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Wenn Registrator Wiesecke beim Consistorialrath Blaustrumpf (der immer noch nicht den Mispelheimer Kalender redigiren konnte) zum Thee war, und die Gespräche über die neuesten Schicksale der gesunden Vernunft auf dem theologischen Gebiete sich abgekühlt hatten und einige Stadtneuigkeiten als Nachtisch aufgetragen wurden, so wußt' er nicht Böses genug von den Kindern des ihm durch Blaustrumpf hinlänglich geschilderten Blasedow zu erzählen. »Was sie in der Schule thun,« sagte er, »weiß ich nicht. Selten vergeht ein Tag, wo nicht Einer von ihnen zu Hause bleibt. Sie führten erst abwechselnd die Gewohnheit ein, daß Einer immer von ihnen selbst gegebene Ferien haben sollte; doch an den Aeltesten kam die Reihe zu selten, und jetzt läßt er sich, wie ich gehört habe, unheilbar krank in der Schule anmelden.« Wiesecke hatte gut erzählen. Wie sollten sich auch diese vier jungen Leute, die an Fleiß und Ordnung nie gewöhnt waren, aller Vorkenntnisse ermangelten und in Klassen saßen, wo sie an Verstand und Jahren allen ihren Mitschülern voraus waren, sich in die Disciplin der Schule fügen? Sie hatten keine wissenschaftliche Grundlage, auf welche sie die Schnörkeleien der Philologie hätten bauen können; sie waren in manchen Fächern selbst den Lehrern gewachsen und in andern die unwissendsten Fibelschützen. Sie wußten von Paris und London zu erzählen und kannten den Weg nicht, auf welchem man dorthin kömmt. Sie hatten das Alterthum schon aus Lessing und Winkelmann kennen gelernt und sollten es nun mit dem Cornelius Nepos und Eutrop erst aus dem Grunde studiren. Sie schrieben lateinische Aufsätze, die von gescheiten Ideen und gräßlichen Sprachfehlern wimmelten. Der kindischen Sphäre durch ihren Verstand längst entwachsen, hatten sie immer die Demüthigung zu ertragen, von den Kleinsten übertroffen zu werden. Es war mit ihnen ein Element in die lateinische Schule gekommen, das die Scholarchen bald als sehr gefährlich erkennen mußten. Mit Niemanden machten sie Gemeinschaft, und doch standen sie bei Allem, was Ungesetzliches und in Masse geschah, an der Spitze. Alle mögliche pädagogische Schröpfköpfe wurden ihnen angesetzt, um ihnen das giftige Blut zu entziehen. Aber Demüthigungen entzündeten ihren Groll nur noch mehr, so daß sie nahe daran waren, für immer mit der Schule zu zerfallen oder, wie Blaustrumpf ihnen schon öfters gedroht hatte, de facto ausgeschlossen zu werden.
Die Noth der Brüder wurde noch gesteigert, als statt Geldes, dessen sie so dringend bedurften, von Hause nur Illusionen, Lebensmittel und zuweilen einige grobe Leinwandhemden ankamen, jetzt aber posttägliche Episteln von Blasedow, der die Zeit nicht erwarten konnte, schon die Früchte auf seinem neuen pädagogischen Erkenntnißbaum reifen zu sehen. »Lieber Vater,« hatt' ihm zwar Schlachtenmaler geschrieben, »beim zu frühen Schütteln fallen von den Bäumen nur die wurmstichigen Früchte ab.« Allein Blasedow bestürmte sie mit so dringenden Vorstellungen und Drohungen, daß sie sich entschließen mußten, seinen Zorn durch eine Fiktion zu beschwichtigen, für welche sie Gott und ihr Gewissen um Vergebung hätten bitten sollen. Sie begannen nämlich, aus der Phantasie eine Laufbahn zu erfinden, welche Blasedow so gern in der Wirklichkeit von ihnen eingeschlagen sah. Sie erfanden Fortschritte, die sie noch gar nicht gemacht, Leistungen, zu denen sie kaum die Vorkenntnisse hatten. So schrieb Schlachtenmaler mit einer eignen Mischung von Muthwillen und Betrübniß: »Lieber Vater! Ich kann immer noch nicht sagen, daß ich von der Akademie hier in Kaputh große Hoffnungen habe. Was sie in Pfeifenköpfen leistet, ist nicht ungewöhnlich; ja, man kömmt auch gewiß noch dahinter, Meerschaum zu bemalen und damit jene etrurischen Vasen zu erzielen, für deren einfache Decorationsmalerei wir Talente genug haben. Das neuere Malerleben in Deutschland hat hieher noch wenig Absenker geschickt. Auf dem Rande einer Porzellanschüssel, die der Fürst bestellt hatte, versuchte sich der Director neulich damit, die Nibelungen von Cornelius nach Kupferstichen wiederzugeben. Für den Schüsselrand paßte allerdings die Idee eines Cyklus, und die ganze Akademie that sich nicht wenig darauf zu gute. Die einzige Schüssel hätte beinahe Gelegenheit zu einem Künstleressen mit wenigstens fünf gegeben. Ueberhaupt fehlt es uns gerade an Malerliedern, langen Haaren und weißen Hemdkragen nicht. Sähe man die Herren alle Sonnabend auf ihrem Kränzchen, so glaubte man sich nach den Osterien Roms versetzt, weil nicht nur über den Idealismus sehr viel gesprochen, sondern auch gesungen wird. Jeder hat sich ein Liederbuch kaufen müssen, und, wer noch Köpfe zeichnet, Sonntagsschüler, die sich nicht scheuen, es durch die Fensterscheiben zu thun, Alles, Alles singt hier großartig mit, als sollten sie die Raphael'schen Cartons ausmalen. Der Director Silberschlag grübelt viel darüber nach, eine neue Schule zu stiften; allein, zwischen Cornelius und Schadow das Mittlere zu wählen, scheint ihm seiner nicht würdig. Er verfällt oft auf die wunderlichsten Grillen. Bald sagt er mir, die Malerei müsse sich mehr an die Musik, bald mehr an die Baukunst anschließen. Unzufrieden mit seinem Rufe als Mäuse-Raphael, strebt er nach dem Verworrensten an, um etwas Neues erfunden zu haben, und, da er unwillig genug ist, daß die Akademie nur ein Seitenzweig der Kaputher Porzellanfabrik seyn soll, so wurde er's noch mehr, wie ich ihm darüber sagte: Sie kommen mir wie Bötticher vor, der das Gold suchte und das Porzellan fand. Ueberhaupt, lieber Vater, muß ich suchen, mir einen eignen Weg zu bahnen. Nach dem Vorgange der Düsseldorfer Schule ist hier eine wahre Sucht eingerissen, Trauriges zu malen. Das trauernde Königspaar, Lessing und Bendemann, haben hier einen langen, langen Florstreif hinter sich hergezogen. Alles will Momente der Niedergeschlagenheit zeichnen. Unsre Akademie hat dadurch fast ein Ansehen wie ein Trappistenkloster bekommen. Alle unsere Kaffeebretter und Schnupftabaksdosen enthalten schmerzhafte Empfindungen und trauernde Situationen. Der Director ging selbst mit einer Gruppe trauernder Mäuse voran. Eine Speisekammer, in der nichts zu finden ist, bildete die Scene. Die Mäuse sitzen in Schmerz versunken da und lassen die Schwänze hängen. Komisch ist, daß der Director dieses Bild für Ernst nimmt und weit weniger Lachen als Weinen damit erregen will. Die übrigen Maler überjagen sich nun bald mit trauernden Nonnen, trauernden Blumen, trauernden Wittwen und Waisen, bald mit trauernden Landschaften, ja, trauernde Fruchtstücke werden jetzt bei uns gemalt, nämlich Aepfel, die alle stockig, Weintrauben, die unreif sind. Ein Schüler aus der dritten Klasse (er bildet sie ganz allein) zeichnete in Kreide und in allem Ernst eine trauernde Landpartie, wo nämlich Regen sich mit Staub vermischt und unter einem einzigen Schirm eine ganze Familie Rettung sucht. Lieber Vater, ich weiß nicht, wie ich mir bei diesem Treiben meine hohe Bestimmung erhalten soll. Ich bin der Einzige auf der Akademie, der seinen eignen Weg geht; – allein selbst Studien nach dem Nackten, die ersten Anfangsgründe der höhern Kunst, sind mir hier durch eine falsch verstandene Sittlichkeit ganz versperrt. Silberschlag, ein so tüchtiger Viehmaler, kann kaum Hunde und Vögel hier für Geld haben, viel weniger Frauenzimmer, die Muth und eine gewisse natürliche Schönheit haben. Hat doch der Mann nicht einmal eine Frau in Kaputh bekommen können, weil er einmal ein Thor gewesen war, laut zu sagen: Nun, so müsse er heirathen, um wenigstens an seiner Frau zu studiren! Wo er anklopfte, bekam der Mann, trotz seiner festen Anstellung, einen Korb: denn jede Mutter hätte sich ja der Sünden geschämt. Nun denke dir, lieber Vater, wie wir hier über die Fleischfarbe und die Wellenlinien im Dunkeln tappen. Kaum daß wir die Frauenzimmergestalt zeichnen können, wenn sie schon todt ist. Selten werden Leichname auf die Anatomie geliefert, und Ertrunkene schwimmen uns auch gar keine zu, weil Kaputh leider an keinem ansehnlicheren Flusse, als an einer unbedeutenden Pferdeschwemme liegt. Unter diesen leidigen Umständen, lieber Vater, hab' ich doch nie unterlassen, für die Schlachtenmalerei zu thun, was ich kann. Pferde bieten sich genug dar, und schönere, als das wir zum Schrecken der Mutter (aber es mangelt uns wieder heftig an Geld!) verkauft haben. Ich habe eine jener vielen Schlachten gegenwärtig gemalt, die sich besonders durch ihren Nebel ausgezeichnet haben. Ich hielt mich an jenen Moment, wo die beiderseitigen Heere sich nicht nur beide nicht sehen, sondern auch der Zuschauer in Zweifel ist, was hinter den allein sichtbaren, aus der Erde steigenden Dünsten verborgen seyn mag. Die graue, kahle Fläche meines Gemäldes soll, wie mich Kenner versichern, etwas Ergreifendes haben. Einige bunte Punkte, die durch den Nebel hindurchschimmern, lassen ahnen, was dahinter verborgen ist. Einige keck hingespritzte rothe und gelbe Flecken lassen ein entweder schon begonnenes Feuer oder einen auffliegenden Pulverwagen, am wenigsten aber ein Bivouacfeuer und einen Kochkessel vermuthen, wie Theobald glaubte, der bei solchen Gelegenheiten immer nur an Essen und Trinken denkt. Das ganze Gemälde ist einen Fuß hoch und anderthalb breit und würde sich neben Mutters Spiegel sehr gut ausnehmen, wenn ich nicht hoffte, es bei einem neumodischen Kunstverein, d. h. bei einer Gemäldelotterie, anzubringen. Ueber alles Uebrige, das die Deinen betrifft, mögen die Andern diesmal berichten. Genüge dir, lieber Vater, die Versicherung, daß nach Vollendung strebt dein aufrichtiger Sohn
Oscar, Schlachtenmaler.«
Blasedow wollte erst gar nicht die Briefe der Uebrigen lesen, weil ihn in seiner Freude über den ersten nichts so sehr gestört hatte, als die Dummheit Theobalds, einen auffliegenden Pulverkasten, diesen genialen Gedanken Oscars, für eine gewöhnliche Kartoffelsiederei zu halten. Er sah das Gemälde so deutlich vor sich, er wußte die einzelnen Nebelmassen so zu sichten und zu schichten, daß ihm diese unsinnige Bemerkung die größte Albernheit dünkte, und er sich eine geraume Zeit gar nicht beruhigen konnte. Endlich aber, nachdem er sich das Gemälde nochmals in allen seinen Einzelnheiten recht vergegenwärtigt hatte und mehrere Male mit der Hand die angegebene Höhe und Tiefe ausmaß, ging er auf Amandus Brief über, der ihm mit gleicher Keckheit folgende Unwahrheiten meldete: »Lieber Vater! Ich habe gestern einen kleinen Diskuswerfer vollendet, der zwar nur die Copie des berühmten ist, aber doch schon eine Probe abgeben kann. Der Muskelbau einerseits war das Schwerste, andererseits die gestreckte Haltung, die ich im Thon mit einigen Stäbchen unterstützen mußte. Es ist ein imposanter Anblick, diese gewaltige Ausdehnung vom Fußhaken an bis zur Handwurzel des linken Armes. Stellt man sich gerad' in die Richte, wo der rechte Arm seine Kraft erhebt, so glaubt man, umgerannt zu werden, und selbst bei meiner kleinen Copie hält man's nicht lange aus, in der Wurfweite des musculösen Kämpfers stehen zu bleiben. Gott behüte mich nur, daß dem Gebild, so mangelhaft es noch ist, keine unberufene Hand naht; erst neulich ist in Berlin ein junger Bildhauer, der einen Schiller in liegender, nachdenklicher Stellung in Thon geformt hatte, wahnsinnig geworden, weil die Träger beim Ausräumen der Kunstausstellung das herrliche Gebild auf die Erde fallen ließen, so daß ein unförmlicher Thonklumpen aus dem Ruhm und dem Stolz des jungen Mannes im Nu geworden war. Ach, es müßte schmerzlich seyn, wenn mein Diskuswerfer so geworfen würde! Ich würde auch den Verstand verlieren. Als Rabenern in Dresden alle seine Gedichte und Satiren verbrannten, konnte er sie aus dem Gedächtnisse oder aus den Gebrechen der Menschen leicht wieder ergänzen; aber welche Zeit braucht der bildende Künstler für sein Werk! Nein, ich muß mich von diesem schrecklichen Gedanken losreißen..... Geschähe hier in Kaputh nur mehr für meine Kunst. Modelliren und Bossiren werd' ich lernen, obgleich mein Lehrer nur ein Töpfer ist; aber, vom Thon auf den Marmor übergehen, das wird hier nicht möglich seyn. Meinen ersten Versuch wollen sie im Ofen brennen. Es ist damit immer gewagt und für nichts gut zu sagen. Was gerade in den Ofen geht, kömmt krumm heraus, wie ja Mutter auch bestätigen wird, daß ihr selten ein Kuchen so gerathen ist und aufgegangen, wie sie's wünschte. Uebrigens machen wir in unserer Fabrik aus terra cotta doch manches Werthvolle. Die Statue des verstorbenen Fürsten freilich, die aus gebrannter Erde so vortrefflich gerathen war, hat sich durch einen unsinnig gewählten Platz freilich wie ein Reiter von Lebkuchen aufgeweicht; man wollte sie gern auf offenen Markt stellen und vergaß, daß der Selige ohnehin immer ein milder und weicher Herr gewesen. Jetzt muß man ihn von dem Platze nehmen, weil er sich einer allmählichen Auflösung zu nähern anfing. In aller Liebe verbleib' ich übrigens dein treuer Sohn Amandus, Bildhauer.«
Blasedow wurde über den Diskuswerfer sehr unruhig: daß er zusammenfallen könnte, wurde ihm, als nervenschwachem Manne, schon ganz gewiß. Er konnte ja so schon nie ein Kind tragen und damit an ein offenes Fenster gehen, ohne die Besinnung zu verlieren, weil es ihm immer war, als müßte er's hinunterwerfen. Bei Kindtaufen zitterte er vor Angst, er könnte den Säugling fallen lassen. So sah er nun auch den fingirten Diskuswerfer immer auf der Kante eines Tisches stehen und hundert Ellenbogen, die auf ein Haarbreit ihn herunterstießen. Seine erhitzte Phantasie mußte sich erst durch einige Gänge durch das Zimmer wieder abkühlen. Nun griff er nach dem Briefe Theobalds, des Volksdichters, welcher also lautete: »Lieber Vater! Ich benutze die wenige Muße, die mir die Abfassung eines Cyklus von Gedichten gestattet, dir diese wenigen Zeilen darüber zu schreiben. Ich will den siebenjährigen Krieg, der Uebung wegen, besingen, aber dabei, wo möglich, die Fehler vermeiden, die Silius Italicus gemacht hat. Es ist ein Unterschied zwischen epischen und historischen Dichtungen. Die erstern sind in die Form gebannt, welche Homer und Virgil einmal erfunden haben, die letztern machen sich lächerlich, wenn sie ihre Thatsachen mit den allegorischen Maschinen der gewöhnlichen Epopöe vermischen. Wie abgeschmackt sind die punischen Kriege des Silius? Wie unsinnig ist die Einmischung der Götter in die Kämpfe des Hannibal? Lucans Pharsalien treffen den richtigeren Ton und überragen vom römischen Standpunkte die Henriade und jede Alte-Fritziade, die sich etwa des poetischen Apparats, wie er sich bei Klopstock findet, bedient haben würde. Mein Gedicht soll jener Poesie der Thatsachen angehören, die nicht einmal Dichtung in die Wahrheit mischt, wie allerdings Lucan auf seinem Standpunkte ganz richtig und zum Aerger der Philologen gethan hat, sondern nur das Factum, aber als Poesie, geben. Ich würde weder Alexandriner, noch Hexameter, noch Nibelungen-Aale zu meinem Gedichte haben brauchen können, sondern frisch und rasch, frank und frei tromml' ich vierfüßige Jamben, die sich wie Reveillenschlag und Musketenfeuer anhören. Den langen, wallenden Parnaß von Mars und Minerva und all den mythologischen Hülfstruppen, die zwar bei Rammlern, aber nicht bei Friedrich dem Großen den Ausschlag geben konnten, hab' ich nirgends in mein abgestecktes Feldlager eingelassen. Ich gebe ein Gedicht, wo keine Brennen, keine Söhne des Mars und dergleichen Abstractionen auftreten, sondern Husaren, Panduren, Kosaken, Alles echt und authentisch und durch den Zopf eher recht natürlich, als künstlich gemacht. Dennoch, lieber Vater, ist dies Gedicht vom siebenjährigen Kriege nur Uebung, und ich werde davon nichts veröffentlichen, als einige Episoden, die in den nächsten Mispelheimer Kalender kommen werden. Sonst bemüh' ich mich, den Geist der Zeit recht zu begreifen und über Dunkles klar zu werden. Ich verstehe noch nicht recht, wo bei unsern Zeitgenossen die Poesie eigentlich hervorbrechen wird. Jetzt höre ich nur ein geheimes Rauschen und Anschlagen, weiß aber das Nähere nicht. Die Hoffnung einiger jungen Dichter unserer Zeit, es möchte auch der Rauch unserer Dampfmaschinen, der bekanntlich in Tropfen niederfällt, die Poesie mit eigenthümlich erquickender Wirkung anfeuchten, scheint mir zur Zeit noch eine Täuschung zu seyn. Ich fürchte sehr, daß die, welche viel auf Eisenbahnen fahren, die Lungensucht bekommen. Nun, es läßt sich übrigens noch gar nichts sagen, und ich will mich bemühen, zur Zeit noch harmlos zu bleiben. Wunderlich ist doch, daß Jean Paul keinen Vers machen konnte? Jean Paul war aber kein thetischer, sondern ein anakoluthischer Geist. Seine Poesien sind Vordersätze ohne Schluß. Wohl spann Jean Paul die Poesie aus seinem Herzen heraus, aber immer nur Fäden; aus diesen Fäden und Gespinnsten konnte er kein Kleid weben. Seine Phantasie war ein Kaleidoskop. Sie hielt eine vereinzelte Anschauung nicht lange fest, sondern mischte ein Gebild in's andre. Mit Bildern und Gleichnissen überhäuft sich nur, wer keine Gestalten fesseln kann. Auch lag Jean Pauls Gefühl nicht in jener Activität, die Entschlüsse fassen will und ermattet in Ohnmacht zurücksinkt, sondern in einer ununterbrochenen Passivität, die nicht selber fühlt, die nur mitfühlt. Das Gefühl des Mannes ist Melancholie, das des Weibes Wehmuth, und Wehmuth nur kannte Jean Paul. Aus der Wehmuth entspringen keine Gedichte, nur aus der Melancholie. Und überhaupt, wenn ich an meinem siebenjährigen Kriege mit Lust gearbeitet habe, dann frage ich mich: Was hindert in der jetzigen Bildung zur Antheilnahme an der Poesie? Früher war die Speculation jene Sphinx, die die Poesie verschlang, weil sie ihre Räthsel freilich nicht rathen konnte. Jetzt ist das Unthier die Tendenz. Die Tendenz ist der Wurm, der sich in die blähendsten Aepfel, in die kräftigsten poetischen Eichenstämme den Weg bahnt und den Kern derselben anfrißt; sie ist der Borkenkäfer, der einen ganzen Wald von gesunder Natur vernichten kann. Die Tendenz spannt ganze Himmel und unermeßliche Horizonte über uns, während das Gedicht am besten geräth, wenn man durch die Bäume nur ein wenig Blau schimmern sieht. Für die Pfeile der Poesie mühsam vorn die kleine Pointe zu spitzen und seine Waffen hübsch blank zu putzen, das ist zu gering für unsere jetzige Bildung, wo die Dichterjünglinge nur die Zeit ausbeuten wollen. Wer echter Dichter seyn will, kann nicht immer präcis eintreffen, wenn die Post abfährt. Er wird oft hören müssen, daß er den Glockenschlag versäumte, und daß das Jahrhundert, eingewickelt in die neuesten nassen Zeitungen, so eben abgefahren ist. Ja, wir Dichter sollen Verwandte der Zeit seyn, Schwäger, aber nicht Brüder und Väter und Söhne. Brennt eine heilige Flamme auf dem Altar deines Herzens, und du lässest dem Sturmwind so freien Zugang: er tost heran und verweht Asche und Kohlen in die Luft. Und wenn die jungen Menschen nur an sich glaubten! Wenn sie nur den Muth hätten, den Flug eines Vogels zu verfolgen und dabei zu sagen: Ich habe gelebt! Wer will noch etwas besingen, das beim letzten Verse schon verblüht ist und in der Dichtung nur ewig wird! Die Menschen suchen sich heute zu sehr durch Charakter und Vollständigkeit geltend zu machen. Sie treten Alle wie Karavanen auf. Die ganze Vergangenheit schleppen sie an ihren Kleidern; sie wollen sich zu neuen Begebenheiten dadurch machen, daß sie die alten an ihren Rockschoß heften. Das Drängen nach der Rednerbühne ist stark. Jeder will das Wort haben und, hat er's, nicht wieder abgeben, weil er weiß, daß bei dem Gedräng nicht alle Tage an ihn die Reihe kömmt. Ein Wort soll eine Welt widerspiegeln. Fand man auch auf einem Spaziergange ein Gleichniß, das ein Gedicht abgeben würde, man steckt es zu sich und vergißt es über die Tendenz, bis man es nach acht Tagen verwelkt in seinen Kleidern findet. Kehrte man doch zum Menschen zurück! Würde man wieder ein Kind, nachdem man ein Greis gewesen! Es läßt sich hierüber noch Vieles sagen; aber ich breche ab, weil ich mir durch Kritik nicht die Lust, selber zu schaffen, verkümmern will. Möchten dir, lieber Vater, diese Bemerkungen ein Unterpfand seyn, ob deine Wünsche einst befriedigen wird dein Sohn
Theobald.«
Blasedow hatte über diesen Brief ein Doppelgefühl, das sich gegeneinander aufhob. Es mißfiel ihm eben so sehr der Stoff, der Theobald gewählt hatte, als er mit Vergnügen die Anlage des jungen Menschen (wüßten wir nur recht, wo Theobalds erster Entwurf aufhörte und Schlachtenmalers Ergänzungen anfingen!) zum Kritiker wahrnahm. Schien es ihm nun zwar, als könnte eine Zeit kommen, wo jeder Dichter seinen eigenen Kritiker hätte, wie jedes Kameel seinen eigenen Höcker, so hoffte er doch, das natürliche Gleichgewicht zwischen Geburten und Sterbefällen (die Todtenlisten der Literaturblätter zeigten ohnehin noch immer auf mehr Erstere, als Zweite) würde sich wiederherstellen müssen, so daß mit der Zeit wieder nur ein kritisches Ichneumon auf die Eier von mehreren Krokodilen (die Thränen derselben sollen den Vergleichungspunkt mit der Dichtung hergeben) kommen dürfte. Inzwischen wußte er hinlänglich, daß unsere Zeit mehr Verstand, als Phantasie hat, und fürchtete dann nur, Theobald und Alboin möchten zusammenstoßen und sich die Kundschaft schmälern. Alboin aber, der satirische kleine Ziegenfuß, hatte geschrieben: »Lieber Vater! Jenes saure, gesichtverziehende Kraut, welches man als Reizmittel zum Lachen gebraucht hat, wie den Stich der Tarantel als Reizmittel zum Tanzen, wächst nicht allein in Sardinien, sondern auch in Kaputh. Ich lache wohl, aber meistens über Thorheiten, welche ich ausbüßen muß. Stoff genug ist vorhanden, um aus mir eine Zuchtruthe zu machen; einstweilen bin ich aber mehr ein Gegenstand für sie, als selber eine. Von dem Meisten könnte man mit Juvenal sagen: Es ist schwer, darüber keine Satire zu schreiben; was bieten nicht die Lehrer allein für Stoff! Der Eine lehrt Geschichte und examinirt uns nicht anders darin, als daß er sich an den Nägeln kaut, auf welche er die Jahreszahlen mit Tinte geschrieben hat. Ein Anderer trägt den Homer wie ein Citharöde vor und hüpft die Hexameter mit Händen und Füßen, so daß ich mir neulich beigehen ließ, ein Spottgedicht auf den Katheder zu legen: die convulsivische Metrik. Meine Hand war leicht erkannt, und der Kopf hatte es zu entgelten. So halte ich mir meine Bestimmung noch ziemlich entfernt; die elastischen Ruthen schlagen zu heftig auf mich zurück, und ich beiße mir in die Lippen, wenn mir etwas Komisches einfällt. Inzwischen hab' ich neulich doch wieder Lust bekommen, mein Zwerchfell (wenn auch später dafür meine Rückenhaut) erschüttern zu lassen. Ich schrieb ein satirisches Heldengedicht, eine Groteske, wie ich's nannte, zu der Schlachtenmaler die Bilder machte. Der Rector Schimmelpfennig nämlich – übrigens längst nicht mein Freund: denn, da er ein großer Mathematiker ist und ewig von Cubikwurzeln spricht, aus denen nie ein frischer Baum ausschlagen wird, so malt' ich an die schwarze Tafel ein Wurzelzeichen, hängte ihn in effigie daran auf und schrieb darunter:
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Mathematisch war sein ganzer Lebenslauf,
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also – Rector Schimmelpfennig duldet nicht, daß wir Scholaren in den Zwischenstunden das Schulgebäude verlassen und uns nebenan mit Lebensmitteln versehen. Da wir es nun aber doch thun, so gibt dieser Zwiespalt der Interessen eine ewige Abwechslung komischer Scenen her. Mein Heldengedicht fängt mit einem Monolog Schimmelpfennigs an:
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Hilf mir, Muse, auch heut' die naschbegierige Jugend
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Schimmelpfennig wurde nun von mir wie ein Wegelagerer geschildert, der von seinem Raube auch Nutzen zu ziehen sucht. Denn indem er unser Brod und unsere Würste confiscirte, verwandte er sie für seinen eigenen Haushalt und hatte täglich das Interesse, einen reichen Fang zu thun. Seiner Schlauheit angemessen ist es nun, so viel Schüler wie möglich herauszulassen. Je mehr in die Falle gehen, desto fetter und reichlicher die Bissen. Schnapphahn postirt sich hinter die Thüre. So wie nun ein unglücklicher Fourageur hineinschießt in die Thür, hat ihn Schimmelpfennig beim Kragen und pfändet ihn aus. Mit einigen Ohrfeigen dafür versehen, rennt der Geplünderte in die Klasse, froh, wenn er keiner weiteren Strafe verfällt. Schimmelpfennig straft weiter nicht, auch stellt er sich nicht alle Tage in die hohle Gasse, sondern er macht die jungen Hasen sicher, so daß sie ihm bei einem allgemeinen außerordentlichen Jagen nicht entgehen können. Dies Alles hatte ich in Homerschen Versen besungen und auch zum Schluß jene Scene nicht vergessen, wo Schimmelpfennig an seine Haushälterin und deren Kinder (die ihm sehr ähnlich sehen) die Brödchen und Aepfel vertheilt, die er erbeutete. Lieber Vater, diese Groteske kam heraus, ich meine, sie wurde verrathen, und ich mußte durch achttägigen Carcer die Folgen erkennen lernen, welche ich mir durch die Bestimmung, welche du mir gegeben hast, dereinst noch im Großen zuziehen werde. So viel sah ich ein, wenn ich unbehelligt bleiben will, muß ich mehr dem Geiste eines Lichtenberg, als dem eines Kästner nachstreben. Jener hielt sich an Sachen, dieser an Personen. Jener verspottete Gruppen, dieser Einzelne. Was ich, lieber Vater, noch sonst aus meiner nächsten Sphäre aufgegriffen habe, will ich dir nicht schicken, z. B. eine Satire auf meinen Nachbar. Ich will mich aber in allgemeinen Gegenständen versuchen und dann um dein Urtheil bitten. Ich studire fleißig die Kirchenväter und bleibe dein treuer Sohn Alboin.«
Blasedow war über diese Briefe höchlichst zufrieden und trennte sich, da ihm der Gedanke an seine so trefflich gedeihenden Söhne immer heimlicher und wohnlicher wurde, von seiner Frau, dem Amte und der Umgebung immer mehr.