Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Zweiter Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im Bivouak

Wenn der geneigte Leser behaglich in seinem Lehnstuhle sitzt und in der Zeitung liest von glänzenden Paraden und Manövern großer Truppenkörper, wie das alles im hellen Sonnenschein vor sich gegangen, wie die Fahnen wehten, die Waffen blitzten, wie Compagnien und Schwadronen so exact abschwenkten und unter dem Klange der schmetternden Militärmusik bei dem Obercommandirenden vorbeimarschirten, daß es eine wahre Freude war, und ein altes Soldatenherz bei diesem Anblick hätte Thränen der Rührung vergießen mögen, so bedauert er recht sehr, nicht auch mit dabei gewesen zu sein; namentlich thut es ihm oftmals leid, die großen Manöver nicht mit angesehen zu haben, Feldzug und Schlacht im Kleinen, wo man Alles so ganz natürlich vor Augen hat: Artilleriegefechte, Infanterieangriffe und das wunderschöne Einhauen der Kavallerie, wenn sie dahin jagt mit ihren schnaubenden Pferden, vor oder hinter sich eine unendliche Staubwolle, aus welcher hervor Helme glänzen und Säbel blitzen, – Alles wie in der wirklichen Schlacht, nur mit dem höchst angenehmen Unterschiede, daß hier keine Kugeln pfeifen, kein Blut fließt und keine Gebliebenen zurückgebracht werden. – Auch die sanfteren Freuden der Manövertage möchte er gerne mitgenießen, die Einquartierung bei reichen Bauern oder auf adeligen Schlössern, denn er stellt sich das Alles höchst romantisch vor, wie ihm der Hauswirth unter der Thüre entgegen kommt, die abgezogene Mütze in der Hand, um sich freundlichst zu erkundigen, ob er die Karpfen lieber in brauner Sauce oder gebacken möge, und wo dabei auf dem ersten Treppenabsatz die sittsame und sehr schöne Tochter steht, mit züchtigen, verschämten Wangen, einen großen Becher haltend, angefüllt mit irgend welchem 1846er Ausbruch. Und erst die Bivouaks! Da denkt der Zeitungsleser: mag man sagen, was man will, so ein Soldatenleben ist ein ungeheuer angenehmes Geschäft; das lustige Umherschwärmen, wo man all' das Schöne sieht und genießt, dessen wir eben gedacht, und dabei nicht nothwendig hat, jeden Abend in das langweilige Bett zu kriechen. – Glückselige Menschen, die Soldaten! Da sattelt er sein Pferd ab unter Gottes freiem Himmel, legt sich ins frische Gras oder duftige Moos, hat über sich den Mond und so viel tausend Millionen Sterne, die alle freundlich auf ihn herabblinzeln, die angenehme Nachtluft fächelt seine erhitzten Wangen und endlich entschlummert er sanft, träumend von der Heimath und ihren Schätzen, während er vernimmt, wie aus der Entfernung irgend ein Kamerad auf der Guitarre spielt:

Steh ich in finst'rer Mitternacht
So einsam auf der fernen Wacht.

– – So träumt der Zeitungsleser auf seinem Lehnstuhle, trinkt dazu seinen Kaffee und sieht behaglich durch's Fenster, wie draußen der Wind die herbstlichen, gelb und roth gefärbten Blätter von den Bäumen schüttelt und in weiten und engen Kreisen auf den Boden niederwirbelt. Darauf denkt er noch einmal an seine Lecture und seufzt gelinde, daß er leider zu weit entfernt vom Schauplatze der Manöver wohnt, und daß er selbst nie Soldat gewesen, um all' die Marsch-, Einquartierungs- und Bivouaksfreuden mitgenießen zu können, – Er trommelt mit den Fingern auf dem Tische, wie er es auf der Wachtparade gehört, – tum – tum – tumtum – tumtum – bidibidibum – bidibidibum – tumtum. – Und dann nickt er ein und hält ruhig sein Mittagsschläfchen, welches heute ausnahmsweise so lange dauert, bis die Sonne sich stark abwärts zum Horizonte neigt. Im gleichen Augenblicke ist einer der Manövertage beendigt, und die Truppen, vom langen Feuern, vielen Marschiren und Reiten ermüdet und abgespannt, treten bataillons- oder schwadronsweise zusammen, um die Nacht auf freiem Felde zu bivouakiren. Rings um den Manöverplatz liegen stattliche Dörfer mit großen Häusern, aus deren Schornsteinen sich blauer Rauch leicht emporkräuselt. Dahin blickt Infanterist und Reiter mit einem stillen Seufzer, wenn er in einer sehr verzeihlichen Ideenverbindung an das Feuer denkt, welches diesen Rauch hervorbringt, sowie an die vielen guten Sachen, die auf eben diesem Feuer jetzt schmoren und sieden mögen, und er befiehlt wehmüthig den grauleinenen Beutel an seiner Seite, worin sich vielleicht ein Stück hartes Brod befindet oder der Zipfel einer Wurst, die traurigen Ueberbleibsel des Frühstücks von heute Morgen.

Ueber die Hochebene, wo das Armeekorps campiren wird, streift ein kühler, herbstlicher Wind, der unangenehm durch Mantel und Collet dringt, und der selbst die Pferde frostig berührt, denn sie schaudern leise unter dem Sattel und den Geschirren, ziehen melancholisch ihre Schweife ein und lassen die Köpfe hängen. Wer nicht gerade auf Vorposten kommt, sattelt ab oder schirrt aus; Pflöcke werden in den Boden geschlagen, die Fouragierleinen herumgezogen, die Pferde daran gebunden, man hängt ihnen die Futterbeutel um, die Infanterie legt ihre Tornister ab, die Artillerie spannt die Geschütze aus, und wer von der Mannschaft nicht mit einem der vielen Dienste, die es im Bivouak gibt, bedacht wurde, sucht seine Kameraden auf, und dann liegen sie in Gruppen bei einander, meistens bäuchlings auf der kalten Erde, stützen den Kopf auf die Ellenbogen und sprechen von zu Hause, von der angenehmen Kaserne mit ihren warmen Zimmern und guten Betten, und machen es nun, nur auf umgekehrte Art, gerade so wie unser Zeitungsleser. Auf der dämmerigen Haide träumt man so gern von einer angenehmen Wohnung, von einem behaglichen Lehnstuhl, von einem guten Kaffee mit Cigarre oder Pfeife.

Der Himmel hat sich unterdessen dicht bezogen und der stärker werdende Wind finstere Wolken zusammengeweht; rings ist es dunkel und trübe, nur dort, wo die Sonne unterging, bemerkt man einen schwefelgelben Streifen, der aber schläfrig genug aussieht und eben im Begriffe zu stehen scheint, der Erde verdrießlich gute Nacht zu sagen, indem er sich langsam eine graue Wolkenschlafmütze über die Ohren zieht. Dazu pfeift der Wind in allen möglichen Tonarten, und einzelne schwere Regentropfen klatschten in die aufwärts schauenden Gesichter.

Wenn sich ein Bivouak nicht zu dicht vor dem Feinde befindet, so ist es wohl erlaubt, Feuer anzuzünden, vorausgesetzt, daß man Brennmaterial hat, und der Wind nicht zu heftig über die Haide fegt. Von beiden, Holz und Wind, war aber hier zu wenig und zu viel vorhanden, weßhalb man nur hie und da schwache Versuche eines Feuers sah, über welches aber alsobald der starke Luftzug mit kalter Hand strich, als wollte er sagen: macht euch keine vergebliche Mühe, wobei er die glühenden Kohlen weit über das Feld dahinjagte.

In dieser Nacht war eigentlich nur ein einziges respektables Feuer sichtbar, und das brannte etwas weiter draußen vor dem Bivouak bei den Vorposten, das heißt, beim Kommandeur eines Theiles derselben, einem Infanterielieutenant, zu dem sich aber und eben dieses behaglichen Feuers wegen einige Kameraden von der Kavallerie und Artillerie zu Gast eingefunden hatten, die nun hier in einem wirklich beneidenswerthen Winkel beisammen saßen. – Hätte den der Zeitungsleser gesehen, so würde er sich augenblicklich bei irgend einem Infanterieregimente anwerben lassen.

Die Vorposten standen gegen den eingebildeten Feind in einem ziemlich weiten Kreise um das Bivouak dort hinten, wo sich das Terrain zu einigen Hügeln erhebt, um dahinter ziemlich schroff gegen ein tiefes Thal und einen Fluß abzufallen. Bei der zweifelhaften Helle der Nacht sah man sie dort droben stehen, das Gewehr im Arm, so gut wie möglich abgekehrt vom Winde, die Schultern hoch emporgezogen, fröstelnd und seufzend und sich fast gegen die starke Luftströmung anstemmend, die oftmals that, als wolle sie die da oben hinabblasen. Das Feuer, von dem wir vorhin sprachen, befand sich natürlicher Weise diesseits der Vorposten, und hatte es der commandirende Lieutenant in einem außerordentlich schönen und angenehmen Sandbruche anzünden lassen; die Wände dieses Sandbruches schützten vollkommen vor dem Wind, oben auf der Höhe desselben wuchs einiges überhängendes Gesträuch, welches die Regentropfen abhielt, und dadurch war es hier unten so behaglich, wie in einem Salon. Von der Kälte spürte man nichts, in den Feldflaschen und Brodbeuteln fand sich auch noch Einiges vor, und so saßen hier die Offiziere bei einander, freuten sich ihres Lebens, rauchten, plauderten über dies und das, oder betrachteten die steile, gelblichweiße Sandwand, hinter der sie saßen, und auf welcher der Schein des Feuers allerlei seltsame Figuren zeichnete.

»Man mag sagen, was man will,« meinte ein Offizier von den Husaren, »man kann es hier unserem Kameraden von der Infanterie nicht absprechen, daß er seinen Lagerplatz mit großer Gewandtheit und vielem Glücke aufgesucht und gefunden.«

»Dafür ist er auch berühmt,« sagte ein anderer von der Infanterie, »nämlich gute Lagerplätze zu finden, oder in einem Dorfe die besten Häuser.«

»Das heißt wohl die besten Stuben, die beste Verpflegung und die schönsten Mädchen. Ja, darin hat er ein ausschweifendes Glück.«

Der also Belobte lächelte freundlich in sich hinein und strich seinen Schnurrbart, ehe er entgegnete: »Ich kann mir das nicht als Verdienst anrechnen, ich möchte es eher ein gewisses Ahnungsvermögen nennen, wenn ihr wollt, einen gewissen Instinkt, der mich immer zu einem gutbesetzten Herde und ein paar frischen rothen Wangen führt.«

»Es kommt auch viel darauf an, in welchem Theile des Landes man ist,« sprach ein Artillerieoffizier; »hier herum hat es sich leicht, gute Quartiere zu finden, aber kommt einmal da hinten an den Rhein, in den E.'schen Wald. Soll mich der Teufel holen, da lernt man den Herrn erkennen; Morgens eine Zwiebelsuppe, Mittags Kartoffel mit saurer Milch und Abends waschen sie die Ofenplatte ab, und machen, da sie keine Pfannen haben, auf derselben eine Art von Kuchen, daß Einem die Haare zu Berge stehen. – Brrr!«

Dei Infanterieoffizier lächelte so pfiffig in sich hinein, daß ihn der Husar nothwendig fragen mußte, ob dem wirklich so sei, und ob er es dort nicht ganz anders gefunden.

Worauf Jener die Augenbrauen in die Höhe zog und mit der Zunge schnalzte, als wollte er sagen: das waren mir selige Tage.

»Nein, nein,« fuhr der Artillerieoffizier fort, »vor der Gegend habe ich allen Respekt; wir sind schon seit mehreren Jahren dort gewesen, aber es wird immer schlechter.«

»Das ist in der Nähe von B.?« fragte ein Dragoneroffizier, der bis jetzt aufmerksam zugelauscht, und aus einer kurzen Meerschaumpfeife rauchte und gedankenvoll in das Feuer blickte.

»Richtig – in der Nähe von B.; wir hielten uns begreiflicher Weise mit unseren Geschützen meistens in der Ebene auf; aber in dem Gebirge und den Wald hinauf soll es noch viel schlechter sein.«

»Dicht bei B.,« sprach lächelnd der Dragoner, »liegt ein altes Kloster.«

»Ganz recht,« erwiderte der Artillerist, »ein Nonnenkloster, aber es ist verlassen. Die Güter werden von einem Bauern verwaltet, der in einem Theile des weitläufigen Gebäudes wohnt.

»So ist's,« versetzte der Andere. »Ich passirte einmal mit der halben Schwadron durch und gerade in diesem ehemaligen Nonnenkloster wurden wir einquartiert. – Es war ein schöner Herbsttag, und das abgefallene Laub, die gelben, braunen und rothen Blätter zierten recht hübsch den melancholischen, verwilderten Klostergarten; es war das eigentlich ein poetischer Winkel mit seinen verwahrlosten Wegen, herabgestürzten Figuren und den auf den Boden niederhängenden Zweigen sehr großer Trauerweiden, unter denen sich kleine bemooste Ruhebänke befanden.«

»Ich kenne ihn,« entgegnete der Artillerist, »lag oft in der Nähe, und ging dann häufig um das Kloster hemm spazieren; es ist ein altes, melancholisches Gebäude.«

»Mir passirte dort einmal was Sonderbares,« sprach lächelnd der Dragoneroffizier, »eigentlich an sich ganz unbedeutend – etwas wie eine Gespenstergeschichte.«

»Ah! das müssen wir hören!« rief der Hauptmann von der Infanterie. »So was lasse ich mir gern am Wachtfeuer erzählen; in der freien Natur höre ich es lieber, als zu Hause in den stillen vier Wänden. – Ist die Geschichte sehr gruselich?«

»Ganz und gar nicht, auch ist der Schluß sehr versöhnend.«

»Halt einen Augenblick!« rief der wachthabende Offizier, wobei er die Hand über die Augen hielt, »dort sehe ich etwas auf uns zukommen, gewiß eine Meldung von den Vorposten; wir wollen das eher abfertigen, damit wir die Gespenstergeschichte ruhig genießen können. – Hieher! – was soll's?«

Der Angerufene, ein Infanterist mit Ober- und Untergewehr und übergehängtem Mantel, trat nun in den Lichtkreis des Feuers, und sein Anblick rief auf den Gesichtern sämmtlicher Offiziere ein leichtes Lächeln hervor. Er mußte irgendwo in eine Lehmgrube gefallen sein, denn Mantel, Hose, Lederzeug und das halbe Gesicht hatten einen gelblichen Ueberzug; dazu hatte der Bursche seinen Helm ungebührlich weit auf dem Hinterkopfe hängen; was seinem bestürzten Gesichte einen noch trostloseren Ausdruck gab. – Er meldete, daß die feindliche Vorpostenkavallerie dicht an die diesseitige Postenkette geplänkelt, sich aber bald darauf wieder zurückgezogen hätte.

»Donnerwetter!« sprach einigermaßen entrüstet der wachthabende Offizier, »Kerl, du siehst ja aus wie eine Vogelscheuche. – Hast du die feindlichen Vorposten gesehen?«

»Zu Befehl, ja, Herr Lieutenant.«

»Und haben sie dich auch gesehen?«

»Zu Befehl, Herr Lieutenant.«

»Siehst du, das ist sehr gut, darauf kannst du dir was einbilden. Da sind sie unfehlbar vor dir davon gelaufen, denn wenn sie einen solchen Schmierfink gesehen, wie du bist, da haben sie geglaubt, hier bei uns seien keine Soldaten, sondern lauter Waldteufel.«

»Der Herr Lieutenant werden verzeihen, aber ich bin nur in der Dunkelheit ein Bischen in den Dreck gefallen.«

»Schön, schön, das kann dir Niemand verbieten; aber melde dem Unteroffizier, er soll dich eine Stunde lang auf die Höhe stellen; weißt du, zur Abwehr für die feindlichen Vorposten, und damit der Schmutz an dir vom Winde wieder trocken wird. – Abmarschirt! – Verzeihen Sie,« wandte er sich hierauf an die Kameraden, »diese Unterbrechung; jetzt werden wir eben eine Zeitlang ungestört sein.«

»Also die Gespenstergeschichte,« sagte der Artillerieoffizier.

»Ihr stellt euch eigentlich mehr vor als es ist,« lächelte der Dragoner. »Es ist nichts mehr als das Zusammentreffen eigenthümlicher Umstände. – Wir wurden also in das alte Kloster einquartiert; mir hatte man das Zimmer der Aebtissin angewiesen, ein großes, fast leeres und sehr kahles Gemach, mit weiß getünchten Wänden, an der Decke schwere Stukkaturarbeiten, die ein ganz schwarz gewordenes Bild einrahmten. Das ganze Ameublement bestand aus einem sehr geringen Bette und zwei Stühlen, der eine neben diesem meinem Lager, der andere auf der gegenüber liegenden Seite des Zimmers zunächst der Thüre.

»Wir hatten einen starken Marsch gemacht, ich war müde, langweilig war es zum Sterben in dem Nest, kurz, ich legte mich frühzeitig zu Bett und entschlief baldigst. So mochte ich einige Stunden gelegen sein, als ich erwachte, sei es an einem Traume, einem Geräusche, das wußte ich selbst nicht, – kurz, ich fühle, daß mich der Schlaf gänzlich verlassen, ich reibe meine Augen und schaue an die Decke empor. Vor dem einzigen, aber sehr großen Fenster des Zimmers stand ein dichtbelaubter Baum, durch dessen Zweige gedämpft das Mondlicht herein fiel, aber nur eine sehr zweifelhafte Helle gab. – Schon bin ich im Begriff, mich wieder auf die Seite zu werfen, und abermals einzuschlafen, als meine Blicke zufällig auf den am Abend vorher ganz leeren Stuhl fallen, bei, wie ich auch sagte, an der Thür stand – – – – Was sehe ich? der Stuhl ist nicht mehr leer, sondern auf ihm sitzt eine Gestalt, die mich unverwandt zu betrachten scheint.«

»Ah!« machten die Offiziere.

»Eine Gestalt,« fuhr der Erzähler fort, »und als ich schärfer Hinblicke, erkenne ich deutlich die Figur einer Nonne, ein fahles Gesicht unter dem vorspringenden dunklen Kopftuche, weiß bekleidete Arme, deren Hände sie gefaltet auf dem Schooße hält, unten ein weites dunkles Gewand, das bis auf den Boden niederfällt. – – – – Daß ich in meinem Bette mich hastig emporrichtete, könnt ihr mir glauben; auch will ich gestehen, daß ich nach meinem Säbel griff, der neben mir an dem Bette lehnte. – Dann rief ich die seltsame Erscheinung vor mir mit lauter Stimme an. – Halt! wer da? – Keine Antwort; nichts regte sich an ihr. – Nochmals: halt! – wer da? Regungslos wie vorher, und starrt mich an. – – – Jetzt springe ich einigermaßen beunruhigt aus dem Bett, stürze auf die Gestalt los und –«

»Sie verschwindet!« rief erwartungsvoll der Artillerieoffizier.

»Im Gegentheil! sie bleibt ruhig sitzen und läßt mich dicht herankommen.«

»Es war die gespenstige Aebtissin?« fragte der Hauptmann nach einem tiefen Athemzuge.

»Nein, die war es nicht,« fuhr der Dragoneroffizier nach einer Pause fort, »sondern es war – mein Sattelzeug, das mein Bursche, während ich schlief, dort aufgeschichtet hatte.«

»Ah! das endet zu prosaisch!« rief der Husar.

»Ich gebe das zu,« sagte der Erzähler, »aber die Ueberraschung hatte ich weg, und das Ding war so täuschend, daß, als ich es nun in der Nähe besehen und wieder mehrere Schritte zurücktrat, ich darauf geschworen hätte, es sei die Gestalt einer Nonne. – Auf dem Stuhle lag mein Sattel, darüber hing der Mantel auf den Boden hinab, das war das dunkle faltige Gewand, das weiße Lederzeug der Cartouche, die darüber hing, bildete die beiden Arme, der Helm das fahle Gesicht, und meine Satteldecke das schwarze Kopftuch. – Ich versichere euch, das Ding stellte sich so natürlich dar, daß ich es nicht unterlassen konnte, die Gestalt zu derangiren, indem ich die einzelnen Stücke auf den Boden legte. Ich hätte wahrhaftig nicht mehr einschlafen können.«

»Die Geschichte ist gut,« sprach der Hauptmann von der Infanterie, »und ich höre dergleichen gern, aber es muß vor allen Dingen ein vernünftiger Ausgang dabei sein. Wenn man so im Zweifel bleibt, ob so eine Sache natürlich oder unnatürlich ist, das mag ich nun gar nicht leiden.«

»Und für letztere Sachen ist das Kloster bei B. eigentlich wie gemacht,« meinte nach einer längeren Pause der wachthabende Lieutenant; »die langen finsteren Gange, die öden Zimmer, der verwilderte Garten, – ich bin immer gern ohne Aufenthalt daran vorbei marschirt, meinen Bergen zu, dem E.'schen Walde, von dem der Herr Kamerad von der Artillerie wahrhaftig unverdienter Weise nichts Gutes gesprochen.«

»Nehmen Sie mir nicht übel,« erwiderte dieser, »die Quartiere da sind scheußlich.«

»Im Thale, – drunten, Herr Kamerad, wo Sie mit ihren schweren Geschützen bleiben; aber droben auf den Bergen, da gibt es, wie der unsterbliche Schiller sagt, Freiheit und – mitunter recht gute Quartiere. – Aber,« setzte er pfiffig lächelnd hinzu, »man muß sie zu finden wissen.«

»Und das ist, wie gesagt, seine Force,« sprach lächelnd der Hauptmann von der Infanterie.

»Ja, ich habe Glück darin,« entgegnete der Andere. »Doch, da fällt mir eben eine Geschichte ein, die mir einstmals da droben passirte, eine Geschichte, wie man glaubt, daß sie nur in Italien oder Spanien vorkommen könnte.«

»Also am Ende gar eine Räubergeschichte!«

»Etwas dergleichen, und wenn es euch nicht langweilt, so will ich mich darauf besinnen.«

»Erzählen – erzählen!«

»Nun gut. – Unser Regiment kam also da herum ins Quartier; ein paar Bataillone in die Ebene, auch das Kloster erhielt seinen Theil; wir Füsiliere mußten in die Berge hinaufklettern. Die erste und zweite Kompagnie blieb weiter unten an den Abhängen, die unsrige stieg immer höher. Endlich erreichten auch wir die einzelnen Häuser, wo wir einquartiert wurden; es waren das mitunter schauerliche Spelunken. Begreiflicher Weise hatte ich meine Erkundigungen eingezogen, und man sagte mir, noch weiter da droben, ziemlich weit im Walde, wohne ein wohlhabender Holzhändler, bei dem es recht ordentlich wäre; er wurde zwar als ein etwas verdrießlicher Herr geschildert, der neben dem Holzhandel auch gern ein Bischen Wilddieberei treibe. Da war also ein guter Rehziemer zu finden, und eine recht hübsche Tochter sollte er auch haben. – Also dahin dirigirte ich mich mit meinem Burschen; wir kommen an, und wurden von Herr und Madame mit ziemlich saurem Gesicht empfangen. Das Haus war so – so, und ich erhielt eines der besten Zimmer, was auch nicht viel sagen wollte; doch war das Bett gut, und sogar mit großen Vorhängen von dunklem Kattun umgeben, die bis oben an die Decke reichten. Es war das Gastgemach und wurde sonst nicht benutzt. Das Nachtessen war leidlich, obgleich es mit dem Rehziemer nichts war, wogegen die Tochter des Holzhändlers meine Erwartungen vollkommen übertraf. Denkt euch ein hübsches, frisches und munteres Ding, das gern lachte und noch nicht so blasirt war, daß sie an den Aufmerksamkeiten eines Infanterieoffiziers keinen Geschmack mehr gefunden hätte. – Donnerwetter! ich machte ihr die Cour nach allen Regeln, was ihr auch zu gefallen schien, nicht aber so der Mutter und dem Vater, denn der Letztere erklärte mir am andern Tage, ich möchte das gefälligst unterwegs lassen, sein Mädel gehöre nicht mit zum Quartier.«

»Aber da gingt ihr erst recht dahinter,« sagte lächelnd der Husar.

»Ob!« fuhr der Erzähler fort, »aber ich hatte kein rechtes Glück; so oft ich dem Mädchen ein paar süße Worte zuflüsterte, führte der Teufel immer die Mutter oder gar den alten Holzhändler hinzu. Ja am Abend des zweiten Tages, als ich ihr nach gelindem Sträuben, den ersten Kuß applicirte, tritt der Papa dazwischen, führt sie am Arme hinweg, hält ihr im Nebenzimmer eine eindringliche Strafpredigt und sagte am Schluß: – das vernahm ich nämlich – und was den Lieutenant anbetrifft, mit dem will ich schon fertig werden, der soll mir keinen Versuch mehr machen, die Mädels aus dem E.'schen Walde zu küssen.

»Nun war der Holzhändler ein großer, hagerer Mann, kräftig und muskulös, hatte ein eingefallenes finsteres Gesicht, schwarzes, struppiges Haar, kurz eine wahre Banditenphysiognomie, der man alles Mögliche zutrauen konnte. In der rechten Hosentasche trug er in einer Scheide beständig ein langes, breites und scharf geschliffenes Messer, mit dem er sein Brod zu schneiden pflegte. – Madame dagegen war ein kleines breites Weibsbild, auf deren verwitterten Zügen beständig ein unangenehmes Lächeln lag.

»Ueber die Drohung des Holzhändlers lachte ich natürlicher Weise und ging heiter und guter Dinge zu Bette. Mein Bursche schlief in einem seitwärts stehenden Schuppen, welcher an dem Abende von dem Holzhändler eigenhändig zugeschlossen wurde, worüber ich mir indessen weiter keine Gedanken machte.

»Ich ging also zu Bett und schlief in kurzer Zeit ein. Mochte auch gerade wie unser Kamerad von den Dragonern drunten im Kloster einige Stunden geschlafen haben, als ich erwachte, aber nicht an einem Traume, sondern an einem Geräusche, welches ich deutlich vernahm. Aufmerksam lauschte ich, ohne mich zu rühren, und sah zu meiner großen Ueberraschung wie meine Stubenthür äußerst behutsam geöffnet wurde, worauf zuerst die Frau des Holzhändlers ins Zimmer schlich und dann dieser selbst leise folgte. Sie trug eine kleine Blendlaterne, aber so, daß der Schein auf ihr Gesicht fiel, ich dagegen vollkommen im Schatten blieb. War ihr lächelndes Gesicht schon bei Tag unangenehm, so sah es jetzt in der That abschreckend aus; dabei glänzten ihre Augen, ihre Unterlippe hatte sie vorgeschoben und man sah ihre gelben Zähne. Er hatte den Mund zusammengekniffen, die Augen weit aufgerissen, und sein schwarzes Haar flog wild um den Kopf, kurz, ich versichere euch, die Beiden sahen aus, wie ein paar Leute, die gerade im Begriff sind, ein fürchterliches Verbrechen zu begehen.

»Was sollte ich thun? Ich lag entkleidet in meinem Bette, mein Degen lehnte in der Ecke an der Thür, also war ich gänzlich wehrlos. – Schließe die Augen, dachte ich, vielleicht wenn sie dich so ruhig schlafen sehen, so ändern sie ihren blutigen Vorsatz. Denn ich muß gestehen, so etwas schwebte mir vor. Was konnte es mir auch nützen, wenn ich in diesem Augenblicke aufsprang? – Ich lag also ruhig und beobachtete.

»Als sie nun näher schlichen, bemerkte ich, daß der Mann ein großes Messer offen in der Hand trug, das Weib drehte ein klein wenig ihre Laterne, so daß der Lichtschein auf mich fiel; dann sagte sie: er schläft. – Und du meinst nicht, daß er aufwachen wird? fragte der Holzhändler mit weit vorgestrecktem Halse. – Gewiß nicht, entgegnete sie, und setzte mit einem wahrhaft teuflischen Lächeln hinzu: Schneide nur geschwind und tief, dann ist die Sache sogleich abgemacht.

»Es geht dir um den Hals, dachte ich nun alles Ernstes, denn sie schlichen leise auf den Strümpfen näher. – Jetzt standen sie dicht vor meinem Bette; das Weib hielt sich noch etwas zurück und er trat so dicht an mich heran, daß mich die Jacke, die er trug, fast berührte. Ich will eingestehen, daß mir in diesem Augenblick zu Muthe war, als hätte ich einen sehr starken Camillenthee getrunken; er beugte sich über mich hin, streckte sich lang aus und hob sein Messer. Zu gleicher Zeit blickte er auf mich nieder, und der Unmensch sagte mit einem fürchterlichen Lächeln: es wäre wirklich komisch, wenn er jetzt erwachen würde.«

»Na, nehmen Sie mir nicht übel, Herr Kamerad,« meinte der Artillerieoffizier; »da wäre der Teufel ruhig liegen geblieben. Ich wäre schon früher ans Fenster gelaufen und hätte Lärmen gemacht; daß man Sie nicht ermordet hat, sehen wir, aber man rückt den Leuten doch auch nicht so nächtlicher Weise mit blankem Messer auf den Leib.«

»Mein Hilferuf würde mir gar nichts genützt haben,« entgegnete der Erzähler, – »wir wohnten da oben ganz allein. Doch können Sie sich denken, daß ich mich auf einen verzweifelten Kampf in der nächsten Minute gefaßt machte. Zu wohlfeil sollte er mein Leben nicht haben.

»Das Weib hob also ihre Laterne und sagte flüsternd: So mach' doch vorwärts! schneide tief und geschwind. – Der entscheidende Moment war gekommen; der Holzhändler streckte sich noch länger aus als vorher, öffnete seine linke Faust, um mich ergreifen zu können, und hob die rechte mit dem Messer noch höher. – Ich hätte bald darauf ein todter Mann sein können; doch beschloß es der Himmel anders, denn gerade als ich dachte: nun wird er zustoßen oder dir deinen Hals abschneiden, langte er oben hin zwischen die Kattunvorhänge des Bettes und trennte von einem ansehnlichen Stück Speck, das dort hing, ein großes Stück herunter. Daß ich tief aufathmete, könnt ihr mir auf Ehre glauben, und zwar so tief, daß der Holzhändler und sein Weib erschrocken auf mich blickten und darauf eilig aber leise das Zimmer wieder verließen.«

»Ah!« sagte der Hauptmann von der Infanterie, »den Ausgang hätte ich mir doch ein Bischen schärfer gewünscht, vielleicht etwas Kampf oder eine rührende Rede Ihrerseits. – Aber nur ein Stück Speck!«

»Es ist das wenigstens kein trockenes Ende,« versetzte lachend der Erzähler; »ich konnte die Geschichte lange nicht vergessen, und kam, was die Holzhändlerstochter anbelangt, nicht mehr ins rechte Courmachen hinein. – – Aber was ist das?« unterbrach er sich plötzlich, indem er aufsprang, »wird dort nicht geschossen?«

»Ja wohl, ja wohl!« rief der Hauptmann von der Infanterie. »Die Vorposten müssen irgendwo an einander gerathen sein, oder allarmirt der General von B. unsern Bivouak. Der Herr hat bei Tag und Nacht keine Ruhe.«

»Ihr Herren an die Pferde!« sagte der Dragoneroffizier, indem er eilfertig seine Meerschaumpfeife einsteckte. Ich höre unsern Trompeter, der den Versuch macht, ob er einen Ton herausbringen könne. – Gute Nacht!«

»Eigentlich guten Morgen,« rief der wachhabende Offizier. Und dann sprang er hastig die Anhöhe hinauf, wo die Vorposten standen.

Wenige Augenblicke nachher war das lodernde Feuer verlassen und die Flammen zuckten ungewiß hin und her, nur noch den Sandsteinfelsen beleuchtend; bald aber, da Niemand mehr Holz nachlegte, wurden sie schwächer und immer schwächer, sanken zuletzt in sich zusammen, und das Feuer bildete kurze Zeit nachher nur noch einen kleinen Haufen langsam verglimmender Kohlen.


 << zurück weiter >>