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In Seneka's Hause. Morgendämmerung.
Seneka, ein dünnes spaßhaftes Männchen, tritt ein und legt eine Leiter ab, die er trägt.
Seneka. Keine Begriffs-Leiter! sondern eine ganz gewöhnliche Hühnertreppe, die ich dem Kaiser nachtragen muß, wenn er in die Fenster seiner Schönen steigt! Das ist der Fluch einer offiziellen Philosophie, daß sie sich zu Allem hergeben muß. Ich wüßte nicht, wie das länger zu ertragen wäre, wenn man diesen Despotismus nicht unter dem Gesichtspunkte der Originalität, und seine Grausamkeit unter dem der Spaßhaftigkeit ansähe. He, Mütterchen!
Hinter der Scene. Bist du's, Annäus? Hast wieder warten müssen so lange? Dein Warmbier steht auf dem Tische.
Seneka. Ja schlaf' nur noch, du gutes Weib! Ich wag' es nicht, mit meinen unkeuschen Ausdünstungen an dein saubres tugendhaftes Bett zu treten. In welche Winkel mußt' ich folgen! Zu Nero's Seufzern muß Seneka Schildwache stehen. Wenn das Laster vorüberzieht, muß die Tugend in's Gewehr treten. Die Ehrlichkeit muß die Leiter halten, wenn der Dieb in fremde Fenster steigt. Sagst du nicht was, Mütterchen?
Hinter der Scene. Du murmelst so viel, lieber Annäus. Ich fühle, wie du dich wieder angestrengt hast die Nacht.
Seneka. Ohne Philosophie wäre das auch gar nicht zum Aushalten. Immer gegenwärtig, immer Stichblatt seyn, immer Spaß machen, mehr Hofnarr als Hofrath, wer hielte das aus! Ich denke nur immer, es ist zulezt auch gut, die Dinge einmal von der andern Seite anzusehen. Aber, gerechter Gott! Frauenzimmer, was bleibst du nicht im Bett?
Frau Seneka (mit einem Lichte, im Nachtüberwurf hereintretend). Väterchen, laß mich! Wie blaß du siehst! Die ungesunde Nachtluft! Wo habt ihr nur gesteckt?
Seneka. Ueberall; in allerhand Winkeln, wo die Liebe einem Geldstück gleicht mit ganz abgenuztem Gepräge, und wo sie schon durch so viele leidenschaftliche Hände gegangen ist, daß sich Grünspan und Ansteckung auf ihr ansezt.
Frau Seneka. Und du immer mit, Annäus? Aber sage mir nur, wie benehmen sich denn solche Frauenzimmer?
Seneka. Ach was! Den Kaiser solltest du aber dabei sehen. Immer der Hahnrei seiner eigenen Leidenschaft. In ganz wohlconditionirte Häuser, die doch eine ordentliche Treppe, Thür und Klingel haben, muß er durch's Fenster einsteigen. Arme, die von Umarmungen schon Schwielen bekommen, scheinen ihm so frisch, wie deine waren, Mütterchen, vor vierzig und etlichen Jahren.
Frau Seneka (beklommen). Ach, Väterchen –
Seneka. Nun, was hilft's? Man lebt vom Schein. Ich denke oft, ich wäre etwas beleibter, als ich mager bin, und ein wenig ärmer, als ich reich hin. Nur keinen Lebensüberdruß! Ich gestehe Nero Alles zu, denn ich weiß, daß durch Nachgiebigkeit Ausschweifungen verhindert, und im Fall der Noth große Verbrechen durch kleine hintertrieben werden können. Aber was ist dir nur?
Frau Seneka. Einen bösen Traum hatt' ich diese Nacht. Lieber, ich glaube, es geht an unser Leben.
Seneka. Freilich, besonders ist es nicht; es geht immer an, unser Leben. Oder wie?
Frau Seneka. Nein, nein, du verstehst mich nicht; es geht an unser Leben.
Seneka. Ja so, ja so, unser Leben geht jezt erst an; das wäre doch kein böser Traum.
Frau Seneka. Gott, so versteh' mich doch! Es geht an unser Leben.
Seneka. Nun, nun, jezt begreif ich's erst. Die ungelenke lateinische Sprache! Aber das sind Grillen. Wir sind sicher. Nero hat mich diese Nacht geküßt und geherzt, und als ich von ihm ging, sagte er, er wolle mich noch höher befördern.
Frau Seneka. Still, still, was ist das für ein Lärm?
Stimmen draußen. Wacht auf! Wacht auf! an euerm Haus
Sieht man des rothen Kreuzes Graus,
Das Euch zu gehen den Todes Pfad
In aller Früh bezeichnet hat.
Seneka. Was hat man nur? Ich höre nichts.
Frau Seneka. Ich hör'; doch am Verstehn gebricht's.
Stimmen draußen. Ein Leichentuch am Schornstein hängt,
Die Schwalb' ein neues Nest anfängt,
Der Guckuck schrie: nichts Guts geschach;
Denn heute ist Johannis-Tag.
Frau Seneka. Das klingt fast wie ein Hexenlied.
Seneka. Frau, mach' das Fenster zu, es zieht!
Stimmen draußen. Zwei Uhren hörte man bei Euch
Laut schlagen in dem Takte gleich;
Das heißt, daß von zwei Eheleut'
Das Eine ist zum Tod bereit.
Seneka. Da unten steht, sieh! Hinz und Kunz!
Frau Seneka. Man spricht vom Tod. Wen meint man? uns?
Beide. Wahrhaftig, das ist doch zu arg,
Man bringt uns wirklich einen Sarg!
Die Freunde und Nachbarn Seneka's treten ein. Scharfrichter mit einem Sarg. Man weint. Seneka springt plötzlich vom Lächerlichen zum Erhabenen über. Man überreicht ihm eine Rolle Papier. Er wickelt sie aus, ein Messer fällt heraus.
Seneka. Nun hast du dich durch Narrenspossen
So lang gehalten, alter Thor!
Der Strudel hielt dich hoch empor,
Und wirst auch mit ihm ausgegossen!
Das, was ich war und was ich bin,
Legt sich auf diese Bahre hin.
Die Zeit hat nicht auf mich gewartet.
Ich trete, wie ich bin, so ausgeartet
In's offene Grab, im ganz Tand,
Den ich aus Furcht um mein Benehmen wand,
Die Schminke im Gesicht, das graue Haar
Mit Rosenkränzen unehrbar
Geschmückt, das Auge lüstern naschend,
Mich in mir selber überraschend.
So ist denn alles hin, was du geglaubt,
Das ganze Reich von stolzen Sittensprüchen,
Die du trotz Götterflüchen
Vom Himmel prometheisch hast geraubt!
So war ich die Karrikatur
Von allen meinen Büchern nur,
Und mußt', um festen Grund zu fassen,
Mich selbst zu Grunde gehen lassen!
Frau Seneka. O mein Gemahl, nimm was geschieht,
So freudig wie mich selber mit!
Seneka. Bleib du zurück! Und dennoch, was ist Leben,
Wenn dir der Athem nicht ist freigegeben!
O keine Thräne! Diese Bahr' ist fast
Wie einstmals uns das Brautbett angepaßt.
O weinet nicht; denn besser steht
Wer zu den ewigen Göttern geht.
Wir sehn uns noch, mein Freund;
Dieselben Zähren, die du zum Abschied weinst,
Die rinnen noch dereinst,
Dem frohen Wiedersehn zu Ehren.
(Beide steigen in den Abgrund und öffnen sich die Ader.)
Abschied. Lebt wohl, lebt wohl und grüßet all,
Die schon gekommen sind zum Fall!
Wer weiß, ob nicht auch bald der Sand
In meinem Stundenglas verschwand.
Seneka. O zage nicht, du bald ausblutend Herz!
Dies Leben war nur Vorbereitungsscherz.
Und wie die Adern nun so quillen,
Fühl' ich, noch Manches hat sich zu erfüllen!
Wir lebten nur im Rausche dieser Erden,
Um unserer selbst bewußt zu werden,
Um uns zu runden als Person,
Als Träger von dem großen Lohn,
Den einst der Weltgeist nicht für unser Einen,
Für unser irdisch Treiben, nein!
Für seines eigenen Schaffens Mühe nimmt.
Wir sind die Saiten, drauf der Herr
Dereinst von ungefähr
Die Melodien seines Lebens stimmt,
Und was ihn selbst im Rausch hält wach,
Das hallt in unsrer Seele nach.
O liebes Weib.
Frau Seneka. Mein lieber Gatte,
Wie ich allmählig schon ermatte!
Ich weiß nicht, frag' ich dich: stirbst du
Dem Leben ab? oder: lebst du dem Tode zu?
Seneka. Nimm meine Hand; vielleicht erwärmt
Sie dich, wenn dich der Tod zu früh umschwärmt,
Damit im gleichgemessenen Takt
Wir enden unsern fünften Akt!
Und wenn ihr, die ihr uns umsteht,
Vom Trauerspiel nach Hause geht,
So denkt, daß zu der wahren Feier
Für uns sich erst erhebt des Vorhangs Schleier!
Es gibt ein Wiedersehn, und wär' es nur
Deßhalb, weil die, die es beweisen wollen
Mit manchen leicht geborstnen Wissensschollen
Erkennen müssen, daß sie war'n auf schlechter Spur.
Man weiß nicht, was dereinst geschieht
So fest, wie Zahlen man zusammen zieht;
Doch ist es ein wahrhaftig Sehnen,
Das unsere Hoffnung nicht läßt wanken:
Es habe über dieses Lebens Schranken
Das Leben erst sich noch recht auszudehnen.
Wie ist dir, Liebe?
Frau Seneka. Vor'm Auge falb
Und ungewiß; dem Tode halb
Und halb dem Leben angehörend.
Ich seh' nur dich, meine Gatte, während
Ich von dem Leben scheide ab;
Und dennoch jenseits über'm Grab,
Ist mir es wiederum als wärst
Du es, der mich begrüßt zuerst.
Seneka. So wechseln beide Welten nun,
Die, wo wir bald als Asche werden ruhn,
Und jene, welche oft mit göttlicher Gewalt
Durch diese still anklopfend hallt:
Von allen Sinnen, die nun schwinden,
Muß wohl zuerst das Aug' erblinden,
Dann lähmt die Zunge sich und das Gefühl,
Dem Athem wird es eng und schwül;
Doch das Gehör währt länger an,
Und macht so spitz sich, als es kann,
Denn Jeder soll noch treu und klar
Im Tode hören, was er war,
Noch hören wer sein Freund und Feind
Und bis wie lang die Thräne weint.
Wie ist es, liebes Weib? – sie schweigt
Das Haupt sich schon ohnmächtig neigt.
Der Schlaf erscheint hier als Pilot,
Der etwas noch vor Charons Boot
Den matten Schiffer aus des Lebens Flucht
Bugsiret in des Todes Bucht.
Auch ich erkalte – die Adern sind hohl,
Ich werde mir selber fast entnommen.
Nun scheid' ich, Freunde, lebet wohl!
Im Jenseits ruf' ich Euch: willkommen!
(Stirbt.)