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Auf einem hohen, hohen Berge lag einmal ein schönes, stattliches Schloß mit starken und festen Thürmen, mit weitläuftigen Mauern und tiefen Gräben umgeben, über welche schwere Zugbrücken hingen, und mit einem gewaltigen Burgthore, wo oberhalb desselben auf einem großen Steine das Wappen des tapferen Grafen eingehauen war, dem Berg und Schloß gehörte. Wie die Burg hieß, ist nicht genau anzugeben, thut aber auch nichts zur Sache; denn Mauern und Thürme derselben sind zerbrochen worden, so daß kein Stein mehr auf dem andern liegt; nur das Geschlecht, das darin gehaust – es war das der Schreckenberge – ist uns wichtig und merkenswerth, da es bei der Zerstörung der Burg nicht mit zu Grunde ging, sondern ein junges Zweiglein dieses berühmten Stammes ganz zufällig gerettet wurde. Die Schreckenberger hatten schon seit undenklichen Zeiten ihrem Namen alle Ehre gemacht, denn wenn ein Zug von Kaufleuten oder sonstigen Gewerbtreibenden sich diesem Berge nähern mußte, so thaten sie es nur mit Schrecken, und hatten nicht Unrecht daran; denn ein Falke wird nicht leichter eine Taube gewahr, als die dort oben von ihrem hohen Wartthurme die Züge der Krämer, selbst wenn sie der größeren Sicherheit halber des Nachts marschirten, um in der Dunkelheit den gefürchteten Schreckenbergern zu entgehen. Es war ordentlich, als stünden die dort oben mit den bösen Geistern in Verbindung; denn noch nie war es bewaffneten Heerhaufen geglückt, die Krämer, die sich in ihren Schutz begaben, ungefährdet vorbeizubringen; auch hatten sich schon oftmals die benachbarten Städte zusammengethan und sich Monden lang abgemüht, die Burg des Schreckenbergers von allen Seiten zu berennen, aber immer vergebens. Die guten Bürger sahen bei solchen Versuchen immer früher oder später ein, daß es doch besser sei, dem Schreckenberger hie und da einen Ballen Seidenzeug für seine erlauchte Gemahlin oder einen Wagen mit Häuten für die Knappen gutwillig zu überlassen, als sich den Ballen seiner Wurfmaschinen auszusetzen und so ihre eigenen Häute zu Markte zu tragen.
Der letzte des hochansehnlichen und weltberühmten Geschlechts der Schreckenberge war Fratz von Schreckenberg und wohl der schlimmste und räuberischste, der je gelebt; allein trotz dem war er beliebter als seine Vorfahren. Er ließ zwar nie einen Zug Kaufleute, ohne dieselben zu bestehlen, vorüber, ließ ihnen aber dafür auch etwas übrig und begnügte sich gewöhnlich mit der Hälfte der Waaren. Die Kaufleute selbst oder ihre Reisigen, die er bewältigte, schleppte er nie mit in seine Burg, und so lange Fratz dort oben hauste, stand das Burgverließ beständig leer. Auch streifte er nicht, wie seine Vorfahren, im Lande herum, sondern saß wie eine Spinne in ihrem Netz auf seinem Berge und nahm nur, was in sein Bereich kam. An dieser Handlungsweise war neben seiner natürlichen Gutmüthigkeit noch eine böse Prophezeihung Schuld, die man einem seiner Vorfahren gethan und welche Fratz von Schreckenberg als Denjenigen bezeichnete, unter welchem die Burg zerstört werden sollte, so daß kein Stein auf dem andern bleibe. Was aber den Herrn von Schreckenberg in späteren Jahren wieder auf diese Prophezeihung aufmerksam machte und ihn nicht selten sehr betrübt stimmte, war der Tod seiner sehr geliebten und guten Gemahlin. Fratz hatte sich erst, als er schon ein Mann geworden war, in den Stand der heiligen Ehe begeben, sollte aber das Glück, im Besitz eines so braven und guten Weibes zu sein, nicht lange genießen; denn nachdem ihm seine Gemahlin ein Söhnlein geboren, welches er Kuno taufen ließ, lebte sie nur noch ein Jahr, und ging darauf in den Himmel, wo sie eigentlich ihrer Frömmigkeit wegen hingehörte.
Was aber den edlen Ritter beim Tode seiner Frau so sehr an die alte Prophezeihung erinnerte, war ein Traum, den die Dame zu dreien Malen kurz vor ihrem Tode gehabt hatte. Ihr träumte nämlich, sie sehe oben vom Himmel zu, wie die Burg in hellen lichten Flammen stehe; sie hörte das Getöse der Mauerbrecher, das Schreien der Stürmenden, sie sah ihren Gemahl tapfer kämpfen und dann mit dem Schwert in der Hand fallen; doch hatte sie gleich darauf den Trost, ihn im Himmel mit sich vereint zu sehen. Nicht so erging es ihr mit ihrem Kind, dem armen Kuno; sie erblickte deutlich das Gemach, wo der Kleine sich bei dem Getöse und Lärmen in einen großen Stuhl versteckt hatte; sie sah, wie seine Wärterinnen vor Schrecken entliefen und ihn allein ließen. Sie zitterte heftig, als das Feuer und der Lärmen näher kam und fast kein Ausweg für das Kind blieb. Da sah sie plötzlich, wie der Kleine achtsam aufblickte und in eine Ecke des Gemachs lief, wo ein großer kupferner Krug stand, den sie früher nie gesehen. Das Kind faßte den Henkel desselben, und es war, als wenn der Krug plötzlich davon liefe und den Knaben hinter sich drein zöge. So sah sie ihn entschweben, die brennenden Treppen hinab, über die zertrümmerte Zugbrücke und die zerbrochenen Mauern in's Freie, wo der Knabe mit dem Krug plötzlich verschwand. Wie gesagt, dreimal träumte der armen Frau dieselbe Geschichte, genau einmal so wie das andere Mal. Sie erzählte diesen Traum ausführlich ihrem Gemahl, der gerade nicht sehr davon erbaut war. Doch faßte er sich und dachte als ein kluger Mann: Niemand kann seinem Geschicke entgehen, also auch ich nicht, wir wollen daher erwarten, was da kommt. Auf das Bitten der kranken Gräfin hatte man alle Winkel des Schlosses nach einem Kruge durchsucht, der mit dem, welchen sie im Traume gesehen, einige Aehnlichkeit habe, und hatte auch wirklich unter alten Gerümpel einen solchen gefunden. Es war ein uraltes kupfernes Gefäß, das man oft hatte liegen sehen und an das früher kein Mensch gedacht. Jetzt wurde es natürlich hervorgeholt, von Staub und Schmutz gereinigt, und da fand man denn, daß auf dem Bauche dieses Krugs sich allerlei schöne Schildereien befanden: Wappenschilder, Turniere, Schlachten und dergleichen. Der Krug wurde nun auf Befehl der Gräfin förmlich zum Spielkameraden des kleinen Kuno gemacht, der sich auch über diese neue Bekanntschaft nicht wenig freute. Es war ordentlich, als wisse das Kind, wie wichtig ihm nach dem Traume der Mutter dies Geräthe einstens werden solle; denn als man es ihm einmal gegeben, ließ es ihn nicht wieder von sich, und konnte sich Stunden lang damit unterhalten, indem es mit seinem kleinen Finger den wunderbaren Zeichnungen folgte, die sich auf dem Kruge befanden.
Es war, als ob das schwache Leben der armen Gräfin bis dahin gezögert hätte, sich von ihrem Körper zu entfernen, und als glaube sie wirklich, daß der Krug ihrem Kinde einst zu seinem Schutzgeist werden würde; genug, sie wurde seit dem Auffinden desselben von Tage zu Tage ruhiger, und schloß kurz darauf die Augen, um diese verderbte Welt zu verlassen und sich zu den bessern Freuden des Himmels zu erheben. Der Graf war natürlich über den Tod seiner Gemahlin sehr betrübt und schien sogar alle Lust verloren zu haben, seine früheren Raubzüge wieder zu beginnen. Der Knappe auf dem höchsten Thurme der Burg erspähte vergebens ganze Züge reisender Kaufleute, sein Herr, der an die böse Prophezeihung dachte, hatte keine Lust, die Rache des Himmels durch böse Thaten aufzufordern, sich seiner früher zu erinnern, als es ihr selbst gut däuchte; er that vielmehr Alles, um sich auf der Erde in dem Himmel in einen guten Geruch zu setzen, machte Stiftungen, beschenkte arme Pilger auf's Reichlichste und lebte still und eingezogen für sich. Es war ihm jetzt ein größeres Vergnügen, bei dem kleinen Kuno zu sitzen, und aus jenem kupfernen Kruge von dem besten Wein seines Kellers zu trinken, als draußen in Feld und Busch herumzureiten und zu rauben. Er konnte jetzt Stunden lang von seinen früheren Fahrten erzählen oder so lange mit dem Kinde spielen, bis der Wein eine betäubende Kraft auf ihn übte und er ruhig entschlief. Dies letztere widerfuhr ihm häufig, und wenn er dann aus jenem Gefäß getrunken, so hatte er weit angenehmere Träume, als sonst. Wohl erging es ihm dann wie seiner verstorbenen Gemahlin, und er träumte vom Untergang seines Schlosses, aber er sah dann beständig aus dem Schutt und den Trümmern eine von jenen Blumen wachsen, die man Königskerze nennt und die sich gerade und stolz über alle Gräser und Blumen erhob, die um sie wuchsen.
Jetzt war der kleine Kuno zehn Jahre alt geworden, und da der alte Herr Graf vom Schreckenberg keine Städter mehr beunruhigte, auch unter den benachbarten Rittern keine Feinde hatte, so fing er doch allmälig an, sich des Traumes seiner Gemahlin, sowie der Prophezeihung als etwas Unwahrscheinliches zu erinnern. Leider durfte er sich diesem beruhigenden Glauben nicht lange überlassen; denn plötzlich fielen benachbarte rohe Völker in das Land, und es entstand ein allgemeiner blutiger Krieg. Jetzt wußte Fratz Schreckenberg wohl, was die Stunde geschlagen hatte; er berief seine Mannen und Reisigen und wählte einige der Besten unter ihnen, mit deren Hülfe er seine Schätze vergrub. Nachdem er die Männer auf's Reichlichste beschenkt, machte er sie durch einen feierlichen Eid verbindlich, daß sie, im Falle er nicht mit dem Leben davon käme, für seinen Sohn sorgen sollten. Darauf wurde die Burg, so viel es sich thun ließ, befestigt, und der Graf erwartete ruhig sein ferneres Schicksal, das sich auch rasch und traurig erfüllte.
Alles geschah, wie es die verstorbene Gräfin im Traume gesehen. Die Burg wurde gestürmt, der Graf Fratz von Schreckenberg fiel, nachdem er wie ein Löwe gekämpft, und mit ihm die besten seiner Mannen, ja, sogar alle die, welche ihm früher den Eid in Betreff seines Sohnes geleistet hatten; denn sie zogen es vor, den ersten Eid, den sie ihrem Herrn geschworen, den der Treue, zu halten, wonach sie mit ihm standen, fielen und starben. Die Mauern des Schlosses wurden gebrochen, so daß kein Stein auf dem andern blieb, und da die Wärterinnen des armen Kuno den Grundsatz befolgten: jeder ist sich selbst der Nächste, so ließen sie das arme Kind im Stich und keine lebende Seele wußte, was aus ihm geworden war.
Wie auf diese Art all' das Schlimme geschah, was die Gräfin vorausgesehen, so erfüllte sich zum Besten des armen Kuno auch das Gute ihres Traumes und der Knabe wurde auf eine wunderbare und unerklärliche Weise gerettet. Als der Lärm um das Schloß losbrach, hatte er anfänglich dem Schallen der Hörner und dem Ruf der Stürmenden ohne Furcht zugehört. Aber diese kindische Freude dauerte nur so lange, bis die Fenster des Gemachs, in welchem er sich befand, von den Flammen des brennenden Schlosses geröthet wurden und bis das Geschrei der Kämpfenden, vermischt mit dem Geheul der Verwundeten, in den Gängen des Schlosses und auf den Treppen hörbar wurde, denn jetzt hatte ihn eine namenlose Angst erfaßt; er versuchte die Thür zu öffnen, welche seine treulosen Wärterinnen hinter sich in's Schloß geworfen. Als dies aber seinen schwachen Kräften nicht gelang, so eilte er zu seinem alten Spielkameraden, dem kupfernen Kruge, der in der Ecke stand, und faßte den Henkel desselben, wobei er kläglich nach seinem Vater schrie.
Die Ideenverbindung des Krugs mit seinem Vater war sehr natürlich, denn er hatte den alten Herrn in der letzten Zeit fast nur mit diesem Geräth in der Hand neben sich sitzen sehen; aber Fratz von Schreckenberg hörte nicht mehr den Ruf seines Kindes, es war just in demselben Augenblicke, wo ihn die Hellebarde eines Feindes über den Kopf traf, so daß er lautlos dahin stürzte. Das Kind, nachdem es einige Mal vergeblich nach dem Vater und seinen Wärterinnen geschrien, fühlte sich plötzlich auf eine Art fortgezogen, als sei der Krug ein lebendes Wesen geworden, das ihn mit fort nähme. Die Thür sprang auf und Kuno ging hindurch, die brennende Treppe hinab, ohne von den Flammen versehrt zu werden, und durch die stürzenden Mauern, ohne daß ihn ein Stein getroffen hätte; alsdann ging er im eiligen Laufe vorwärts durch die Höfe, dem großen Thore zu, und Kuno hatte bald das Freie erreicht; plötzlich vernahm er neben sich aus einem brennenden Seitengebäude das Geschrei eines Knaben, der in den guten, glücklichen Tagen häufig, mit ihm gespielt hatte: dieser hieß Wolf und war der Sohn des Pförtners.
Kuno hatte nicht sobald die Stimme seines alten Spielkameraden gehört, als er ihm antwortete: »hier, hier!« und ihm zurief: »eile dich, lieber Wolf, und komme her, sonst müssen wir Beide verbrennen!« Dieser säumte nicht, aus seinem Versteck, einem großen, steinernen Wassertrog, hervorzuspringen und kam eilig herbeigelaufen. Er hatte kaum das Gewand Kuno's erfaßt, als die unsichtbare Macht, welche diesen die brennenden Treppen im Fluge herabgetragen, wieder anfing zu wirken und mit den beiden Knaben in der größten Schnelligkeit davon eilte. Sie kamen den Berg hinab und wußten nicht wie; sie liefen eine lange Strecke über das Feld, ohne zu ermüden, und wenn sie sich zuweilen im Laufe umwandten, um nach der Gegend zu sehen, wo sie hergekommen, so erblickten sie das väterliche Schloß Kuno's in vollen Flammen, – ein Anblick, über den sie Beide in Thränen ausbrachen, ohne aber in ihrem raschen Laufe deßwegen einzuhalten. Darauf erstiegen sie andere Berge und die brennende Heimath hinter ihnen fing schon an undeutlich zu werden; bald sahen sie nichts mehr davon, als einen rothen Widerschein am Himmel, denn der Abend war bereits hereingebrochen.
Jetzt fühlten die beiden Knaben auch plötzlich, daß sie äußerst ermüdet seien, und sahen sich deßhalb nach einem Orte um, wo sie die Nacht verbringen könnten. Aber da war weit und breit nichts zu sehen, als Haide und Wald, und Berg und Thal; kein Haus, ja nicht einmal eine ärmliche Scheune, wo sie hätten hinein kriechen können, um die Nacht nicht unter freiem Himmel bleiben zu müssen. Sie setzten sich in's grüne Moos unter einen Baum, und nachdem sie sich gegenseitig recht kläglich angesehen und etwas dabei geseufzt hatten, brachen sie auf einmal in Thränen aus und fühlten jetzt zum ersten Mal, was sie Alles verloren. »Ach,« jammerte Kuno, »wo mag mein Papa jetzt sein? sie haben ihn gewiß todt geschlagen und er lebt nicht mehr.« – »Ja,« fuhr Wolf fort, »und der meinige, und meine Mutter, und das kleine Schwesterlein!« – »Alle, alle,« fiel Kuno seinem Gefährten in die Rede, »ja, alle sind todt, mausetodt!«
Bei diesem letzten Worte brachen sie auf's Neue in heftigere Thränen aus und schluchzten eine Weile so fort. Da sich aber Niemand in der Nähe befand, der sie bedauert und gebeten hätte, nicht mehr zu weinen, so hörten sie bald auf, und Wolf, der zwei Jahre älter war als Kuno, versuchte es zuerst, seinem Gefährten andere Gedanken einzuflößen. »Ja, lieber Kuno,« sagte er, »wir sind einmal so unglücklich und haben Alles verloren. Was ist da nun zu machen? Da kein Haus in der Nähe ist, das uns aufnehmen könnte, so müssen wir unter freiem Himmel schlafen und werden wahrscheinlich davon nicht sterben. Erinnerst du dich noch, wie dein Vater uns einmal erzählte, daß er als ein kleiner Bube mitreiten mußte auf die Jagd, und daß sie sich dann alle verirrten, und er so gut wie der älteste Knappe im Moos geschlafen hat, und es hat ihm nichts gethan. Daher wollen wir den Versuch machen, uns fest zusammen legen und sehen, ob wir nicht auch unter freiem Himmel schlafen können.«
Kuno fühlte sich durch die Worte seines Unglücksgefährten in der That etwas gestärkt, und da er ebenso gut, wie Wolf, ein herzhafter Bursche war, so sagte er Ja und sie suchten sich eine passende Stelle zum Schlafen aus. Den kupfernen Krug, dem die Beiden, ohne es zu wissen, ihre Rettung verdankten, hatte Kuno bis jetzt mit der einen Hand fest gehalten, denn dies Gefäß, sein einziges Erbstück, brachte ihm eine so lebhafte Erinnerung an sein verbranntes väterliches Haus, an Vater und Mutter, daß er sich durch die Nähe desselben ordentlich getröstet fühlte.
Nachdem die beiden Knaben sich eine Zeit lang an dem Orte, wo sie sich befanden, umgesehen, entdeckten sie eine hohle Eiche, die inwendig mit dem schönsten Moos bedeckt war. Wolf ließ seinen Gefährten zuerst hineinkriechen, damit dieser und der Krug den sichersten und besten Platz hätten, er selbst aber legte sich vorne an den Eingang, um im Fall einer Gefahr seinen kleinen Freund beschützen zu können.
Beide entschliefen auch bald, und da sie sehr ermüdet waren, erwachten sie nicht eher, bis die Sonne über den fernen Bergen heraufstieg und einen ihrer rothen, zitternden Strahlen in den Baum sandte. Sie sprangen auf, krochen aus ihrer Lagerstatt hervor und hielten einen Rath, was nun zu thun sei, Kuno meinte, ob es nicht am räthlichsten wäre, den Weg nach der verbrannten Burg zurück zu suchen, um nachzusehen, ob nicht vielleicht noch einer von des Vaters Freunden am Leben sei, der ihnen alsdann helfen könne; doch Wolf verwarf diesen Vorschlag, indem er seinem kleinen Freunde erklärte, daß die Feinde dort überall herumschwärmen würden, um nach Beute zu suchen, und daß diese sie unfehlbar umbringen würden, sobald sie sich blicken ließen. Das Letztere leuchtete denn dem armen Kuno auch ein, und Beide beschlossen, auf gut Glück in's Land hinaus zu wandern, um zu sehen, auf welche Art sie sich durchhelfen könnten. Sie pflückten einige Beeren, die herum standen, zum Frühstück, und gingen dann zu einem kleinen Bache, der sich auch nicht weit von dem Baume befand. Hier schöpften sie mit dem Krug einen Trunk klaren Wassers und nachdem sie Beide daraus getrunken hatten, verwunderten sie sich nicht wenig, als sie fühlten, daß sie trotz dem Wenigen, was sie gegessen, ganz gesättigt waren.
Nun brachen sie mit frischen Kräften auf, und nachdem sie sich umgesehen und nachgedacht, nach welcher Gegend zu ungefähr ihre Heimath liegen würde, wandten sie derselben den Rücken und gingen auf der entgegengesetzten Richtung buchstäblich ihrer Nase nach, ohne ein bestimmtes Ziel. Das Einzige, was sie allenfalls leitete, war der bessere oder schlechtere Boden, über den sie gingen. Bald machten sie einen großen Umweg, um nicht mitten durch einen Sumpf waten zu müssen; bald gingen sie lange am Rande eines Waldes dahin, welcher von breiten Wassergräben umzogen war, und so nahmen den ganzen Tag die Mühseligkeiten kein Ende. Schon sank die Sonne und noch immer hatten sie keine Aussicht, die Nacht besser zuzubringen als die vorige. Auch hatte die Gegend rings umher nicht das Ansehen, als sei sie von menschlichen Wesen bewohnt; denn man erblickte keine Fruchtfelder oder Obstbäume, sondern nichts als traurige Haide, durch welche sich hie und da kümmerlich ein halb ausgetrocknetes Bächlein wand; was man dann und wann von Waldungen erblickte, waren schwarze, düstere Tannen, die ihre Zweige traurig zum Boden hängen ließen und laut seufzten und klagten, wenn der frische Wind über sie hinstrich. Es wurde jetzt dunkler und immer dunkler und die beiden Knaben setzten sich ganz ermüdet an eines jener Bächlein hin, und da sie auf ihrem heutigen Marsche keine Beeren gefunden hatten, um ihren Hunger zu stillen, so schöpften sie mit ihrem Kruge aus der Quelle etwas Wasser. Doch wie erstaunten sie, als sie einen Schluck gethan und dieselbe Entdeckung machten, worüber sie am Morgen aber nicht viel nachgedacht, nämlich die, daß sie von dem wenigen Wasser, was sie getrunken so gesättigt waren, als hätten sie die beste Speise genossen. Sie schliefen nun getröstet wieder ein, wachten am andern Morgen gestärkt und erquickt auf und setzten ihren Marsch fort. Es war nun der dritte Tag, daß sie ihre Heimath verlassen hatten, und leider wußten sie noch nicht, was sie für die Zukunft beginnen sollten. Sie gingen über die Haiden dahin, durch die Tannenwälder, hinter denen wieder neue Haiden kamen und so fort, bis Nachmittags; eben als die Sonne wieder anfing abwärts zu steigen, erblickten sie vor sich in der Ferne ein Gebirge, das mit anderem frischem Grün und nicht mit Tannen bewachsen war und wo sie endlich hofften, Menschen zu finden, die ihnen helfen würden. Sie stärkten sich wieder mit einem Trunk frischen Wassers und wanderten so rüstig voran, daß sie mit sinkender Nacht die Berge erreicht hatten, die vor ihnen lagen. Ihre Hoffnung, dort endlich Menschen und Häuser zu finden, die ihnen eine andere Lagerstatt als die bisherige gewähren würden, ließ sie nicht am Fuß des Gebirges unter freiem Himmel ihr Nachtlager aufschlagen, sondern sie begannen rüstig aufwärts zu steigen, um sich droben nach einer Stadt oder einem Hause umsehen zu können. Hinter ihnen stieg der Vollmond auf und beleuchtete ihren Weg auf's Beste, – ein Umstand, der den beiden Knaben heute Abend besonders gut zu Statten kam; denn je höher sie stiegen, je schlechter wurde ihr Weg. Bald standen ihnen große Felsenzacken drohend entgegen, zwischen denen sie erst nach langem Suchen einen Weg fanden; dann waren wieder die Aeste der Bäume und Gesträuche so dicht in einander verwachsen, daß sie nicht hindurch konnten, sondern darüber hinwegklettern mußten. Nach tausend solchen Schwierigkeiten erreichten sie endlich die Höhe des Gebirges und warfen sich ermüdet unter einer Eiche nieder, um eine Weile auszuruhen. Vor ihnen senkte sich der Wald wieder hinab und es schien ihnen, als umschließe der Gebirgszug, auf dem sie sich befanden, in einem großen Bogen ein stilles Thal; und so war es auch. Nachdem sie eine Zeit lang ausgeruht, kletterte Wolf auf die Eiche, unter welcher sie sich befanden, und spähte nach besten Kräften umher. Allein so sehr er sich bemühte, ein Haus oder dergleichen zu entdecken, so sah er doch nichts, als die Spitzen der Bäume; wohl erblickte er hie und da aus dem Grün des Waldes etwas hervorblitzen; als er aber schärfer hinsah, gewahrte er, daß es ein großer runder See sei, auf den die Strahlen des Mondes fielen. Kuno, der sich mit dem trostlosen Bescheid nicht begnügen wollte, stieg ebenfalls auf den Baum, nahm aber seinen Krug mit, denn er hatte ihn zu lieb, um ihn nur einen Augenblick von sich zu lassen. Als er auf der Spitze des Baumes angelangt war, ließen die beiden Knaben gemeinschaftlich ihre Blicke umhergehen, und obgleich Wolf wiederholt versicherte, es sei nichts zu sehen, so rief doch Kuno plötzlich aus: er erblicke da unten ein kleines Häuschen, und zeigte mit dem Finger darauf hin. So sehr sich auch Wolf die Augen wischte und so lange hinschaute, bis ihm die Bäume rund herum zu tanzen schienen, so gewahrte er doch nichts, bis er ganz zufällig seine Hand auf den kupfernen Krug legte und dann ebenfalls das Häuschen erblickte, von dem Kuno gesprochen. Er konnte sich nicht genug darüber verwundern, daß er eine Sache, die doch jetzt so deutlich vor ihm lag, früher nicht bemerkt. Nachdem er jetzt die Vorsicht gebraucht hatte und seine Mütze nach der Gegend zu, wo das Häuschen lag, vom Baume herabgeworfen, stiegen Beide vergnügt herab und machten sich eiligst auf den Weg dahin. Sie gingen leichter in das Thal hinab, als sie vorhin den Berg aufwärts gestiegen waren, doch mußten sie noch ein paar gute Stunden laufen, ehe sie das kleine Haus erreicht, das ihnen von dem Baume droben so nahe zu liegen schien.
Jetzt traten sie aus dem Wald auf einen freien, mit Rasen bedeckten Platz, in dessen Mitte ein kleines Gärtchen lag und in demselben das Häuschen. Das Gärtchen war mit einem Zaun eingefaßt, der aus lauter schneeweißen und rosenrothen Korallen bestand, deren Spitzen sich in silbernen Schlangenköpfen endigten. Um diesen wunderbaren Zaun gingen sie mehrere Male herum und suchten lange vergeblich nach einem Pförtchen, das ihnen den Einlaß gewährte. Sie waren schon im Begriff, hinüber zu klettern, als Kuno, der den kupfernen Krug in seinem Arme trug, mit demselben beim Vorbeigehen die Korallen berührte, und nun sprang plötzlich ein Thürchen auf und ließ sie eintreten. Hinter ihnen schlug es wieder zu, und obgleich sie jetzt die Stelle wußten, wo es sich befand, so waren doch die Korallen so wunderbar in einander gefügt, daß sie vergeblich die Oeffnung, zu der sie hereingetreten waren, zu entdecken suchten. Hatten sie sich hierüber schon genug verwundert, so brachte sie der Anblick des Gärtchens selbst, das sie in dem klaren Mondschein so ziemlich übersehen konnten, vor Erstaunen fast außer sich. Die Wege, welche sich zwischen den Blumenbeeten hinschlängelten, glänzten, als beständen sie aus Silber, das man zu Staub zerstoßen. Ach, und doch war dieser Glanz noch Alles nichts gegen die Blumen selbst, die auf den Beeten wuchsen. Es war nicht anders, als schüttle man Diamanten, Rubinen, Smaragden, Perlen, Gold und Silber immerfort durch einander, so glänzte und flimmerte es vor den Augen der erstaunten Knaben. Vor lauter Glanz und Pracht war es ihnen nicht möglich, eins dieser wunderbaren Gewächse näher zu besehen. Auch ermahnte Wolf seinen Gefährten, sich nicht zu lange in dem fremden Garten aufzuhalten, sondern auf das Häuschen zuzugehen, damit der Eigenthümer desselben nicht böse würde, wenn sie so lange in seinem Besitzthum herumgafften, ohne ihn erst um Erlaubniß zu fragen.
So demüthtig und still wie möglich näherten sie sich deßhalb dem kleinen Hause, das vor ihnen lag. Es war nicht minder schön und prächtig als der Garten. Seine vier Mauern bestanden aus glattem weißem Marmor und die Fenster, die sich in denselben befanden, schienen ungeheure Brillanten zu sein, die in Gold gefaßt und eingesetzt waren. Das Dach bestand aus rothen Korallen, deren Zacken alle in die Höhe wuchsen, und da sich hier, wie an dem Zaune, auf jeder dieser Spitzen ein silberner Schlangenkopf befand, so sah es aus, als ringelten sich dort oben Tausende von rothen Schlangen zusammen. Jetzt standen die beiden Knaben vor der goldenen Thür und Wolf klopfte bescheiden an, um sich dem Eigenthümer bemerkbar zu machen. Er klopfte einmal, zweimal, ja dreimal, aber es kam Niemand, der ihm die Thür geöffnet hätte. Da sie nun glaubten, da drinnen sei Alles im festen Schlafe, so pochten sie stärker, und als auch dies nichts half, erhoben die beiden Knaben ihre Stimme und baten so flehend wie möglich, man möchte ihnen doch aufmachen, sie seien ein paar arme Kinder, die sich verirrt hätten und nicht wüßten, wo sie die Nacht zubringen sollten. Alles vergebens. Niemand erschien und es wurde auch innen nicht das kleinste Geräusch vernehmbar. Kuno, der sehr ermüdet war, setzte sich vor der Thür auf die Erde und als er den kupfernen Krug neben sich stellte, berührte dieser von ungefähr die Thür, welche nun plötzlich aufsprang.
Wolf, der hierüber sehr erstaunt war, trat einen Schritt zurück und wagte nicht hinein zu treten. Endlich aber faßten Beide Muth, und nachdem sie noch einmal nach dem Eigenthümer gerufen, der sich aber weder sehen noch hören ließ, traten sie in das Häuschen und kamen in ein kleines Zimmer, wo Alles mit der gleichen Pracht ausgestattet war. Was sie am meisten verwunderte und zugleich erfreute, war der Anblick zweier Betten, die hier standen. Schüchtern und ängstlich traten sie zu einem derselben, um nachzusehen, ob nicht vielleicht Jemand darin liege. Aber wenn sie die seidenen Decken und Kissen auch noch so genau untersuchten und sogar unter die Betten sahen, sie fanden Niemand, worauf sie sich nach einer kurzen Berathschlagung, in ihrer großen Ermüdung überreden ließen, selbst in diesen beiden Betten Platz zu nehmen. Sie zogen sich also aus, krochen unter die seidenen Decken, sprachen ihr Abendgebet und fielen bald in einen festen Schlaf.
Wie es oft den Kindern zu gehen pflegt, daß sie an fremden Orten, auch wenn ihr Lager noch so weich und ihr Zimmer noch so schön ist, früher erwachen als daheim, so geschah es auch den beiden Knaben. Es war aber heute Morgen wohl noch eine Nebenursache, die ihnen den Schlaf früher aus ihren Augen trieb. Sobald nämlich die ersten Strahlen des Tages über die Berge brachen, so begannen die Fenster zu blitzen und zu leuchten und schoßen so tausendfache rothe, gelbe, weiße, grüne Strahlen, daß ein Todter davon hätte erwachen müssen. Kuno rieb sich zuerst die Augen und blickte mit dem lauten Ausruf der Verwunderung um sich. Ihm hatte geträumt, sie seien wieder wie früher unter einer Eiche eingeschlafen und erwachten jetzt daselbst, durch die Feuchtigkeit des Mooses und die scharfe Morgenluft durchschauert und durchkältet. Desto angenehmer aber war es dem Knaben, als er jetzt beim Erwachen fühlte, daß er in einem Bette lag, so fein und weich, wie er es kaum zu Hause gehabt. Wolf, der in seinem Leben nie so geschlafen hatte, dehnte und wandte sich behaglich unter der seidenen Decke, und konnte sich kaum dazu entschließen, das Bett zu verlassen. Die Neugierde, welche in den Knaben wieder rege wurde, als sie um sich blickten und alle diese merkwürdigen, prächtigen Gegenstände sahen, ließ sie nicht länger ruhen. Sie sprangen auf, schlüpften in ihre Kleider und begannen das Gemach, in welchem sie geruht, auf das Genaueste anzusehen. Ach, da war Alles von einer so seltsamen und sonderbaren Pracht. Gestern Abend im Dunkeln hatten sie nicht Alles ansehen können und waren jetzt desto mehr überrascht, als sie alle Geräthe genau betrachteten.
Die Gestelle der Betten, in welchen sie geschlafen, kamen ihnen besonders merkwürdig vor. Sie waren ebenfalls von Gold und die Füße bestanden aus schönen geringelten Schlangen, die mit ihren Köpfen das Gestell trugen. Nachdem die Beiden sich in dem Gemach satt gesehen, traten sie in das Gärtchen hinaus, und wenn sie schon gestern Abend über die Pracht erstaunt waren, mit der hier die Blumen blühten, so war heute Morgen beim hellen Sonnenlichte ihre Verwunderung noch viel größer. Ach, das Alles, was sie hier sahen, war so schön, daß Beide zugleich ausriefen, hier möchten sie ihr Leben verbringen. Die umliegende Thalwand war mit dem saftigsten und schönsten Grün bewachsen, an welchem Tausende von Thautropfen hingen, die in der Sonne wie Brillanten funkelten. Ein kleiner Bach, der von der Höhe des Berges mit lautem Plätschern herabstürzte, sammelte sich unten im Thale in ein weißes Marmorbecken und floß aus diesem ganz ruhig bei dem schönen Gärtchen vorbei.
Nachdem sich die Knaben mit einem Trunk Wasser erquickt, beschlossen sie, in dem Thale umher zu schweifen, ob sie nicht vielleicht eine Spur von dem Eigenthümer des Häuschens fänden. Sie wollten ihn aufsuchen und ihn bitten, er möge sie da lassen, wofür sie dann versprechen wollten, nach ihren Kräften das Gärtchen in Ordnung zu halten und ihm überhaupt nützlich zu sein, wo sie könnten. Mit diesem Vorsatz nahm Kuno den Krug an den Arm und Beide verließen den Garten. Sie folgten dem Laufe jenes Baches, welcher eine Zeitlang durch frische grüne Wiesen lief und sich dann dem Walde zuwandte, den die beiden Knaben jetzt vor sich sahen und aus dem der größte Theil des Thales zu bestehen schien. Auf die gut durchschlafene Nacht waren die Beiden so vergnügt, daß sie ihre Stimmen erhoben und laut sangen und schrien. Nebenbei hatten sie den Zweck, ihren Hausherrn, der sich vielleicht in dem Walde befand, auf sie aufmerksam zu machen. Es wollte ihnen bei diesem Singen anfänglich sonderbar bedünken, daß in den dichtbelaubten Zweigen der hohen Bäume, unter denen sie wandelten, keine Vögel zu hören waren, die ihnen mit muntern Weisen antworteten. Sie horchten bald hierhin, bald dahin, aber da war Alles todt und still, und nur das Echo antwortete ihrem Rufe. Sie gingen weiter und weiter, und endlich schien ihnen der Wald etwas lichter zu werden. Auch glaubte Wolf, in der Ferne den Spiegel des See's durchblicken zu sehen, den sie gestern Abend von dem Berge oben entdeckt. Sie eilten nach jener Richtung hin und sahen bald, daß sie sich nicht getäuscht, denn wie sie aus dem Walde heraustraten, befanden sie sich am Rande eines großen See's, dessen Wasser eine schwarze Farbe hatte und recht unheimlich aussah. Da bewegten sich keine Wellen, und obgleich es hoch im Sommer war, so sah der Teich aus, als ob er gefroren wäre. Ja, wenn der Wind von den benachbarten Bäumen ein Blatt herunterjagte, so schwamm es nicht lustig auf dem Wasser dahin, sondern, als fürchte es sich vor demselben, hüpfte es auf dem Spiegel des See's bis an die andere Seite und blieb dort erst, auf dem Lande, liegen.
Die beiden Knaben setzten sich am Ufer des See's auf einen bemoosten Stein und wußten nicht, was sie davon zu halten hatten. Wolf, der zu Hause bei den Gelagen der Knappen viele glaubwürdige und wahrhafte Erzählungen von bezauberten Ländern, von Wassernixen und Elfen mit angehört hatte, kam zuerst auf den Gedanken, daß sie sich am Ende in einem solchen Zauberthale befänden, eine Vermuthung, die den Beiden gar nicht angenehm war. Sie fingen sich an zu fürchten, und so freundlich und schön ihnen früher ihre ganze Umgebung erschienen war, so betrachteten sie jetzt dieselbe mit Mißtrauen und furchtsamen Blicken. Die Stille, die sie rings umgab, das schwarze Wasser, an dem sie saßen, ja sogar das schöne Häuschen, in dem sie geschlafen, das Alles erschien ihnen jetzt fürchterlich, denn Wolf erinnerte sich einer Geschichte, in welcher der Oger oder Menschenfresser solche Sachen hinzauberte, und damit arme Kinder anlockte, um sie nachher als Mahlzeit zu verspeisen.
Unter solchen Gedanken saßen die beiden Knaben traurig da und schauten vor sich in das Wasser, das, obgleich es ganz schwarz erschien, doch ziemlich durchsichtig war. Sie beugten sich über den Stein und schauten lange aufmerksam hinab, und Kuno, der seinen Krug fest im Arme hielt, war der Erste, der auf dem Grund des See's etwas zu entdecken glaubte. Es kam ihm vor, als sähe er dort Mauern, Dächer, ja, nach und nach ein ganzes stattliches Schloß, weit schöner und größer, als das seines Vaters gewesen war. Auch Wolf sah hin und glaubte das Nämliche zu erblicken. Da Beide scharfe, gesunde Augen hatten und ihre Neugierde durch ihre erste Vermuthung sehr gestachelt war, so nahmen sie alle ihre Aufmerksamkeit zusammen und fanden, daß sie sich nicht getäuscht hatten. Auf dem Grund des See's lag wirklich ein großes, schönes Schloß mit hohen Thürmen und Mauern, und sie sahen es jetzt in unbestimmten Umrissen, etwa wie man einen Gegenstand durch dichten Nebel erblickt. Diese Entdeckung war aber nicht dazu geeignet, ihre Furcht zu zerstreuen, vielmehr wurde es ihnen jetzt erst recht klar, daß sie sich in einem verzauberten Thale befanden, daß dort unten der böse Zauberer wohne und daß das Häuschen, in dem sie geschlafen, der Ort sei, wo sie der Zauberer ergreifen und verspeisen würde.
Wenn auch diese Gedanken nicht geeignet waren, sie dorthin zurück zu bringen, so erging es ihnen doch, wie oft den Menschen, die, anstatt eine Sache, welche ihnen schrecklich vorkommt, zu fliehen, mit einer schaudernden Neugierde sich derselben immer wieder nähern müssen. Die Beiden standen auf und wanderten längs dem Bache zurück, bis sie das Häuschen wieder vor sich liegen sahen, in welchem sie gestern geschlafen. So unruhig sie hier auch umher spähten, so sehr sie auch fürchteten, hinter irgend einem Busche eine Schreckensgestalt auftauchen zu sehen, so fand sich doch von allem dem nichts. Das Häuschen, stand so ruhig da wie vorhin und auch im Innern desselben hatte sich nichts verändert. Sie traten hinein und suchten noch einmal alle Winkel durch, um vielleicht ein anderes Gemach zu finden. Auf die Vermuthung, daß sich in dem Häuschen mehr als ein Gemach befinden müsse, waren sie durch die Größe desselben von außen gekommen, welche mit dem kleinen Zimmer nicht im Verhältniß stand. Allein so sehr sie sich auch abmühten, in der schönen glatten Wand die Fugen einer Thür zu finden, so war ihnen das doch unmöglich und sie entdeckten nichts. Nachdem sie sich nun in dem Gärtchen noch etwas zu thun gemacht hatten, kleine Steine von den Beeten abgelesen und einige von den schönen Blumen, die der Wind von ihren Stöcken losgerissen, wieder festgebunden hatten, war es Abend geworden, und die beiden Knaben begaben sich wie gestern zur Ruhe, aber weit bekümmerteren Herzens, indem sie fürchteten, in der Nacht würde der Zauberer erscheinen, um ihrem Leben ein Ende zu machen; allein es geschah nichts, was diese Besorgniß hätte rechtfertigen können. Sie schliefen die lange liebe Nacht hindurch ruhig in den seidenen Betten und wurden erst am andern Morgen von den funkelnden Sonnenstrahlen erweckt, welche durch die hell glänzenden Fenster hereinflimmerten.
Munter standen die Knaben wieder auf und ihre Furcht, daß sie einem bösen Zauberer in die Hände gefallen seien, schien sich etwas zu verlieren. In Ermangelung anderer Nahrungsmittel sprachen sie ihrem Kruge fleißig zu, welcher sie auch nicht im Stiche ließ, sondern sie auf das Wunderbarste erquickte und sättigte. Dann nahmen sie sich bei der Hand, um wieder im Thale umherzuschweifen. Diesmal wandten sie ihre Schritte nicht nach dem schwarzen See, sondern versuchten an der Thalwand empor zu steigen, um sich droben auf der Höhe umzusehen. Anfänglich fanden sie hier einen Weg, der empor zu führen schien; doch als sie ihm einige hundert Schritte gefolgt, wandte er sich wieder abwärts; ebenso ging es mit einem zweiten und dritten Weg, den sie fanden, und wenn die beiden Knaben nun endlich versuchten, ohne Pfad und mitten zwischen den Bäumen empor zu klettern, so kamen sie doch nicht hinauf, sondern bald konnten sie über zusammen gestürzte riesenhafte Bäume nicht weg, bald versperrte ihnen eine ungeheure Felsenwand den Weg. So mühten sie sich mehrere Stunden vergebens ab und kehrten endlich wieder um, nachdem sie beschlossen, da es ihnen nicht gelungen sei, sich droben umzusehen, so wollten sie einen Weg um den See herum suchen, um sich auch die andere Seite desselben genau zu betrachten.
So viel sie von dem Ufer aus, an welchem sie gesessen, sehen konnten, zog sich der See noch weit in das Thal hinein, allein jetzt versperrte ihnen dichtes Gebüsch, zwischen welchem sie nur hie und da das Wasser durchschimmern sahen, die fernere Aussicht. Sie wandten sich zur linken Seite des See's, um den Versuch zu machen, an seinem Ufer dahin zu gehen; doch gelang ihnen auch dies Vorhaben nicht, indem dieser Weg mit unendlichen Schwierigkeiten verbunden war. Hier trat der See bis an die glatte Thalwand und ließ nicht einmal einen handbreiten Weg, dort hingen breite Felsmassen über das Wasser hinüber und die Beiden sahen bald ein, daß sie auf dieser Seite ihre Entdeckungen einstellen mußten. Da es bereits wieder zu dunkeln anfing, so nahmen sie sich vor, morgen die Ufer des Sees auf der andern Seite zu untersuchen, und kehrten darauf zu ihrem Häuschen zurück, um die dritte Nacht in demselben zu schlafen.
Der Abend war so schön und die beiden Knaben, durch ihre mißlungenen Entdeckungsreisen aufgeregt, konnten sich bei ihrer Nachhausekunft unmöglich gleich zu Bette begeben. Die Sonne sank hinter die Berge und bald stieg an der andern Seite der Mond empor, und lauschte und spähte zwischen den dunklen Tannen hinab in's Thal, als wollte er sehen, wo die glänzende Sonne geblieben sei, seine ungetreue Geliebte, die er rastlos verfolgt. Das arme blasse Gesicht des Mondes war von der ruhelosen Jagd ganz roth angelaufen und diese Röthe verschwand erst, als er sich über den Bergen empor gehoben hatte und einsah, daß er die Sonne nicht erreichen könne und all' seine Mühe vergeblich sei.
Die beiden Knaben legten sich hinter das Häuschen auf den Rasen und dachten an ihre Heimath und an ihre lieben Eltern und Freunde, die sie für immer verloren hatten. Sie erzählten einander von ihren letzten Tagen, die sie in der Burg verlebt, mit all' den kleinen Einzelheiten, die einer so gut wie der andere wußte, und unterhielten sich doch dabei. Sie beschrieben einander das Getümmel der Stürmenden und Kuno machte seinem Kameraden den großen Schrecken anschaulich, als er den ersten Schein des Feuers an den Fenstern gesehen habe. So lagen sie da und sprachen und sahen abwechselnd auf das Thal, das, durch die starken, dicht belaubten Bäume gegen die Strahlen des Monds geschützt, dunkel vor ihnen lag, oder in den Mond selbst, der an dem dunkeln Nachthimmel ruhig empor stieg. Plötzlich war es ihnen, als vernähmen sie von dem Ufer des See's her ein leises Klingen und Tönen, so ungefähr, als wenn man mit dem Finger auf dem Rande des Glases hin und her schleift, oder als wenn seine silberne Glöckchen ertönen. Da sie früher keinen Laut in dem Thal gehört hatten, so lauschten sie dieser seltsamen Musik mit der gespanntesten Aufmerksamkeit. Sie schien näher und näher zu kommen und die Töne wurden immer lauter und deutlicher. Aber so sehr die Beiden sich auch anstrengten, etwas zu sehen, das diese Musik veranlassen könnte, so bemerkten sie doch anfänglich nichts. Jetzt aber auf einmal winkte Kuno seinem Gefährten, stille zu sein und wies vor sich in's Thal, wo sich unter den Bäumen, die vor dem See standen, etwas seltsam Glänzendes zeigte. Es war, als lägen dort in dem Grase zwei feurig glänzende Faden, die sich langsam näher bewegten. Wolf erblickte jetzt dasselbe und erschrak nicht wenig; denn da er ein schärferes Auge als sein Freund hatte, so erkannte er bald ein paar kleine Schlangen, die aber außergewöhnlich glänzten und strahlten. Wie sie sich so in dem Grase dahin bewegten, so erklang die Musik, die sie vorhin gehört, und es war, als ob sie von dem Anstreifen der Schlangenkörper an das Gras herkäme. Jetzt kamen die beiden sonderbaren Wesen ganz aus dem Walde hervor und die Knaben konnten sie deutlicher betrachten. Es waren wirklich ein paar Schlangen, die aber gar nicht so schrecklich anzusehen waren, wie gewöhnlich dergleichen Thiere. Sie bewegten sich so zierlich und anmuthig auf dem Rasen dahin, hoben jetzt ihre Köpfe leicht in die Höhe, als ob sie um sich schauen wollten, und senkten sie dann wieder nieder, um unter das Gras zu schlüpfen, wobei es schien, als gefalle ihnen die Musik, die sie hervorbrächten, denn wenn auch kein besonderer Takt in derselben herrschte, so stimmte sie doch mit den Wendungen und Drehungen der Schlangen genau überein.
So sehr sich die Knaben zuerst gefürchtet hatten, so ergötzten sie doch bald die beiden glänzenden Thiere und sie sahen mit Vergnügen zu, wie sie sich, in dem dunklen Grase daher bewegten. Jetzt waren sie nicht weit mehr von dem Garten entfernt, der das kleine Haus umgab, und wandten sich gegen dasselbe hin. Sie berührten das Korallengeländer, gingen durch das Pförtchen, das sich in demselben öffnete, und verschwanden dann in dem Hause. Das hatten allerdings die Knaben nicht erwartet und sie sahen sich betroffen an, indem es ihnen gar nicht recht war, daß die kalten Schlangen das schöne kleine Haus in Besitz nahmen. Wolf kam indessen zuerst auf den Gedanken, daß die Thiere vielleicht mehr Recht an dem Hause hätten, als sie, und erinnerte sich einer Erzählung, wo Schwäne in der Mitte eines Teichs ein Häuschen gehabt, das mit Betten und allem möglichen Hausrath auf's Beste eingerichtet gewesen sei und wo sie die Nächte zugebracht hätten.
Diesem Gedanken nachhängend, wurde in den Knaben eine so gewaltige Neugierde rege, daß sie, trotz der Angst vor einem bösen Zauber, der sie bedrohen könne, von ihrem Platze aufstanden und in möglichster Stille auf den Zehen nach dem Häuschen hinschlichen, um zu sehen, was die beiden Schlangen dort wohl thun möchten. Das Korallenthor öffnete sich vor ihnen erst, als Kuno nach manchem vergeblichen Versuch zufällig mit dem kupfernen Kruge daran stieß. Sie schlichen durch das Gärtchen und stellten sich an eins der Fenster, um in das Häuschen zu sehen. Da erblickten sie denn die beiden Schlangen, wie sie mit ihren Köpfen an einer der Marmorwände hinaufreichten und sich dort plötzlich eine Thür öffnete, die in ein anderes, noch viel prächtigeres Gemach, als das erste, führte. Dort bestanden die Wände aus purem Gold, und wenn auch keine Fenster da waren, die von außen Licht hereingelassen hätten, so hing dafür von der Decke herab ein faustdicker Rubin, der das kleine Gemach mit einem dunkelrothen, sehr hellen Lichtschimmer erfüllte, wodurch sie denn auch unterscheiden konnten, daß das Zimmer mit allerhand schönen Gerätschaften angefüllt war. Da waren kleine Tische, Sessel, Waschnäpfe und Becher, und Alles das war aus Metall getrieben und mit vielen sinnreichen Figuren verziert. Wolf kam von ungefähr auf den Gedanken, daß der Krug, den Kuno an dem Arme trüge, ganz genau zu den andern Sachen in dem Zimmer passen würde; denn da stand auf einem Tisch ein ähnliches Gefäß, nur nicht so groß und schön wie dieser Krug.
Die Schlangen ringelten sich an einem der Tische empor und schlüpften dort in eines der Waschbecken, das mit einer rosenrothen Flüssigkeit angefüllt war, worin sie sich eine Zeitlang badeten. Dann verließen sie das Becken wieder und glitten zur Erde hinab. Dort richteten sie sich an einander empor, die Schlangenhaut fiel von ihren Körpern herunter und sie verwandelten sich plötzlich in ein paar junge wunderschöne Mädchen von etwa zehn bis zwölf Jahren, die sich laut weinend in die Arme fielen.
Mit dem größten Erstaunen sahen die beiden Knaben dieser Verwandlung zu. Daß hier ein Zauber im Spiel sei, fühlten sie wohl; doch waren sie über denselben mehr erfreut als erschreckt. Die beiden Mädchen sahen so freundlich und schön aus, daß sie gar keine Angst vor ihnen hatten; sie hätten sich ihnen vielmehr gern genähert, um zu erfahren, warum sie noch vor wenig Augenblicken in Schlangen verwandelt gewesen wären. Kuno war besonders dafür, in das Zimmer hinein zu gehen und sich den beiden Mädchen zu entdecken, doch Wolf hielt ihn zurück, indem er ihm bemerkte, daß sich das durchaus nicht schicken würde; vielmehr sei es ihre Pflicht, sich ruhig von da zu entfernen und den beiden Prinzessinnen – denn daß sie das waren, sah man an den kleinen Kronen, die sie auf dem Kopf trugen – das Häuschen, an dem die auf jeden Fall mehr Recht hätten als sie, ganz zu überlassen. Kuno konnte sich doch im ersten Augenblick nicht entschließen, das Fenster zu verlassen, sondern sah aufmerksam den beiden Prinzessinnen zu, die jetzt das kleine Gemach verließen und in das größere traten, wo die beiden Betten standen. Dort setzten sie sich auf einen Stuhl, hielten sich mit ihren Armen umschlungen und sprachen mit einander auf das eifrigste, wobei manche Thräne aus ihrem Auge floß, ohne daß man draußen etwas von ihren Reden verstehen konnte.
Nachdem sie eine Zeitlang so gesessen, fielen sie sich nochmals in die Arme, küßten einander und jedes schlüpfte in eins der Betten, in welchen die Knaben die Nacht vorher geschlafen hatten. Da in diesem Augenblicke der Mond, der bisher mit seinen weißen Strahlen das erste Zimmer erleuchtet hatte, hinter einem der Berge niedersank, so wurde es in dem Häuschen ganz dunkel und die Knaben sahen nichts mehr. Erstaunt über die Vorfälle des heutigen Abends, verließen sie, um die kleinen hübschen Herrinnen des Häuschens nicht zu stören, den Garten und legten sich am Rande des Waldes in's Moos hin mit dem festen Vorsatz, vor dem Anbruch des Tages zu erwachen und dann zu sehen, was aus den kleinen Schlangen oder vielmehr aus den beiden Prinzessinnen ferner werden würde. Doch war ihr Schlaf so fest, weil sie heute viel herumgelaufen waren, oder fand es der Schutzengel, der über die Verwaisten Kinder wacht, nicht für rathsam, daß sie ihren Vorsatz ausführten, und ließ sie deßwegen länger schlafen, als sie sich vorgenommen, genug, als sie erwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und als sie nun rasch nach dem Häuschen eilten, war dasselbe so leer, wie sie es am ersten Tage gefunden.
Sie untersuchten Alles auf das Genaueste in den Betten, unter den Stühlen, ja selbst in den Schubladen des Tisches, aber sie fanden eben so wenig eine Spur von den beiden Prinzessinnen, als sie auch bei dem sorgfältigsten Nachsuchen die Thür fanden, die in das andere Gemach führte.
Sie gingen verdrießlich umher und es war jetzt Beiden leid, gestern Abend nicht wenigstens bescheiden an das Fenster geklopft und gethan zu haben, als seien sie ein paar arme verirrte Wanderer, die zum ersten Mal in diese Gegend kämen. Da sie übrigens der Hoffnung lebten, die beiden, schönen Schlangen würden an einem andern Abend wieder kommen, so nahmen sie sich fest vor, es alsdann so zu machen, und begannen, da die Sache für heute nicht zu ändern war, ihre Wanderung durch das Thal auf's Neue. Sie gingen zum See hinab und versuchten diesmal auf der linken Seite an seinem Ufer hinzugehen. Es gelang ihnen hier besser, als gestern auf der andern Seite. Sie wandelten auf einem bequemen Pfade und kamen bald an die Stelle, die sie von dem Anfang des See's aus gesehen hatten und wo sich, wie es schien, das Wasser zwischen den Bäumen verlor. Es war auch in der That so. Die beiden Ufer des See's traten hier, mit dichtem Buschwerk bewachsen, näher zusammen und bildeten eine Ecke, welche die Knaben nicht umgehen konnten, denn der Weg hörte hier plötzlich auf und führte vor eine schroffe Felsenwand, wo sie natürlich nicht weiter konnten.
Nachdem sie sich nach allen Seiten umgeblickt und den vergeblichen Versuch gemacht, die Felswand zu erklimmen, entdeckte Wolf auf einmal neben sich eine kleine Treppe, die zu dem See hinab führte und vor welcher ein Nachen auf dem schwarzen Wasser schaukelte. So gern sich die beiden Knaben in das Schiffchen gesetzt hätten, um ihre Entdeckungsreise, da es zu Land nicht mehr ging, auf dem Wasser fortzusetzen, so hielt sie doch Anfangs die Furcht vor dem schwarzen See von ihrem Wagstück ab. Besonders Kuno rieth davon ab, dem weniger der See selbst, als das Schloß auf dessen Grunde, das sie so deutlich gesehen, unheimlich war.
»Denke dir nur, lieber Wolf,« sagte er, »wenn wir auf dem schwarzen Wasser führen, und es öffnete sich plötzlich da unten in dem Schlosse eine Thür, und ein Reiter käme herauf, um uns zu fragen, wer wir seien und was wir wollen? Oder wenn der Nachen plötzlich unterginge und wir da unten in den Schloßhof fielen und dort auf ewig bei den Leuten bleiben müßten, die wahrscheinlich verzaubert sind?«
Wolf pflichtete anfänglich diesen Gründen bei, doch da ihm Alles daran gelegen war, das andere Ende des See's zu erreichen, um zu sehen, ob sich nicht dort vielleicht Menschen befanden, so gelang es ihm bald, seinen Freund zu überreden und ihm Muth einzuflößen, um die Fahrt auf dem Wasser zu unternehmen. Nach einigem Hin- und Herreden stiegen sie endlich die Treppen hinab und setzten sich in den Kahn; doch bemühten sie sich lange vergebens, die Kette zu lösen, die mit einem starken Schloß an der Treppe festhing. Endlich streifte Kuno, der am Ende des Nachens saß, bei einem neuen Versuch, das Schloß zu öffnen, mit dem Krug, den er an seinem Arme trug, die Kette, welche darauf augenblicklich zerriß und dem Nachen seinen freien Lauf ließ. Wolf hatte öfters zu Hause gesehen, daß die Knappen, wenn sie ohne Ruder an dem Ufer des großen Schloßteiches umher fuhren, um die ausgestellten Fischnetze wieder einzuziehen, mit den Händen die Sträucher und Zweige der Bäume erfaßten und sich so vorwärts halfen. Er wollte es, als die Kette zersprungen war, ebenso machen, wäre aber bei dem Versuche fast in's Wasser gefallen, denn der Kahn war nicht so bald gelöst, als er sich plötzlich vom Ufer abwandte und zum Erstaunen und Schrecken der beiden Knaben ohne Ruder und Segel mitten in den See hinein fuhr. Vergebens war ihr Versuch, den Nachen, wie man es einem unartigen Pferde thut, durch Zurufen zum Stehen zu bringen, ein Mittel, das sie in ihrer Herzensangst wirklich versuchten. Besonders Wolf, als er fühlte, daß er unaufhaltsam fortgerissen wurde, bat den Nachen zuerst mit den höflichsten Schmeichelreden und dann sogar mit Schimpfworten, er möchte gefälligst Halt machen und umkehren: – Alles vergebens, unaufhaltsam schoß er dahin. Schon waren sie bei der Stelle vorbei, wo die Ufer des See's etwas näher zusammen traten, und jetzt kamen sie auf die andere Seite jener Felsecke, die sie vorhin aufgehalten, und sahen vor sich den ganzen See, der dort noch einmal so groß und breit war, wie der Theil hinter ihnen.
Obgleich sich der Kahn auf dem Wasser schnell dahin bewegte, so durchschnitt seine Spitze nicht die Wellen, sondern es war, als wenn das Fahrzeug über dem Wasser, wie auf einer Eisdecke, dahin glitt. Auch hörte man an den Seiten nicht das Plätschern der heranschlagenden Wellen und nicht das vergnügliche Murmeln des Wassers. Alles war ruhig und still. Anfänglich fürchteten die Knaben, der See möchte sich, wenn sie mitten darauf wären, nach allen Seiten in's Unendliche ausdehnen und sie wie auf einem wilden einsamen Meere allein lassen. Doch dem war nicht so. Die Ufer blieben unverrückt stehen und die Knaben entdeckten nur, daß der Kahn nach einer Insel steure, die am Ende des schwarzen See's zu liegen schien. Diese Insel konnte nicht sehr groß sein, doch schien das Gebüsch, das rings auf ihr wuchs, undurchdringlich zu sein. Da stand Baum an Baum, mit dem dichtesten Laub eine grüne Mauer bildend, und dazwischen wuchsen niedrige Gesträuche, das Ganze noch mehr zusammen flechtend. Bald sahen die Knaben, daß sich auch dort an der Insel eine kleine Treppe befinde, die hinab auf den See führe, und dorthin wandte sich der Kahn. Bald hatte er das Ufer erreicht und fuhr zwischen dem dichten Schilf, das vor der Treppe wucherte, mit Gewalt bis an dieselbe, wo er seinen Lauf hemmte, sich wandte und seiner Länge nach gegen die unterste Stufe gedrückt, ruhig liegen blieb.
Wolf hatte sich zuerst von seinem Staunen und Schrecken erholt, sprang an den Strand und half auch seinem Kameraden heraus, dem das Abenteuer, als es so ohne Gefahr und Schreckniß ablief, ebenfalls nicht unangenehm schien und dem die Wasserfahrt sogar vielen Spaß gemacht hatte. Sie berathschlagten, was weiter zu thun sei, und Kuno meinte, das Beste wäre wohl, dem Nachen ein gutes Wort zu geben, damit er sich umwende und sie wieder an das andere Ufer des See's brächte, denn hier auf dieser Insel möchte doch nicht viel Besonderes und Merkwürdiges zu sehen sein. Wolf dagegen war der Meinung, weil sie doch nun einmal da seien, sollten sie auch in das Innere derselben dringen, denn ihm scheine es nicht glaubwürdig, daß sie der Nachen so ohne Ursache wider ihren Willen hieher geführt. Er überredete auch seinen Freund und Beide wandelten längs dem Ufer hin, um durch das dichte Gebüsch einen Eingang zu finden. Doch gelang ihnen dies nicht. Sie umgingen die Insel mehrere Mal, untersuchten auf's Genaueste die Baumwand, ob sie nicht ein kleines Loch fänden, durch welches sie hindurch schlüpfen könnten; aber vergebens. Es mußte hier ein Zauber walten, denn es war, als preßten sich die Zweige enger zusammen, wenn einer der Beiden versuchte, hindurch zu kriechen.
Unter diesen vergeblichen Anstrengungen wurde es Mittag. Die Sonne stand hoch am Himmel und die Knaben setzten sich auf den Strand der Insel, um sich von dem vielen Umherlaufen zu erholen. Auch stellte sich Durst und Hunger bei ihnen ein, und da kein Bach in der Nähe war, aus dem sie hätten schöpfen können, so machte Wolf den Vorschlag, einmal das Wasser des See's zu versuchen. Er schöpfte einen Krug voll daraus, that einen guten Schluck und da er fand, daß das Wasser sehr gut schmeckte, reichte er ihn Kuno hin, der sich aber nicht entschließen konnte, ihn an die Lippen zu setzen. Er dachte an das Schloß auf dem Grunde des See's und daß vielleicht dort verzauberte Menschen lägen, und versicherte bei diesen Betrachtungen, er wolle lieber Hunger und Durst leiden, als von dem schwarzen Wasser trinken. Er nahm den Krug und schüttete das Wasser hinter sich in das Gebüsch. Doch wer beschreibt das Erstaunen der Beiden, als sie sahen, daß, sobald das Wasser die Zweige berührt hatte, dieselben aus einander wichen und einen freien Durchgang gestatteten. Die Knaben sprangen auf und nachdem sie sich einige Zeit mit überraschten Blicken angeschaut, trat Wolf in das Gebüsch und Kuno folgte ihm.
Einige Schritte gingen sie unter den Bäumen umher, die hier ganz ohne Ordnung zu stehen schienen. Doch bald entdeckten sie einen Weg zu ihren Füßen, an dem rechts und links kleine Gruppen von Bäumen und Sträuchern standen, denen man wohl ansah, daß eine kunstreiche Hand sie so geordnet hatte. Sie folgten diesem Weg, der in das Innere der Insel führte, hatten in kurzer Zeit das dichte Gebüsch hinter sich und standen auf einem freien Rasenplatz, bei dessen Anblick sie mit einem lauten Ausruf des Erstaunens wie angefesselt stehen blieben. Dort erblickten sie nämlich eine große Tafel, an welcher wohl zwanzig bis dreißig Männer saßen, die, obgleich es aussah, als seien sie eben in lustigem Zechen und Plaudern begriffen, doch alle starr und ohne Bewegung waren. Zuerst glaubten die Beiden, ihr plötzliches Eintreten habe die stattliche Gesellschaft für einen Augenblick überrascht und in der Stellung erhalten, in der sie sich gerade befanden. Kuno wandte sich, um zu entfliehen, doch Wolf hielt ihn zurück und schaute mit weit aufgerissenen Augen athemlos diesem sonderbaren Gelage zu. Nichts regte sich, und die Figuren saßen so starr und steif da, als seien sie aus Stein gehauen. Wolf, dessen Muth wiederkehrte, machte zuerst ein leises Geräusch, dann hustete und räusperte er lauter, und als dies Alles ohne Erfolg blieb, schrie er laut: Halloh! Halloh! und Kuno stimmte endlich, als er sah, daß sich Niemand regte, kräftig in dies Geschrei ein.
Als die Knaben so zu ihrem eigenen Troste sahen, daß ihre Bemühungen, die starre Gesellschaft zu erwecken, vergeblich seien, traten sie ganz aus dem Gebüsche hervor und näherten sich behutsam der Tafel, um sich die seltsame Erscheinung näher zu betrachten. Es war, als sei eine Gesellschaft ehrenfester Ritter mitten in einem Festmahl von einem bösen Fluche überrascht und zu Stein erstarrt worden. Oben an dem Tische, auf welchem große Humpen, Becher und Kannen mit dicken Bäuchen standen, saß ein alter stattlicher Mann im prächtigsten Waffenschmuck mit einer Krone auf dem Kopfe, und hinter demselben stauben zwei Pagen, von denen er dem Einen einen Befehl zu ertheilen schien, während der Andere ihm die Trinkschaale darreichte. In dem Gesichte des alten Mannes lag etwas so Ernstes und Gutmüthiges zugleich, daß es jedem Zutrauen einflößen mußte, und die beiden Knaben bedauerten sehr, daß dieser ebenso wie die übrigen aus Stein zu bestehen schien und keinen freundlichen Blick und keine Antwort für sie hatte. Die Ritter, welche rechts und links neben ihm an der Tafel saßen, schienen in eifrigen Gesprächen vertieft zu sein. Einige hatten mit der einen Hand den Humpen erfaßt und stützten sich mit der andern auf den Tisch oder ihre Schwerter, wobei sie einander aufmerksam in's Gesicht schauten, und diese Gesichter, obgleich sie hart und steif waren, hatten doch einen so lebhaften Ausdruck behalten, daß man genau sehen konnte, welcher gesprochen und welcher zugehört hatte.
Dort saßen ein paar, die sich mit den Armen umschlungen hielten und in die Höhe schauten. Der Ausdruck ihres Gesichts zeugte von einer ungemeinen Heiterkeit, und wenn man dazu ihren halb geöffneten, lächelnden Mund sah, so hätte man glauben können, ein lustiges Trinklied schwebe auf ihren Lippen. Die beiden Knaben gingen staunend um den Tisch und als sie hinter den alten Mann mit der Krone traten, sahen sie, daß rechts und links von diesem an der Tafel ein paar zierlich geschnitzte Stühle standen, die aber leer waren. Kuno, der nicht so beherzt war wie Wolf, fürchtete sich doch ein wenig und nahm sich wohl in Acht, zu nahe zu der Gesellschaft hinzutreten, und hielt sich mehr an das Gebüsch, welches den Rasenplatz umgab. Doch plötzlich fuhr er auch hier mit einem lauten Schrei zurück, denn er erblickte auf einmal zu seinen Füßen einen großen Hund gelagert, während ein paar Pferde, die unter den Bäumen standen und von einem Knappen am Zügel gehalten wurden, auf ihn herabsahen. Wolf eilte überrascht herbei, doch ergab sich bald, daß diese Pferde, von denen weiter im Gebüsch noch mehrere, sowie auch viele Knappen und Hunde zu sehen waren, ebenso starr und regungslos waren, wie ihre Herren.
Die Knaben wandelten jetzt ganz um den Tisch herum und sahen am Ende desselben noch ein paar Figuren sitzen, die ihre besondere Aufmerksamkeit fesselten. Es waren schon ältliche Männer und einer derselben blickte forschend den See hinab und seine spähenden Züge hatten einen leisen Anflug von Schreck und Entsetzen. Er hielt eine Hand an sein Ohr, als horche er genau auf etwas, und hatte mit der andern Hand die Schulter seines Nebenmanns gefaßt, um dessen Aufmerksamkeit rege zu machen. Dieser aber ließ sich nicht stören, sondern saß in seinen Stuhl zurückgelehnt und setzte eben einen großen Becher an den Mund, den er mit vielem Wohlbehagen zu leeren schien.
Wolf und Kuno betrachteten diese Beiden lange und erschöpften sich in Muthmaßungen, wornach der Eine der alten Herren wohl geblickt haben möge. Kuno sah ihm über die Schulter und versuchte seinen Augen dieselbe Richtung zu geben, um dort etwas Besonderes zu erblicken. Aber er sah nichts als den schwarzen Spiegel des Sees. Wolf betrachtete sich indessen den andern Herrn genauer und bedauerte unendlich, daß er wahrscheinlich mitten im Trinken gestört worden sei; auch unterließ er nicht, seine lächerlichen Bemerkungen über den alten Herrn zu machen und stellte die Vermuthung auf: dieser möge wohl von der ganzen Tischgesellschaft den meisten Durst gehabt haben.
Die Furcht, welche die beiden Knaben anfänglich gehabt hatten, verschwand gänzlich, und da sie nicht ausklügeln konnten, ob diese Figuren von einem kunstreichen Meister aus Stein gehauen seien, oder durch Zauber so verwandelt, so nahmen sie die Sache, wie sie war, und belustigten sich eine Zeitlang mit Betrachten der Waffen, der Trinkgeräthe, der Kleider und endlich der Pferde und Hunde. Wolf wurde ganz muthwillig und kletterte auf eins der Streitrosse, und als Kuno sah, daß er sich da oben recht stattlich ausnahm, stieg er selbst auf ein anderes und Beide jauchzten vor Freude. Nachdem sie eine Zeitlang versucht, die Pferde durch Zurufen oder Treten mit ihren Fersen in Bewegung zu setzen – wobei sie aber den tödtlichsten Schreck gehabt hätten, wenn dies wirklich geschehen wäre – stiegen sie wieder herab und machten sich andere Beschäftigungen. Sie setzten sich auf die beiden leeren Stühle oben am Tische, verließen sie aber bald wieder, denn das Gesicht des alten Mannes mit der Krone sah ihnen gar zu ehrfurchtgebietend aus. Dann schlenderten sie um den Tisch herum und Wolf stellte sich vor den Trinker hin und machte endlich lachend den Vorschlag, dem alten Herrn etwas Wasser in seinen Becher zu schütten, damit er seinen Durst löschen könne. Kuno fand auch diesen Einfall gar nicht übel und sprang mit seinem kupfernen Krug zum See hinab, wo er ihn mit Wasser füllte. Dann nahm ihn Wolf in Empfang, hob sich auf seinen Zehen empor und goß den Becher so voll, als es bei der schiefen Haltung, in welcher ihn der Ritter hielt, möglich war, aber daß das Wasser die Lippen desselben benetzte. Sich über ihre lustige That freuend, stellten sich die Beiden dahin und lachten laut auf. Doch plötzlich hielt Wolf mit seinem Lachen inne und starrte das Gesicht des Ritters an; auch Kuno sah ihn und klammerte sich mit einem lauten Ausruf des Entsetzens an Wolf fest.
Wer vermag den Schrecken der Beiden zu schildern, als sie sahen, wie sich in dem steinernen, kalten Gesicht die Lippen langsam öffneten, und das Wasser, welches Wolf in den Becher gegossen, schlürfend austranken, wie sich die früher so todten Augen langsam belebten, Glanz und Farbe bekamen und mit einem seltsamen Ausdruck vor sich hinstarrten. Als das Wasser langsam durch den Hals floß, begann die Brust der steinernen Figur zu athmen und in allen Gliedern des Körpers zeigte sich Leben. Der alte Ritter that einige tiefe Athemzüge hinter einander, stieß ein paar Seufzer aus und ließ seine Hand mit dem Becher langsam auf den Tisch nieder, dann wandte er den Hals und sah mit einem Blicke des Staunens und Schreckens seinen Nebenmann an, dessen kalte steinerne Hand, die auf seiner Schulter lag, er jetzt mit Verwunderung befühlte.
Die beiden Knaben, denen der Schreck in die Glieder gefahren, waren auf ihre Knie niedergesunken und blickten mit bleichen Gesichtern und gefalteten Händen zu dem Ritter auf, und obgleich sie kein Wort hervorbringen konnten, sah man doch an der Bewegung ihrer Lippen, daß sie Vergebung erflehten für ihre vorwitzige That. Der Neubelebte, nachdem er mit demselben Erstaunen, mit dem er seinen Nebenmann angesehen, die ganze Tischgesellschaft erblickt, bemerkte jetzt die beiden knieenden Kinder und sprang mit einem Ausruf der Ueberraschung von seinem Stuhle auf. Wolf, der jetzt einsah, daß sie am Ende doch keine so üble That verrichtet, indem aus dem früheren Steinblock ein gehörig lebendiger Mensch geworden, faßte sich zuerst wieder und erzählte dem Ritter in kurzen Worten, wer sie wären und was sie angefangen hätten, bis zu dem Augenblick, wo sie ihn zufällig wieder in's Leben gerufen. Dieser sah die beiden Kinder ganz verwundert an und hörte ihrer Erzählung mit demselben Erstaunen zu, mit dem sie ihn betrachteten. Als die Rede auf den Krug kam, trat er aufmerksam näher, und als ihn Kuno in die Höhe reichte und vorzeigte, stieß der Ritter einen lauten Schrei des Entzückens aus, drückte bald die Knaben, bald den Krug an seine Brust und rief laut, wobei ihm die Thränen in den grauen Bart rollten: »Nun hat alle, alle Noth ein Ende!«
So ungern sich Kuno auch von seinem Krug trennte, so ließ er ihn doch dem Ritter, der ihn an seinen Arm hing, und da der Abend bereits hereinbrach, die Knaben aufforderte, ihm zu folgen. Sie gingen alle drei auf den Strand der Insel, stiegen die Treppen hinab und setzten sich in den Kahn, der sich alsbald umwandte und ohne Hülfe von Rudern und Segeln eilig nach der Richtung hinschwamm, wo die beiden Knaben heute Morgen hergekommen. Bald erreichten sie das andere Ufer, stiegen aus und führten den Ritter an die Stelle des See's, wo man das Schloß deutlich auf dem Grunde desselben sehen konnte. Da setzten sie sich hin, und der alte Ritter sah lange in die Tiefe und winkte freudig mit der Hand hinab. »Ja,« rief er laut, »bald werdet ihr Armen dort unten erlöst sein, und bald wird das Schloß wieder hervortauchen aus dem schwarzen Wasser und wie ehedem stolz und stattlich in das Thal schauen.« Wolf und Kuno, die aufmerksam den Reden des Ritters zuhörten, waren sehr neugierig, zu erfahren, was es mit dem Schloß dort unten für eine Bewandtniß habe, und Wolf hatte den Muth, den Ritter darum zu fragen.
Dieser schaute noch eine Weile nachdenkend in den See, als wollte er dort unten etwas erspähen. Dann wandte er sich zu den Knaben und erzählte ihnen die Geschichte des Schlosses folgendermaßen.
»Das Thal, in welchem wir uns befinden, gehörte vor noch nicht langer Zeit dem Könige Dagobert, den ihr auf der Insel oben an dem Tische mit der Krone auf dem Haupte sitzen saht. Er lebte froh und glücklich auf seinem Schlosse, das aber damals nicht wie jetzt auf dem Grunde des See's lag, sondern traulich zwischen den umliegenden Bergen versteckt, tief im Thale, inmitten von schönen Gärten und fruchtbaren Wiesen. Der König war heiter und zufrieden, denn er hatte Alles, was das Leben angenehm machen kann. Leider war ihm seine Gemahlin gestorben, doch hatte sie ihm zwei Töchter geboren, denen das Glück zu Theil wurde, daß an ihren Wiegen zwei jener mächtigen Wesen standen, die man Feen nennt. Diese vertraten denn Mutterstelle bei den kleinen Prinzessinnen und beschützten und pflegten sie so gut, daß sie in Fülle der Gesundheit und ausgezeichneter Schönheit kräftig heranwuchsen. Statt Gold, Silber und Edelsteinen, das sie ihnen hätten zum Pathengeschenk machen können, segnete die eine den Brunnen des Schloßhofes und ließ sein Wasser heilsam sein, sowohl für alle Krankheiten, als auch für jenes Uebel, dem kein Mensch entfliehen kann, das Alter, indem auch der älteste Greis nach einem Trunk aus jener Quelle, wenn auch nicht die Frische und das Aussehen der Jugend wieder erhielt, doch noch lange Jahre in guter Gesundheit und fröhlich fortleben konnte. Die andere gab einen kupfernen Krug – es ist derselbe, den ich durch Eure Hülfe wieder erlangt habe – um mit ihm allein jenes heilsame Wasser zu schöpfen. Als die beiden Prinzessinnen ziemlich herangewachsen waren, mußten die Feen auf Befehl ihrer Königin das Thal verlassen, zu welcher Zeit sie dem Könige nicht verhehlten, daß durch den Schutz, den sie seinen Kindern haben angedeihen lassen, ein böser, aber mächtiger Geist, der ihre Werke stets zu verderben suche, aufmerksam geworden und auch hier nicht säumen würde, wenn es ihm möglich wäre, Unheil zu stiften. Da ihm alle Dinge, die dem finstern Schoos der Erde entstiegen, unterthan seien, so habe er auch Gewalt über alles Wasser, was dem Boden entquelle, und also auch über die Fluthen des heilsamen Brunnens. Um nun dieser Gewalt entgegen zu wirken, die, wo es ihr möglich sei, nur das Böse vollbringe, solle der König den unscheinbaren kupfernen Krug hoch in Ehren halten und es nie zugeben, daß mit einem andern Gefäß als mit diesem aus dem Brunnen im Hofe geschöpft würde; denn so nur könne der mächtige unterirdische Geist im Zaume gehalten und ihm die Kraft benommen werden, damit er nicht dem Wasser einen bösen Zauber beimische, oder die Fluthen so gewaltig ausströmen lasse, daß sie Allen, die in dem Thale lebten, den Untergang brächten.
»Der König versprach, diese Vorschrift sorgfältig zu beobachten und die Feen schieden, nachdem sie noch einmal allen Segen auf die beiden Prinzessinnen herabgewünscht. Darauf ließ der König den alten, unscheinbaren Brunnen auf die kostbarste Art mit geschliffenem Marmor umgeben und es wurde von dem schönsten Rosenholze ein Dach darüber gebaut, das nur eine einzige kleine Thür hatte, zu welcher der König ein überaus künstliches Schloß machen ließ, dessen Schlüssel er beständig im Gürtel verwahrte und nie von sich gab. Da er nicht geizig war und gerne Jedermann den Genuß des heilsamen Wassers unentgeldlich gönnte, so durfte Alt und Jung, Reich und Arm zu gewissen Stunden in den Schloßhof kommen, wo sich alsdann König Dagobert selbst an dem Brunnen einfand, mit eigener Hand das Schloß fortnahm und sorgfältig darauf Acht hatte, daß aus dem Brunnen mit keinem andern Gefäß als mit dem kupfernen Krug geschöpft wurde. Das Wasser hatte in kurzer Zeit schon so viele gute Dienste gethan, daß es leicht erklärlich war, wie darob der Neid jenes bösen unterirdischen Geistes rege werden konnte, weßhalb dieser schon in mancherlei Gestalt versucht hatte, den Krug zu rauben oder das Schloß zu zertrümmern, womit König Dagobert den Brunnen verwahrte. Schon einige Mal fand der König zwei Krüge von der gleichen Gestalt, so daß es ihm schwer geworden wäre, den rechten zu erkennen und er vielleicht den falschen für den ächten genommen hätte, wenn die Feen den beiden Prinzessinnen nicht ein so richtiges Gefühl eingeflößt hätten, daß sie das Falsche und Unrichtige augenblicklich erkennen konnten. Auch waren schon zum Oefteren Gesandte fremder Könige oder deren Prinzen selbst gekommen, um von dem Wasser zu kosten, und schon mehr als einer hatte den König Dagobert ersucht, ihn mit seinen eigenen Gefäßen das Wasser schöpfen zu lassen. Doch dieser bedachte zu gut den Spruch der Feen und war zu wohl überzeugt, daß jener böse unterirdische Geist alle ihm nur zu Gebot stehenden Künste aufbieten wurde, um das Geschenk der Feen zum Nachtheil zu wenden.«
Bei diesen Worten hielt der Ritter einen Augenblick inne, sah seufzend in den schwarzen See und fuhr fort: »ach, so ernstlich der König auch darauf bedacht war, dies gefährliche Geschenk mit möglichster Sorgfalt zu beaufsichtigen, so wurde er doch überlistet. Es begab sich eines Tages, daß König Dagobert befahl, auf jenem Platze, wo ihr mich fandet, die Mittagstafel aufzuschlagen, auf jener Insel, die damals aber nur ein schöner grün bewachsener Hügel war, der sanft aus dem Thale aufstieg. Es war ein herrlicher Tag, und nachdem der König mit den beiden Prinzessinnen und uns, seinem Gefolge, einen Ritt über die benachbarten Berge gemacht, erreichten wir jenen Hügel, wo die Tafel bereit stand. Die Knappen zogen sich mit den Pferden und Hunden in's Gebüsch und wir lagerten uns unter fröhlichen Scherzen um den Tisch, die Freuden des Bechers, sowie der vollen Schüsseln zu genießen. Oben am Tische saß der König und zu seinen beiden Seiten die Prinzessinnen, während hinter seinem Stuhle mehrere Leibpagen bereit waren, seine Befehle zu erfüllen. Der kupferne Krug, den er sogar auf seinen Spazierritten mitnahm und der alsdann zur Seite an seinem Sattelknopf hing, stand vor ihm auf dem Tische. So tafelten wir und die Luft war so rein und gewürzig, der Tag so schön, daß aus eines Jeden Brust Sorgen und schwere Gedanken verschwanden, und Alles heiter und guter Dinge war. Da bemerkte ich auf einmal, daß ein zerlumpter Bettler, der mehrmals um den Fuß des Hügels herumgegangen war, jetzt die Anhöhen hinanstieg und sich dem König Dagobert näherte. Bei der Tafel angekommen, ließ er sich auf die Knie nieder und flehte den König in den demüthigsten und rührendsten Ausdrücken um einen Trunk des heilsamen Wassers an. Der König, der nicht gern von der Tafel aufgestanden wäre, forderte ihn auf, in einer Stunde ins Schloß zu kommen, wogegen der Bettler betheuerte, das Wasser könne ihm nur in diesem Augenblicke helfen, da er gerade von fürchterlichen Schmerzen geplagt sei. Als die Prinzessinnen sahen, daß der König in diesem Augenblicke nur ungern seinen Becher verließ, wandten sie sich an ihn und baten, er möchte ihnen den Krug und den Schlüssel anvertrauen und sie allein mit dem Bettler hinab in's Schloß gehen lassen, um diesem mit einem Trunk Wasser zu helfen. Die beiden jungen Damen waren des Sitzens überdrüssig und lagen daher ihrem Vater so lange mit Bitten an, bis er ihnen Krug und Schlüssel gab. Er empfahl ihnen auf's Neue die größte Vorsicht und ließ sie den Hügel hinab in's Schloß springen. Der Bettler folgte ihnen. Uns Allen, die wir um den König herumsaßen, kam bei diesem Vorfall nicht ein argwöhnischer Gedanke. Das Schloß lag ganz nahe und wir konnten den Prinzessinnen mit unsern Blicken folgen. Diese kamen an den Brunnen, schloßen das Dach auf, schöpften mit dem kupfernen Kruge das Wasser und schienen dann den Bettler zu fragen, ob er kein Gefäß mitgebracht habe, in welches sie das heilsame Wasser schütten könnten. Dieser verneinte es, und da ich, an nichts Böses denkend, im gleichen Augenblick meinen Becher an die Lippen setzte, so konnte ich nicht sehen, ob die beiden Prinzessinnen dem Bettler den kupfernen Krug in die Hand gegeben, oder ob er ihnen denselben entrissen hat. Genug, er schwang den Krug triumphirend gegen uns, und als er darnach in die Erde versank, sahen wir wohl, daß uns jener mächtige Geist überlistet. Ich wollte von meinem Sitz auffahren, doch ich vermochte es nicht, ja, ich konnte nicht einmal meinen Becher vom Munde bringen, sondern hatte vielmehr ein Gefühl, als sei derselbe an meine Lippen festgewachsen. Ich wunderte mich, daß keiner der andern Ritter aufspringe und den beiden Prinzessinnen zu Hülfe eile, die sich vergebens bemühten, das Brunnendach vor der herausstürmenden Fluth zu verschließen. Doch alle, die an der Tafel saßen, schienen im gleichen Augenblick wie ich erstarrt zu sein. Kein Laut entfuhr ihrem Munde und sogar das Gebell der Rüden, die sich munter im Grase gewälzt, endete mit einem schmerzlichen Schrei und dann war Alles um uns still. Vor meinen Augen schwamm es wie dichter Nebel, aber trotzdem ich Brunnen und Schloßhof nur undeutlich erblickte, konnte ich doch sehen, daß immer neue und gewaltigere Wasserströme dem Brunnen entstürzten. Die Prinzessinnen riefen um Hülfe, aber Niemand sprang zu ihrer Rettung herbei. Schon hatte das Wasser den ganzen Schloßhof überströmt und stieg an den Mauern und Thalwänden langsam empor. Bald war von den beiden unglücklichen Prinzessinnen nichts mehr zu sehen; jetzt stand das Wasser schon in der Hälfte des großen Thurmes, hatte nun das Dach erreicht, dessen Spitze im nächsten Augenblick nur noch hervorsah. Auch diese verschwand und wie sich das Wasser über ihr zusammenschloß, zeigte ein kleiner zitternder Ring, der sich immer größer und größer ausbreitete, nur noch wenige Augenblicke an, daß die schwarze Wasserfläche ein stattliches Schloß bedeckt hatte.
»Und wir waren während der Zeit erstarrt, nicht nur vor Schrecken, sondern durch Zaubergewalt; nicht blos für den Augenblick saßen wir da und konnten kein Glied regen, nein, es war, als wandelte sich unser Blut langsam zu Stein, als erkaltete alles Leben in uns. Jeder blieb in derselben Stellung, ja, mit denselben Mienen sitzen, die er in dem Augenblicke gehabt hatte, wo der verruchte Zauberer mit dem Kruge gegen uns gewinkt. Auch verdunkelten sich unsere Augen und es ward Nacht vor unsern Blicken. Und so saßen wir Tag um Tag, Nacht um Nacht, Wochen und Monate, und es sind jetzt beinahe drei Jahre so hingeschwunden.«
So erzählte der Ritter und die beiden Knaben hatten ängstlich zugelauscht. Die Nacht war jetzt ganz heraufgestiegen und sie führten den Ritter nach dem Häuschen hin und erzählten ihm von den beiden Schlangen, die sich in der letzten Nacht in zwei schöne Mädchen verwandelt hatten. Wolf sprach von den Kronen, die sie auf ihrem Haupte getragen, und der Ritter erkannte alsbald zu seiner großen Freude, daß es die beiden Prinzessinnen seien und daß sie noch immer unter dem Schutze der guten Feen stünden; denn diese hatten wahrscheinlich das schöne Häuschen hier hingezaubert und halfen ihnen jedesmal nach dem dritten Tage den See verlassen, um die Nacht in ihrer natürlichen Gestalt hier zuzubringen.
Die beiden Knaben legten sich auf die seidenen Betten, der alte Ritter auf den Boden und so schliefen alle drei, bis der goldene Morgen herauf kam. Da erwachten sie fröhlich und der Ritter begann eifrig nachzudenken, wie er die Entzauberung des Schlosses wohl bewerkstelligen könne. So leicht ihm dies gestern erschienen war, so fand er doch bei näherem Betrachten, daß die Sache doch ihre Schwierigkeiten habe; denn er hatte freilich den Zauber, der die Macht jenes bösen Geistes wieder bändigen mußte, aber wie er das vermittelst des Kruges anzufangen habe, das wollte ihm nicht recht klar werden. Wußte er doch keinen Spruch, kein Zauberwort, daß er die schwarzen Wasser hätte bändigen und zwingen können. Der gute Ritter war wahrlich in keiner geringen Verlegenheit; er ging mit den beiden Knaben am Ufer des See's auf und ab und war schon im Begriff, nach der Insel zu schiffen, um dort den Versuch zu machen, jeden von der Tafelrunde zu erwecken, auf die gleiche Art, wie die Knaben ihn erweckt hatten. Da kam ihm plötzlich ein anderer Gedanke. »Ei,« dachte der ehrenfeste Ritter, »es wäre auf jeden Fall besser, wenn du deinen Herrn erst dann erwecken würdest, nachdem Schloß und Thal entzaubert und wieder lieblich vor seinen Blicken daliegt, und wenn dir auch der Zauberspruch hiezu nicht bekannt ist, so ist es deine Pflicht, für deinen Herrn und König ein Wagniß zu bestehen, mag es nun enden, wie es will.« Unter diesen Gedanken setzte sich der Ritter mit den beiden Knaben in den Nachen, der alsbald in den See hinausfuhr. Als sie in die Mitte des schwarzen Wassers gekommen waren, stand der Ritter plötzlich auf und sagte: »meine lieben Kinder, bleibt ruhig sitzen und laßt mich einen Versuch machen, ob es mir nicht gelingt, den Zauber mit einem Male von dem Thale zu nehmen, indem ich es versuche, mit Hülfe des Kruges dort unten das Brunnendach zu schließen, damit die Fluth ferner nicht mehr ausströmen kann.«
Die Knaben wußten nicht, was diese Rede des Ritters zu bedeuten habe, stießen aber einen lauten Schrei des Schreckens aus, als sie sahen, wie der Ritter in den schwarzen See hinabsprang und augenblicklich verschwand. Kuno schlug jammernd die Hände zusammen, mehr über seinen Krug als über den Ritter, und Wolf konnte sich des Gedankens nicht erwehren, als sei dieser ein anderer böser Geist, der ihnen den Krug nun auch entführt habe. Doch während sie noch so saßen und Kuno laut weinte, hörten sie auf einmal tief unter sich auf dem Grunde des See's ein lautes Geräusch, als würde eine Thür heftig zugeschlagen, und wenig Augenblicke nachher bemerkten die erstaunten Knaben, daß mit dem See eine gewaltige Veränderung vor sich gehe. Er fing an, unruhig zu werden und dann aufzubrausen, auch bemerkten sie an den Ufern rings herum, daß das Wasser zusehends abnehme. Dabei überzog sich der Himmel plötzlich mit schwarzen Wolken, die sich an einigen Stellen bis auf den See herabließen und das Wasser aufzutrinken schienen. Mit jedem Augenblick wurden die Wolken von dem schwarzen Wasser dunkler und als sie so vollgetrunken waren, zogen sie schwerfällig über die Berge, um andern durstigen Wolken Platz zu machen. Das Wasser in dem See sank indessen schneller und schneller. Jetzt tauchte dicht neben dem schaukelnden Nachen die Spitze eines Thurmes auf und bald sahen sie das ganze Dach desselben aus dem Wasser hervorragen. Auf der Spitze und unter dem hervorspringenden Dach bemerkten die Beiden zu ihrem Erstaunen Krähen, Schwalben und anderes Gevögel, welches die Köpfe unter die Flügel gesteckt hatte und zu schlafen schien. Doch nicht sobald war das Wasser unter ihnen herabgesunken, als alle erwachten. Die Habichte und Krähen flogen hoch in die Luft, um sich umzusehen, was es denn eigentlich gebe, und die Schwalben schoßen hungrig über dem Wasser dahin, da sie lange nichts gegessen, um sich Mücken und andere Insekten zu ihrem Frühstück zu holen. Bald darauf kamen rechts und links neben den Knaben andere Gemäuer hervor, kleinere Thürme mit Schießscharten, hinter denen Knappen an ihre Spieße gelehnt standen und ebenfalls zu schlafen schienen. Doch hatte auch diese nicht sobald, statt des schwarzen Wassers, die frische Luft umspült, als sie sich dehnten und reckten, laut gähnten und verwundert um sich schauten.
Nun tauchte das Dach des Schlosses selbst auf und wenn die Knaben schon das Erwachen der Vögel und der Knappen auf den Thürmen in Erstaunen gesetzt hatte, so stieg ihre Verwunderung jetzt aufs höchste, als sie sahen, wie sich Menschen und Thiere in jedem Stockwerk belebten, sobald das Wasser gesunken war. Dort streckten ein paar Stallbuben die Köpfe zu dem Söllerfenster heraus und andere fuhren fort, den Hafer auszumessen. Tiefer unten öffneten Mägde die großen Flügelfenster und ließen frische Luft hinein in die Gemächer des Königs; in der Küche aber war das Gewimmel am mannigfaltigsten und größten; denn als vor drei Jahren die Verzauberung vor sich gegangen war, hatte der Küchenmeister gerade das Dessert für des Königs Tafel zugerichtet und war in diesem wichtigen Geschäft gestört worden. Hier liefen die Küchenjungen umher und stellten Schüsseln voll Pasteten, voll Zuckerwerk, seltenen Früchten und andern köstlichen Sachen zurecht und die Tafeldecker in ihren goldbordirten Röcken nahmen die Schüsseln eilig auf, um sie den Hügel hinan zu tragen.
Die Knaben sanken tiefer, und tiefer; jetzt stand das ganze Schloß so hoch und stattlich, wie es der Ritter beschrieben, vor ihnen, und sie befanden sich hinter demselben in einem schön angelegten Garten und sahen plötzlich, daß der Kahn auf einem kleinen Teiche schwamm, an dessen Ufern er sich anlegte, worauf Beide hinaus in den schönen Garten sprangen. Eilig liefen sie um das Schloß herum, um den alten Ritter aufzusuchen, und als sie in den Schloßhof kamen, sahen sie ihn an dem Brunnen des heilsamen Wassers stehen, auf dessen Rande der kupferne Krug stand. Die beiden Prinzessinnen aber, die sie in dem kleinen Häuschen gesehen hatten, lagen in seinen Armen und alle drei weinten vor Freude, Rührung und Entzücken. Die Knaben waren zu schüchtern, um näher zu treten, und hielten sich in bescheidener Entfernung, doch waren auch sie von all' dem Wunderbaren, was sie gesehen, so ergriffen und gerührt, daß ihnen ebenfalls die Thränen die Wangen hinabliefen. Plötzlich begann es droben auf dem Hügel, der noch vor wenig Augenblicken als Insel aus dem schwarzen See hervorsah, lebendig zu werden. Jagdhörner schallten, Pferde wieherten und die Hunde bellten. Jetzt bogen sich die Sträucher aus einander oder wurden niedergetreten von den Hufen der daher stürmenden Rosse. Alles war dort oben wieder zum Leben erwacht und an der Spitze seiner Tafelrunde stürmte König Dagobert daher, schon von Weitem seinen Kindern mit lautem Gruße zurufend. Im Schloßhof sprang Alles von den Pferden und der Freude und des Entzückens war kein Ende. Darauf erzählte der alte Ritter von den beiden Knaben, daß sie es wären, welche den bösen Fluch von dem Thale genommen, und stellte sie dem Könige vor. Dieser erkundigte sich nach ihren früheren Schicksalen und da ihm das berühmte Geschlecht der Schreckenberger wohl bekannt war, so nahm er deßwegen, sowie auch aus Dankbarkeit den letzten Sproß desselben mit der größten Freundlichkeit und Gnade auf, und ebenso auch Wolf, der durch sein reiferes Alter und seinen Muth nicht wenig zu der glücklichen Entwicklung der Geschichte beigetragen.
Im Schloß des Königs begann das alte fröhliche Leben wieder und wurde fortan durch keinen bösen Feind mehr gestört. Als Kuno und Wolf einige Jahre in allen ritterlichen Übungen unterrichtet waren, unternahmen sie Streifzüge in das Land, um Riesen zu bekämpfen und der Unschuld beizustehen, wobei sie auch eines Tages das Schloß der Schreckenberger besuchten und dort in einem elenden Häuschen durch Gottes Fügung noch einen jener alten Mannen trafen, der mit dem alten Fratz von Schreckenberg gestanden, gefallen, aber nicht gestorben war. Da er um die vergrabenen unermeßlichen Schätze gewußt, so hatte er sie sorgfältig verwahrt und händigte sie jetzt dem Erben ein, worauf ihn dieser mit an den Hof des Königs Dagobert nahm. Im Lauf der Zeit wußten sich die beiden edlen Ritter, Kuno und Wolf – denn auch letzterer hatte den Ritterschlag empfangen – die Liebe der beiden Prinzessinnen zu erwerben, so daß der alte König Dagobert nicht umhin konnte, in eine doppelte Vermählung zu willigen.
Von dem kupfernen Krug erzählte der alte Manne des Fratz von Schreckenberg, daß ihn sein Herr einst von einem Streifzuge mitgebracht. Doch sei er seines schlechten Ansehens halber in die Rumpelkammer geworfen und vergessen worden. König Dagobert aber erkannte in dem Traum, den die gute selige Gräfin von Schreckenberg gehabt hatte, das Walten der schützenden Feen, die Alles zum Guten gelenkt hatten.