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Das Stadtviertel, in welchem sich die Burggasse befand, war im nördlichen Theile der Stadt gelegen, wo des guten Lichtes wegen eine Menge Maler, Kupferstecher, Photographen und sonstige Künstler wohnten. Spekulanten hatten dort in die vierten Stockwerke verschiedener Häuser große Fenster brechen lassen und Ateliers hergestellt, die sehr gesucht waren. Oft befanden sich zwei bis drei dieser Ateliers in einem Hause, oft auch nur ein einziges, je nachdem die Künstler bekannt und gesucht waren.
Große selbstständige Bilder wurden hier eigentlich nicht gemalt, sondern man beschränkte sich auf Ansichten der Stadt oder der umliegenden Gegend, die auf Bestellung angefertigt wurden; meistens aber arbeitete man im Portraitfache, und zwar hier durch alle erdenklichen Branchen hindurch, vom schwarzen Schattenriß, welchen der Unteroffizier seiner Geliebten schenkt, mit angedeuteter Uniform, oder einem Souvenir, Gymnasiasten und Studenten in möglichst steifer Haltung darstellend, mit bunter Cerevismütze und dito Verbindungs- und Corpsbändern, bis hinauf zu sechs Fuß hohen Kniestücken, wundersam in Oel gemalt, in prachtvollen, seidenen Roben, deren Glanz etwas Uebernatürliches hatte, mit starr blickenden Augen, erstaunt lächelndem Munde und Wangen, die in einer wahrhaft erschreckenden Fülle der Gesundheit strahlten; dabei viel goldene Ketten und Ringe nicht zu vergessen. Ja, Abrisse des menschlichen Gesichtes wurden hier gemacht auf Stahl, Stein, Holz, Leinwand und Papier, und wenn man bedachte, wie viele Menschen von diesem Geschäfte lebten, so sah man recht, welche Menge Leute darauf erpicht sind, ihr eigenes, oft sehr uninteressantes Gesicht zu diesem oder jenem Zwecke abconterfeit zu sehen.
Die Burggasse bildete ein eigenthümliches Quartier in der großen Stadt. Hier sah man Gestalten, die man sonst nirgendwo oder nur höchst selten erblickte; blasse Gesichter, hohläugig, mit einem Anfluge von Genialität, mit glattem, flaumigem Kinn, oder auch mit vielem Bart- und Haarwerk unter spitzen Calabreserhüten. Die Träger dieser Gesichter waren in Kleidungsstücke, namentlich zur Herbst- und Winterzeit in Mäntel eingehüllt, deren Façon man nie in einem Modejournale gesehen, auf deren Erfindung sich aber der Betreffende etwas zu Gute zu thun schien, was man deutlich an der Art sah, wie er das Stück Tuch, das er einen Mantel nannte, und das etwas von einer römischen Toga, einem italienischen Carbonari und einem Theater-Rittermantel an sich hatte, um die Schultern drapirt trug.
So sah man sie in der Burggasse dahin wandeln, die Jünger der Kunst, in allen möglichen Aufzügen, bald genial nachläßig, zuweilen auch ausgesucht stutzerhaft, die Meisten mit großen Mappen unter dem Arm und die Blicke umhergleiten lassend, ob sich nicht irgendwo etwas zum Skizziren darböte.
Eigentlich war die Burggasse keine Gasse, sondern ein unregelmäßiger Platz mit aus- und einspringenden Häusern, auf dessen Mitte die Ruine eines Thurmes stand, der, Gott weiß, in welchen Zeiten, zu einer hier befindlichen alten Burg gehört haben soll. Alle Häuser hatten hohe, meist treppenartig gezackte Giebel, viele auch Erker, gewölbte Thorbogen, malerische Höfe, finstere Winkel von unaussprechlicher Färbung; die Sonne konnte sich nur mühsam durch einzelne Lücken in dieses Häuserlabyrinth hineinstehlen, wo alsdann solch ein goldig erleuchteter Streifen neben tiefblauen Schatten von ganz immens pittoresker Wirkung war. Dazu hatte die Architektur der meisten Gebäude etwas Phantasieerregendes; erblindete und zerbrochene Fensterscheiben, auch Rahmen ohne alles Glas gab es genugsam, höchst interessante Schutt- und Kehrichthaufen traf man allenthalben; wenn Schneewetter sei – so behaupteten Kenner – dürfe man nur rechts oder links greifen, um vollkommen fertige Winterlandschaften anzutreffen, und selbst bei Regenwetter waren die übersprudelnden und zerbrochenen Dachrinnen wohl im Stande, ein künstlerisches Gemüth zu landschaftlichen, hauptsächlich aber Wasserfalleffekten der prachtvollsten Art zu begeistern.
Hier gab es auch kleine Kneipen, die von ordentlichen Bürgersleuten gemieden wurden, über deren Leben und Treiben ein sagenhaftes Dunkel lag, so daß die Väter ihre Herren Söhne, Gymnasiasten oder auch Handlungsbeflissene, bestens verwarnten, dorthin zu gehen. Daß aber eine solche Verwarnung die umgekehrte Wirkung hatte, brauchen wir eigentlich den jung gewesenen Lesern nicht zu sagen; leider aber war es nicht zu läugnen, daß, wenn es einem Nichtkünstler gelang, sich unter den jungen Raphael's und Tizian's der Burggasse einen guten Freund zu erwerben, er stolz darauf war und alle möglichen Ränke und Schwänke gebrauchte, um sich hier und da für einen Abend von der Aufsicht zu Hause frei machen und in der »Palette«, im »Reibsteine«, oder sogar in der »Mausfalle« – so hießen die Wirthshäuser, welche die jungen Künstler hauptsächlich besuchten – so lange kneipen zu können, wie Geld und Zeit vorhielten. Hierbei müssen wir aber sagen, daß diese Kneipen besser als ihr Ruf waren; freilich wurde dort ein tüchtiges Bier consumirt, auch häufig Rundgesänge angestimmt oder Salamander gerieben; daß aber wahre Orgien und Bacchanalien gefeiert würden, daran war kein wahres Wort, und es fehlte der künstlerischen Jugend zu diesen Ausschweifungen an zwei nothwendigen Dingen, an Theilnehmerinnen und an Geld.
Es ist überhaupt eigenthümlich, aber leicht begreiflich, wie selbst ein sanftes Maler- oder Dichtergemüth in den Verdacht eines excentrischen Sinnes, eines ungeheuerlichen Lebens kommt. Und es ist doch nur rein das Handwerk mit seinen Attributen, welches diese Idee begünstigt. Wir treten in ein Atelier; mit finsterer Majestät kommt uns der Herr desselben entgegen, zwischen langem Haar und struppigem Bartwerk ist ein kleiner Theil des Gesichtes bemerkbar, sowie glänzende Augen, die einen ingrimmigen Ausdruck annehmen, wenn der Künstler Genre- oder gar Schlachtenmaler ist, besonders aber, wenn er uns vor sein letztes Bild führt, wo Dolche funkeln, bleiche Lippen beben, verdrehte Augen um Gnade flehend zu irgend einem Scheusal von Tyrannen aufblicken, zu dessen Füßen sich ein blutendes Schlachtopfer menschlicher Grausamkeit wälzt. – Wenn der Künstler uns das erklärt, den Staffeleistock wie eine Lanze auf den Boden gestützt, das Haar fliegend, so erscheint er uns in solchem Augenblicke nicht selten selbst als Kannibal oder als Tyrann. Dort liegen seine blutigen Handwerkszeuge, die schauerlich schillernden aufgesetzten Töne; ein schüchterner Blick, den wir umherwerfen, zeigt uns in der Ecke einen breiten Divan, auf dem ein nachläßig hingeworfener Blumenkranz liegt, während eine Streitaxt daran lehnt – eine scharfe Streitaxt, die der Künstler in die Hand nimmt, indem er, sie schwingend, uns erklärt, dieselbe habe wahrscheinlich bei Sempach stark gedient. Daß die dunkeln Flecken an dem Eisen Blut seien, wolle er nicht gerade beschwören, aber es sei sehr wahrscheinlich. So blicken wir scheu umher, und wohin sich unser Auge richtet, entdecken wir abnorme und schreckliche Gegenstände: Ketten, Beile, große Stücke rothen Damasts, wie Blut anzuschauen, hier ein lederner Koller mit einem tiefen Riß auf der Brustseite, dort eine Mandoline neben einem langen spanischen Stoßdegen, von welchen beiden der Maler versichert, sie seien in eine seltsame Geschichte verwickelt gewesen.
Und in dieser, für manches zarte Gemüth so gräuelhaften Umgebung bewegt sich der Künstler so frei und unbefangen, als seien es die unschuldigsten Gegenstände. O, es ist ein schreckliches Geschlecht, diese Maler! Unser bester Freund läßt uns im Vorzimmer warten, während wir im Nebenzimmer eine flüsternde Damenstimme vernehmen, und wenn uns endlich der Eintritt erlaubt ist, so hört unser feines Ohr auf der Treppe seidene Kleider rauschen, statt Cigarrendampf verspüren wir in dem Atelier ein wunderbares Aroma, und während unser Freund lächelnd ein Glas Zuckerwasser trinkt, sehen wir auf dem Divan allerlei phantastische Kleidungsstücke umherliegen.
Daß uns eine solche, an sich vielleicht ganz harmlose Beschäftigung ein Kopfschütteln entlockt, und daß der gänzlich Uneingeweihte, der zufällig an diese Künstlermysterien tangirt, an ein entsetzliches Leben voll Schuld und Unthaten glaubt, ist verzeihlich und begreiflich. Und wie oft braucht so ein armer Darsteller menschlicher Verbrechen und Leiden, die er mit Pinsel oder Feder wiedergibt, selbst eine Steigerung, um sich in die Lage eines unglücklich Verfolgten, eines Scheusals hineinzudenken oder sich deren Bilder zu vergegenwärtigen! Wie muß er seine Phantasie reizen, um auf der blassen Leinwand oder dem weißen Papier jene Gebilde erscheinen zu lassen, die den Beschauer entzücken oder ihn beben machen sollen! Ja, für Manchen sind die eben erwähnten Zuthaten so nothwendig wie Pinsel, Farben und Feder, und wenn wir es auch nicht theilen, so begreifen wir doch das Gefühl des Malers, der die Mandoline in den Arm nimmt und darauf den Stoßdegen schwingt, wenn er ein unterbrochenes spanisches Rendezvous darstellen soll, ebenso gut als das Gefühl des Dichters, welcher seine nächtlichen Lieder nur mit der Feder eines Raben schreiben konnte, den man von einem Galgen herabgeschossen, nachdem er diese Feder zuvor mit einem einst blutig gewesenen Dolche gespitzt. Das sind Schatten des Handwerkes, welche in das gemüthliche Leben hinüberspielen und eine empfindsame Seele schaudern machen vor dem Atelier eines Malers, wo schon so viel Blut geflossen, und vor der Person eines Schriftstellers, der ja unmöglich im Stande sein kann, alle die schlechten Charaktere zu schildern, wenn er nicht selbst viel auf dem Gewissen hat.
Um wieder auf die Burggasse zurückzukommen, so wurde hier auch viel Musik getrieben, namentlich mit Instrumenten, deren Klang sonst in der Stadt nicht oft mehr gehört wurde; wir meinen nämlich die Guitarre oder, wo es höher kam, die Mandoline. Darin wurde ein Erkleckliches geleistet, und wenn man besonders in der Dämmerung eines Frühlingsabends durch die Gasse schritt, so vernahm man viel dergleichen Lärmen um nichts. Auch Stimmen ließen sich hören, hohe, jugendliche Tenore, häufig ins Falsett überschnappend und mit unendlichem Gefühl anstimmend:
Dein gedenk' ich, röthet sich der Morgen,
Dein gedenk' ich, sinkt die finstre Nacht!
sowie auch einst kräftig und klangvoll gewesene Bässe, die aber mit des Lebens Mai ihre Jugendglätte verloren hatten und nun ziemlich rauh und faserig sangen:
Im kühlen Keller sitz' ich hier,
Bei einem Faß voll Reben.
Das alles gab der Burggasse etwas Phantastisches, Abenteuerliches, namentlich wenn man hierzu noch allerlei sonstige seltsame Gestalten rechnet, welche hier aus- und eingingen, alte und junge Männer, die als Modelle dienten. Dieser wegen seines dicken Bartes und seiner übermäßig hohen Stirn zu Prophetenköpfen und sonstigen Heiligen, Jener mit dem langen schlichten Haar, dem sanften Blick und dem flaumigen Bart am Kinn als Vorbild zu Erzengeln verschiedener Klassen und Tugenden jedes Grades; hier dieser alte weißhaarige Mann mit dem kummervollen Blick und der gebückten Haltung als unglücklicher und betrogener Vater; dort jene auffallende Persönlichkeit mit schwarzem, struppigem Haar und Bart, aufgestülpter Nase, blitzenden Zähnen und einem Blick, dessen teuflisches Schielen deutlich sagte: Nur Böses! war der Repräsentant aller Mörder, Räuber und sonstigen Bösewichter, die hier auf Papier und Leinwand in der Burggasse erschienen waren. Was die weiblichen Modelle anbelangte, so gab es unter ihnen nicht so viele Species; da ließ sich durch Aenderung des Kopfputzes und einer leichten Drapirung schon viel erreichen, und die meisten von ihnen wußten Engel und Teufel gleich trefflich darzustellen.
Dieser Burggasse nun schritt Herr Larioz in tiefen Gedanken entgegen. Daß ihm Regen und Schnee ins Gesicht schlugen, schien er durchaus nicht zu bemerken, ebensowenig wie die nassen Pfützen in dem schlechten Pflaster, die er nicht einmal bei seinem Dahinwandeln vermied; er war offenbar immer noch mit jener Unterredung beschäftigt, die er vorhin mit dem Grafen Helfenberg gehalten. Er hatte Bilder aus seiner Heimat, Tage aus seiner glücklich verlebten Jugend herauf beschworen, und diese umgaukelten nun bald ernst, bald heiter seine Seele und waren nicht durch Schneegestöber, durch eisige Winde, die äußerlich auf den Träumenden einwirkten, zur Ruhe zu bringen. Er zog durch die Mancha, nicht mit dem Vater als vierzehnjähriger Knabe, nein, als fahrender Ritter mit seinem Knappen, er sah allerlei Seltsames und Ungeheuerliches seinen Pfad kreuzen, aber er nahm die Zügel seines andalusischen Rosses fest in die Hand, zog sein gutes Schwert und sah, wie fremde Ritter und Phantome aller Art vor der Kraft seines gewaltigen Armes zerstoben. Wie hätte er da an seine jetzige Umgebung denken sollen?
So erreichte er die Burggasse, trat auf den Platz, den hier die eigenthümlichen Häuser bildeten, und sah vor sich den alten Thurm mit seinen schmalen, vergitterten Fenstern, mit seiner Spitzbogentthür, unter der man noch deutlich die Balkenlagen für die schon lange nicht mehr vorhandene Brücke bemerkte.
Ah! jene schöne Zeit, dachte er, wo die Burg dort noch so trotzig und fest dastand, warum ist sie verschwunden, oder warum bin ich nicht ein paar Jahrhunderte früher auf die Welt gekommen? Warum muß das jetzt Ruine sein? Warum weht die Fahne nicht mehr von der Spitze des Thurmes und kündet ein lustiges Trompetengeschmetter nicht die Ankunft eines Gastes an? – Träumereien! unterbrach er sich lächelnd, wie kann man sich so von seinen Phantasieen einnehmen lassen! – Und doch ist hier der Ort dazu, ihnen nachzuhängen, fuhr er nach einer Pause stehen bleibend fort. Sollte man nicht glauben, jeder der hohen zackigen Giebel verberge etwas Absonderliches, decke geheimnißvoll ein Stück der alten gewaltigen Zeit zu, das sich scheu dort hinter den Erkern und Pfeilern verbirgt und nun sein tolles Wesen treibt in tiefer verschwiegener Nacht, wenn die jetzige Zeit schläft und träumt? Was müssen jene Gebäude für wunderbare Zimmer, Gewölbe, Keller und Treppen enthalten! Wohl möchte ich hier wohnen, ein reicher, unabhängiger Mensch, eines dieser finsteren Häuser mein eigen nennen, es zu meiner Burg machen und von dort aus meine Streifzüge beginnen gegen die Riesen und Drachen, welche die heutige Zeit unsicher machen.
Herr Larioz hatte unterdessen seinen Weg wieder aufgenommen und schritt, die Hausnummer Vier suchend, auf dem Platze dahin. Zuweilen blieb er kopfschüttelnd stehen, wenn er hin und wieder in einem Erdgeschosse durch die Fenster in ein Wirthshaus hinein sah, das so ganz anders war als die, wo er selbst zuweilen einen Abend zu verbringen pflegte. Sie gefielen ihm aber absonderlich, diese grauen Steinmauern, diese fast dunkeln Holzdecken, diese grob geschnittenen Möbel und vor Allem die Gesellen darauf, die, behaglich hingelagert, augenscheinlich ihren Ueberfluß an Zeit verlungerten und nicht selten die Hand nach dem hohen alterthümlich geformten steinernen Bierkruge ausstreckten.
Er lächelte freundlich in sich hinein, als er das sah und jetzt aus einem anderen Hause das Klirren und Knirschen von Klingen vernahm oder ein Geräusch, wie wenn man mit einem kurzen und breiten toledaner Schwerte auf einen mailänder Helm schlüge; auch horchte er hoch auf, als sich gleich darauf eine kräftige Stimme vernehmen ließ:
Fern im Süd das schöne Spanien,
Spanien ist mein Heimatland.
War ihm doch zu Muth, als sei er in einen Zauberkreis getreten, dessen seltsame Zeichen und Gestalten seine ohnedies schon erregte Phantasie noch mehr begeisterten. Junge Leute begegneten ihm mit spitzen Hüten, wie er selber einen trug, und mit Mänteln ebenso umgeschlungen, wie er es mit dem seinigen zu machen pflegte, und wie man sie zu Sevilla und Cordova trägt. Diese jungen Leute schauten ihn einigermaßen verwundert an, grüßten ihn aber freundlich und blieben auch, wohl ihn betrachtend, seitwärts stehen, wenn er so vorüber schritt, gravitätisch, wie er es gewohnt war, den langen Stock weit von sich absetzend, hoch erhoben den Kopf mit den ernsten Gesichtszügen und dem stark aufwärts gedrehten Schnurrbarte.
So erreichte Herr Larioz das Haus Nummer Vier, und unter der Thür desselben befanden sich ein paar Gestalten, die seine Aufmerksamkeit erregten – ein alter Mann und ein junges Mädchen, er mit würdigem Gesichtsausdruck, ein Ehrfurcht gebietender Kopf, den langen Silberbart sorgfältig gekämmt, das weiße Haar zierlich gescheitelt; ein dunkelgrünes Gewand, halb Mantel, halb Talar, verhüllte die etwas gebeugte Gestalt so vollständig, daß man nur eine der Hände sah, die er unter den Falten hervorstreckte, und in welcher er einen langen Stock trug, ähnlich denen, die man auf Bildern bei alttestamentlichen Hirten zu sehen gewohnt ist. Das Mädchen stand ihm zur Seite; sie hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt und schien ihn sanft leiten zu wollen auf dem schlechten Straßenpflaster draußen voller Löcher und Pfützen; von ihrem Anzug konnte man nicht viel sehen, da ein graues Tuch sie fast ganz verhüllte; aber der Kopf mit dem schwarzen Haar, das in zwei dicken Flechten um die Schläfe herum lief, war so schmachtend und schön, das Gesicht aber dabei so bleich und leidend, daß der gute und edle Don Larioz ein reges Gefühl des Mitleids nicht unterdrücken konnte. – Ein armes Paar! dachte er, vielleicht aus fernen Landen, das gezwungen ist, zu der Mildthätigkeit fremder Menschen seine Zuflucht zu nehmen! Gern hätte er den Beiden irgend ein Scherflein angeboten, doch frappirte ihn ein auf dem Gesichte des Mädchens plötzlich erscheinender, höchst schelmisch lächelnder Zug, als sie auf einmal so der langen auffallenden Gestalt unseres Freundes entgegen trat.
Beide übrigens, der alte ehrwürdige Greis und das junge Mädchen wichen auf die Seite, um den Eintretenden ins Haus zu lassen. Da sich aber Don Larioz überzeugen wollte, ob die, welche er suche, auch wirklich hier wohnten, so faßte er an seinen Hut und sprach mit sanfter Stimme: »Guter, alter Mann, können Sie mir vielleicht sagen, ob hier in diesem Hause, Burggasse Nummer Vier, die Gebrüder Breiberg wohnen?«
Der ehrwürdige Greis nickte mit dem Kopfe, wie es schwache alte Leute zu machen pflegen, und entgegnete mit tiefer, klangvoller Stimme und mit einigem Pathos, während auf dem Gesicht des Mädchens wiederholt ein Lächeln erschien: »Die Ihr sucht, edler Herr, wohnen allerdings in diesem Hause, die Gebrüder Breiberg, schätzenswerthe, vortreffliche Menschen, Burggasse Nummer Vier, drei Treppen hoch; das heißt, dort befindet sich das Atelier der Gebrüder, sie selbst wohnen noch eine Treppe höher, wo sie auch jetzt zur Mittagszeit wohl anzutreffen sein möchten.«
Herr Larioz, freundlich überrascht von diesem ausführlichen Bescheid, der mit so ehrerbietigem Tone gegeben war, erwiderte auf das freundlichste: »Guter, ehrwürdiger Mann, es thut einem Fremden wohl, auf so liebenswürdige Art zurechtgewiesen zu werden. Nehmen Sie meinen herzlichen Dank dafür, und wenn wir uns wieder einmal begegnen und ich Ihnen Gegendienste leisten kann, soll es wahrhaftig nicht an meiner Bereitwilligkeit fehlen.«
»Berge und Wälder begegnen sich nicht,« versetzte der Greis, »wohl aber die Menschen, und wenn Sie vielleicht selbst Künstler sind, so wäre es wohl möglich, daß wir uns gegenseitig Dienste zu leisten im Stande wären. – Wollen Sie für alle Fälle meine Karte in Empfang nehmen,« fuhr er fort, indem er die linke Hand nebst einem Stücke zerknitterten Papiers unter dem Talar hervorstreckte.
»Sowie auch die meinige,« fügte das junge Mädchen hinzu, indem sie zum dritten Mal so seltsam lächelte und ebenfalls dem langen Schreiber eine Karte einhändigte.
»Die Herren Gebrüder Breiberg kennen mich,« fuhr der ehrwürdige Greis fort, »und wenn Sie sich vielleicht von ihnen eins der neueren Bilder, »der Harfner und Mignon« zeigen lassen wollen, so werden Sie bald einsehen, was ein guter Rath und eine talentvolle Haltung dabei zu leisten vermag.«
Damit gingen die Beiden auf die Straße, und der lange Schreiber, wahrhaft gerührt von dem herzlichen Entgegenkommen dieser guten, lieben Menschen, las, bevor er die Treppen hinauf stieg, die beiden Karten, ehe er sie sorgfältig in seine Brusttasche verwahrte. Auf der einen stand die Adresse: »Andreas Hubelich, Krähengasse Nummer Zwei, vier Treppen«; auf der anderen: »Kathinka Schneller, Entenpforte Nummer Vier, Parterre.«
Auch diese Begegnung hatte nicht dazu beigetragen, das Gemüth des Herrn Larioz zur kalten und trockenen Wirklichkeit zurückzuführen; er fühlte sein Herz sanft erwärmt von den Zeichen einer vergangenen schöneren und poetischeren Zeit, die er so sehr liebte und die hier in der Burggasse auf Schritt und Tritt seiner ohnehin schon aufgeregten Phantasie entgegen traten. Deßhalb fand er auch die wackelige Treppe nicht uninteressant, auf welcher er nun, mit den Händen um sich tappend, emporkletterte; ja, romantisch erschien ihm auf der zweiten Etage eine kleine Lichtöffnung, die einen spärlichen Strahl der zweifelhaften Helle des trüben Novembertages in das Haus sandte und hier in düsteren Winkeln allerlei seltsame Geräthschaften undeutlich zeigte. Da standen Kisten und Fässer auf einander gethürmt, was an sich nicht außerordentlich gewesen wäre; aber auf denselben bemerkte Herr Larioz einen alten Ritterhelm mit zerzausten Straußenfedern, der auf ein paar rochen Hosen stand, welche formlos, melancholisch, ja, unheimlich herabhingen; auch befanden sich auf dem Boden daneben eine Anzahl Flaschen, welche in ihrer Leere einem denkenden Kopfe schon zu thun geben konnten. Was mochten die Geister des Weines gewirkt haben, die in froher Stunde entfesselt daraus geflossen! Es war dem Schreiber ordentlich zu Muthe, als höre er Gläser klingen und den lustigen Refrain irgend eines bekannten Trinkliedes.
Die zweifelhafte Helle der zweiten Treppe verschwand auf der dritten wieder gänzlich, und es war gut, daß Herr Larioz einen kalten, glatten Strick ergriff, der statt des Geländers diente und mit dessen Hülfe er in die dritte Etage gelangte, wo sich das Atelier der Gebrüder Breiberg befinden sollte. Glücklicherweise war hier eine der Thüren nicht fest verschlossen, und helleres Tageslicht hinter derselben zeichnete auf dem dunkeln Vorplatz einen scharfen Lichtstreifen, der stark genug war, um, auf die Thür reflektirend, dort das Wort »Atelier«, mit großen Buchstaben geschrieben, erkennen zu lassen.
Herr Larioz als höflicher Mann nahm vor der Thür seinen Hut ab, strich sein Haar zurecht, dann klopfte er leise an. Als sich drinnen nichts regte, klopfte er zum zweiten und, da er immer noch kein »Herein!« vernahm, zum dritten Male. Künstler haben ihre Launen, dachte er bei sich, und dabei fiel es ihm ein, daß auch Herr Plager zuweilen auf Anklopfen keine Antwort gab, indem er bei sich den richtigen Grundsatz aufstellte: »Jemand, der etwas Wichtiges hat, wird sich nicht abweisen lassen, sondern nach dreimaligem Anklopfen die Thür ohne Weiteres öffnen.« Gerade so machte es auch der Schreiber; doch wäre er fast erschrocken, als eine Glocke über der Thür mit gellendem Tone ein lautes Geklingel verursachte; da aber weiter nichts erfolgte, so trat er mit einem schüchternen Schritt ins Zimmer.
Es war dies allerdings ein Atelier und obendrein ein ziemlich elegantes Maler-Atelier; an den Wänden und auf Staffeleien sah man fertige und unfertige Bilder; im Hintergrunde des Zimmers befand sich ein breiter Divan, auf dem ebenfalls Gegenstände lagen, wie wir sie früher erwähnt: ein Dolch, ein paar Degenklingen, ein Stück farbigen Zeuges, ein Blumenbouquet und dergleichen Dinge mehr. Es befand sich Niemand in dem Atelier, doch bemerkte Herr Larioz auf den ersten Blick, daß dasselbe durch eine spanische Wand in zwei Abtheilungen geschieden war. – Sollte sich vielleicht in der hinteren einer der Herren Breiberge befinden? Der Schreiber ging, mit den Füßen scharrend, vorwärts, räusperte sich auch laut und vernehmlich, doch ließ sich keine Stimme hören. Nur war es dem Eintretenden, als er sich dem Eingang der spanischen Wand näherte, als vernähme er hinter derselben das Rauschen von seidenen Gewändern; es ist das ein Geräusch, das in gewissen Lagen des Lebens schon manchen sehr beherzten Mann stutzen gemacht hat.
Auch Herr Larioz lauschte mit angehaltenem Athem; es konnte möglicherweise eine Täuschung sein. Und so schien es auch, denn er vernahm nichts mehr. War die ganze seltsame Umgebung, alles, was er schon in der Burggasse gesehen und gehört, daran schuld, daß ihm so eigenthümlich, fast beklommen zu Muthe war – genug, sein Herz klopfte schneller als gewöhnlich, er sah sich gezwungen, einen tiefen Athemzug zu thun, und blickte schüchtern um sich, als erwarte er, jeden Augenblick hinter einem der Fenstervorhänge oder sonstigen Draperieen etwas Erschreckendes hervortreten zu sehen. – Aber Alles blieb still; nur als er wieder einen Schritt vorwärts that, war es ihm abermals zu Muthe, als vernähme er wieder das Rauschen oder Krachen eines schweren seidenen Stoffes. Abermals beschlich ihn ein eigenthümliches Gefühl, doch schämte er sich dieser Bewegung und sprach, wie um sich selber Muth zu machen:
»Bei San Jago, gehe ich doch hier nicht auf verbotenen Wegen! Habe ich nicht drei Mal angeklopft? Hat die Klingel nicht einen gehörigen Spektakel gemacht? – Warum, wenn dort Jemand hinter der spanischen Wand ist, ruft er mir nicht zu und läßt ein »Wer ist da?« erschallen? – Vorwärts, sehen wir, ob wir Jemand finden!«
Ehe Herr Larioz wirklich vorwärts schritt, sprach er noch mit vernehmlicher Stimme: »Ich suche Herrn Breiberg; ist Herr Breiberg nicht vorhanden?«
Keine Antwort als ein leichter Wiederhall an den Wänden des weiten Gemachs.
Mit einem einzigen Schritte erreichte nun Don Larioz die Tapetenwand und blickte in die hintere Abtheilung; doch wie ward ihm zu Muthe, als er nun mit einem Male die Erklärung zum Rauschen der seidenen Gewänder fand, das er vernommen zu haben glaubte! Wie stand sein Fuß angewurzelt, als er an der Rückwand des Zimmers wieder einen Divan bemerkte und auf demselben ein Mädchen, wie er weder in Bildern, noch in Träumen je eines erschaut, wie er es sich in seinen kühnsten Phantasieen nicht gedacht.
Begreiflicherweise erlaubte ihm sein Zartgefühl nur einen einzigen Blick auf das reizende Wesen, aber dieser eine Blick war genug, um sein Herz in eine nie gekannte Bewegung zu versetzen. O, das ging kaum mit rechten Dingen zu! Ein so wunderbares Geschöpf unter den Töchtern hiesiger Stadt in der Burggasse! Ihm schwindelte fast und begreiflicherweise, denn er bemühte sich mit allen Kräften, das Bild, welches er eine Sekunde lang erschaut hatte, nun in seinen Gedanken festzuhalten.
Ja, es war ein sehr junges Mädchen in spanischer Tracht, die dort auf dem Sopha ruhte, und die den Eintretenden mit einem seltsam lächelnden Blicke anschaute. Ah, die Gluth dieses Blickes war unvergeßlich, aus großen, schwarzen glänzenden Augen, deren Feuer glücklicher Weise etwas gemildert war durch die herabfallenden langen seidenen Wimpern! – »Andalusische Augen! ojos adormitos!« seufzte Herr Larioz in sich hinein – aus jenen schläfrigen südlichen Augen, die ihren Strahl bis zum rechten Momente verbergen, wie sich die gefährliche Schlange unter Rosen verkriecht. – Und dazu nun das Haar, blauschwarz und von einer erschreckenden Fülle, in dicken Flechten um den Kopf gelegt und mit farbigen Bändern und Rosen zusammengehalten!
War es eine Spanierin, die er gesehen? Der Teint war zu weiß und brillant, das Roth der Wangen zu blühend, wogegen wieder die glänzenden Zähne, die man zwischen den leicht geöffneten Lippen hervorbrechen sah, für die Landsmännin sprachen. – Auch die Lage auf dem Divan war so südlich verführerisch; konnte man doch glauben, sie sei nach einem stürmischen Fandango süß ermattet dorthin gesunken. Den rechten Arm hatte sie unter den Kopf gelegt, in der linken feinen, schneeweißen Hand, die über den Divan herabhing, hielt sie ein Tambourin. – Ja, sie mußte, vom Tanz ermüdet, dort ausruhen. – Glaubte doch Herr Larioz gesehen zu haben, wie sie so heftig athmete, daß ihre volle Brust die Schnüre ihres andalusischen Mieders gesprengt hatte; – gesprengt waren die Schnüre, dessen erinnerte er sich später nur zu deutlich. Vielleicht war sie auch vom Schlafe erwacht und hatte sich gescheut, einen Ruf laut werden zu lassen. Lag sie doch da, als habe sie geschlafen, als sei sie überrascht worden und habe nicht mehr Zeit gefunden, den einen weißseidenen Strumpf, der bis zum Knie hinauf sichtbar war, mit ihrem blauseidenen Röckchen zu verdecken.
»Ah, Gebrüder Breiberg!« seufzte der Schreiber, »da bin ich in eine süße, aber gefährliche Umgebung gerathen.«
Doch hatte er keine Zeit, diesem Gedanken nachzuhängen, denn eine rauhe Stimme hinter ihm unterbrach plötzlich und nicht auf die angenehmste Art seine Träumereien.
»Wer ist da?« fragte die Stimme. »Was wollen Sie hier?«
Und als sich der also Angeredete umwandte, erblickte er einen untersetzten Mann mit einem gewöhnlichen, etwas plumpen Gesichte an der Thür stehen, der ihn forschend und finster betrachtete.
Seufzend wandte sich der Schreiben von der Tapetenwand hinweg, trat dem Anderen entgegen und sagte so höflich wie möglich: »Ich habe wohl das Vergnügen, den Herrn Breiberg vor mir zu sehen?«
»So ist es,« entgegnete der Mann mit der rauhen Stimme und dem unangenehmen, plumpen Gesichte, wobei er die Augenbrauen finster zusammenzog und den Fremden von oben bis unten betrachtete. »Jean Baptist Breiberg. Und womit kann ich dem Herrn dienen, dem Herrn, der da im Atelier herumschnüffelt, obgleich er sieht, daß Niemand für ihn darin ist – he?«
Zu jeder anderen Stunde würde der lange Schreiber eine solche Anrede ganz in derselben Weise beantwortet haben; doch fühlte er sich heute wunderbar weich gestimmt, und er wußte selbst nicht genau, warum er so plötzlich ein Interesse an dem Herrn Jean Baptist Breiberg nahm; aber er nahm ein Interesse an ihm, und wahrscheinlich war es die Erinnerung an das schöne Mädchen, das doch gewiß in irgend einem Zusammenhange mit dem Maler stand, weßhalb er ihn aufmerksam betrachtete.
Wie schon gesagt, Herr Jean Baptist Breiberg war eine untersetzte, keineswegs angenehme Persönlichkeit, er hatte ein finsteres Gesicht, dicke, buschige Augenbrauen, unter denen scharfe, boshafte Augen hervorleuchteten. Sein Anzug bestand aus weiten grauen Leinwandhosen, einer etwas dunkleren Schooßjacke von wollenem Zeug, in deren Taschen er seine Hände hartnäckig verborgen hielt. Auf dem Kopfe trug er seltsamerweise eine hohe und spitze Papiermütze, mit Figuren bemalt, welche ungefähr so aussahen, wie die an der Kopfbedeckung der armen, unschuldigen Hexenmeister, welche man vordem zum Scheiterhaufen führte.
Obgleich sich also Herr Larioz weich gestimmt fühlte, so war doch ein einziges Wort in der Anrede des Herrn Breiberg, welches ihm der lange Schreiber unmöglich schenken konnte, das war das ihm über alle Maßen verhaßte Wort: »Schnüffeln«. Deßhalb sagte er in ruhigem, obgleich sehr bestimmtem Tone: »Daß ich in Ihr Atelier getreten bin, ist allerdings richtig, doch nicht ohne vorher drei Mal angeklopft, und darauf ein Geklingel verursacht zu haben, das nothwendig Jemand herbeiführen mußte. Wenn Sie aber von Schnüffeln sprechen, so ist dieses durchaus nicht der Fall; unter Schnüffeln verstehe ich Spioniren, und das brauche ich gewiß nicht zu thun, da ich das Recht habe, hier offen und gerade aufzutreten.«
»Schau Einer,« sprach der Maler höhnisch lächelnd, »mit welchem Prinzen habe ich die Ehre? Oder sind Sie vielleicht von der geheimen Polizei und im Begriff, einen Verhaftsbefehl für mich aus der Tasche zu ziehen?«
»Ich bin weder das Eine noch das Andere,« versetzte Herr Larioz sehr ruhig, »ich bin eine viel geringere Persönlichkeit, nur der Schreiber des Herrn Rechtsconsulenten Plager, der Ihnen etwas in Sachen Erdwinkel contra Breiberg vorzutragen hat.«
Das sprach er aus Zartgefühl sehr leise, denn er wollte nicht, daß das junge Mädchen hinter der Tapetenwand von diesen Verhandlungen etwas vernehme.
Doch kannte der Andere nicht diese Rücksichten, er schob seine Hexenmeister-Mütze vom linken Ohr auf das rechte, patschte alsdann mit der Handfläche auf sein Bein und rief laut, fast lustig: »Kommt diese Misere schon wieder? Erdwinkel contra Breiberg! Wie ist es nur möglich, zwei so verschiedene Namen zusammen zu stellen! Erdwinkel und Breiberg! Was ist mir Erdwinkel? Ein ganz gewöhnlicher, obscurer Kerl, dem wir die Ehre angethan, die nichtswürdige Bagatelle von vierhundert Florin bei ihm zu entlehnen. Ist das der Mühe werth – he? Und was will dieser Mensch weiter? War mein Bruder Clemens nicht auf dem Rathhause und hat die Schuld anerkannt? Kann man für einen solchen Erdwinkel mehr thun? Was will er also noch mehr von uns?«
Der lange Schreiber hätte beinahe über diese Rede gelächelt. Die Beweisführung des Malers kam ihm von Jemand, der auf Exekution steht, in der That fast komisch vor. Doch er nahm sich zusammen und sagte gelassen: »Was Herr Erdwinkel noch mehr will, ist sehr einfach, er will bezahlt sein, er will seine vierhundert Gulden zurück haben.«
Diese Forderung schien dem Maler so extravagant, daß er den Anderen einen Augenblick erstaunt anschaute, dann schlug er die Hände zusammen und brach in ein lautes Gelächter aus.
»Bezahlt sein,« rief er, »seine vierhundert Gulden zurück haben! Ist das nicht spaßig? Ja, es ist spaßig. – Doch nein, es ist zum Aergern,« fuhr er nach einer Pause fort, während welcher er äußerst geschwind von der Lustigkeit zum Zorn übergegangen war. »Ja, es wäre zum Aergern, wenn ich mich darüber ärgern wollte. Aber was geht mich die Geschichte an? Das ist eine Geschäftssache, und damit wenden Sie sich an meinen Bruder Clemens, eine Treppe höher. – Guten Morgen, Herr Schreiber, guten Morgen! Leben Sie wohl.«
Damit rückte er heftig seine Papiermütze wieder auf das linke Ohr, legte beide Hände auf den Rücken und verschwand mit einem kurzen trotzigen Kopfnicken hinter der Tapetenwand, wo Herr Larioz ihn noch sagen hörte: »Mich mahnen wegen lumpiger vierhundert Florin! Jean Baptist Breiberg! Liegt darin ein vernünftiger Sinn – he?«
Es that unserem zartfühlenden Freunde leid, daß der rohe Maler vor dem schönen Mädchen so ohne Rücksicht diese Angelegenheit besprach. Ja, es gab ihm einen schmerzlichen Stich in das Herz, wenn er bedachte, daß jenes reizende Geschöpf vielleicht in einer abhängigen Lage zu einem so ungebildeten Menschen stehe, der sich durchaus nicht genirte, etwas vor ihr zu besprechen, was er selbst als Fremder aus zarter Schonung nicht berührt haben würde. Es war allein dieser Gedanke, der ihn abhielt, dem Maler zu folgen und ihm über sein unartiges Betragen einige passende Worte zu sagen; trotzdem aber konnte er sich nicht enthalten, noch einen Blick rückwärts zu werfen, und er war so glücklich, wenigstens einen Theil ihrer Gestalt in dem über dem Divan hängenden Spiegel zu erblicken. Dann verließ er achselzuckend das Zimmer, um sich die Treppe in den vierten Stock hinauf und zu Herrn Clemens Breiberg zu begeben.
Ob dieser Herr sich vor der Thür befand, als der Schreiber mit dem Andern sprach, und so dem Gespräche zugelauscht hatte, war nicht mit Gewißheit zu sagen; so viel aber war sicher, daß er schon in der Mitte der hinaufführenden Treppe stand und den langen Schreiben mit einem freundlichen Gruße empfing.
»Sie waren bei meinem Bruder?« sagte er mit außerordentlich weicher und sanfter Stimme. »Ich habe Sie von Weitem sprechen hören. Wenn Sie ein Anliegen haben, das die beiden Künstler Breiberg betrifft, so wäre das freilich im Atelier abzumachen; ist es aber sonst eine Geschäftssache, so muß ich Sie freundlichst ersuchen, sich zu mir herauf bemühen zu wollen.«
Obgleich der Rechtsconsulent ihn darauf vorbereitet, war Herr Larioz doch erstaunt, zwei Brüder von so gänzlich verschiedenem Wesen zu finden. Jean Baptist so grob als möglich, Herr Clemens Breiberg dagegen so außerordentlich höflich, daß er den Kommenden nicht erwartete, sondern eilfertig die enge Stiege herabsprang und darauf den Fremden nöthigte, voraus in den vierten Stock zu steigen.
Nach einigen gegenseitigen Complimenten gelangten Beide in die Wohnung der Gebrüder Breiberg, die ziemlich bescheiden möblirt war. Herr Clemens bot seinem Gast einen Stuhl und drückte ihn fast mit Gewalt auf denselben nieder, als der Schreiber seine Absicht aussprach, lieber stehen zu bleiben. »Nein, nein,« sprach der Maler. »Da Sie also, wie ich sicher vermuthe, eine Geschäftssache haben, so ist es besser, sich dazu zu setzen; auch ich ziehe solches vor, man spricht da angenehmer und traulicher, mein lieber Herr – gewiß um Vieles traulicher.«
Dabei hatte er mit vieler Behendigkeit einen andern Sessel vis-à-vis von Herrn Larioz niedergestellt und sich darauf gesetzt; dann legte er beide Hände auf die Kniee und sah nun seinem Gaste mit etwas seitwärts geneigtem Kopfe von unten herauf freundlich lächelnd in die Augen. »Also ein Geschäft?« meinte er nach einer Pause, während welcher Herr Larioz die Papiere aus der Tasche hervorgezogen; »nun das ist mir recht lieb, da wollen wir denn erwarten, was wir zusammen abzumachen haben. Darf ich Sie indessen um Ihren werthen Namen bitten?«
»Ich bin nur Mittelsperson,« entgegnete trocken der Schreiber, der bei dem süßen Bruder Clemens seine vollkommene Ruhe und Sicherheit wieder erlangt hatte. »Mein Name thut also nichts zur Sache. Ich komme im Auftrage des Rechtsconsulenten Plager; es handelt sich um eine kleine Schuld von vierhundert Gulden, Erdwinkel gegen die Herren Gebrüder Breiberg.«
Herr Larioz hatte bei diesen Worten den betreffenden Bogen langsam entfaltet und überreichte ihn dem sanften Herrn Breiberg, der sich nicht im Mindesten darüber alterirte oder ereiferte wie sein Bruder, sondern kopfnickend sagte: »Ja, ja, – ach ja, es ist die Geschichte. Schau, das hat Herr Plager in Händen? darüber bin ich erfreut, denn Herr Plager ist als ein Mann bekannt, welcher der Zeit und den Verhältnissen Rechnung zu tragen pflegt. Und das ist unbedingt nothwendig. Sehen Sie, mein lieber Herr – aber ich möchte in der That gar zu gern Ihren Namen wissen, es spricht sich angenehmer und bester, wenn man sagen kann: Herr so und so. Also, wenn ich bitten darf?« – Er begleitete diese Bitte mit einem wahrhaft hinreißenden Lächeln.
»Nun denn, wenn Ihnen etwas daran gelegen ist,« versetzte der Schreiber mit einem steifen Kopfnicken, »mein Name ist Larioz.«
»Ei, Larioz,« erwiderte der Andere mit einem etwas affektirten Erstaunen, »da kann Ihre Familie unmöglich hier aus dem Lande sein. Das ist ein eigenthümlich fremder, prächtiger und schön klingender Name. Nun, warten Sie einmal, – Larioz, wo kann das her sein?«
Während er so sprach, hatte er seine rechte Hand ausgestreckt, so daß seine Fingerspitzen sein Gegenüber berührten, dem er damit sanft auf die Brust tippte.
»Allerdings,« sagte der Schreiber, »klingt mein Name etwas sonderlich, weine Familie stammt aus Spanien, und ich Ein selbst dort geboren.«
»Ein Spanier!« rief Herr Clemens mit dem sehr gut gemachten Ausdruck der höchsten Ueberraschung. »Wirklich ein Spanier! – Ja, wo hatte ich meine Augen? In der That, wenn man Sie näher betrachtet, so findet man gleich den castilianischen Gesichtsschnitt, die hohe Stirn, das lange schmale Gesicht, die Augen mit dem gewissen Ausdruck und der Bart – ja, der Bart – ganz Hidalgo. Das müssen wir schnell Jean Baptist sagen.« Dabei sprang er von seinem Stuhle auf und setzte hinzu: »Jean Baptist wird unsinnig vor Freude, Sie zu sehen.«
»Hatte bereits das Glück, Ihren Herrn Bruder zu sprechen,« bemerkte der Schreiber sehr ruhig, »ohne von der großen Freude etwas zu bemerken, die ihm mein Anblick einflößen soll. Im Gegentheil –«
»O, ich kann mir das denken,« entgegnete rasch Herr Clemens Breiberg, indem er beide Hände seines Gastes ergriff und sie derb schüttelte. »Er ist zuweilen etwas wunderlich, ein heftiger Charakter, aber ein gutes Gemüth, gut bis zum Exceß. Wenn ich Sie ihm als Spanier vorstelle, so versichere ich Ihnen, er wird unsinnig vor Freude. Als Mensch und als Maler liebt er die Spanier, und wenn er etwas Spanisches malt, so ist er völlig überglücklich. Ja, wir müssen zu ihm hinunter, und er muß Ihnen sein neues spanisches Bild zeigen.«
»Er malt an einem spanischen Bilde?« fragte aufmerksam Herr Larioz, der in diesem Augenblicke an das schöne Mädchen dachte, das einen so gewaltigen Eindruck auf sein Herz gemacht.
Der Andere spitzte den Mund und machte ein paar Augen, als genösse er etwas außerordentlich Köstliches. Dann sagte er: »Das will ich meinen, ein superbes Bild! Mittagsruhe in einer spanischen Venta, ein Majo und eine Maja. Sie ist vom Tanze ermüdet dahingesunken, während er vor ihr steht, sie liebevoll betrachtend. Das Bild muß Epoche machen.«
»Ja, das muß sehr schön sein,« meinte der Schreiber nachsinnend, indem er an die entzückende Lage des prachtvollen Geschöpfes da unten dachte.
»Mein Bruder zeigt seine unfertigen Bilder nicht gern,« fuhr der Maler mit großer Wichtigkeit fort, »ist überhaupt ein bischen barsch und abstoßend; aber wenn ich Sie als Spanier einführe, da sollen Sie sehen, wie der Mann Sie freundlich empfängt – kommen Sie nur, kommen Sie nur, verehrter Herr Larioz!«
Damit hatte Herr Clemens schon die Thür geöffnet und ließ den Schreiber nicht mehr zu Worte kommen, der den offenen Bogen, die Sache Erdwinkel contra Breiberg betreffend, noch immer in der Hand hielt und gern darüber einiges Weitere gesprochen hätte. So mußte er aber folgen, denn der Maler befand sich bereits auf der Treppe, ja, er sprang diese so eilfertig hinab, daß Larioz schon die Klingel des Ateliers hörte, ehe er selbst noch auf der Mitte der dunklen Stufenreihe angekommen war.
Obgleich Larioz sich gewissermaßen scheute, den bärbeißigen Jean Baptist wieder zu sprechen, so zog es ihn doch mächtig nach der geöffneten Thür, in der stillen Hoffnung, sie vielleicht nicht nur wiedersehen zu dürfen, sondern ihr sogar vorgestellt zu werden und, falls sie eine Spanierin war, ein paar Worte in der süßen Sprache der Heimat Mit ihr wechseln zu dürfen:
Herr Clemens war unterdessen hinter die Tapetenwand geeilt, hatte seinem Bruder etwas von dem wirklichen Spanier gesagt, und dieser schien sich in der That darüber zu freuen, denn er kam dem jetzt Eintretenden nun ganz anders entgegen als vorhin. Wenn auch seine Stirn unter der seltsamen Papiermütze mit den bunten Figuren immer noch Falten hatte, und wenn seine Augen auch immer noch finster blickten, so zeigte sich doch um die Mundwinkel etwas, das wie ein Lächeln aussah; auch reichte er dem Schreiber die Hand und brummte einige Worte von großem Vergnügen, das er empfinde, einen wirklichen Spanier von so ausgezeichnetem Aeußerem bei sich zu sehen.
Clemens, der näher getreten war, setzte hinzu: »Das ist seine wahre Stimmung, ich versichere Ihnen, er ist ganz außer sich vor Freude, wenn er etwas von Spanien sieht, er liebt dieses Land über alle Beschreibung.«
»Ja, ich liebe es recht sehr,« fügte Jean Baptist bei, wobei er einen Blick nach der Oeffnung der Tapetenwand warf, einen Blick, der Herrn Larioz fast erbeben machte, denn er brachte ihn natürlicher Weise mit dem jungen schönen Mädchen in Verbindung.
»Unser junger Freund hier,« sagte Clemens Breiberg händereibend, »ist für uns gütig gesinnt, davon bin ich fest überzeugt, und deßhalb, lieber Bruder Jean Baptist, könntest du wohl so freundlich sein, uns dein neues spanisches Bild, den Majo und die Maja, zu zeigen. Dürfen wir?« setzte er mit einer Handbewegung nach der Tapetenwand und einem Schritt vorwärts hinzu.
»Dort eintreten?« fragte beinahe finster der andere Herr Breiberg. »Du weißt, wie ungern ich es sehe, wenn man uns Künstlern hinter die Coulissen schaut.«
Das sagte er mit einem sauren Lächeln, wobei Herr Larioz vollkommen die Aversion des Malers begriff, jemand Fremdes hinter die Coulissen schauen zu lassen.
»Aber Herr Larioz,« sagte Clemens, da Jean Baptist ihn fragend ansah, »aber Herr Larioz soll doch das Bild sehen, wenn er es wünscht.«
»Ich würde mich glücklich schätzen,« entgegnete der lange Schreiber, obgleich er sich glücklich geschätzt hätte, hinter die Coulissen treten zu dürfen.
Herr Jean Baptist hatte mit seinem steifen, finsteren Wesen einen Stuhl in die Mitte des Zimmers gerückt und qualmte dabei entsetzlich; er hatte nämlich eine kurze irdene Pfeife, deren Kopf einen Affen vorstellte, im Munde; alsdann ersuchte er Herrn Larioz, Platz zu nehmen, und ging dann mit seinem Bruder hinter den Verschlag, um das Bild zu holen.
Der Schreiber lauschte aufmerksam, ob er von ihr nichts höre, doch nur einmal war es ihm, als vernehme er das Rauschen des seidenen Kleides und ein ganz leises Flüstern, und schon kamen die beiden Maler zurück mit einer Staffelei, auf welcher sich das erwähnte Bild befand, das sie nun vor Herrn Larioz hinstellten.
Es war so, wie Herr Clemens gesagt. Unter einer Veranda lag eine junge Spanierin genau in der Stellung, in welcher Herr Larioz vorhin das reizende Mädchen gesehen. O, es war eine entzückend schöne Lage! und dazu das Gesicht der Spanierin, ja, er erkannte es augenblicklich wieder, wenn die Züge auch in einzelnen Theilen hier und da verändert waren; es waren dieselben wunderbaren schläfrigen Augen, der frische lächelnde Mund und die blitzenden Zähne. Ach, sie war reizend, über alle Beschreibung reizend! Den Majo betrachtete er mit Parteilichkeit für das junge Mädchen und fand ihn weniger gelungen.
»Das ist allerdings ein herrliches Bild,« sagte Herr Larioz, indem seine Blicke immer wieder auf der schönen Gestalt des jungen Mädchens ruhen blieben. »Ein entzückendes Bild! Glücklich der, welcher es sein nennen kann!«
Wir wollen hierbei dem verehrten Leser gestehen, daß der künstlerische Geschmack des Herrn Larioz noch nicht sehr ausgebildet war, denn sonst hätte er unbedingt einsehen müssen, daß er ein ziemlich gewöhnliches Machwerk vor sich habe, dessen Figuren sich durch sehr gewagte Stellungen, die Zeichnung aber durch Unrichtigkeit bemerkbar machte, sowie, daß das Colorit ein Zusammentrag war von harten, schreienden Farben aller Art: Roth, Gelb, Grün, Blau, wie sie nur an dem Costume des Majo und der Maja anzubringen waren. Das alles aber bemerkte Herr Larioz nicht, denn ihm schwebte nur das Bild der schönen Spanierin vor, die er drinnen auf dem Divan ruhen gesehen und die er hier so gut wie möglich übertragen fand. Was aber dem Bilde fehlte, das ersetzte er bei der Maja durch seine Phantasie, woher es denn auch kam, daß selbst er den Majo, den er nicht con amore ansah, für weniger gelungen hielt.
Der lange Schreiber schmeichelte also der Eitelkeit des Malers, indem er mit dem Tone der Wahrheit von dem Bilde als von einem großen Kunstwerke sprach.
Herr Jean Baptist stand daneben mit gespreizten Beinen, rückte zuweilen seine Mütze von einem Ohr aufs andere, blies auch mehrmals die Backen auf und sagte in nachläßigem Tone: »Ja, ja, das Bild ist gelungen, es wird seinen Liebhaber finden.«
»Ja, einen reichen Liebhaber,« seufzte der lange Schreiber in sich hinein, und wenn er dabei bedachte, wie es für ihn so ganz unmöglich sei, dieses kostbare Bild zu erstehen, so überschlich ihn ein Gefühl des Unbehagens, ja, des Neides. Doch währte das nur einen Augenblick, denn er schämte sich dieses Gefühles und verjagte es gewaltsam aus seinem Herzen.
»Und das Ganze ist Phantasie?« fragte er nach einer Pause nicht ohne Absicht; »ich wollte nämlich fragen,« setzte er hinzu, »ob Ihnen keine Person bei dem Entwerfen des Bildes vorgeschwebt, ob Sie namentlich den Kopf der Maja ganz aus sich selbst geschaffen?«
»Das ist nicht gut möglich, mein lieber Herr Larioz,« antwortete der sauste Clemens für den Bruder. »Um den Charakter der Wahrheit in die Köpfe eines Bildes zu bringen, ist es nothwendig, daß man in das Leben hineingreift. Der Kopf des Majo ist der eines jungen Malers unserer Bekanntschaft, zum Gesichte der Maja hat Jean Baptist eine Dame gefunden, die so freundlich ist, ihm zuweilen auszuhelfen.«
»Das muß eine Spanierin sein,« sagte der Schreiber in bestimmtem Tone.
»Meinst du, daß es eine Spanierin ist?« fragte Clemens seinen Bruder, indem ein kaum bemerkbares Lächeln um seine Lippen spielte.
»Das kann ich nicht sagen,« entgegnete dieser, und dabei wiegte er seinen Oberkörper hin und her. »Ich halte sie eher für eine Französin als für eine Spanierin; jedenfalls ist sie hier geboren und spricht, so viel ich weiß, kein Wort Spanisch.«
Das sprach Herr Breiberg so laut, daß der Schreiber ordentlich schüchtern nach der Oeffnung der Tapetenwand blickte; denn er meinte, es müsse doch für ein zartfühlendes Wesen nicht angenehm sein, so über sich verhandeln zu hören; auch wollte er dieses Thema nicht weiter berühren; doch sagte Jean Baptist: »Allerdings hat der Kopf etwas Spanisches, doch glaube ich, das liegt hauptsächlich an der andalusischen Tracht.«
»Da kannst du Recht haben,« meinte Clemens, »denn dort schauen Sie,« – hierbei tippte er Herrn Larioz auf die Achseln und zeigte auf eine kleine Skizze an der Wand – »dort ist derselbe Kopf wieder und sieht unter dem Epheukranz, sowie bei dem Stückchen weißen Gewandes um die Schultern ganz anders aus, etwa wie eine heidnische Priesterin.«
Der lange Schreiber hätte sich augenblicklich von seinem Stuhl erhoben und war vor das kleine, ihm bezeichnete Bild hingetreten. Ja, das war wieder derselbe Kopf, wenigstens die Grundzüge waren dieselben, die gleichen süßen Augen, der wunderbare Mund, das lange prachtvolle Oval mit der hohen geistreichen Stirn. Lange betrachtete er es schweigend, ja, wir möchten sagen: still bewegt, und er hätte es lieber nicht so lange betrachten sollen, denn der Blick der halb geöffneten, träumerischen und doch wieder so glänzenden Augen drang ihm aus eine wunderbare und nie empfundene Art ins Herz. Er holte mühsam Athem, und als er von dem Bildchen endlich wieder zurücktrat, konnte er doch die Augen nicht davon abwenden, ja, konnte nicht unterlassen, zu sagen: »Das ist ein kleiner Schatz, dieser Kopf, ich wüßte nicht, was ich darum gäbe, wenn ich ihn mein nennen dürfte.«
Während er so entzückt die Skizze betrachtete, hatte Clemens mit seinem Bruder leise gesprochen, eigentlich mehr durch Pantomimen, als durch Worte, und als Jean Baptist endlich mit dem Kopfe nickte, trat der andere hinter den Schreiber, berührte dessen Arm mit der Hand und sprach: »Lieber Herr Larioz, Sie sind ein feiner Kunstkenner. Daß Ihnen unter den vielen – ich kann das ohne Eigenlob sagen, wirklich guten Bildern – gerade dieses auffällt, beweist mir, daß Sie schon viel Gutes gesehen und verstanden haben. Ein ebenso kenntnißreicher Liebhaber, wie Sie, steht schon seit einiger Zeit darüber im Handel mit Jean Baptist, doch konnten sie bis jetzt nicht einig werden.«
»So, wollen Sie es verkaufen?« fragte der Schreiber fast erschrocken, und dabei näherte er sich abermals der Wand, ja, er berührte mit seinen Fingern den Nahmen, als wolle er verhüten, daß Jemand anders das Bildchen wegnehme. »So wollen Sie es in der That verkaufen? Ach! Sie werden einen großen Preis dafür nehmen.« Das sagte er in einem schmerzlichen Tone.
»Nicht so groß,« versetzte Clemens, »gewiß nicht im Mißverhältniß zu der vortrefflichen Arbeit. Jean Baptist verlangt acht Louisd'or, eigentlich eine wahre Lumperei – und du wirst sehen, Bruder,« fuhr er fort, »er läßt es auch heute noch holen.«
»Acht Louisd'or,« sagte Herr Larioz, und wenn er auch dachte, wie Herr Clemens Breiberg, daß diese Summe für die vortreffliche Arbeit und den schönen Kopf allerdings sehr gering sei, so überlegte er doch anderntheils, daß seine sämmtlichen Gelder, die er sich für einen Fall der Noth erspart und zurückgelegt hatte, nicht viel mehr betrügen. – Wie man sich in kurzer Zeit ändern kann! Gestern noch hätte Herr Larioz mitleidig gelächelt, wenn ihm Jemand den Vorschlag gemacht hätte, er solle acht Louisd'or seines sauer erworbenen Geldes für das Portrait einer unbekannten Person hergeben; heute aber, wo ihm diese Person – das/ dachte er seufzend – nicht mehr unbekannt war, schien es ihm ein vorthellhafter Tausch zu sein, mit acht Stücken todten Metalles diese seelen- und gluthvollen Augen einhandeln und sich dann täglich in sie versenken zu können.
»Und würden Sie das Bildchen,« fragte er nach einer Pause, »einem anderen Liebhaber um denselben Preis erlassen?«
»Meinst du, daß das angeht?« fragte Jean Baptist seinen Bruder in mürrischem Tone. »Du hast es doch so gut wie verkauft.«
»Verkauft gerade nicht,« entgegnete Clemens, indem er sich die Hände rieb, »ich habe ihm den Preis genannt, da e sich aber bedenken wollte, so können auch wir thun, was uns gefällt. Ueberdies,« setzte er in lebhaftem, herzlichem Tone hinzu, »möchte ich deine Arbeit, lieber Bruder, in keinen anderen Händen wissen, als in denen des Herrn Larioz, der wirklich einen ausgebildeten Kunstsinn hat und der, was er besitzt, zu schätzen versteht. Also thue mir die Liebe, mache kein finsteres Gesicht und sage Ja.«
Herr Jean Baptist Breiberg machte in der That ein finsteres Gesicht, er hatte die Papiermütze mit den Teufelsfiguren über die Stirn herab fast bis auf die Augenbrauen geschoben und kratzte sich verdrießlich am Hinterkopfe.
»Sehen Sie,« sagte Clemens lachend zu dem Schreiber, »so ist er nun einmal. Ich habe meine Noth und Last, jede fertige Arbeit von ihm dem Besteller einzuhändigen; ich muß sie ihm ordentlich aus den Zähnen reißen. Nun – also bist du einverstanden?«
»Nun, meinetwegen denn, weil ich dir damit einen Gefallen thue – und auch dem Herrn Larioz setzte er freundlicher hinzu und nahm das Bild von der Wand. »Nehmen Sie also in Gottes Namen die Skizze.«
So sah sich also unser langer Freund im Besitze eines Bildes, und als durch das Wort Jean Baptist's die Sache entschieden war, fühlte er sich glücklich darüber. Auf seine Bemerkung, das Bild morgen abholen zu wollen, um gleich dafür Zahlung zu leisten, äußerte sich Herr Clemens Breiberg fast entrüstet, er nahm die Skizze von der Wand, wickelte sie in ein Papier und versicherte, die Zahlung könne geleistet werden, sobald es in dem Belieben des Herrn Larioz stehe; wolle derselbe zufolge des Geschäftsganges des Hauses eine kleine Quittung des Empfanges ausstellen, so werde man dies dankbar annehmen.
Natürlicher Weise war Herr Larioz hierzu bereit, die Quittung oder vielmehr ein kleiner, artiger Schuldschein von Jean Baptist geschrieben, vom Käufer unterschrieben, und nach einigen freundschaftlichen Händedrücken, woran beide Brüder Theil nahmen, empfahl sich Herr Larioz, nicht ohne noch einen Blick nach der Oeffnung der Tapetenwand gethan zu haben, und nicht ohne die sehr laut von sich gegebene Versicherung, daß er den heutigen Mittag für einen außerordentlichen glücklichen ansehe und daß er mit einem wahren Schatze beladen dieses freundliche Haus verlasse. Dann stieg er die finsteren Treppen hinab und spürte, auf der Straße angenommen, im. Gefühl seines Liebes-Frühlings kaum, daß immer noch eisiger Regen und winterlicher Schnee ihm entgegen flogen.