Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Galgen-Männlin
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAPUT II.
Berichtschreibens fernere Continuation.

Ubr dis sagt man auch / wann der Bsitzr eins solchn Galgn-mänls / sterb / so erb es der jüngst Sohn / und müß man dem Todtn / so das Galgn-mänl hindr-lassn / ein Brod und ein Stückl Geld in Sarg legn / und solchs mit ihm bgrabn lassn. Wann abr der Erb / dem das Galgn-Mänl künff-tig zu falln solln / vorm Vattr sterb / so werd der-selb mit Brod und Geld bgrabn / wie dem Possessori widr-fahrn solln; und als-dann fall das Galgn-mänl dem ältstn Sohn odr Erbn zu / etc.

 
Anmerckung.

Christus unser Heyland spricht in oben angezogenem Capitel / Lucæ am II. Wer nicht mit mir ist / der ist wider mich: und wer nicht mit mir samlet der zerstreuet. Einem jeden Verständigen ist (oder es solt doch uffs wenigst seyn) genugsam bekannt / daß der leidige Satan nichts anders sucht / als dem wahren GOtt alles zu wider zu thun / vornehmlich aber Jhme seine Göttliche Ehre zu stehlen und auff sich zu verwenden. Weßwegen er dann auch zu solchem Ende nicht unterläst / alle Menschen / und einen jeden in sonderheit (wie er dann des Sohns Gottes selbst nicht verschonet) auff unzahlbare weisen zu versuchen / sie entweder gantz uff seine Seit zu bringen / und wenns aus Verhängnus GOttes müglich seyn kan / zu geschwornen und abgesagten Feinden des Höchsten / als Zauberern / Hexen und Unholden zu machen / die den Teuffel anbetten; oder wann es wegen der Güte Gottes und seiner getrew-vätterlichen Obhut ihme je nicht abgehet / daß ers mit dem einen und andern so weit nicht bringen kan / sie wider ihr wissen und vermeinen vor Werckzeug zu gebrauchen / seine Boßheit wider GOtt auszulassen; Siehe! also stellet er hier dem Menschen das Galgen-mänlin dar / ihn in solchem Abgott / an statt des wahren Gottes zu ehren / ihn / wo nicht mit Worten doch mit Wercken anzubetten / und all sein Hoffnung Trost und Zuflucht auff ihn setzen. Wem widerfähret aber eigentlich anders dieser Gottesdienst / als dem Teuffel selbst? der dem so genannten Galgen-mänlin so viel Geld zubringt / als viel ihm sein Possessor zugelegt / und gleichsam von ihm gefordert? O erschreckliche Abgötterey! O grausamer Grewl! die unvergleichliche Liebe Gottes / gegen dem Menschen / zwingt seinen eingebohrnen Sohn aus dem Schoß seines himmlischen Vatters / die schwache menschliche Natur anzunehmen / damit er den allerschmäh- und schmertzlichsten Tod darinn leyden / und uns also dardurch aus des Feindes Rachen reissen könte; ja / damit wir durch dieses gefährliche Jammerthal desto sicherer in das himmlische Vatterland gelangen möchten / schenckt und hinterläst uns der getrewe Erlöser zum Trost / zur Stärck / zur Seelen Wegspeiß / und zu einem gewissen Pfand das allerköstlichste / nemlich sein allerheiligstes Fleisch und Blut in Gestalt Brod und Weins. Was thut aber der unselige Galgen-mänlins Diener? Er bettet Gottes und seinen Ertzfeind / aus dessen Gewalt er mit dem allerkostbarlichsten Werth so geträulich erlöst: durch Göttliche Macht darvor verwahrt und gantz Vätterlich vor seiner List und Boßheit gewarnet worden / in Gestalt einer Wurtzel an / die aus dem unflätigen Harn eines erhenckten Ertzdiebs ihren Ursprung haben soll. Und damit man ja sehe und eigentlich wisse daß ihm dieser teufflische Götzendienst / umb dardurch GOtt zu widerstreben oder vielmehr ihm gar abzusagen / ein gründlicher Ernst seye / siehe! so mißbraucht er GOtt zur Schmach / und dem Satan zu gefallen die beyde edle Gaben des Höchsten / darinn Er uns sein allerheiligst Fleisch und Blut hinderlassen / wann Er nemlich am Freytag / uff welchen der Erlöser sein Heyl gewircket / sein Galgen-mänl im rohten Wein (welche art Wein ohn zweiffel Christus im letzten Abendmahl gespeiset / sintemal sonst kein anderer im Jüdischen Land wächst) badet / als wolt er damit das empfangen heilsam Bad der Widergeburt widerum / so viel an ihm ist / abwaschen. Und dann / wann Er nach seinem Tod / in welchem Stand Er vor sich selbst GOtt nicht ferners zu erzörnen vermag / das liebe Brod zu dem cadavere seines stinckenden Madensacks einschliessen / und in dem Wust seines Unflats dem getrewen GOtt zu trutz versporen läst. Er nimmt Geld mit sich / zum Zeugnus / daß er das Geld höher als GOtt geliebt / umb dessentwillen dem Teuffel und seinem Galgen-mänl gedienet / daß er in solchem Dienst biß ins Grab verharret / und darvon nicht abgestanden noch zur Bekehrung geschritten wäre; wann er gleich das Leben in der Gnadenzeit noch länger gehabt hätte.

Es kan kein grössere Sünd begangen werden als die Abgötterey / und die allergröste Abgötterey ist diese / wann man den Teuffel anbettet. Dannenhero hat dieser hoffärtige Geist auch bey allen Völckern / ihme so mancherhand Götzendienst anrichten lassen / ja bey den Juden selbst / die doch den wahren GOTT erkanten / und sein auserwöhltes Volck waren. Gleich wie aber ein jede Wahre sie sey auch so schlimm als sie immer wolle / ihren Lober und Kauffmann findet / also hat sich auch neulich einer eingestellt unten am Boden des Glückhavens / oder gleichsamb in der Hefen und Grundsuppen der versamleten Aberglauben diesem teuffelischen Abgott dem Galgen-mänlin ein heiligs Färblein anzustreichen / dessen eigene Wort ich der länge nach hieher zu setzen nicht umbgehen kan / weil mir Simplicissimus laut nechstfolgenden Capitels in der folge seines Schreibens Ursach und Gelegenheit darzu geben; die lauten also:

Ein neues unerhörtes so mir jetzt erstlich einfällt / und den eigentlichen Ursprung des Allraunmänlins belanget; es heist Allraun: Solte das nicht herkommen von arca, loculus? Jch meine ja! Nidersächsisch (als welches der ältiste und also edelste (wann gleich nicht so hoch / als ihn der Joan. Gorop. Becanus de Cimbr. Ling. steigern wollen) Dialectus ist) sagt man noch Alruhn / da man anfänglich Aruhn gesprochen; Weil aber den Vorfahren Ruhn ist significativum in ihrer sprach gewesen / in dem es mit rühnen / raunen etc. übereinstimmet / und A / als altera pars compositi, hat bey ihnen so keinen sonderlichen Verstand gewonnen / (dann ein jedes Volck torquiret und maceriret die peregrina vocabula mit seiner Zungen dermassen / daß sie domestici werden / oder einen unerfahrnen Originisten zu seyn scheinen; und daher hat man so lang aus Mißverstand das Wort Alruhn von rühnen / her derivirt, da es doch dem Verstand nach nichts ähnlichs hat; dann rühnen heisset einem heimlich was ins Ohr reden oder murmeln etc. das thut ja das Allrünigen nicht / es hats auch niemand von ihm begehrt / sondern es ist ein Bildnus das in einem Kästlein still ohne reden ligt) so haben sie Al drauß gemacht / weil nemlich ein anders fast ähnlichs Wort vorhanden gewesen / als Ahlraup; und weil es sonsten mit andern ungewöhnlichen und frembdscheinenden vocabulis also gleichschallete / als mit Almanach / Almod / Allarm / Alchymia, Alcermes. Traun wie Serapis bey den Egyptiern nichts anders gewesen / aus der Einsetzung Josephs / als das Begräbnus oder Sarg Christi / darvon gründlich und zu grosser Verwunderung in meinem Traum- und Wunderwerck / also ist Alraun denen Vorfahren nichts anders gewesen / als ein Zeichen oder Nachäffung und Mißbrauch der Lade des Bunds; arcæ fœderis. Von den alten Juden und Rabinen haben unsere Vorfahren viel Wörter und Nahmen der Oerter / Stätte: davon Philippus Melanchton &c. und dahin gehört dieses auch. Nemblich die alte Teutsche haben von ihnen vernommen / wie hoch die Lade des Bunds gehalten worden / als die auch die Lade des HErrn genennet wird / 2.  Chron 8. v. II. So haben sie auch so ein Kästlein gemacht / und etwan einen Gott oder Götzenbild hinein gelegt / und damit anfänglich den wahren GOtt angedeutet / nach dem sie ihrer Eltern Aberglauben angeben / darnach sie GOtt erstlich mit abbilden wollen; vide Tacit. de Mor. Germ. antiq. sonderlich weil sie verstanden / daß auch die Kinder Jsrael einsten wegen der Lade des Bunds Baalim und Astaroth von sich gethan / und sich also ernstlich zum HErrn be- und gekehrt haben; 1.  Sam. 7. v. 4. So wird auch die arca fœderis genannt / locus pedum Dei, Esa. 60. v. 13. So haben auch die Philister darvor gehalten / daß GOtt in der Laden sey / wann sie fürchtend gesagt / GOtt ist in das Lager kommen / 1.  Sam. 4. vers. 7. ibid. die Herrlichkeit Jsraels 1.  Sam. 4. v. 21. 22. ibid. daß der Dagon in Gegenwart der Lade des Bunds über einen Hauffen gefallen gewesen; 1.  Sam. 5. v. 3. Daß aber die alte Teutsche darneben endlich in die Gedancken gerahten / als bescheret das Alraun Geld / Glück etc. solches kommt daher / weil / wie die Lade des HErrn 3. Monat im Hause des Obed Edom des Gathiters geblieben / ihn der HErr und sein gantz Hauß gesegnet hat; daß auch den König David wunder genommen / als der daher Sie in die Statt David mit Freuden / tantzen und Opffern hat bringen helffen / 2.  Sam. 6. v. 11.

Weiter daß sie dem Allräungen Pfenninge beygelegt haben / als beschere es nichts umbsonst / das kommt etwan daher / weil / wie die Philister die überdrüssig gewordene und ihnen nichts fruchtende Lade von sich geschafft / und loß geworden / solche aus Einrahten ihrer Priester nicht allein auffn Wagen geleget / sondern auch güldene Kleinod zum Schuldopffer in ein Kästlein gethan / und neben ihrer Seiten geleget / und also fortgesand haben; 1.  Sam. 6. v. 8. Daß man es Allräunigen diminutivè genannt / kommt daher / wenn man dieses ectypum oder repræsentatitium weit kleiner gemacht hat / als die Lade des Bunds gewesen. Daß man das Allräunigen auffm Feld unterm galgen graben müsse / kommt etwan daher / weil die Philister die Lade des Bund auffm freyen Feld verlassen / da sie die Jsraeliten wieder bekommen haben; und wird also das Allräunigen per metonym. continentis pro contento genannt; weil selten so ein ausgebutztes Mänlein ohne Schachtel oder Kästgen gesehen wird. So hat es auch so eine Bewandnusse mit der Lade des Bunds gehabt / als bey dessen Nahmen sonderlich verstanden und hochgehalten wird / was nemlich drinnen ist gelegen; davon Exod. 16. v. 34. Deut. 10.2. & 31. 26. 1.  Reg. 8. 9. 2.  Paral. 5. 10. Heb. 9. 4. Das man das Männlin darin höher gehalten / es gesaubert / gebadet / frisch angezogen etc. Kommt daher / daß auch die Lade des Bunds nur dörffte von den Leviten getragen werden; und im Tempel must auffgehoben werden im allerheiligsten. Daß man ein Männlin hinein geleget / kan auch wol geschehen seyn / weil über der Lade des Bundes die Cherubim gewesen; als davon man ihm etwan den Segen zu kommen eingebildet hat / welcher in Gegenwart der Lade des Bunds den Jsraeliten mitgetheilet worden. Biß hieher dieser vielschreibende autor.

Auff diese weitgesuchte Herführung / läst mir das Gelächter so mich hierüber überfallen (weswegen ich dann auch sonst nichts vorbringen kan) gleichwol noch so viel zu / mit Virgilio Eclog. 3 zu sagen und auffzuschreyen.

Frigidus, ô pueri! fugite, hinc lætet anguis in herba.

das ist:

Weicht aus von hinnen wo ihr seyd
Jhr jungen Knaben / weit und breit;
Dann eine Schlang vergifft und kalt /
Die hat hie ihren Auffenthalt.

Geschweige hier / wann unsere Teutsche Vorfahren mit den Juden vor Zerstörung ihres Königreichs / ihres Gottesdiensts und ihrer Haupt-Statt Jerusalem Kundschafft gehabt hätten / so man aber bey keinem Historico finden wird / daß sie ihnen den Teutschen ehender ihre Beschneidung auffgebürdet: als ihnen die höchste Geheimnus ihres Heiligthums / wie die Bunds-Lade gewesen / auff die Nase gebunden haben würden. Grillen sinds / damit theils ihre Weißheit und Geschicklichkeit wollen sehen lassen; GOTT geb / und GOTT grüß / solch langes Geschwätz lang hinaus wohin es woll! Wir wollen aber dis auff eine seit setzen / und vernehmen / was der alte Simplicissimus deswegen weiters an seinen Sohn geschrieben.


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