihm sagen?

Leon.
                                         Ja, ich will's.

Hausverwalter.
Du könntest's wagen?

Leon.
                                   Ei, wohl mehr als das.
Er soll sich vor mir reinigen, er soll
Mir meine gute Meinung wieder geben,
Und will er nicht; nun wohl denn, Gott befohlen!
Pfui Schande über alle Knauserei!

Hausverwalter.
Des wagst du ihn zu zeihn, den frommen Mann?
Weißt du denn nicht, daß Arme, Blinde, Lahme
Der Säckel sind, dem er sein Geld vertraut?

Leon.
Wohl gibt er viel, und segn' ihn Gott dafür!
Doch heißt das Gutes tun, wenn man dem Armen
Die Spende gibt, dem Geber aber nimmt?
Dann seht! Er ließ mich neulich rufen
Und gab mir Geld aus einer großen Truhe
– Die Küchenrechnung nämlich für die Woche –,
Doch eh er's gab, nahm er 'nen Silberling
Und sah ihn zehnmal an und küßt' ihn endlich
Und steckt' ihn in ein Säckel, das gar groß
Und straff gefüllt im Winkel stand der Truhe.
Nun frag ich Euch: ein frommer Mann
Und küßt das Geld. Ein Mann, der Hunger leidet
Und Spargut häuft im Säckel, straff gefüllt.
Wie nennt Ihr das? Wie nennt Ihr so 'nen Mann?
Ich will sein Koch nicht sein. Ich geh und sag ihm's.

Hausverwalter.
Du töricht toller Bursch, willst du wohl bleiben?
Störst du den guten Herrn, und eben heut,
Wo er betrübt im Innern seiner Seele,
Weil Jahrstag grade, daß sein frommer Neffe,
Sein Atalus, nach Trier ward gesandt,
Als Geisel für den Frieden, den man schloß;
Allwo er jetzt, da neu entbrannt der Krieg,
Gar hart gehalten wird vom grimmen Feind,
Der jede Lösung unerbittlich weigert.

Leon.
Des Herren Neffe?

Hausverwalter.
     Wohl, seit Jahresfrist.

Leon.
Und hat man nichts versucht, ihn zu befrein?

Hausverwalter.
Gar mancherlei; doch alles ist umsonst.
Dort kommt der Herr, versunken in Betrachtung.
Geh aus dem Wege, Bursch, und stör ihn nicht.

Leon.
Er schreibt.

Hausverwalter.
     Wohl an der Predigt für den Festtag.

Leon.
Wie bleich!

Hausverwalter.
     Ja wohl, und tief betrübt.

Leon.
Doch sprechen muß ich ihn trotz alledem.

Hausverwalter.
Komm, komm! (Er faßt ihn an.)

Leon.
     Herr, ich entwisch Euch doch.

(Beide ab.)

(Der Bischof kommt, ein Heft in der Hand, in das er von Zeit zu Zeit schreibt.)

Gregor. Dein Wort soll aber sein: Ja, ja; nein, nein.
Denn was die menschliche Natur auch Böses kennt,
Verkehrtes, Schlimmes, Abscheuwürd'ges,
Das Schlimmste ist das falsche Wort, die Lüge.
Wär' nur der Mensch erst wahr, er wär' auch gut.
Wie könnte Sünde irgend doch bestehn,
Wenn sie nicht lügen könnte, täuschen? erstens sich,
Alsdann die Welt; dann Gott, ging' es nur an.
Gäb's einen Bösewicht? müßt' er sich sagen,
So oft er nur allein: du bist ein Schurk'!
Wer hielt' sie aus, die eigene Verachtung?
Allein die Lügen in verschiednem Kleid:
Als Eitelkeit, als Stolz, als falsche Scham,
Und wiederum als Großmut und als Stärke,
Als innre Neigung und als hoher Sinn,
Als guter Zweck bei etwa schlimmen Mitteln,
Die hüllen unsrer Schlechtheit Antlitz ein
Und stellen sich geschäftig vor, wenn sich
Der Mensch beschaut in des Gewissens Spiegel.
Nun erst die wissentliche Lüge! Wer
Hielt' sie für möglich, wär' sie wirklich nicht?
Was, Mensch, zerstörst du deines Schöpfers Welt?
Was sagst du, es sei nicht, da es doch ist;
Und wiederum, es sei, da es doch nie gewesen?
Greifst du das Dasein an, durch das du bist?
Zuletzt noch: Freundschaft, Liebe, Mitgefühl
Und all die schönen Bande unsers Lebens,
Woran sind sie geknüpft als an das wahre Wort?
Wahr ist die ganze kreisende Natur;
Wahr ist der Wolf, der brüllt, eh' er verschlingt,
Wahr ist der Donner, drohend, wenn es blitzt,
Wahr ist die Flamme, die von fern schon sengt,
Die Wasserflut, die heulend Wirbel schlägt;
Wahr sind sie, weil sie sind, weil Dasein Wahrheit.
Was bist denn du, der du dem Bruder lügst,
Den Freund betrügst, den Nächstes hintergehst?
Du bist kein Tier, denn das ist wahr;
Kein Wolf, kein Drach', kein Stein, kein Schierlingsgift:
Ein Teufel bist du, der allein ist Lügner,
Und du ein Teufel, insofern du lügst.
Drum laßt uns wahr sein, vielgeliebte Brüder,
Und euer Wort sei ja und nein auf immer.

So züchtig' ich mich selbst für meinen Stolz.
Denn wär' ich wahr gewesen, als der König
Mich jüngst gefragt, ob etwas ich bedürfe,
Und hätt' ich Lösung mir erbeten für mein Kind,
Er wär' nun frei, und ruhig wär' mein Herz.
Doch weil ich zürnte, freilich guten Grunds,
Versetzt' ich: Herr, nicht ich bedarf dein Gut;
Den Schmeichlern gib's, die sonst dein Land bestehlen.
Da wandt' er sich im Grimme von mir ab,
Und fort in Ketten schmachtet Atalus.
(Er setzt sich erschöpft auf eine Rasenbank.)

Leon (kommt von der Seite).
Hat's Müh' gebraucht, dem Alten zu entkommen!
Da sitzt der Herr. Daß Gott! Mit bloßem Haupt.
Erst ißt er nicht, dann in die Frühlingsluft,
Die rauh und kalt, noch nüchtern wie er ist.
Er bringt sich selbst ums Leben. Ja, weiß Gott,
Blieb' ich in seinem Dienst, ich kauft' 'ne Mütz'
Und würf' sie ihm in Weg, daß er sie fände
Und sich das Haupt bedeckte; denn er selbst,
Er gönnt sich's nicht. Pfui, alle Knauserei!
Er sieht mich nicht. Ich red ihn an, sonst kehrt
Herr Sigrid wieder, und es ist vorbei.
Ehrwürd'ger Herr!

Gregor.
     Rufst du, mein Atalus?

Leon.
Ich, Herr.

Gregor.
     Wer bist du?

Leon.
          Ei, Leon bin ich,
Leon der Küchenjunge, oder gar wohl
Leon der Koch, will's Gott.

Gregor (stark).
     Ja wohl, wenn Gott will.
Denn will er nicht, so liegst du tot, ein Nichts.

Leon.
Ei, habt Ihr mich erschreckt!

Gregor.
     Was willst du?

Leon.
          Herr –

Gregor.
Wo ist die Schürze und dein Messer, Koch?
Und wes ist das, so vor mir liegt im Sand?

Leon.
Das ist mein Messer, meine Schürze, Herr.

Gregor.
Weshalb am Boden?

Leon.
     Herr, ich warf's im Zorn
Von mir.

Gregor.
     Hast du's im Zorn von dir gelegt,
So nimm's in Sanftmut wieder auf.

Leon.
     Ja, Herr –

Gregor.
Fällt's dir zu schwer, so tu ich's, Freund, für dich.
(Er bückt sich.)

Leon (zulaufend).
Je, würd'ger Herr! O weh! was tut Ihr doch?
(Er hebt beides auf.)

Gregor.
So! und leg beides an, wie sich's gebührt.
Ich mag am Menschen gern ein Zeichen seines Tuns.
Wie du vor mir standst vorher, blank und bar,
Du konntest auch so gut ein Tagdieb sein,
Hinausgehn in den Wald, aufs Feld, auf Böses.
Die Schürze da sagt mir, du seist mein Koch,
Und sagt dir's auch. Und so, mein Sohn, nun rede.

Leon.
Weiß ich doch kaum, was ich Euch sagen wollte.
Ihr macht mich ganz verwirrt.

Gregor.
     Das wollt' ich nicht.
Besinn dich, Freund! War es vielleicht, zu klagen?
Die Schürze da am Boden läßt mich's glauben.

Leon.
Ja wohl, zu klagen, Herr. Und über Euch.

Gregor.
So? über mich? das tu ich, Freund, alltäglich.

Leon.
Nicht so, mein Herr, nicht so! Und wieder doch!
Allein nicht als Leon, ich klag als Koch,
Als Euer Koch, als Euer Diener, Herr:
Daß Ihr Euch selber haßt.

Gregor.
     Das wäre schlimm!
Noch schlimmer Eigenhaß als Eigenliebe.
Denn hassen soll man nur das Völlig-Böse;
Und völlig-bös, aufrichtig, Freund, glaub ich mich nicht.

Leon.
Ei, was Ihr sprecht! Ihr völlig böse, Herr?
Ihr völlig gut, ganz völlig, bis auf eins.

Gregor.
Und dieses eine wär', daß ich mich hasse?

Leon.
Daß Ihr Euch selbst nichts gönnt, daß Ihr an Euch
Abknappt, was Ihr an andre reichlich spendet.
Und das kann ich nicht ansehn, ich, Eu'r Koch.
Ihr müßt dereinst am jüngsten Tag vertreten
Wohl Eure Seel', ich Euern Leib, von Rechtens,
Und darum sprech ich hier in Amt und Pflicht.
Seht! essen muß der Mensch, das weiß ein jeder,
Und was er ißt, fließt ein auf all sein Wesen.
Eßt Fastenkost und Ihr seid schwachen Sinns,
Eßt Braten und Ihr fühlet Kraft und Mut.
Ein Becher Weins macht fröhlich und beredt,
Ein Wassertrunk bringt allzuviel auf g'nug.
Man kann nicht taugen, Herr, wenn man nicht ißt.
Ich fühle das an mir, und deshalb red ich.
Solang ich nüchtern, bin ich träg und dumm,
Doch nach dem Frühstück schon kommt Witz und Klugheit,
Und ich nehm's auf mit jedem, den Ihr wollt.
Seht Ihr?

Gregor.
     Hast du gegessen heute schon?

Leon.
Ei ja!

Gregor.
     Daß Gott! drum sprichst du gar so klug.


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