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Wir verließen unsern Helden in traurige Betrachtungen versenkt, auf einem Baumstamm sitzend und fest entschlossen, die Wiederkunft des Ritters im nächsten Jahre abzuwarten.
Es vergingen ihm so viele Tage, in denen er unablässig bemüht war, rings das Gehege zu umspähen, ob er nicht einen Eingang fände. In der Nacht hatte er oft seltsame Träume; da war es ihm zuweilen, als schwebe die schöne Fee bei ihm vorüber und sehe ihn wehmütig an; doch wenn er im Schlafe die Hände nach ihr ausstreckte und sie bat, näherzukommen, so schüttelte sie seufzend das Haupt und schwand langsam vorüber. Auch war ihm zuweilen, als sähe er ein weißes Reh aus den Gebüschen hervortreten und langsamen Schritts das Gehege umschreiten. Dabei horchte aber das Tier aufmerksam umher und verschwand bei dem leisesten Geräusch. Auch von jenen schwarzen Kobolden erblickte er fast jede Nacht einen, der ebenfalls das Gehölz umkreiste und dann wieder verschwand. So saß der Einarm eines Nachmittags auf seinem Baumstamme und dachte mit schweren Herzen an den schlechten Erfolg seiner Fahrt, als ihm plötzlich seine goldenen Kugeln einfielen, die er bisher nicht mehr beachtet hatte. Er suchte sie hervor und dachte bei sich selbst: meine Not, aus diesem Spuke einen Ausweg zu finden, ist doch wahrlich groß genug, so daß es mir die Fee nicht übelnehmen kann, wenn ich noch eine ihrer Kugeln verwende, und sie ihr selbst zuschicke, damit sie mir dafür einen guten Rat erteile. Gesagt, getan! Der Einarm lud sein Gewehr und sprach zur Kugel, als er sie den Lauf hinabrollen ließ: dich sende ich hinauf in die blauen Lüfte, schwinge dich hoch und immer höher, bei Mond und Sternen vorbei, bis du Amaranthe, die gütige Fee, gefunden! Klage ihr meine Not und die Not der Prinzessin und sage ihr, daß ich sehnlich ihren Rat und ihre Hilfe erwarte! Der Schuß knallte und die goldene Kugel flog wie ein Blitzstrahl gen Himmel. Oben in der Luft zerplatzte sie mit einem lauten Knall, und ein Adler mit mächtigen Schwingen schwebte aus ihr empor und stieg so schnell zu den Wolken auf, daß er dem nachblickenden Auge des Jägers bald entschwunden war. Unruhiger als je erwartete dieser nun die kommende Nacht, in welcher er sicher hoffte, von der Fee eine Hilfe, wenigstens ein Zeichen ihrer Gegenwart zu erhalten; und er hatte sich nicht geirrt, wenn sonst die Zeit kam, wo das weiße Reh und die gespenstigen Gestalten das Gehege umkreisten, so überfiel ihn ein gewaltiger Schlaf, der ihm, trotz allem Bestreben, wach zu bleiben, die Augen gewaltsam zudrückte, heute war das anders, und sobald ihm während der Nacht die Augen trübe wurden, säuselte von den Wipfeln der Bäume ein erfrischender Wind herab, der ihm alsbald den Schlaf verjagte und ihn wachend und munter hielt. Plötzlich erschien zwischen den Gebüschen das weiße Reh, ging vorsichtig und leise auf dem Moose daher und wollte wie gewöhnlich, das Gehege umkreisen. Doch kaum hatte es sich genähert, so stürzte von der andern Seite aus einer Felsenkluft eine scheußliche, ungeheure Fledermaus herab und auf das arme Reh zu, das vor Schrecken stehenblieb und sich nicht einmal zur Flucht wandte. Dem Einarm stockte der Atem, als er sah, wie das Scheusal jetzt über dem weißen Reh schwebte und die gierigen Krallen ausstreckte, es zu zerfleischen. Rasch griff er nach seinem Gewehr, doch suchte er vergeblich in der Weidtasche nach einer gewöhnlichen Kugel. Er fand nur noch die letzte der drei goldenen. Doch da er bedachte, daß die Not bei dem armen Reh gewiß sehr groß sei, so lud er sie, ohne sich zu bedenken, in sein Gewehr, legte es auf den Stumpen des rechten Armes, zielte sorgsam nach dem Kopf des Ungeheuers und drückte ab. Ein lauter Donnerschlag krachte durch den Wald, die Fledermaus verwandelte sich in eine dunkelrote Flamme, die auf die Erde fiel, da einigemal zuckend emporsprang und dann verlöschte. Der Einarm stürzte hinzu, um nach dem Rehe zu sehen; doch blieb er überrascht und erstaunt stehen und ließ sich ehrfurchtsvoll auf ein Knie nieder, als er dort zwischen Bäumen, leicht wie aus Nebel gewebt, und umgossen mit überirdischer Schönheit, die reizende Fee sah, die ihm mit der Hand winkte, fernzubleiben und sie anzuhören. Dann sprach sie mit leiser Stimme: »Du hast mich durch den Geist, den ich in die goldenen Kugeln schloß, gerufen, und auch ohne daß du mir deinen Wunsch nennst, weiß ich ihn. Glaube nicht, daß ich dem Schicksal meines unglücklichen Kindes gleichgültig zusah, indem ich nicht früher erschien, dir und ihr zu helfen. Doch auch wir Feen können nicht immer nach unserem Gutdünken handeln. Du hast mir durch Erlegung jenes Ungetüms einen großen Dienst erzeigt, und wenn du es verlangst, will ich dir eine Frage in betreff jenes schwarzen Zauberers beantworten. Aber höre mich zuvor an! Ich habe dein Herz erkannt, und es für gut und edel befunden; deswegen betrübt es mich, daß du in mich dringst, dir das Mittel zur Errettung der Prinzessin anzugeben, weil ihre Entzauberung durch dich dein Unglück sein wird.«
Hier entfielen der Fee ein paar Tränen, die aber nicht den Boden erreichten, sondern sich in der Luft zu bunten Nachtschmetterlingen verwandelten und davonflogen. »Seit jenem Unglückstag,« fuhr sie fort, »hab' ich die Königin der Feen unablässig gebeten, mit ihrem mächtigen Zauberstab jenen schwarzen Unhold zu verderben, und in kurzer Zeit wird sie mir meine Bitte erfüllen; denn sie zürnte mir bisher, daß ich gegen ihren Willen zuweilen die Erde betrat, um in der Gestalt eines weißen Rehes nach meinem Kinde zu spähen. Darum laß ab mit deiner Bitte und nimm von mir Ehre und Reichtum, die ich über dich ausschütten will, wenn du diesen Wald fliehst und dich in ferneren Gegenden niederlassen willst. Denn nochmals sage ich dir, die Errettung der Prinzessin stürzt dich ins Verderben, aus dem dich nur der sonderbarste Zufall, nicht aber meine Hand, ja selbst nicht die Macht der Königin der Feen erretten könnte.«
So entmutigend diese Antwort für den armen Einarm war, so war sie doch nicht imstande, seine glühende Liebe und den Wunsch, die Prinzessin befreien zu können, zu ersticken. Er erhob seine Augen flehend zur gütigen Fee und entdeckte ihr, wie das Bild ihrer Tochter und die Liebe zu ihr mit seinem ganzen Wesen so innig verbunden sei, daß eine Trennung ihn elend machen, ja töten würde. Umsonst versuchte es nochmals die Fee, ihn auf andere Gedanken zu bringen und zeigte ihm andere glänzende Aussichten. Der Einarm malte ihr dagegen nochmals seine glühende Liebe aus und bat sie um ihre Hilfe. »So höre mich denn an,« sagte traurig die Fee; »die Zauberkraft, welche meine Tochter hier gefangen hält, ist nur durch das silberne Horn zu lösen, das ich meinem Gemahl hinterließ und das jener schwarze Ritter der Prinzessin hinterlistig stahl; und das einzige Mittel, sie zu befreien, ist deiner Hand nur dann möglich, wenn du jenes Horn wiedererlangen kannst. Nicht weit von hier ist tief im Geklüfte der Felsen die Wohnung jenes Unholdes, der aber das Horn auf das sorgfältigste verwahrt und es keine Stunde aus der Hand läßt, während der Nacht schwebt er mit seinen untergebenen Geistern auf der Erde herum und stiftet Unheil, soviel er kann. Sowie aber der Morgen anbricht, zieht er sich in seine Höhlen zurück, und damit er wenigstens am Tage den Menschen kein Übel zufügen kann, überfällt ihn bei dem ersten Hahnenschrei eine Müdigkeit, die, je höher die Sonne steigt, beständig zunimmt, und um die Mittagszeit, wenn alle andern Wesen wachen, begräbt ihn mit allen seinen Geistern ein tiefer Schlaf, der mit dem Sinken der Sonne abnimmt und bei der aufsteigenden Dämmerung gänzlich wieder verschwindet, wie du den Weg zu jener Höhle findest, weißt du; doch ziehe mit anbrechendem Morgen fort, daß du um die Mittagszeit hinkommst. Bei allen Schrecknissen, die dir dann am Eingang der Höhle entgegentreten, denke nur, daß die Ungetüme, welche den Eingang bewachen, fest schlafen und dir nichts anhaben können. Gehe ihnen nur aus dem Wege und keines wird dich belästigen, wenn du durch mehrere Reihen dieser dämonischen Wachen glücklich durchgedrungen bist, kommst du an die Höhle selbst, in welcher der Unhold schläft. Doch so schrecklich dir auch der Eingang zu derselben erscheinen mag, steige getrost hinein, nahe dich dem Schlafenden und nimm ihm mit kecker Hand das Horn, das er in seiner Hand halten wird; dann aber beeile dich, die Höhle zu verlassen, und nimm deinen ganzen Mut, deine ganze Besonnenheit zusammen, halte den Ausgang fest im Auge, damit du ihn, es mag um dich geschehen, was da will, wiederfindest. Noch einmal, sag' ich dir: sobald du im Besitz des silbernen Hornes bist, eile dich, die Höhle zu verlassen, denn wenn du dich zurückhalten ließest, bis die Sonne sinkt, wärst du unrettbar verloren. Hast du aber glücklich die Felsen hinter dir, so wende dich gegen die Höhle zurück und stoße dreimal mit Macht ins Horn; ich werde den Ruf hören und zu gleicher Zeit die Königin der Feen bitten, daß sie ihren Zauberstab zum Verderben jener feindlichen Geister schwinge. Dann kehre hierher zurück und du wirst die Prinzessin aus ihren Banden erlösen. Doch merke genau auf meine Worte: es möge folgen, was da will, so laß das Horn nicht aus deinen Händen, bis ihr alle dies Gehege verlassen habt; denn der Zauber, wenn auch gelöst, würde dich aufs neue umschlingen, sobald dich die Kraft des Hornes nicht mehr schützte. Beherzige ja diese Worte,« sagte die Fee nochmals, und setzte mit trauriger Miene hinzu: »Ach, und doch sagt mir eine Ahnung, daß du meine Warnung nicht ganz beachten und dich ins Unglück stürzen wirst!«
Mit den feierlichsten Danksagungen versprach der Einarm, die Vorschriften der gütigen Fee genau zu beobachten. Sie aber schüttelte seufzend das Haupt und verschwand. Kaum graute der Morgen, so machte sich der Einarm vermittelst der geheimen Kraft des Halsbandes auf den Weg nach jener Höhle, und erreichte sie, als die hochstehende Sonne die scheußlichen Kobolde, die sie bewachten, in tiefen Schlaf versenkt hatte. Der Einarm band den Hund an einen Baum fest, stellte sein Gewehr daneben, und ging getrost auf ein Felsentor zu, das sich seinen Blicken darbot. Doch kaum war er hineingetreten, so fesselte ihm fast der Schrecken den schon aufgehobenen Fuß, um hindurchzugehen. Rechts und links lagen zwei Untiere und glotzten ihn mit feurigen Augen an; der Gestalt nach waren es Tiger, doch hatten sie Fledermausflügel und Drachenköpfe, aus denen drei blutrote Zungen dem Eintretenden entgegenfuhren. Doch zur rechten Zeit erinnerte sich dieser an den Schlaf, der die Tiere befangen hielt, schritt mutig über sie hinweg, und ein dumpfes Grunzen war das einzige Lebenszeichen, das sie von sich gaben. Als der Einarm nunmehr sah, wie gefahrlos diese Tiere waren, so schritt er mutig vorwärts durch den Hof zu einem zweiten Tor, an dem andere Scheusale kauerten, und von dessen Gewölbe obendrein sich ungeheure Schlangen herabringelten, die bald mit ihren Köpfen die Erde berührten, sich bald wieder in die Höhe wiegten, den Eingang freilassend. Diesen Augenblick benutzte der Einarm und schlüpfte hindurch.
Jetzt sah er die Felsenburg, in welcher das Ungetüm schlummerte, vor sich liegen; doch war der Palast desselben nicht sehr geschmackvoll angelegt, sondern glich einem ungeheuren Felsblock, den man von allen Seiten umgehen konnte. Auch sah man weder Fenster noch Tür, und so sehr der Einarm herumspähte, fand er auch nicht die kleinste Spalte, durch welche er hätte in das Innere gelangen können. So schmucklos alle Wände dieser Höhle von außen waren, so hatte sie doch eine seltsame Verzierung, die aber dem Jäger sehr unheimlich vorkam. An einer Seite befand sich nämlich der ungeheure Kopf eines Drachen, der zwischen die Felsenmassen eingeklemmt zu sein schien, und der bald den blutroten Rachen öffnete, bald ihn wieder schloß, und dabei mit seinen feurigen Augen immerwährend den Bewegungen des Einarms folgte. Schon unzählige Male hatte dieser den Felsblock umkreist, ohne nur eine Spur zu finden, die auf einen Eingang hätte deuten können. Die Sonne hatte ihren höchsten Standpunkt verlassen und neigte sich abwärts, und die Tiere an den Toren, die bei seinem Eintritt wie erstarrt dagelegen hatten, begannen allerhand verdächtige Bewegungen zu machen, sich zu recken und zu dehnen, als wollten sie jeden Augenblick aus dem tiefen Schlaf erwachen. Schon fing's dem armen Jäger an, recht unheimlich zu werden, und er schwankte noch zwischen zwei Entschlüssen: ob er nämlich die Sache für heute ganz aufgeben solle, oder wieder hinausgehen, um Bello, den Hund, zu holen, der ihm den Eingang gleich würde gezeigt haben.
Wie er so nachdenkend noch einmal die Höhle umkreiste und wieder bei dem Drachenkopf vorbeikam, riß dieser gerade auf eine so entsetzliche Art den Rachen auf, daß er ihm bis tief in den Schlund sehen konnte, und plötzlich kam dem Einarm der Gedanke, daß dies am Ende gar der Eingang zur Höhle sei, und so schauderhaft dies war, so wurde es doch allmählich bei ihm zur Gewißheit. Anfangs sträubte sich seine menschliche Natur sehr dagegen, einem so scheußlichen Drachen geradezu in den Hals zu kriechen, aber da er einmal A gesagt, mußte B folgen, und er entschloß sich, das Abenteuer zu bestehen. Er paßte den Augenblick ab, wo das Ungetüm seinen Rachen so weit öffnete, daß die untere Kinnlade beinahe den Boden berührte, dann sprang er zwischen die Zähne, die so dick waren, daß er mit seinen beiden Armen keinen umspannen konnte und schlüpfte etwas tiefer hinein, doch war die Zunge des Ungetüms so glatt, daß er ausglitt und hinfiel, und da es zu gleicher Zeit stockfinster um ihn wurde, indem der Drache den Rachen wieder schloß, fing ihm seine Lage einigermaßen an sehr unbequem zu werden. Indes kroch er mutig zwischen den Zähnen weiter, wobei er sich sehr in acht nahm, von denselben nicht berührt und zermalmt zu werden. Jetzt hatte er das Ende der Zunge erreicht, von wo er bequemer hinabzukommen hoffte; doch, o Unglück! der Hals des Drachen verengte sich hier so plötzlich, daß er kaum mit dem Arm, geschweige denn mit dem ganzen Körper durchdringen konnte, wie er so ratlos und tatlos dasteckte, und die Mutlosigkeit und Verzweiflung schon ihre gierigen Fänge nach ihm ausstreckten, schwebte ihm plötzlich das Bild seines treuen Bello vor, dem einstens ein Stück Brot so im Halse stecken geblieben war, wie er heute dem Lindwurm. Dabei erinnerte sich der Einarm, daß er, um dem Hund zu helfen, mit seinem Finger das Brot und den Schlund des Tieres gedrückt hatte, wodurch die Muskeln des Halses in Bewegung gesetzt wurden und sich weit genug öffneten, um es hinabgleiten zu lassen. In Ermangelung eines Fingers, der ihm von außen helfen könne, fing deshalb der Einarm in seiner Angst selbst an, den Drachen ein wenig im Schlunde zu kitzeln und strampelte so gewaltig mit Händen und Füßen, daß dieses Manöver glücklich gelang. Zweimal setzte das Tier an, den tüchtigen Bissen hinabzuwürgen; der Hals öffnete sich und der Einarm stürzte hinab und sah sich plötzlich in eine dumpfe Felshöhle versetzt, die von einem blutroten Rubin, der an der Decke hing, matt beleuchtet wurde. Bei diesem Scheine sah der Einarm mit Freude, daß er am Ziele sei; denn in der Ecke des Gemachs lag der schwarze Ritter in Gestalt eines ungeheuren Riesen auf einem Ruhebett und schnarchte. Zwischen seinen Krallen hervor glänzte etwas, das der Einarm sofort für das silberne Horn erkannte; er näherte sich leise dem Riesen, ergriff die Schnur, an der das Wunderhorn befestigt war, und versuchte, es jenem leise aus der Hand zu ziehen.
Sowie der Dämon diese Bewegung spürte, öffnete er bewußtlos die Augen und wandte sich stöhnend auf die andere Seite. Seine Krallen versuchten, das Horn festzuhalten; doch der Schlaf schien ihm alle Kraft zu benehmen; der Einarm tat noch einen kräftigen Ruck und der mächtige Zauber war in seinen Händen. Jetzt seufzte der Riese noch einmal tief auf und zwar mit solchem Getöse, daß der Einarm meinte, das Gewölbe stürze über ihm zusammen, weshalb er sich beeilte, den Ort so rasch wie möglich zu verlassen. Doch so schwierig ihm vorhin der Eingang geworden war, so schien es ihm jetzt fast ganz unmöglich, einen Ausgang zu finden, und vergebens bemühte er sich, an der Wand das Loch wiederzufinden, zu dem er hereingekommen. Die Wände des Gemachs nämlich drehten sich wie toll im Kreise und mit solcher Schnelligkeit, daß das Ganze wie ein grauer Ring bei ihm vorbeischwirrte. Zuweilen glaubte er die Oeffnung zu sehen, doch wenn er hinzustürzte, erschien sie ihm wieder an einer anderen Seite.
Hätte er in seiner Jugend mit dem treuen Bello nicht hundertmal ein gleiches Spiel getrieben, würde es ihm wahrscheinlich nicht möglich gewesen sein, aus der Höhle des Riesen zu entrinnen; denn damals, als er noch ein kleines Kind war, machte ihm Bello eine Freude, wenn er sich wie ein Kreisel herumdrehte, und der Knabe versuchte dann, seinen Kopf oder seinen Schwanz zu fassen, worin er in kurzem eine große Fertigkeit erlangte.
Nachdem er aber trotz dieser Übung unzählige Male nach der Öffnung gehascht, war er endlich so glücklich, einen dunklen Fleck in der Felswand zu erreichen und sah zu seiner größten Freude, daß es eine eiserne Tür war, in der ein großer Schlüssel steckte. Rasch öffnete er das Schloß, die Tür sprang krachend auf und der Einarm befand sich mit dem silbernen Horn im Freien. Doch es war auch die höchste Zeit. Die Sonne neigte sich ihrem Untergange, und als er über die Tiere an den beiden Felstoren hinwegstieg, versuchten sie aufzuspringen, und da ihnen dies nicht gelang, schnappten sie wenigstens mit ihren blutroten Rachen nach ihm. Doch kam der Jäger glücklich hindurch zu seinem treuen Bello zurück, der freudig wedelte und an ihm emporsprang. Eilig wandelte er mit dem erbeuteten Schatze zwischen den Felsblöcken fort, die die Höhle des Ungetüms noch in einem weiten Kreise umgaben, und erst, als er sie eine gute Strecke hinter sich hatte, blieb er nach dem Befehl der Fee stehen, wandte sich um und stieß dreimal mit Macht in das Horn. Beim erstenmal schien ein gewaltiger Erdstoß die Felsen vor ihm zu erschüttern, in die größten Massen derselben rissen lange Spalten und kleinere Stücke stürzten mit lautem Gekrache hinab. Beim zweiten Ton des wunderbaren Hornes wiederholte sich der Erdstoß stärker und ein fürchterliches Sausen fuhr durch die Wipfel der Eichen, die Luft verfinsterte sich, und als der dritte Ton mächtig dahinschallte, schoß aus den schwarzen Wolken, die den Himmel bedeckten, ein blendender Blitzstrahl herab, zertrümmerte die Felsen zu feinem Staub, der qualmend in die Höhe fuhr, und riß in die Erde einen großen Spalt, aus dem eine hochlodernde Flamme emporstieg. Und dabei zuckte die Erde und barst an mehreren Stellen, bildete hier einen tiefen Schlund, hob dort einen Hügel auf, und man sah deutlich, daß zwei mächtige Wesen im Kampf begriffen waren. Doch die Königin der Feen siegte, die Spalten und Risse auf der Stelle, wo noch eben die Felsburg des bösen Zauberers gestanden hatte, vergrößerten sich immer mehr und bildeten bald eine große Vertiefung; die Flammen, welche anfänglich mit großer Gewalt gen Himmel fuhren, wurden kleiner und schwächer durch ungeheure Regengüsse, die unter fortwährendem Donner und Blitz vom Himmel herabströmten, und als sie in kurzem ganz verlöschten, drang ein stinkendes, trübes Wasser hervor, das im Verein mit den Regenströmen bald die ganze Vertiefung ausfüllte, und so die frühere Wohnung des Zauberers zu einem stillstehenden, schmutzigen See umwandelte.
Schaudernd betrachtete der Einarm diese Revolution zu seinen Füßen, und da er am Ende glaubte, der See könne noch weiter um sich greifen, die Erde zu seinen Füßen und ihn endlich mit hinabreißen, so wandte er sich zur eiligen Flucht und rannte zu seinem ersten Aufenthalt bei dem verzauberten Walde zurück, wo er sich eine Zeitlang ins Gras legte, um sich von den gehabten Schrecken und der großen Überraschung zu erholen; doch nicht lange duldete es ihn untätig, und er bedachte, daß jede Minute, die er zögerte, die schöne Prinzessin zu befreien, ein Raub an ihrem Leben sei, weshalb er sich rasch wieder erhob, vor das Gehege hintrat und einen leisen, sanften Ton aus seinem Horne lockte. Welch' anderes wundervolles Leben rief dieser Ton jetzt hervor, als jener vor der Wohnung des Zauberers. Die Sonne, die schon tief am Horizont stand, schien noch einmal mit erneuertem Feuer aufzuflammen. Ein leiser Wind führte wohlriechende Blüten herbei und streute sie rings auf den Rasen des Waldes. Die Äste der dichtverwachsenen Bäume lösten sich langsam auseinander, und da sich die Stämme derselben wie dünne Grashalme rechts und links zur Erde bogen, so sah er alsbald vor sich auf dem Platze die verzauberte Jagd in wunderbarer Erstarrung. Hier saß ein Jagdpage zu Pferde, den Falken auf der Faust, der schon die Flügel etwas gelüftet hatte, als wolle er eben auffliegen. Dort griff ein Jäger nach seinem Geschoß und ein anderer blickte sich erstaunt um; der Zauberer hatte ihn so, das Gesicht nach hinten gekehrt, zur Bildsäule erstarrt. Hier umgaben mehrere Damen einen weißen Zelter, auf dem die Prinzessin Amaranthe saß, doch konnte er ihr Gesicht nicht sehen; denn in dem Augenblick der Verwandlung war sie vor Schrecken rückwärtsgesunken und lag in den Armen ihrer Begleiterin, deren wallende Hutfedern das liebliche Gesicht verdeckten.
Aufs neue stieß der Einarm ins Horn und wie aus tiefem Schlaf erwachend, kam Leben in die starre Gesellschaft. Die Jagdpagen sahen sich überrascht an; die Falken schüttelten ihre Flügel und hoben die Köpfe; die Federn auf den Baretten der Damen bewegten sich im leisen Abendwind und mit einem tiefen Seufzer erwachte die Prinzessin und richtete sich langsam auf. Wenn auch der Einarm aus den wohlgelungenen Bildnissen der Prinzessin, sowie ihrer Mutter, schon genugsam das holde Gesicht der ersteren kannte, so übertraf die Wirklichkeit, wie er sie jetzt vor Augen sah, doch seine schönsten Träume. Die Prinzessin schlug die Augen auf, schaute sich um und schien verwundert, daß statt der finstern Nacht, in der sie sonst immer die Kraft des Hornes erweckt hatte, die herrliche Luft des schönsten Sommerabends sie umspielte. Überrascht sah sie ihre Umgebung an, die indessen ganz munter geworden war. Die Pferde, von dem langen Stehen ungeduldig, fingen an zu treten und in den Zügel zu beißen; die Hunde wedelten um die Jägerburschen herum, als wollten sie sagen: jetzt hat die Jagd lange genug gedauert, wir können wohl nach Hause ziehen; und ein gleicher Gedanke schien alle zu beleben. Die Pagen stießen ins Horn, und der Hofmarschall nahte sich der Herrin und bat um Erlaubnis, die Jagd nach Hause führen zu dürfen. Zu gleicher Zeit fiel der Blick der Prinzessin auf den Einarm, der vor Staunen und Überraschung sprachlos dastand, und kein Auge von der holden Erscheinung abwandte. Er begegnete ihrem Auge und dachte: »Jetzt wird dich die Prinzessin als ihren Retter erkennen und ihr Herz muß flugs für dich sprechen.« Schon wollte er eine rasche Bewegung vorwärts machen, um sich ihr zu Füßen zu werfen, da sah er mit Schrecken, wie die schöne Prinzessin voll Abscheu das Auge von ihm wandte, ihren Zelter herumwarf und dem Hofmarschall zurief: »Vorwärts, eilt, eilt! dort steht noch einer der Unholde und sein verwirrter, lauernder Blick scheint uns aufs neue verzaubern zu wollen.« Diese nicht sehr schmeichelhafte Rede wäre wohl imstande gewesen, einen andern, weniger verliebten Menschen wirklich verwirrt zu machen, wenn er sie von der Erkorenen seines Herzens hätte hören müssen. So etwas hatte sich der Einarm nicht träumen lassen, denn in seinem Eifer, die Prinzessin zu erlösen, hatte er sein entstelltes Gesicht und den fehlenden Arm ganz vergessen. Wie Seifenblasen zerplatzten seine schönen Träume, und wie das Wasser einem Ertrinkenden in den Ohren saust, so brauste ihm die Klausel vor den Ohren, daß er nur dann der Gemahl der Prinzessin werden solle, wenn sie ihn aus freien Stücken hierzu erwähle, und dazu schwanden alle Aussichten. Die Bewegung des armen Jägers, um sich ihr zu Füßen zu werfen, hatte die Prinzessin anders ausgelegt und, um dem Unholde zu entgehen, gab sie ihrem Zelter die Sporen und flog mit Windeseile in den Wald, umgeben von der ganzen Jagd, die ihre Furcht teilte und nicht gesonnen war, sich aufs neue verzaubern zu lassen. Sprachlos und entsetzt blickte ihr der arme Einarm nach und sein Schmerz war so groß, daß er die Lehren der gütigen Fee ganz vergaß und unwillkürlich das silberne Wunderhorn seiner Hand entgleiten ließ. Plötzlich verfinsterte sich die Luft, und der Wind, der vorhin so leicht gefächelt, fuhr jetzt brausend durch den Wald, jagte schwarze Wolken über seinem Haupte zusammen und riß mächtige Äste von den alten Eichen herunter. Bello, der Hund, fing laut an zu winseln und sprang fort. Auch der Jäger wollte ihm folgen, doch zu seinem größten Entsetzen fühlte er sich am Boden festgehalten. Es war ihm unmöglich, auch nur einen Fuß aufzuheben. Dann durchzuckte ein seltsames Gefühl seinen Körper, ihm war, als befalle ihn von unten herauf ein gewaltsamer Krampf. Jetzt wurden seine Finger unbeweglich und jetzt hörte sein Herz auf zu schlagen und in wenigen Augenblicken konnte er den Mund nicht mehr öffnen und kein Auge schließen. Es wurde finster um ihn und eine gänzliche Bewußtlosigkeit überfiel ihn. Er war in Stein verwandelt. Bello, der Hund, kehrte, als er seinen Herrn nicht nachkommen sah, in den Wald zurück, umlief mehrere Male das Steinbild und sprang dann heulend davon, der Jagd nach, die er auch vor dem Walde antraf. Die Jägerburschen, die glaubten, er gehöre zur großen Meute, koppelten ihn mit den andern Hunden fest und nahmen ihn mit.
Die Freude der ganzen Residenz und besonders des alten Königs, als die schöne Prinzessin bei einbrechender Nacht plötzlich mit ihrem ganzen Gefolge zurückkam, läßt sich nicht beschreiben. Der König weinte Freudentränen, das Volk beleuchtete die Stadt aufs glänzendste, und da der König in seiner Freude zum allgemeinen Gebrauch seine Keller öffnen ließ, wurde die Nacht in tollem Jubel und lauter Lust hingebracht. Natürlich erkundigte sich der König, welcher von den ausgesandten Rittern die Prinzessin errettet habe, und verwunderte sich nicht wenig, als diese keinen wollte gesehen haben. An den armen Einarm dachte er nicht mehr, und wenn er ihn auch nie für schön gehalten hatte, so konnte er doch unmöglich glauben, daß er jener Kobold sei, von dem die Prinzessin erzählte, und den sie in der Erinnerung an die ausgestandene Angst mit den fürchterlichsten Worten als das schrecklichste Scheusal beschrieb.
So geht es in der Welt. Wenn die Zitrone ausgepreßt ist, denkt niemand mehr an die Schale. Wie gesagt, der Einarm war vergessen, und wenn sich auch zuweilen der König an seinen trefflichen Schützen erinnerte, so ließen ihn doch die vielen Lustbarkeiten, die jetzt zu Ehren der wiedergefundenen Prinzessin angestellt wurden, nie einem solchen Gedanken lange nachhängen.
Zur Zeit der Trauer war der Hof wie die Residenz verlassen gewesen, aber jetzt, wo sich aufs neue Lustbarkeiten und Feste drängten, füllte sich die Stadt wieder von allen Seiten mit Fremden, die teils herbeikamen, das neuerwachte, frohe Leben mit zu genießen, teils ihre Hände zu allerhand kunstreichen Arbeiten anboten. So begab es sich auch eines Tages, daß drei lustige Gesellen, als sie von der wiedergefundenen Prinzessin und den vielen Festlichkeiten hörten, bei ihrem alten Meister nicht mehr bleiben wollten, sondern ihre Bündel schnürten, um nach der Residenz zu ziehen, wo sie hofften, ihr Glück zu machen. Der eine war seines Zeichens ein Gold- und Silberschmied, der zweite ein Steinmetz und der dritte ein lustiger Schneider. Alle drei hatten viel Mut im Leibe, aber dafür sehr wenig Geld im Beutel, weshalb sie die Wirtshäuser vermieden, und sich abends im Dickicht des Waldes ein Plätzchen aussuchten, wo sie die milde Sommernacht verschliefen. So hatten sie einen langen Marsch gemacht, um am folgenden Tage die Residenz noch zu erreichen, und schlenderten noch langsam ihren Weg daher, nach einem weichen Mooslager spähend, als der Schneider, der etwas abseits gegangen war, die Gesellen durch einen lauten Ausruf des Erstaunens zu sich rief. Eilig kamen sie herbei und sahen zu ihrer nicht geringen Verwunderung mitten im dichten Walde ein Steinbild stehen, das nur am Arm und an der Nase etwas verstümmelt war. In der einen Hand hielt die Bildsäule ein mit Gold und Silber sehr schön ausgelegtes Gewehr. Die drei Handwerksburschen wußten nicht, was sie von diesem Fund halten sollten, und es dauerte eine Zeitlang, ehe sie sich über den Wert der Statue gegenseitig dahin aussprachen, daß sie einen köstlichen Fund getan. Der Steinmetz umging das Bild vielmal und gestand, er habe nie eine so natürlich schöne und vollendete Arbeit gesehen; der Goldschmied betrachtete sorgfältig die eingelegte Arbeit des Gewehrs, und versicherte, er sei nicht imstande, eine ähnliche zu machen; nur der Schneider, der ebenfalls das Steinbild mit Kennermiene betrachtet hatte, kratzte sich hinter dem Ohr und behauptete, die Gewänder der Figur seien nicht nach dem neuesten Schnitt gemacht. Doch als ihm der Steinmetz erklärte, dies sei ein antiker Anzug, gab sich der Schneidergeselle zufrieden, denn im Antiken hatte er nie gearbeitet. Nachdem die Gesellen sich so den herrlichen Fund, welchen sie in der Einsamkeit des Waldes gemacht, angesehen hatten, beratschlagten sie, aus welche Art sie denselben zu ihrem Glücke verwenden könnten. Der Schneider meinte, man solle ein Bretterhaus um die Figur herum bauen und sie für Geld sehen lassen: ein Vorschlag, den die beiden andern verwarfen. Dagegen wurde beschlossen, die Figur von dem Steinblock, auf dem sie stand, herunterzunehmen, nach der Stadt zu führen und an den König zu verkaufen. Gesagt, getan!
Der Goldschmied und der Steinmetz nahmen ihre Werkzeuge hervor, und während ersterer die Silberarbeiten und Beschläge an dem Gewehr etwas zu putzen versuchte, begann der andere unter den Füßen der Statue an dem Steine zu hauen; aber vergebens. Obgleich er in seinem Handwerk wohlerfahren war und den Meißel und Hammer zu führen wußte, brachte er doch von dem harten Stein auch nicht das kleinste Stückchen los. Der Schneider, der dabeistand und den Arbeiten der beiden behaglich zusah, fing schon an, seine witzigen Bemerkungen über die stumpfen Instrumente des Steinmetz zu machen, als dieser, dem der Schweiß von der Stirn troff, mit einem lauten Fluch seine Arbeit einstellte und behauptete: der Stein sei gar nicht zu behauen.
Nachdem sie alle drei eine Zeitlang sich über diese seltsame Steinart verwundert hatten, kam endlich der Schneider, dem es nie an guten Einfällen gebrach, auf die Idee, den Stein etwas mit Wasser zu benetzen, wodurch er vielleicht nachgiebiger würde. So sehr der Steinmetz anfangs diesen Vorschlag als unnütz verwarf, so ließ er endlich doch den Schneider gewähren, der in den Ranzen der Drei Gesellen nach einem Gefäß suchte, in das man bei einer Quelle, die sich auch wohl finden würde, Wasser schöpfen könne. Doch fand er weder Glas noch Flasche; denn da das Kleeblatt seinen Durst gewöhnlich an den Brunnen der Dörfer löschte und kein Geld hatte, um eine Flasche mit köstlichem Weine füllen zu lassen, so hielt es auch die leeren Gefäße mit Recht für sehr unnütz und hatte sich nicht damit versehen. Der Schneider indes, der sein Wasserprojekt nicht gern wollte zu Wasser werden lassen, suchte vorab nach einer Quelle, die sich auch bald zwischen den Gesteinen fand. Er schöpfte seine beiden Hände voll; doch da er sehr lange, dürre Finger hatte, lief alles zwischen durch, und er brachte wenig auf den Platz. Auch sein Hut, den der unermüdliche Schneider vor langen Jahren als wasserdicht gekauft hatte, wurde untersucht, fand sich aber so schadhaft, daß sich unmöglich ein Tropfen Wasser darin halten konnte. Mit den Stiefeln der drei Gesellen wär's nicht besser gegangen; doch wollte der Nadelkünstler noch einen Versuch mit seiner Kopfbedeckung machen und trollte sich zu der Quelle. Aber kaum hatte er einen Schritt getan, als er sich mit lautem Freudenruf zur Erde bückte, und den beiden andern ein schönes blankes Horn zeigte, das er in dem hohen Grase gefunden. Überrascht betrachteten alle den schönen Fund, und als der Goldschmied erklärte, daß es pures Silber sei, priesen sie laut das Glück des Schneiders. Dieser untersuchte seinen Fund genauer und setzte das Horn an den Mund, um einen Ton daraus zu blasen; aber das wollte ihm nicht gelingen. Nachdem er sich über sein Glück sattgefreut hatte, dachte er wieder an sein Projekt, ging mit dem Horn zur Quelle und brachte es, mit Wasser angefüllt, zurück. Darauf begann er den Stein zu besprengen und lud den Steinmetz ein, noch einmal seine Arbeit zu versuchen. Dieser wollte anfänglich nicht, ließ sich aber endlich bereden und nahm von neuem Meißel und Hammer zur Hand. Und siehe, der Stein, der früher felsenhart war, hatte sich ganz erweicht, und bei den kräftigen Hieben des Steinmetzen flogen die Stücke davon, daß es eine Lust war, anzusehen. Der Schneider war stolz auf seinen Einfall, ohne zu ahnen, daß es nur die Kraft des wundervollen Hornes sei, die den Zauber des Steins gelöst und dem Gesellen die Arbeit so leicht gemacht hatte. Dem war aber ein Werk nie so rasch von statten gegangen. Es war, als regiere eine unsichtbare Gewalt seinen Hammer, und in ganz kurzer Zeit hatte er den Stein, auf dem die Figur stand, so weit behauen, daß es nur noch einer kleinen Mühe bedurfte, um sie ganz herabzunehmen. Doch war es unterdessen dunkel geworden, die Gesellen verzehrten ein Stück trockenes Brot, das sie noch bei sich hatten, tranken dazu das frische Quellwasser aus dem silbernen Horn und wurden dadurch in kurzer Zeit so munter, als hätten sie den stärksten Wein genossen. Besonders wußte sich der Schneider vor Lustigkeit nicht zu fassen und tanzte den andern eine Sarabande vor, bis er erschöpft auf die Nase fiel und bald darauf einschlief.
Kaum graute der Morgen, so waren die drei munter und begannen aufs neue an dem gestrigen Werk zu arbeiten. Da sie die Statue so verstümmelt, wie sie war, doch nicht gut verkaufen konnten, so beschloß der Steinmetz, seine ganze Kunst zusammenzunehmen und dem Bild eine neue Nase, sowie einen andern Arm einzusetzen. Er ging frisch ans Werk, und hatte er sich gestern schon über die Schnelligkeit gewundert, mit der ihm alles von statten ging, so konnte er sich heute vor Verwunderung nicht fassen. Sobald er ein passendes Felsstück, aus welchem er einen Arm und eine Nase meißeln wollte, mit dem Wasser aus dem Horn besprengt hatte, wurde es weich wie Wachs, ja, formte sich fast von selbst, und kaum hatte er einige Stunden gearbeitet, so war er mit dem Werke, wozu er sonst mehrere Monate gebraucht hätte, fertig. Auch war ihm nie etwas so gut gelungen, und er mochte seine Arbeit von allen Seiten ansehen, er fand nichts daran zu tadeln. Die ganze Bildsäule war aber auch von so edlen Formen, von so schöner Gestalt, wie man sie nur sehen konnte; selbst das Gesicht hatte durch die neue Nase einen so angenehmen, überaus edlen Ausdruck bekommen, daß der Geselle vor seinem eigenen Werk erstaunte. Jetzt blieb nichts anderes mehr zu tun, als einen Wagen herbeizuschaffen, auf welchem man die Bildsäule nach der Stadt führen konnte, um sie dem König zu verkaufen. Nach einiger Überlegung beschlossen die drei, den Schneider, der am wenigsten gearbeitet und dabei die flinksten Beine hatte, nach der Stadt zu schicken, dort das gefundene silberne Horn zu verkaufen und aus dem gelösten Geld einen Wagen mitzubringen. Und so taten sie. Der Schneider nahm den Weg zwischen die Füße und schritt so tapfer darauf los, daß er noch vor Sonnenuntergang die Stadt erreichte. Das silberne Horn hatte er natürlich an sich gehängt. Wenn Leute an ihm vorbeikamen, so nahm er es in die Hand und ließ es im Sonnenglanz spielen, damit man seinen Reichtum bewundern sollte. So tat er auch, als er an die Torwache kam. Die Soldaten, die da standen, staunten das schöne Stück an und fragten ihn: »Woher des Wegs?« Aber weil man damals noch keine Pässe nötig hatte, so glaubte der Schneider auf diese Frage nicht antworten zu müssen, sondern wollte die Soldaten mit einer vornehmen Antwort abfertigen, als der Kommandant der Wache, ein alter Soldat mit einem ungeheuren Schnurrbart, hervortrat und den leichten Schneider beim Kragen in die Stube zog. Hier begann er ihn zu examinieren und wollte durchaus wissen, woher der Schneider das Horn habe. Und da dieser sehr patzig tat und nicht antworten wollte, ließ jener ihn mit zwei Soldaten in das königliche Schloß bringen; denn beim Anblick des Horns hatte er gleich an das verlorengegangene der Prinzessin gedacht. So lustig der Schneider anfangs war und so laut er über die Ungerechtigkeit räsonnierte, daß man einen harmlosen Wanderer anhalte, so wurde er doch immer kleinlauter, je näher er an die königliche Residenz kam. Er hatte sich das Schloß ungefähr vorgestellt, wie das Stadthaus an seiner Vaterstadt, wo er zuweilen wegen nächtlichen Straßenunfugs oder zulange dauernden blauen Montags vor den regierenden Bürgermeister zitiert wurde. Da hatte er die beiden Stadtmilizen, die vor der Tür lungerten und Wache taten, beständig geneckt und gefoppt; aber hier wagte er die riesenhaften Kerle mit langen Spießen, die vor dem ungeheuren Gebäude auf und ab spazierten, gar nicht einmal anzusehen. Sein Blick senkte sich zur Erde, um die Füße zu beobachten, die auch gar nicht mehr im festen leichten Takt daherhüpften, sondern immer schwerfälliger und matter wurden, je mehr sie sich dem Haupttore näherten. Der Schneider wurde in ein kleines Gemach geführt, das man von außen verschloß und in dem man ihn allein ließ. Er hatte noch nicht lange hier gewartet, als sich eine andere Türe öffnete und der König allein hereintrat. Der Schneider, sobald er die majestätische Gestalt, den langen Bart und die goldene Krone erblickt hatte, stürzte auf seine Knie nieder und all sein Mut hatte ihn gänzlich verlassen. Der Monarch hieß ihn aufstehen, ließ sich von ihm das silberne Horn reichen und da er es mit Freuden für dasjenige seiner Gemahlin erkannte, ließ er sich von dem Schneider, der dachte, daß es hier am besten sei, die reine Wahrheit zu sagen, die ganze Geschichte erzählen, wie sie das Horn gefunden, wie sie damit die Bildsäule, der die Nase und ein Arm gefehlt, besprengt, und wie sein Geselle, der Steinmetz, die fehlenden Teile aufs künstlichste wieder ersetzt habe. Der König konnte sich kaum von seinem Erstaunen erholen und dachte gleich, daß es der unglückliche Einarm sei, dessen Treue und Mut die Prinzessin errettet habe und der nun dafür selbst dem bösen Zauber verfallen sei.
Da der König ein sehr vernünftiger Mann war, man auch in damaliger Zeit, wenn einer sich durch Mut oder Tapferkeit ausgezeichnet hatte, nicht so sehr auf den Unterschied der Stände sah, so dachte die Majestät gleich daran, den armen Einarm durch die Hand der schönen Prinzessin glücklich zu machen, gesetzt, daß sie ihn zum Gemahl annehmen wolle. Doch hatte in dem Punkt der Meister Steinmetz die bedeutendsten Schwierigkeiten bei Seite geräumt. Am folgenden Morgen ließ der König in aller Stille mehrere Pferde satteln, belud einige mit köstlichen Kleidern und Waffen und befahl ein paar Vertrauten, sowie dem Schneider, ihm nach dem Walde zu folgen. Als sie im Hofe aufsitzen wollten, kam gerade der Koppelmeister daher und führte die Hunde des Königs spazieren. Alle diese Tiere waren lustig und sprangen munter herum, bis auf einen einzigen, der die Ohren hängen ließ und trübselig daherschlich. Sobald dieser letzte den König erblickte, der sich eben mit dem silbernen Horn zu Pferd schwingen wollte, brach er in ein so lautes anhaltendes Geheul aus, daß alle Anwesenden aufmerksam wurden. Selbst der König sah hin und erkannte plötzlich in dem Hund den treuen Bello. Er ließ ihn sogleich von der Koppel losmachen, nahm ihn mit zum Tore hinaus, und als sie den Wald erreicht hatten, sprang das Tier in lustigen Sätzen durch Dick und Dünn, daß ihm die Reiter kaum folgen konnten. Besonders mußte der Schneider, dem das Reiten etwas sehr Ungewohntes war, zum Sattelknopf seine Zuflucht nehmen, um bei den gewaltigen Sätzen, die der Renner mit ihm über Hecken und Gräben machte, nicht in den Sand zu purzeln.
Indessen hatten die beiden Gesellen im Walde sich die Zeit so gut vertrieben wie möglich. Schon hundertmal hatten sie den Gewinn berechnet, den sie aus dem Gewinn der Bildsäule und des silbernen Horns lösen würden, und darauf die glänzendsten Lustschlösser gebaut. Sie waren darüber her, an der Bildsäule noch etwas zu putzen und zu reinigen und der Goldschmied, der gerade zu den Füßen der Statue auf einem Steine saß, berechnete seinem Gefährten, der sich mit dem Arm an die Figur lehnte, wieviel ihnen schon an sich das überaus zierliche Gewehr einbringen würde, als sie plötzlich fern her im Walde den Ton eines Horns vernahmen, der so überaus fein und lieblich klang, wie sie nie etwas gehört. Der Wind, der früher etwas heftig durch den Wald gerauscht, hielt plötzlich ein und ein Duft von wohlriechenden Blüten schwamm in der Luft, als seien sie von lauter Rosen- und Liliengärten umgeben. Doch während die Gesellen noch dastanden und nicht wußten, wie ihnen geschah, und an ihr Herz griffen, das von dem hellen, klaren Tone sonderbar bewegt wurde, fühlte der Steinmetz auf einmal, daß sich das leblose Steinbild zu bewegen anfange. Er sprang mit einem lauten Schrei auf die Seite, und sein Gefährte, der in die Höhe sah, stürzte der Länge nach ins Gras, als er bemerkte, daß die Figur langsam die Augen öffnete. Wenn der Schneider in diesem kritischen Augenblick dagewesen wäre, würde er davongelaufen sein, so weit ihn seine Beine tragen konnten. Doch die beiden andern Gesellen, die eben keine Feiglinge waren, sprangen wohl entsetzt auf die Seite, blieben aber doch hinter einer dicken Eiche stehen, um zu erschauen, was sich da begeben würde. Das Steinbild hatte jetzt die Augen geöffnet und auf dem grauen Gesicht stiegen helle, frische Farben auf; der Mund öffnete sich, die Figur seufzte tief auf, bewegte dann langsam Arme und Beine, sah sich erstaunt rings um und stieg endlich, zu einem schönen, jungen, lebendigen Menschen umgewandelt, von dem Steine herunter und setzte sich, wie es schien, ermüdet ins Gras.
Jetzt kamen die Töne des Horns näher, und die beiden Gesellen sahen hinter ihrem Baume, wie das frühere Steinbild aufmerksam dahin lauschte, sahen jetzt mehrere Reiter zwischen den Bäumen erscheinen, von denen der erste eine goldene Krone auf dem Kopfe trug und das silberne Horn, das gestern der Schneider gefunden, in der Hand hielt. Die Figur sprang empor, stürzte dem Könige mit der Krone entgegen, und dieser stieg augenblicklich vom Pferde, um jenen auf das Zärtlichste zu umarmen. Der Schneider, der sich so lange tapfer auf seinem Pferde gehalten hatte, erschrak nicht wenig, als seine beiden Freunde verschwunden waren und er sehen mußte, daß die steinerne Figur, die er gleich wieder erkannte, lebendig geworden war. Bei diesem Schrecken vergaß er den Sattelknopf festzuhalten und stürzte mit lautem Geschrei von dem hohen Pferde herunter, worauf die beiden hinter dem Baum auf ihn aufmerksam wurden, und, als sie das Schneiderlein erkannten, obwohl noch zagend und zitternd, hervorkamen. Der König empfing sie sehr gnädig und ließ sich vom Einarm, der nun nicht mehr der Einarm war, die wunderbare Geschichte von der Errettung der Prinzessin erzählen; darauf wurden dem Einarm die köstlichen Kleider und Waffen, die der König mitgebracht hatte, gereicht, und er trat mit dem Schneider in das Gebüsch, der ihm beim Umkleiden behilflich sein sollte. Doch hatte der Geselle noch nicht alle Angst verloren, und untersuchte jedes Stück von der alten Kleidung, das der schöne Jäger ablegte; er konnte sich auch nicht enthalten, während des Ankleidens ihn an dem linken Arm und beim Umbinden des Halstuches an die Nase zu tupfen, und mußte sich höchlichst verwundern, daß diese beiden Teile, die doch sein Geselle, der Steinmetz, gemacht, ebenso frisch und warm waren, wie der ganze übrige Körper. Bello, der Hund, der sich sehr freute, seinen Herrn wieder gefunden zu haben, sprang freudig um ihn herum und erschwerte dem Schneider sein Geschäft, indem er ihm hier und da zwischen die Beine lief.
Der König hatte einen seiner Vertrauten in die Stadt zurückgeschickt, der es der Prinzessin ansagen mußte, daß man ihren Erretter gefunden, welchen der König, wenn sie anders nichts dagegen hätte, zu seinem Eidam annehmen würde.
Endlich trat der Jäger umgekleidet zur Gesellschaft und alle erstaunten über seine schöne und edle Gestalt. Der König überreichte ihm das silberne Horn, das nebst so vielen wunderbaren Eigenschaften auch die hatte, gleich dem Gürtel der Venus, sich alle Herzen geneigt zu machen. Die Pferde wurden vorgeführt und alle, mit Einschluß der drei Handwerksburschen, stiegen auf und ritten nach der Residenz zu. Dort hatte indessen der vorausgesandte Bote alles in größten Alarm gebracht, selbst das Herz der Prinzessin schlug schneller und war in einer seltsamen Aufregung; denn obgleich dasselbe noch frei war, und kein geliebtes Bild bei sich aufgestellt hatte, so war ihr doch die Nachricht, in einigen Stunden vielleicht die Gemahlin eines ganz fremden Mannes zu sein, etwas überraschend, ja beängstigend, und man kann das keinem Mädchen übelnehmen. Trotzdem schmückte sie sich aufs beste und trat auf den Altan hinaus, wo sie auch bald in der Ferne eine Staubwolke aufsteigen sah, die immer näher kam.
Nach kurzer Zeit ritt der König in den Hof, der Oberzeremonienmeister sprang herzu und hielt ihm den Steigbügel und der Oberforstmeister leistete denselben Dienst seinem früheren Untergebenen, denn einerseits die schöne Gestalt des jungen Jägers und anderseits die Kraft des Wunderhorns imponierten dem alten Herrn, sowie dem ganzen Hofgesinde, das zu allen Türen und Fenstern heraussah, gewaltig. Auch auf das Herz der sonst so spröden Prinzessin übte diese Gewalt einen lieblich erwärmenden Zauber; denn sobald der König ihr den schönen jungen Mann vorstellte, schlug es heftig und flüsterte leise, daß der Papa doch keine schlechte Wahl getroffen habe. Wenn sie es ihrem Erretter auch nicht gleich ins Gesicht sagte, so gab doch ihre Verwirrung und ihr Erröten dem entzückten Jäger deutlich zu verstehen, daß sie sich die acht Tage Bedenkzeit nur zum Scheine ausgebeten hatte. Das nahm der König denn auch so an und ließ großartige Vorbereitungen zu einer glänzenden Hochzeit treffen, wobei die drei Gesellen vollkommen beschäftigt wurden. Der Schneider, der viel auf Titel hielt, wurde Oberhofkleiderkünstler und mußte die Gewänder herrichten lassen; dem Goldschmied wurden große Gold- und Silberbarren übergeben, woraus er mit Hilfe vieler Gesellen eine Menge goldener Gefäße und Ringe verfertigen mußte, und der Steinmetz wurde fortan Herr Hofbaumeister genannt und blieb von den Dreien am meisten in der Gunst des Herrn stehen; denn obgleich es den Großen im allgemeinen nicht angenehm ist, wenn man ihnen eine Nase dreht, so hatte doch der Steinmetz dem königlichen Schwiegersohn durch diese Tat einen großen Dienst geleistet. Nach Verlauf der acht Tage gab die Prinzessin Amaranthe ihr Jawort, das Beilager wurde mit großer Pracht und Herrlichkeit gefeiert, und das schöne Paar lebte glücklich bis ans Ende seiner Tage.«
Hier schloß der Franke seine Erzählung, von der seine Zuhörer sehr befriedigt waren. Auch der Emir el Hadsch hatte auf ein Stündchen seine kritische Lage vergessen, und dankte dem Fremden für seine schöne Geschichte.
»Doch jetzt, meine Freunde,« nahm der alte Mann nach kurzem Stillschweigen das Wort, »ist es Zeit, daß wir uns trennen. Der Morgen dämmert bereits empor, deshalb geht mit Gott nach euren Zelten.«
Alle erhoben sich und folgten diesem Rate. Der Emir el Hadsch ging nachdenkend nach seinem Zelte. Er war sehr mißgestimmt, und malte sich die unangenehmen Folgen, die der Einbruch der Araber für ihn haben konnte, mit den schwärzesten Farben. Auch wollte es ihm gar nicht aus dem Sinn kommen, daß der Araberstamm des Schechs Almansor auch in jene Verschwörung mit verwickelt sein sollte, und er dachte beständig an die Worte Hassans, daß jener junge Araber möglicherweise doch ein Spion sein könne. Ach, er war wirklich zwischen mehrere Feuer geraten, und im Fall sich die Araber zwischen ihn und Kairo warfen, war er notgedrungen, ihren Befehlen Folge zu leisten, da er sich gegen die Übermacht nicht wehren konnte.
Unter diesen trüben Gedanken näherte er sich seinem Zelte und war nicht wenig erstaunt, als er von dorther lauten Wortwechsel und das Klirren von Schwertern vernahm. Eilig näherte er sich und erkannte Hassans Stimme, der mehrmals die Worte rief: »Haltet ihn auf, haltet ihn fest! Im Namen des Herrn! Er hat's befohlen!« Und dann hörte er wieder aufs neue Schwerter klirren und sah jetzt hinter seinem Zelte einen Trupp Menschen und unter ihnen Hassan, die auf einen Beduinen eindrangen, welcher mit dem Rücken gegen sein Pferd gelehnt stand und mit dem Säbel in der Faust die Andrängenden von sich abwehrte.
»Was gibt's hier?« rief der Emir seinem Haushofmeister zu. »Was habt ihr mit jenem Manne?«
»Ach, Herr,« entgegnete Hassan atemlos, ohne aber von jenem einen Blick zu verwenden, »es ist derselbe Mensch, o Herr, der heute morgen die Depeschen überbrachte, und den wir heute nacht durch das ganze Lager schleichen sahen und darauf hier bei deinem Zelte antrafen. Wir riefen ihm zu, er solle Rede stehen, doch gab er keine Antwort, sondern versuchte es, sich auf sein Pferd zu schwingen und zu entkommen, und da habe ich es denn für nötig erachtet, deinen Wachen, o Herr, zu befehlen, daß sie ihn festnehmen.«
In einem andern Augenblick würde der Emir dies Betragen seines Dieners gemißbilligt haben, doch jetzt, wo sein Herz gegen alle Beduinen, besonders aber gegen diesen jungen Mann, eingenommen war, rief er ihm, während er näher trat, mit lauter Stimme zu, er solle die Waffen niederlegen und sich ergeben, »sonst muß ich,« setzte er hinzu, »von meiner Macht Gebrauch machen und dir die rechte Hand abhauen lassen, weil du es wagst, im Umkreis meines Gezelts den Säbel zu entblößen.«
Kaum hörte der junge Mann diese Stimme und sah den Emir, als er seine Waffen sinken ließ und auf ihn zutrat.
»O Herr,« sprach er, »glaube ja nicht, daß ich aus Übermut in der Nähe deiner Person die Waffen gebrauchte; doch wurde ich durch diese da überfallen und gezwungen, mich zur Wehr zu setzen. Beschließe über mich, o Herr, was du willst, ich bin deinen Befehlen unterworfen!«
Der Emir stand einen Augenblick unschlüssig da, und war schon im Begriff, dem jungen Mann zu erlauben, sich zu entfernen, als Hassan ihm zuflüsterte: »O Herr, bei der Gnade des Propheten fleht dich dein Knecht an, diesen jungen Mann festzuhalten! Er ist keiner der Geringsten aus dem Stamme Almansors, und kann vielleicht für seinen Schech als Geißel dienen. Auch hat er dir heute morgen die Unwahrheit gesagt, denn ein anderer Reitender, der diesen Abend während deiner Abwesenheit ankam, brachte neue beunruhigende Nachrichten aus Kairo, und versicherte, daß es hauptsächlich jener mächtige Araberstamm sei, der als Mittelpunkt der ganzen Empörung zu betrachten sei.«
Durch diese Worte seines Haushofmeisters aufs neue beunruhigt, befahl der Emir dem jungen Manne, seinen Säbel abzugeben, was dieser auch stillschweigend tat. Er übergab ihn hierauf einigen seiner Mameluken, mit dem Geheiß, ihn in ein Zelt zu bringen und genau zu bewachen.
Nach diesen Vorfällen verbrachte der Emir eine äußerst schlaflose und traurige Nacht. Welchen Beschluß hatte er am andern Morgen zu fassen? Sollte er die Karawane weiter gen Mekka vorrücken lassen, und mußte er alsdann nicht befürchten, in den nächsten Tagen von streifenden Araberhorden, die auch schon um den Aufstand ihrer Brüder wußten, ausgeplündert und vernichtet zu werden? Sollte er dagegen nach Kairo zurückkehren, so mußte er befürchten, daß ihm die Araberstämme, welche sich auf dieser Seite befanden, in den Weg treten und ihn aufhalten würden. So wälzte er sich schlaflos auf seinem Lager umher, und als er beim Anbruch des Tages kaum eine halbe Stunde unruhig geschlummert hatte, wurde er von Hassan mit der Nachricht geweckt, daß sich draußen abermals ein Reitender aus Kairo befinde, der ihm neue Nachrichten mitzuteilen habe.
Der Emir ließ ihn eintreten, und der Mameluke, dem man an seiner bestaubten und zerrissenen Kleidung deutlich ansah, daß er einen langen und schnellen Ritt gemacht, verbeugte sich vor dem Emir und überreichte ihm einen Ferman seines Großherrn, worin ihm dieser bei seinem Zorn befahl, augenblicklich nach Kairo zurückzukehren. Als der Emir dies gelesen, sagte der Mameluk: »Ich versichere dich, o Herr, wenn mich die Gnade des Propheten nicht beschützt hätte, würde ich nicht haben bis zu dir gelangen können, denn kaum eine starke Tagereise von hier gen Kairo lagern mächtige Araberstämme, weit auf der Wüste ausgebreitet, von denen ich, sobald sie meiner ansichtig wurden, ergriffen ward. Sie brachten mich vor ihren Schech, und ich befürchtete schon mein Leben zu verlieren; doch kaum hatte ich ihm deinen Namen genannt, o Herr, und daß ich zu dir geschickt sei, als er mich sogleich weiterziehen ließ und mir noch obendrein einige Reiter zur Bedeckung mitgab. »Bringe dem Emir el Hadsch meinen Gruß,« sprach er beim Abschiede, »und sage ihm, Schech Almansor sei es, der dich zu ihm schicke und der ihn bitten lasse, mit der Karawane nicht von der Stelle zu rücken, weder vorwärts noch rückwärts.«
Der arme Emir befand sich wirklich in einer peinlichen Lage. Sollte er dem Befehl seines Herrn gehorchen und umkehren? Was konnte ihm das helfen? Denn es war nur zu gewiß, daß ihn die Araber aufhalten würden; auch war er viel zu schwach, um sich den Durchgang zu erzwingen. Der Mameluke, der die Botschaft gebracht hatte, bat, sich entfernen zu dürfen und begab sich nach erhaltener Erlaubnis augenblicklich ins Lager.
Unterdessen war der Tag herangebrochen, und der Emir, der nichts Besseres zu tun wußte, ließ der Karawane seinen Befehl verkünden, auch heute noch einen Ruhetag zu halten. Wenn dieser Befehl gestern mit einer allgemeinen Freude war empfangen worden, so wurde er dagegen heute minder gut aufgenommen.
»Was will der Emir el Hadsch?« rief das unruhige Volk. »Sollen wir unsere Vorräte hier verzehren, um am Ende der Reise Hungers zu sterben?« – »Es ist sehr schlimm,« sagten die klügeren Männer sowie die, zu deren Ohr schon die Kunde vom Überfalle der Araber gedrungen war, »es ist schlimm und nicht weise gehandelt vom Emir,« sagten sie; »anstatt hier liegen zu bleiben, sollte er uns eilig gen Mekka führen, denn dort könnte er in aller Ruhe den Verlauf der Dinge abwarten.« Am meisten aber schrien und lärmten die jungen und reichen Türken, die sich hier zur Untätigkeit verdammt sahen, während sich in Kairo ihre Brüder im Kampfe gegen die Araber Lorbeeren verdienen konnten, kurz, das ganze Lager war in einer schlimmen Aufregung, und mehr als einmal im Laufe des Tages erschienen ältere Männer aus dem Volke, um den Emir wegen seines ferneren Vorhabens zu befragen. Doch dieser machte es wie die meisten vornehmen Herren in solchen kitzlichen Fällen und war für niemanden zu sprechen.
So verfloß auch dieser Tag, und der Emir, dem heute mehr als je darum zu tun war, die Stimmung des Volkes zu erfahren, legte die schlechten Kleider an, die er gewöhnlich bei solchen Ausgängen zu tragen pflegte, und begab sich ins Lager zu seinem alten Freunde, den er auch wie immer mit seinen jungen Begleitern am Feuer sitzend fand. Nach dem Gruße des Friedens brachte der Emir gleich das Gespräch auf die Gerüchte von den Überfällen der Araber, worauf der alte Mann mit leiser Stimme versicherte, er wisse bestimmt, daß sich der Emir el Hadsch in einer sehr üblen Lage befände. »Es ist eine schlimme Zeit für den Herrn,« sagte er, »und ich möchte nicht in seiner Haut stecken! O, wenn er nur gute Freunde hätte, die ihm die Größe der Gefahr, in der er schwebt, so recht darstellen könnten. Denn siehst du, Herr, viele im Lager kennen wohl den Befehl des Kalifen, daß er sich mit der Karawane nach Kairo zurückbegeben soll; auch sehen die klugen Leute wohl die Unmöglichkeit ein, dem Befehl Folge zu leisten und geben dem Emir recht, daß er ruhig bleibt, wo er ist. Andere aber, und besonders die Mehrzahl der fanatischen Derwische, schreien und toben, man müsse dem Kalifen blindlings gehorchen. Diese letzteren sind noch obendrein aufgereizt durch jenen Mameluken, der dem Emir heute morgen die letzte Botschaft überbracht und der, wie ich aus sicherer Quelle weiß, auch dem Oberhaupt der Derwische einen Befehl des Kalifen zustellte des Inhalts, daß er genau auf den Emir achthaben und im Falle der letztere den Befehl des Kalifen nicht augenblicklich befolge, alle ihm gutdünkenden Schritte tun solle. Ich weiß nicht, wie unser Herr, der Emir el Hadsch, gegen den Kalifen denkt, aber man will behaupten, daß er in seinen Gezelten einen vornehmen Araber aus dem Stamme Almansors bewahre, mit dem er in Unterhandlung stehe. Der Prophet möge ihn schützen und erleuchten und ihn bewahren, daß er nicht in die Hände der Derwische fällt; denn nötigenfalls würde das Oberhaupt derselben in der Karawane wohl einen Mann zu finden wissen, der mit Gift oder der seidenen Schnur umzugehen weiß.«
Bei diesen Nachrichten erschrak der Emir el Hadsch so heftig, daß er erblaßte und in eine Bewegung verfiel, die den alten Mann aufmerksam machte. Auf die Frage desselben entgegnete er: »Es ist wahr, das Schicksal, welches unserm Herrn, dem Emir el Hadsch, bevorsteht, hat mich tief erschüttert, denn ich habe unter seinen Dienern einen Bruder, den ich zärtlich liebe und der bei einem Unglück, das den Herrn beträfe, auch mit zugrunde gehen würde. Sagt mir aber, was würdet Ihr dem Emir für einen Rat geben, wenn Ihr dazu aufgefordert würdet?«
»Das ist eine schwer zu beantwortende Frage,« entgegnete der alte Mann, »da ich nicht weiß, wie der Emir gegen den Kalifen denkt. Hat er keinen besonderen Anlaß, ihn zu lieben,« setzte er leiser hinzu, »so wird er es vielleicht machen wie ein großer Teil des Volkes – ihr sollt schon sehen. Er wird sich dann mit den Arabern verbinden und dem gütigen Prinzen Almansor behilflich sein, den Thron seiner Väter zu besteigen. Doch lassen wir von diesen Gesprächen ab, denn solch ein unbedachtsames Wort könnte den Kopf kosten. Was sollen wir uns auch in diese Sache mischen, welche die großen Herren angeht? Wenn es euch dagegen genehm ist, will ich euch noch ein kurzes Märchen erzählen, das mir gerade eingefallen ist.«
Die jungen Leute stimmten dem alten Manne freudig bei, und auch der Emir, der wohl fühlte, daß ihm eine augenblickliche Zerstreuung wohl nottäte, erklärte sich sehr bereit, zuzuhören, worauf der Alte wie folgt begann: