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Nicht so leicht wird man es begreifen können, was ich in diesem Augenblicke empfand. Elmire, mein unaussprechlich theures, mein bis zum Wahnsinn geliebtes Weib wand sich blutend in meinen Armen. Mit grauenhaften, mir fremden Bewegungen nach mir hin, sah ich ihre schöne Seele entfliehen, und unter meinen Händen schlug ihr Herz immer matter und matter, und erkaltete endlich ganz. Kein Laut konnte sich mehr von ihren zusammengepreßten Lippen loßmachen, aber ich sahe es ihnen an, was für ein Vermächtniß sie mir noch zurücklassen wollte. Immer hielt ich es noch für einen täuschenden, grausamen Traum. So romanhaft hatte ich mir Elmiren wiedererworben; unter so erschütternden Ereignissen hatte ich sie mir gerettet; unmöglich konnte daher auch dies etwas anderes seyn, als ein Spiel der Phantasie. Mit einer heftigen Anstrengung suchte ich nach meinen Kräften umher, mich dieses Gefühls zu entledigen. Aber ich sank immer in mich selbst noch ungewisser zurück.
So spät fühlte ich es also zuerst, wie wahr es sey, daß Elmire nicht mehr lebe. Ihr Blut quoll mir über die Hände herab; wie ich den Schleyer zurückschlug, war ihr Gesicht schon eingesunken und entstellt, keine Miene der vorigen ähnlich, alle Linien gänzlich verschoben; das schönste Auge hatte sich schon in einen halben Todtenschimmer gebrochen, kein Aechzen hob selbst den Busen mehr, und sie war fast mehr Stein als Leiche geworden. – Wer entfaltet hier das Gewebe der menschlichen Empfindung? – Keinen Schmerz, nur ein brennendes Drücken fühlte ich in der athemlosen Brust, die Zunge fing an, gleichsam nach Blut zu dürsten, und ihr entflohener Geist dünkte mich nicht um Thränen, sondern um Rache zu flehen.
In diesem Augenblick fiel auch ein Schleyer wie von meinen Augen herab. Alles wurde mir klar, alle trüben Nebelwolken verschwanden. Niemals hatte ich mich so tief ein Spiel jener Unbekannten gefühlt, so tief einen grausam behandelten Sklaven. Wer besaß rechtmäßig eine Gewalt, meine Empfindungen beschränken oder niederdrücken zu wollen, und sollte ich zum freudigen Genuß eines einzigen Moments mir vorher erst ihre Erlaubniß knechtisch erflehen? – Nun war das Leben mir gleichgültig. In jenen wollüstigen Augenblicken des ersten Findens hatte ich meinem Weibe geschworen, sie nicht allein aus dieser Welt gehen zu lassen. Als man sie mir das erstemal raubte, hatte meine Schwäche mich dieses Schwures entbunden. Itzt doppelt verpflichtet, muste ich schlafen gehen. Aber ich schwor es diesen erlöschenden Zügen, nicht allein zu sterben.
Diese Reihe von Gedanken war das Werk weniger Augenblicke. Mit meinem ganzen Daseyn war die Empfindung von Rache verwebt; der letzte Gedanke meines blutenden Gehirnes, der letzte, sich aus dem erstarrenden Herzen hervordrängende Tropfe würde von diesem allbeherrschenden Gefühl noch Bewegung erhalten haben; und in der gegenwärtigen Stunde, wo ich Ihnen, lieber Graf, diese schauderhaften Geheimnisse enthülle, darf ich mir kühnlich das Zeugniß geben, daß ich dies Gelübde treulich gehalten habe, daß ich es mir lange genug unbeweglich vor Augen erhielt, unter jeder Bedrückung der Umstände, und selbst in der dringendsten Gefahr meines ganzen Daseyns.
Ich besann mich einen Augenblick lang. Meine Bedienten sprangen vom Wagen; die, welche zu Pferde vorausgeeilt waren, wurden zurückgerufen, man verfolgte den Mörder, einer von den Reitenden schoß mit einer Pistole nach ihm, und er fiel. Man stürzte auf ihn zu; in dem Augenblick gab er seinen Geist auf. Man riß ihm eine Maske vom Gesicht herab; ich kannte ihn nicht. Aber die Maske war, wie Sie mir diejenigen Ihrer Führer im Garten beschrieben, bester S*, bis zum Erschrecken verzerrt.
Hierauf setzte ich Elmirens Leichnam in einen Winkel des Wagens, und verließ nur denselben, um den Mörder in der Nähe zu sehen. Meine Bedienten, die mich in den höchsten Ausbrüchen des Schmerzes und der Wuth zu sehen, erwartet hatten, erstaunten über die kalte Gelassenheit, mit der ich unter sie trat. Wir hatten die Rollen gewechselt. Sie rissen die Wagenthür auf, sie drängten sich, ihre Gebieterin noch einmal zu sehen, noch einmal ihre starre Hand zu küssen, noch einmal mit ihren Thränen den Saum ihres Kleides zu benetzen. Glücklich war, wer einige ihrer Blutstropfen aufgehascht hatte, sie gingen wie Reliquien unter ihnen umher; man stritt sich, man weinte darum, ein lautes Geschluchze waren die einzigen Töne ihrer Anbetung, und sie schienen es nicht möglich zu finden, wie sie sich von ihr schon trennen sollten. Dies war der Triumpf der Güte und des Edelmuths. Elmire hatte durch ihre Reize bezaubert, aber durch die sanfteste Tugend hielt sie ihre Eroberung fest.
Ich stand indeß, auf diesen Anblick einen stieren Blick hinheftend. Mir kam es wie ein Schauspiel vor, das man bald enden müsse. Ich rief sie von ihrem Gottesdienst ab, und ließ den Unbekannten durchsuchen; doch man fand gar nichts. Der Plan meiner Rache lag schon in meinem Kopfe entworfen, und es bedurfte nur einer einzigen Spur, meinem Ziele näher zu treten. Aber alles Nachsehen war völlig umsonst, und nur die Zeit machte mich mit dem einzigen Wege dazu vertrauter, und gerade erst dann, als ich ihn nicht mehr betreten konnte.
Ich ließ nach dem Schlosse umlenken, und Elmiren wieder in ihr Zimmer hinauftragen. Nachdem ich die Thüren desselben fest verriegelt hatte, zog ich ihr selbst die Gewänder ab, und untersuchte ihre Wunden, um mich zu überzeugen, daß sie wirklich entseelt sey. Nichts war gewisser. Zwey Kugeln hatten ihre linke Brust durch und durch zerschmettert, und eine dritte ihren zarten Hals gänzlich zerfleischt, das Blut war geronnen, und alle Glieder waren schon steif. Ich rief hierauf die Kammerfrauen herbey, und ließ sie vollends entkleiden. Ich selbst trug ihre Kleider in mein Zimmer, um sie mit Muße und Sorgfalt durchsuchen zu können. Indem ich eine ihrer Taschen umkehren wollte, fiel ein kleines Portefeuille heraus, es war mit einem lilafarbnen Bande umwickelt und schien noch sehr neu zu seyn. Schnell riß ich es auseinander, und es entdeckte sich außer jenem Zettel, den Elmire in der Kirche einmal vor meinen Augen verlohr, und über den sie mir jene schrecklichen Aufschlüsse gab, noch ein Pakket von fest zusammengehefteten Schriften, welche ich immer für sehr wichtig halten konnte. Jetzt hatte ich nicht Zeit genug übrig, sie zu lesen; ich verschloß sie daher in einem verborgenen Kästchen meines Schrankes, das ich mir einmal ganz heimlich selbst zubereitet hatte, legte das Portefeuil wieder zusammen, und steckte es an den Ort, wo ich es gefunden hatte.
Man hatte noch einmal an Elmiren alles versucht, aber eben so alles vergebens. Der schönste Körper trotzte jeder Bemühung der Kunst. Ich befahl sie anzukleiden und drey Tage lang stehen zu lassen. Schon einmal hatte ich in dieser Hinsicht den Bund kennen gelernt, und ich schwor es mir, keine Kleinigkeit aus den Augen zu lassen, damit man mich so leicht wenigstens nicht zu täuschen vermöchte. Ich machte mir ein geheimes Zeichen am Körper, und sah stündlich nach ihr, um sie mir nicht verwechseln zu lassen. Sie war von dem Schusse und dem Pulver so sehr und selbst im Gesichte entstellt, daß ihre Züge keine Aehnlichkeit mit denen im Leben besaßen, und daß es daher ein Leichtes gewesen seyn würde, einen anderen Körper unterzuschieben. Aber eine Narbe war ihr an der Stirne sichtbar geworden, die ich vorher niemals bemerkt hatte, und diese war man schwerlich nachzuahmen im Stande.
Zu größerer Sicherheit nahm ich noch einige Leute von meinem Gute, auf die ich mich völlig verlassen konnte, und die nicht einen Augenblick lang von ihr weichen durften. Nach dreyen Tagen waren alle Merkmale der höchsten Fäulniß da; unter meinen Augen ward der Sarg verschlossen, mit meinem Pettschafte, das ich nie von mir legte, versiegelt; keine Sorgfalt ward gespart, um mich nicht hintergehen zu lassen, und ich selbst half ihn in meiner Familiengruft beysetzen.
Kaum war ich zurückgekommen, kaum hatte ich den aufwallenden Schmerz der Trennung gedämpft, eine aufsteigende, warme, widerstrebende Thräne niedergedrückt, als ich zu meinem Schreibeschrank eilte. Die Papiere herauszuziehen, das Siegel aufzureißen, alles vor Eile im Zimmer umherzustreuen, war eines einzigen Augenblicks Werk. Eine Menge einzeln beschriebener Blätter flogen umher. Sie waren nicht beziffert und es bedurfte einer langen Zeit, um sie wieder zusammenzulesen und in einige Ordnung zu bringen. Ueberdem noch waren sie undeutlich geschrieben, und alles was ich oberflächlich verschlang, enthielt nichts als Familiennachrichten. Daher rafte ich sie wieder zusammen, um sie in meinem Schrank zu verstecken.
Ueber alle diese Anstalten und Vorfälle war es dunkler Abend geworden, und ich war mir eines Besuches von meinem Genius gewärtig. Ich ließ die Lichter anzünden und in ein entlegenes Gartenhaus tragen, um ihn desto näher zu locken. Hierauf versah ich mich mit einem Paar Pistolen, zweyen Dolchen und einem Degen, dessen Güte und Haltbarkeit gegen Panzer ich schon einigemal vorher zu versuchen Gelegenheit gehabt hatte. Alle Veranstaltungen waren getroffen, ihn nach Gebühr zu empfangen. Meine Wuth hatte mich aller Sinne beraubt, und doch wartete ich kaltblütig und geduldig die ganze Nacht hindurch. Aber Amanuel erschien nicht.
Noch drey Nächte harrte ich seiner. Zwar brachte ich diese wieder in meinem gewöhnlichen Schlafzimmer zu; nur mein Bette ließ ich leer, und versteckte mich heimlich in einem verborgenen Wandschrank. Der innere Grimm ließ mir diese ganze Zeit über keinen Augenblick Ruhe, ich lauerte auf jede Bewegung; bey jedem Hauche des Windes, bey dem leisesten Knistern im Holze hielt ich meinen Dolch in Bereitschaft. O, ich hätte zehn Jahre meines Lebens für jeden Augenblick erkauft, in dem ich mit Amanuel mich Antlitz gegen Antlitz hätte messen können.
Allein man täuschte meine Sorgfalt, und als ich alles gethan hatte, was nur menschliche Klugheit mir eingeben konnte, um eine einzige Spur dieser entsetzlichen Unbekannten ausfindig zu machen, als ich dies alles vergeblich angewandt, faßte ich den rasenden Entschluß, dies schauderhafte Gewebe in seinem Innern, und zwar allein aufzuspüren, da den Nerven ihrer Bewegungen rasch zu zerschneiden, und in ihren Trümmern ein neues Daseyn zu finden oder mit ihnen zugleich unterzugehen.
Mehrere Wochen verstrichen unter den Vorkehrungen dazu, und unter Erwartung vielleicht noch näher bestimmender Erläuterungen. Mein Entschluß war zu kalt, zu tief gefaßt, um durch Schwierigkeiten geschwächt werden zu können, und wenn auch Jahre darüber hätten hinschleichen müssen. Wenigstens glaubte ich dies damals. Ich sah mich für einen Sterbenden an; ich ließ in der Welt noch Freunde zurück; ihrer mußte ich mich noch erinnern. In ihre Hände übergab ich meinen letzten Willen, und indem ich mich wie auf einem Krankenbette vorbereitete, das ich niemals wieder zu verlassen hoffte, fühlte ich mein Herz leichter werdend, und mich meinem Ziele näher gerückt. Dem Don Antonio übertrug ich, unter dem Vorwände einer Reise, die Verwaltung meiner Güter, alles war geordnet, alles in Bereitschaft, schon hatte ich mir eine gute Quantität Gift in den Kleidern verborgen, um den Unbekannten, wenn sie mich in ihre Gewalt lebendig erhielten, doch nicht die Freude eines langsamen Todes zu gönnen; und es fehlte nur noch an Bestimmung einer Stunde, in der ich die Reise antreten möchte.
Indem sagte man mir, Don Pedro sey zurückgekommen, ohne seine Gemahlin. Seine Ankunft hatte er sogleich durch eine beyspiellose Härte in der Behandlung eines seiner Bedienten bezeichnet; alles sollte sich an ihm verändert haben, jede Spur des menschenfreundlichen Wohlwollens, wodurch er sonst die Herzen aller seiner Leute gewonnen hatte, verlohren gegangen, und nicht der kleinste Grad von Bekümmerniß um ihre Glückseligkeit und Zufriedenheit übrig geblieben seyn. So kam er mir auch in der That vor, als er mich wieder besuchte. Er that äußerst kalt gegen mich, aber ich gab ihm diese Kälte in reichlichem Maße zurück. Keiner von uns beyden hatte Lust, den andern verstehen zu wollen. Ganze Stunden lang konnte er neben mir sitzen, stumm und gefühllos, den Kopf mit der einen Hand gestützt, die andere konvulsivisch bewegend. Ich hatte große Ursach, ihm sehr böse zu seyn, aber diese schwermüthige, trübselige Miene gab ihm in der That ein schuldloseres Ansehen, und ich wollte ihn nicht gern ganz ungehört verdammen. Außerdem durfte ich ihm nicht im mindesten trauen, und nichts hätte meine Plane gegen den Bund leichter verrathen, als eine persönliche Hitze gegen ihn selbst.
Noch mehr bestärkte mich sein abwechselndes schwankendes Benehmen, und seine Aengstlichkeit in unsern kurzen Gesprächen hierin. Er ward sogleich still und stumm, wenn ich auf Franziskas wahrscheinliches Schicksal auch nur aus der entferntesten Weite hindeutete, und Achselzucken nebst einigen bedeutenden Blicken waren seine einzige Antwort. Aber ganz anders war es, wenn er einmal das Gespräch auf die Gesellschaft der Unbekannten glücklich gelenkt hatte. Sein ganzes Gesicht heiterte sich dann über seine angebliche Schlauigkeit auf, dann wollte er alles wissen, und nicht das kleinste Wörtchen verliehren, dann machte er mit tausenderley Wendungen und Winkelzügen auf meine Gedanken und Absichten Jagd. Aber allen seinen Nachforschungen setzte ich eine undurchdringliche Ruhe entgegen, eine stille Ergebung in alle Plane mit mir, und vor allen Dingen den Eid, gerade gegen meine Freunde am wenigsten offen zu seyn. Unaufhörlich widersprach ich mich in meinen Meynungen, und er ging täglich unschlüssiger hinweg, welches meine eigentliche wol seyn möchte.
»Sie sind nicht mit sich selbst einig, lieber Karlos;« sagte er einmal. »Lassen Sie uns darüber weitläufiger sprechen. Es giebt nichts Dunkles in der Welt, das nicht ein Freund, der mit unserm Inneren bekannt ist, etwas aufhellen könnte!« – –
– Sind Sie das, Pedro; – Nun wohl, so werden Sie es ja wissen, daß ich hierin mit mir einiger bin, als es wohl scheint? –
»Wie meynen Sie das?« (hochauflauschend.)
Ich meyne, es gebe keine größere Einigkeit mit sich selbst, als alles in der Welt ruhig mit sich vornehmen zu lassen, alles still zu ertragen, und zu nichts einmal zu murren. Sie erblicken mich ganz in diesem Falle, Don Pedro. Man giebt mir ein Weib wieder, das ich bis zur Abgötterey liebe; und ich verliehre sie auf Zeitlebens, indem ich mir sie auf ewig zu vergewissern gedenke. Was thut es? Ich bin ruhig und vergnügt dabey.
»Der Stich traf, Don Karlos. Sie irren aber, wenn Sie meinen Fall dem Ihrigen ähnlich halten. Und doch – gewiß die Gesellschaft hat Ursach sich Glück zu wünschen. Wer hätte es sich träumen lassen, den Marquis von G** mit seiner Sklaverey so zufrieden zu sehen!«
Nicht Sklaverey, lieber Pedro, alles guter, freyer Wille. Soll ich Ihnen Ihre eigenen Worte ins Gedächtniß zurückführen, die Sie mir unter solchen Umständen sagten, so, daß ich sie wohl habe behalten müssen? »Alle Erscheinungen deuten auf einen tiefliegenden, mächtig und weitgreifenden Plan dieser Menschen hin. Wer kann sich Zutrauen, diesen sogleich zu übersehen?« Das alles habe ich nachher erst recht fühlen gelernt, dies Gefühl mit manchem mir sehr theuren Augenblicke erkauft, dies Gefühl selbst auf mein ganzes Leben gegen manchen heiteren Anspruch mir kühnlich eingetauscht.
»Aber Elmire – – – «
Freylich, Elmire. Ach es war ein treffender Schlag. Die Seele verlohr, wie in einem Fieberfroste, alle Erinnerungen, die ganze Vergangenheit. Aber sehen Sie, lieber Pedro, eben wieder mit Ihren Worten habe ich mich getröstet und aufgerichtet: »In der Schöpfung drängt und preßt sich alles. Aus jedem Tode entwickelt sich ein neues Daseyn. Einem einzigen großen Plane der Menschenbildung hingegeben, kümmert sich die Vorsehung nicht um die neben ihr vorgehenden Veränderungen. Alles weiß sie zu ihren Absichten zu stimmen, und den erlöschenden letzten Punkt des Lebens entfaltet sie zu neuen Entwürfen und Aussichten.« – Und wer kann dies anschaulicher gelernt haben, als ich, Pedro? –
»Wohl wahr, Don Karlos. Wer kann sich auch einfallen lassen, Sie verstehen zu wollen? Sie hielten sich an Elmiren so schmeichelnd fest, Sie lebten so ganz in ihrer Seele – man hätte darauf geschworen, nach ihrem nochmaligen Verlust würden Sie nicht einen Augenblick Lebens mehr wünschen. Und nun sind Sie so ganz Philosoph! – «
Die Nothwendigkeit hat mich dazu gemacht, und – lieber Pedro – gestehen Sie es nur, diese Weltklugheit der Erfahrung, sie mag auch seyn, welche sie will, ist immer besser als eine erlernte, die man nach Vorschrift und lektionsmäßig aufsagt. Meynen Sie dies nicht auch, bester Freund?
Ich ergriff hierauf seine Hand, schüttelte sie, und sah ihm lächelnd in die Augen. Dies war in der That sehr unvorsichtig. Ganz betroffen versuchte er einigemale diesen Blick zurückzugeben, wiewohl umsonst; sein Auge blieb ängstlich und matt am Boden hängen. Wol einer halben Stunde bedurfte es, um ihn aus einem empfindungslosen Nachsinnen, in das er sogleich verfiel, wieder herauszuheben. Man sah ihn wol etwas davon ahnden, daß ich ihn genauer durchschauete, als ihm eigentlich wol gelegen seyn mochte, aber er war noch mit der Entwickelung dieser Idee zu sehr beschäftigt, um auf die von meiner Seite nothwendig damit verbundene Vorstellung zu fallen. Ich hielt es für nothwendig, ihn von der ersten Seite hinreichend zu thun zu geben, um ihn die andere allmählich vergessen zu machen.
Einige Tage verflossen und mehrere kleine Vorfälle gaben es mir im Geheim zu verstehen, daß es um mich her wieder nicht recht sicher zu werden anfange. Es schien die höchste Zeit zum Aufbruch zu seyn. Don Antonio war schon in meinem Schlosse angekommen; er war immer noch der alte, treue und traute Freund, voll einer bezaubernden Anhänglichkeit und der heißesten Wünsche für mich. Die nächste Nacht ward als die letzte bestimmt, die ich vielleicht hier zubringen wollte. Mit welchen Empfindungen sah ich den Himmel in einem dunkleren Blaue erlöschen; jedes Lüftchen aus meinen heiteren, himmlischen Gärten war von geheimen Schauern schwer, und die sanfte Milde, mit welcher die Sterne heraufzogen, preßte mein Herz so wehmüthig zusammen, als wäre mit meinem elenden Leben eine ganze Welt zu verspielen gewesen. Alle Plätzchen des Parkes wurden noch einmal besucht. Von jeder Laube ward der zärtlichste Abschied genommen; mit jedem kleinen Wasserfalle vermischte ich noch einmal meine Thränen. Alles schien mich zurückhalten zu wollen, aber mein Vorsatz riß mich über alle Rührungen hinweg.
Zum Glück für mich und meine Stimmung veränderte sich dies alles gegen die Nacht zu. Ein dickes Ungewitter umspannte schwer den ganzen Himmel. Die Sterne erlöschten einer nach dem andern. Angstvoll verkrochen die Vögel sich in ihre geheimsten Wohnungen. Eine schwühle, dumpfe Stille hatte sich der ganzen Schöpfung bemächtigt, und nur in leisen Schauern drängten sich verstohlen die Blätter an einander. Kein Laut mehr im Weltall. Nur ein einzelnes Zirpen eines Heimchen. Im tiefsten Hintergrunde das beklommene Rauschen eines Wasserfalles und das Murren ferner Donner.
Dies war ein Augenblick für mich. Es war Mitternacht, und im Schlosse hatte sich alles schon niedergelegt. Ich nahm die Gartenschlüssel, ging leise hinab, stieg über eine kleine Mauer in den Hof, wo meine Pferde standen, riß so behutsam und geräuschlos als möglich ein Schloß los, und fing an mein bestes Pferd zu satteln.
Indem ich damit beschäftigt war, fühlte ich etwas zwischen meinen Füßen. Es war Kusko, mein Lieblingshund. Er hatte in dem Stalle gelegen und war vom Geruche herbeygelockt. Er war so fröhlich, mich zu sehen, er sprang an mir heran, er winselte vor Freude. Ach, Kusko mußte es fühlen, daß er mir Lebewohl sagen sollte. Ich konnte ihn nicht mit mir nehmen, ohne mich zu verrathen. Hundertmal zog ich ihn in die Höhe und ließ mir die Thränen vom Gesichte ablecken. Alles hatte ich mit Kaltblütigkeit ertragen, selbst als ich meinen Antonio zum letztenmale umarmte, aber mein seltsames Herz zerschmolz bey dieser Abschiedsszene in Wehmuth. Gewiß er fühlte auch meinen Schmerz. Er ließ den Kopf so traurig sinken. Er winselte so dumpf. Vielleicht war es mein einziger gleichbeständiger Freund, den ich hier zurücklassen mußte.
Aber die anderen Hunde im Hofe wurden darüber ebenfalls unruhig, und es war keine Zeit zu verliehren. Zum letztenmale ergriff ich ihn, um ihn an meine Brust zu drücken: »Guter Kusko«, sagte ich zu ihm, »Du wirst mich am letzten vergessen.« Hierauf riegelte ich ihn wieder ein, verschloß mein Ohr für sein ängstliches Kratzen an der Thüre, öffnete ein Hinterpförtchen an der Mauer, schwang mich auf mein Pferd, und jagte einem mir wohlbekannten Wege nach, der durch ein benachbartes Kastaniengehölz führte.
Das Gewitter war indeß immer heftiger geworden, die Nacht immer dunkler und undurchsichtiger, die Blitze wurden schneller und farbigter, die Donner verstärkten und vereinfachten sich. Und doch trieb ich mein Pferd immer eiliger an, dem heftigsten Sturme und ganzen Wasserwolken entgegen, welche uns niederzudrücken droheten. Bald aber waren wir alle beyde mit unseren Kräften zu Ende, das arme Thier stöhnte und schnaufte unter mir, ich konnte dem Winde kaum mehr widerstehen und der Weg war verlohren. Ich ritt zwar nun langsamer, aber jeden Augenblick fiel mein Pferd in verborgene Löcher, oder stolperte über hochhinausragende Baumwurzeln; jeden Augenblick befand ich mich in Gestrüppen verwickelt oder hing an einem Aste fest. Wann uns die Blitze nicht den nahen Fluß gezeigt hätten, so wären wir beyde ohne Zweifel und ohne daß uns der Bund hätte helfen können, in den Fluthen des Tago umgekommen; denn vor dem Krachen der Bäume und den sich einander verschlingenden Donnerschlägen hätten wir das wilde Getöse der Wellen gewiß überhört.
Endlich mußte ich absteigen. Es ging nicht weiter. Ich bemerkte in der Nähe eine Gruft, gleich einem Erdfall, und beschloß hineinzukriechen, um mich so gut als möglich zu schützen. Mein Pferd, das ich sonst dem Wetter ganz hätte Preiß geben müssen, stieg, gleichsam durch einen Instinkt geleitet, mit mir hinab und wir schmiegten uns, wie von der Gefahr einander nähergebracht, traulich an einander. So wie der Blitz zwischen die Bäume herabfiel, fing es jedesmal heftiger zu zittern an und drängte sich dichter an mich. Man kann es sich vorstellen, was ich empfand. Jenes Wetter in der Hütte war nur ein Spielwerk dagegen.
Nun war auch das Gewitter gerade über uns. Der Himmel hatte sich jetzt völlig in Blitzen aufgelößt, und ganze glühende Wolken sanken unter dem Heulen der Stürme und der zerknickten Bäume herab. Ein solches Getöse, womit der Donner die benachbarten Gebirge erfüllte, hat noch kein menschliches Ohr gehört. Alles zitterte um mich her, und es schien nur noch eine kleine Zeit übrig zu seyn, wo mir die Wahl frey stand, vom Blitze erschlagen oder von der bebenden Erdgrotte erdrückt zu werden. Die Kälte des Wassers erstarrte meine Glieder, und es dauerte nicht lange mehr, so konnte ich nicht die Zügel mehr halten.
Wer in meiner jetzigen Lage hätte meinen wüthenden Entschluß nicht bereuet! Die Erschütterungen, alle Schrecken der Natur waren noch gar nichts gegen die Martern jener Unbekannten, welche mit den geheimsten Falten des menschlichen Herzens bekannt, immer die zartesten Fäden desselben in Zuckungen zu bringen, seine fühlbarsten Theile zu zerfleischen verstanden. Aber es war gerade das, was mich vollends in Enthusiasmus setzte. Gegen jeden Widerstand strebten meine Kräfte feuriger an, ein überwundenes Hinderniß war meine beste Belohnung. Ich sah mit Entzücken in den feurigen Himmel, als wenn ich alle Blitze hätte sammeln wollen, sie in jene verruchte Gruft herabzustürzen; ich stahl die gräßlichsten Töne aus der Natur, um die Mörder meines Weibes mit ihnen niederzuwerfen; ich hätte alle Regenwolken sammeln mögen, um mit ihnen sie zu ersticken. Alles war selbst für mich noch nicht schrecklich genug. So spielt die Phantasie selbst in den am meisten beängstigten Momenten des Lebens. In einem großen Meere von Bildern hält sie sich immer nur in einem einzigen starken Strome, und zählt selbst kleinlich die Tropfen, welche Schicksal und Ohngefähr mit ihnen vermischen.
So heftig aber auch das Ungewitter gewesen war, so schnell ging es auch wieder vorüber. Als der Morgen anbrach, war keine Spur mehr von den Zerstörungen der Nacht übrig, als nur einige traurigen Trümmer ausgerissener Bäume und die ausgetretenen Gewässer. Die Luft war so rein, als habe die Welt sich eben aus ihr erst niedergeschlagen. Die ganze Lauterkeit, das ganze holde Lächeln einer nun wieder beruhigten Schöpfung ladete zur inbrünstigen Liebe; man sah nun erst die versöhnte Natur im vollsten Reize, nachdem man sie eine Zeitlang hatte entbehren müssen. Ein verjüngtes Grün spiegelte sich in den himmelblauen Bächen, und nur die Mitte des Stromes kräuselte sich weislicher, unter dem Genusse des schönsten Morgenhauches. Das Laub lispelte einander zutraulich zu, und die Wipfel schüttelten die überflüßigen Tropfen ab. Alles hatte Leben bekommen, und alles genoß es auch, so wie es sich davon beseelt fühlte.
Kaum war ich etwas aus dem Gehölze über die Hügel hinaus, als mich ein neues Gemälde empfing. Das himmlische Thal von Plazentia, wie umarmt von seinem Tago und mit sanften Ufern bräutlich ihm angeschmiegt; jenseits des Flusses Talavera, zur linken Oropesa, mitten unter zahllosen einzelnen Häusern und üppig verstreueten Dörfern; ein mildes, ein unfaßbar wollüstiges Erdstück.
Was man so selten in Spanien antrifft, die Fruchtbarkeit des reichen Bodens war nicht nur genützt, sondern verschönert. Eine malerische Mischung zwischen Weingärten und Kornfeldern senkte sich in sanften Abhängen nach dem Tago zu: kleine Häuser sahen fröhlich aus der Mitte von Fruchtbaumpflanzungen hervor, und die Fluthen blinkten mit einem bläulichen Schimmer in der Morgensonne erröthend zwischen hohem Grase und fetten Triften.
Nichts ereignete sich auch, mich in dieser lieblichen Täuschung zu stören. Das nächste Dorf, das ich erreichte, war schon wach und lebendig. Man sah halbgeputzt aus den Fenstern, und dankte meinem Gruße so freundlich und fröhlich, als hätte man mich schon lange erwartet. So wie ich Talavera mich näherte, ward die Straße immer beseelter, nach gerade gesellten sich ganze Haufen von schön angekleideten Bauren und Bäuerinnen zu mir, es stießen immer mehr einzelne dazu, und so ward endlich ein großer Zug daraus, in dessen Mitte ich mich allein zu Pferde befand, und der sich laut über meine finstere Miene belustigte. Man war noch etwas zurückhaltend in der Ungewißheit, was man aus mir machen sollte; so wie ich sie aber angeredet hatte, ward die Freude ganz allgemein. Man erzählte mir unter Schökern und Gelächter, daß in Oropesa ein köstlicher Jahrmarkt sey, und daß man sich da aus der Fülle des Herzens zu belustigen gedenke, weil man sich schon lange Zeit darauf im Voraus gefreuet habe. Am Ende ward ich so vertraulich mit meiner Gesellschaft, daß sie sich zu streiten begannen, wer mich im nächsten Wirthshause bewirthen sollte.
Unterwegs kehrten wir noch mehreremale ein. Allenthalben fanden wir Wohlstand, Unschuld und Gastfreyheit. Dies glückliche Thal schien ganz von dem übrigen Lande wie abgeschnitten zu seyn, und seine Schätze in sich selbst zu verschließen. Der naivste Frohsinn der Bewohner, die Artigkeit und der lose Muthwille der braunen Mädchen, ihr munteres Geschwätz, ihre kleinen Zärtlichkeiten und Liebkosungen machten mir auch bey jedem Schritte das Herz schwerer. »Wie glücklich« rief ich einmal über das andre aus, »wie glücklich könnte der seyn, der unter Euch wohnte.«
»Thun Sie es, mein guter Herr,« antwortete mir ein junger starker Bauer, der sein munteres Weibchen am Arme führte, »machen Sie es so wie ich, und suchen Sie sich eine Frau unter unsern Mädchen aus. Es wird keine seyn, die Sie ausschlüge.«
– Aber bedenkst Du auch, daß ich nicht im Stande seyn würde, Eure Arbeit zu thun. Wer wollte mir helfen? –
»Wir alle, lieber Herr, wenn Sie bey uns wohnen wollten. Wir sind nur erst eine kurze Zeit mit Ihnen bekannt, aber Sie müssen ein guter Mensch seyn, und wir lieben Sie schon. Wir alle machen nur eine einzige Familie aus; gern, recht gern würden wir auch Sie in ihrem Schooße sehen. Nicht war, lieben Freunde? – «
Der ganze Haufen antwortete mit einem heiteren und offenen Gewiß!
»Und Du kleine Braune dort,« fuhr er fort, »die Du so muthwillig herschielst, nicht wahr, Du würdest Dich nicht bedenken, diesen Mann zum Gatten zu nehmen?«
Sie erröthete über und über.
»Sey kein Kind, Klärchen,« fuhr er fort, »und komm her. Sie ist meiner Frauen Schwester, Herr; nicht übel gebildet, wie Sie sehen, und trotz ihres kleinen Muthwillens und ihrer seltsamen Launen doch ein gutes, recht gutes, treues und anhängliches Ding. Wie? – Du erröthest ja immer noch mehr? – Habe ich zu Deinem Lobe etwa zuviel gesagt?« –
Klara sah ihn mit einem allerliebsten spöttischen Blick an.
»Glauben Sie ihm nicht, mein Herr; ich tauge ganz und gar nichts. – Indeß – wenn Sie es mit mir wagen wollten – Sie gefallen mir.«
Süßes Geschöpf, fiel ich ihr ein, wie sehr schmerzt es mich, dies Glück itzt nicht annehmen zu können. Ich habe noch Vater und Mutter, ich habe eine stolze Familie, und ach! ich bin von Adel.
»O! mein Herr,« sagte der Bauer, »das bin ich ebenfalls so gut als Sie. Es wäre selbst die Frage, welche von unseren Familien die angesehenste wäre. Haben Sie niemals von dem Grafen von O* etwas gehört?« setzte er ganz leise hinzu.
Barmherziger Gott! Sie sind der Graf von O*, der das Mädchen entführte, und nachher – –
»Wie? Sie kennen meine Geschichte? – Wer sind Sie denn, mein Herr?«
Ich nahete mich ihm, und sagte ihm meinen Namen ins Ohr.
Ganz erstaunt sah er mich hierauf an. Er stand still und betrachtete mich einige Augenblicke hindurch von oben bis unten. Dann wandte er sich zu seiner Gesellschaft, und sagte: »Hört einmal, Kinder, mir fällt etwas ein, ich habe etwas im nächsten Wirthshause vergessen. Geht indeß nur immer fort. In kurzer Zeit werde ich wieder bey euch seyn.«
Man fragte ihn: »was es denn sey, das er vergessen habe?« – Ein jeder wollte es ihm holen. Aber er flüsterte mir nur noch leise die Worte zu: »Don Karlos, Sie sind ein rechtschaffner Mann; aber wir sehen uns nicht wieder,« – und verschwand.
*
Man war erstaunt, den Bauer umkehren zu sehen, die ganze Gesellschaft ward mißmüthig darüber, man tröstete sich aber zu meiner Verwunderung immer mehr, je länger er ausblieb, und indeß man einig geworden war, er werde wol gar nicht zurückkehren, hatte man sich völlig in den Besitz der alten Lustigkeit wieder gesetzt. »Er habe zuweilen Grillen,« hieß es, »es sey schade, daß ein so guter Mann so schwermüthig sey.« Niemand konnte es begreifen, warum er denn so den Kopf hienge; denn er habe ja Acker und ein Haus, ein gutes Weib und Kinder.
Sein Weib indeß, der man es ansah, was für einen angebohrnen Stand sie besitze, und was für eine Erziehung sie genossen habe, war mit allen Vernunftschlüssen des Haufens nichts weniger als zufrieden. Da sie wol wissen mochte, daß ihr Gemahl nicht ohne Ursach in so seltsame Launen verfalle, so war ihr das schnelle Wegeilen doppelt beängstigend. Mit traurigen Blicken sah sie mich an, als wenn sie von mir eine Störung ihrer jetzigen Glückseligkeit fürchtete. Auch Klärchen nahm daran einen sehr bedeutenden Antheil. Ich war ausser Fassung gesetzt, und wußte schlechterdings nicht, wie ich mich dabey zu benehmen habe.
Als ich wahrnahm, daß die Dame Lust zu haben schien, mit mir allein sprechen zu wollen, so sonderte ich mich, um ihr dazu Gelegenheit zu geben, so unvermerkt, als es sich thun ließ, vom übrigen Zuge ab. Sie verstand es, blieb unter einem kleinen Vorwande etwas zurück und näherte sich mir.
Man kann sich unmöglich eine rührendere Verlegenheit vorstellen, als die ihrige war. Mit nassen, kummerschweren Augen, schien sie einen Blick in die Zukunft zu werfen, an der ihre ganze bisherige Glückseligkeit unversehens und so schrecklich zu scheitern im Begriff stand. Noch ehe es zu einer mündlichen Erklärung kam, legte ich in mein Gesicht alle die Theilnahme an ihr Schicksal, die mein bekümmertes Herz für sie wirklich empfand, und ließ sie in meinen Augen alle die Tröstungen lesen, die ihr in ihrer Niedergeschlagenheit nur aufmunternd seyn konnten.
»Ach, mein Herr,« fing sie mit einem tiefen Seufzer an, »wir sind sehr unglücklich.« –
Gewiß, meine schöne Gräfin, versetzte ich etwas über diesen Anfang bestürzt, gewiß, ich nehme den herzlichsten Antheil daran. –
»Ich sehe Sennor, mein Gemahl ist so unvorsichtig gewesen, Ihnen unser Geschlecht zu entdecken. Dies kümmert mich nicht. Denn Sie sind ein Mann von Ehre, Sennor; ich zweifle hieran keinen Augenblick. Aber warum ging er so plötzlich hinweg? – Warum kommt er nicht wieder? – Ich kenne ihn; er war im Innersten seiner Seele erschüttert.«
Was das erste betrifft, so zweifeln Sie nicht an meinem Gefühl für Edelmuth, so wenig als an meiner wahrhaften Freundschaft für Sie. Ich sehe Ihren Stand als ein mir anvertrauetes Geheimniß an. Es liegt in meinem Herzen begraben, Sennora. –
»Ich bin damit zufrieden« – –
Und in Rücksicht des zweyten bin ich vielleicht in einer noch peinlicheren Ungewißheit, als Sie. Ich habe nur schwache Vermuthungen. Ohne Zweifel werden Sie es wissen, was man von Ihrer Vermählung sprach. Ihr Gemahl verheyrathete sich mit Ihnen, einer Gesellschaft gewisser Unbekannten zum Trotz – – –
»Ich erstaune, mein Herr!« – –
Erstaunen Sie über nichts mehr, Madonna. – Mit diesen Unbekannten stehe auch ich in Verbindung.
»Barmherziger Gott! wehe uns!« –
Was fürchten Sie, mein bestes Weib? hörten Sie nicht? Ich sagte: auch ich bin mit ihnen in einer Verbindung. Dies Verhältniß war für mich vielleicht noch schmerzhafter, als das Ihrige. Ich bin in ein noch schrecklicheres Spiel verwickelt. Ich sehe nicht einmal das Mittel mehr vor mir, das Sie zu Ihrer Rettung ergriffen haben. Verstehen Sie mich nun? –
»Vollkommen.« –
Man gab mir sehr deutliche Winke hierüber; man erzählte mir Ihre Geschichte, vielleicht mit vergrößernden Umständen, aber auch nackt und rein vielleicht noch immer entsetzlich genug. Wer hätte ein größeres Recht zu einem Antheile daran, als ich, den sie mitbetrifft; an dessen Begebenheiten sie vielleicht alle die Kunstgriffe im ganzen Umfange versuchten, welche sie an den Ihrigen theilweise vorgeübt hatten.
»Ich sagte vorhin, Sennor, wehe uns, daß wir Sie gefunden haben. Itzt nehme ich meine Worte zurück und sage: wohl uns! Geben Sie mir Ihre Hand darauf, daß Sie uns Freund bleiben wollen!«
Sie reichte mir ihre Hand. Aber ich merkte es gar bald, wie sehr ich mir Schaden gethan hatte. Sichtbarlich ward sie zurückhaltender. Hätte ich dagegen jenen zweifelhaften Moment ihres Schreckens zu benutzen verstanden, hätte ich noch tiefer in die Geheimnisse ihrer Gefühle eingegriffen, so hätte ich mich zugleich mit ihnen in den Besitz ihrer Geschichte setzen können. Itzt aber schien sie auf einmal das alles vergessen zu haben, was mich in ihr hätte angehen können. Mit einer bewunderungswürdigen Leichtigkeit bog sie jeder verfänglichen Frage aus, und bestritt mich mit meinen eigenen Waffen. Nur ihre Augen sprachen vielleicht mehr als sie sollten.
In einer solchen Stimmung kamen wir endlich in Oropesa an. Der Jahrmarkt war groß und voll. Alle benachbarten Ortschaften schienen sich entvölkert zu haben, um ihn recht glänzend zu machen; eine lustige buntscheckigte Mischung von tausenderley Charakterzügen und Trachten. Eine geraume Zeit hindurch belustigte mich dies farbigte Menschengewimmel; die Wellen des Pöbels rissen mich von einer Lustbarkeit zur andern fort; bald fand ich mich vor einer Gaukelbude mitten unter Gaffern, bald in einem bachantischen Tanz unwillkührlich verschlungen. Ein unerschöpflicher Wechsel von unaufhörlich neuen Gegenständen, das Schreyen und Lärmen des halbtollen Volkes, Zank und Schläge, Auflauf und Gelächter – dies alles setzte eine Mischung zusammen, die einen Neuling von Zuschauer lange belustigt hätte.
Nachdem ich mich so einige Stunden umhergetrieben hatte, ohne mich eigentlich sammeln zu können, stand ich in einem Truppe von Bauern still, die einem tanzenden Hunde mit großer Emsigkeit zusahen. Nachdem sein Herr ihn einigemale nach dem Takt der Musik hatte aufwarten und durch einen Reif springen lassen, hieß er einen hinter ihm stehenden Knaben, der einen Vogelbauer in der Hand hielt, hervortreten. Es war ein gewöhnlicher Papagay von der grünen Gattung darin. Der Gaukler nahm ihn heraus, und auf die Hand.
»Sag mir einmal, mein lieber Vogel,« fing er an, »wie alt ist der älteste und wie alt ist der jüngste in dieser Versammlung?«
Der Vogel gab die Zahlen zwey und achtzig und acht an.
»Und wie heißen diese beyden?« –
Er nannte zwey Namen, und zum großen Erstaunen der ganzen Gesellschaft fand es sich, daß er Recht hatte.
Hierauf fuhr er fort: »Aber nun sage mir einmal, welcher ist unter uns der vornehmste?« der Vogel antwortete noch einmal ganz deutlich: »Don Karlos, Marquis von G**. In diesem Augenblick war es, als hätten sich auf mich aller Augen unwillkührlich gerichtet. Ich war wie vom Schlage getroffen. Es lief mir eiskalt über den Rücken. Ich drängte mich ohne Bewußtseyn durch die Menge, sprang auf mein Pferd und stürzte zum Thore hinaus.
»Unglücklicher Karlos,« sprach ich zu mir selbst, »keinen Ort giebt es auf Erden mehr, wohin Du Deinem Schicksal entfliehen könntest; keinen Ort, wohin die Unbekannten ihre Aerme nicht strecken, wo Du Dich nicht in ihren Schlingen verwickelst. Ach, wie wird es Dir dann erst ergehen, wenn Du ihnen in die strafenden Hände geräthst? Welche neue Martern werden sie wol erfinden, um Deinen Ungehorsam zu büßen, welche neuen Künste ersinnen, Dich mit Deinem eigenen Meyneid, mit Deinem eigenen Wahnsinn zu täuschen. Eine Dunstgestalt Deiner Phantasie wirst Du erhaschen, wenn Du ihnen am nahesten zu seyn gedenkst, und in Deine eigenen Gruben wird das mühsame Gebäude Deines stolzen Witzes kläglich zusammensinken. – Und Gewalt! was vermagst Du mit ihr? Zwey schwache Aerme eines siechen, entnervten Körpers gegen tausend gesunde; ein Dolch gegen tausend Schwerdter, und ein blindes, betäubtes Gehirn gegen den Schlangengang von Millionen gereizten, unvermeidlichen Blicken.«
»Es ist wahr, Gift hast Du zwar bey Dir. Deine Martern würdest Du zu mildern und abzukürzen wissen. Aber was hast Du gegen ihr Mitleid, gegen ihre stille Verachtung? Wenn man Dich in Deiner eigenen Schlinge erhaschte, die Deine erbärmliche Ohnmacht zeigte, und Dich wieder von ihr großmüthig losmachte. Dies wäre quälender noch als der Tod. Gewiß, Du würdest klüger seyn, wenn Du um ihnen zu entfliehen, ein Mittel ersönnest, als daß Du nach ihnen umherschweifst, ohne mehr als eine dunkele Ahndung zu haben, mit der Du sie aufsuchen kannst.«
Unter diesem etwas beklommenen und noch unschlüßigerem Selbstgespräch erreichte ich an den Gränzen des Thals von Plazentia einen Wald. Ich war es schon so sehr gewohnt, in jedem dunkeln Gebüsch einen Schauplatz seltsamer Abentheuer und Ereignisse zu finden, daß ich mich ruhig darauf vorbereitete. Meine Phantasie hatte eine so unruhige, romantische Spannung erhalten, daß sie immer schrecklichen Erscheinungen mit einem bangen Entzücken entgegensah. Jeder Trümmer der Vorzeit hatte für sie etwas Bedenkliches gewonnen, jeder unschuldige Erdfall war dem Eingange in einer schauervollen Gruft ähnlich, und es war zum wenigsten möglich, daß manche seltsame Gestalt eines Baumes tiefe Räthsel und Geheimnisse verschloß.
Ein Reisender begegnete mir wie zufällig, so wie ich tiefer hineinging. Ein Mann von unbedeutendem Ansehen, und noch bedeutungsloserer Anrede. Lediglich das Bedürfniß einer Gesellschaft schien es zu seyn, welches ihn zu mir führte, und mich machte Verlegenheit, und ein immer mir folgender geheimer Antrieb gegen Absichten und Ohngefähr Menschen zu meiner Unterstützung mir zu verbinden, ihm willig zugeneigt. Was der Anlaß unseres ersten Zusammenhaltens war, bestimmte auch den Ton unserer Gespräche. Der Wald, Gefahr, Besorgnisse und Beruhigungen, erlebte Begebenheiten und Wahrscheinlichkeiten durchkreutzten sich in ihnen auf die seltsamste und unbedenklichste Weise. Man kann sich nichts einfacher und einfältiger vorstellen.
Endlich kam die Rede auf den Eigenthümer des ganzen Landstriches; und auf einmal schien ihn ein Geist der Redseligkeit zu ergreifen, eine Menge sonderbarer Geschichtchen fielen ihm ganz ungezwungen bey, und er schien mit jeder neuen darin immer unerschöpflicher zu werden. Die Besitzerin war eine verwittwete Dame. Ihr Gemahl war wie plötzlich verschwunden. Sie selbst schien es nicht zu wissen, wo er geblieben war, denn zum wenigsten hatte sie Zeit und Mühe genug darauf verwendet, ihn wieder zu finden. Endlich nachdem alle Nachforschungen fruchtlos geblieben waren, hatte sie von der Welt sich völlig zurückgezogen, um in öder Stille ihre noch übrigen Tage verweinen zu können. Aus allem, was er erzählte, ergab sich, daß es eine Schwärmerin sey; aber es war in den Ausschweifungen ihrer Einbildungskraft etwas Liebes und Sanftes, so wie es der Himmel zuweilen niederschickt, um Menschen mit wiederaufwachenden Gefühlen ihres eigenen Herzens glücklich zu machen.
Der Abend war da; es war kein Wirthshaus in der Nähe, und sie nahm jeden Reisenden mit Freundlichkeit auf. Ihre liebenswürdige Gastfreiheit sollte sich auf alle Stände erstrecken, und ich durfte mit Recht hoffen, bey ihr unerkannt bleiben zu können. Selbst die freiwillige Eingezogenheit, in welcher sie lebte, die Schwermuth, welche fast alle ihre Handlungen zu leiten schien, die Düsterheiten in ihrer Geschichte, und besonders ihres Gemahles plötzliches, unbegreifliches Verschwinden hatte sie mir theuer gemacht; in der peinlichen Ungewißheit, in der ich mich befand, wäre mir das Zusammentreffen mit einem jeden willkommen gewesen, wie viel mehr noch das mit einem Geschöpf, das von einem ähnlichen Ereignisse, vielleicht gar von Schicksalen derselben Art von der Welt hinweggepreßt, schon den Entschluß ausgeführt hatte, worauf mich meine Laune und die Bedenklichkeit meiner Verfassung zu führen eben im Begriff stand.
Ein Scheideweg lag endlich vor uns. Einer von beiden ging auf das Dorf zu, in dem mein Begleiter einheimisch war, und das zu erreichen er noch die ganze Nacht zubringen mußte; der andere auf das Schloß der Dame. Mein Pferd war entkräftet; ich müde und neugierig. Ich wählte den letztern. Man sagte mir, es ginge nun kein anderer ab, und ich könne nicht fehlen. Die Dämmerung kämpfte noch sehr matt mit der niedersinkenden Sonne. Warum sollte ich mich nicht unbekümmert ihm überlassen!
Auch war ich noch nicht sehr lange geritten, als schon ein großes Gebäude einige Thürme aus dem zweifelhaften Nebeldufte hervorstreckte. Nur ein Landhaus hatte ich erwartet, und erblickte mit Erstaunen so viel Pracht im Abendschimmer. Es war kein Sitz der Ruhe und ländlicher Abgeschiedenheit, es schien die Wohnung eines Schwelgers zu seyn, der seine ermatteten Sinne durch neue Wollüste des Landlebens auffrischen will.
Der Weg auf das Gebäude ging durch einen Garten, der es noch dazu durch ein lustiges Grün wie umstrickte. Man erkannte keine eigentliche Anlage darin; alle Kunst hatte sich sinnreich hinter einem einfachen Plane versteckt, aber ein innerer Sinn gab es nur um so deutlicher zu verstehen, was für ein gebildeter Geschmack hier an die Natur sich habe anlehnen müssen. Der Reben zartes, durchschimmerndes Grün mischte sich so kunstvoll in das dunklere des Grases; der Bäume mannichfaltiges Laub stach durch helle Kontraste ab, oder ergoß sich mit sanften Abstufungen in einander, die Farben der Gegenstände waren so anmuthig und auffallend verbunden oder getrennt, daß es überhaupt unmöglich war, den Geist, der hier herrschte und anordnete, zu verkennen, und für mich insbesondere, nicht schon im Voraus mit geheimer Freude über das Gefühl einer inneren Verwandtschaft ihn liebzugewinnen.
So wie der Pfad dem Schlosse sich näherte, wurden die Alleen auch grader, die Baumgruppen geordneter, die schöne Wildheit von Spaziergängen, wo die matten Sinne ganz allein der Natur übergeben wurden, lößte sich unmerklich in kunstvollere Anordnungen von Regelmäßigkeit auf, und doch fand man das Ende überrascht mitten in einem geschmückten Blumengarten wieder. Die Statuen, denen zum vollen Leben nur der Athemzug fehlte, schienen sich hier im sanften Abendstrahl und im Pommeranzenduft wieder auffrischen zu wollen, und da die ganze Anlage an dieser Stelle in einem großen Sterne zusammenlief, so wurden noch einige Tempel und eine Menge von Pavillons sichtbar, die mit einer verschwenderischen Pracht selbst noch in erbleichender Dämmerung das Auge entzückten. Alles zeugte von der Besitzerin Reichthum, noch mehr aber alles von der großen Kunst ihn zu verwenden. Eine wohlthätige Fee hatte hier die Eigenschaften ihres Geistes erschöpft, um zu zeigen, daß auf Erden auch ein Himmel noch möglich sey.
Im Hintergrunde vollendete das Schloß das Ganze dieses holden Blumenstückes, groß in seiner innern Struktur, ohne Schmuck, und entstellende Zierrath. Ein breiter Rasenplatz liegt vorn. Zwey Alleen leiten in halben Kreisen den Weg bis zur Thüre. Eine breite marmorne Treppe führt endlich hinauf.
Dies Paradies aber ist öde und wie ausgestorben. Die Vögel gehen nun schon nach gerade zur Ruhe, nur eine einsame Meise noch zirpt im Gebüsch, eine kleine Schlange raschelt im Laube, der Abendwind spielt mit den Blättern; sonst keine Bewegung in der Natur, kein freyer Laut, kein Menschentritt. Ich steige ab, mein Pferd tummelt sich noch im Vorplatz und wiehert dem Stalle entgegen; niemand bemerkt es. Ich gehe die Stufen hinan, eröffne die Thür, kein Ton im Vorsaal, nur mich selbst höre ich in dem verlassenen Saale. Ich steige kühner eine alabasterne Treppe hinauf, durchstreiche einige Gemächer, allenthalben nehme ich Pracht und Ueppigkeit wahr, aber keine Spur des Bewohners. Endlich – endlich geht eine Thüre auf. Ein schwarzgekleideter Bedienter tritt heraus, aber er schlägt die Augen nicht auf. Ich rede ihn an, er bemerkt mich nicht. Und ehe ich voll Erstaunen mich umkehren und ihm nachsehen kann, ist er schon wieder verschwunden.
»Nun bey Gott! Karlos,« ruf ich endlich ganz laut aus, »Du hast doch schon manches erlebt, aber etwas Aehnliches nie.«
Ich ergreife bey diesen Worten die Thür, aus welcher der Bediente herauskam und eröffne sie. Ein dunkles Gemach ist nur von zweyen Kerzen erleuchtet. Sie stehen neben einem silbernen Kruzifix. Vor ihm kniet eine schwarzverhüllte Dame. Sie sieht sich bey meinem Eintritte um, und winkt mir mich still zu verhalten.
So hatte ich ohngefähr eine halbe Viertelstunde gestanden; man kann es sich vorstellen, mit welchen Gedanken und Empfindungen. Eine so seltsame Aufnahme so unerwartet zu finden, sich mit so viel Kälte und auch zugleich mit so viel Wärme behandelt, mitten unter dem Ausbruche von schönen Gefühlen sich hingezaubert zu sehen, und nicht zu wissen, in wie weit man ihnen auch trauen darf – dies alles hätte eine noch weit größere Fassung, als die meinige war, ausser sich setzen können. Mit welchen Augen sollte ich das Weib betrachten, das in so himmlischer Inbrunst vor mir lag, ihrem Gotte, ihrem Himmel, oder ihrem Geliebten darin zärtlich und kummervoll angeschmiegt, ohne Sinn mehr für diese Erde und doch noch beseelt von Wohlthätigkeit, ohne Affektation das nicht mehr zu bemerken, was neben ihr vorging, und doch dem Störer ihrer Andacht so gütig verzeihend. Und mit welchen Augen sollte ich mich neben ihr ansehen? Mich vielleicht ihrer Seele näher verwandt, als sie in diesem Augenblick ahnden konnte, oder wieder in einem neuen Betruge, in einer berechneten Täuschung befangen. Vernunftschlüsse wechselten mit vorgeblichen Ahndungen in meiner Seele, und immer der letzte von ihnen schien Recht zu haben.
Die Verzierungen dieses Zimmers waren nicht prächtig, nur einfach und nett; eine aschgraue Tapete, mit einer Rosenguirlande, und mit zwey Gemälden behangen, sonst nichts von Schmuck noch Vergoldung. Es war kein Paradezimmer des Grams und Traurens, es war nur dem Seelenzustande seiner Besitzerin gemäß. Neben dem Sopha stand der Tisch mit dem Kruzifixe, vor welchem sie kniete; im Winkel eine Harfe. Kurz alles gehörte zum Geschmack eines Familienzimmers, in dem man gern zu Hause ist.
Endlich richtete sie sich auf. Sie wischte sich noch einige Thränen vom Auge, ergriff dann einen Leuchter und kam auf mich zu. Ihr Gesicht glühete noch hochroth von der Erhitzung ihrer Gedanken, in ihren offenen, blauen Augen flimmerten aber die Spuren großer Bekümmernisse und vieler verweinten Jahre. Ein feuchtes Sehnen und Schmachten darin deutete auf den Ort verrätherisch hin, wo sie ihre Wünsche und Hoffnungen niedergelegt hatte, und von wo sie jetzt eben wieder zurückkam. Am Throne ihres Vaters hatte sie für Stunden sich Stärke wiedererbetet, keine Pflicht der Geschwisterliebe und Wohlthätigkeit zu vergessen. Dies alles las meine gespannte Seele in ihrem Auge, in ihren Blicken. Ich war überrascht, sie so jung und schön noch zu finden. Meine Sinne sprachen gleich im ersten Augenblick lauter zu ihrem Vortheil, als sie wohl sollten. Wie hätte dies Geschöpf eine Betrügerin seyn können!
Auch mein Selbstgefühl, angegriffen von so anhaltenden und so empfindlichen Schlägen, fing an immer mehr zu ermatten. Ich konnte mir es kaum noch denken, daß dies alles Veranstaltung sey. So viel Menschen, und so viel Arbeit, so viel Reiz und Schönheit, so viel Verstand und Geschicklichkeit mühselig zu verknüpfen, und oft widerstrebend zusammenpressen zu müssen – und alles warum? des erbärmlichen Zweckes wegen, ein Geschöpf mit seinem ganzen Daseyn gefangen zu nehmen und festzuhalten, dem dies Daseyn schon lange zur Last fiel; gewiß hierin konnte zwischen Mittel und Absicht unmöglich die Hälfte des weisen, vorausbezeichneten Verhältnisses seyn, das man einer solchen Verbindung, selbst schon nach dem Theil, den ich nur von ihr hatte wahrnehmen können, Zutrauen mochte.
Es lag freylich viel Wunderbares in dem Zusammentreffen dieser Vorfälle; ganz sonderbar fand ich die Gesellschaft oft gerade in denen Gegenständen am festesten eingewebt, wo ich sie am wenigsten zu vermuthen ein Recht hatte; es gab selbst einen langen Zeitpunkt in meinem Leben, wo ich keinen Schritt zu wagen im Stande war, der nicht auf Etwas, auf irgend eine Spur von ihr traf, – aber damals war ich ihr in der Nähe, oft mochte auch die Laune des Zufalles die Begebenheiten so auffallend zusammenreihen, und ich machte ihnen weniger Mühe, mich zu gewinnen, als jetzt so aufmerksam gemacht, und in so großer Entfernung. – Trotz des Vorfalls von gestern, war mir noch nichts von einem so hohen Grade der Klugheit und Verschlagenheit in den Sinn gekommen, der die entferntesten Personen und Charaktere zugleich und durch einander zu verketten verstehet.
*
»Wer sind Sie, Sennor? und womit bin ich im Stande Ihnen zu dienen?« – fragte mich meine Dame, mit einer im Voraus gewinnenden Anmuth.
Ein Verirrter, Sennora, der in Ihrem Schlosse für diese Nacht Schutz und Gastfreyheit sucht, antwortete ich ihr. Meine Dreistigkeit wird bey Ihnen keiner Entschuldigung bedürfen, setzte ich hinzu, die Gräfin von G* wird es wissen, daß die Welt Ihre Menschenfreundlichkeit kennt und verehrt. –
Meine Antwort mochte ihr zu meinem übrigen Aufzug sehr unpassend vorkommen. Sie überlief mich mit starren Augen.
»Mein Herr,« fing sie hierauf wieder an, »verzeihen Sie mir, aber ich weiß nicht recht, wie ich Sie behandeln soll. Darf ich Sie um Ihren Namen befragen?« –
Ich nannte ihr hierauf den Namen eines meiner Freunde, dessen Familienumstände und Verhältnisse mir völlig bekannt waren; ich setzte hinzu, wie sie, wenn er ihr bekannt wäre, wohl wissen würde, wie wenig meine Vermögensumstände mit meinem Stande übereinkämen, und nahm die Begierde, die Welt kennen zu lernen, zum Vorwand meiner Reise. Bey dieser ganzen Erörterung hatte ich sehr genau auf jede Veränderung ihrer Gesichtszüge acht, aber keine Miene schien etwas verrathen oder etwas verbergen zu wollen. Sie erinnerte sich mit ungezwungener Höflichkeit meines Namens, meiner Familie und meiner Lage, versicherte mir, daß sie mich vor einiger Zeit aus ihrem Schlosse nicht weglassen würde, rief ihren Bedienten, ließ mir einige vortrefliche Zimmer anweisen, und bat mich, zur Abendtafel doch bald wieder zu ihr zu kommen. Alles wurde in einem so einfachen Konversationstone gesagt und erwiedert, daß sich mit Wahrscheinlichkeit kein Grund zu dem geringsten Argwohn auffinden ließ.
Die Zeit zur Abendtafel kam; ich hatte mich mit Ankleiden, und mit der Betrachtung der vortreflichen Lage des Schlosses und meiner Zimmer etwas verspätet; sie muste mich zweymale durch einen Bedienten erinnern lassen. Zu meiner Verwunderung fand ich noch einen jungen Mann in ihrer Gesellschaft; einer der schönsten, und bedeutungsvollsten Menschen, welche ich jemals gesehen zu haben mich erinnere; voll gedrungener Kraft und sich selbstbewußtem Adel, ein liebender, schwermüthiger Apoll. Ich hielt ihn für ihren Bruder, und behandelte ihn so. Aber ich bemerkte bald ihre Blicke von einem zärtlicheren Einverständnisse sprechen, sie hatten es so wenig hehl, sie sahen so ganz über mich hin, daß sie bald allen Widerwillen dagegen in meiner Seele auslöschten. Ich sah sie in kurzer Zeit als für einander geschaffen an, ich betrachtete ihn mit Ehrfurcht und Neid als ein Werkzeug des Himmels, das Herz dieses vortreflichen Weibes mit der Welt und ihren Schicksalen wieder auszusöhnen, und unterstützte mit Freuden die kleinen Ergüsse und Auswechselungen ihrer Zärtlichkeit.
Er sprach nur sehr wenig, aber vortreflich. Er sprach nichts als nur wie aus der Tiefe eines großen Herzens hervor, nichts als Ausflüsse einer schönen Einbildungskraft und eines hochfliegenden Verstandes. Ungeachtet ich mich unabläßig auf der Lauer befand, um irgend etwas zu erhaschen, worauf ich wieder Vermuthungen meiner Art hätte bauen können, so entschlüpfte er doch allen meiner Nachstellungen mit einer Geschmeidigkeit und Ungezwungenheit, denen man nichts Verdächtiges ansehen konnte. Ich war entweder nicht schlau und gewandt genug, einem solchen Geiste etwas abzugewinnen, oder er war auch überhaupt unschuldig. Am Ende wuste ich nichts Besseres zu thun, als auch meine besten Seiten zu zeigen, um beyden vielleicht auf einem anderen Wege näher zu kommen.
Indeß verstrich die Abendmalzeit unter Gesprächen von ganz gewöhnlicher Art. Ich war herzlich ermüdet, und zog mich bald in mein Schlafzimmer zurück. Bald darauf hörte ich unseren Gesellschafter von einem Bedienten begleitet ebenfalls vor meiner Thüre vorübergehen, und sich in ein anderes, dem meinen benachbartes Zimmer begeben. Nach gerade ward es noch stiller im Schlosse, keine Thüre knarrte mehr, der Haupteingang ward zugeschlossen und verriegelt, eine tiefe schauerliche Stille breitete sich über alle Wesen aus. Trotz meiner wirklich großen Ermattung war es doch unmöglich zu schlafen. Die Nacht war so heiß und ich noch dazu so unnatürlich erhitzt. Ueberdem kam es mir nach einer Weile vor, als nähme ich Töne eines musikalischen Instrumentes wahr. Ich steige daher auf, eröffne so leise als möglich das Fenster, und lege mich in die dämmernde Nacht hinaus.
Ich hatte mich nicht betrogen. Es war in der That eine Laute mit Gesänge begleitet. Bald erkannte ich auch nicht nur die Worte eines mir sehr bekannten Liedes, sondern auch die Stimme meiner Wirthin. Das Lied mochte vielleicht genau so im Buche stehen, als sie sang; aber so singt niemand, der nicht noch tiefer als der Dichter seine Bedeutung empfindet. Die Töne, heraufgepreßt aus den innersten Winkeln eines bedrückten Herzens und zu dem einzigen Ach der seelenvollsten Klage zusammengeschmolzen.
Kühnlich darf ichs behaupten, mein Herz schlug in diesen Momenten dem ihrigen gleich. Elmire, meine Elmire, mein verlohrnes Weib trat in ihrem schönsten Lichte, im Zauber der Verklärung vor mir und brachte die ganze Vergangenheit mit sich zurück. Jeder rührende Laut schien mir ihr entwendet zu seyn, so wie sich vielleicht in einem anderen Leben jetzt in Jammer über unsere Trennung ergösse. Auch die Sprache, die Ausdrücke waren es. Wie oft hatte sie mir dies Lied nicht gesungen. Alle meine Ideen vermischten sich mit dem großen, überwältigenden Meer erlebter Begebenheiten, und ich merkte von der Gegenwart nichts mehr.
Die Aussicht aus meinem Fenster beherrschte einen großen Theil des Gartens. Ein langer, bewachsener Weg führte in mehreren Windungen zu einigen trüb hervorschimmernden Gebäuden. Aus einem der nächsten von diesen schien der Gesang zu kommen, auch war es etwas heller in dieser Gegend. Meine ganze Aufmerksamkeit war daher auch hierauf gerichtet, und nicht vergebens. Bald trat eine weisse Figur hervor, von dem Wuchs und dem Gang meiner Wirthin, mit einer Lampe in der Hand. Da die Luft etwas wehete, so hielt sie die Hand vor die Flamme, und gerade fiel der Schatten so unglücklich, daß ich nichts von ihrem Gesichte bemerken konnte. Als sie aber näher kam, bog sie seitwärts einen Scheideweg ein, ein Blick wandte sich zufällig nach meinem Fenster hin, sie sah mich darin, die Lampe fiel ihr aus den zitternden Händen, und mit einem lauten Geschrey verbarg sie sich in das nächste Gebüsch.
Was konnte ich nun von dieser Erscheinung vermuthen? War es Ueberraschung, war es ein überwältigender Schreck, die das Wesen vor mir so auffallend sonderbar von meinem Anblicke zurückscheuchte. Glaubte das Weib sich auf einer Empfindung, auf einem Ausdruck ertappt, die sie mir zu verbergen, irgend eine Ursache hatte. Nichts ist ungewisser und trügender, als die Grimassen der Weiber. Wie unendlich oft hatte ich nicht schon fehlgegriffen, indem ich eine recht klare Wahrnehmung in einen recht wahren Vernunftschluß aufzulösen gedachte. Ja, mit Recht konnte ich behaupten, auch nicht ein einzigesmal hatte ich Wahrheit getroffen, und ihr gemäß gehandelt. Ein Spiel der Weiber von Jugend auf, ohne Aufhören von ihnen angelockt und zurückgewiesen, hatte dies betrügerische Geschlecht sich doch noch nicht in Kunstgriffen erschöpft, mich von neuen mißzuleiten. Ich war mißtrauischer geworden, und dies war dazu wieder ein nicht minder bequemer Weg.
War dies wohl wieder Plan? Sollte mich dies wieder zu etwas verführen, oder nur neugieriger machen. Antheil ist bey schönen, oder nur schwärmerischen Herzen der Sohn der Neugierde. Liebe ist die Schwester des Antheils. Noch näher als bey tausenden andern Menschen waren diese in meiner Seele verwandt. Man kennt die geheimen Triebfedern Deiner Plane, den Zusammenhang und die Werkzeuge Deiner Handlungen, oder man sucht sie wenigstens schlau zu errathen. So dachte ich in einem ungewissen Selbstgespräche, das mich nur noch betretener machte.
Die Nacht verstrich mir in einer unbeschreiblichen Unruhe. Ich war aus einem gemächlichen Schlummer schlauer Beobachtung von neuem geweckt. Die Begriffe wurden nach gerade mit einander verwechselt. Was unbedeutend schien, hatte nun gewiß für mich irgend etwas Gefährliches in sich; das Geräuschvolle hingegen war ohne Bedeutung. Der Schein, seiner Natur nach schon betrügerisch genug, wurde nun noch zur vollkommensten Täuschung erzogen. Alles hing ja so sichtbar zusammen, und alles ward zu dieser Vereinigung selbst unwillkührlich und daher um so gefahrvoller gezwungen.
Wer enträthselt aber des Herzens seltsamen Irrgänge! Alle diese Gedanken blieben nur so lange in meiner Vorstellung lebhaft, als mir die Aehnlichkeit mit Elmiren auffallend war, und sich meine Seele damit beschäftigte, eine Möglichkeit ausfindig zu machen, wie sie mir hier wieder aufstoßen könnte. Denn meiner aufgereitzten Phantasie war keine Schwierigkeit mehr unübersteiglich, keine Art der Täuschung mehr unausführbar.
Sobald sich aber diese in meinem innersten Wesen verwachsenen Träume verlohren oder ihr Zusammenhang mit der gewagtesten Wahrscheinlichkeit unsichtbarer und schwankender wurde, erheiterte sich auch das Licht, in dem mir meine Wirthin erschien. Sie hatte so geringen Vortheil daran, sie konnte kaum das Interesse der Eitelkeit haben, mich in ihren Schlingen zu sehen. Sie hing ja so sichtbar und ganz an irgend einem Gegenstand ihres Kummers, oder wenn sie sich ja auf der Welt durch irgend etwas gerührt, auf irgend etwas aufmerksam fühlen konnte, so war es ohne Zweifel der schöne, der idealische Mann, den ich bey ihr gestern Abend hatte kennen lernen, und gegen den ich sehr widerlich abstechen mußte. Auch ihre Augen sagten das nehmliche. Wie fein unterschied ihr Betragen uns beyde nicht! Warum sollte ich ihnen nicht glauben.
Der Morgen kam, und bald nahete die Zeit zum Frühstück heran. Man rief mich, und ich fand die Dame allein. Der andere Herr, hieß es, sey heute verreißt. Sie kam mir blaß und erschöpft, aber ohne alle Verwirrung entgegen. Sie erkundigte sich so unbefangen nach meiner Gesundheit, daß ich in die beklommendste Verwirrung gerieth.
Bald verwickelte sie mich in ein tiefes Gespräch. Sie schien nur ihre Vorstellungen und Erfahrungen von gewissen philosophischen Grundsätzen entfalten zu wollen, und bemächtigte sich dadurch meiner Meynungen um so sicherer. Alles war bey ihr Ausfluß der gespanntesten Schwärmerey. Es war sichtbar, daß sie diese Welt schon gänzlich und lange verlassen hatte, um in einer andern glücklich zu seyn, die sie ganz mit ihren Träumen bepflanzte. Ich hielt mich, so viel ich konnte, nur leidendlich dabey. Es war, meinem Gefühle nach, noch die rechte Zeit nicht, meine Ideen ihrer Untersuchung zu übergeben.
In diesem Verhältnisse zu einander verflossen mehrere Tage. Immer noch kam der junge Mann nicht wieder von seiner Reise zurück. Man schien darüber verwundert, aber nicht weiter bekümmert zu seyn. Zwey Seelen, die länger bey einander verweilen, und zwar ungestört mit einander umgehen, nähern sich mit jeder Sekunde, wenn nur einige Harmonie zwischen ihrer Stimmung sie verwandter macht. Die Langeweile und die Höflichkeit hielt uns im Anfange erträglich zusammen. Bald befestigte dies ein Geheimniß, wir hatten Langeweile ohne einander; allein fühlte ein jeder sich von gewissen Ideen belästigt, deren er sich zu entledigen wünschte; so unvermerkt griffen die Gemüther ineinander, daß niemand den mindesten Verdacht zu schöpfen Zeit genug hatte.
Jeden Tag begann ich mit dem Vorsätze, dies bezaubernde Haus zu verlassen, und jeden Tag hielt es mich unauflöslicher fest. Es befand sich zwischen den Stunden so ein gewisses unbegreifliches Band des Verlangens und der Befriedigung, ein gewisses unausfüllbares und doch immer von neuem gereiztes Sehnen, gleich einem Traume, in dem die Empfindungen der Freude und des Schmerzes mit einander ohne Uebergewicht kämpfen. Beyde Theile waren sehr unruhig, ich über das, was ich sie fragen wollte, sie über das, was sie mir antworten zu müssen glaubte. Den ganzen Tag in den Gärten umherlaufend, ließen wir den Sinnen gar keine Zeit zum Genuß. Wir flatterten von Freude zu Freude, von Schwärmerey zu Schwärmerey, und wurden uns keiner deutlich bewußt.
Die Gränze des Gartens ward von einem kleinen See gebildet, und an seinen sanften Ufern machte ein aufgeworfener Rasenhügel unsere Lieblingsstelle aus. Hier saßen wir ganze Stunden hindurch, und träumten uns in den heitern Himmel hinein, den wir in der klaren Fluth zu unsern Füßen so verschönert erblickten. Das leise Spiel der Wellen, die ruhige Bewegung des matten Silberschmelzes gaben unsern Bildern und Hoffnungen einen gewissen angenehmen Zusammenhang; das goldene Zeitalter einer Zukunft jenseits des Körpers war das Reich, das wir verschönerten, die Geisterwelt, die wir bevölkerten, die Ewigkeit bildsam für uns, jeder süße Gegenstand eine Schöpfung für sie.
So brachten wir noch acht Tage allein mit einander zu. Bald sah der Mond uns Arm in Arm durch die Gänge des Gartens schleichen, dann durch den geheimen Schauer unserer Ideen innig aneinander gedrückt, endlich Brust an Brust, und in heißer Umarmung. Es war aber nicht eigentlich Liebe, die uns verknüpfte, es war das geheime Gefühl eines innigen Zusammenklangs unserer Seelen.
»Welch ein unermeßliches Reich holder Gedanken faßt die Einbildungskraft nicht,« rief sie einmal aus, als wir grade von einer der kühnsten Reisen in das Reich der Geister zurückkehrten; »so schön und auch so traurig.«
Wohl mir, Sennora, antwortete ich, daß ich nur das Schöne desselben kenne. Für diese Welt, für dies Gedränge menschlicher Gestalten und Umstände nun so gut als gänzlich erstorben, habe ich mich in jener, als ein freundlicher und friedlicher Bürger aufnehmen lassen. Mein Vaterland ist mir unterthan geworden. Ich gebe Gesetze darinn. Für meine Hand eine bildsame Masse wird es glücklich durch mich. Ich der Schöpfung größter, allmächtiger Geist breite eine segenströmende Hand über seine Gefilde aus, alles reift zur Vollkommenheit, zum reinsten Selbstgenuß, und ist zugleich für die allgemeine Glückseligkeit da. –
»Eine schöne Dichtung, mein Freund; aber giebt es auch hier kein mißlungenes Spiel der Einbildungskraft? kein Mißvergnügen des Schöpfers mit seinen Geschöpfen, keine Ermattung?«
Gewiß giebt es das alles, Sennora, aber nicht in dem Maaße, um den Genuß einer seligen Stunde zu stören. Selbst die Schwachheit ergötzt, auf einem gewissen Punkte, und man fühlt sich noch glücklich, wenn auch die Kräfte ermatten, und man nur alles gethan hat, was Pflicht und Nothwendigkeit heischt.
»Und dann, Don Karlos – und dann,« indem sie meine Hand ergriff, – »wenn es wirklich ein solches Geisterreich gäbe, als wir uns jetzt nur träumend zusammensetzen – – «
Desto besser für uns, Sennora.
»Nein, Karlos, nicht so. Ich bitte Sie, mein Freund, nehmen Sie dies, was ich sage, ernsthafter. Es ist aus meiner Seele gesprochen. Wenn Sie mich einmal näher kennen lernen werden, so werden Sie sehen, daß ich zu dieser Sprache ein bitteres, aber ein bezahltes Recht besitze.«
Welche Schwärmereyen, Sennora! – Wenn Sie so mit mir reden, so muß ich als Freund Ihnen antworten. Ich ehre Ihre Bilder, es sind die Ergüsse der lieblichsten Einbildungskraft; Ihre Träume sind des schönsten Herzens theuererkaufte Schöpfungen. Ich begleite Sie mit Freude in die Gefilde der reinen Freundschaft und Liebe, und niegestörter Ruhe. Auch mir ist der Umgang mit einem Leben jenseits dem Grabe theuer und heilig, weil mich die Schicksale der Vergangenheit von der Gegenwart losbinden. – Aber, mein theuerstes Weib, mischen Sie keinen Schatten von Wirklichkeit ein, nichts, das die einfache Glückseligkeit störte, die jede Reise in dies blühende Land sicher gewinnt.
»Wohl Ihnen, Sennor, daß nichts ist, was Sie hierin an Ihre Sinne mahnte. Andere sind weit weniger glücklich. – Und ich bitte Sie, was kann die Vernunft dazu sagen, daß es nicht ein solches Mittelreich gebe, aus dem die Geister noch bis zu einem Umgange mit uns herüberreichten.«
Nichts Bestimmes, Sennora, aber viel Vermuthliches. Wozu sollen sie daseyn? – Um sich oder um uns glücklich zu machen? – Uns, wieviel haben von uns sie selbst oder nur ihren Einfluß bemerkt? – Soviel ich weiß, noch keinen bis jetzt.
»Nicht zu rasch, Karlos.« –
Warum, Sennora, zu rasch? Weder Sie, noch ich wissen davon. – Und dann, um sich glücklich zu machen? Wodurch? – Durch Genuß ihrer selbst, durch Rückerinnerung ihres vorigen Lebens; Wie wenig werden denn dies Glück zu genießen im Stande seyn können. – Durch Forterziehung ihrer durch den Tod in der Bildung gestörten Kräfte! – Hierzu taugt keine Verklärung. Die Sinne schwimmen in einem großen Meere schöner Gedanken und Aufschlüsse, aus dem ein einziges Leben, nur sparsam einzelne Tropfen schöpft. Warum sollten die andern ungenützt verdampfen, und ohne Gebrauch für Geist, Einbildungskraft und Verstand?
»Alles! meynen Sie, lieber Freund, deute die Wahrscheinlichkeit von mehrer Leben in einem sinnlichen Körper an?«
Alles meyne ich, Sennora. Die Natur hat nichts unnütz aus ihrem Schooße entwickelt. Nicht blos für einzelne Sinne und Wahrnehmungen lassen so manche Gegenstände ihren geheimnißvollen Schleyer sinken; die Kunst und Erfahrung erzieht sie für alle. Wollen wir den schönen Einklang einer Reihe immer gebildeterer Jahre durch eine unüberspringbare Lücke mit allen ihren heilsamen Einflüssen vernichten? Oder wollen wir lieber die Seelen altern lassen, in einer Folgeordnung sich einander ähnlich bleibender Leben, in einer Reihe von Tagen, die in größere oder geringere Zwischenräume, ein längerer Schlaf zu einer süßen Erhohlung vertheilt?
»Freylich immer das letztere lieber. – Aber hören Sie, Karlos, dies alles beweißt noch gar nichts gegen die Möglichkeit eines solchen Reiches verklärter abgeschiedener Geister. Ich habe dafür einen ganz andern Beweis.«
– Und welchen könnten Sie haben, Sennora? –
»Die Wirklichkeit.«
Die Wirklichkeit? –
»Und meine Erfahrung.« –
– Und Ihre Erfahrung? – Sie machen mich erstaunen.
»Ja, ja, meine Erfahrung. Sind Sie mein Freund, mein wahrer, herzlicher, inniger Freund?« –
Sie zweifeln daran, mein geliebtes Weib? –
»Nein, Karlos! ach! ich bin nur so ängstlich, so ängstlich! Ich weiß nicht, es ist etwas, das mich drückt. Hier recht, in der Mitte der Brust. Ich weiß es, ich werde dafür leiden, recht viel, recht schmerzlich leiden. Aber laßt die Welt zerfließen und die Sonne erlöschen, wenn ich nur damit einen Freund auf Ewigkeit mir bezahle.«
Schüchtern sah sie sich hierauf einigemale um, und dann fuhr sie fort:
»Sehen Sie mich an, Karlos, die Bleiche meiner Wangen, den traurigen Ueberrest eines erlöschenden Feuers in meinen Augen, meinen ganzen zerstörten Körperbau. Nur erst seit wenigen Monden zehren schlaflose und gequälte Nächte von meinen Kräften. Ich vergehe allmählig und schon sehe ich das Grab offen vor mir. Darum hören Sie noch mein Geheimniß. Ein Geist läßt mir keinen Augenblick Schlafes.« –
– Ein Geist! ein Geist! sagen Sie, Sennora? –
»Der abgeschiedene Geist meines Gemahles.«
Ewiger Gott, das ist Amanuel! –
»Was war das, das hier neben mir sprach. Sagten Sie etwas, Don Karlos?«
Ich sagte: welche seltsame Täuschung der Phantasie!
»Nein, das war der Laut nicht, den ich hier neben mir hörte. Es war ein dunkler Name.« – –
Der Wind rauscht im Laube, Sennora. Fahren Sie nur fort.
»Ich bin so furchtsam geworden, Sennor. Der Natur geheimster, verstohlenster Ton macht mich heftig erschrecken. Ich fürchte die schleichendste Bewegung in meiner Nähe; alles quält mich, und nichts schmecke ich mehr rein. Hören Sie meine Geschichte in wenig Worten. Meine Familie kennen Sie schon. Vor fünf Jahren vermählte ich mich mit einem Mann, den mein Herz gewählt hatte. Es war der beste, der edelste Mensch. Er war Schwärmer wie ich. Ganz dem Landleben und der eingezogensten Stille ergeben, beredete er mich, mit ihm auf seine Güter zu ziehen. Der Mangel an bestimmten Geschäften und erheiternden Zerstreuungen, die gänzliche Abgeschiedenheit dieses Schlosses, zum Theil auch unsere eigene Empfänglichkeit, steckten uns gleich in den ersten Jahren mit einer Art von trüber Wehmuth an, die alle unsere Bilder erhöhete, und unsere Phantasie mit ihnen erschöpfte. In einer unglücklichen Stunde der gespanntesten Schwärmerey gaben wir uns das Versprechen, auch dann, wenn der Tod uns einst trennen würde, auch dann unseren Umgang noch fortzusetzen. Bald darauf verlohr ich ihn, und seitdem kommt er alle Nächte regelmäßig zu mir zurück.«
– Ich erstaune, Sennora, über das, was Sie sagen. Und war niemand, war gar kein Dritter dabey, als Sie dies Gelübde gegen einander vertauschten?
»Wer hätte können dabey seyn. Wir waren hier auf diesem Gute ganz einsam. Kein Mensch besuchte uns. Mein Gemahl hielt jenen jungen Menschen, den Sie gleich am ersten Abend bey mir kennen lernten, um für die Wirthschaft und für die Erhaltung der Güter zu sorgen. Ausser ihm war hier niemals ein Mensch, der uns eigentlich näher anging, und dieser befand sich damals gerade seit vielen Wochen auf einer Geschäftsreise.«
Wunderbar! – Und alle Nächte, sagen Sie? –
»Alle; nur selten bleibt er aus.« –
Und was sagt er Ihnen, bey seinen Besuchen? –
»Niemals hat er gesprochen. Er setzt sich nur zum Fuß meines Bettes.«
Haben Sie ihn nicht anzurühren versucht?
»Nie habe ich es gewagt.«
Haben Sie auch alles versucht, um es zu wissen, daß kein Betrug mit unterläuft? –
»Alles, Sennor. Mein Zimmer ist verriegelt, und es giebt in ihm keine geheime Thür.« –
Dann freylich noch viel unbegreiflicher, als ich zuerst dachte. – Hören Sie, Sennora, ich bin ein Mann von Muth und von Kräften. Einmal haben Sie sich mir anvertrauet. Lassen Sie michs untersuchen! –
»Nein, Karlos, Sie sind mir zu theuer geworden, um Ihr Leben einer so großen Gefahr auszusetzen.«
Für mein Leben fürchte ich gar nichts, Sennora, aber wohl für das Ihrige. Ich habe Muth, und habe eine körperliche Stärke, die wenig ihr Aehnliches kennt. Ich werde mich auf den Nothfall bewaffnen. Und lassen Sie uns endlich alles mit Behutsamkeit einrichten.
»Nein, stehen Sie von Ihrem Vorhaben ab. Sie haben sich mir zum warmen, zum einzigen, mir auf der Welt noch übrigen Freunde gemacht. Würde ich nicht noch elender seyn, wenn Sie mich so muthwillig dieses einzigen Gutes beraubten, das noch Werth für mich hat. Die wenigen Augenblicke meines Lebens sind gezählt; lassen Sie mich dieselben noch mit einem Schatten von Ruhe verschmachten, und verkürzen Sie dieselben nicht.«
So stritten wir noch eine Zeitlang den Streit der Liebe und Freundschaft, und nur nach vielen angewendeten Künsten vermocht ich es über ihr, mir meinen Willen zu lassen. Nachdem wir ein Stillschweigen, das selbst auf Mienen und Winke sich erstrecken sollte, verabredet hatten, nachdem wir dahin übereingekommen waren, daß sie mich vor Mitternacht in ihr Zimmer hereinlassen sollte, suchte ich mich auch von meiner Seite auf eine Art vorzubereiten, welche auch nur bey der Möglichkeit eines guten Ausschlages, auf die sicherste Art dazu beytragen könnte. Ein guter Panzer, den ich noch niemals wieder abgelegt hatte, ein brauchbarer Dolch, ein starker geübter Körper, Muth und Fassung der Seele, welche mir die Mannichfaltigkeit und Ueberraschung meiner Schicksale erworben hatten, war keine ganz zu verachtende Ausrüstung für ein gewagtes Stück dieser Gattung. Ich konnte auch bey dem auffallendsten Aeußeren der Erscheinung darauf rechnen, den Kopf nicht ganz zu verlieren. Mit Ungeduld sah ich die Nacht herankommen.
Endlich kam sie. Wir speisten zwar mit scheinbarer Sorglosigkeit nebeneinander, aber wer kann eine solche Bewegung ganz verbergen. Wir spannten alle Gefühle für Witz und Laune an, um diese für Erwartung und Furcht niederzudrücken, oder wenigstens auf eine natürliche Art zu verstecken. Es gelang uns auch in so weit, daß wir uns darüber selbst vergaßen.
Zur gewöhnlichen Zeit trennten wir uns lachend und schäkernd. Ein jeder ging in sein Zimmer. Ich riegelte mein Zimmer auf das sorgfältigste zu, löschte das Licht aus, und legte mich nieder. Nachdem ich eine Zeitlang noch ziemlich laut im Bett gelacht hatte, zog ich die Vorhänge meines Bettes zusammen und fing an zu schnarchen. Die Nacht hatte zwar eine mondliche Dämmerung, aber zum Glück stürmte es so heftig draußen, und die Wolken flogen mit einem so dunklen Ungestüm über den Himmel hinweg, daß man in meinem Zimmer mich unmöglich beobachten konnte.
Die Uhr des Schloßthurmes schlug gerade halb Zwölfe, als ich leise aus dem Bette hervorkroch. Dies war die Zeit, welche sie mir bestimmt hatte. Ich bewaffnete mich, hing ein Bettlaken um, schob den Riegel an meiner Thür so leise, als nur immer möglich war, auf, und trat meine Wanderung an.
Auf dem langen Gange, den ich herabgehen muste, um zu meiner Donna Zimmer zu kommen, hätte beynahe ein großer Hund mich verrathen, der sich mitten im Wege, um zu schlafen, niedergelegt hatte. Es war so dunkel, daß ich ihn nicht eher bemerkte, als bis ich ihn ziemlich heftig getreten hatte, und mit allen Schmeicheleyen konnte ich es nicht verhindern, daß er im Schlafe heftig auffuhr und zu bellen anfing. Weil zum Glück aber im Sturme die Fenster heftig klapperten, einige Thüren aufgesprungen waren und hin und herschlugen, und man endlich in der Ferne das Anschlagen und Antworten einiger Bauerhunde hörte, so schöpfte ich guten Muth daraus und hoffte noch ziemlich unbemerkt davon gekommen zu seyn.
Sogleich auf das erste leise Anpochen öffnete sich der Sennora Schlafzimmer. Vielleicht hatte die Furcht sie schon lange auf mich warten gemacht. Sie war in der äußersten Bewegung, als ich zu ihr hineintrat, kaum konnte sie sich einer Ohnmacht in meinen Armen erwehren, und ob ich ihr gleich mit allen Trostgründen eines Mannes von Muth und Fassung zusprach, so waren sie doch unzureichend, ihr einige Kräfte zu geben. Es war der sonderbarste Kampf zwischen Neugierde und Furcht, zwischen Weiblichkeit und Schwärmerey, zwischen Schaam und Erwartung. Ja sie schien nicht sowohl für mich, als selbst von mir zu fürchten. Und nur nach mancherley Versuchen, ihre Leidenschaften zu benutzen, gelang es mir, ihr einige Hoffnungen rege zu machen.
Es war nicht zu leugnen, die Lage, in der sie sich jetzt befand, war gefährlich genug. Hätte sie dieselbe vorher in ihrem ganzen Umfange gekannt, so zweifle ich daran, soviel über sie jemals vermocht zu haben, sie zu einem solche Versuche zu bereden. Die stürmende Nacht, welche zwey ähnlich fühlende Seelen gewöhnlich auch körperlich vertrauter macht; die Gelegenheit, welche ihr jede Hülfe versagte, die Unordnung und Nachläßigkeit des Anzuges, durch die Furcht noch vergrößert; gleiche Gefahr und gleiche Besorgnisse hätten wohl die Tugend zweyer noch festerer Charaktere in Gefahr setzen können. Ich leugne es nicht, bey mir hätte es kaum der Hälfte von allem diesen bedurft, meine Sinne in einen Aufruhr zu setzen, wenn diese nicht mit meiner eigenen Gefahr zu sehr beschäftigt gewesen wären, zu solchen Betrachtungen sich Zeit zu nehmen. Ich sah alles, was mich in meinem vorigen Leben bekümmert und zu irgend einer Leidenschaft oder Empfindung aufgereizt hatte, wie auf diesem Punkte hingerichtet. Hier konnte sich vieles, selbst in meiner Geschichte, aufklären, und von diesem Moment auf irgend eine neue Art in Bewegung gesetzt, mußten sich alle Vorsätze für die Zukunft nach einer anderen Richtung hinlenken. Stand auch die Geschichte der Dame in keiner unmittelbaren Beziehung auf einen Theil der meinigen, so zeigte sie doch in der Entwickelung einen allgemeinen Charakter, der sie mir auf irgend einem Wege nützlich machen mußte.
Die fürchterliche Stunde der Mitternacht kam immer näher. Mit einem allgemeinen schauderhaften Entsetzen trafen wir einige Anstalten. Sie nahm in einem Winkel des Zimmers ihren Platz, ich ihre Stelle im Bette ein, ganz in mein Tuch gehüllt, und mit höchster Spannung auf alle Bewegungen neben mir lauschend. Das geheimste Geräusch in der Luft, ja ich möchte sagen, das Athmen des Holzwurmes entging meiner Einbildungskraft nicht. Nichts war mir zu gering und unbedeutend, daß sich nicht irgend eine schreckliche Erscheinung daraus hätte entwickeln können. Das Gebell der Hunde, selbst das Krähen der Hähne war mir verdächtig.
Zwölf Uhr endlich. Ein kleines, kaum merkbares Säuseln in der Luft. Ein, wie etwas verstärktes Anschlagen und Zischeln des Regens an den Fenstern. Ein Knarren in dem Holzwerk des Bettes, und des ganzen Gemachs. Die Gegenstände werden immer sichtbarer und deutlicher, die mondhelle Dämmerung klarer und entschiedener, die Objekte gerathen in eine schimmernde Bewegung.
Auf einmal rauschten die vor meinem Bette festzugezogenen Vorhänge auf, und nachdem das ganze Lager sich gleichsam etwas aus seiner Stelle verrückt hatte, setzte sich eine verhüllte Gestalt, mit einem milchweißen Lichte umgeben, zu seinem Fuße hin. Der erste Schreck blendete mich im Anfange, daß ich nichts als die Umrisse der Figur wahrnehmen konnte. Nur allmählig fand ich aus der tiefen Verhüllung das Gesicht eines schon alten Mannes heraus, von Blute etwas entstellt, einen starren Blick auf mich hinheftend. Er bewegte die eine Hand etwas, als wenn er sprechen wollte, ohne doch einen Laut von sich zu geben; und nachdem ich noch eine halbe Minute lang darauf gewartet hatte, richtete ich mich gerade im Bette in die Höhe.
Auf diese Bewegung, die mit einiger Heftigkeit geschah, fuhr die Gestalt etwas zurück. Dies gab mir einigen Muth, denn einem Geiste konnte so etwas nicht ganz unerwartet seyn. Und so wie ich mich vollends aus den Bettvorhängen hervorwickelte, so stand er schnell von seinem Sitze auf, einige Schritte erschrocken sich zurückzuziehen. Er stieß sogar, wie es mir vorkam, einen Laut aus, der mir bekannt war, und der keiner Erscheinung angehören konnte, und dies war für mich eine Aufforderung ihm noch näher zu kommen. Ich sprang hierauf auf ihn zu, und dieser Augenblick gab mir die volle Ueberzeugung, daß es ein menschliches Wesen war, das ich vor mir hatte. Ein Dolch drang aus der Hülle heraus, durchbohrte mir den linken Arm, und nur mein Panzer hielt einen zweyten Stoß zurück, den ich sonst mit meinem Leben bezahlt haben würde. Aber ich umschlang ihn nun so fest, daß er sich nicht mehr zu rühren vermochte; einer mehr als menschlichen Kraft, welche vielleicht noch durch Wuth und Verzweiflung noch lebhafter angefeuert wurde, setzte ich Fassung und Gewandheit entgegen, seine heftigen und wiederholten Stöße parirte ich mit meinem Arm, oder machte sie durch meine Verpanzerung unschädlich; wir rangen ohne Laut, ohne ein vernehmliches Geräusch, wie zwey wüthende Löwen; wir fielen zum Boden, und meiner selbst schon ganz unbewußt, halb in der Anstrengung schon erliegend, ergriff ich, mein Leben zu retten, das letzte schreckliche Mittel, ich riß meinen Dolch hervor, und zwey Stöße machten unserem Streite auf einmal ein Ende. Er starb ohne einen Ton. Ein langer, langer Seufzer war sein letztes Wort. Aber seine erstarrenden Arme ergriffen mich noch in den letzten Verzuckungen des Todes, er hatte mich so wüthend umschlungen, daß er auch da noch nicht loßlassen wollte.
Die Dame kam mir endlich zu Hülfe. Sie steckte ein Licht an dem im Vorsaale noch brennenden Kronleuchter an. Wir zogen die Hüllen von dem Leichnam herab. Welch schreckhaftes Erstaunen, als wir sein Gesicht erblickten! Es war der junge schöne Mann, den ich am ersten Abend hatte kennen gelernt.
Mein erster Blick war hierauf auf meine Wirthin geheftet. In ihrem Gesichte wechselten eine Menge von Leidenschaften, die ich nicht zusammen erwartet hatte; Erstaunen, Neugierde, Angst, Liebe, Schmerz und endlich behielt Unwillen die Oberhand. Ich erwartete jetzt, sie würde mir danken für die Aufopferung meines Lebens, das ich für sie so ganz uneigennützig aufs Spiel gesetzt hatte; aber von alle dem nichts. Nachdem sie wie ganz erstarrt das Licht mit ausgestrecktem Arm darauf eine Weile lang hingehalten hatte, setzte sie es zur Erde nieder, fiel selbst auf die Knie, beugte sich über den Leichnam, riß ein Schnupftuch hervor, hielt es vor der blutenden Wunde, und küßte den erbleichenden Mund. Von dem größten Erstaunen ausser mich gesetzt, hing ich mit starren Blicken an diesem sonderbaren Auftritt. Ihre konvulsivischen Gebehrden überzeugten mich wider meinen Willen, daß ihr Schmerz von einer so tiefen, heftigen Art seyn mußte, alle ihre Ausdrücke zu hemmen.
Nachdem sie so eine gute Weile gelegen hatte, stand sie endlich auf; und mit jener niedergeschlagenen, melancholischen Kälte im Gesichte, welche den Anfang unserer Bekanntschaft bezeichnete, hielt sie mir den Leuchter vor, und sagte: »Auch wieder ein Mörder.« Dann wandte sie sich um, und ging zum Zimmer hinaus, nachdem sie sich noch einmal nach mir umgesehen hatte. Ich erstarrt vor Verwunderung, hatte nicht Kräfte genug, ihr zu folgen.
Ich schlich mich in mein Zimmer zurück, ohne mit mir selbst einig werden zu können, wie sich dies alles endigen werde. War es Liebe zu dem Todten, was sie in diesem entscheidenden Augenblicke, den ich schon mit dem Erguß des dankbarsten Enthusiasmus im Voraus genoß, so abschreckend von mir entfernte? – War es Abscheu gegen den blutigen Ausgang des Streites? – War es ein Ausbruch des Schreckens? eine Szene der Wiedererinnerung? Oder was war es. Nie habe ich eine Nacht in einer peinlichern Verlegenheit zugebracht. Mit Ungeduld erwartete ich den Anbruch des Tages, und doch brachte er mir nicht mehr Licht.
Zur gewöhnlichen Zeit des Frühstückes ging ich zum Zimmer der Dame. Es war verschlossen. Eine Kammerfrau kam mir zu sagen, daß sie mich heute früh nicht sprechen könne. Man brachte mein Frühstück im Garten, und ich in demselben meinen ganzen Vormittag zu. Am Mittag ging ich zu der nemlichen Thür; aber auch diesmal pochte ich vergeblich. Ich fand mein Essen in meinem Zimmer, und auf meinem Teller einen versiegelten Brief. Sein Inhalt war der folgende:
»Sie haben mich an den Männern wieder irre gemacht. Forschen Sie nicht: wodurch? Sie haben mir die größte Seligkeit, ohne Ihre Absicht, geraubt, die mich hätte noch trösten können. Begnügen Sie sich daran. Niemals kann ich Sie wieder sehen. Versagen Sie mir die Bitte nicht, mir Ihren Anblick zu entziehen, der für mich der Anlaß unaussprechlicher Leiden ist. Verzeihen Sie einem armen und bedrückten Weibe, das Ihr Mitleiden verdient, und vergessen Sie mich.«
Meine erste Bewegung war tiefer Unwillen, als ich diese Zeilen laß, und auf der anderen Seite des Briefes schrieb ich folgende Worte:
»Sie kennen die Absichten, die ich haben konnte, als ich mich der Gefahr überließ, Sie von der Ihrigen zu befreyen. Sie kennen die Liebe, mit welcher meine Seele der Ihrigen begegnete; aber Sie müssen den Stolz auch kennen, der meine Handlungen leitet. Wenn nicht ein Ungefähr uns wieder zusammenführt, so haben Sie mich in jenem blutigen Augenblicke zum letztenmale gesehen. Ich wünsche es, daß Sie einen Unglücklichen vergessen, den Sie unschuldig kränken.«
Mit diesem Brief stand ich sogleich auf, und verließ das Zimmer. Nachdem ich im Vorzimmer eine peinliche Viertelstunde gewartet hatte, kam eine ihrer Kammerfrauen, ich drückte ihr nebst einigen Goldstücken den Brief in die Hand, befahl ihr, denselben ihrer Dame zu geben, ging hinab, ließ mein Pferd satteln, und ritt mit der kältesten Ruhe und ohne mich nach dem Schlosse nur ein einzigesmal umzusehen, denselben Weg zurück, auf dem ich zu dem Schlosse gekommen war.
Ich würde Mühe haben, Ihnen, lieber Graf, von den Vorstellungen dieses Augenblickes etwas Bestimmtes zu sagen. Denn in Wahrheit, ich dachte gar nichts. Mir war es, als sey ich vom Schlafe aufgeschreckt, und könne mich noch nicht wieder besinnen. Die Welt kam mir ganz neu geschaffen vor, als weiter, weiter Raum, und ich nur ein einzelner Punkt in demselben.
Als ich den bekannten, oben erwähnten Kreutzweg berührte, so schlug ich ganz mechanisch den andern Abweg ein, den der Mann, mit dem ich hergekommen war, vor mir gegangen war. Er war angenehm kühl und die Mittagssonne brannte sehr heiß. Das matt herabsinkende, erschöpfte Strauchwerk athmete einen trägen Frieden, der mich selbst mit seinen Bildern anstecken mußte. Ich fand mich in diesem Augenblick noch ganz glücklich, einer solchen Gefahr meines Lebens mit einer solchen Erfahrung entronnen zu seyn; mein ganzes Leben gewann etwas Traumähnliches dadurch, und es fing bald an mir Vergnügen zu machen, es in seinem rosenfarben gewordenen Lichte langsam vor meiner Seele vorüberwallen zu lassen.
Der Weg ward immer breiter und breiter, und dehnte sich endlich in einen großen Rasenplatz aus, auf dem ich in einiger Entfernung mehrere Zelte aufgeschlagen sah, zwischen welchen einige Herren und Damen zu Pferde Uebungen anzustellen schienen. Bald aber ward ich gewahr, daß man hier zu einer Jagd sich vorbereitete, die Anzahl prächtig gekleideter Jäger und schöner Jägerinnen vermehrte sich, die Hunde sprengten in großen Kuppeln umher, und die Hüfthörner fingen an sich hören zu lassen, mit dem Kläffen der Hunde und dem wilden Wiehern der Pferde vermischt. Die Jagd näherte sich endlich. Ich bog aus der Hauptstraße aus, um sie bey mir ganz demüthig vorüberziehen zu lassen, und den Putz der schönen Damen mit Muße betrachten zu können. In der That läßt sich nichts so Prächtiges denken, als dieser Aufzug war, Juwelen, Gold und Silber, und was die Kunst der Stickerey nur Auffallendes ersinnen kann, – alles war darin geschmackvoll und wollüstig verschwendet.
Sie zogen bey mir langsam vorüber. Niemand würdigte mich eines Blicks. Sie waren mit der Jagd so sehr beschäftigt, und meine Gestalt war auch wie mein Aufzug nicht sonderlich glänzend. Als auf einmal aus den letztem Reitern, welche einige Damen begleiteten, ein galanter Herr mit seinem Pferde aus der Reihe der übrigen zu mir herüber ausbeugt, mir starr ins Gesicht sieht, eine laute Lache aufschlägt und ausruft:
»So wahr ich lebe, das ist der Marquis von G** – Guten Tag, Karlos. Welcher Teufel führt Dich hieher, und noch dazu in diesem glänzenden Aufzuge?«
Ich sehe mich zu meiner Beschämung erkannt. Der junge Herzog von S*, einer meiner besten Jugendfreunde steht vor mir. Die ganze Jagd geräth in Unordnung. In wenig Augenblicken bin ich von einer Menge schöner Damen und Herren umgeben, die nicht wissen, woran sie sind, und wie sie dies Abentheuer nehmen sollen.
Endlich ergreife ich die beste Parthie. Ich lache überlaut auf, umarme den Herzog, er stellt mich der Gesellschaft vor, mit dem Zusatz, ich sey ein Abentheurer, den man hier festhalten müsse, ich lasse mich auf der Stelle zu dem Versprechen bereden, einige Zeit auf seinem benachbarten Schlosse zubringen zu wollen; man giebt mir ein Jagdpferd, man ernennt mich zum Begleiter einer der schönsten Damen der Gesellschaft, der Donna Augusta F*, ich jage mit, und als man einiges Wild gefangen hat, und ganz erschöpft ist, kehrt man unter munterm Scherz, zur Abendmahlzeit nach Hause zurück.
Es ist unmöglich, eine reizendere Gesellschaft versammelt zu sehen, in ihr ein angenehmeres Gemisch von Gestalten und Geistern sich vorzustellen, als diese darbot. Da war keine Figur, die nicht auffiel, kein Charakter, der sich nicht mit einem andern in irgend einem Kontraste befand. Reichthum und Mannichfaltigkeit der Gruppirung that hier dem inneren Gehalte keinen Eintrag, und meistens war noch mehr Werth als Schein. Alles athmete Witz und Laune; alles Größe und Tiefe des Gefühles; eine Empfindung drängte künstlich die andere fort, und doch war in allen so viel Natur, daß sie sanft sich mit einander vereinigten. Jede schien ihre eigene und besondere Existenz aufgegeben zu haben, um für irgend eine andere, oder für das Allgemeine zu leben.
Die Zierde des Ganzen war Don Eduardo Graf von V**. Diesem edlen, vortreflichen junge Manne hier in dem Herzen meines Freundes ein kleines Denkmal zu stiften, ist meine Pflicht. Ich habe es mit dem heißesten Entzücken gefühlt, was es heißt, sein Freund zu seyn; von ihm gestärkt und geleitet, verfolgte ich meine schwere und kummervolle Laufbahn kühner und glücklicher, und mit thränender Rührung bemächtigt sich eine beklommene Erinnerung seines Umganges oft meiner Seele.
Der Graf von V** stammte aus einer alten griechischen Familie her, die sich in Italien einheimisch gemacht hatte. Früh seinem Vaterlande entfremdet, von Natur und Erziehung mit allen Anlagen geschmückt, die für jeden Gegenstand empfänglich machen, hatte er sich bald in einem Lande naturalisirt, in dem man den Ausländer am längsten und leichtesten erkennt. Er hatte auf großen und anhaltenden Reisen das Gute und Schöne fast aller Nationen gesammelt, um es in sich zu vereinigen: er sprach viele ihrer Sprachen vollkommen, und verstand das Angenehme und Allgemeine noch mehrerer ihrer Wissenschaften. Ganz Beobachter, ganz Gelehrter, ganz Hofmann, konnte er verbergen und zeigen, was er nur wollte.
Alle Liebenswürdigkeiten des feinen Witzes, eine vollkommene Schärfe der Urtheilskraft, die zarteste Biegsamkeit der Gedanken und Vorstellungen überzeugten beym ersten Anblicke fest, er sey nur für die Gesellschaft geboren. Er hatte zwar keinen vollkommen schönen Körper; seine Hände und Beine hätten immer besser gebildet seyn können. Aber er besaß einen leichten und feinen Anstand, und die angenehmste Gesichtsbildung von der Welt. Seine großen, blauen, schwärmerischen Augen sprachen zu jedem guten Herzen. Eine feingebildete Stirn, eine vollkommen schöne Nase und das lieblichste Mienenspiel gaben seinem Gesicht allen Ausdruck, den man in ihm lesen wollte. Er war Meister über alle seine Bewegungen und in der großen Kunst gänzlich eingeweihet, jeder Lage sich anzueignen, und das Eigene und Natürliche eines jeden Standes zu fassen. In den glatten Zirkeln der großen Welt war er der gewandteste Hofmann, im Mittelstande ein artiger und wohlgezogener Bürger, unter Landleuten ein wißbegieriger, naiver Bauer; in jeder Lage aber gleich anbetungswürdig.
Aber wie bin ich im Stande, Rechenschaft von seinem Herzen zu geben, das so groß und rein für alles schlug, was den Menschen adelt. In allen seinen Eigenschaften paßte der Graf für sein Zeitalter, aber sein Herz war für das jetzige zu früh gekommen. In den Tiefen der dunkelsten Vorzeit versunken, lebte er nur für die entfernteste Zukunft. Ohne eine Welt zerrütten zu wollen, in der er doch so manches fand, was ihn an sich zu ziehen und zu fesseln vermochte, schmachtete er in schwärmerischer Begierde, sie für den Genuß eines Himmels zu bilden. Er fand nichts mehr auf Erden, was ihn freuete und was ihn bekümmerte, als seiner Freunde Wollust und Schmerz. Er liebte, und liebte mit voller Seele, aber er war mit seinen Schwärmereyen nie auf der Welt, und lebte nur glücklich in der Versetzung seiner Gefühle, bis in die entferntesten Zeitalter hinauf, unter Rosen und einem ewig heiteren Himmel, in der Idyllenruhe des Schäferlebens.
Unzähligemale hatten ihn die Menschen getäuscht, seine Freunde waren gegen ihn treulos gewesen; ihn hatte seine Familie verstoßen, seine Geliebte betrogen, alle Erfahrungen waren im gefülltesten Maaße gemacht, welche ein offenes Herz in einer ränkevollen Welt erwarten und in sich zurückdrängen. Nirgends hatte er ein Herz gefunden, seiner werth und alles zurückgebend, was er ihm anbot. Jetzt schloß sein Geist sich nur dem engen Kreise seiner Vertrautesten auf, und auch hier nur sehr selten. Was sollten auch seine ernsten Gefühle unter schwärmender Fröhlichkeit? – Was im Taumel, neben Reiz und Wollust? –
Jene Donna Augusta F** war seine Geliebte, und gewiß, sie mußte glücklich seyn. So mit allen Ansprüchen auf freudigen Genuß, ganz von jener Empfänglichkeit für männliche Größe durchdrungen, so ganz in ihrem Eduardo vertieft, vermocht er wohl sie ganz zu befriedigen. Niemals hat es auch ein zärtlicheres Einverständniß gegeben, der Genuß derselben stieg durch zarte Delikatesse und Verstohlenheit zu einer hinreißenden Höhe. Wer sie nur halb kannte, und nur halb mit ihnen fühlte, sah jedem Worte, und jeglicher kleinen Handlung den heimlichen Wunsch, die schüchterne Beziehung an, welche, indem sie unaufhörlich sich zu verrathen befürchtet, doch nichts ängstlicher besorgt, als übersehen zu werden.
Augusta war von einer reizenden Gestalt. Man kann wohl schöner, aber man kann unmöglich bezaubernder seyn. Diese immer junge Anmuth im dunklen Auge, dieser geschmeidige Mienenwechsel, dies lockende Lächeln, diese schöne Rundung, dies klare Kolorit trifft sich niemals wieder zusammen. Ein nymphenhafter Wuchs vollendete das Ganze.
Ihre Laune und selbst ihre Launen theilten der Gesellschaft eine ununterbrochene Lebhaftigkeit mit. Bald schweiften sie in gefälligen Spielen einer jugendlichen Munterkeit aus, bald verwickelte und verwirrte sie mit einem üppigen Witze alle Charaktere der Gesellschaft untereinander, bald stimmte sie alle zu Ernst und Schwärmerey, allen schien sie gleich viel zu geben, um endlich an ihrem Eduardo desto freyer zu hängen. Kein Moment war dem andern gleich, und jeden ließ man bemerkt und ungern verrinnen. So der Abgott aller hielt sie die Glieder durch die Bande der Freundschaft und der Liebe zusammen, und indeß sie die Uebrigen durch kleine reizende Intriguen gruppiren half, fand sie unvermerkt zu ihrer eigenen Glückseligkeit Zeit.
Außer diesen beyden Hauptpersonen gab es noch einige in der Gesellschaft, die nicht auf irgend eine oder die andre Art zu ihrer Vollkommenheit beygetragen hätten. Unser Wirth, der Herzog von S* war selbst ein Charakter von der ersten Größe für die allgemeine Unterhaltung. Schon frühe hatte ich ihn als einen sehr liebenswürdigen Mann kennen gelernt, der mich mit vieler Zuneigung an sich zu fesseln verstand, und obgleich nachher der Hof und die große Welt durch ihre Schmeicheleien manche schöne Nüance seines Charakters etwas verändert hatte, so war ihm doch von allen doch noch gerade genug übrig geblieben, um die Menschen zu lieben, und ihre Gegenliebe zu gewinnen. Unter allen seiner Gesellschaft war er der verschlagenste Hofmann, ein Chamäleon, ohne viel von einer eigenen Farbe mehr besitzend, alle Formen mit gleicher Leichtigkeit wechselnd, und in allen Formen wie neugeboren, mit der gelenkigsten Zunge, mit der nachgiebigsten Vernunft und Einbildungskraft, ein schmeichelhafter Spiegel für jeden, der darinn sich zu besehen Behagen fand. Sein feiner Epikureismus, der sich immer klüglich in denjenigen Schranken zu halten verstand, welche Ton und Umstände vorschrieben, trug zum Vergnügen des Ganzen unendlich viel bey. Er war der feinste Wollüstling, den ich jemals gekannt habe, mit der Lust spielend, die unter seinen Händen sich in tausenderley Gestalten schmiegen mußte, aus allen Umständen Freude schöpfend, alle Umstände zur Freude bereitend, er selbst ohne Kummer und ohne Fähigkeit dazu, gleichgültig gegen alle Vorfälle des Lebens, gelassen ohne Leidenschaften, ausser der des Genusses. Selbst Traurigkeit ward bey ihm eine Aufmunterung zum Vergnügen, und jede Thräne schuf er sich gleichsam zu einem Rosenblatt um.
Alle diese Leidenschaften machten ihn zum Liebling der Weiber. Ohne selbst einen glänzenden Vorrath von natürlichem Witze zu haben, hatte er sich doch einen künstlichen durch Studium und Lektüre gesammelt, und er besaß die große Wissenschaft im höchsten Grade, eine beschränkte Anzahl von Ideen auf eine Art aufzuputzen und auszubreiten, welche einen wahren Reichthum vermuthen ließ. Tanz, Musik, Spiel und Jagd, alles schlug in sein Lieblingsfach ein, und von allen Wissenschaften kannte er die glänzende Oberfläche.
Sein Körperbau paßte ganz genau zu dieser Stimmung seines Geistes und Herzens. Nichts Athletisches, nichts männlich Starkes, und männlich Schönes, aber desto mehr Ueppiges, Schlaues, Verstohlenes. Eine Schlankheit ohne Weibermäßigkeit; ein feines hin und wieder Laufen aller Mienen und Muskeln, ohne Carrikatur; ein nie entstandener Wechsel der Leidenschaften in einem kleinen niedlichen Gesichte, ohne Uebereilung; die schönsten, kleinsten, weissesten Mädchenhände, ein sauberer Fuß, und eine artige Wade, welche sich sämmtlich gut darzustellen wußten, machten zusammen den wollustathmenden und wollusteinflößenden Theil eines Alzibiades aus.
Sein Bruder, Don Pablo S* spielte dagegen einen kleinen Philosophen. Es war seltsam, daß es schien, als habe sich der Graf von V** in zwey Theile getheilt, um diese beyden Menschen zum Vorschein zu bringen. Dem Herzog war das Schöne, diesem das Ernste desselben zu Theil geworden; beyde hatten es nur auf ihre eigene Art ausgebildet und hin und wieder übertrieben. Don Pablo war die Trockenheit selbst; aber eine äußerst belustigende Trockenheit, mit einer Art von Witze, die alle zum Lachen hinreißt, ohne selbst eine Miene verziehen zu dürfen, mit einer armen Einbildungskraft, aber recht, recht vieler Weisheit, die er aus allen Philosophen des Alterthums sich zusammengelesen hatte. Geist und Körper waren bey ihm derb und riesenhaft, und er würde ohne Zweifel mit diesen Eigenschaften der Gesellschaft zur Last gefallen seyn, wenn nicht eine Dame derselben das Mittel gefunden hätte, diesen Löwen biegsam zu machen. So aber fehlte er gewiß bey keiner Parthie, und ermangelte nie, sie nach Vermögen und Wissen glänzend zu machen.
Unter den Damen verdiente ohne Bedenken die Gemahlin des Herzogs, Donna Elvire nach Augusten den ersten Rang; das tollste widersinnigste Geschöpf auf der Erde, halb Mann, und doch mit einer guten Anzahl von ganz weiblichen Launen wohl versehen; mit ziemlich festem Charakter und Ideen. Aber was war das für ein Charakter? eine seltsame Mischung von bösen und anbetungswürdigen Grillen.
Sie besaß das vortreflichste Herz, das nur Menschenliebe athmete, aber sie handelte zuweilen hart, um es nur nicht merken zu lassen, daß sie es besaß. Da sie einmal auf einem guten Wege betrogen und gemißhandelt seyn mochte, so bildete sie sich ein, man könne diesem nur ausweichen, wenn man recht böse zu seyn schiene. Aber kurz darauf bereuete sie ihre Grillen, und hatte dann alle Hände voll zu thun, um sie nur wieder gut zu machen. Bald weinte, bald lachte sie, ohne die mindeste Ursach; nur allein, weil es ihr so einkam. Zuweilen fand sie das Traurige sehr drolligt, und dann wieder das Drolligte sehr traurig. Eine Minute hing sie mit Leidenschaft an etwas, was sie die vorhergehende von Herzen verabscheuet hatte.
Und was hierbey noch das Tollste war, so hatte sie so viel Geist und Beredsamkeit, daß sie die eine Hälfte der Gesellschaft überzeugte, und die andere überredete, in diesem Augenblicke habe niemand als sie Recht, und in dem folgenden bewies sie es ganz anschaulich, wie abgeschmackt wir alle gewesen waren, ihr unsern Beyfall zu geben. Wehe dem, der in sie verliebt war. Dies Unglück hatte nicht nur ihren Schwager, sondern auch noch zwey andere junge Herren in der Gesellschaft getroffen. Diese alle mußten mit einer gänzlichen Sklaverey alle ihre Einfälle bezahlen, und da es der Zufall gerade wollte, daß alle dreye ihrer Liebhaber eine Gattung von Philosophen waren, so gab dies der Gesellschaft zu hundert Lustbarkeiten Veranlassung. Niemand konnte sie etwas im Zaume halten, als der Graf von V**, der ihren Launen schmeichelte, ohne jener männlichen Würde etwas zu vergeben, welche sich des weiblichen Herzens immer versichert.
Eine junge Engländerin, Elisabeth B*, welche der Herzog von seiner Reise als ein junges Mädchen mitgebracht, und die nun sich zu einer reizenden Schönheit ausgebildet hatte, war eine Hauptzierde unseres Zirkels. Ihre Gestalt war ohne Bedenken unter denen aller Damen die vollkommenste. Sie hatte alle Vorzüge des Nordens im Aeußeren, und die des Süden in ihrem Inneren. Die Erziehung, welche sie von ihrem Pflegevater, dem Herzog und seiner Gemahlin genossen hatte, und die darauf abgesehen war, sie zu der wollüstigen Stimmung des Clima zu leiten, hatte gerade das Gegentheil hervorgebracht, eine Kälte ohne Maas bey den feurigsten Ideen, Gleichgültigkeit bey Wärme der Einbildungskraft, und mitten unter den Zerstreuungen und Ueppigkeiten des hitzigsten Himmelsstrichs, einen entschiedenen, unwandelbaren Hang zum Studiren und zur Aufklärung ihres Geistes. Sie hatte alles benutzt, was die Gelegenheit ihr nur darbot, um ihren Verstand zu bereichern, und hatte mit geringen Hülfsmitteln die erstaunlichsten Wirkungen hervorgebracht. Indem sie sich nur auf diese Art des Vergnügens beschränkte, hatte sie doch darum nicht den Freuden der schönen Künste entsagt, sie spielte verschiedene Instrumente meisterhaft, und war in keiner Wissenschaft ein Fremdling, welche das Leben verschönern.
Der Herzog hatte das Unglück, in seine Pflegetochter mit ganzer Seele sich zu verlieben, eine Liebe, die sie ihm, ihrer Dankbarkeit unbeschadet, mit der abschreckendsten Kälte zurückgab. Auf seinen Charakter hatte sie einen sehr vortheilhaften Einfluß. Er ward ernsthafter und auf die Art seiner Vergnügungen aufmerksamer. Er entsagte manchen seiner Lustbarkeiten, weil sie seiner Elisabeth nicht gefielen. Er fand einen neuen Weg zur Freude in dem schönen Spiel der delikatesten, verstohlensten Liebe.
Unser Zirkel bestand noch aus mehrern sehr interessanten Gemälden. Ich will Sie aber, liebster Graf, nicht mit einer Gruppirung derselben ermüden, welche nichts weiter hilft, um Ihnen den Gang meiner Begebenheiten verständlich zu machen. Die Gesellschaft paßte zu einander und keins davon war überflüßig. Jeder war glücklich, indem er der Hauptidee seines Geistes und seiner Stimmung ganz frey zu folgen im Stande war, und das Allgemeine machte ihn für sich brauchbar, indem es diese in das Gewebe seiner Lustbarkeiten künstlich einzuflechten verstand.
In kurzer Zeit war ich mit dem Geiste dieser Art von Geselligkeit völlig bekannt, oder ich möchte lieber sagen, ich fühlte mich von ihm etwas angesteckt. Man athmete auch nichts als Zauberey; man ging feenmäßig zu Bette und stand feenmäßig wieder auf. Neue Erfindungen Schlag auf Schlag, und in jedem etwas, das die Sinne und den Geist reizte und befriedigte.
Hierzu kam noch ein neues Interesse, das mich der Gesellschaft noch zärtlicher aneignete. Ich wurde allmählig der Nebenbuhler des Herzogs bey der schönen Engländerin. Ich wollte mir es zwar selbst nicht gestehen, aber ich war es zur Belustigung der ganzen Gesellschaft schon lange vorher, ehe ich nur Zeit gehabt hatte, mit mir selbst darüber Rücksprache zu nehmen. Ich war der, der dies Geheimniß zu allerletzt bemerkte. Da ich mich nicht ganz für den Witz und die Ueppigkeit der andern mehr schickte, so trieb mich ein innerer Instinkt dahin, zur Philosophie meine Zuflucht zu nehmen. Indem diese mit mir bekannter wurde und mich einer Aufnahme nicht für unwürdig fand, so kam ich bald dahin, sie für diese Kühnheit mit dem Verlust meiner Freyheit bezahlen zu müssen. Sehen Sie, lieber Graf, was für ein unendlich schwankendes Geschöpf ich damals noch war, ohne alle Haltung, ohne ein festes System, und doch immer mit der unauslöschlichen Sehnsucht darnach.
Elisabeth B* schien mich nicht ungern zu sehen. Ungeachtet ihrer anscheinenden Verschlossenheit besaß sie ein gewisses Selbstgefühl, das seine Schönheit und Größe nicht ungern mittheilt. Sie hatte aber keinen dicht neben sich, der sie recht verstand, oder verstehen wollte. In diesem Augenblick bot ich mich ihr an. Die Liebe des Herzogs war wahrscheinlich nur vorübergehend, und gewiß ohne Zweck; mich aber durfte sie hoffen, auf immer zu fesseln. Ich getraue mir nicht zu behaupten, daß es gerade Liebe war, was sie zu mir empfand: aber es war ein gewisses Bedürfniß, eine gewisse Leere, welche die Stelle von jener so oft und so täuschend vertritt.
Die kleine Hexe war aber so spröde, daß sie mir dessen ungeachtet nichts von ihrer Zuneigung merken lassen wollte; wenigstens schnitt sie mir ihre Gunstbezeugungen in so kleinen Bissen und so sparsam zu, daß ich öfterer ungeduldig als nach größeren Gunstbezeugungen begieriger ward, was ihre Absicht seyn mochte. Zuerst bey einem großen Feste, das der Herzog veranstaltete, nahm ich mehr davon wahr, daß das, was ihr Herz zu mir hinzog, nicht mehr so willkührlich seyn mochte, als es im Anfange geschienen hatte.
Auf dies Fest waren schon seit einigen Wochen große Zubereitungen getroffen. Es war nichts weniger als eine Nachtkomedie. Der Herzog hatte hierzu einen gelegenen Platz seines Gartens benutzt. Das Theater war von nichts als Heckenwerke gemacht, die Kulissen waren mit einer verschwenderischen Pracht aus Geweben von Orange- und Citronenbäumen zusammengesetzt, und das Ganze wurde durch eine vortrefliche, künstlich versteckte Illumination mit kolorirten Feuern feenmäßig erhoben. Man leitete zwey kleine Bäche zu einer ungewöhnlichen Höhe hinan, um sie durch silberne Röhren zur Kühlung der heißen Sommernächte in ein alabasternes Bassin herabfallen zu lassen, die Bäume waren mit Nachtigallen in Käfichten besetzt, welche durch das Säuseln der Flöten aufgefrischt, ihre Melodien mit dem sanften Rieseln des Baches vermischten. Alles war regelmäßig zu einer schönen Einheit geordnet, und alles mußte im Ganzen die Wirkung daher bis zum Erstaunen vergrößern.
Das Stück, welches eigentlich nur zum Eingang des ganzen Festes dienen sollte, war eine kleine Farce aus der Fabrique des Herzogs selbst. Es hatte nicht sehr viel inneres Verdienst, aber es war auch lediglich nur für das Auge berechnet. Der Glanz der Kleider und der Dekorationen, die Treflichkeit des Orchesters und die unendliche Anmuth einiger Stimmen, vorzüglich aber die Feinheit der Schauspieler und Schauspielerinnen, und die Nüancen, welche das persönliche Interesse einer jeden von ihnen seiner Rolle einweben hieß, machten, daß man das Stück wirklich für vortreflich in seiner Art ansehen konnte. Denn Sie müssen wissen, lieber Graf, wir alle hatten eine Rolle darin.
Der Faden der Geschichte war folgender ganz einfache. Ein Herr von Stande verliebt sich in seine Gärtnerin, sucht ihre Gunst, und da er nichts umsonst von ihr erhalten kann, verspricht er ihr die Ehe. Sie aber hängt mit ganzer Seele an einem jungen Bauer und ungeachtet Vater und Mutter durch die Aussicht der hohen Anverwandtschaft geschmeichelt, eine Menge Künste in Bewegung setzen, trotz allen Vermahnungen und Bitten der ganzen Familie, ein solches Glück nicht von sich zu stoßen, heyrathet sie doch ihren Schäfer am Ende.
Die Rollen waren nun folgendermaßen vertheilt. Die schöne Gärtnerin war Elisabeth B*, ich der vornehme Herr; dies war natürlich, was aber noch natürlicher war, so spielte der Herzog den verliebten Schäfer. Vor der Ausführung konnte gegen diese Vertheilung niemand mit Grund eine erhebliche Einwendung machen; der Herzog hatte aber ihre bösen Folgen zu tragen, als man den Vorhang aufgezogen hatte. Denn außerdem, daß der Schäfer gar im geringsten nicht die vortheilhafte Aufnahme bey der Gärtnerin fand, die ihm doch eigentlich gebührt hätte, so war der vornehme Herr einigemale sehr, sehr nahe daran, sie zu erweichen. Ja, sie vergaß sich zuweilen selbst so weit, daß sie die beyden Herren verwechselte, und dem einen etwas auftischte, was für den andern zubereitet war. Indeß lief alles noch ohne sonderliche Unterbrechung so ziemlich bis zu den letzten Augenblicken ab, wo sie endlich ihre Hand, nachdem sie dieselbe zehnmal unwillkührlich zurückgezogen hatte, dem Schäfer unter dem Segen der Mutter und dem Freudengeschrey aller spielenden Personen reicht.
In diesem kritischen und schrecklichen Augenblicke lößte sich das Stück mit einer ganz andern Katastrophe auf, als in dem Buche des Verfassers stand. Eine große Katze, die auch ihr Theil von dem allgemeinen Schmause haben wollte, mochte schon lange in der Nähe gelauscht haben, um gelegentlich den Nachtigallen beyzukommen. In diesem Moment sprang sie von einem Baume zum andern, und da der Ansatz zu kurz war, fiel sie mitten in eine Gruppe der staunenden, im Hintergrunde versammelten Familie. Man kann sich den Schreck über die plötzliche Erscheinung derselben vorstellen. Ein allgemeiner Schrey, und ein verwirrtes Untereinanderlaufen. Elisabeth, die nichts von der Ursache dieses Geräusches begriff, zog ihre Hand zurück, ließ Mutter und Schäfer stehen, und schmiegte sich ängstlich an den Guthsherrn an. Die Ursache des Lerms, die große Katze war aber auf einmal wieder verschwunden, die Gesellschaft gruppirte sich wieder, das laute Gelächter der Erschrockenen verlohr sich in ein leises Gekicher, die in Unordnung gerathenen Mienen legten sich allgemach wieder in ihre vorgeschriebenen, gesetzmäßigen Falten; nur Elisabeth schien zu einer Bildsäule geworden zu seyn, sprachlos staunte sie immer noch nach dem Orte hin, und hatte mich fest umschlungen, um nicht nieder zu sinken. Sie zitterte über und über. Da die Gesellschaft wieder zu sich selbst kam, und die Hauptperson unter ihren Händen verschwunden fand, so trat man uns näher; und das Schauspiel endigte sich damit, daß man sie zu einem benachbarten Sitz führen mußte, wo sie sich nur sehr langsam und mit großer Beschämung wieder erholte. »Hieraus will ich mir zwey Regeln nehmen,« sagte der Herzog, als das Fest geendigt war, lautlachend; »zuerst, nie mein Glück bey schönen Bauermädchen zu versuchen, und zweytens, mich nie in der freyen Luft zu vermählen.«
Der Herzog war unerschöpflich in solchen Festen. Ich will Ihnen nur noch eine kurze Idee von den zweyen letzten geben, denen ich beywohnte.
Das erste nennte der Herzog das Fest des Neptuns. Eigentlich hätte er es aber das Fest der Faunen nennen sollen.
Das Ganze war nichts als eine große Maskerade, zu der er, um sie recht glänzend zu machen, alle Nachbaren hatte einladen lassen. Wer versäumt aber eine solche Gelegenheit, sich zu vergnügen, zu sehen und gesehen zu werden. Mit Tagesanbruch war alles mit Menschen schon angefüllt, nach der Vorschrift des Festes geputzt.
Fast in der Mitte des Gartens befand sich ein Teich, in dem eine kleine Insel schwamm. Diese hatte er zu einer vollkommnen Grotte aufputzen lassen, in welcher alle Anstalten zu einer köstlichen Mahlzeit getroffen waren. Er selbst als Neptun gekleidet, mit allen seinen Attributen, in einem fleischfarbnen Atlas, mitten unter einer Menge von Meeresgöttern, schwebte auf einer goldenen Muschel von blasenden Tritonen gezogen, in diesem Bassin umher. Er hielt hierauf eine große, dazu eigends verfertigte Anrede, worinn er alle Unterthanen seines Reiches, selbst Nymphen, Dryaden und Hamadryaden unvergessen, die wohl nicht wissen mochten, wie sie zu dieser besondern Ehre kamen, ersuchte, sich heute einen lustigen Tag zu machen. Diese am Ufer versammelten Götter und Göttinnen, welche nach nichts weiter, als nach dieser angenehmen Anrede verlangt hatten, ließen sich es auch nicht zweymal gesagt seyn, sondern machten alle Anstalten, sich in dazu bestimmten Muscheln in das Paradies hinübertragen zu lassen. In so weit wußte die ganze Gesellschaft alles vorher; das folgende war aber Impromptü einiger Glieder derselben.
Indem also die schönen Damen ihre Füße eben in die Muscheln setzen wollten, rannte auf einmal ein großer Trupp von Faunen aus dem benachbarten Gebüsch unter sie; ein jeder bemächtigte sich einer Nymphe und zog sich mit seiner schönen Beute in seinen Hinterhalt zurück. Alles schreyet, alles ist bestürzt, endlich lacht alles. Aber die Götter am Ufer, denen gar nichts damit gedient seyn mochte, ihre schönen Hälften sich vor der Nase wegnehmen zu lassen, setzen sich in Bewegung, um sie mit Gewalt wieder zu holen. Aber die Faunen haben sich so gut verschanzt, daß ihnen nicht anzukommen ist. Sie laufen zurück, um mehr Hülfe zu holen. Tritonen und Nereiden verlassen ihr feuchtes Element und nähern sich drohend dem Feinde; dieser empfängt sie mit Gelächter und einem guten Regen von Tannzapfen. Neptun steigt selbst von seinem Wagen herab, um die Ordnung wieder herzustellen. Alles umsonst. Die Götter müssen sich entschließen zu kapituliren, und die Nymphen den Faunen die eine Hälfte des Abends zu überlassen. Das Ganze schließt mit einem Schmause, mit Musik und einem üppigen Tanz.
Das letzte war endlich die Nachlfeyer der Venus, wozu der Herzog einen eigenen Tempel von dem schönsten Marmor, mitten in einem Myrthenhaine hatte aufbauen lassen. Dies Stück der Baukunst schien dem schönsten Zeitalter griechischer Kunst entwendet zu seyn; so viel Pracht, mit so vielem Geschmacke künstlich geordnet, hat man niemals in einem so kleinen Raume beysammen gesehen. In der Mitte desselben stand die Statüe der Venus aus Alabaster gehauen, auf einem Altäre, halblebend, aber sprachlos.
Den Abend vorher war der Tempel mit Myrthenkränzen einfach aber edel aufgeschmückt. Zwey goldene Rauchpfannen warteten des Weyrauchs. Zwölfe der schönsten Mädchen in der Gegend hatte der Herzog aufsuchen und als Priesterinnen kleiden lassen. Man hatte sie die Gesänge gelehrt; eine ganze Zunft von Musikern war beysammen; alles wartete der Ausführung, man wird sehen, wohin dies alles eigentlich leiten sollte.
So wie der Abend herankam, erhub sich eine feyerliche Prozession vom Eingange des Schloßgartens an. Voran die Priesterinnen der Venus, weis gekleidet, mit Fackeln in den Händen; zwölf schlanke, nymphenhafte Dirnen; dann Venus selbst auf einem vergoldeten Wagen, in Begleitung ihrer Grazien, und sehr wider alles Costum, von vier schönen Schimmeln gezogen; hierauf die ganze Gesellschaft durch Zufall oder nach ihrer Herzensneigung gepaart.
Das Mädchen, welche die Göttin vorstellte, war wie geschaffen dazu; eine weiche, – ausnehmend wollüstige und einladende Schönheit und ganz von dem Geiste ihrer Verkleidung und ihrem neuen Range beseelt. Dicht hinterdrein führte der Herzog seine Elisabeth am Arm, dann der Graf von V** seine Auguste, die Herzogin ging mit Don Pablo, und mir hatte der Himmel zum Ergötzen aller Zuschauer eine gichtbrüchige Edeldame aus der Nachbarschaft zugesellt, ein Weib, das bey jeder Häßlichkeit des Alters, doch noch alle möglichen Prätensionen besaß, dem heutigen Feste Ehre zu machen. Nach den übrigen schlossen sechs verliebte Pärchen, welche der Herzog bey dieser Gelegenheit ausstatten und vermählen wollte, den Zug. Ein jeder trug eine Fackel.
Unter dem Jauchzen des Volkes erreichten wir endlich das Myrthenwäldchen. Eine süße Melodie von Flöten empfing uns und wir stimmten im Chore den vorgeschriebenen Gesang ein. Zwey Waldgötter gaben am Eingange einem jeden Liebhaber zwey Myrthenkränze, einen für seine Begleiterin, den andern für ihn selbst. Es war vorher ausgemacht, bey der Ceremonie des Aufsetzens seine Dame zu küssen. Keine hatte sich im Anfange gegen diese Einrichtung lauter gesträubt, als meine schöne Nachbarin, und keine nahm itzt den Kuß mit größerer Anmuth an.
Schon in der Ferne bemerkte man durch die Allee die Pracht des Tempels und seiner Erleuchtung. Von dem Schatten des dunkleren Grünes wunderbar erhoben, stand er in einer Art von Verklärung; die trefliche Musik, die stille Feyer des Zuges, die wahrhaft griechisch einfache Melodie des Gesanges, die nette Verkleidung, und selbst der Myrthenduft, – alles täuschte. Man war auf Cypern versetzt. Und indem der Tempel seine milchweißen, mit Laub dekorirten Marmorsäulen aus dem röthlichen Fackeldufte und aus dem Lichte seiner Verklärung immer unterscheidender hervorhob; wie ich seine Stufen hinanstieg, wähnte ich einen Augenblick selbst, in jenem Zeitalter zu leben, wo man die Kunst zu genießen kannte, wo sie selbst eine Wissenschaft war, wo jede Leidenschaft sie verschönerte, und wo alles selbst durch sie sich zu schmücken verstand.
Die Erleuchtung war überdem so künstlich versteckt, daß man nichts als ihre Wirkungen wahrnahm. Die Rauchpfannen brannten, und die zwölf Priesterinnen ordneten sich kniebeugend gegen die Statüe der Göttin, um den Altar herum. Diese verschwand aber wie durch Zauberey, im Augenblicke, als die Göttin selbst vom Wagen herabstieg. Ein Sessel kam hervor, man führte sie hinauf, und sie nahm auf dem Altare Platz. Wir andern ordneten uns hinter den Priesterinnen. Alles unter lautem Gesang, und dem vollen Chor der Musik.
Nachdem wir eine Weile geruhet, und die Priesterinnen den Gottesdienst angefangen hatten, nachdem die Musik leiser und leiser geworden war, und sich in ein schauerliches Säuseln verlohr, das jene Vorbereitung, jenes Entgegenschlagen des bangen Herzens bey der Annäherung eines Gelübdes der Liebe ausdrucksvoll nachahmte, traten die sechs Paare hervor, den Segen der Göttin zu empfangen. Sie schienen es auch zu fühlen, was sie empfingen; ihr Glück stand in ihren bedeutenden Blicken, hing an den Augen ihrer Geliebten; und ein Schauer schloß sie gleichsam inniger zusammen, als die Priesterinnen ihnen die Kronen aufsetzten, die sie aus der Hand der Göttin empfingen. Dies alles war mit einer kurzen Anrede, und mit dazu passenden, mystischen Ceremonien begleitet.
Nun traten wir alle hervor, uns bekränzen zu lassen. Wir knien nieder und heben die Augen zur Göttin empor, andächtig betend. Aber ewiger Gott, was erblicke ich? – Eine der Grazien scheint Elmire zu seyn. Ich glaube mich geblendet, ich reibe mir die Augen, um klarer zu sehen. Immer dasselbe Gesicht, immer die auffallendste Gleichheit ihrer Züge, der schöne Ausdruck in ihrem Blicke. Nur ist er nicht auf mich gerichtet, er schweift im weiten Gebäude umher, er sucht etwas unter der versammelten Menge. Nun hat er es gefunden, o Gott! sie lächelt, ihr Auge bricht sich in einem bläulichen Dufte, ihre Brust hebt das widerstrebende griechische Gewand, sie ist ihrem Himmel nahe – sie hat ihren Geliebten gefunden. Nein, es ist Elmire nicht, – meine Elmire hat mich noch so nicht vergessen. Aber, die Sinne vergehen mir; ich bin für die Gegenwart unnütz, ich stehe vor der Thür der Vergangenheit.
Von allem, was neben mir weiter vorging, weiß ich nichts mehr. Gutwillig ließ ich mich bekränzen mit meiner Nachbarin, gutwillig ertrug ich den Ausbruch ihrer regegemachten Sinnlichkeit, ihr festes Händedrücken, ihre heißen Seufzer; ich habe nur Augen für meine Nymphe, für ihre Aehnlichkeit mit meinem Weibe. Endlich fallen ihre Blicke auf mich; aber sie erröthet nicht, sie lächelt nur; dann gleitet ihr Auge über mich gleichgültig hin, um auf den andern Gruppen länger zu ruhen. Bald glühet sie wieder, bald füllt ihr Auge sich wieder mit geheimer Sehnsucht und einem stillen Verlangen; ich beneide den Glücklichen, ich verfolge ihren Blick; ach! es ist der Graf von V**, worauf er verweilt, worüber sie sich freuet, der sie entzückt, und dieser glückliche Mensch, ganz vertieft in seine Auguste, bemerkt sie nicht einmal.
Wir standen bald nachher auf, und nachdem wir alle den Segen der Göttin empfangen hatten, drängte sich die Gesellschaft nach dem Garten zu, der, mit farbigen Gläsern erleuchtet, zeigte was man sehen, und versteckte, was man verstecken wollte. Allenthalben kühle Grotten und Bäder, heimliche, weiche Plätzchen tief in den Gebüschen versteckt, an allen Orten der einladende Zauber der gereizten Sinne, der schönen Sommernacht, des Blumen- und Myrthenduftes.
Zum Glück verlohr ich meine Nachbarin im Gedränge; ich stürzte mich in die nächtlichste Dämmerung, ihr zu entfliehen, und suchte mir ein Plätzchen, meine verirrten Gedanken zu sammeln und mit ihnen allein zu seyn; aber in jedem Pfade begegnete mir ein schmachtendes Pärchen, von demselben Verlangen der Einsamkeit als ich beseelt, oder ich unterbreche, indem ich mich niedersetzen will, in einem Busche ein anderes, das schon gefunden hat, was es suchte. Der Herzog läuft mir ohne Athem entgegen, er hat seine Elisabeth verlohren, um derentwillen das ganze Fest angestellt war, deren Sinne er hier zu überraschen, die er zu süßen Gefühlen für ihn zu stimmen gedachte; er ist außer sich vor Verzweiflung, und da er alle Nymphen anhält, da er jeden Busch untersucht, jedes Pärchen in ihren Entzückungen stört, so stäupt man ihn den Gesetzen des Festes gemäß, das ganze Wäldchen hindurch.
Ich ließ ihn in seiner närrischen Wuth, und ging einem mir wohlbekannten Platze an einem Wasserfall zu, der so oft mich zu süßen Betrachtungen einlud, wo ich so oft schon, sanft von seinem Geräusche eingewiegt, meine Ideen ordnete, und meine Hoffnungen aufheiterte. Ich finde es schon mit drey Personen besetzt, die, in einem traulichen Gespräche begriffen, wahrscheinlich über den Herzog lachen, der sie in seinem Eifer nicht gesehen hat. So wie ich näher komme, erkenne ich den Grafen von V**, Augusta und Elisabeth. Ich setze mich zu ihnen, aber schweigend und sprachlos. Man frägt mich, was mir fehle? Man ist bekümmert um meine Gesundheit. Ich will ihnen antworten, aber ich breche in Thränen aus, ich fange laut an zu schluchzen, ich sinke zum Boden hin, Elisabeth, in ihrem Schmerz, vergißt ihr Geschlecht und schlägt die zarten Arme um mich; aber ich fühle sie nicht. Der Graf hat Mühe, uns wieder zu uns selbst zu bringen.
Er versuchte es hierauf, zu enträthseln, was mir fehle. Er nahm Elisabeths Hand und legte sie in die meinige. Diese leidet es nicht nur, sondern sie liebkoset mich auch. Aber ich erwiedere ihr nichts, ich sehe ihr nicht einmal in das zärtliche Auge, den starren Blick unablässig an der Erde geheftet.
»Ich befürchte,« bricht der Graf endlich aus, »ich befürchte, unser Freund ist sehr krank. Die Nacht ist sehr kalt, meine Damen; Sie sind nur leicht gekleidet, auch Sie setzen sich aus. Lassen Sie uns ins Schloß zurückgehen.«
Wir bringen die Damen in ihre Zimmer, er nimmt mich bey der Hand, führt mich wieder in den Garten zurück, zieht mich auf einem Sitz nieder, und bricht in die Worte aus: »Hier sind wir ungestört, Karlos; Sie wissen es, ich bin Ihr Freund; itzt bestehe ich darauf, Theil an Ihrem Kummer zu haben.« – Wie hätte ich seinen Liebkosungen, seiner edlen Wärme zu widerstehen gewußt; ich erzähle ihm den wichtigsten Theil meiner Geschichte, und entdecke ihm, was mich ängstigt, was mich bekümmert.
Er hörte mich aufmerksam an, und sprach mir Trost ein, als ich zu Ende war: »Es ist nicht Elmire,« sagte er, »die Sie gesehen haben, denn ich kenne das Mädchen. Ihr Plan, die Unbekannten aufzusuchen und sich an ihnen zu rächen, ist abentheuerlich und mehr als Verwegenheit. Suchen Sie sich in der Welt einen Ruheplatz aus, bleiben Sie da unbekannt und verborgen, und bemühen Sie sich wieder um Glückseligkeit. Dies ist mein Rath. Aber reisen Sie bald von hier weg. Sie sehen, daß Sie Elisabeths Herz gerührt haben. Fachen Sie keine Wünsche an, die Sie niemals befriedigen können.«
Er führte mich hierauf bald in mein Zimmer zurück, und die ganze Nacht blieb er bey mir, um über meine Lage zu sprechen, und mir Rathschläge zu geben, deren ich mich nachher nur zu spät wieder erinnerte. Er wollte durchaus nicht, daß ich in meine Vaterstadt eher wieder zurückkehrte, als bis ich von der Zeit nähere Aufschlüsse erhalten hätte; er selbst versprach mir, sich mit Fleiß um mich zu bekümmern, und wünschte deshalb, ich möchte ihm in der Nähe bleiben. Aus diesem Grunde schlug er mir Madrid zu meinem Aufenthaltsort vor. Sein schnelles und geübtes Auge entdeckte mit einer immer gleichen Kälte Verbindungen, die ich ganz übersehen hatte, und sein großes, edles Herz nahm mit einer Wärme an meinem Schicksale Theil, die, bey weniger Gewandtheit und Erfahrung, ihm selbst hätte nachtheilig werden können. Hätte mir der Himmel noch länger das Glück seines nähern Umganges vergönnt, hätten nicht ihn selbst veränderte Umstände aus der Lage weggezogen, in der es für ihn möglich war, mit seiner Thätigkeit für irgend eine Entdeckung zu wirken, so wären wir wahrscheinlich in Verbindung zusammen, auf den Grund der Sache gekommen, und hätten noch, als es Zeit war, ein Uebel gehemmt, das in seinen Folgen so schädliche Wirkungen vorher ahnden ließ.
Da ich mich ganz seinem Rath übergab, so versprach er mir mit dein Herzog zu reden, um meine Entfernung so unverdächtig und so wenig auffallend als möglich zu machen. Man gab irgend einen Vorwand zur Reise an, und am andern Tage nahm ich Abschied von der Gesellschaft, man kann denken, mit welchen Bewegungen von Elisabeth. Das Mädchen war mir werth durch ihre Anhänglichkeit geworden, die in der letzten Zeit wenig Zurückhaltung mehr kannte, und sie ließ mich nur nach dem feierlichen und damals herzlich gemeinten Versprechen los, sie nie ganz zu vergessen, und wäre es möglich, sie unter glücklichem Umständen einmal wieder zu sehen. Ich verließ mit schwerem Herzen diese reizende Gesellschaft, in der ich mein Leben hätte zubringen mögen, nur allein vom Grafen auf einige Meilen begleitet.
Meine Reise nach Madrid enthält nichts Bemerkenswerthes, wenigstens nichts, was sich auf meine Lage näher bezog. Die Sicherheit und die Ruhe, mit denen ich meinen Weg fortsetzte, machten mir wieder die Möglichkeit sichtbar, an irgend einem Orte meinen Henkern entgehen zu können; ich fing schon an von künftigen Frieden zu träumen, und mir Schlösser von Glückseligkeit in der Luft zu bauen. Ich war nur ein einfacher Reisender, und da meine sich erheiternde Einbildungskraft allen Gegenständen einen sanften Widerschein zuwarf, so genoß ich mit wahrem Frohsinn meine itzt ganz unabhängige Lage. Ich rechne diesen Zeitpunkt unter die angenehmsten meines Lebens. Das Gefühl, noch Freunde zu haben, die Theil an mir nähmen, selbst meine zärtliche Zuneigung zum Grafen, gaben meiner Stimmung eine Reinheit wieder, deren ich sie niemals für fähig gehalten hätte. So wechselt selbst in meinen Schicksalen Licht und Dunkelheit ab.
In Madrid richtete ich meine kleine Wirthschaft gleich so ein, als wenn ich eine Zeitlang daselbst wohnen müste. Ich hatte mit dem Grafen die Abrede getroffen, durch seine Hand die nöthigen Gelder zu ziehen, und fing an, meinen Absichten gemäß, mir einen Cirkel von Bekannten und Freunden zu wählen, in dem ich die Monate, die ich für meine Prüfungszeit hielt, glücklich zuzubringen hoffen durfte. Gesellschaften des Mittelstandes, Musik, Schauspiel und Lektüre beschäftigten mich auch beynahe ein volles Jahr auf das angenehmste und befriedigendste, als ein Zufall, den ich mir durch meine eigene Unvorsichtigkeit und Thorheit zuzog, aufs neue mich um diese kleine Glückseligkeit brachte.
In den Gesellschaften, mit denen ich zusammenhieng, war es nicht immer möglich ein Spiel zu vermeiden; da aber meine Einkünfte ungewiß waren, und man ihren Zufluß auf irgend einem Wege leicht unterbrechen konnte, so nahm ich mich sorgfältig für geübte, und für Spieler von Handwerk in Acht. Das Unglück wollte gerade, daß man jenen gefürchteten Weg ausfindig gemacht hatte, denn in länger als einem halben Jahre hatte ich von dem Grafen, trotz einer Menge von Briefen an ihn, nicht eine Zeile gesehen. Meine gute Wirthschaft hatte mich immer noch vor Mangel bewahrt, und schien mich auch noch auf eine gute Zeit dafür beschützen zu können; als an einem unglücklichen Abend, wo ich von Freude und Wein berauscht, mehr als gewöhnlich wage, mein gutes Glück mich verläßt. Meine ganze Baarschaft zerrinnt in den Händen einer Gesellschaft von schlauen Dieben. Ich habe nichts, als kaum noch für eine Woche mehr Unterhalt. Ich warte noch einige Wochen; endlich vor Verzweiflung und Schaam aufs äußerste gebracht, entschließe ich mich Madrid zu verlassen und wieder nach Alkantara zu gehen. Meine Sachen mußten verkauft werden, um meine Schulden zu bezahlen. Ich reise, und zwar als halber Bettler und zu Fuß.
So war ich, trotz aller Vermahnungen und Rathschläge des Grafen, trotz meiner unerschütterlich festen Entschließungen, wieder durch meine Unbesonnenheit im alten Gleise; gutwillig liefere ich mich wieder den verborgenen Händen aus, denen ich mich durch so viele mühsame Schleichwege und so große Aufopferungen auf eine Zeitlang entzogen zu haben schien, und renne in der Wuth, einem schlimmen Schicksal nicht entgehen zu können, einem noch zehnmal übleren ganz gelassen entgegen. Was mich hätte niederdrücken sollen, macht mir noch mehr Muth; was sonst gewiß meine Kräfte erschöpft hätte, erhöhet sie itzt; arm, bettelnd, jedem Ungemach, jedem Unfalle ohne alle Hülfe blosgestellt, nähre ich mich mit Hoffnungen, deren meine erschöpfte Seele mitten unter allen Aufmunterungen des Lebens niemals fähig gewesen seyn würde.
Gewohnte Nachlässigkeit und Mangel an Kenntniß kleiner Vortheile, dem Reisenden so nützlich, schmälerten überdies bald den geringen Vorrath von Geld, den ich noch übrig behalten hatte. Kaum war ich einige Tagereisen von der Hauptstadt entfernt, als er beynahe gänzlich zu Ende war. Aber mein Muth verließ mich nicht, noch reichte der Rest gerade hin, in dem nächsten Orte, eine kleine elende Laute zu kaufen; ich habe einiges Talent für Musik, und wuste damals eine Menge von Volksliedern aus dem Kopfe, die ich in meinen glücklichen Tagen zur Unterhaltung gelernt hatte. Mein Unglück und meine Schwärmereyen machten das Holz beseelen; ich wandte mich an die Weiber, und dies, verbunden mit einer erträglichen Gestalt, verschaften mir allenthalben Brodt, und eine günstige Aufnahme; denn indem ich im ersten Augenblicke meine Leute studirte, spielte ich nur, was ihrer Lage und Gemüthsstimmung angenehm war. Und so hatte ich mich bald die Hälfte des Weges durchgebracht, mit meiner Lage nicht übel zufrieden, immer Kraft in den Füßen, Muth im Herzen, immer Freundlichkeit und Heiterkeit im Gesichte.
An einem heißen Mittage, wo mich Sonne, Gehen und Hunger völlig erschöpft hatten, als ich mich eben von dem Wege abwenden wollte, um in einem entfernten Holze irgend eine Frucht und Kühlung zu suchen, erblickte ich in der Nähe eine Hütte, die an einem, etwas von der Straße abgelegenen, Hügel, mitten im Thale eines kleinen Garten und eines niedlichen Fruchtbaumhains lag. Eine ohnweit davon aufgehangene Glocke sagte mir, daß dies alles einem Einsiedler angehöre. Das Ganze trug ein so einnehmendes Gepräge von Nettigkeit und gebildeter Anmuth, daß man seinem Einwohner schon im Voraus zugethan wurde. Ein Gott der Fruchtbarkeit schien dies kleine Paradies gesegnet zu haben. Alles blühete und trug auch Früchte zugleich. Jedes noch so kleine Plätzchen nährte eine Pflanze, und jede Pflanze stand im Schatten. Ein kleiner Quell sank in natürlichen Kaskaden vom nahen Gebirge in dies Plätzchen herab, und schien mit Vergnügen zu zögern, um es nicht zu bald wieder verlassen zu müssen. Nie hat man ein mehr idealisches Sinnbild von Ruhe und Freundlichkeit gesehen, als diesen stillen Wohnplatz einsamer Freuden.
Alle seine Schönheiten wickelten sich noch deutlicher und einnehmender auseinander, so wie ich ihm näher trat. Ein kleiner Hain begränzte das Ganze, mit einer einladenden Dunkelheit, jeder Winkel nährte eine blühende Laube und der kleine Bach hatte sich in der Mitte in einem Bassin gesammelt, um Blumen und Sträucher gegen die Mittagssonne in Schutz zu nehmen, und mit seinen Dünsten zu erquicken. Alles war kühlend und erfrischend, das Gemälde eines süßen Ruhetages nach vollendeter Arbeit, und vielleicht im höchsten, beklemmendsten Drucke des Lebens angelegt und erhalten.
Ich zog die Glocke an der Thür. Der Einsiedler trat heraus, sah sich nach dem Gaste um, und wie er mich wahrnahm, kam er auf mich zu, mir die Pforte des Gartens zu eröfnen. Indem sie sich aufthat, sah ich ihm ins Gesicht. Welch einen Anblick! Der Kummer vieler verlebter Jahre hatte, mit endlich gefundener Glückseligkeit Züge gebildet, die mein Herz in seinen geheimsten Tiefen erschütterten. Ein Blick, der in die Seele drang, ein Auge, das kein Schein betrügt, der stille Ernst der Mienen, aller Leidenschaften Ausdruck in einem gleichen Flusse aufgelößt; die Stirne erhaben über die Schwermuth, welche das Auge noch mit einem leisen Dufte umwölkte, und wie er endlich zu reden anfing, der Ton der Stimme voll und bezaubernd, aber für den Schuldlosen selbst schrecklich – alles lieblich verschmolzen in diesem einzigen Bilde der geprüften Tugend, allumfassender Menschenliebe, bescheidenen Adels, väterlicher Anmuth, und des stillen in sich selbst gekehrten Genusses.
Ich hatte meine Worte vergessen, wie ich ihn sah; ich stand vor ihm da, erstarrt und staunend. Alle die Bilder von ehrfurchterweckender Anmuth und Menschlichkeit, die ich aus der Höhle entlehnt, noch immer mit mir herumtrug, sanken vor diesem Gesicht erschrocken auf die Erde. Glückseligkeit sah ich hier mit Ruhe vereint, mit seligen Träumen ging ich ihrem ersten Anblick entgegen, und zitterte, ihr doch so nahe zu seyn. Ich hatte den Vorsatz fest gefaßt, unter jeder Szene des Lebens mir gleich zu bleiben, einer jeden ohne Hoffnung und Furcht gelassen entgegen zu treten, ich hatte schon einen heissen Anfang gemacht, und war diesem Entschluß doch treu geblieben, ohne ihn in mir erschüttert zu sehen; aber hier – bey diesem Gemälde der Vollendung traurig verlebter Jahre erwachte die alte, jedem Menschenherzen so eigene und so theure Schwäche, und seit der Zeit zum erstenmal ward ich wieder für meine Glückseligkeit bange.
Es war überdem kein Einsiedler gewöhnlicher Art. Er hatte sich zwar dem Anblick der Menschen entzogen, aber er verkroch sich nicht in unzugänglichen Klüften, oder in der geheimen Verstohlenheit tiefer und undurchdringlicher Wälder. Seine friedliche Hütte lag in Jedermanns Anblicke, ein glückliches, aufmunterndes Beyspiel; sie eröfnete sich jedem, ein erquickender Ruheplatz für den Wanderer und für den Erschöpften. Er hatte aus seinem kleinen Kreise sich nur darum herausgestohlen, um desto ruhiger einem größeren dienen zu können. Mein dankbares Herz, vom ersten Anblicke sogleich unwiderstehlich gewonnen, zerfloß mit schauernder Ehrfurcht vor diesem Greise in mir unbekannt gewordenen Empfindungen von Tugend und Menschenliebe.
»Tritt näher, armer Fremdling,« redete er mich an, wie er meine Ermattung und mein Erstaunen bemerkte, »tritt näher, ruhe Dich aus im Schatten, und erquicke Dich an meiner Quelle und an meinen Früchten, wenn Dir beyde genügen.«
– Verzeihe mir, mein Vater, antwortete ich, indem ich näher trat, ich bin erstaunt und verwirrt; verzeihe mir, ich kann Deinen Empfang nicht erwiedern, wie ich wohl sollte. Aber ich hoffe, Du nimmst auch meinen stummen Dank an.
Er drückte mir die Hand, ohne ein Wort zu erwiedern; schloß seine Gartenthür zu, und ging vor mir vorauf in seine Hütte, sie zu eröfnen, einen einfachen Sessel aus einem Winkel hervorzuholen, ihn mit einer Matte zu bedecken, und ihn für mich im Schatten eines großen Oelbaums zu stellen, der seinen ganzen Wohnplatz kühlend umfing. Nachdem er hierauf Wasser aus der Quelle geschöpft, und es nebst einem Körbchen mit Feigen, Pfirsichen und Weintrauben vor mir an der Erde hingestellt hatte, setzte er sich selbst auf eine Rasenbank hin, an welche mein Sitz angelehnt stand und sagte: »nun iß und trink, armer Junge, und erfrische Dich in der Kühlung, Du scheinst es nöthig zu haben.«
Wie glücklich lebst Du nicht hier, mein Vater, sagte ich, indem ich seine Hand zutraulich ergriff, und ihm in das lächelnde, feuchte Auge sah, – hier in dem Schooße dieses himmlischen Erdflecks, Gottes Ebenbild für die Menschen, und dafür mit ihrem wärmsten Danke belohnt. –
»Glücklich? – Ja, das bin ich itzt, mein junger Freund; – ich freue mich über Dich, und über die Menschen, die ich erquicke.« –
Er versank hierauf in eine kleine Träumerey, aber ich weckte ihn mit den Worten auf:
Ich bin ermattet, guter Vater, willst Du mir es erlauben, diese Nacht bey Dir und in Deiner Hütte zubringen zu dürfen? –
»Gern, mein Sohn, heute, morgen und übermorgen, und so viel Tage Du willst. Es ist sonst nicht meine Gewohnheit; aber Dein Gesicht flößt mir Vertrauen ein, und ich will von meiner Regel eine Ausnahme machen.«
Glaube nicht, daß ich die Zeit, die Du mir bey Dir zu bleiben vergönnst, in Müssiggang zubringen will. Du bist schon bey Jahren, und hast nicht mehr die Kräfte der Jugend. Dein Garten erfordert Arbeit; diese Arme sind stark und ich verstehe etwas von der Gärtnerey.
»Gut, mein Sohn, ich erlaube Dir bey mir zu bleiben, so lange Du willst, ich nehme Dich für diese Zeit zu meinem Sohne an. Du scheinst mir nicht für den Stand gebohren zu seyn, dessen Zeichen Du trägst. Du wirst mich unterstützen, und ich werde Dich nicht ohne Hülfe und Rath von mir weggehen lassen.«
Er drückte mir mit diesen Worten die Hand, aber ich näherte mich ihm, und küßte sie. Heiße Thränen, die ich nicht zu verbergen wußte, benetzten sie, und in der Schwärmerey meines Herzens, sank ich zu seinen Füßen hin, ihn mit kindlichen Armen umschlingend. Auch sein schönes Auge schwamm in Thränen und seine Brust war voll. Ich sah sie in seinem edlen Gesicht, einen Himmel göttlicher Gefühle erheitern, die sich vorher ohne Beziehung eingeschlummert, itzt mit verdoppelter Stärke entflammten. Er drückte mich an sich, er nannte mich seinen unglücklichen verlohrnen Sohn, er versprach mir Trost aus seinem Herzen und aus seinen Erfahrungen, und in diesem heiligen Augenblicke der reinsten Ehrfurcht für einen Geist höherer Art fühlte ich mein eigenes Innere sich verändern, und meinen Geist von unbekannten Empfindungen und neuen Aussichten beklommen.
Er hob mich endlich zu sich herauf, und zog mich auf die Rasenbank nieder: »Erhole Dich itzt, lieber Sohn; wir leben noch mehrere Tage beysammen, und erzähle mir und frage mich dann um Rath, wenn Du willst. Ich verlasse Dich itzt, um in meinem Garten zu arbeiten; wenn Du nicht mehr müde bist, so komm mir nach und hilf mir.« Er ließ meine Hand sinken und ging.
Welchen Träumereyen hing ich in diesem Augenblicke nach. Ich hatte mich nach einem friedlichen Ruheplatze, als nach dem höchsten Gute meiner Wünsche gesehnt; hier hatte ich ihn endlich gefunden, in den Armen eines Vaters, in den Armen der Liebe. Ich war schon in diesem Momente so glücklich, so mit mir selbst zufrieden; ich wußte nicht mehr, daß noch eine Zukunft sey; an der Gegenwart festgekettet, hielt ich mich an dem ersten Zauber neuer Hoffnungen, wie an einer Gewißheit fest. Plötzlich war die Vergangenheit nicht mehr da, ich konnte mich auch nicht mehr auf den kleinsten Unfall derselben besinnen; schön verbunden im Rosenroth einer unerwarteten, überraschenden Freude schien mir mein ganzes Leben nur in einem schimmernden Genusse aufgelößt. Immer ist der letzte Augenblick überstandener Leiden auch ihr hinreichender Ersatz, selbst eine süße Belohnung für sie; und von Ouaalen reizbarer und empfänglicher gemacht, reifen wir in den Abwechselungen des Lebens, der entzückendsten Glückseligkeit allmählich entgegen.
Ein kleiner, ruhiger Schlummer hatte mir alle Kräfte völlig wiedergegeben; ich stieg auf, ergriff einen Spaden und eine Hacke, welche der Einsiedler an seine Hüttenthür für mich angelehnt hatte, und ging seinem Wege nach, den er mir wieß. Ich fand ihn in der Arbeit, mitten unter einem schönen Blumenbeete, auf seinem Werkzeuge einen Augenblick ausruhend, und in seiner Schöpferfreude über seine Kinder verlohren. So wie er mich kommen hörte, warf er einen freundlichen Blick auf mich, fragte mich, ob ich mich auf den Weinbau verstände, und wieß mir auf meine bejahende Antwort, ein Traubengeländer dicht neben sich, um es in Ordnung zu bringen. Wir arbeiteten bis zum Abend hin; oft sah er mit lächelndem Auge meiner Emsigkeit zu, und lobte mich, und ich hing an seinen Blicken und war glücklich.
»Wo findet man,« rief er wiederholt bey der Arbeit aus, »diese stille Wonne, als in der Gesellschaft seiner Pflanzen, im ungetrübten Umgange mit diesem sanftesten bescheidensten Theile der Schöpfung. Von ihrem Beyspiel und ihrem Wesen zur Duldsamkeit aufgemuntert, von den Geheimnissen ihrer Natur mit höheren Aussichten getröstet, von ihrem Genuß erquickt, habe ich oft unter ihnen die Menschen vergessen, und sie selbst lieben gelernt. Ich habe ihren Bau untersucht, und bin der Vertraute der Rose geworden, die mir duftet, der Frucht, die mich labt, des Hains, der mir schattet. Ich habe unter ihnen Freunde gefunden, ihr Leben ist mir Beyspiel und Muster, und ich kenne den Kummer nicht mehr.«
»Wie oft hat mich ihr stiller Wachsthum nicht selbst mit meiner Jugend getröstet, und ihre erstorbenen holden Bilder wieder lebendig gemacht: wie oft haben sie mich nicht auf dem Wege der reinen Tugend und stillen Weisheit erhalten, groß und schön in sich selbst; unabhängig von Umständen, von Haß oder Beyfall. Selbst ein Traum erhebt die Seele, wenn er sie hinreichend beschäftigt, und macht sie glücklich, mitten in ihrer Arbeit.«
So unterhielt er mich, bis der Abend herankam. Mit welcher Zufriedenheit, mit welcher innigen Wollust sah ich die Sonne nicht untergehen. Alles um mich her war vollbefriedigt, wie ich, und nahm Theil an meinem Entzücken. Es war ein schönes Gemälde, in dem alles lacht und alles sich freuet.
Wir nahmen Hacke und Spaden und gingen zur Hütte. An ihrer Thür setzten wir uns auf der frischen Rasenbank hin. »Du hast gut gearbeitet. Dafür gebührt Dir auch ein guter Lohn.« Er holte hierauf Früchte und schönes Brodt und eine Flasche Wein, und wir genossen und schwatzten mit einander, in das goldene Zeitalter versetzt, bis der letzte Schimmer der Sonne erblichen war, und in ihrer stillen Majestät die Sterne ganz sichtbar heraufzogen. Ein einfaches Lager war mein Bett, niemals habe ich so süß und tief geschlafen, und niemals bin ich so früh und so munter am Morgen erwacht.
Mehrere Tage verstrichen wie dieser. Alle einander gleich an Arbeit und Ruhe und Glückseligkeit. Was der Einsiedler sprach, war Vorschrift zur Tugend und Anweisung zum Glück; was er that, war das nehmliche. Ich legte mich immer besser zur Ruhe, als ich aufgestanden war, und stand immer noch glücklicher auf, als ich mich niedergelegt hatte. Immer beobachtete der Greis ein bescheidenes Stillschweigen über meine Geschichte, er fragte mich nach gar nichts, und – ich war noch zu sehr mit dem Gegenwärtigen beschäftigt, um wieder an das Vergangene denken zu mögen.
Eines Abends setzte ich mich noch spät vor unserer Thür auf dem Rasen nieder, sanft mit dem Reiz meines Aufenthaltes und mit der Schönheit der Nacht beschäftigt. Der Einsiedler war schon zur Ruhe gegangen, und ich war allein mit mir. Ich war so heimlich in mich selbst versenkt, und doch allen Entzückungen um mich her noch einmal so offen. Ich zog den Duft der Bäume in seinem Reichthum, die Anmuth und Pracht der Blumen dicht bey mir mit vollen Zügen ein. In dem weiten Raume der Zeit verlohren, rollte die Ewigkeit vor mir in schöner Fülle dahin, ein lauterer Strom gut verwandter und reichlich belohnter Jahre.
Aus dem dumpfen Schweigen der Schöpfung um mich her entwickelten sich die heimlichen Töne der Nacht, wie Gesang aus einer anderen Welt; das Schauern der Abendluft, das Knistern unter den Blättern, das Gezisch eines Käfers, der Quelle ersterbendes Flüstern – schienen mir Laute von einem schwimmenden Geisterchore, das tanzend über den Blumen hing. Die bilderreiche Dämmerung setzte aus den Düften der Nacht und dem letzten Verleuchten der Berge ätherische Gestalten zusammen und die schwankenden Strahlen des Mondlichtes, das sich durch das halbdurchsichtige Laub schüchtern und zitternd stahl, mahlte sie mit dem bleichen gelbrothen Nebel der Geisterwelt aus. Alles glimmte in diesem allbedeckenden Lichte bis zum Dunkel des Thales hinab. Hier sah man zuletzt den schäumenden Bach in seinem Glanz sich zu einem glatten Streife entfalten, und sich mit ihm in die nächtliche Stille der Tiefe verlieren. Einzelne Büsche und der öden Wände grause Gestalt warfen ihm noch schwarze Schatten nach.
Vom Nachthauche umwallet, schwankte meine Seele mit dem beklemmenden Bewußtseyn ihrer Kraft in die weite Finsterniß, über das zerstäubte Gewölk, über die Milchstraße hin. Die Sterne schwanden und kamen wieder. Ich verlor mich im bevölkerten Reiche meiner Phantasie; ich trat in die Welt, wo Elmire lebte, wo sie meiner harrte, wo sie mir sanfte Freuden aufsparte. Ich genoß ihres Umgangs, ich genoß meiner selbst, verklärt in ihrer Umarmung, die gezügelten Begierden waren verstummt, ich war besser geworden, und fühlte mich ihrer nun werth. – Welcher Moment! Welches Jahrhundert des Lebens in ihm zusammengepreßt! Reine Freuden sind größer, als die der Spannung und Schwärmerey, wenn sie an irgend einem lieben und theuren Gegenstand haften.
Ich hatte meine Ahndungen, meine Wünsche nun in ihrem sanften Schooße niedergelegt, itzt kam ich zu mir selbst nur noch zufriedener zurück; ich dachte an meine Laute, sacht und auf meine Zehen schlich ich in die Hütte zurück, um sie zu holen, ich fand sie, nahm meinen alten Platz wieder ein, und fing an, in Tönen mich des Restes jener Gefühle zu entledigen, deren Uebermaaß meine Brust so schmerzlich beengt hatte. Meine ganze Seele ergoß sich in diesen kunstlosen Melodien, selbst der ganzen Natur theilte ich sie in bescheidenen halbverstohlnen Wallungen wohlthätig mit; alles was sie besitzt und was sie hervorbrachte, verschlang sich in heiliger, allgemeiner Feyer mit einander durch Liebe und in Liebe, die Welt war itzt nur ein Spiegel meiner Selbstheit, nur das Bild meiner Seligkeit sah ich, – und Elmiren.
So überzeugend hatte ich es niemals geahndet, wie dies himmlische Weib meinem Herzen so theuer, und ihm so unablöslich eingeflochten sey, als itzt, da ich sie wieder sah, da ich ihrer lauter und ohne Sinne genoß, mich in ihrem Gemüthe wie in einer klaren Quelle betrachtend, alle meine Lieblingsideen nicht nur wiederfindend, sondern auch selbst mit gebildeter, veredelter Stärke und überredender Anmuth wiederholt. Zu meinem Erstaunen, zur unaussprechlichsten Wonne, fühlte ich, daß es nicht mehr die Elmire sey, die ich kannte; es war ein verklärter Engel, aller irdischen Eigenheiten und Fehler entbunden, eine reine, makellose Schönheit, und, mitten unter ihren Entzückungen, die aus ihrer Tugend, aus ihrem Bewußtseyn entsprangen, doch noch voll von heisser Liebe für mich. Sie haben es hier deutlich vor Augen, lieber Graf, wie die Schwärmerey selbst alle Vorstellungen leicht überschreitet, welche der Vernunft sonst so theuer waren. In diesem Wechsel des Fluges und des nothwendigen Ermattens wurde ich allen jenen Grundsätzen von einem künftigen Leben untreu, auf die mich zuerst die Philosophie geleitet, und von denen mich nachher die Erfahrung überzeugt hatte; die ich selbst gegen die Anmaßungen der Sinne in Schutz nahm und mit meinem Leben zu bezahlen im Begriff war. Ich freuete mich itzt nur, Elmiren mir so nahe zu wissen, und kümmerte mich im Augenblicke der täuschendsten Zauberey wenig um jene, so sehr von ihr verschiedenen Träume unbeschäftigter und fühlloser Stunden. Aus der Erinnerung verlassener Begebenheiten und theuerer Ideen, die über meiner Seele schwebte, sonderten sich diese kalten Begriffe zugleich mit den vergessenen Schmerzen ab, und ließen mir nur die himmelklare Freude zurück.
Bald hierauf hörte ich neben mir ein Geräusch; die Hüttenthür eröfnete sich und mein freundlicher Wirth trat heraus. Mir war es in meiner Träumerey, wie die Erscheinung eines lieben Geistes, der sich beklagen will, daß er im Gemälde der Liebe vergessen ist. Aber selbst für ihn, den einzigen Schöpfer meines itzigen Glückes fühlte ich, ohne selbst mir es deutlich bewußt zu seyn, im vertraulichsten Gespräch mit Elmiren, Ehrfurcht und kindliche Zärtlichkeit.
»Ein neues Talent,« redete er mich lächelnd an, »das ich an Dir mit Vergnügen entdecke; Du singst und spielst nicht übel. Du hast mich damit angenehm aus dem Schlafe geweckt. – Aber, armer Junge, aus Deinem Auge machen sich Thränen los. Komm, laß uns den noch übrigen Theil der Nacht mit einander verschwatzen.«
Mit diesen Worten setzte er sich neben mich auf die Rasenbank hin; ich ergriff schweigend seine blasse, zitternde Hand, drückte sie an die Brust und sah ihm dankbar in das lächelnde Auge.
»Dich drückt die Vergangenheit,« fuhr er fort, »oder Dich macht die Zukunft bange. Aber halte Dich an den gegenwärtigen Augenblick, was kümmern Dich Freuden und Leiden, die nichts mehr als ein Traum für Dich sind, und wozu hilft Dir der Stolz, die Zukunft errathen zu wollen, da der Reiz der Gegenwart unsere Neigungen lenkt, und alles, was ihm nicht gleicht, fürchterlich scheint?« –
– Ach, nein, mein Vater, ich bin nicht traurig über die Gegenwart, ich bin nicht für die Zukunft bekümmert; Du hast ja für beyde so gütig gesorgt. Nur im Umgange mit geliebten Todten überraschtest Du mich, und dies – dies waren Thränen der Freude, sie wieder zu finden.–
»Geliebte Todten; sagst Du? – Dein Blick, mein Sohn, spricht von vielem und frühem Kummer. Ich nehme den zärtlichsten Antheil an Dir und Deinen Leiden: Du kennest mich itzt schon genug, um es zu wissen, daß wir hierin verwandt sind. Mit der Zeit wirst Du auch meine Geschichte erfahren. Wenn Du willst, lieber Sohn, wenn Du irgend eines Rathes, einesTrostes bedarfst, so erzähle mir itzt von der Deinigen etwas.«
Wie hätte ich den zutraulichen Aufforderungen eines Vaters zu widerstehen, wie hätte ich seiner Zärtlichkeit, seiner Theilnahme mich noch zu verschließen vermocht? Von der Stimmung meines Geistes schon hinreichend aufgefordert, der itzt eben aus dem Lande des Friedens und der brüderlichen Eintracht heimkehrte, ergab mein Herz sich willig und erleichterte sich die Last des Grams und der Schwermuth, indem es sie beyde einem andern mittheilte. Ich erzählte diese Nacht hindurch ihm meine Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt, und ohngefähr so wie ich sie Ihnen, bester Graf, schon mitgetheilt habe.
Der Greis hörte sie ruhig an, aber ohne alles sichtbare Befremden; kaum eine Miene gab es mir zu erkennen, in wie fern er daran Theil nähme, wie sehr sie ihn betrübte, oder wie sehr sie ihn erstaunen machte; er schien gelassen sich in einen Traum zu versenken, an den seine Gefühle sich mit gelinder Berührung anschmiegten, auch nicht ein einzigesmal wurden sie in ihrem sanften Flusse aufgehalten oder gestört, und sie schienen nur an dem Ende zu hangen, das mich ihm zugeführt hatte.
Wie ich diesen Punkt erreicht hatte, schloß er mich in seine Arme, stumm und ohne Laut. Ich sank ihm an das Herz, das ihm hörbar klopfte, erschöpft und halbohnmächtig, einzelne Töne, mit Schluchzen vermischt, stammelten ihm meinen Dank. Die Schwärmerey der Kindesliebe, durch frühe Unfälle und Bekümmernisse nur geschwächt und unterbrochen, wachte von neuem mit verdoppelter Stärke auf; indem ich nur nach Lauten suchte, sie auszudrücken, fand ich eine Sprache, seiner und meiner werth.
»Du hast alles verlohren, Karlos,« fing er an, »Eltern, Weib und Glück; ich fühle es mit Dir und so stark als Du, aber siehe! – eins hast Du noch, einen Freund, und ich will Dir zeigen, daß ich dies bin. Allein und verlassen bist Du also noch nicht in der Welt, wie Du Dir träumst. – Entsage auf eine Zeitlang, hörst Du, nur für eine kleine Reihe von Tagen Deinen glänzenden Wünschen, und Du wirst wieder hoffen können, Glück und Ruhe zu finden.«
– O! dies alles habe ich ja schon gefunden, hier bey Dir, in Deiner väterlichen Güte, Dich unterstützend, und Dir Liebe mit Liebe vergeltend. Sieh hier das Ziel aller Wünsche. Ich vermisse nichts mehr. –
»Und meine Glückseligkeit vermehrst Du, Karlos, wenn Du mein Freund und bey mir bleibst. Mein Haar ist schon weis, meine Hände zittern, und schon gekrümmt schleiche ich einem nahen Grabe entgegen; Du sollst mein Erbe seyn, nicht von dieser kleinen Besitzung und Habe, nein, der Erbe meiner Erfahrungen und Grundsätze. – Wenige Jahre hast Du noch zu warten; aber dann geh in die Welt, dann mache sie geltend, und hast Du sie bewährt gefunden, hast Du alle Fähigkeiten Deines Wesens unter Verlegenheiten und Zufällen zu dem gebildet, was sie werden können und müssen, dann kehre in diese stille Einsamkeit zurück, um sie auch zu genießen.« –
In die Welt, sagst Du, soll ich noch einmal gehen, unter die Menschen, die mich so oft betrogen, die mich von sich hinwegstießen? –
»Und hast Du nicht auch Freunde unter ihnen verlassen? Sey nicht gegen sie ungerecht, Karlos.«
Keinen Freund, den ich hier nicht wiederfände; keine Freude, die Du mir nicht auch geben könntest; keinen der reinsten und wohlthätigsten Genüsse, die ich diesem reizenden Aufenthalt nicht auch ohne die Verbitterung vieler Mühe und spielend abgewönne.
»Gut, ich will es glauben, dies alles könne Deinem Herzen auf lange Jahre, ja auf Zeitlebens genügen; Du fändest um diese Hütte herum Arbeiten genug, die Dich beschäftigen, Befriedigungen genug, die Dich immer wach halten und reizen könnten, – aber Du sagst: ohne die Verbitterung vieler Mühe würdest Du sie Dir zu gewinnen im Stande seyn; hat Dich denn der liebliche Schatten und der frische Quell jemals so gefreuet und erquicket nach einem müßigen, trägen Spaziergange, als wenn Du sie erschöpft und nach einer langen, mühseligen Reise genössest?« –
Aber, mein Vater, habe ich nicht Erfahrungen genug, habe ich nicht genug gelebt? – Ist mein Herz nicht erzogen, unter Schmerz und unter dem Jammer vergeblicher Hoffnungen? Ist mein Geist nicht gebildet, und hat er nicht Quellen genug, diesen kühlen Schatten auch ohne Ermüdung sich reizend, sich immer gleich wünschenswerth zu erhalten? –
»Nein, Karlos, noch nicht genug; bleib bey mir, bis ich gestorben bin und Du selbst wirst es fühlen. Der Gram ist kein guter Schüler der Weisheit; und glaube mir, nicht hier wirst Du itzt die Ruhe finden, sondern allein unter den Menschen. Frieden heißt nicht sich vergessen; aus dem Gewühle der Gegenstände sich bewußtlos herausstürzen, ist noch kein Schritt der Vollkommenheit näher und von der Welt wegscheiden, ohne sie zu kennen, macht die Einsamkeit nicht mehr beglückend. Wenn Du aber länger in ihr genossen hast, und noch öfterer Deine Hoffnungen und Träume zu nichts hast werden sehen; wenn Du die Dinge und ihren Werth hinreichend begreifst, um ein Recht zu haben, auch über sie nachdenken und urtheilen zu dürfen, wenn Du auch die Leiden anderer Menschen gesehen, und oft gefühlt hast, wie gering die Deinigen gegen sie sind, wenn Du von der Erwartung eines heitern Endes begeistert und aufrecht erhalten, alles mit dem muthigen Blicke der Freyheit angesehen hast, und Dich nun nichts mehr unter den Menschen freuet und ängstigt – dann bist Du der Weisheit und der Einsamkeit willkommen. Nicht ausgestoßen aus Deinem Hause, erbittert gegen Deine Nachbaren, mußt Du jene suchen; nein, Du mußt freywillig gehen, und die Gesellschaft mit einem freundlichen Abschiede verlassen.«
»Itzt erblickst Du in Deiner Vergangenheit nichts als eine weite Leere, nichts als unbefriedigte und verlohrne Träume Deiner Einbildungskraft. Du hast genug gefühlt und erlebt; aber Du bist von dem zu schnellen Gange Deiner Schicksale überrascht, und die Hälfte ihrer Erfahrungen ist für Dich unwiederbringlich verlohren gegangen. Ich bedaure Dich, aber es wäre für Deine künftige Glückseligkeit besser, wenn noch ihr größter Theil Dir bevorstünde.«
»Ohne es zu wissen, lebst Du in diesem Augenblick nur von den süßen Erwartungen der Zukunft. Beym Eröfnen des Herzens ist immer Hoffnung der erste Morgenschein. Verlöhrst Du einmal diese Hütte, diese Einsamkeit wieder durch irgend einen Zufall, gegen den Du nicht sicher seyn kannst, so wäre Dein Glück ohne alle Aussicht verlohren, Du würdest nicht Kraft genug übrig behalten, es wo anders wiederzusuchen.«
– Aber, mein Vater, was soll ich unter den Menschen? – wie soll ich mit ihnen umgehen. An die Gesellschaft Deiner Redlichkeit und Liebe gewöhnt, werde ich mich von neuem betrügen lassen.
»Das sollst Du auch, Karlos. – Du sollst mitten unter die Dinge, um es durch Betastung zu lernen, welches ihr wahrer Werth sey. Dann wirst Du niemals in Deiner Einsamkeit vermissen, was itzt nur Deine Phantasie aus der Ferne kennt, und indem Du Dich an die Gegenwart zu halten verstehest, weil Du gegen die Zukunft gleichgültig geworden bist; so wirst Du Dich zugleich mit entfernten Aussichten trösten können, wenn die unvermeidlichen kleinen Kümmernisse des Augenblickes über Dir schweben. Die Philosophie des Lebens ist nichts als eine genaue anschauliche Kenntniß des Wechsels aller Dinge.«
Und dies ist es allein, was ich mir unter Menschen erwerben soll, um am Ende meines Lebens zufrieden zu seyn? –
»Um zufrieden zu seyn, ist dies genug: aber nicht zur höchsten Stufe des Glückes, dessen Du fähig bist. Hierzu gehört noch mehr als das, hierzu gehört aller großen Leidenschaften ausgelaufenes Spiel. Hierzu gehört die Stärke sie aufzuhalten, oder sie dahin zu leiten, wo sie nützlich seyn können. Du hast der Liebe gefolgt, geh dann einmal der Ehrbegierde nach.«
Ist denn Ruhm ein Gut, dessen das Ende meines Lebens bedarf? –
»Ruhm ist freylich kein Gut an sich selbst; aber die Begierde darnach ist nur das Gepräge höherer Seelen. Indem Du Dir allgemeine Liebe, allgemeine Verehrung zum Ziel nimmst, werden alle Deine Kräfte allgemach sich veredlen; Deine Glückseligkeit wird sich nachgerade über den Berührungspunkt kleiner Zufälle erheben, die das Leben der meisten Menschen so unendlich verbittern. Niemals wirst Du glücklich seyn, während daß Deine Laufbahn Dich rastlos von Thaten zu Thaten treibt: aber, indem Du um den Dank von Nationen dienst, und Blumen an den Gränzen der Zeit für Dich blühen, wirst Du Dich Deiner geringeren Leidenschaften entwöhnen.«
»Einmal kommst Du dann von Deinem Traume zurück. Deine itzige Stimmung, zu früh und zu fest in Deine Gefühle verflochten, bürgt mir dafür. Und überlebst Du dies Ziel, wohl Dir dann, der Rest Deines Lebens belohnt die verseufzten Tage.«
Gut, mein Vater, ist aber dann meine Seele nicht unter den Schlägen des Schicksals zu ermattet, um diesen Lohn ganz aufzufassen, ganz wahrzunehmen; wird sie aus ihnen noch ihre reine, ihre schöne Empfänglichkeit retten? –
»Gewiß wird sie dies, wenn Du Dein Ziel Dir immer lebendig erhältst, und Deine trüben Stunden mit tröstenden Aussichten der Ferne wegschmeichelst. Merke Dir immer die große Regel zur Glückseligkeit; wenn Du fühlst, so halte Dich an den Augenblick fest, wenn Du arbeitest, so vertröste Dich auf zukünftige Zeiten.«
– Und hat denn das Schäferleben, dies holde einförmige Fortwachsen seiner Kräfte mitten im Schoos der Natur keinen Reiz, keine Befriedigung? Dies Daseyn, in dem alles anlockt und ergötzt, in dem Freude mit Arbeit in einem ewigen Reihentanze sich wechselnd die Hände bieten, kein Jahr voll Ueberdruß und Reue sich ihnen eindrängen kann; und jede Stunde irgend eine Blume von den Grazien empfängt? – Du lächelst, mein Vater, aber verzeihe mir meine Begeisterung! – Wie wäre dies anders möglich! – Hier wo ich den Blüthenduft athme, wo der Wind leise durch die Blätter wandelt, wo die Blume ihr Haupt voll Thau, im Mondstrahle schimmernd auf und nieder wiegt, wo ein stilles Wesen, in diesem heiligen Dunkel meine Seele ergreift, wo ich nur fühle, was ich bin, die Vergangenheit, mir nur wie in einem heiteren Traume lacht, und die Zukunft mich gleich einem erkannten Wahne belustigt. Wie süß ist es hier im stillen Haine den Frieden zu fühlen, den man sich selbst verschaft, von den Früchten zu essen, die man sich erzogen, in dem Schatten zu leben, den man sich selbst gepflanzt hat.
Und wenn man in den Gefühlen ermattet, wenn das bescheidene Düstere des Waldes, wenn der Spiegel des stillen Teiches, wenn die Flur und die Nacht nicht mehr reizen, so lebt der Geist noch unter einem ewigen Wechsel neuer ihm unbekannter Erscheinungen und Gestalten, der Blick, der vom Einzelnen auf das Ganze sich verbreiten lernt, kehrt mit gesammelten Schätzen, und mit vermehrter Zufriedenheit in sich selbst wieder zurück, und entfaltet aus dem unfaßbaren Gewebe des Alls sich nie alternde Wollüste und rein verfließende Stunden.
»Ich habe Dich reden lassen, Karlos, ohne Dich unterbrechen zu wollen. Die Natur und die wenigen Tage Deiner Ruhe haben Dich schon zum halben Dichter erzogen. Ich freue mich darüber. Aber ich fürchte, daß Du es zu seyn ganz aufhören wirst, wenn die Zeit dazu Dir ein Recht geben wird. Das Land und der Frieden ist Dir noch ein zu neuer Genuß. Bald werden sich Deine Bilder erschöpfen.«
»Und Karlos, wenn der Zufall und Deine edle Seele Dir auch itzt so jung noch immer dies stille Leben erhielten, das Dir so wünschenswerth scheint, so würdest Du dies Glück am Ziele bereuen, Dein Geist würde sich mehr in dem Bewußtseyn Deiner verlebten Tage verlieren, als sich darin gefallen. Ein stiller Fluß der Zeit macht den Augenblick freudig, aber er ermüdet die Stunden, und wenn er sich unveränderlich in dem gleichen Bette erhält, ohne seine Kräfte jemals zu äußern, ohne sich durch ein Hinderniß zu einer verstärkten Thätigkeit auffordern zu lassen, so wird er ein Bild langweiliger Trägheit.«
»Hast Du hingegen den größten Theil Deines Lebens einem höheren Zwecke, hast Du Frieden und Genuß der verzehrenden Leidenschaft, weit um Dich zu wirken, geopfert, siehst Du den stillen Traum Deiner ermatteten Stunden, Ruhm und Anbetung, aus dem Reiche der Zukunft allgemach zu einer Wirklichkeit werden, wie ganz anders empfindest Du dann? Deine flammende Seele durchläuft mit Entzücken die genußlos hingeschwundenen Minuten, die ganze Vergangenheit, nur eine Reihe edler und rühmlicher Thaten, in ihr jeden Zeittheil, durch volles ungeschwächtes Bewußtseyn geadelt, Freude und Unmuth, Schmerz und Erhohlung, alles im Gemälde der Zeit romantisch zusammengeknüpft, und am Ziele Deines Vermögens erblickst Du im Gefilde der Nachwelt Deinen Nahmen aufblühen und einen Kranz der Unsterblichkeit.«
»Hast Du dann noch Lust am Idyllenleben der Einsamkeit, so geh in die Haine und versenke Dich in das abgeschiedene Dunkel schauerlicher Grotten. In der grünen Nacht wird Dich das Andenken Deiner Thaten oft überraschen; Du wirst sie noch einmal und noch reiner erleben, und in Deinen Tugenden wirst Du Deines Jahrhunderts Verderben vergessen. Alles wird Erinnerung werden, alles Wollust; immer neu und immer verändert wird sie sich aus Deinem Gedächtniß entwickeln.«
– Du magst wahr reden, mein Vater; mein Geist begreift Dich, aber mein Herz versteht noch von Deiner Glückseligkeit nichts. Aber Du hast Erfahrung, und ich – ich schweige.
»Du wirst es doch wissen, Karlos; denn oft must Du es gefühlt haben, daß die Freude uns fliehet, wenn wir sie suchen, daß sie ungerufen nur kommt, daß sie uns oft mitten unter Arbeit und Ueberdruß am entzückendsten überrascht, aber aller Gewalt und allen Forderungen des Besitzers entschlüpft.«
Oft habe ich das. –
»Bleibe dann hier und lechze nach Freuden. Zergliedere die Dinge, und sieh einmal, was sie Dir geben. Nichts als Langeweile und Ekel. Dagegen arbeite. Streb' nach Wissenschaft. Suche nicht den Gegenständen vorher erst abzulauren, in wie fern ihre nähere Bekanntschaft Dir gefallen könne, sondern wirf Dich ohne Bedenken unter sie. Hast Du davon nicht während der Arbeit Genuß, so wird er Dir am Ziele zu Theil, in einem einzigen Becher zusammengespart.«
»Und womit wolltest Du doch itzt schon Deine Einsamkeit füllen? womit die Stunden schön an einander knüpfen, wenn Tage mit Umständen eintreten, welche Deinen Genuß unterbrechen? Deine Erfahrungen sind noch lange nicht Wissenschaft. Gieb Dir Mühe, um irgend einen Theil menschlicher Kenntnisse, und Du wirst es fühlen, daß Dir alles noch fehlt. Aber nur Erkenntniß ist es, welche der Geist in seiner angebohrnen Stärke erhält, welche das Alleinsein von Unmuth und Laune bewahrt, und uns zu jedem Geschäfte begleitet, immer ergötzend und aufheiternd, und in jedem Kummer, eine gewisse, nie fehlende Zuflucht.«
Ich fühle es, daß Du Recht hast, lieber Vater. Alle Erfahrungen, die ich auflas, sind nur Kinder des Zufalls und der Nothwendigkeit; das Studium hat sie noch zu nichts Ganzem vereinigt. Aber lohnt es sich der Mühe, Leiden zu suchen, um Wissenschaft zu erwerben; liegt nicht hier dicht neben uns die Quelle der schönsten, der erhabensten Kenntnisse? –
»Wohl wahr, aber um sie aufzufinden, must Du zuerst vorher zu untersuchen gelernt haben, um sie zu begreifen, muß eine lange Vorübung angestrengter Kräfte vorausgehen, und Du must Dir schon ein sicheres Gefühl erworben haben, um das Erhabenste auch im Kleinen zu sehen, und der Schönheit treu anzuhängen, wo sie sich findet.«
»Das Unglück, dem Du so gern entgehen möchtest, ist auch überdem kein Uebel. Verschulde es nur nicht, handle mit Bewußtseyn, und habe einen Grund Deiner Handlungen. Selbst Freuden liegen im Grame; der Umgang mit geliebten Todten macht Thränen der Wollust vergießen, und im Bilde der Vergangenheit kehrt der süße Schauer der Schwermuth mit stiller Lust zum menschlichen Herzen zurück. Die Leiden, welche die Seele durch Auffoderung ihrer Kräfte veredeln, sind für die Menschheit Gewinn. Wenn wir dann am Ziele stehen, und mit unsern Schmerzen und betrogenen Hoffnungen in der Natur begraben, wenn irgend eine ihrer Erscheinungen dann an unserem Gram Antheil zu nehmen scheint, so lößt sich des Herzens Bitterkeit in eine heimliche Wehmuth auf, die jedes Gefühl, jede Freude erhöht, und jeden Augenblick der Zufriedenheit, oft noch am Rande des Abgrundes der Zeit erkennt und erhascht, der sich vielleicht sonst unnütz verlohrnen Jahren hätte beymischen können.«
»Kurz stille Ruhe ist dann nur heilsam und ergötzend, wenn sie aus den Szenen der höchsten Kraft sich entwickelt hat, wenn wir ihr den lieblichen Wiederschein vorhergeprüften Vermögens geben können, und sie aus der Vergangenheit einen Spiegel mitbringt, in dem klar und erhebend die gewonnenen Tage von unserem wollüstigen Anschauen vorüberwandeln. Niemand ist glücklicher, als der Greiß, der weise war. In eine Fülle von Befriedigungen schaut er an seinem Ruhetage, seine zufriedene, satte Einbildungskraft mahlt alle verflossenen Auftritte ins Sanfte und Schöne; das Uebel hat sich vergessen, das Gute ist übrig geblieben, die Welt ist sein Freund, und das stille Bewußtseyn seiner Thaten sein Kranz sich selbst genügender Unsterblichkeit.«
So sprach der Greiß oft noch mit mir in stillen Nächten, im wehenden Schatten, beym Spiele des Mondscheins im Bache und nach der Ermüdung durch Arbeit. Die Philosophie der Zukunft schlich sich bey mir ein, indem ich aus der Gegenwart mit vollen Zügen zu schöpfen vermeinte, die Beobachtung des Augenblickes zeichnete mir nach gerade Vorschriften für ähnliche Ereignisse vor; ich lernte geizen mit meinen Stunden und sie zu dem benutzen, was in ihnen lag; der Zufall hatte sein Schreckliches für mich verlohren, weil ich ihn für mich zu gewinnen lernte, und bald sah ich die Welt als ein Spiel um eine Kleinigkeit an, wo es gleichviel ist, wenn man aufsteht, verlohren oder gewonnen zu haben, und wo man sich nur seiner Kunst und Gewandtheit freuet, und nur seine Fehler bereuet.
Die Arbeiten des Gartens beschäftigten und unterhielten uns hinreichend den Tag über; alles gedieh uns unter den Händen; wir hatten Freude an dem Wachsthum unserer Gewächse und Nahrung von ihren Früchten. Der Abend war der Ruhe und der Weisheit heilig. Eine Hollunderlaube nahm uns dann in die labende Kühlung auf; das beklommene Säuseln der Abendluft mischte zwar etwas Schwärmerisches und Schwermüthiges unsern Vorstellungen ein, aber, über den sanften Quell und den entfernteren spiegelhellen Teich schwebend, ward ihr Lauf wieder gleicher und angenehmer besänftigt.
Nach gerade entfaltete die Seele des Einsiedlers sich freyer und unbekümmerter. Sobald er nur wahrnahm, daß ich Theil an seinen Vorstellungen zu haben verlangte, hörte er auf mit ihren Aeußerungen karg zu seyn. Ohne mir über seine Geschichte etwas Bestimmtes zu sagen, lernte ich sie doch größtentheils bald aus tausend kleinen Zügen ihrer verborgenen Wirkungen kennen, große Begebenheiten in Ursach, Entwickelung und Folge. Ich fand es leserlich in seinen Gesprächen, wie eine große Seele sich selbst erzieht, wie sie alle Akkorde der Freude und des Unmuths glühend durcheilt, wie sie aus allen schöpft, und leise halbunbemerkt vorübergeschlüpfte Augenblicke, für Stunden, für Jahre benutzt. Schicksale hatten ihn von Empfindung zu Empfindung, von Thaten zu Thaten geworfen, und doch hatte er sich nach einem gewissen Zeitpunkt, den er zu einer gefaßten Ueberlegung anwandte, unerschütterlich in einem Gleichgewichte von Unbekümmerniß und Freude erhalten. Ruhig schwamm sein gerechtes, sein tugendhaftes Bewußtseyn auf dem Strome der Zeit einer glücklichen oder unglücklichen Ewigkeit zu. Gleich viel für ihn! Ohne Freund, ohne Gleichen trug er sein Paradies in seinem Herzen, schuf sich aus sich selbst eine heitere und tröstende Gesellschaft, war immer sein eigener treuester Freund, und bedurfte außer sich keines Umganges mehr.
So war der Mann, der mich seinen Sohn nannte und als seinen Sohn für dies und für ein künftiges Leben erzog, allen Ungewittern zum Trotz, und selbst den heiteren Glücksfällen, die über mein schwaches weichliches Herz mehr als Unfälle vermochten. Was mir alle Stürme des Lebens niemals abgewinnen konnten, hatte ich gewiß immer in einem einzigen kleinen Rausche der Freude verlohren.
Aber diese Philosophie meines Lehrers fand nur nach einer gewissen Zeit bey mir Eingang, und nur nachdem er alle meine kleinen Leidenschaften zu ihrem Vortheil gewonnen hatte. Denn jene foderte Streben und Thätigkeit und diese verlangte eine üppige, bloß genießende Ruhe. Ich war des Lebens in diesem Zeitpunkte schon zu müde, um es durch Arbeit ausdehnen zu wollen, und von der Stille eines neuen Friedens geschmeichelt, hätte ich es so gerne durch eine gleichförmige, unbemerkt vorüberschleichende Freude verkürzt. Alles, was mir der Einsiedler vorhersagte, Leere und Ueberdruß waren für einige Zeit nach einer solchen allgemeinen Erschöpfung nicht zu erwarten, das Blüthenalter meines Lebens kam noch einmal wieder zum Vorschein, und zwar reizender geschmückt, durch jene Erfahrungen, durch die lange Reihe betrogener Hoffnungen, und unwillkürlich beschränkter Leidenschaften und Aussichten.
In den ländlichen Arbeiten, die uns den ganzen Tag über beschäftigten, machte es nur eine kleine Unterbrechung, wenn etwa Pilger kamen, welche sich bey uns erquickten und ausruheten. Wir theilten alles mit, was wir hatten und genossen es darum noch einmal. Oft war es bey uns, wie in einer Hütte des goldenen Zeitalters, beym sparsamen Mahle von Früchten, die unser Garten hergab, bey schönem Brodt, das man uns täglich aus dem benachbarten Dorfe brachte, und selbstgezogenen und selbstgekelterten Most. Zwey Ziegen lieferten Milch und Käse auf unsere Tafel, und einige Bienenstöcke den wohlschmeckendsten Honig. Alles schien noch doppelt unser eigen zu seyn, weil wir es unter unsern Händen entstehen sahen, und selbst die Freude schien größer, von diesem mit einiger Mühe erworbenem Eigenthume mittheilen zu können. Wir schwatzten mit unsern Wanderern vertraulich zusammen, unsere Gastfreundschaft, unsere Freundlichkeit eröffnete ihnen das Herz, und sie ließen uns gewöhnlich zur Dankbarkeit ein Stück von ihrer Geschichte zurück. Man kann es sich nicht vorstellen, wie dieser Umgang mit so verschiedenen Ständen und Charakteren mich bildete, wie ich aus diesen Lebensbeschreibungen mit Hülfe des Greises mir Vorschriften abzog, die mir nachher für meine ganze Zukunft wohlgethan haben, und wie ich selbst mit meinem Schicksale zufriedener ward, da ich Andere mit einem weit schmerzlichern und drückendern nicht ganz trostlos sah.
Noch mehr! Der Greiß war das Orakel der ganzen Gegend umher. Seine Menschenliebe, seine Erfahrung war bekannt. Er half, wo er wußte und konnte, und half meistens glücklich. Zwey Tage in der Woche waren zu diesem Geschäfte bestimmt; die übrigen ließ er sich nicht gerne stören. Man wußte es und richtete sich darnach. Unsere kleine Hütte war der Tempel, in den die Wünsche vieler Menschen zusammenflossen, und nicht wenige fanden hier ihre Erhörung oder eine andere Aussicht. Man war aber auch gegen ihn dankbar; man überhäufte ihn mit Geschenken, mit Früchten und Fleisch; nichts nahm er indeß von ihnen für sich selbst an, sondern er theilte dies alles unter die Armen aus, die sich vor seiner Thür versammelten. Dies war der Zustand, der meine übrige Lebenszeit wohl ganz hätte ausfüllen können.
Aber ich war zu glücklich, als daß es so lange noch bleiben konnte. Einige Monate waren verflossen, seitdem ich in dieser Hütte war, als der Einsiedler etwas zu kränkeln anfing. Seine Seele, zu rein für diesen Körper, machte allmählig sich von ihm los, seine Kräfte waren erschöpft, er hörte auf zu arbeiten und bereitete sich nun ernstlicher vor, diese Welt zu verlassen. Lieber Graf, dies war der beklemmendste, der lebhafteste Schmerz, den ich erduldet habe. Diesen schönen Geist so allmählig erlöschen, dies große Herz erkalten, diese himmlischen Züge im ausdrucksvollen Gesichte so in einer langsamen Abnahme erstarren zu sehen. Wie oft wand ich meine zitternden Arme nicht um seine Füße, wenn er auf seiner Rasenbank saß, des Abends und der Kühle noch zu genießen, an allem noch so herzlich theilnehmend, auf alles aufmerksam, was mich bilden, was mich belehren konnte, der reizenden Natur noch so warm zugethan, und doch schon halb in einer andern Welt. Er nahm einen langsamen Abschied von dieser Erde, und diese unterließ nichts ihn noch so rührend, so schmerzlich als möglich zu machen. Nie war der Herbst so schön gewesen, nie die Gegend so reizend, nie dieser Aufenthalt mit mehr Wollüsten geschmücket. Die Natur erschöpfte sich noch, um ihm ihr lachendstes Bild auf seiner Reise mitzugeben.
Niemals, niemals werde ich diese heiligen Nächte vergessen, in denen ich es so deutlich wahrnahm, wie sein stiller Geist sich schon nach gerade verklärte, in denen er mit mir jenseits der Sonnen über uns sich erhob, über ihr Wesen, ihre Bestimmung, ihre Natur halb schon belehrt, in denen er neue Sinne fühlte, um die Natur zu erschöpfen, und sich selbst in ihrer letzten Umarmung nicht glücklich zu fühlen. Vom Nachthauche erquickt und munter erhalten, seiner Mutter, der Erde, so treu angeschmiegt, so unveränderlich ergeben, empfand er zwar, was er zu verlassen im Begriff stand; sein lauterer Geist hatte aber schon die Sinnlichkeit einer andern Welt und entdeckte Schönheit, Harmonie, Erhabenheit und das Daseyn des Schöpfers in ihren gestaltlosen Ahndungen. Ich folgte ihm treulich mit aller Anstrengung meiner Gedanken zu seinen Bildern und Vorstellungen, aber wie oft blieb ich nicht ermattet zurück.
Es schmerzte ihm nur, mich – mich zu verlassen. Er hätte mich so gern noch ganz gebildet gesehen, für mein eigenes Glück, wie für die Menschen. Er sah es voraus, allein würde ich dies Ziel niemals vollkommen erreichen. Aber seine Liebe und die Eindrücke, die er mir bey seinem Ersterben zurückließ, ersparte mir manche Erfahrung, indem sie mich derselben durch meine Stimmung unfähig machten, und Sie werden mich, bester Graf, bald nachher mit einer Festigkeit handeln sehen, die mein na[ch]her so schwankender Charakter für den ersten Anblick sonst unbegreiflich machen würde.
Wie oft lag ich nicht in diesem grausamen Zeitpunkt zu seinen Füßen, sie mit heißen Thränen benetzend, wie oft drückte ich meine gepreßte Brust nicht an die seinige und hauchte meine Seufzer in seinem Busen aus. Es war mir immer des Abends, als sey dies der letzte, den ich ihn sehen würde; wenn er sich niederlegte, küßte ich seine blasse, zitternde Hand immer so heiß, als nahm ich für dies Leben nun Abschied von ihm, und beym Erwachen war es immer mein erstes Geschäft, mich ihm auf den Zehen zu nahen, seine Lippen zu berühren, ob sie noch warm wären, seine Brust, ob sie noch athmete. Und wenn ich dann beydes noch fühlte, o! so hüpfte ich hinaus in die frische Natur, schmiegte mit höchster Inbrunst mich an ihre Schönheiten an; alles war neugebohren für mich, alles war nur da, damit ich mich darüber freuen, daß ich daran Theil nehmen sollte.
Aber immer merklicher nahete die Stunde unseres Abschieds heran. Nachdem er sich eines Tages noch sehr mit seinen kleinen Arbeiten ermüdet hatte, warf er sich des Abends halbohnmächtig auf unsere Rasenbank hin, faltete die Hände vor seiner Brust, und sah Eines starren Blickes in die Sonne hinein, die eben untersank. Schon war etwas Ueberirdisches in seinem Gesicht, und ich konnte mich nicht eines heimlichen Schauers erwehren, unter den Ergüssen seiner Andacht, seiner stillen, heiteren Freude, seines herannahenden Glücks.
»Heute ist es also zum letztenmal, daß ich Dich sehe,« brach er endlich aus, »ungern verlasse ich Dich, schöne Erde; ungern Dich, Du Wohnplatz meiner genügsamen Freuden, Du stiller Freund und Zeuge meiner Glückseligkeit, friedliche Hütte; aber, es soll so seyn, und ich folge. Hätte ich hier noch nützen können, mein Gott; Du hättest mich hier noch gelassen. Vater, ein treues Kind kommt in deinen Schoos zurück.«
Er streckte seine Arme in stiller Entzückung dem Himmel entgegen, sein Haupt senkte sich etwas, und er fing an zu wanken. Ich eilte hin zu ihm und fing ihn in meinen Armen auf.
»Bist Du hier mein Sohn?« flüsterte er mir zu; »ich danke Dir, Gott, daß Du mich in den Armen eines geliebten Kindes sterben läst. Vergiß mich nicht, Karlos, und folge mir.«
Hier fielen seine himmlischen Augen zu, wie von einem süßen Schlaf überwältigt, nur einmal zuckte sein erbleichender Mund und lispelte etwas, nicht mehr vernehmlich, seine Brust erhob sich noch einmal mit einem tiefen Seufzer, und der sanfte Druck seiner Hand, mit dem er von mir Abschied nahm, verlohr sich leise in der meinigen. Er war nicht mehr, der Beste der Menschen, der treueste, liebreichste Vater, der beste Menschenfreund. Vergebens warf ich mich vor Schmerz erstarrt auf seine Lippen hin, vergebens sammelte ich meines Lebens heissesten Athem, sie zu erwärmen, sein Herz stand stille, keine Ader schlug mehr, sein Körper sank schlaff in meine Arme hin. Ich konnte es noch immer nicht glauben; ich hielt ihn für eingeschlummert und trug ihn auf sein Lager. Kaum aber war ich ins Freye zurückgekehrt, so fühlte ich die Wahrheit und den ganzen Schmerz meines Verlustes.
Alles um mich her hatte etwas Grabähnliches. Die Stille der angehenden Nacht war noch nie so stille gewesen; die Oede um mich her, niemals so öde. Kein Vogel sang ein Sterbelied, oder ich hörte es wenigstens nicht in meiner dumpfen Betäubung; kein Käfer summste, selbst der Bach rauschte nicht, ich war allein, in dieser weiten großen Schöpfung allein, ohne Freund, ohne Vater und ohne Beschützer! Eben da ich es fühlen gelernt hatte, was es heisse diese zu haben, mußte ich mich wieder plötzlich ihrer entwöhnen.
Ich will Sie, bester Graf, nicht mit den wüthenden Ergießungen eines nur mehr als gerechten Schmerzes ermüden; als ich erst wieder zu mir selbst kam, als ich mein Alleinseyn recht deutlich wahrnahm, und als mir nun wieder alles das fehlte, was ich ehedem zu meinem Unglück hatte entbehren müssen. »Ist der Himmel gerecht!« rief ich oft in meinem Schmerze halbunsinnig aus. »Ist der Himmel gerecht? Er bezahlt unglückliche Jahre mit fröhlichen Stunden.« Aber wenn ich wieder zu mir selbst kam, bat ich ihn um Verzeihung. Ich Elender hatte es vergessen, welchen unendlich großen Genuß er mir für diese kleinen Leiden ertheilte, und wie er dadurch mir selbst eine weit glücklichere Zukunft vorbereitet hatte.
Die traurigste Szene des Abschiedes stand mir nun noch bevor. So wie der Tod des Eremiten in der Gegend bekannter wurde, strömten Haufen von Menschen herbey: Gatten, die er glücklich machte; Väter und Familien, denen er rieth und half; Arme zu Hunderten, die er unterstützte und aufhalf. Wer kann sich getrauen, diese Auftritte des allgemeinen Jammers in ihrem natürlichen Ausdruck zu mahlen, wie sie alle seine Leiche umringten, seine blasse verwelkte Hand küßten und mit glühenden Thränen benetzten; wie sie sich darum selbst stritten, und von ihm zu gehen vergaßen. Ich that, was ich nur konnte, um ihren Kummer zu mildern; Ich versprach ihnen, sie auch nicht zu verlassen, sie mit allem zu unterstützen, was ich hätte und wüste. Aber man achtete sehr wenig auf mich; man war nur mit dem angebeteten Todten beschäftigt, und indem diese armen Leute sich allein um den Schmerz des gegenwärtigen Augenblickes bekümmerten, machten sie mich gegen ihr zukünftiges Schicksal ins Geheim gleichgültig.
Der Zulauf vermehrte sich noch, als ich ihnen den Tag seines Begräbnisses sagte, alle menschlichen Bewohner der ganzen Gegend schienen hierbey zusammengeflossen zu seyn: Greise, Männer und Kinder, von allen Lebensaltern. Ein jeder wollte ihn mit etwas Erde bedecken und ein jeder an seinem Grabe arbeiten helfen. Was keine Schaufel mitgebracht hatte, kratzte den Boden mit seinen Händen auf. Unter Aller Schluchzen legte man ihn sanft in das Loch, an einer Stelle, die er sich selbst unter einem großen Castanienbaum ausgesucht hatte; und nachdem der Boden wieder geebnet war, fielen alle aufs Knie, in einem einzigen wahrhaft andächtigen Gebet. Ich mußte nachher unter ihnen seine Kleider vertheilen; man zerriß sie und ein jeder trug davon ein Stückchen als ein Heiligthum mit sich fort.
Mehrere Tage ward sein Grabhügel nicht leer. Ich hatte nur die Nacht für mich. Aber diese verwandte ich auch ganz zu einem vertrauten Umgange mit ihm; da wiederholte ich in stiller, entzückter Schwärmerey seine köstlichen Lehren, und wenn das Laub über mir im Schauer der Nachtluft bebte, so glaubte ich seinen Geist zu hören. Mich begleitete dies Gefühl an alle Orte, zu allen Geschäften, unaufhörlich sah ich ihn Beyfall mir zuwinken, oder mit seinem milden Ernste mich warnen. Ich war einsam, ohne allein zu seyn.
Aber es bedurfte keines Monates, um mich dem Reiche der Wirklichkeit wieder zu geben. Sein Andenken in meiner Seele blieb immer gleich lebhaft und gleich wirksam; nur die Erinnerungen fingen zu fehlen an. Allenthalben gleicht Menschheit und Menschlichkeit sich. Der Enthusiasmus des Landvolks nahm ab, und die Haufen der Besuchenden verminderten sich täglich. Bald war ich allein gelassen, ohne Gesellschaft und ohne die Unterstützung, derer man nur den Greiß für würdig gehalten hatte. Ein Kasten in einer verborgenen Ecke der Hütte, der außer einen kleinen hierhergeretteten oder gesammelten Schatz, alle zu seiner Lebensgeschichte gehörigen Papiere nebst abgerissenen Gedanken enthielt, beschäftigte und munterte mich noch eine Zeitlang auf. Aber auch diese Quelle der Aufheiterung und Zerstreuung versiegte sehr bald, mir blieb bald nichts übrig als meine eigene Geschichte und meine Gedanken.
Dies alles, nebst dem Versprechen, das ich dem Alten geleistet hatte, bewegte mich bald zu dem Entschlusse, in die Welt wieder zu gehen, da neue Erfahrungen und neue Hülfsmittel des Friedens zu sammeln, und mit ihnen in diese kleine Hütte, die ich immer als meinen letzten Zufluchtsort ansah, einmal wieder zu kehren. Ich gewann einen ehrlichen Bauer aus einem benachbarten Dorfe, er zog mit seiner Familie hieher, mit dem Versprechen, alles zu erhalten und zu pflegen. Ich nahm meine Papiere und meine Laute, und stieg halb bange, halb zufrieden den kleinen Hügel hinab.
*
So zog ich nun wieder in die weite Welt hinein, viel von künftigen Schicksalen ahndend, ohne mir einer Aussicht klarer bewußt werden zu können. Ob die Summe, die ich beym Einsiedler vorfand, gleich hingereicht hätte, mich vollkommen durch einen Theil von Europa zu bringen, so zog ich doch meine alte Lebensart als Lautenspieler und Sänger vor; ich hatte mich an die Vermischung mit den andern Ständen gewöhnt, und fand da manche kleine Freuden und Hülfsmittel zum Vergnügen, die mir alle andern würden versagt haben.
Ich weiß nicht, wie weit ich gelaufen seyn mochte, als ich eines Abends ein altes verfallenes Wirthshaus zu meinem Nachtquartier wählte. Indeß ging es trotz dieses schlechten Aeußeren, inwendig um so lustiger her. Alle Welt war da vergnügt, die jungen Burschen und Mädchen tanzten, die Alten spielten an den Tischen. Einige Lauten- und Flötenspieler hatten sich in einem Winkel zusammengethan, um den Gesang und Tanz zu beleben. Dies war auch für mich die eigentliche Stelle; ich setzte mich zu ihnen, ergriff auch meine Laute und fiel in den allgemeinen Gesang ein.
Auf einmal zupft etwas an meinem Mantel, ich sehe hinter mir, es ist ein großer, häßlicher, halbräudiger Hund. Er springt an mich heran, und nur mit Mühe erwehre ich mich seiner Liebkosungen, er winselt endlich; ich hatte ihn an seiner Gestalt nicht gekannt, aber an seiner Stimme erkenne ich ihn wieder. Es ist Kusko, der treue Gefährte meiner Jugendjahre, meiner Jagden, meiner Freuden, meiner Spiele. Aber in welcher Veränderung; dies sonst so schöne Thier einäugig, ohne Haare, mit verschnittenen Ohren, am Bande eines elenden Bettlers und sein Leithund. Gerührt von seinen Unfällen, die ich in deutlichen Spuren an seinem Körper sehe; erbittert über die Undankbarkeit derer, die ihn zum Lohn seiner treuen Dienste verstießen, fange ich laut an zu weinen, ich umarme ihn, wie einen wiedergefundenen Freund, ich kann mich von ihm nicht wieder trennen.
Indem ich mich nach seinem itzigen Herrn in der Gesellschaft erkundige, erfahre ich nicht nur seine, sondern auch einen Theil meiner eigenen Geschichte. Ein Reitknecht hatte ihn an den Bettler für eine Kleinigkeit verkauft. »Der junge Marquis von G**,« erzählt der Bettler, »sey in die Fremde gegangen, ohne daß jemand wisse, wohin? Er habe einem Freunde seine Güter übergeben; aber Don Antonio lebe da in Freuden, ohne daß er daran zu denken schiene, daß er einmal würde Rechnung ablegen müssen. Es hielte sich eine fremde Dame bey ihm mit einem kleinen Jungen auf, von denen niemand wisse, wo sie hergekommen sey. Doch lebe sie eingezogen und stille, und oft sähe man sie weinend im Garten gehen.«
Er sagte mir noch mehrere Kleinigkeiten, welche meine kleine Wirthschaft betrafen und aus denen ich wohl wahrnahm, daß die Quelle, aus welcher er geschöpft hatte, nicht ganz rein war: aber daß doch vieles von dem gegründet seyn muste, was mir in seinem Berichte am meisten auffallend gewesen war. »Eine fremde Dame beym Don Antonio? – und mit einem Knaben. – Wer konnte dies seyn?« – Meine Phantasie durchlief vergebens alle Möglichkeiten, und ich fand doch keine Wahrscheinlichkeit aus.
»Und Don Antonio selbst sehr unbekümmert um mich, in Festen und Lustbarkeiten eines Freundes vergessend, der ihn so unaussprechlich liebt, und der ihm selbst theuer zu seyn schien.« Ich quälte mich vergebens eine Verbindung zwischen diesen kleinen Ausschweifungen der Freude und der unbegreiflichen Anwesenheit jener traurigen Dame ausfindig zu machen; aber wenn es keine von seinen Verwandtinnen war, die er zu sich genommen hatte, von denen ich aber keine einzige kannte, auf die mir alle Umstände zu passen schienen, so muste diesen Umständen ein neues Ereigniß zum Grunde liegen. Ich hatte guten Grund, von der Ursache dieses für meine künftige Ruhe zu fürchten. Es liegt in meinem Charakter, vergangene Uebel bald zu vergessen, aber meine grausame Einbildungskraft quält mich dafür mit allen Schrecknissen entfernter, denen ich nicht ganz entgehen zu können glaube. Sie erschöpft sie gleichsam schon in der Ferne, und läßt zu meinem Glücke in ihnen wenig von Beschwerlichkeit für den Augenblick übrig.
Konnte unter allen diesen Umständen etwas natürlicher seyn, als der Gedanke, dies alles unerkannt und mit einer entstellenden Hülle verdeckt zu belauschen? So wie mir dies einfiel, hörte ich auch auf, mit den itzt fühlbaren Umständen mich zu beschäftigen; der Ausführung dieses Entschlusses schon halb im Voraus genießend, war es mir, als hätte ich schon die gewünschten Aufschlüsse erhalten.
Der Plan an sich selbst war überdem nicht schwer zu befolgen. Ein langer Bart, den ich aus Nachläßigkeit hatte wachsen lassen, ein verbranntes, über und über von der Hitze aufgesprungenes Gesicht, verwilderte, struppicht herunterhängende Haare gaben mir alle möglichen Vortheile eher einem Spitzbuben und Bettler, als mir selbst ähnlich zu sehen. Mein zerlumpter Anzug that das seinige, das Uebrige vollkommen auszufüllen. Denselben Abend erhandelte ich noch meinen Kusko vom Bettler für ein Billiges wieder, und meine Laute auf den Rücken geschnallt, einen großen Prügel in der einen Hand, in der andern einen schmutzigen Strick, woran Kusko befestigt war, trat ich den andern Morgen darauf meine Wanderschaft an.
Es war so weit nicht mehr bis zu Don Antonios Wohnsitz. Dies hatte ich sowohl in meiner Herberge gehört und nahm es auch selbst aus den Gegenständen wahr, die mir bekannter zu werden anfingen. Bis hieher erinnerte ich mich zuweilen gejagt zu haben. Ich hatte nicht viel Zeit mehr übrig, in meiner Rolle mich vorzubereiten, und ich fing an, im Ernst für meine Fassung zu fürchten. Es kam mir sehr deutlich ins Gedächtniß zurück, daß sie bey ähnlichen Gelegenheiten eben nicht sonderlich im Gleichgewichte geblieben war; mein Herz hing mit zu großer Wärme, mit zu sichtbarer Unruhe an die Gegenstände seiner verflossenen Seligkeit; es träumte sich ununterbrochen wie mit einem sanften Flusse in jene Zeiten hinein, und endigte jedesmal mit einer Art von halber Verzweiflung. Und diese, ich wußte es, konnte sich niemals verbergen. Sah ich überdem noch meinen Freund unglücklich, oder nur nahe, es zu werden; oder sah ich ihn selbst in einem Verbrechen gegen mein und sein Herz befangen, wie hätte ich mir es erwehren können, meine Theilnahme auf eine Art merken zu lassen, welche das ganze Geheimniß auf einmal verrathen haben würde. Ich bin es überzeugt, dies wäre der Fall sicher gewesen, wenn meine Einbildungskraft richtig geahndet hätte; aber es kam ganz anders, als ich mirs vorgestellt hatte.
Um Mittagszeit erblickte ich schon die Spitzen von den Thürmen meines Schlosses, und wenige Stunden nachher war ich an der Mauer, die meinen Garten einschloß. Es fiel mir seltsam auf, daß ich in den nehmlichen Weg gerieth, den ich in jener schauervollen Nacht genommen hatte, mich zu entfernen. Ich kam hierher, mit Don Antonio schon im Voraus sehr übel zufrieden, aber mit jedem Schritte dem Schlosse näher söhnte ich mich wieder mehr mit ihm aus. Sehr vieles fand ich im Garten verändert, aber zum unendlichen Vortheile des Ganzen, und ich sah es deutlich, wie sehr er darauf studirt hatte, meinen Geschmack und selbst auf Kosten des seinigen, zu befriedigen, der hierin sehr von dem meinigen abwich. Es herrschte überall eine Ordnung und eine Kultur, die mich ihm wieder herzlich zugethan machte; er hatte einige nette Gebäude an Orten hinstellen lassen, wo ich es gewünscht hatte, ohne zur Ausführung Zeit zu haben, und hatte selbst zu seinen Einrichtungen kleine Ideen belauscht und gesammelt, die ich vielleicht einmal im Vorbeygehen hatte fallen lassen.
Um mich nicht durch Kusko zu verrathen, hielt ich es fürs Beste, ihn loszumachen und ganz unbefangen allein laufen zu lassen. Er hatte mich schon lange gedrängt, und machte sich seine Freyheit so wohl zu Nutze, daß er in das Hauptthor des Schlosses voraneilte, ohne sich weiter um mich zu bekümmern. Ich fand aber eine kleine Gartenthür offen, schmiegte mich ganz verstohlen hinein, und schlich einem mir bekannten Gange im Boskette nach, welcher auf einen Flügel des Schlosses zuführte. Wie ich aber in der Ferne zu viel Geräusch und Gelächter bemerkte, um mich mit Sicherheit dieser Seite näher wagen zu dürfen, so nahm ich in einer Nische auf einer Rasenbank Platz. Dies war dieselbe Rasenbank, die Zeuge so vieler meiner glücklichen und meiner kummervollen Stunden gewesen war, die ich mit eigenen Händen dahin gesetzt, bepflanzt und gepflegt hatte, die nun vielleicht so viel anders gesehen hatte, ohne mir es wiedersagen zu können. Alle Blätter, alle Blumen um mich her schienen mich als einen verlohrengeglaubten Freund zu bewillkommen; die Bäume waren alte Bekannte, und nickten mir mit ihren Wipfeln zutraulich zu. Ich hörte dieselben Spiele im langen Grase um mich her, dasselbe Gesumse in der Luft, in den Sträuchern dasselbe Gemurmel einer nahen Quelle, das ich mit so vielem Entzücken, mit so reinem Selbstgenuß ehedem hier behorcht hatte. Welche Fülle von Empfindungen floß hier wieder in meinem Herzen zusammen, alle Gemälde jugendlicher Kraft und jugendlichen Vergnügens kunstreich und noch natürlich in einem einzigen zusammenschmelzend, tröstend und zugleich betrübend. Aber der Gedanke, nun wieder in meinem Eigenthume zu seyn, nun wieder sagen zu können, diese Laube ist mein, dieser Schatten, der mich freundlich umfängt, dieser Blumenduft, dies bezaubernde Rauschen und Rieseln rund um mich her, gehören mir zu, – dieser heitere Gedanke lößte alle andern unbemerkt in sich selbst auf.
Bald ward er aber unterbrochen. Ein kleiner Knabe lief dicht bey mir vorüber, im Spiele mit einem großen Hunde begriffen; ein herrlicher Junge mit noch unentwickelter Kraft, sich über eine schöne Form ergießend, mit einem freyen, glühenden schwarzen Auge, mit kühnen feurigen Bewegungen eines gedrungenen Körpers. Eine halbe Welt hätte ich für diesen Jungen weggeben können, um ihn zu dem meinigen zu machen.
Kurz darauf hörte ich mehrere Tritte und ein Geflüster sich nähern. Ein Weib schimmerte durch das Gebüsch, auf einen Mann gelehnt, und mit gesenktem Haupte langsam sich fortbewegend. Sie kamen näher, und ich erkannte sie. Es war Franziska, meine holde süße Franziska, mit Don Antonio. Sie war so traurig, sie muste im Innersten ihrer Seele betrübt seyn, sie hatte geweint, wenn ich nicht irrte, sie schien etwas zu hoffen und auch etwas zu fürchten, und Don Antonio ihr zuzusprechen. Sie war blässer und erschöpfter als ich sie jemals und selbst zu der Zeit unseres ersten Kennenlernens gesehen hatte. Ihr Auge ruhete zweifelhaft auf dem Boden, und aller Glanz ihres unschuldigen, angebohrnen Frohsinns war durch eine Leidenschaft, durch einen Gram getrübt, die sie eben in diesem Augenblicke sich selbst mit Erröthen gestanden zu haben schien. Mein gerührtes Herz empfand sich wider Willen in ihren Reizungen verwickelt, alles fängt sich vor meinen Sinnen an zu verändern, und indem es aus meiner bedenklichen Lage gleichsam heraustrat, vergaß es sie zu seinem Vortheile zu nutzen.
Nachdem ich einige Augenblicke lang mich bedacht hatte, nachdem ich immer nahe daran gewesen war, mich nun zu erkennen zu geben, und mich in ihre Arme zu werfen, so war der günstige, der glücklichste Zeitpunkt verstrichen; sie waren vor meiner Laube vorüber, und ich befand mich allein. Welche Abgeschmacktheit meines Charakters. Ich war hierher gekommen, sie unerkannt zu belauschen. (In dem ersten Augenblicke, daß ich sie sehe, brenne ich vor Begierde, sie wieder zu umarmen.) Der glückliche Moment verstreicht ohne Gebrauch. Ich weine vor Aergerniß über mich selbst und werde aus Unwillen über meine eigene kindische Thorheit zugleich auf sie mit erbittert.
Jetzt war ohne Zweifel das klügste, nach dem Schlosse zurück zu gehen, und sie da zu erwarten. Hinter ihnen her laufen, konnte ich nicht mehr. Auch war mir alle Lust vergangen, sie zu belauschen. Mein ganzes Innere war verändert. Der Kummer meiner Franziska, der mir noch weit quälender war, da ich seine Ursach nicht kannte, dessen Ursach ich aber zu ahnden glaubte, hatte mich völlig erweicht. Ohne den mindesten Zusammenhang zwischen allen diesen Begebenheiten wahrnehmen zu können, sah ich in ihnen doch keine Dunkelheit mehr. Alles war ja so sichtbar zur Hälfte schon aufgeklärt, alles beruhete auf dem schwärmerischen Genusse jenes holden Zeitpunktes, in dem ich Franziskas Seele erkannte, in dem ich sie der meinigen so nahe verwandt erblickte, in dem sie sich in die meinige so unbefangen ergoß. In dem Momente dieser Erinnerung verschwand meiner Lage ganzes Ungemach.
Ich näherte mich dem Schlosse. Schon in einiger Entfernung davon höre ich ein klägliches Winseln. Es ist meines Kusko Stimme, den man zu schlagen scheint. Diese üble Aufnahme macht mich natürlich auch um die meinige etwas besorgt. Endlich nimmt er mich vielleicht vom Hofe aus wahr, springt in den Garten, und kommt mit vollem Geschrey auf mich zu, um bey mir Hülfe zu suchen. Einige Bedienten folgen ihm mit großen Prügeln und einigen Hunden. Es sind alles neue Gesichter, und es ist unter ihnen kein einziger, auf den ich mich besinnen kann. So wie sie mich erblicken, höre ich ein einmüthiges Geschrey: »was will der Bettler im Garten, laßt uns ihn hinausprügeln,« und man macht den Anfang damit, daß man mich mit einigen Steinen begrüßt, die man vom Wege aufließt.
Dies war wohl eine der größten Verlegenheiten, in denen ich mich jemals befunden hatte. Auf welche Art soll ich ihren Stöcken, und ihren Hunden entgehen? Hätte sich in diesem Augenblick ein Gewehr in meiner Gewalt befunden, ich hätte sie alle ermorden können, so wütend war ich gegen sie alle erbittert. Sie nähern sich, man setzt sich mit den Prügeln in Bereitschaft, schon brummen die Hunde, noch will man sie aus einer Art von Mitleid nicht auf mich loslassen; mein alter Kusko schmiegt sich ängstlich an mich, und will mich halbzerschlagen doch noch vertheidigen.
»Schurken,« ruf ich ihnen endlich in halber Verzweiflung entgegen, »erkennt in mir euren Herrn, den Marquis von G**.« »Der Kerl ist verrückt,« ist ihre Antwort, mit einem lauten Gelächter begleitet. Einer ist gar so verwegen, daß er mir ins Angesicht zu speyen Miene macht. Ich nehme alle meine Fassung zusammen, und rufe mit pathetischer Grandezza aus: »Man lasse einmal den Don Antonio kommen.« Dies mochte vielleicht in meiner itzigen Verfassung nicht wenig lächerlich seyn; auch verfehlte es seine Wirkung nicht. »Es ist, so wahr ich lebe, ein besoffener Hidalgo!« ruft der eine aus. Ein anderer versetzt mir mit seinem Stock einen derben Schlag auf die Schulter mit dem Zusatz: »Don Antonio läßt grüßen und schickt Dir das!« Ein allgemeines Wiehern verschlingt die Reden der andern.
Nun gerathe ich außer mich. Ich schlage einen mit der Faust ins Gesicht, daß er schreyend zur Seite taumelt; ich reiße ihm den Stock aus der Hand, und gebe ihm noch einen Tritt, der ihn vollends zu Boden wirft. Ich stürze unter die andern, und jage sie auseinander. Die Wuth giebt mir entsetzliche Kräfte. Aber was will ich mit ihnen am Ende gegen drey noch frische, starke Kerls, die ebenfalls über die Verwegenheit eines Bettlers halb außer sich sind, und denen noch dazu ihren blutenden Kammeraden zu rächen verlangt. Vergebens wehre ich mich, wie ein erhitzter Löwe, vergebens treibe ich sie zweymal zurück, vergebens steht mir Kusko aus allen seinen Kräften gegen die Anfälle der Hunde bey, vergebens schreye ich aus voller Kehle, in der Hoffnung, vielleicht den Don Antonio in die Nähe unseres Kampfplatzes zu ziehen; niemand kömmt, man zerschlägt mir meine arme Laute auf dem Rücken; Kusko erliegt den beyden gehetzten Hunden, schon ist mein Stock zur Hälfte verkürzt, Hosen, Mantel und Wams zerrissen, ich muß mich, um mit dem Leben davon zu kommen, auf meine Füße verlassen, ich fliege mehr davon als daß ich laufe, mit Mühe erreiche ich das Pförtchen, hinterwärts von den Hunden noch immer angepackt, springe schnell über einen tiefen Graben, und rette mich endlich, unter einem Hagel von Steinen in das benachbarte Wäldchen.
Mit zerschlagenen Gliedern, mit blutendem Gesichte und Händen warf ich mich hier auf die Erde nieder, weinend und mit den Zähnen knirschend. Ich konnte nicht mehr. Alles Vermögen, alles Bewußtseyn hatte mich völlig verlassen. »Ein schöner Empfang, Karlos,« rufe ich endlich mit schon halberstorbener Stimme aus, »den Du von Deinen eigenen Leuten erfährst. Wie hat sich doch alles so unendlich verändert. Sonst kroch man zu Deinen Füßen; jetzt bist Du ein armseliger Bettler, den man zu berühren sich scheuet.« Dies Selbstgespräch, das mich zur Verzweiflung gebracht haben würde, ward von Kusko noch zur rechten Zeit unterbrochen, dieses Ebenbild und dieser Gefährte meines Unglücks schien mehr Trost zu haben als ich; er hatte schon alles wieder vergessen, und schmiegte sich so fröhlich an mich, als vorher. Er schmeichelte mir so rührend, seine Blicke ruheten auf mir, mit so vieler Bedeutung, daß es ihm endlich mich zu trösten gelang. Ich faßte neuen Muth, ich fing an zu überlegen, und das Resultat meines Nachsinnens war, nach Alkantara zu gehen. Ich schüttelte unwillig den Staub von meinen Füßen, sah mit Verachtung auf meinen mich sonst so bezaubernden Aufenthalt hin, indem ich nun nicht im mindesten mehr zweifle, daß allein mein treuloser Freund es sey, der mit seinem Beyspiele seine Bedienten angesteckt habe, und wandelte, mit Bitterkeit und Rachbegierde im Herzen, nach meiner Vaterstadt zu.
Aber ich war von den Schlägen und dem inneren Unmuthe so ausserordentlich entkräftet, daß ich zu dieser kleinen Reise zwey Tage anwenden mußte. Am dritten Morgen sah ich endlich ihre Thürme. Eine sanfte Erinnerung an die süß verflossenen Jugendjahre, mit einer Beklemmung vermischt, über das, was ich seit dieser reizenden Zeit erfahren hatte, und auch zum Theil über das, was mir in ihr itzt noch bevorstehen könnte. Nach einer solchen Begegnung auf meinem eigenen Grund und Boden, hatte ich alle Hoffnung aufgegeben, irgendwo besser aufgenommen zu werden. So ist das menschliche Herz. Nur nach der Gestalt des gegenwärtigen Augenblicks, mahlt die ganze Zukunft sich, trübe oder lächelnd, so wie seine Laune es will.
Ich ging gerade auf mein väterliches Haus zu. Ich pochte an die Thür an, sie eröffnete sich, und der erste Gegenstand, den ich erblickte, war Alfonso, mein treuer Bediente, der sich nach meinem plötzlichen unbegreiflichen Verschwinden vom Schlosse, nach Alkantara begeben hatte, um meine Zurückkunft abzuwarten. Er sah mich starr an, und blieb einige Augenblicke mir zweifelhaft gegenüber. Dann aber erkannte er mich, und schlug seine Hände voll Erstaunen zusammen: »Ewiger Gott! in welcher Gestalt sehe ich Sie wieder, gnädiger Herr,« rief er aus: »Was ist Ihnen begegnet?« Er ergriff meine Hand, und küßte sie mit Wehmuth im Blicke. Nicht viel hätte gefehlt, so hätte er mich vor Freude in seine Arme genommen. Sein gutmüthiges, ehrliches Gesicht drückte Erstaunen und Entzücken aus, aber auch eine gewisse Beklemmung der Seele, die mir auffiel, weil ich sie nicht zu enträthseln verstand.
Er führte mich sogleich in das alte, ehedem von mir bewohnte Zimmer, und sagte mir hier, mit der nur großen Seelen eigenen, unbekümmerten Offenheit: daß mein Vater in der Zeit gestorben sey, und nur meine Mutter noch lebe; daß sie, so viel er weiß, meines Vaters einzige Erbin sey; daß sie über mein Verschwinden ganz trostlos gewesen, und daß es nur dem Grafen von V**, der sich hier itzt befinde, gelungen wäre, sie wieder aufzurichten. Diese letzte Nachricht tröstete mich über alles; ich flog in die Arme dieser vortreflichen Frau, die mich mit der schmeichelhaftesten mütterlichen Zärtlichkeit und Unruhe empfing, in deren Armen ich von meinen Bekümmernissen wieder ausruhete, und alles vergaß, was mich vorher in der Zukunft gequält hatte. Der Graf von V**, der auf die erste Nachricht, die man ihm von meiner Zurückkunft brachte, herbeygeeilt war, überraschte mich noch in ihren Armen, und er flog an mein Herz mit seiner Wärme, mit seinem Edelmuth. Denn diese theilt mit ihm kein Sterblicher weiter.
Wie ich ihnen meine Abentheuer auf dem Schlosse erzählte, wollten sie Beyde vor Lachen vergehen; aber ich zeige ihnen meine Wunden auf dem Rücken und an den Füßen, und sie verändern den Ton. Ich war von den Hunden so übel zugerichtet, daß ich eine ganze Woche hindurch Zimmer und Bette hüten mußte.
In dieser ganzen Zeit verläßt der gute Graf das letztere kaum. Die Zwischenräume, in welchen wir uns ungestört einander gegenüber befanden, wendet er an, mich zu trösten, mir neue Hoffnungen zu zeigen, neue Aussichten, die er mir itzt selbst unglücklich, zu einer erheiternden Wirksamkeit eröffnen will; er läßt sich meine Geschichte erzählen, nimmt einige Veränderungen in meinem Charakter mit Erstaunen und lautem Beyfall wahr, und schließt endlich damit, über die Geschichte des langen Zeitpunktes, in welchem unser Zusammenhang gestört war, mich zu belehren. Die Unterbrechung des Briefwechsels sey nicht seine Schuld, er habe mehrmals geschrieben, und mir neue Wechsel geschickt. Seine Nachforschungen in Hinsicht auf die geheime Gesellschaft waren eben so anhaltend und sorgfältig, als fruchtlos gewesen. Er hatte mehrere Beyspiele von ihrer schrankenlosen Wirksamkeit in Erfahrung gebracht, die er mir mittheilte. Franziska sey wieder auf dem Schlosse ihres Gemahles erschienen, und dafür Don Pedro verschwunden, er habe sie mehrmals auf meinem Schlosse gesprochen, ohne sie für ihn nur etwas offen machen zu können, so emsig er sich auch in meiner Rücksicht um ihr Vertrauen beworben habe; doch scheine sie mit dem Don Antonio auf einem zu vertraulichen Fuße zu stehen, als daß dieser nicht von ihr etwas mehr wissen sollte. Alles sey übrigens wahr, was ich von meinem Gute bemerkt habe. Don Antonio habe mir die Hälfte meines Vermögens vermehrt. Er rieth mir hierauf, beyden, ihm und Franziska, von meiner Ankunft Nachricht zu geben. Ich that es und hatte nicht lange nachher das Vergnügen sie in meine Arme eilen zu sehen.
Zuletzt eröffnete mir der Graf von V** noch seine itzige Lage. Durch einige Kunstgriffe hatte ihn seine Familie von seiner Augusta getrennt. Er hatte sie unwiederbringlich verlohren, und obgleich sein göttliches Herz, zu voll für die Welt und für die Menschen, nicht seinem Schmerze untergelegen hatte, so verzehrten seine Gedanken und seine Empfindungen sich doch in stillem Grame. Sich es bewußt, daß er es verdiene, an den Freuden dieses Lebens einen kleinen Theil zu besitzen, sah er gerade durch seine edelsten Gefühle diesen kleinen Antheil unaufhörlich vernichtet, und nur damit beschäftigt, sich nicht von seinem Unglück zu irgend einem raschen Schritte verleiten zu lassen, sah er mit innigem Trauren die Gelegenheiten zu großen Handlungen unter seinen Händen verrinnen. Und doch erhielt er immer sich seine äußerliche Gelassenheit, um seine Freunde trösten zu können, und wer ihn nicht kannte, hätte ihn für zufrieden gehalten. Nicht lange nachher nahm er Abschied von mir, um unter einem andern Himmelsstriche, oder vielleicht selbst in einem andern Welttheile die verlohrne Ruhe wieder zu suchen. Ich war zu schwach, ihn in seinen Entschlüssen aufzuhalten. Es war die Erscheinung eines Engels gewesen, die schnell vorüber wallt. Des Himmels bester Segen sey mit ihm! Seine Seele war nicht für diese Welt.
*
Es war in der That ein Schauspiel einzig in seiner Art, Don Antonios und Franziskas Ankunft zu sehen; ich eilte hinab, um sie zu empfangen, indem sie aus dem Wagen stiegen. Mit welcher Inbrunst stürzten sich Beyde nicht in meine Arme! Welch zärtliches Drücken, welche Umarmung! Welche ängstliche Fragen über meinen Gesundheitszustand; welches Erstaunen über die Blässe, über die Narben und Mäler in meinem Gesichte. Ich fühlte aber nichts, ich hörte auf nichts. Meine Seele war in meiner Brust und diese seufzend an der ihrigen.
Indessen hatten sich meine alten Bedienten um mich her versammelt, um mir ihre Freude über meine Zurückkunft durch tausenderley Liebkosungen zu erkennen zu geben. Einer nahm mir die Hand sanft von Franziskas Schulter, mit seinen Küssen sie zu bedecken; der andere ergriff meinen Rockschooß; ein dritter wollte mir etwas sagen, ohne vor Thränen Worte zu finden; ein vierter schrie laut vor Freuden, und schwang den Hut um den Kopf; alle hüpften und sprangen. Die Freude dieser guten Leute rührte mein Innerstes, ich drückte jedem die Hand, und gab ihnen mein Vergnügen zu erkennen, sie alle gesund wieder zu finden.
Wie ich mich aber umsah, so standen im Hintergrunde am Wagen gelehnt noch einige Figuren, mit den Hüten in den Händen, die nicht ganz eigentlich wußten, ob sie lachen oder weinen sollten; anschauliche, malerische Bilder der Verlegenheit und einer geheimen Angst über den Ausgang. Ich erkannte sie sehr leicht wieder, und sah es ihnen an, daß sie mich auch wieder erkannt hatten. Sie verbeugten sich gleichsam mechanisch, wie ich sie anblickte, schwenkten die Hüte und stießen einige unvernehmliche Töne aus; ich nickte ihnen freundlich zu, und dankte ihnen mit einer Bewegung der Hand. Kusko war aber ganz anderer Meinung. Kaum war er ihrer gewahr worden, als er sich in eine Stellung zum Anfall versetzte, ihnen seine Zähne wies und endlich selbst an sie heranfuhr. Niemals hat er die angethane Beleidigung vergessen, er murrte immer, wenn einer von ihnen bey ihm vorbeyging, und verfolgte sie auch wohl gelegentlich.
Man kann es sich vorstellen, daß ich die Zeit nicht ungenützt verstreichen ließ, die gewünschten Aufschlüsse über Franziskas Schicksal zu erhalten. Aber Don Antonio wußte gerade so wenig, als ich, und Franziska war gegen mich eben so stumm. Sie liebkosete mir herzlich, aber in ihrem Busen waren Geheimnisse verschlossen; und überdem merkte ich es auch sehr bald, daß sie mich so herzlich nicht mehr liebe, als sonst; daß Don Antonio sich unter der Maske des Trösters in ihrem Herzen eingeschlichen habe, und daß er itzt ihr alleiniger Abgott sey. Seltsam war es, wie die Neigungen dieses sonst so vortrefflichen Weibes in ihrer Richtung so plötzlich sich änderten, und wie sie sich dem jedesmaligen Gegenstande derselben doch so mit ganzer Seele hingeben konnte.
Auch Don Antonio zeigte mir, daß man einige geheime Versuche gemacht habe, ihn in diesen schrecklichen Bund zu verflechten. Aber er hatte, ich weiß nicht wodurch, dagegen eine so unüberwindliche Abneigung gefaßt, daß ich immer noch zweifele, es sey der Gesellschaft jemals gelungen, ihn ganz ihr eigen zu machen. Seine Seele war einfach, groß und offen. Er haßte alles Abentheuerliche, alles Romanhafte, Geheimnißvolle und Verwickelte. Selbst Franziska hatte durch ihr Betragen und durch ihre geheimnißreiche, vielbedeutende Miene in seinen Augen verlohren. Er hatte einen Widerwillen gegen sie, den sie lange Zeit nicht zu überwinden im Stande war. Indem er nie die Beobachtung der Menschen scheuete und jeden Augenblick Rechenschaft von seinem Betragen abzulegen bereit war, so wollte er auch, daß jede Handlung seiner Freunde sein Auge ertrüge, und er verabscheuete nichts mehr als die Schleichereyen gewisser Personen, die sich damit seines Herzens noch weit sicherer zu bemeistern gedachten. Unter allen meinen Freunden liebte ich ihn nach dem Grafen von V** am zärtlichsten.
Da es mir in Alkantara gefiel, und ich manche meiner alten Bekanntschaften da antraf, und manche alte Verbindung wieder erneuerte, so hatte ich es mir in den Kopf kommen lassen, eine Zeitlang hier ruhig zu bleiben. Aber ich machte bey dieser Gelegenheit mit einem Uebel Bekanntschaft, das mich um so schmerzlicher und unausstehlicher angriff, weil ich noch niemals von ihm etwas gelitten hatte. Dies war das Uebel der Klatscherey, und dies trieb mich zum Thore hinaus.
Gleich bey meiner Ankunft waren einige alte Weibergruppen aufrührerisch geworden, und zerbrachen sich den Kopf darüber, wo ich wol gewesen seyn möchte? Die seltsame Art meiner Ankunft ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Niemals hatte ich es begreifen können, wie man über Dinge sprechen könne, von denen man nicht unmittelbar berührt würde; immer mit großen Angelegenheiten meines Herzens und Geistes beschäftigt, mitten unter gleichgestimmten Freunden oder allein, hatte ich mich um andere Menschen und ihre Meinung niemals im geringsten bekümmert; itzt kam ich in den Zirkel von Menschen, deren Verstand kaum groß genug war, um sich mit etwas anderm als sich selbst zu beschäftigen; es mußte mit Leuten Bekanntschaft gemacht werden, die von jener Wuth schon angesteckt waren, alle Augenblick war ein neuer Freund bey der Hand, mir es zu hinterbringen, was jener von mir denke, was dieser von mir gesprochen habe. Ich war wie aus den Wolken gefallen. Ich war in einer ganz neuen Welt. Ohne es begreifen zu können, was alle diese Leute von mir haben wollten, muste ich ihnen doch meine Ohren leihen, und indem ich selbst aufmerksam wurde, fing ich mich in der That darüber zu ärgern an. Don Antonio, an alle diese Lumpereyen weit besser gewöhnt, lachte mich über meinen Verdruß stündlich aus. Der Nachrichten und Vermuthungen wurden darum nicht weniger; man beschäftigte mich unablässig mit mir selbst, und da ich noch dazu einige der hohen Häupter der Stadt durch meine Unbekümmerniß, und daß ich ihnen eine wohlverdiente Verachtung ganz deutlich zu erkennen gab, wider mich unversöhnlich aufgebracht hatte, da es nicht in den Kram einiger herumschleichender Priester diente, daß ich in gewisse Häuser nähern Zutritt erhielte; da es einigen alten Weibern einfiel, mich sogar über mein künftiges Verhalten mit ihren Muthmaßungen beehren und mit guten Rathschlägen versehen zu wollen, so nahm ich plötzlich von aller Welt Abschied, setzte mich in meinen Wagen und fuhr zum Thore hinaus. Der Graf von V** hatte mir einmal gerathen, noch eine Universität zu beziehen, um mir noch einige Kenntnisse zu verschaffen, die mir nützlich seyn könnten zu einem thätigen Leben, das er mir vorschrieb, und zur Wirksamkeit eines Bürgers. Ich wählte Toledo.
Bey dieser Gelegenheit nahm ich es aber ganz deutlich wahr, daß ich und meine Glückseligkeit für eine gewisse Art der bürgerlichen Existenz durchaus nicht gemacht wären. Unter auserlesenen Freunden, und tief mit andern Ideen beschäftigt, nimmt man dies alles nicht wahr. Man ist da immer ein glücklicher Einsiedler. Kann man sich aber mit dieser Vorbereitung zu Gesellschaften und zu einem Umgange herablassen, wo man keine andere Unterhaltung, als diese einzige kennt? In diesem Augenblick entsagte ich mit vollem Herzen, allen diesen albernen Cirkeln und aller Sucht, in ihnen zu glänzen; ich kann mir itzt das Zeugniß geben, dies Gelübde selbst auf Kosten meines Rufes, der von diesen Leuten immer abhängig ist, gehalten zu haben, und werde hierauf für Ewigkeiten bestehen. Mir genügt eine einzige erlesene Gesellschaft, lieber Graf, eine Gesellschaft, so wie Sie dieselbe oft in meiner Geschichte gesehen haben, eine, so wie die Ihrige ist.
Ich kam in Toledo an, nur von einem einzigen Bedienten begleitet, denn ich hatte die Idee, hier ganz einsam für mich und ganz unerkannt bleiben zu wollen: theils aus einem auf meinen Abentheuern eingesogenen Grundsätze der Oekonomie, theils zum Vortheil meines Fleißes. Dies wäre in der That etwas sehr Kluges gewesen, wenn mein zu offener, zu freundschaftlicher Charakter mir nicht einige Streiche gespielt hätte, die mir gegen das Ende meines Aufenthalts ungemein übel bekamen.
Nicht zwey Monate war ich da, als des Grafen von V** gütige Vorsorge für mich, sich schon in deutlichen Merkmalen äußerte. Was man ihm angeboten hatte, hatte er für mich sich erbeten. Man trug mir unversehens von Madrid aus einen ansehnlichen Posten am Hofe an, der mit auswärtigen Geschäften verbunden war, wo ich alle Kenntnisse, und allen praktischen Menschenverstand, den ich besaß, geltend zu machen Gelegenheit hatte. Ich nahm ihn mit der Bedingung an, noch ein halbes Jahr vorher mir allein widmen zu dürfen, und man war es zufrieden.
Während der ersten Zeit meines Aufenthalts suchte und fand ich auch wenig Gelegenheiten zur Untreue gegen jenen Entschluß, mir alles allein zu seyn, und die wenige Zeit, die mir vor Antretung der Amtsgeschäfte übrig blieb, der Erweiterung meiner Kenntnisse und der Ausfüllung mancher Lücke zu widmen. Aber die Zerstreuungen mehrten sich, so wie ich der Welt um mich her bekannter wurde; ich war ihr zwar immer noch fremd genug, aber man fand mich für einige Cirkel hinreichend gebildet, und die Neugierde, diesen sonderbaren Menschen kennen zu lernen, der sich selbst von den allgemeinsten Vergnügungen ausschloß, und dessen Kenntnisse, Sprache und Manieren einen weit höhern Stand verriethen, als er auszuhängen für gut fand, setzten mich oft dem Ungestüme des großen Haufens aus. Unter diesen fanden sich natürlich auch Bekanntschaften, die der Mühe werth waren, beybehalten zu werden, und da ich keinen andern Weg zur Ruhe vor mir sah, als mich wieder geduldig ins Gleiß der Gewöhnlichkeit zu schmiegen, so versammelte ich wenigstens nach gerade einen Kreis von auserlesenen Freunden um mich her. Es waren ihrer viere: ein Herr von B***, ein Franzose, den Familienverhältnisse, und ich weiß nicht welches Ungewitter hierher verschlagen hatte; Don Pablos F*, Don Bernhard H**, und der Graf S–i.
Der Herr von B*** war unter allen der gebildetste; hatte die feinsten Kenntnisse, viel Weltkunde, einen meisterhaft praktischen Scharfsinn, feine Manieren und die angenehmste, hinreissendste Beredsamkeit. Wenn er unter uns war, stockte die Unterhaltung nicht einen Augenblick lang, und immer erinnere ich mich noch mit einer Art von Entzücken seiner Mährchen, die er uns, wenn wir am Kamine traulich zusammensaßen, aus dem Stegereife erfand, und mit der üppigsten Laune zum Besten gab. Seine Phantasie war durch eine Reise nach dem Morgenlande, von der er erst vor einigen Jahren zurückgekommen war, dazu recht eigentlich aufgelegt; aber er hatte dadurch auch einen so herrschenden Hang zum Romantischen derselben erhalten, daß er gewöhnlich alles ansteckte, was ihn umgab. Dies war auch unser beyder Berührungspunkt. Er sah so manche Dinge der Vorzeit, so manches Ereigniß des Lebens, wie die ganze Verknüpfung und allmähliche Auseinanderwickelung desselben fast mit denselben Augen, als der Graf von V** an, und dies war ein Grund mehr, mich seiner Freundschaft und Zutraulichkeit geneigter zu machen.
Mit eben so vielem Hange zur Galanterie, als ich besaß, verband er die auffallendste allgemeine Abneigung gegen die Weiber. Dies unterschied ihn gar sehr von dem Grafen von V**, der ohne gegen irgend eins, seinem Charakter nach, schwach seyn zu können, doch ganz andere Vorstellungen von der Würde ihrer Natur hatte, und sie immer mit einer Ehrfurcht und Nachsicht behandelte, welche ohne allen Zweifel von dem Gefühl seiner Kraft und seines inneren Uebergewichts herrühren mochten. Vielleicht waren die verliebten Abentheuer, die Herr von B*** im Oriente sehr häufig aufgesucht, und oft mit Gefahr seines Lebens durchgeführt hatte, an dieser Verachtung schuld; diesen Grund gab zum wenigsten die Art an, mit der er sie uns zuweilen stückweis erzählte.
Niemals widersprach er, niemals ließ er sich in irgend einen Streit ernsthaft ein, als lediglich wenn das Gespräch auf die Weiber fiel, und man sich die Mühe nahm, sie gegen ihn vertheidigen zu wollen. Wenn er einmal des Abends übler Laune war und zu philosophiren anfangen wollte, so brachte man ihn am sichersten durch eine Anekdote, die irgend etwas zu der Ehre der Mädchen bewies oder beweisen sollte, aus seinem faulen phlegmatischen Gleise, gewöhnlich ward er heftig, zuweilen auch wol auf uns alle erbittert; das Ende aber war immer, daß er uns einige allerliebste Histörchen und Schnurren erzählte, die er erlebt oder gesammelt hatte, oder sogleich selbst erfand, die aber alle die einförmige Moral enthielten: »die Weiber sind eine Gattung von Katzen, die man streicheln muß, ohne ihre Krallen einen Augenblick lang aus den Augen zu lassen.« Man sah es ganz offenbar, diese Erbitterung war ernsthaft, und ihr muste etwas Ernsthaftes zum Grunde liegen. Und womit er zuletzt noch alle seine Bizarrerien bekrönte, war, daß er sich eine Mätresse hielt, eine lange hagere Figur, von einem Dragoner-Wuchse, und auch einem Dragoner-Charakter. Aber niemand hat wol ein Weib unbeschränkter beherrscht, als der Herr von B*** seine Gebieterin. Er nannte sie sein Nachtlicht, weil er behauptete, sie habe bey Nacht den größten Glanz; ob ich gleich versichern kann, daß er niemals während unserer Bekanntschaft, diese Eigenschaft untersucht hat. Wir brachten sehr oft des Abends bey ihr zusammen zu, uns über ihre naiven Streiche, über ihre Art sich auszudrücken, über ihre Mimik und ihre langen Schritte zu belustigen; ihr Liebhaber war aber immer der erste, der aufbrach.
Sein natürlicher Widersacher war Don Bernhard H**; denn wenn der Herr von B*** behauptete: daß alle Weiber nichts taugten, seine einzige Mätresse ausgenommen, die er immer auf eine gewisse Art in Ehren hielt: so hatte Don Bernhard H** dagegen den Grundsatz, daß alle Weiber gut wären, aber gerade seine Mätresse nichts taugte, und was das Beste noch war, beyde wollten alles, was sie sagten, durch ihre Erfahrung beweisen. Dieser Don Bernhard H** war der seltsamste Mensch, den die Welt vielleicht gesehen hat. In seinem Charakter hatten sich zwey entgegengesetzte Temperamente auf die sonderbarste Weise gemischt. Er konnte cholerisch und rasch bis zur Ausschweifung seyn, und auf der andern Seite träge und ruhig, ebenfalls bis zur Uebertreibung, und dies alles ging einer gewissen Ordnung nach. Doch glaube ich, daß das erste Temperament bey ihm das natürliche, und das andere ein durch Philosophie anfänglich erzwungenes und nur nachher eigenthümlich gewordenes war, ob man gleich nicht ihren Uebergang ineinander bemerkte.
In seiner Seele herrschte ein Ernst, der alle seine Gedanken und Empfindungen, der sein ganzes Wesen umgeformt hatte. Auch nicht ein einzigesmal habe ich ihn lachen gesehen, und alles was er zu unserer oft ausschweifenden Fröhlichkeit beytrug, war ein halbes, obgleich nicht untheilnehmendes Lächeln; und dies alles ohne Spannung, ohne inneren Krampf, blos der Natur seiner Seele nach. Hierzu kam noch, daß unter seinen Erfahrungen solche das Uebergewicht gehabt hatten, welche zu dieser Kälte natürlich beytragen musten. Denn vor den größten späteren Unfällen, die ein Mensch nur erleben kann, war er von früh an in einem gleichen, nie unterbrochenen Strome von Freuden und Wollüsten fortgeschwommen, hatte alle Arten des Unglücks und der Glückseligkeit gekostet und ausgekostet, und wüste nun nichts mehr, was ihn aus dem Gleichgewichte seiner Gemüthsfassung hätte bringen können. Die Natur hatte sich gleichsam zum erstenmale in diesem schrecklichen Menschen erschöpft, sie hatte nun nichts mehr, was ihn zu rühren, was ihn einen Augenblick lang seiner Laufbahn zu entrücken im Stande gewesen wäre; wie ein Gott ging er thränenlos vor den gequälten Zuckungen der Menschheit vorüber; wie ein Gott sah er ohne Liebe, ohne Theilnahme, ohne Vermehrung seiner innern Glückseligkeit, seines geheimen Bewußtseyns allen Ergüssen der Freude und des Wohlbefindens zu, die er selbst um sich her verbreitet hatte. Keine Bitte, keine Vorstellung fand ihn empfindlich; keine Beleidigung brachte ihn auf; mit unverwandtem Auge, ohne einen schwachen Moment, und sich selbst nicht in einem einzigen fehlend, ohne Gefühl für seinen Ruf, ohne Gefühl für das Geschwätz des Volks, so wenig als für die Meinungen seiner Freunde, ging er einem lange entworfenen, und erkämpften Plane einer strengen Tugend nach, die ihn, wie er sagte, wenigstens mit derselben Gelassenheit zu einem unglücklichen Leben hinausführen würde.
Und was bey allem diesem das Bewunderungswürdigste war, er war nichts weniger als ein Tugendeiferer; mit Gelassenheit ertrug und sah er Laster und Thorheiten an, nie verlohr er ein einziges Wort, selbst über die seiner Freunde, aber er machte sie im Stillen wieder gut, und man kam darauf von selbst, ohne seine Veranstaltungen zu merken. Nie vertheidigte er eine Meinung oder griff andere außer ihm an; von andern Menschen sprach er gar nicht: er verachtete sie darum nicht, sie waren nur für ihn Größen ohne Bedeutung, und zwar die einzigen dieser Art im ganzen großen Weltall.
Er hatte nichts gelesen, und es muste ein sehr seltsames Buch seyn, das ihn zum Lesen anreizen sollte. Seine Grundsätze waren keinem Weltweisen und Moralisten abgeborgt, sondern aus dem großen Buche der Erfahrung, aus dem Umgang mit Menschen und aus seinen Schicksalen mit aller erdenklichen Kälte geschöpft, und darum hielten sie auch Stich, wenn sie wieder unter die Gegenstände geriethen, von denen sie abgezogen waren. Sein Herz übte nicht Tugend, es war durch die Kraft der Gewohnheit zur Tugend selbst geworden; ihm kostete keine Handlung etwas, die wir andern Aufopferung nennen; es lag nun schon in seiner Natur, so und nicht anders zu verfahren, so und nicht anders zu wünschen.
Es schien, als hätte er sich überhaupt von allen Sinnen loßgemacht; denn ob er gleich fühlte und tief fühlte, so war doch die Seele, welche empfand, eine ganz andere, als die sich entschloß und handelte. Keine ging der andern im mindesten an, keine bekümmerte sich um die andere. Was er für seinen Körper that, war lediglich, um seine Gesundheit zu erhalten: denn er behauptete, die kluge Pflege des Leibes sey die halbe Tugend. Niemand konnte mäßiger seyn; er trank niemals Wein, oder ein anderes erhitzendes Getränk; er speißte den ganzen Tag über nur ein einzigesmal, und diese Mahlzeiten bestanden in nichts weiter, als in Brodt, Butter und getrockneten Früchten. Diese strenge Diät, welche er unter keinem möglichen Vorwande überschritt, statt daß sie, der Theorie nach, seine Konstitution hätte schwächen sollen, schien seine blühende Gesundheit mit jedem Tage selbst zu vermehren, und erhielt ihm immer einen vollen Gebrauch seiner Kräfte.
Der Graf S–i war ein anderer Charakter, ebenfalls ausgezeichneter Art, und der Adonis unserer Gesellschaft. Die schönste Mannsgestalt, die man nur sich vorstellen kann, mit einer weiblichen Sanftheit und mit dem Ausdrucke der reinsten Engelsseele gemildert. Ach! er war so gut, so himmlisch sanft; – es gab Augenblicke, wo man ihn hätte anbeten mögen. Die lauterste Einbildungskraft, die sanfteste Stimmung seines Geistes, ein Gedächtniß, das nur für die Szenen der Anmuth und milden Tugend da zu seyn schien, hatten sich bey ihm durch eine sanfte rührende Schwermuth und durch eine leise Schwärmerey zum Entzücken ineinander verschmolzen.
Er hatte in seinem Leben nur einmal geliebt, und er hatte unglücklich geliebt. Die Herzen aller Weiber standen offen für ihn; er war der Abgott aller Mädchens; dies einzige nur war gegen ihn hart, und machte ihn, mit seinen treflichen Anlagen zum Glück, auf Lebenszeit unglücklich. Dies hatte ihn aber nicht von seinen Brüdern entfernt, und gegen sie gleichgültig gemacht; sondern er lebte seit dieser Zeit unter ihnen mit lebendigerer Wärme, mit thätigerer Theilnahme. Kein Mensch hat in seinem Cirkel wol mehr um sich her glücklich gemacht, und wo es die Kräfte der Menschheit überstieg, thätig zu helfen, da tröstete schon der rührende Erguß seiner stillen Tugenden.
Ach! es war ein Mann für dies unglückliche Zeitalter. Sein schöner, gebildeter Körper war für die Sinnlichkeit desselben; sein Herz, offen jeder Gattung des Kummers und sich immer in ihm mit verzehrend, für das Elend desselben. Man trug ihn auf den Händen; ihn betete alles an. Seine Sanftmuth, seine reine, lächelnde Unschuld, seine kunstlose Güte und Bescheidenheit schmeichelten sich in jedes Herz hinein; man fühlte sich schon voll Rührung und Liebe für ihn, ehe man ihn noch recht neben sich wahrgenommen hatte. Er liebte die Künste bis zur Leidenschaft und trieb verschiedene von ihnen bis zur Vollkommenheit. Keinen Apollo können die Grazien wieder so auf allen seinen Schritten begleiten.
Don Pablos F* war ein sanfter, süßer Junge, aber im Grunde ein wenig bedeutungslos; sonst mit einem jovialischen, immer heiteren Gemüthe, freundlich und glücklich. Er hatte mehr Laune als Witz; aber sie war hinreißend, wenn sie sich einmal ergoß. Und ob er gleich nicht recht zu uns andern Vieren paßte, so war er uns doch so unentbehrlich geworden, daß wir unsere Abendmahlzeiten allezeit sehr langweilig fanden, wenn er einmal fehlte. Wir ruheten in seinem Geiste gleichsam aus, und durch den sanften Fluß, den er immer der Unterhaltung zu geben wußte, gewannen wir manche Vorstellung und manche kleine Freude. Er verstand die Kunst des Gesprächs vollkommen; niemals unterbrach er, ließ die ganze Welt reden, so lange und so viel sie nur wollte, und that nicht das mindeste dabey, als nur aneinanderzuknüpfen, wo etwa eine Lücke entstand. Eine leichte und immer artige Bemerkung, worauf er zu sinnen Zeit genug gehabt hatte, die er aber wie zufällig in die Unterredung hineinwarf; ein kleines possierliches Anekdötchen, das wie aus den Wolken fiel, eine niedliche Naivetät, auch wol zuweilen ein etwas mehr als gewöhnlich schimmernder Witz versahen dies hinreichend, und wir gingen keinen Abend auseinander, ohne von seiner Unterhaltung bezaubert zu seyn, ob er gleich gewiß unter allen am wenigsten und unterbrochensten geredet hatte.
Was noch mehr zu unserer Belustigung beytrug, war ein Mädchen, das er unterhielt, ein Geschöpf, ganz genau so wie er, drolligt, klein und nett; eine rasche, launigte Brünette. Niemals haben sich auch zwey Leute vollkommner mit einander verstanden. Es war als sey ihre Seele nur einzig. War er einmal ernsthaft, welches selten genug der Fall war, so fing sie der Seltenheit wegen zu weinen an; sie lachte mit, wenn er wollte; er, worüber sie wollte, und es traf sich auch zuweilen, daß sie beyde übereinander lachten. Sonst waren sie ganz einstimmig gegen jene lange Dame, die sie von Grund ihrer Seelen haßten. Man kann es sich vorstellen, zu was für seltsamen Auftritten diese Kotterien Veranlassung gaben.
Aber es ist unmöglich, von den kleinen reizenden Bachanalen, die wir sehr oft des Abends zusammen hielten, ein hinreichendes Gemälde zu geben; ein jeder hatte sich so sehr den Tag über ermüdet, daß er mit der besten Anlage von der Welt, sich recht aus Herzensgrunde zu ergötzen, zur Abendmahlzeit kam. B*** und Don Pablos, hatten es sich indeß den Tag über recht sauer werden lassen, kleine Anekdoten und skandalöse Geschichtchen zusammenzutreiben; diese wurden nun erzählt und die Gesellschaft bemühete sich sie auszuschmücken, wie sie recht artig hätten seyn können; dies veranlaßte einen jeden etwas Aehnliches aus seiner Lebensgeschichte zum Besten zu geben. Don Bernhard würzte dies alles mit seiner weitumfassenden Menschenkenntniß und mit einigen Aeußerungen, die höchst moralisch waren, ohne es im geringsten zu scheinen; und der Graf S–i mit seiner sanften, entzückend schwärmerischen Menschenliebe, die alle Bitterkeiten des Witzes und der Laune bis zum Gefallen milderte. Unterdessen war es gewiß, daß die beyden Mätressen aneinander gerathen waren; die kleine bot alles auf, was nur Lustigkeit und Witz vermögen, um die Ausfälle der großen zu pariren, und ihr gelegentlich einen Gegenstoß anzubringen; wir nahmen allmählig einen allgemeinen Antheil daran, welches so lange dauerte, bis die Tafel aufgehoben war, und B*** mit einem Machtspruche Ruhe gebot. Hierauf versammelte uns der Kamin um sich herum, und wir beschlossen die Abende mit aller der Glückseligkeit, welche nur das freundlichste, nie unterbrochene Einverständniß, welche unbeleidigender Witz und eine gesunde Laune zu geben vermögen. Alles, was der Charakter Eigenthümliches besaß, konnte sich hier ungehindert und mit aller Freiheit entfalten; alles Rauhe ward durch irgend etwas zu einem sanften Schmelze abgeschliffen; indem das Sanfte im Rauhen selbst die ihm fehlende Stärke erhielt.
Dies waren die Abende; aber es ist nöthig, auch auf die Tage zu kommen. Wenn jene den Fortgang meiner Begebenheiten deutlicher erklären halfen, so gaben diese ihnen selbst ihre eigenthümliche Richtung. Meine Verbindung mit der Gesellschaft war so gut als völlig vernichtet; man hatte mich nicht förmlich herausgestoßen, aber ich hatte sie mit eigener Hand aufgelößt; ich hatte sie selbst bestritten, sie selbst hatten wider die Vereinigung gehandelt, und man konnte wissen, was man von mir zu erwarten hatte. Ueberdem habe ich ihnen mein Wort nicht gegeben, von ihrer Verbindung niemals zu sprechen, und den Eid, den sie mir auflegten, kein Papier, was sie mir gaben, aus den Händen zu lassen, werde ich bis zu meinem letzten Athemzug halten. Nichts konnte mich daher verhindern, zuweilen von meinen Abentheuern etwas fallen zu lassen, das hinreichend war, die Neugierde ähnlich gestimmter Herzen zu reizen und auf sich zu ziehen.
B*** war der erste, der mich darüber in die Klemme nahm. Nachdem er einmal des Nachts noch spät, um mich allein zu treffen, zu mir gekommen: nachdem das Gespräch wider alle Gewohnheit zehnmal abgerissen, und erbärmlich genug wieder angeknüpft war; nachdem er sich eben so oft auf dem Sopha unruhig hin und her geworfen, und ich ihn endlich auf mehr als einen spähenden Blick, womit er mein ganzes Gesicht in Augenschein nahm, ertappt hatte, brach er endlich mit einem großen Seufzer in die Worte aus:
»Höre einmal, Karlos, ich kann Dein verdammtes Stillschweigen nicht länger ertragen. Du hast etwas auf dem Herzen, und es quält mich, daß Du es für Dich behältst. Was sollen alle Deine abgebrochenen Reden, und geheimnißvollen Wörtchen? Heraus damit. Du ängstigest mich tödtlich damit.«
Ich mußte über seine Ungeduld lachen; aber ich fand es endlich für gut, ihm einen kurzen Abriß des Ganzen zu geben. Während dessen lächelte er einmal über das andere; selbst bey Stellen, wo meine Erinnerung sich in Thränen ergoß; und am Ende brach er lautlachend in die Worte aus:
»Zum Henker! Du kannst allerliebst erzählen. Das ist ja ein artiges Mährchen. Aber, im Vertrauen, Karlos, mich findest Du damit nicht ab.«
Er hatte meine Hand ergriffen, um mir recht starr ins Gesicht zu blicken, und um zu sehen, was diese saubere Rede für eine Wirkung darinn hervorbringen würde. Ich warf seine Hand ungestüm aufs Sopha, stand heftig auf, ging ans Fenster, und sagte im Vorbeygehen:
»Herr von B***, kein Wort hiervon weiter, wenn Sie aus Ihrem Freunde mich nicht zu Ihrem Feinde machen wollen.«
Der Unwille hatte meine Stimme so sehr mit Thränen erstickt, daß ich zwischen ihnen kaum diese Worte hervorpressen konnte.
Er sah mir ganz erstaunt nach; schlug dann die Arme ineinander, heftete den Blick auf den Boden, und sann einige Minuten lang nach.
»Das wäre doch eine erschreckliche Geschichte,« fing er dann wieder an, »wenn Du mich nicht zum Besten haben wolltest, Karlos.« –
Ich dächte, Du gingest itzt nach Hause, antwortete ich ihm, Du siehst, der Tag bricht schon an, und ich bin müde.
»Bist Du?« sagte er in einem komisch-tragischen Ton. »Nun gut, ich gehe, und will dies alles gehörig verdauen.« – Er reichte mir hierauf die Hand. »Ich hoffe, Karlos, wir sind Freunde.«
– Wenn Du wirst ausgeschlafen haben, denke ich, wirst Du es hoffentlich einsehen, daß ich es bin.
Am andern Tage schien er ungewöhnlich im Innersten seiner Seele beschäftigt zu seyn: aber er verlohr über die Geschichte kein einziges Wort; er hing den Kopf nur, kein Einfall wollte fließen, kein Einfall wollte schmecken, er sann und wußte nicht, daß er sann. Erst den dritten Tag darauf, als wir uns allein befanden, fing er davon an. Nachdem es genug in seiner Seele gegährt hatte, schien er auf einmal zu einem Entschlusse gekommen zu seyn; aber was ich ungeachtet meiner ziemlich genauen Kenntniß seines Charakters niemals vorausgesehen haben würde, war die Art, wie er sich darüber erklärte. Zuerst war er Zweifler gewesen bis zur Beleidigung; seine schwärmerische Seele hatte aber den leisen Funken, den die Erzählung hineingeworfen hatte, auf einmal zur hellen Flamme aufgehaucht, und er war nun Enthusiast für diese seltsame Erscheinung, deren Möglichkeit er sich niemals gedacht hatte. Nun wollte er allem bis auf den Grund sehen; mit hundert Fragen bestürmte er mich um eines einzigen Punktes, und gerade um des Punktes willen, wovon ich der Gesellschaft das Wenigste mit Gewißheit hatte abmerken können, über ihren Plan, und wohin dies alles nur abziele. Was war ich im Stande ihm hierüber zu sagen? Aber wir entflammten uns Beyde hierüber so sehr, daß wir endlich eine wahrscheinliche Ursach' ausfindig machten. Eine versteckte Gluht rauschte hin und wieder im Reiche schon unter der Asche; die Hände waren versteckt, selbst der sie in seinem Innern fühlte, hatte nie den ersten Grund anzugeben gewußt. –
Wir Beyde waren nicht für Revolutionen; wir fühlten es, die monarchische Regierungsform sey für das Ganze immer die beste; im Herzen von einer edlen Freyheit erglühend, fühlten wir es, daß wir immer im Stande seyn würden, uns ihrem Drucke zu entziehen, ohne Aufruhr gegen göttliche und menschliche Gesetze, durch die einfachen Gesetze der Klugheit und Stärke, und ohne einen Vortheil von denen einzubüßen, welche die Ordnung in den Befehlen eines Einzigen dem Zusammenhange des Ganzen mittheilen müsse.
Aus diesen Ideen, welche wir in der Geschwindigkeit aus unsern Erfahrungen und Beobachtungen zusammenraften, entstand allmählig ein Plan. Durch die unaufhörlichen Verbindungen der Vorstellung, wozu er durch die Neuheit der Sache und ihrer Verwandtschaft mit seiner eigentlichen Charakterstimmung, und ich durch seine so lebhafte Theilnahme aufgereizt waren, erweiterte er sich, und wir kamen endlich zu der unsinnigen Idee, eine Gegenverbindung zu machen, und unsere kleinen und vereinzelten Kräfte daran zu versuchen. Wir hatten durch viele und fortgesetzte Bemühungen selbst das Glück, Don Bernhard mit hineinzuziehen, und wir Dreye fingen nun mit vollen Kräften zu arbeiten an. Vermöge unserer zu genauen Verbindung mit dem Grafen S–i, und Don Pablos war es nicht möglich sie ganz auszuschließen; wir gaben ihnen daher eine untergeordnete Rolle, wobey die Weichheit und Milde ihrer Seelen schlechterdings nichts zu verderben im Stande waren.
So setzten sich unsere Plane, die bisher nur Theorie gewesen waren, praktisch in Thätigkeit; wir brachten eine ansehnliche Geldsumme zusammen, um die nöthigen Kosten bestreiten zu können; wir zogen alles, was brauchbar war, auf irgend eine Art in unser Interesse; wir verflochten alle die guten Köpfe, die wir kannten, mit uns, nach Befinden der Umstände auf eine nahe und entfernte Weise. Alle diese Veranstaltungen verhinderten uns nicht, so leise als möglich zu gehen, ausser unserm wohlverwahrten Versammlungszimmer alle Ideen der Art unter dem Mantel der Gewöhnlichkeit wohl zu verstecken, und selbst unsere Mienen, auch während unserer kleinen Abendmahlzeiten, in eine strenge Obhut zu nehmen. Nichts wurde vergessen, uns zu sichern, und alle Kräfte wurden angeregt, Fortschritte zu machen. Als auf einmal alle unsere Plane auf die seltsamste Art durch unsichtbare Hände in eine unbegreifliche Verwirrung geriethen.
Das erste war, daß sich ganz ungewöhnliche Schwierigkeiten fanden, als das halbe Jahr meines Urlaubes verflossen war, und ich noch um ein anderes halbes Jahr ansuchte. Nach vieler Mühe erhielt ich endlich noch ein Vierteljahr, und das mit harten, unverdienten Ausdrücken, und mit dem Befehl, nach Ablauf desselben unverzüglich zur Reise nach Paris, meinem Bestimmungsorte, Anstalten zu treffen.
Hierauf verminderte sich unsere Kasse zusehends. Es half nichts, daß ich das Behältniß in meine Schlafkammer setzen, meine Betten drauf legen ließ, und mich selbst darauf schlafen legte. Heute hatten wir eine Summe hineingelegt, morgen hatte sie sich schon genau abgezählt um die Hälfte, übermorgen wieder um die Hälfte, und alle Tage so fort vermindert. Wir schleppten den Kasten von einem zum andern; wir brauchten allenthalben die nemlichen Vorsichten; alles vergebens. Die Sache blieb, wie sie war. Es ist unbegreiflich, was dieser geringfügige Umstand für große Wirkung auf unsere Verbindungen hatte. Der schwächere Theil der Mitglieder wurde dadurch muthlos gemacht, daß wir nicht einmal solche Kleinigkeiten zu ergründen im Stande waren; uns schlug es selbst nieder, unser Geheimniß wieder so offen entdeckt zu sehen, und es schreckte uns selbst etwas, diese Hände, deren Kunstgriffe wir aufdecken und vernichten wollten, so schrecklich schon wieder in der Nähe zu wissen, ohne ihnen auch den kleinsten abgelernt zu haben. Die Geschäfte selbst geriethen durch das Manövre ins Stocken, denn statt, daß sonst immer Geld genug in Vorrath gewesen war, so kostete es itzt eine unendliche Mühe, die nöthige Summe zusammen zu bringen; den meisten kamen die Ausgaben immer sehr ungelegen, und indem man sich hin und her besann, war der glückliche Augenblick vorüber, und der Eifer selbst erkaltet.
Dasselbe ging mit unsern Papieren vor. Es fehlte nichts Ganzes; aber gerade die wichtigsten Stellen waren ganz säuberlich herausgeschnitten, so daß man wol sah, man habe sich alle Zeit genommen, sie vorher erst recht durchzustudieren. Die Briefe, welche wir wegschickten, wurden aufgehalten, oder man hatte die Couverte verändert, so daß unsere Korrespondenten ganz unausführbare Ordres erhielten, indem die, welche andern bestimmt waren, in ihre Hände geriethen. Wir arbeiteten vergebens, und wir sahen noch dazu mit allen unsern Anstrengungen ein beleidigendes Gespött treiben. Unsere Gesellschaft sank daher so in ihr altes Nichts wieder zurück.
Dies war der Gesellschaft aber nicht genug. Sie muste uns auch noch zeigen, daß sie uns nach ihrem Belieben trennen und wieder zusammen zu fügen vermöchte, wann und wo sie nur wollte. Die Familienumstände des Herrn von B***, die für ihn nicht ungünstiger seyn konnten, versprachen auf einmal einen so glücklichen Ausgang, daß er um sein Vermögen zu retten, für gut fand, nach Frankreich zu gehen. Don Bernhard, dieser kalte, trockene, so ruhige Mann, ward auf einem Balle wahrscheinlich durch etwas mit dem Weine vermischtes, so erhitzt, daß er in einen Streit gerieth, sich schlug, seinen Gegner niedersetzte, und sich flüchten muste. Der Graf S–i verliebte sich in eine schöne, eben angekommene Italiänerin, die ihn sich ganz zu eigen zu machen verstand, und endlich auch den Don Pablos in ihr Netz zog; mich behing man endlich auch mit einem Mädchen, das mich durchaus heyrathen wollte, das mich in tausenderley Verdrießlichkeiten verwickelte, und das mich zuletzt auch zur Stadt hinausjagte. Noch ehe diese Katastrophe eintrat, waren in der Zeit von acht bis neun Tagen unsere kleinen reizenden Abendmahlzeiten gestört, alle meine Freunde von meiner Seite weggenommen, oder mir im eigentlichsten Sinne entfremdet.
Vorher fiel noch die Begebenheit vor, welche ich hier erzählen muß, und welche in allen ihren Umständen so schauderhaft war, daß ich nie daran zurückdenken kann, ohne von einem unwillkührlichen Beben ergriffen zu werden. Ich war der Anstifter des ganzen Unfugs, ich war der dreisteste und standhafteste, ich hatte mir es selbst beykommen lassen, die Polizey zu Hülfe nehmen zu wollen, um sie in meiner Nähe ausfindig zu machen, mir war man daher eine fühlbarere Züchtigung, als allen andern schuldig, und diese brachte man mir auch mit aller möglichen Wirkung bey.
Unter meine Sommervergnügungen gehörte auch ein kleines Landhaus, das ich mir vor der Stadt gemiethet hatte. Hier gaben wir uns zusammen sehr oft kleine Schmäuße, tanzten auch wol, genossen des Abends, und fuhren nach Mitternacht wieder in die Stadt zurück. Voll von unsern Ideen liebten wir es, nachher noch unter uns über Einrichtungen und Plane zu schwatzen, die wir den Tag über getroffen oder ausfindig gemacht hatten. Darum blieb nur immer einer bey den beyden Weibern, und die vier andern fuhren zusammen.
Eines Abends waren wir miteinander sehr lustig gewesen, vielleicht hatte ich selbst mehr als gewöhnlich getrunken, die Mitternacht war schon lange vorüber, und man eilte zum Aufbruch. Alles war fertig, nur ich konnte meinen Hut nicht finden; es war kühl und ich wollte nicht ohne ihn fahren. Endlich erblicke ich ihn oben auf einem Schranke. Indeß, daß ich einen Stuhl ansetze, ihn herunter zu nehmen, gehen die andern in den Hof; ich lösche noch aus Vorsicht selbst die Lichter auf den Kronleuchtern aus, und eile ihnen nach.
Als ich herunter komme, steht mein Wagen vor der Thüre, man steigt hinein, ich bin der vierte, man wartet auf mich, ich setze mich an meinen gewöhnlichen Platz, die Thür wird zugemacht, der Wagen geht fort. Voll von meiner Lustigkeit schäkere ich immer noch und plaudere ohne Aufhören. Man antwortet mir nicht; ich wundere mich allmählig, ich glaube indeß, man will seinen Spaß mit mir treiben. Aber auf einmal ist es, als würden meine Augen eröfnet, die drey neben mir sind ganz schwarz gekleidet, und völlig verhüllt; ich denke nun nicht mehr an meine Freunde, es ist als wenn ich es fühle, in welcher Gesellschaft ich bin, die Stimme erstirbt mir im Munde, die Haare heben sich hoch empor, ein einziger Schauder ergreift den ganzen Körper, die Zähne fangen an zu klappern, die Knie aneinander zu schlagen. Aber dies Todtenschweigen wird durch nichts unterbrochen.
Man bewegt sich endlich; der neben mir sitzt, zieht etwas hervor; er zerbricht die Spitze daran, und eine Lichtflamme fährt heraus und zündet das Ganze an. Die Gesichter enthüllen sich, barmherziger Gott! ich erkenne sie wieder, es ist Jakob mit noch zwey andern aus der Höhle. Ich bin im Begriff in Ohnmacht zu fallen, aber drey blinkende Dolche, die auf mich gezückt sind, erhalten mich lebendig.
»Kennst Du uns?« ruft endlich Jakob mit schrecklicher Stimme aus. Hierauf verlöscht das Licht wieder. Ein Todtenschweigen. Man zieht endlich die Schnur am Wagen an, steigt heraus, befiehlt dem Kutscher weiter zu fahren und alles ist wie eine Erscheinung verschwunden.
Wie ich nach Hause komme, so sind blos die beyden Weiber mit ihrem Gesellschafter da, die drey anderen, mit denen ich habe fahren wollen, fehlen noch; ich schickte meinen Wagen zurück, sie waren, indeß er fortgefahren war, in dem Garten gewesen. Man fand mich krank und halbohnmächtig; kaum konnte man mich ins Bette bringen, als ich auch wirklich mein Bewußtseyn verlohr, und wer kann sich das Schrecken der ganzen Gesellschaft vorstellen, als ich ihnen mein Abentheuer erzählte. Alles war außer Fassung; nur Don Bernhard blieb in seiner gewöhnlichen Ruhe, und sagte nur die Worte: »das elende Geschmeiß! Gewiß ich hätte gestern Abend mein Leben verlohren.«
Bald darauf traten die Veränderungen, die ich oben schon angeführt habe, tausend verdrießliche Vorfälle mit einigen Familien der Stadt, mit denen ich genauer verbunden war, flößten mir einen so entschiedenen Ekel gegen alles, was aus Toledo war, ein, daß ich mit Ungeduld meine Depechen, und den Befehl zu meiner Abreise erwartete. Beyde kamen, und nie bin ich mit froherm Herzen aus einem Thore gefahren, als aus dem Thore von Toledo.
Paris ist der Ort sich zu vergnügen. Mein Platz war wahrhaftig nicht zum Müßiggange gemacht; aber ich war der Arbeit nicht ungewohnt, ich hatte Gewandtheit und Leichtigkeit genug, schmiegte mich bequem in ein jegliches Fach, wenn es nichts als Mühe und Aufmerksamkeit kostete, und hatte, wenn meine Feder niedergelegt und der Rock des Staatsmannes auf die Seite war, noch hinreichend Zeit zu meinem Vergnügen.
Niemals habe ich eine Lustbarkeit mehr geliebt als eine Maskerade. Denn nirgends waren meine Bewegungen so ungebunden, und nirgends konnte ich den immer noch regen Hang zu kleinen Abentheuern und verliebten Spielereyen auf eine unschuldigere und für mich gefahrlosere Weise befriedigen. Es gab daher gewiß keine Gelegenheit, sich auf diese Art zu belustigen, die ich versäumt hätte.
Außerdem ließen mir meine Geschäfte nicht Zeit genug übrig, in einen großen Kreis von Bekanntschaften mich zu verwickeln. Ich hatte nur wenig Freunde. Unter diesen stand der junge Düc de F**n aber oben an, ein edler Feuerkopf, mit noch vollem, ungeschwächtem, nie betrogenem Herzen, mit allem Stolze seines Adels, aber mit allem Edelmuth einer erhabenen Geburt; gut und doch klug; geschliffen, und doch freymüthig; einnehmend und doch treu. Er war zum Hofmann verdorben; nicht daß ihn das Aeußere dazu gefehlt hätte; nein, er war blos zu träge in jenen kleinen Aufmerksamkeiten, welche dieser Stand als unentbehrlich verlangt. Aber dafür war er, wenn Freundschaft und Liebe es wollten, zu Aufopferungen bereit, welche gewöhnlicher Menschen Fassungskraft weit übersteigen.
Wir Beyde hielten uns immer beyeinander, wir liefen zusammen in alle Kneipen, wir spielten aus einer Kasse, und besuchten dieselben Gesellschaften; was für eine innigere Verbindung kann man sich zwischen zwey Weltleuten vorstellen; aber dies war noch nicht alles, wir eröffneten uns auch Dinge, die den innersten Gefühlen der Freundschaft angehören. Mein Herz hat vielleicht von je her den Fehler gehabt, nicht verschlossen genug, und darum jeder Täuschung, jedem Betruge Preiß gegeben zu seyn, und niemals war Vorsichtigkeit unter meinen Tugenden.
Hierzu kam noch, daß die ganze Gesellschaft, welche in Toledo beysammen gewesen war, sich auch hier nach gerade wieder zusammenfand. Einer kam nach dem andern, und ein jeder wollte durch irgend einen wichtigen Beweggrund hierher gezogen seyn. Wir fingen wieder an, sehr häufig bey einander zu seyn, wir sprachen nicht seltener wieder von unsern Geheimnissen; ja, was noch ärger war, wir begannen sogar den jungen Herzog darin einzuweihen. Die Entfernung vom muthmaßlichen Wirkungskreise des Bundes, und die anhaltend genossene Ruhe machte uns sicherer, als die gesunde Vernunft es eigentlich hätte zugeben sollen.
Einsmals saßen wir auf einem Maskenballe, von dem Geräusche und der Spasmacherey ziemlich ermüdet, in einem Nebenzimmer am Feuer zusammen, und ich erzählte ihnen ganz traulich und ausführlich etwas von der Erscheinung Amanuels bey der Flucht mit Elmiren. Es ward darüber spät; das Feuer verglimmte allmählich, und die Kerzen begannen schon immer dunkler und dunkler zu brennen. Wir waren wie allein gelassen, und es schlichen nur selten einige Masken, die aus einem Zimmer ins andere gingen, vor uns vorüber. Vertieft in meine Begebenheiten achteten wir nur wenig darauf. Wir alle waren höchst ängstlich gestimmt, und Aller Blicke hingen mit einem schauderhaften Erstaunen an meinen Lippen.
Am Ende der Geschichte rief der Herzog auf einmal wie im Enthusiasmus aus: »Karlos, ich möchte wol einmal Deinen Genius sehen!« – Urplötzlich vermehrte sich unsere Gesellschaft um eine Person, eine Maske drängte sich zwischen die Stühle hindurch und uns näher; es war ein weißer Domino; sie schlug den Mantel auseinander, wandte sich zum Herzog, und sagte: »hier ist er!« – Und es war in der That Amanuel. Aller Augen waren auf mich geheftet, um die Bestätigung dieser schrecklichen Erscheinung zu sehen; und mein starres Erblassen bejahte sie.
Hierauf sprang Don Bernhard sogleich auf, die Maske zu greifen, sie schlüpfte ihm aber unter den Händen hinweg, und verschwand unter dem Gewühle. Wir suchten den ganzen Abend durch, aber fanden sie nicht mehr.
Indeß fingen meine politischen Begebenheiten sich zu verschlimmern an. Ich arbeitete mit dem nemlichen Eifer als vorher, aber dies hinderte den Minister nicht, mir einen Verweiß nach dem andern zu geben. Ich mochte alles so gut einrichten, als ich nur wollte, immer war etwas vergessen. Von allem diesen konnte ich nichts verstehen. Ein Freund schrieb mir indessen von Madrid, alles sey da in Gährung wider mich, ob er gleich keine Ursache wisse; man legte mir meine Verabschiedung endlich so nahe, daß ich sie zu suchen gezwungen war, und so war ich wieder einer Laufbahn entrissen, in der ich mich so wohl befunden, und in der ich noch immer bisher zu meiner eigenen Befriedigung gearbeitet hatte. Erbittert beschloß ich, mich meinem undankbaren Vaterlande auf immerzu entziehen, und nachdem ich noch einen großen Theil von Europa besehen hatte, mich dann in irgend einem Winkel der Erde niederzulassen, wo ich unbekannt von meinen Schicksalen ausruhen und ihre Beendigung abwarten könnte. Ich beschloß also zu reisen. Ein Bedienter und zwey Pferde, mit wenig Gepäck beladen, waren dazu meine ganze Ausrüstung. Ich nahm unvermuthet Abschied von meinen Freunden, und ritt fröhlichen Herzens davon.
So wie ich reiste, war ich bald den Gränzen der Schweiz nahe. Denn nichts hielt mich auf, nichts fesselte mich. Ich jagte immer so mißmüthig in die Welt hinein, keine Gegend, keine Sitte behagte mir, ich suchte etwas und wuste nicht was. Endlich fand ich es.
Ich kam eines Abends auf eine kleine Reihe von Häusern zu, die in einiger Entfernung von der Straße ablagen, und wo ich mir vornahm des Nachts zu bleiben. Der kleine Fußsteig schlang sich um mehrere Büsche und verlief sich endlich in einen geräumigen Rasenplatz, in dessen Hintergrunde ich vom blassen Mondstrahle aus der Wand hervorgehoben ein kleines Häuschen bemerkte. Es sonderte sich mit einer angenehmen Reinlichkeit von dem benachbarten Saatengrün ab. Mitternacht war nahe. Mein Bedienter und meine Pferde schienen ermüdet. Ein halberleuchtetes Fenster ladete uns so freundlich ein. Ich wagte es, anzupochen.
Niemand antwortete. Ich klopfte ein zweites Mal; auch hierauf keine Antwort, und doch war jemand in der Hütte. Ein leises Husten hatte es verrathen, indem ich mich näherte. Das Bedürfniß macht dreist; ich ergriff den Drücker am Schlosse und eröffnete die Thür.
Ein weibliches Geschöpf saß im Hintergrunde bey einer Lampe und mit einer kleinen Arbeit beschäftigt. Ihre Kleidung war mehr als gemein, und schien nicht recht zu der Wohnung zu passen, wiewohl das Geräth im Zimmer Nettigkeit, Eleganz und selbst einige Spuren von Prachtliebe hatte. Zuweilen richtete sie die Augen etwas in die Höhe, um nach einem Gemälde zu sehen, das über ihrem Tische hing; ja, helle Thränen sah ich herabrollen und ihr Busentuch von schweren Seufzern gehoben. Sie war so sehr in einen geheimen Kummer, oder in ihre Arbeit versenkt, daß ich mich ihr völlig näherte, ehe sie mich gewahr wurde. Ich war guter Laune, ich ergötzte mich schon im Voraus an ihrem kleinen Schrecken, an ihrer kleinen Verlegenheit, eine fremde Mannsperson unbemerkt sich so nahe gekommen zu sehen.
Endlich, wie sie gar nicht erwachen wollte, trotz allen Geräusches, das ich in ihrer Nähe machte, fing ich laut an zu husten. Sie fuhr erschrocken empor, und sah nach mir auf, da ich dicht über sie stand. Ein heller, halbohnmächtiger Schrey ist ihre Antwort. Barmherziger Gott, es ist Elmire; es ist mein angebetetes Weib. Flehend streckt sie die Hände zu mir herauf; ich falle zu ihren Füßen, sie in meine zitternden Arme, Erde und Himmel verschwinden. Es ist des Wiedersehens großer, erhabener Moment.
Ende des andern Theils.
Nachricht des Verlegers.
Bis hieher reichte das von dem Herrn Marq. von Grosse mir im Januar 1792, aus Spanien übersandte Mspt. Dieselben meldeten zugleich, die Fortsetzung dieses Werks sollte ich noch vor oder gleich nach Ostern erhalten; – Da aber der weiten Entfernung oder anderer vorgefallenen Hinderungen wegen solche bis jetzt noch nicht angelangt ist, so überliefere ich einem geneigten Publikum bey jetziger Oster-Meß-Gelegenheit diesen 2ten Theil und hoffe, nach des Herrn Verfassers Versprechen, die Fortsetzung oder den Schluß der Geschichte zur Mich. Messe nachliefern zu können