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V

Nach vierzehn Tagen waren die Stuten zahm. Don Segundo, ein Mann von Erfahrung und Geduld, kannte alle Kniffe seines Berufes. Jeden Morgen brachte er in der Pferdekoppel zu und machte sich mit den Tieren zu schaffen. Er schlug sie mit der ledernen Satteldecke, damit sie ihre nervöse Empfindlichkeit verlören, klopfte ihnen die Hinterseite, den Hals und die Weichen, damit sie seine Hände nicht mehr fürchteten. Mit größter Vorsicht stutzte er ihnen die Mähne, um sie an das Geräusch der Scheren zu gewöhnen und umhalste sie, damit sie sich nicht niedersetzten, wenn man sich auf sie stützte. So hatte er nach und nach ohne Anwendung von Gewalt die schwierigen Pflichten des Zähmers erfüllt, und eines Tages sahen wir, wie er das Gatter öffnete und mit seinen frisch gezähmten Jungpferden jährige Stiere vor sich hertrieb.

»Die Stuten sind jetzt zahm«, sagte er eines Tages zum Patrón.

»Recht gut«, antwortete Don Leandro, »behalten Sie die Tiere noch einige Tage in der Hand; hernach habe ich eine andere Arbeit für Sie.«

Nachdem für mich diese zwei Wochen, in denen ich mich nur über die Langsamkeit des kleinen Ponys Sapo zu ärgern brauchte, friedlich vergangen waren, erhielt ich eine böse Nachricht.

Im Städtchen hatte man meinen Aufenthaltsort erfahren, und möglicherweise würde man mich zwingen, zurückzukommen. Ha! Diese Heuschrecken würden mir nicht mehr schaden; denn meine Ernte war schon eingebracht. Eher wollte ich mich in den Stausee werfen oder von den Hunden zerreißen lassen, als dieses Schicksal annehmen. Auf keinen Fall wollte ich wieder den Straßenbummler in dem langweiligen Städtchen machen. Ich war – ein für allemal – ein freier Mann und verdiente mir ehrlich meinen Löffel Suppe; eher wollte ich wie ein Puma in den Sumpfdickichten hausen als wie ein Schoßhündchen in den weihrauchstinkenden Rockfalten zweier bärtiger, rechthaberischer Frauenzimmer. Mit diesem Knochen mochten sie einen anderen Hund locken. Ich hatte es jetzt faustdick hinter den Ohren!

In meiner Bedrückung hatte ich nicht auf die Betriebsamkeit geachtet, die die Peone um mich her entfalteten. In der Tat hatten die meisten ein geheimnisvolles, stark beschäftigtes Wesen angenommen, das ich mir erst erklären konnte, als ich erfuhr, daß bald eine Sonderung der Rinder und darauf ein Viehtreiben stattfinden sollte.

Zum zweitenmal schien mir der Zufall eine Lösung meiner Lage zu bringen. Hatte ich mich nicht erst vor wenigen Tagen zur Flucht entschlossen, nur weil der Schritt Don Segundos mir einen neuen Weg gewiesen hatte? Nun gut, diesmal würde ich mit der Herde ziehen; würde den örtlichen Gefahren entgehen, indem ich einfach meinen Aufenthalt wechselte.

Aber wohin sollte die Herde gehen und wer sollte zur Aushilfe mitgenommen werden? Goyo unterrichtete mich – wenn auch sehr unvollkommen – noch am Nachmittag. Die Herde würde fünfhundert Köpfe stark sein und sollte zu einem anderen Kamp des Don Leandro, zwei Tagereisen von hier, getrieben werden.

»Und wer geht als Treiber mit?«

»Valerio geht als Führer und Horacio, Don Segundo, Pedro Barrales und ich als Peone, wenn du nichts dagegen hast.«

Don Segundos Ausführungen waren noch spärlicher. Damals wußte ich noch nicht, wie es kommt, daß diejenigen, die fortgehen, sich stets gegen die Daheimbleibenden in geheimnisvolles Schweigen hüllen.

»Kann ich nicht auch mit?«

»Wenn der Patrón dich schickt, ja.«

»Und wenn er mich nun nicht schickt?«

Don Segundo sah mich von oben bis unten an; dann blieben seine Augen in der Höhe meiner Fußknöchel hängen. Durch sein beharrliches Hinstarren geärgert, fragte ich:

»Was suchen Sie?«

»Die Fußfessel.«

»Wo haben Sie sie denn gelassen?«

»Ich dachte, du hättest sie dir angelegt!«

Einen Augenblick dauerte es, bis ich mir über den Sinn seiner Rede klar war. Dann tat ich mein Bestes, um zu lachen, obgleich ich mich arg verspottet fühlte.

»Ich hab' mich doch nicht gefesselt, Don! Aber ich habe Angst, daß der Patrón böse auf mich werden könnte.«

»Als ich so alt war wie du, tat ich, was mir behagte und fragte den Deubel jemand um Erlaubnis.«

Mit dieser Lehre entfernte ich mich und versuchte, für mich allein den Konflikt zwischen dem Verlangen fortzukommen und der Angst vor einem Reinfall zu lösen.

Da Don Jeremias, der Verwalter, immer freundlich gegen mich gewesen war, wandte ich mich, wenn auch stotternd, mit einer Bitte an ihn. Der Engländer zuckte die Achseln:

»Valerio wird dir sagen, ob er dich mitnehmen will.«

Von Valerio erwartete ich noch weniger Entgegenkommen. Aber er sagte mir, daß er mit dem Patrón sprechen wollte und ihn um Erlaubnis bitten, mich mit halbem Gehalt an den Zug anschließen zu dürfen.

»Hör du«, fügte er hinzu, »das ist aber ein hartes Handwerk.«

»Das tut nichts.«

»Wohl; heute abend bring' ich dir die Antwort.«

Als Valerio mir eine halbe Stunde später vom Pferdepferch her ein Zeichen machte, schob ich die Teller, die ich gerade wusch, beiseite und lief, was ich konnte, zu ihm hin.

»Du kannst dein Bündel schnüren und deinen Pferdetrupp einfangen.«

»Nehmen Sie mich mit?«

»Ja, ja!«

»Haben Sie denn schon mit dem Patrón gesprochen?«

»Ja!«

»Goyo, Sie sind ein Gaucho!« platzte ich in kindlicher Dankbarkeit heraus.

»Na, wir woll'n mal sehn, was du sagst, wenn der Sattel dir das Sitzfleisch zermürbt.«

»Ja, das woll'n wir mal sehn«, antwortete ich selbstsicher.

Eine unbesonnene Handlung kann uns zu einer gewissen Stütze werden; denn nach der großen Geste bemüht man sich, jedes ehrliche Bedenken zum Schweigen zu bringen. Der erste Schritt ist getan, und nun bleibt uns nichts mehr übrig, als fünf gerade sein zu lassen. Aber wenn die Zuschauer fort sind, tadelt man leicht seine willkürlichen Entschlüsse. So beschäftigte auch ich mich, nachdem ich allein geblieben war, gegen meinen Willen mit der Frage, wie es möglich wäre, meine Würde zu wahren. Was konnte ich denn in Wirklichkeit wohl sagen, wenn »der Sattel mir das Sitzfleisch zermürbte?« Wie würde eine Regennacht auf bloßem Rasen schmecken? Welche Mittel konnte ich anwenden, um meine künftigen Neulingsleiden zu verbergen? Keiner der Wechselfälle des rauhen Pampalebens war mir bekannt. Ich fing an, mir Überschwemmungen, Wirtshausszenen und allerhand schlechte Streiche aus meinem Straßenjungendasein ins Gedächtnis zu rufen. Umsonst. Alles, was ich als kleiner Vagabund gelernt hatte, ergab nur ein klägliches Reisegepäck an Erfahrungen für das Leben, das jetzt beginnen sollte … Warum, in Teufels Namen, hatte man mich von der Seite meiner Mutter gerissen und von dem kleinen Pampahof fortgebracht, um mich in die Schule zu schicken und das Abc, Rechnen und Geschichte lernen zu lassen, was jetzt keinen Pfifferling Wert für mich hatte?

Nun hieß es, wie ein Pferd den Bauch beim Anziehen des Sattelgurtes hart machen. Auf der anderen Seite aber beeinträchtigten diese Bedenken und Erwägungen meinen Entschluß nicht; denn ich hatte schon von klein auf meine Gedanken immer nur neben meinem Tun herlaufen lassen. Einmal auf dem Tanzboden, würde ich tanzen, da mir kein anderer Ausweg blieb. Und wenn mein Körper nichts mehr hergeben wollte, so sollte mein Wille ihn immer neu antreiben. Hatte ich nicht das weichliche Leben fliehen wollen, um ein Mann zu werden?

»Was schwatzt du denn da vor dich hin?« rief Horacio, der in der Nähe vorbeiging.

»Weißt du was, Bruder?«

»Nun?«

»Ich geh' auch mit der Herde!«

»Na, da wird das liebe Vieh sich freuen«, erwiderte Horacio, ohne die Bewunderung, die ich erwartet hatte.

»Freuen? Siehst du denn nicht, daß ich zu Fuß gehen muß?«

»Dann wirst du nicht weit kommen.«

»Nein, im Ernst, Bruderherz«, gestand ich im Gedanken an meine beiden Ponys, »weißt du nicht von irgendeinem jungen Pferd, das ich mir kaufen könnte?«

»Willst du Zureiter werden?«

»Ich will mich einrichten, so gut ich kann. Hast du nicht von einem gehört?«

»I, warum nicht; sogar hier ganz in der Nähe, in der Chacra von Cuevas; da wirst du das Passende finden … und billig, billig dazu!«

Und dann gab mir Horacio brauchbare Auskünfte, nachdem er sich über meinen Geldmangel lustig gemacht hatte.

Bei Sonnenuntergang nahm ich Kurs auf die Chacra von Cuevas; sie lag einige fünfzehn Cuadras hinter dem Berg, und ich ging zu Fuß, um meinen Weg zu verheimlichen. Ich fürchtete, der Patrón möchte sich ärgern; und auch den Peonen wollte ich meinen Gang verbergen, da ihnen mein Mangel an Kapital, um einen Handel abzuschließen, bekannt war, und sie mich nur gehänselt hätten. Hinter einer Gruppe von Eukalyptusbäumen machte ich mich davon; stolperte über ein Gewirr herabgefallener dürrer Äste und verfing mich in Baumrinde, weil ich immer hinter mich blickte. Am Rande des Wäldchens verlangsamte ich meinen Schritt; die Hanfschuhe glitten über eine harte, ebene Fußspur. Schließlich näherte ich mich durch ein Maisfeld von wenigen Cuadras dem Rancho.

Zerstreut ging ich vor mich hin und sann nach, wie ich mein Kaufgebot und mein Versprechen, später zu bezahlen, vorbringen wollte. Ich entschloß mich, den Handel abzuschließen, wenn er mir günstig schien, und dann zu sagen, daß ich am folgenden Tage wiederkommen und das Pferd abholen und bezahlen würde.

Plötzlich hörte ich in dem Maisdickicht, an dem mein Pfad entlang lief, das Geräusch brechender Zweige und machte einen unwillkürlichen Satz zur Seite. Zwischen der grünen Saat lachte mich das braune Gesicht einer Chinita an; spöttisch winkte sie mir mit ihrer Hand ein Lebewohl. Wütend setzte ich meinen durch einen so lächerlichen Schrecken unterbrochenen Weg fort.

Ein ungewöhnlich großer, lehmfarbener Hund sprang mich an, so daß ich schon nach meinem Messer griff; doch gehorchte er der Stimme seines Herrn. Ich war nahe an der Siedlung, einem Rancho aus Lehm mit einem dicken Dach aus Ischugras; davor ein Patio, dessen Boden durch Wasser und Besen gehärtet war. Auf einer kleinen Koppel sah ich ungefähr ein Dutzend Pferde, unter ihnen ein kleines hirschfarbenes Tier.

»Guten Abend, Señor.«

»Guten Abend, mein Freund.«

»Ich bin Mensual auf der Estancia …, ich komme, weil man mir sagte, daß Sie ein junges Pferd zu verkaufen haben.«

Der Mann betrachtete mich mit verschmitzten Augen, und ich ahnte ein leises Lächeln unter seinem Barte.

»Sind Sie der Käufer?«

»Wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Dort ist das Pferd … ich gebe es für zwanzig Pesos.«

»Darf ich es mir ansehen?«

»Warum nicht … so viel Sie Lust haben.«

Nach einem kurzen Blick, der aus lauter Verwirrung über meine wichtige Rolle nicht sehr klar war, wandte ich mich wieder an den Besitzer.

»Mit Ihrer Erlaubnis werde ich morgen kommen, es abholen, und Ihnen das Geld bringen.«

»Nun, das war ja ein glatter Handel.«

»…«

Einen Augenblick blieb ich stehen, ohne zu wissen, was ich sagen sollte. Aber da der Mann mir eher zu schweigender Ironie als zu offenem Scherze zu neigen schien, legte ich meine Hand an den Hut, grüßte und wandte mich wieder dem Pfade zu.

Wieder wollte mich der große gelbe Hund anspringen, aber energisch wußte der Mann sich Gehorsam zu verschaffen. Ich weiß nicht warum, aber ich empfand Angst und beschleunigte meine Schritte, bis ich wieder im Maisdickicht untertauchen und dem unangenehm beharrlichen Blick dieser Augen entgehen konnte.

Einige zwanzig Meter vor mir trat eine kleine Gestalt aus dem Dickicht und schickte sich an, in meiner Richtung weiterzugehen. An dem roten Kopftuch und dem hellen Kleid erkannte ich die Chinita von vorher.

Ohne mich zu fragen, warum, fing ich an, der zierlichen Gestalt nachzulaufen, wobei ich mich an der Seite des Weges hinter den Maisstauden versteckte. Doch wie sie meine Schritte hörte, drehte sie sich plötzlich um und lachte mit der ganzen Pracht ihrer Zähne und großen Augen, als sie mich wiedererkannte.

Ich hatte immer nur vor großen Weibern Angst gehabt; hatte mich gefürchtet vor dem Schabernack derjenigen, die an grobe Kost gewöhnt waren. Diesmal aber fühlte ich mich von einer peinigenden Erregung gepackt. Um mich wieder in die Hand zu bekommen, fragte ich gebieterisch:

»Wie heißt du?«

»Ich heiße Aurora.«

Da verflog meine Schüchternheit vor dem lustigen Schalk in ihren Augen.

»Hast du denn gar keine Angst, daß dich ein Tiger auffrißt, wenn du so allein durch den Mais gehst?«

»Hier gibt es keine Tiger.«

Ihr Lächeln wurde noch schalkhafter; ihre kleine Brust hob sich stolz und herausfordernd.

»Es könnte doch mal einer von auswärts kommen«, bemerkte ich vielsagend.

»Der wird wohl noch kein Menschenfleisch gefressen haben!«

Ihre Geringschätzung war hart und verletzte meine Eigenliebe. Ich streckte meine Hand nach ihr aus; Aurora trat ein paar Schritte zurück. Da fühlte ich, daß ich sie um keinen Preis entschlüpfen lassen durfte und nahm sie flink in meine Arme. Sie verteidigte sich hartnäckig und drohte: »Laß mich los, oder ich schreie!«

Mühevoll zog ich sie zum Versteck in die grünen Stauden, durch die sich ungezählte Pfade wanden. Da stolperte ich, durch ihren Widerstand gehemmt, über eine Furche und fiel mit ihr auf den weichen Boden.

Aurora lachte, lachte so völlig selbstvergessen, daß sie gar nicht mehr auf ihren Körper achtete, den sie doch vor kurzem noch so zäh verteidigt hatte. So machte ich mir ihre Vergeßlichkeit zunutze.

Nur einen Augenblick schwieg sie, verzog ihr Gesicht und öffnete den Mund ein wenig, als ob sie litte; dann fing sie wieder an zu lachen.

In meinem Stolz konnte ich nicht umhin, sie zu fragen:

»Liebst du mich, Schätzchen?«

Aber da stieß Aurora mich mit einem Faustschlag von sich; zornig sprang sie auf die Füße:

»Du Dummkopf! … Du Taugenichts! … Daß du stärker bist als ich … das ist alles!«

Da ließ ich sie von mir, und sie ging voller Würde fort und murmelte allerhand vor sich hin, das ihre Scham und Eigenliebe beschwichtigen sollte.


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