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Achtzehntes Kapitel.
Im Norden


Es ist wohl eigentümlich, hat aber seine guten Gründe, daß je mehr wir uns dem Norden nähern, wir um so besser die Einrichtungen finden, welche uns einen harten Winter erträglich machen, ja um so mehr im Stande sind, die strenge und strengste Jahreszeit angenehm und comfortabel zu verbringen. Wir, die wir in Deutschland so ziemlich in der Mitte Europa's stecken, finden dagegen in richtiger Wechselwirkung, daß je mehr wir uns dem Süden nähern, wir um so weniger Schutz haben. Wenn es zum Beispiel einmal dem italienischen Klima gefällt, mit etwas ungewohnter Kälte dreinzufahren, und wir, freilich nur auf Stunden, die Straßen von Florenz und Rom, ja die Berge um Neapel, selbst den alten feurigen Vesuv, mit einer leichten Schneedecke überzogen sehen, oder wenn wir da, wo gestern noch blühende Rosen waren, an Fontainen oder kleinen Bächen heute bei Sonnenaufgang glitzernde Eiszäpfchen bemerken; so ziehen wir uns wärmer an, als wir es zu Haus in Deutschland bei doppelter Kälte thun würden; da wickeln wir uns schauernd in unsere Mäntel und fühlen mit dem Florentiner oder Römer, der an solchen Tagen mit blauen Lippen zähneklappernd sagt: quali tempo cattivo, quanto freddo! Und im Freien bei emsigem Umherlaufen läßt sich das noch ertragen; kommen wir aber in unsere Wohnung, in die hohen gewölbten Gemächer, so außerordentlich schattig und angenehm bei der Hitze des Sommers, mit ihren Steinboden, ihren Thüren, die nicht recht schließen, ihren klappernden Fenstern, die jedem Luftzug Eingang verstatten, so daß wir kaum das wehende Licht auf dem Tische vor dem Auslöschen bewahren können, sehen wir uns rings um und gedenken dabei eines prasselnden deutschen Ofens oder selbst nur eines französischen Kamines mit viel Dichtung und wenig Wahrheit, so vermissen wir schmerzlich alle die behaglichen Einrichtungen, die es uns zu Hause möglich machen, dem gestrengen Winter siegreich Trotz zu bieten.

Etwas Aehnliches, wenn auch nicht gar so schroff, fühlt der Nordländer bei uns, der Russe, der aus seinem stolzen und glänzenden Petersburg kommend den Winter bei uns zubringen muß. Wenn wir auch lächeln bei seiner Behauptung, daß die strenge Jahreszeit in Rußland viel behaglicher als bei uns zu durchleben sei, ja lächeln und scheinbar nicht mit Unrecht, wenn wir an den unerbittlichen russischen Winter mit seiner Dauer von acht Monaten denken, mit seinem Schnee und Eis, der selten wie bei uns gemildert wird durch wochenlanges milderes Wetter, so hat der Nordländer doch Recht, wenn ihm Deutschland in dieser Beziehung fast ebenso vorkommt, wie uns Italien. Auch wir beugen uns in unserem Leben und in unseren Einrichtungen nicht so sehr vor dem grimmen Herrn Winter, daß wir sein Reich ohne alle Rücksicht anerkennen, daß wir ihm hermetisch Thüren und Fenster verschließen, daß wir uns bis zur Nase in dicke Pelze wickeln bei einer Kälte, die vielleicht nicht größer ist als im Norden, bei der wir uns noch spazierengehend erfreuen, während der Russe seine Wohnung, ohne dazu gezwungen zu sein, nicht mehr verläßt.

Ja, wir sehen, daß man dem Winter immer siegreicher trotzt, je mehr wir nach Norden rücken; schweben wir daher auf, ziehen wir dorthin. Auf Deutschlands Fluren liegt nur hie und da vereinzelt der Schnee, die Laubhölzer zeigen unbedeckt ihre kahlen Aeste, es erscheint das von oben herab wie leichter Flaum, der weite Länderstrecken überzieht; Fichten- und Nadelwälder zeigen sich dazwischen als tief schwarze Schatten, und die Flüsse mit ihrem wärmeren Wasser dampfen noch und senden ungehindert, noch frei von den Fesseln des Eises, ihre lebendigen Wellen dem weiten Meere zu. – Jetzt rücken die Schneestreifen näher und näher zusammen, die Wälder verwandeln sich nach und nach in weißes Pelzwerk, doch sind die Straßen noch sichtbar in ihrer Eingrenzung durch Frucht- und andere Bäume, und die Bahnzüge ziehen, noch Rauch auswerfend und funkensprühend, nach allen Richtungen. Was die Flüsse anbelangt, so haben sie nur noch ein schmales Rinnsal mit freiem Wasser; rechts und links hat sich Eis angesetzt, welches sich in wunderlichen Formen immer näher und drohender nach der Mitte des Stromes zuschiebt, jede Nacht ein neues Vorwerk construirt mit glänzenden Zacken, von denen das zu Thal treibende Eis aufgefangen und festgehalten wird, um so fortwährend die Eisränder zu vermehren.

Fliehen wir weiter dahin, so haben wir bald tief unter uns eine einzige weiße weit ausgebreitete Fläche, anscheinend ohne die mindeste Abwechslung. Hügel und Berge, Schluchten und Thäler, Flüsse und Wälder mußten ihre Eigenthümlichkeiten aufgeben und liegen da im starren Winterschlaf gebannt, lange, lange Zeit wohl träumend unter der weißen gewaltigen Decke des Winters. Kein Wasser fließt mehr, keine Straße zeichnet sich ab, das Dampfroß braust noch nicht über diese Flächen, und was wir sich fortbewegend dahinziehen sehen, sind kleine Schlitten, in denen der Reisende in Pelzen vergraben Schutz gegen die strenge Jahreszeit sucht.

Man sollte glauben, ein solches Dahinziehen, Tage und Nächte lang über schneebedeckte Flächen, ohne Abwechslung, ohne Aussicht, müßte für Geist und Körper unendlich ermüdend sein. Und doch ist dem nicht so: man gewöhnt sich an dies sanfte träumerische Dahingleiten; man findet Abwechslung in dem einförmigen Leben eines Kruges, der mitten in der Oede steht, wo wir unsere Pferde wechseln; wir erfreuen uns an den phantastischen Formen, mit denen Schnee und Eis die Fichten und Tannen umgaben, zwischen denen wir dahingleiten; wir schlummern und träumen, und lassen uns einwiegen durch den melancholischen Ton der Glöckchen, welche am Geschirr der Pferde sowie an unserem Schlitten hängen und die rastlos ihr Bim-bim-bim durch die tiefe Stille rings umher ertönen lassen.

So gleiten wir dahin, bis wir eines schönen Abends durch ein hochgewölbtes Thor fahren, wo wir stattliche Schildwachen auf und ab spazieren sehen, deren glänzende Musketenläufe im hellen Gaslichte funkeln, bis wir nun statt Birken und Tannen zu unsern Seiten oder einzelner Bauernhäuser Reihen von palastähnlichen Gebäuden durchfahren, oft wirkliche Paläste mit Hunderten erleuchteter Fenster, vor denen zwei- und vierspännige Equipagen und Schlitten halten, welche Diener mit rothglühenden Pechfackeln umstehen, bis rechts und links von unserem Schlitten hundert andere ähnliche Fahrzeuge schellenklingelnd mit uns dahinfliegen, bis uns ebenso viele andere begegnen, auch glänzende Equipagen, Reiter und ein Strom von Fußgängern, der sich rechts und links auf den hölzernen Trottoirs hält, um vom sichern Platze aus mit hingewandten Gesichtern in das sausende Gewühl zu blicken.

Das alles könnte uns nach der langen stillen Fahrt betäuben, und es betäubt uns auch, namentlich durch die riesenhaften Dimensionen, welche Alles angenommen hat, was uns hier umgibt, Alles, an dem wir vorbeifliegen oder das wir an uns vorbeifliegen sehen: Brücken, Straßen, Plätze. Deßhalb erregt es uns auch ein Gefühl des Behagens, da wir auf einmal sehen, wie unser Jämschtschik sich etwas höher vom Bocke hebt, als er gewöhnlich thut, den Kantschu am Handgelenk der rechten Faust herabsinken läßt, den Lauf seiner Pferde mäßigt und mit lautem Ruf, um die Fußgänger auf dem Trottoir zu warnen, rechts abbiegt. Vor uns hat sich ein großes Thor geöffnet, welches sich hinter dem Schlitten augenblicklich wieder schließt. Wir befinden uns in einer Halle, der Schlitten hält, und mehrere Hände sind bemüht, die Leder- und Pelzdecken unserer Kibitke zu beseitigen und uns so das Aussteigen zu erleichtern. Eigentlich werden wir von den Armen reich gallonirter Bedienter aus dem Schlitten gehoben und sanft auf die Füße gestellt. Wir befinden uns wie in einem Traume, und es ist uns, als haben Zauberkünste unsere ganze Umgebung mit Einem Schlage verändert. Und wie verändert! Haben sich doch seit der langen Fahrt die niedrigen schmutzigen Häuser, vor denen wir hie und da Halt machten, oder die hölzernen Schuppen, durch welche der vom Wind gepeitschte Schnee sauste, während wir hielten, um Pferde zu wechseln, so fest unserem Gedächtniß eingeprägt, daß wir die so ganz andere, in der That feenhafte Umgebung, in welche wir mit einem Schlage versetzt sind, beinahe mit Mißtrauen betrachten. Angenehm erwärmte Luft fächelt behaglich unsere Wangen; über uns, über Schlitten und Pferde wölbt sich ein hohes Glasdach, die ganze Schneelandschaft, die sich unserm innern und äußern Auge so fest eingeprägt hat, daß wir meinen, es könne nichts anderes mehr auf der Welt geben, als Schnee und wieder Schnee, ist mit Einem Male verschwunden; freundliches Grün umgibt uns nach allen Seiten, fremde Sträucher und Bäume mit großen glänzenden Blättern und zwischen ihnen sogar bunte Blumen, Kinder einer glücklicheren Zone, die ebenso wie wir in diesem Augenblicke in einem Traumleben befangen sind.

Die reich gallonirten Diener halten nun ihre silbernen Armleuchter hoch empor, und als wir uns der Treppe nähern, die mit einem Teppich bedeckt, bis in das Glashaus, wo wir anfuhren, hinabreicht, geht ein alter Herr in schwarzem Frack, der uns dort erwartet zu haben scheint, ein paar Stufen abwärts uns entgegen und dann mit einer tiefen Verbeugung auf die Seite, nachdem er vorher wie verstohlen sein schneeweißes Jabot abgestreift, vermuthlich, weil er fürchtet, es könne dort ein Körnchen Schnupftabak hängen geblieben sein. Der alte Herr mit seinem kurz geschnittenen aufrecht stehenden weißen Haar, seiner noch weißeren Halsbinde und seinem fast kindlich rosigen Teint lächelt so wohlwollend und freundlich, daß wir uns jetzt schon hier wie zu Hause finden. Er macht eine unterthänige Handbewegung gegen die Treppe hin, zwei Lakaien mit Lichtern hüpfen voran, und durch einen sanft erwärmten Vorplatz, der schon innerhalb des Hauses ist, kommen wir an eine leichte Marmortreppe, die sich frei trägt, und in einer anmuthigen halben Wendung in den ersten Stock hinaufführt. Das Geländer ist von schwer getriebener Bronze-Arbeit, offenbar aber nicht fabrikmäßig erzeugt, sondern nach künstlerischen Modellen von Künstlerhand getrieben und zusammengefügt. Die Ballustrade ist glänzendes schwarzes Ebenholz und spielt wie eine dunkelfarbige Schlange über den schneeweißen Marmorstufen. Eine Bronzefigur in Lebensgröße, die unten an der Treppe steht, über ihrem Kopfe einen Leuchter haltend, auf dem ein Bouquet von Wachskerzen flammt, scheint Jeden, der hinaufsteigt, ernst und forschend zu betrachten.

Geräuschlos erreichen wir den ersten Stock; auf der Treppe wie hier in den Vestibülen und den Vorzimmern sinken unsere Füße förmlich ein in dicke persische Teppiche. Daher kommt es auch wohl, daß eine so tiefe Stille auf dem nicht großen aber prachtvollen Hause liegt. Nirgends das Geräusch eines menschlichen Trittes; nirgends die Bewegung einer Thüre oder der Klang einer Menschenstimme – Alles ruhig und stille. Da liegt Zimmer an Zimmer, eines eleganter und prachtvoller ausgestattet als das andere, scheinbar unbewohnt und verlassen. Doch halt! im anstoßenden Salon hören wir etwas; es ist ein leichtes unterdrücktes Husten, und wie wir Kraft unseres Zauberstabes auch hier ungesehen eintreten, bemerken wir jenen alten Herrn wieder, der vorhin unten an der Treppe zum Empfang von allenfallsigen Ankommenden bereit stand, mit derselben freundlichen und wohlwollenden Miene in einem Lehnsessel sitzen und in einem Buche lesen. Zuweilen schweift sein Blick über das Buch hinweg nach der gegenüber liegenden Thüre, die mit einer dicken orientalischen Stickerei verhängt ist, und nachdem der alte Herr einen Moment gelauscht, senkt er seine Augen wieder nieder auf die Zeilen seines Buchs, nicht ohne daß er vorher wiederholt und leicht gehustet. Drüben bleibt Alles so ruhig wie in dem ganzen Palaste.

Nähern wir uns jener verhängten Thüre; sie öffnet sich geräuschlos vor uns, und wir befinden uns in einem achteckigen Gemache, welches sein Licht von oben durch eine kleine Glaskuppel erhält. Es ist eine Gemäldegallerie, die uns aufgenommen; an den Wänden hängen wenige aber ausgesuchte Bilder; aber seltsam, sie verrathen alle eine und dieselbe Meisterhand. Es ist so: das Auge hat uns nicht betrogen; während wir die Blicke hierhin und dorthin schweifen lassen, lesen wir auf jedem der Bilder: Potowski, hier Potowski, dort Potowski. Stille, daß unsere Verwunderung nicht laut werde; wir sind nicht allein. Die eine Wand des Octogons nämlich fehlt, und die dadurch entstandene Oeffnung, welche in einen Salon führt, ist nur mit seidenen Stoffen verhängt. Ah! hier zum ersten Male vernehmen wir jetzt den Laut einer menschlichen Stimme.

Wir hören und sehen.

Es ist dort ein kleines reiches Boudoir mit einem Aufwand von Kunst und Eleganz eingerichtet. Wände und Decke sind mit grünem Damast bezogen, die letztere nur ausgezeichnet durch ein Netzwerk von goldenen Schnüren, die von der Decke auf allen vier Seiten herabreichend sich dort in Spitzendessins verschlingen und so den reichsten Fries bilden, den man sich nur denken kann. Die Thüren bestehen aus schwarzem glänzendem Ebenholze, dessen Füllungen matt vergoldet sind und als Hintergrund lasurfarbiger, von Meisterhand gemalter schwebender Figuren dienen.

Eigenthümlich sind die Möbel in diesem Zimmer; es sind sonderbar geformte kleine niedrige Fauteuils von Bronze mit orientalischen Stoffen bedeckt; ein paar türkische Divans; und an dem hohen und breiten Fenster des Gemachs, dessen Licht man durch seidene Vorhänge dämpfen kann, bemerkt man Sitze von aufeinander gethürmten Kissen, deren Gestalt sich beliebig ändern läßt.

Auf einem der Divans ruht eine Dame, deren Namen den geneigten Leser, wenn wir ihn nennen, nicht überraschen wird, denn er wird sich schon gedacht haben, daß wir uns in ihrem Hause befinden, – die Fürstin Lubanoff. Sie lehnt ihr Haupt auf den rechten Arm und hält ihre weiße Hand so, daß die Finger ihre Augen beschatten. Gekleidet ist sie in matte graue Seide, und seltsamer Weise legt sich über ihr volles dunkles Haar ein weißer Schleier so, daß er von Weitem wie ein Scapulir aussieht. Um ihre Taille schlingt sich eine dicke seidene Schnur, deren Quasten über den Divan herabhängen. In der linken Hand, welche am Rande der Kissen liegt, hält sie ein Papier, d. h. sie hält es nicht, indem dieses Papier in dem Augenblick, wo es uns vergönnt ist, einen Blick in das Gemach zu werfen, ihren Fingern entgleitet und auf den Teppich niederrauscht.

Vor dem Divan steht Madame Bauvallet, auf deren gutem breitem Gesichte die uns bekannte unverwüstliche Gemüthlichkeit und heitere Laune thront. Sie schüttelt leicht mit dem Kopfe und bückt sich alsdann auf den Boden nieder, um das entfallene Papier aufzuheben.

»Ich muß nur,« sagt sie hierauf, nachdem sie sich mit einem tiefen Athemzug wieder aufgerichtet, »wiederholt gegen diese Art der Frau Fürstin, Geschäfte abzumachen, protestiren. Du mein lieber Gott, da liegt diese ganze colossale Last auf meinen schwachen Schultern, und Madame, meine gnädigste Herrin, thut nicht einmal so viel, einen vergleichenden Blick auf die mühsam zusammengestellten Rechnungen zu werfen.«

»Wozu das auch, gute Bauvallet?« fragte die Fürstin mit leisem Tone. »Schickt doch Alles an meinen deutschen Intendanten nach Winopradofka. Ihr lobt ihn ja selbst als überaus treu und gewissenhaft; er soll mir, wenn wir hinkommen, ein Resumé vorlegen.«

»Wenn wir hinkommen!« gab Madame Bauvallet mit leichtem Achselzucken zur Antwort. »Was wollen Euer Durchlaucht aus dem kleinen Gute machen? Ueberhaupt glaube ich nicht,« setzte sie nach einer Pause hinzu, während welcher ihr die Herrin eine Antwort schuldig geblieben war, »daß Madame Lust haben, wieder zu reisen.«

»O gewiß, o gewiß!« sprach nun die Fürstin erregter, indem sie sich ein klein wenig aufrichtete.

»Nach dem Süden?«

Diese Frage war mit einem kleinen lauernden Blicke begleitet.

»O nein, o nein,« sagte die Fürstin mit einem tiefen Seufzer.

»So werden Euer Durchlaucht nach Moskau auf die großen Güter gehen,« meinte lächelnd die Französin.

»Wo mein Vetter Iwan den Tag über seine Fuchshatzen abhält,« entgegnete die Fürstin in fast entrüstetem Tone, »und die Nächte mit seinen gleichgesinnten Gutsnachbarn im Trinken und Spielen verbringt? – Gott soll mich bewahren! Mag Iwan machen, was er will, ich will nach dem Wolthonski-Wald, auf das kleine liebe Gut, das meine Eltern besaßen,« setzte sie in wehmüthigem Tone hinzu, »und wo ich als Kind so glücklich war, o so sehr glücklich.«

»Aber die großen Lubanoff'schen Güter bei Moskau, die in schrecklicher Verfassung sein sollen?«

»Wenn wir in Winopradoska sind und dort eingerichtet, schicke ich Feodor Buchholz auf die Lubanoff'schen Güter. Das ist ein braver und energischer Mann; er wird schon Ordnung stiften und ich werde ihm Vollmachten geben, daß er mit Vetter Iwan fertig wird.«

»Monsieur Buchholz ist wohl der Mann dazu,« sagte Madame Bauvallet nachdenkend, »aber die Leute möchten wohl ihre Herrin einmal selbst sehen.«

»Später, später,« gab die Fürstin zerstreut zur Antwort. »Doch laß mich hören, was Du weiter hast. Ich sehe da noch eine Menge Papiere in Deiner Hand.«

»Ja, Papiere genug.« erwiederte die Französin mit einem Gesichtsausdruck, der ernst erscheinen sollte, in Wahrheit aber komisch aussah. »Papiere, wie sie jeden Tag zu Dutzenden einlaufen, und die alle in verschiedenen Variationen dasselbe besagen.«

»Nun, was denn?«

»Bitten und Forderungen.«

»Und was verlangt man denn so vielfältig von mir? Es muß ja was Arges sein, wenn ich dein ernstes Gesicht betrachte. – Was will man?«

»Nun, Geld wollen die verschiedensten Leute, zu den verschiedensten Zwecken, unter den allerverschiedensten Vorwänden.«

Die Fürstin machte eine Miene der Langeweile, wenigstens der größten Gleichgültigkeit.

»So gib ihnen denn,« sagte sie nach einer Pause; »es fehlt dir doch nicht an Geld?«

»Gott soll mich bewahren, daß es daran fehlt,« rief erschrocken Madame Bauvallet; »das wäre eine grenzenlose Wirthschaft. – Nein, Geld ist im Ueberflusse da, und die Banquiers drängen ordentlich, daß man auf sie anweist.«

»Nun denn?«

»Ja, nun denn, Madame – Euer Durchlaucht haben gut reden so – es sind große Summen, die angewiesen werden. Und wen trifft am Ende einmal die Verantwortung?«

»Verantwortung –?« fragte rasch die Fürstin, »gegen wen?«

»Nun, allerdings gegen Sie, aber –« gab die Französin nach einer Sekunde stockend zur Antwort, – »wenn nicht später –«

Die Fürstin machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

»O du Närrin,« sagte sie gutmüthig, »eines Tages, wenn ich dich nach deinem schönen Frankreich zurückschicke, werde ich dir noch einen allgemeinen Revers ausstellen, daß Alles, was du hier gethan und ausgegeben, ja was du gesprochen und gedacht, auf meinen speziellen Befehl geschehen ist. – Wie? was? noch eine Wolke auf deiner Stirne? Ah! ich verstehe den Blick in deine Papiere. So lies denn, langweilige Person, so laß mich denn die Hauptforderungen hören, aber nur die Hauptforderungen, nichts unter zehntausend Rubel.«

»Die Oberin Ihrer Diakonissen-Anstalt,« referirte Madame Bauvallet, augenblicklich Gebrauch machend von der erhaltenen Erlaubniß, »trägt die Summe vor, welche die befohlene Vergrößerung des Instituts kosten würde. – 240,000 Rubel,« las sie in sehr gedehntem Tone.

»Gewiß, ich will die Vergrößerung. Weiter.«

Die Französin unterdrückte einen leichten Seufzer, dann fuhr sie fort: »Die Seminoff'sche Armenschule schickt die Abschrift eines Briefes, woraus hervorgeht, daß der Frau Fürstin hochseliger Vater in früheren Zeiten dorthin ein jährliches Geschenk von hundert Rubel machte. Sie wünschen –«

»Mein guter, guter Vater!« rief die Fürstin schmerzlich bewegt, »er that so gern etwas für die Armen, und ich habe ihrer bei meinen vielen Reisen im Ausland so wenig gedacht.«

Sie versank in tiefes Nachdenken. Dann sagte sie nach einem langen Athemzuge: »O mein guter Vater! Hundert Rubel war ein Gegenstand für ihn. – – – – Höre, gute Bauvallet,« fuhr sie darauf rasch und energisch fort, »was die Seminoff'sche Armenschule anbelangt, sollst du dich genau erkundigen, wie ihre Mittel sind, ob sie Kapitalien hat, ob sie gut dotirt ist, und das Geringste, was du mir für sie vorschlägst, soll ein Geschenk sein von hunderttausend Rubel für diesmal und zehntausend jährlich, so lange ich lebe. Glaube mir, wenn mein armer Vater ihnen jährlich hundert Rubel gab, so mußte er wissen, daß sie sehr würdig und bedürftig sind.«

Die Französin neigte ihren Kopf zum Zeichen, daß sie wohl verstanden habe, dann las sie weiter: »Der Annakoff'sche Verein für unbemittelte Jungfrauen und das Marien-Asyl veranstalten eine Lotterie und bitten um Beiträge. Vielleicht wären zweitausend Rubel an sie zu vertheilen.«

»Gib jedem zweitausend Rubel, gute Bauvallet,« sprach die Fürstin. »Glaube mir,« setzte sie mit einem reizenden Lächeln hinzu, »ich werde auf andern Seiten wieder sparen. Was habe ich nicht schon diesen Herbst und Winter an der Toilette erspart; du mußt mir das zugestehen, und wenn wir erst im Wolthonski-Wald sind, da brauchen wir eigentlich gar nichts mehr.«

Madame Bauvallet zuckte leicht mit den Achseln und machte mit dem Bleistift, den sie in der Hand hatte, ein paar feste Striche auf ihre Papiere.

»Hier ist noch,« sagte sie nach einer Pause, »ein Schreiben von Monsieur Buchholz. Es ist an mich gerichtet, und wenn Madame befehlen, lese ich es Ihnen vor.«

»Lies den Brief von Buchholz,« gab die Fürstin zur Antwort. »Ich mag den Deutschen gut leiden; auch ist in seinen Briefen immer etwas, das mich interessirt, und wenn es nur die deutschen Wendungen sind, mit der er sein Russisch spricht und Französisch schreibt, oder die einzelnen Ausdrücke seiner Muttersprache, bei denen dafür die hiesige Benennung fehlt. – Lies.«

Sie legte ihre rechte Hand unter das Haupt, nachdem sie sich auf ihrem Divan ausgestreckt, und ließ die Augenlider halb zufallen. »Nimm dir einen Stuhl, Henriette,« sagte sie alsdann mit leiser Stimme.

Die Französin aber dankte für die Erlaubniß, sich zu setzen, mit einer verbindlichen Neigung ihres Kopfes; dann las sie:

 

»Madame!

»Glauben Sie meiner Versicherung, daß ich noch nie dem Ende eines dieser langen und langweiligen russischen Winter mit solcher Ungeduld entgegen gesehen, wie eben jetzt, und seien Sie überzeugt, daß ich mit dem allergrößten Vergnügen der Welt die geringsten Anzeichen betrachte, von denen man sagen könnte, sie verkündigen, daß die Erde anfange sich zu dehnen und zu recken nach ihrem festen Winterschlafe, und daß sie endlich, endlich ihre tausend wunderbaren Augen aufschlagen wolle. Wenn mir Einer meldet, es krache zuweilen im Ladoga-See, so bekommt er von mir einen Extraschnaps, und alle paar Tage reite ich hinauf auf den Mons Alaunus, der, in Parenthese gesagt, den Namen eines Berges durchaus nicht verdient, und schaue mich unter den Tannenwäldern um, ob nicht von Süden her so ein frischer auflösender Hauch an mein Gesicht schlagen will. Gestern war ich noch droben, und da flüsterten die Nadeln an den Zweigen so geheimnißvoll, als wollten sie sagen: bald wird er kommen, der göttliche, sehnlich erwartete Frühling.«

Ueber die Züge der Fürstin flog ein leichtes Lächeln. »Monsieur Feodor ist ein Poet, du gibst das zu, gute Bauvallet,« sagte sie, ohne die Augen aufzuschlagen.

»Er hat in der Art was, wie alle Deutsche,« gab die Französin zur Antwort, »die begeistern sich für Sachen, die uns gleichgültig sind, und sie sind im Stande, sogar mit Schwärmerei und Innigkeit einer aufbrechenden Knospe zuzuschauen.«

»Ja–a, ja–a. – Doch weiter.«

»Das Alles dürften Sie überschlagen, meine gute Madame Bauvallet; ich habe nur damit ausdrücken wollen, daß ich mich wie sonst immer einfach, dießmal doppelt auf den Frühling freue, vorausgesetzt, es bleibt dabei, daß unsere gnädige Fürstin den Wolthonski-Wald mit ihrem Besuche beehrt. Dann sehe ich auch Sie wieder und Fräulein Elise.«

Die Fürstin schlug lächelnd ihre Augen auf, ließ sie aber gleich darauf wieder zufallen.

»Die beiden Gärtner sind angekommen, ordentliche Bursche, und da das befohlene neue Glashaus vor Ende der strengen Jahreszeit fertig geworden, so haben wir da schon wirthschaften können (die Sämereien, welche mir Fräulein Elise gab, gehen prächtig auf), daß es ein Vergnügen ist. Die Kisten mit Möbeln und Tafelservice, die Sie uns schickten, sind ausgepackt; es ist wenig zerbrochen und alles ziert das Schlößchen, daß man sich nicht satt daran sehen kann und nur bedauern muß, daß die Bewohner noch fehlen. Ich freue mich wie ein Kind darauf, bis Alles grünt und blüht und wir die Frau Fürstin erwarten können. Legen Sie ihr meinen tiefsten Respect zu Füßen, nehmen Sie meine herzlichsten Grüße und sagen Sie Fräulein Elise ein paar gute Worte von mir.«

»Er spricht viel von Elise,« meinte die Fürstin lächelnd.

Madame Bauvallet zuckte leicht mit den Achseln, worauf sie in sehr gutmüthigem Tone sagte: »Ich finde das begreiflich, und es freut mich. Er ist ein Deutscher, sie ist eine Deutsche, und Beide sind wackere und liebe Menschen. Doch hier,« unterbrach sie sich selber, »steht noch eine Nachschrift, die nicht ganz uninteressant ist. – Madame werden sich des alten Uprawlajetschi Potowski erinnern.«

Die Fürstin preßte ihre Lippen auf einander, und ihre Brust hob sich unter einem tiefen Athemzuge. – »Ob wir uns seiner erinnern! Nicht wahr, gute Bauvallet, du erinnerst dich auch noch gern jener Zeit und des Namens, o jenes Namens,« setzte sie schmerzlich erregt hinzu, »der uns Allen, Allen so viel Kummer gemacht, so viele bittere Stunden. – Und so viele süße!« – Das sagte sie ganz leise. – »Fort! fort!« Sie wischte mit der umgekehrten Hand über ihre Stirne. – »Was ist's mit Potowski?«

»Potowski hat einen Sohn,« referirte die Französin – »doch nein,« sagte sie lächelnd, »ich muß das mit den Worten des Intendanten sagen.« Und dann las sie wieder aus dem Briefe:

»Der alte Potowski, dessen sich die Frau Fürstin noch erinnern werden, ist noch immer wohl auf; nur trinkt er ein bischen viel Anisbranntwein, und die Folge davon ist, daß ich mich zuweilen genöthigt sehe, in seine Haushaltung ein wenig scharf einzugreifen, indem ich ihn manchmal unter Schloß und Riegel setze, das heißt in seinem eigenen Hause, wo ich dazu ein passendes Lokal gefunden habe, um ihn nicht zum Gespötte der Andern über die Straße führen zu müssen. Er erkennt es auch bestens an, und wenn er nüchtern geworden ist, bedankt er sich für die gnädige Strafe. Es ist gut, daß ich nicht den hohen Auftrag habe, mich um Einige Seinesgleichen so speziell zu bekümmern, denn sonst müßte ich selbst den Vogt machen; und thue ich das auch in diesem Ausnahmsfalle gern, denn Madame Potowski führt ihre Kinderschule auf eine ganz vortreffliche Art.«

»Weiter, weiter von den Potowski's,« sprach die Fürstin, dann setzte sie wie nachdenkend hinzu: »Ja, ja, sie ist eine brave Frau,« und sagte dann, als sie den fragenden Blick der Madame Bauvallet bemerkte: »sie stammt aus den Ostseeprovinzen, war die Tochter eines deutschen Lehrers und gab uns Kindern Unterricht im Zeichnen.«

Die Französin nickte mit dem Kopfe. »Darauf scheint sich die Nachschrift des Intendanten zu beziehen,« meinte sie alsdann, »denn er sagt, von den Kindern Potowski's ist nur ein einziger Bube übrig geblieben, der jetzt vierzehn Jahre alt ist, und der, man sollte es nicht glauben, ein eminentes Talent zum Zeichnen und Malen besitzt. Seine Mutter hat ihn unterrichtet, ich schaffe ihm Papier und Farben an, bringe ihm auch bei, was ich selbst noch weiß; aber jetzt sind wir Beide mit unserem Latein am Ende.«

Die Fürstin hatte sich rasch emporgehoben, stützte den Kopf auf ihre Hand und sagte, indem sie ihre glänzenden Augen mit dem unverkennbaren Ausdruck des Interesse's auf die Vorleserin richtete:

»Das ist ja außerordentlich, und ich kann dich versichern, gute Bauvallet, daß mich das sehr, sehr freut.«

»Ich wage es auszusprechen,« las die Andere weiter, »daß in dem Buben ein ganz außerordentliches Talent steckt, für das es Schade wäre, wenn es nicht durch alle möglichen Mittel geweckt und ausgebildet würde. Hier bei uns kann er nichts mehr lernen, und entweder sollte man ihm einen tüchtigen Lehrer verschaffen, oder auf eine gute auswärtige Schule schicken.«

»Zuerst einen Lehrer, Bauvallet,« rief die Fürstin rasch und entschieden, »den besten Lehrer, den Petersburg hat, und den wir hinausschicken wollen, um ihn zu prüfen und um uns gewissenhaft berichten zu lassen, ob ein großes Talent in dem Knaben steckt. O wie würde es mich freuen, ja wie würde es mich förmlich glücklich machen,« fuhr sie mit leuchtenden Augen fort, »wenn wirklich ein großes bedeutendes Talent in ihm schlummerte, wenn der Name Potowski, den ich freventlich erfunden, doch noch emporstrahlen würde, geehrt und geachtet genannt werden, und« – setzte sie leiser hinzu – »bis zu ihm dringen, um ihm vielleicht zu sagen, daß ich gut zu machen mich bestrebe, so viel in meiner Macht liegt.«

Sie hatte sich rasch von ihrem Divan erhoben, war an einen kleinen Schreibtisch geeilt und schrieb dort hastig einige Zeilen, die sie in ein Couvert steckte, dasselbe schloß und mit einer Adresse versah.

»So, gute Bauvallet,« sagte sie alsdann in heiterem Tone, »das besorge mir sogleich, und wenn der Professor kommt, so soll er augenblicklich zu mir geführt werden. Sei du so gut und schreibe dem Buchholz, daß mich sein Brief gefreut, daß ich mit dem ersten Grün in Winopradoska eintreffen werde und daß ich seiner Sorgfalt den jungen Potowski so dringend empfehle, wie es mir nur möglich ist. Schreibe sogleich und schicke den Brief mit der schnellsten Gelegenheit.«

Madame Bauvallet wickelte ihre Papiere zusammen, versicherte, daß sie nicht ermangeln werde, alle Befehle von Madame auf's pünktlichste zu besorgen, und verließ das Gemach, in der Hand den Brief der Fürstin.

Diese schritt nun erregt auf und ab, drückte zuweilen ihre rechte Hand an die Stirne und dachte lebhaft vergangener Zeiten. Freudig und schmerzlich strömten die Erinnerungen auf sie; bisweilen blieb sie auf ihrem Spaziergange durch das Zimmer stehen; ihren Lippen entschlüpfte ein Ausruf, jetzt wandte sie sich plötzlich um und trat in die kleine Gemäldegallerie, wo sie verschiedene der Bilder betrachtete, dieses eilig, flüchtig, rasch wieder den Blick davon abwendend, als fürchtete sie sich vor den Erinnerungen, welche es in ihr hervorrief, vor einem anderen blieb sie länger stehen, versenkte sich in das Betrachten desselben, und drückte beide Hände gegen ihre Brust, wobei sich ihre Lippen bewegten, als murmele sie ein Wort, einen Namen.

Ein leichtes Geräusch im Salon, den sie eben verlassen, riß sie aus ihren Träumereien, doch schien ihr diese Unterbrechung nicht unlieb. – »Du bist es, Elise?« rief sie, und als von drinnen die Antwort erschallte: »Ja, gnädige Fürstin, ich bin es,« so überflogen noch einmal ihre großen glänzenden Augen die Wände der Gemäldegallerie, worauf sie in das anstoßende Gemach zurücktrat. – »Setze dich zu mir,« sagte sie mit sanfter Stimme zu dem jungen Mädchen, welches in der Mitte des Gemachs stehen blieb und die Befehle ihrer Herrin zu erwarten schien. »Komm, setze dich zu mir wie damals, wie so oft.«

Sie ließ sich abermals auf den Divan nieder, Elise rückte ein kleines Tabouret an ihre Seite, stützte den Kopf auf den Arm und kam so ihrer Herrin näher, welche, wie sie gern zu thun pflegte, ihre Hand sanft in die vollen Haare des jungen Mädchens vergrub.

»Jetzt ist der Winter bald vorüber,« sagte die Fürstin; »nicht wahr, er hat lange gedauert?«

»Bei uns in Deutschland ist nun schon Alles grün,« meinte träumerisch das junge Mädchen; »die Schneeglöckchen sind schon abgeblüht, die Primeln noch da, und duftende Veilchen findet man so viel man will.«

»Soll das ein Vorwurf für unser armes Rußland sein?« meinte die Herrin lächelnd. »Da könnten die Bewohner der südlichen Länder etwas Aehnliches von den deutschen Landen sagen. In Italien zum Beispiel blühen und glühen die Rosen jetzt im prachtvollsten Flor. – Doch sprechen wir nicht davon,« setzte sie ernst, fast wehmüthig hinzu, »seien wir mit dem zufrieden, was uns geblieben; nicht wahr, meine gute, gute Elise?«

»Gewiß,« erwiderte das junge Mädchen, indem sie mit ihren klaren Augen emporschaute und mit einem Ausdruck, in welchem sich viel gute Hoffnung für die Zukunft zeigte. »Ich finde die Winter hier,« sprach sie dann nach einer Pause, »sogar in gewisser Beziehung sehr behaglich, nur die lange Nacht und die Morgen- und Abenddämmerung, die oft gar nicht aufhören will, drückt das Gemüth.«

»Dafür aber haben wir auch die wunderbaren Sommernächte, wo sich erst Abends um eilf Uhr der Himmel leicht verdunkelt, und schon kurz nach Mitternacht der Tag wieder anbricht.«

»Ist das nicht ermüdend?«

»Wenn man glücklich ist, nicht, sonst kann es uns allerdings zuweilen in traurige Stimmung versetzen. – Aber wir wollen glücklich sein, nicht wahr, Elise? – Du wenigstens sollst es sein – ich will es. Was mich anbelangt,« setzte sie träumerisch hinzu, »so werde ich mir ein Glück ganz eigener Art suchen. Aber –« unterbrach sie sich mit einer fast ungeduldigen Handbewegung, »wohin führt uns das Gespräch wieder; ich wollte ja vom Frühjahr reden – dann reisen wir.«

Das junge Mädchen blickte erstaunt in die Höhe.

»O nicht so,« fuhr die Fürstin lächelnd fort, welche diesen Blick wohl verstand, »wir gehen auf meine Güter.«

»Nach Moskau?« fragte Elise anscheinend mit großer Unbefangenheit, doch senkte sie ihre Blicke wie zufällig herab und betrachtete ihre Hände, welche sie auf dem Schooße zusammengelegt hatte.

»O nein, wir gehen nach Winopradofka. – Gingest du lieber nach Moskau?«

»Ich? o nein! Winopradofka soll schön sein.«

»O es ist sehr schön, klein und reizend, es hat etwas von einer deutschen Gegend, frisch grüne Hügel und tief blaue Seen. Was sollte ich auch auf den großen Gütern bei Moskau? Dort haust mein Vetter und verbringt seine Zeit auf eine Art, die mir zuwider ist, zwischen Fuchs- und Hasenhatzen, zwischen Spielen und Trinken. Mich dauert nur seine Frau Anna, und ihr zuliebe mische ich mich nicht tiefer in Iwans Angelegenheiten, wie ich doch thun sollte. Doch werde ich von Winopradofka aus Feodor Petrowitsch mit guten Vollmachten hin schicken müssen. Er treibt es oft zu bunt da unten.«

Elise schloß ihre Lippen fester und nickte mit dem Kopfe, als gehe sie vollkommen auf die Ansichten der Fürstin ein, doch war es unverkennbar, daß ein leichter Schatten über ihre sonst so offene und freie Stirn flog.

»Ich bin es den Gütern selbst, besonders aber den Bauern schuldig, eine feste Hand hinzuschicken, die Ordnung hineinbringt und den letzteren das Dasein behaglicher macht. Könnte ich dir den Unterschied zwischen meinen Gütern bei Moskau und denen am Wolthonski-Wald recht anschaulich machen, du würdest nie mehr ein Verlangen haben, die ersteren zu besuchen. – So laß uns also auf das Frühjahr hoffen. O ich kann dir nicht sagen, meine gute Elise, wie sehnsüchtig ich beim Ausfahren die Birken anblicke, ob sich da in den Knospen noch nichts regt, und wie häufig ich es mache wie der gute Feodor Petrowitsch und nach Süden schaue, mein Gesicht dorthin wende, ob nicht ein wärmerer Lufthauch von dort zu spüren ist. Bald aber, bald wird unsere Sehnsucht erfüllt.«


Und der Frühling kam, wie er immer zu kommen pflegt, freilich nicht ganz regelmäßig oder in gleich guter und schlechter Laune: er liebt es, der launenhafte junge Mensch, sich uns alljährlich in den verschiedensten Mummereien zu präsentiren, da er doch weiß, daß er uns armen Menschenkindern willkommen sein muß, mögen nun Blüthen aus seinem Haar stäuben und seine Finger frische grüne Blätter ausstreuen, oder mag er kommen bedeckt mit schwellenden Knospen, die sich aber noch schauernd vor kalten Westwinden in ihrer Umhüllung halten, ja sich momentan noch verstecken müssen unter sprühenden Schneebrisen. Es ist doch einmal der Frühling, der an unsere Pforte pocht, und der die Hoffnung, selbst unter Schnee und Eis, aufleben läßt.

So kam denn auch also der Frühling nach Petersburg, und diesmal sogar mit einem freundlichen Gesichte. Freilich hatte er schon im Süden unzählige Ströme vom Eise befreit, hatte schon Milliarden von Knospen aufgeküßt und eine unsinnige Verschwendung mit Blüthen der verschiedensten Art getrieben, ehe er in Rußland die Birkenschößlinge treiben ließ und das Nadelholz mit kleinen hellgrünen Punkten übersäete. – Frühling! Frühling! Die weiten großen Thore am Glashaus vor der Wohnung der Fürstin wurden geöffnet, und zu gleicher Zeit schälte sich der Portier, der den ganzen Winter über in der Gestalt eines Bären erschienen war, aus seinen Pelzen und zeigte sich in der glänzenden reich gallonirten Livree – der erste Frühlings-Schmetterling, der der häßlichen haarigen Puppe entkrochen.

Auch Feodor Petrowitsch schrieb von Winopradofka: er schwöre darauf, der Wolthonski-Wald sei in der Vegetation Petersburg vier Wochen voraus; er messe jeden Tag verschiedene Baumblätter und es gebe keine mehr, die unter einem Zoll lang seien. Was die Schlingpflanzen um die Cottage anbelange, so schauten dieselben jeden Tag neugieriger in die Fenster hinein und schienen sich zu verwundern, die Zimmer immer noch leer zu finden.

So schrieb er an Madame Bauvallet, denn bei Berichten an die Fürstin selbst erlaubte er sich begreiflicher Weise keiner solchen an diesem Platze unpassender Aeußerungen. Daß aber die boshafte Französin seine Briefe Wort für Wort vorlas und daß sie jeden Gruß an Elise – es kamen häufig darin vor – scharf betonte, davon hatte der gute Deutsche keine Idee.

So stand denn an einem schönen Morgen der Reisewagen der Fürstin vor ihrem kleinen Palaste, mit sechs Pferden bespannt. Einige Kaleschen und Fourgons für die Dienerschaft waren schon vorausgegangen, und nachdem die Herrin mit Madame Bauvallet und Elise in dem großen bequemen Wagen Platz genommen, blickte die Erstere mit seltsam umflortem Auge zu den Fenstern empor, wo sie den Winter verbracht; dann setzten die Jämschtschiks ihre Hüte auf und fort ging es in die Perspective hinein, von dort donnernd über die Fontanka-Brücke hinweg, lange, lange durch das weite Petersburg, immer zwischen Häusern dahin, durch den Tsarskoje-Sseloschen-Prospekt über den Sagorodnoi-Canal endlich in's Freie an die Grenzen der unermeßlichen Stadt. Es erschien der Fürstin angenehmer, statt die Eisenbahn zu benutzen, den Weg nach Winopradoska über Waldai in ihrem bequemen Reisewagen zu machen. Da rollte sie hin auf der breiten Moskau'schen Straße, und wenn sie vorwärts blickend der weißen Straßenlinie folgend, die sich weit, weit vor ihren Augen auf der unermeßlichen Ebene dahinzog und die Phantasieen so gern entführte nach den fernen südlichen Ländern, mit denen sie den Norden in Verbindung setzt, nach der Türkei, dem Kaukasus, Turkestan, nach China und Persien, so war anderntheils wieder die Umgebung, durch welche die große Straße führt, so recht dazu gemacht, die Gedanken zu versammeln, sie einem Buche zuzuwenden oder der Unterhaltung mit den Begleitern.

Hier ist Alles eben, Alles sumpfig und waldlos; da sieht man vielleicht ein Birkenwäldchen, zuweilen einen kleinen Tannenwald, aber immer recht einsam liegend in weit ausgedehnten Flächen kahlen und wenig angebauten Landes. Dörfer erscheinen als Seltenheiten und das Einzige, was der Reisende vielleicht mit Interesse betrachtet, ist das Leben auf der Straße selbst. Hier freilich taucht alle Augenblicke etwas Neues auf, unzählige Waarenzüge, die mit uns in derselben Richtung gehen oder uns begegnen. Namentlich bilden die Wagen der Fuhrleute, die in's Innere ziehen, große lange Karawanen. Sie führen westeuropäische Waaren, italienische Früchte, französische Bücher und Bijouterien, englische Tücher und deutsche Linnenwaaren nach Moskau und weiter hinein. Leichte Troiken, oder schwere Vier- und Sechsspänner kreuzen diese Züge, oder jagen rasselnd und glockenklingelnd an ihnen vorüber.

Wir erreichen Novgorod, zu beiden Seiten der Wolchon liegend, und finden hier die Umgegend noch öder und wüster als bei Petersburg, eine völlig ebene Fläche ohne Hügel und Wald.

Die Fürstin schien diese Gegend nicht mehr so recht im Gedächtniß zu haben und war selbst überrascht von dem Mangel aller landschaftlichen Schönheit. Madame Bauvallet meinte, der Wolthonski-Wald habe sich das so recht als Relief arrangirt und müsse darauf nothwendig als ein kleines Paradies erscheinen. Elise betrachtete und träumte.

Unmerklich steigt das Land hinter Novgorod empor; ja so leise und ohne Uebergänge, daß man wie im Traume dahinrollend die Gegend mit jedem Schritte mehr verändert findet, ohne sich eigentlich Rechenschaft geben zu können, woher das komme. Schmale Grasflächen haben sich kaum merklich zu saftigen Wiesen erweitert, einzelne Birken an der Straße sind kleine frisch grüne Wälder geworden, klares tiefblaues Wasser rauscht uns von Abhängen entgegen, deren Dasein wir eine Viertelstunde vorher noch gar nicht geahnt. Die ganze Landschaft ist anmuthig, man könnte sagen im deutschen Charakter, jetzt frühlingsfrisch und lieblich.

Die Bauart der Häuser hat hier Aehnlichkeit mit der in der Schweiz; man sieht weit hervorragende Dächer, und die Gallerien und Erker vor den Fenstern sind mit buntem Holzschnitzwerk verziert. Wahrhaft zierlich und hübsch erscheinen uns die Wirthschaftsgebäude nebenan; jeder Schuppen, jedes Dach ruht auf dicken Baumstämmen, und da diese Baumstämme gewöhnlich hellschimmernde Birken sind, so sehen diese Gebäude oft aus wie von weißen Säulen umgeben.

Als der Wagen der Fürstin langsamer gegen die Höhe des Waldairückens hinauffuhr und man das kleine Städtchen schon selbst sah, sagte Madame Bauvallet:

»In der nächsten Viertelstunde überschreiten wir die Grenze zu Ihren Gütern, Madame. Da sollte mich wundern, wenn Feodor Petrowitsch nicht schon vor Waldai zu Ihrem Empfange bereit stünde.«

Und kaum hatte sie dies gesagt, so sah man einen Reiter in vollem Galopp die Anhöhe herab gegen den Wagen hersprengen und die Fürstin lachend zu dem Ausrufe veranlassen:

»Das ist wie in der Comödie Henriette: Feodor Petrowitsch hat sein Stichwort gehört und tritt ganz Eifer und Feuer auf die Bühne.«

Und schon hatte der Reiter den Wagen erreicht, parirte leicht und gewandt sein Pferd und begrüßte, ehrfurchtsvoll seinen breitränderigen Hut abnehmend, die Fürstin, worauf er sein dampfendes Roß wandte und näher zum Schlage ritt.

»Der Himmel hat uns zur Ankunft Eurer Durchlaucht einen prachtvollen Tag gegeben,« sagte der Intendant mit einer tiefen, wohlklingenden Stimme, und setzte mit einer abermaligen Verbeugung hinzu: »Es ist das ganz im Einklänge mit den frohen Wünschen unseres Herzens.«

Feodor Petrowitsch oder Friedrich Buchholz, wir er auch hieß, ehe er nach Rußland kam, der Sohn vom Peter Buchholz, daher sein Beinamen Petrowitsch, war eine angenehme Erscheinung; er hatte ein offenes Gesicht mit einer freien Stirne, klare freundliche Augen, einen großen blonden Schnurrbart und war ein schlank aber kräftig gewachsener Mann von vielleicht dreißig Jahren. Zu Pferde nahm er sich in dem anliegenden grünen Jagdrock, dem Hirschfänger an der Seite, mit den hohen glänzenden Stiefeln stattlich aus, und die Art, wie er die Gangart seines wilden Pferdes dem Fahren des Wagens leicht und gewandt anpaßte, zeigte einen guten Reiter, Madame Bauvallet grüßte er verbindlich und freundlich, und welchen Gruß er für Elisen hatte, die auf dem Rücksitze saß, konnten die im Hintergrunde des Wagens sich befindlichen Damen nicht gut sehen, da Feodor Petrowitsch, als er dem jungen Mädchen seine Verbeugung machte, sein Pferd etwas zurückhielt. Warum Elise diesen Gruß sehr kurz erwiderte, und sich dann zum Wagen hinaus lehnte, um angelegentlich nach Waldai hinauf zu schauen, wissen wir nicht. Vielleicht, daß sie das Städtchen selbst, als so nahe ihrem künftigen Wohnorte liegend, besonders interessirte.

Um die Fürstin so viel wie möglich vor dem Andrängen der Bevölkerung zu schützen, die in ihr dankbarlichst die gute Herrin liebte, hatte der Intendant herrschaftliche Pferde vor das Städtchen bestellt und ließ dort den Wagen umspannen. Daß aber trotzdem Alt und Jung herbeiströmte, dicht an den Wagen zwischen die Räder lief, Mützen und Hüte schwang, daß die Kinder empor gehoben wurden, um in den Wagen blicken zu können, und daß hunderte von Lippen in allen nur erdenklichen Schmeichelworten sich über die endliche Ankunft ihres schönen Mütterchens freuten, war nicht zu verhindern, und dankte die Fürstin herzlichst und wahrhaft gerührt.

Hinter Waldai fingen die lubanoff'schen Güter an, und Feodor Petrowitsch hörte mit Stolz, was die Fürstin sagte, daß man keinen Grenzpfahl brauche, um zu sehen, wo sein, des Intendanten, Regiment beginne. In der That bemerkte man auch hier einen ausfallenden Unterschied in der Bearbeitung der Felder. An niedrigen Stellen waren überall Kanäle gegraben, um das überflüssige Wasser von den Aeckern abzuleiten. Die Felder waren gehörig vermessen und gedüngt; die Wiesen gereinigt von Erdschollen und nutzlosen Gesträuchen. Am steilen Ufer einer Quelle, neben dem Weideplatze war eine mit Steinen ausgelegte Stelle, wo das Vieh zur Tränke herab stieg, um nicht im Kothe zu waten und die Quelle nicht mit Erde zu verschütten. Der Weg war zu beiden Seiten mit Bäumen bepflanzt; die Brücken waren in guter Ordnung und sumpfige Stellen mit Faschinen belegt. Als man dem Dörfchen selbst näher gekommen war, hinter dem sich das Schloß der Fürstin befand, sah man hölzerne dauerhafte Häuser in einer Reihe zu beiden Seiten der Straße. Um das Fenstergesimse war Schnitzwerk angebracht, die Höfe alle mit hohen Zäunen umgeben, nebst hübschen Pforten und einem Wetterdache. Die Häuser standen in einiger Entfernung von einander, aus Vorsicht gegen Feuersgefahr. Zwischen den Häusern befanden sich Gärtchen mit Fruchtbäumen, hinter den Bauerhäusern die Küchengärten, und hinter diesen die Tennen. Am Ende des Dorfes ragte eine schöne steinerne Kirche empor, beschattet von hohen Linden. Das Haus des Geistlichen unterschied sich durch Sauberkeit und durch ein hübsches Aeußeres. Neben der Kirche standen noch einige niedliche Häuschen, zum allgemeinen Nutzen. In einem derselben befand sich ein Hospital und eine Apotheke; in einem andern ein Verpflegungshaus für Verwaiste, Kränkliche und Hochbejährte; in dem dritten das Vorrathsmagazin und eine Bude mit den für den Landmann nothwendigen Waaren; in einem vierten die Dorfschule und das mündliche Gericht. Eine Schmiede war am Ende des Dorfes, und in dessen Mitte ein großer Brunnen. Die Landleute beiderlei Geschlechtes hatten ein gesundes Aeußere, und die jungen Frauen zeichneten sich durch Schönheit aus, denn äußere Schönheit ist eine Folge des Wohlstandes. Man bemerkte auf der Straße weder schmutzige Kinder noch abgerissene Weiber, noch betrunkene Bauern. Die Pferde und das Hornvieh der Landleute waren von sehr guter Race, das Geschirr und das Ackergeräth in bester Ordnung.

Dabei hatte die Gegend etwas Friedliches, Patriarchalisches in ihrer ganzen Physiognomie, die Seele fühlte sich beruhigt, und man mußte sich gestehen, daß dies ein Ort sei, wo man der Vergangenheit leben könne und ungestört von seinen Erinnerungen zehren.

Jetzt zeigte sich drüben auf der Höhe Winopradofka, die Besitzung der Fürstin. Noch war ein kleiner Fluß zu überschreiten, auf dessen jenseitigem etwas steilem Ufer wie hingeworfen der Park war, der bis zur Höhe hinan stieg, wo zwischen freundlichem Grün das Schlößchen der Fürstin hervorschimmerte. Die untergehende Sonne küßte goldig die Fenster, so daß diese wie in rothem Feuer aufloderten.

Der Wagen machte eine Biegung, um ans Ufer zu gelangen, und noch in der Entfernung, rückwärts in der Höhe, bemerkte man Waldai; Kirchthürme und Häuser schon in der Dunkelheit verschwimmend, und bald nur noch als unbestimmte Schatten erscheinend. Am Ufer im Fährhause glänzte ein Licht; jetzt hielt der Wagen knirschend im Sande, und dann vernahm man das Rauschen des Flusses sowie das Rufen des Bootsmanns.

Der Himmel hat eine stahlgraue Färbung, und hie und da, immer mehr und mehr springen von seinen Millionen Sternen funkelnd welche hervor. Der Wagen steht auf der Fähre, die sich kaum merklich fortbewegt, so daß man nicht genau weiß, bewegen wir uns wirklich oder führen die Tannen und Föhren, die sich so kohlschwarz von dem helleren Himmel abzeichnen, dort am Bergabhang einen geheimnißvollen Reihentanz auf. Es ist so still rings umher; man hört nichts als ein ungeduldiges Stampfen der Pferde auf dem hölzernen Boden der Fähre, oder das leise Klingeln und Klirren der Glocken und Messingtheile an den Geschirren, wenn sich die Thiere in der kühlen Nachtluft ein wenig schütteln, und das Plätschern der Ruderstangen, wenn sie aus dem Wasser gehoben werden oder aufs neue wieder hinein gleiten.

Feodor Petrowitsch war von seinem Pferde abgestiegen und stand neben dem Wagen; er hatte seine Hand auf den Rand des Schlages gelegt. – Es war hier in der Thalschlucht schon recht dunkel, so daß man kaum mehr die nächsten Gegenstände unterscheiden konnte.

Endlich erreicht man das jenseitige Ufer, die Taue der Fähre werden befestigt, die Stränge der Beipferde wieder an den Wagen gehängt, die Jämschtschiks schwingen sich auf, und fort geht es im Galopp, die steile Straße hinauf bis zum Anfang des Parkes, dort in das weit geöffnete Thor hinein, wo der Wagen auf dem Sandwege gleich sanfter rollt, dann in einer Schlangenwendung um den Berg herum, und eine Viertelstunde später hält die Equipage auf einem terrassenähnlichen Platze vor dem kleinen reizenden Cottage der Fürstin.

Der Mond ist unterdessen aufgegangen, voll und klar, und beleuchtet Gegend, Park und Schlößchen taghell; das letztere hat mit seinen Erkern, Thürmchen und Balkonen eine phantastische Gestalt, die Front desselben ist nach der Seite der Terrasse, wo der Wagen hält, durch nichts verdeckt, während die Rückseite sich schützend an die hohen Bäume des Gartens lehnt, der unmittelbar dort an der Ausgangsthüre beginnt.

Die Fürstin, Madame Bauvallet und Elise traten an den Rand der Terrasse, auf welcher das Cottage lag und blickten in die Gegend hinaus. Weich geformte Hügel bis an ihren Fuß mit Wiesen bedeckt schoben sich vor und neben einander und umgaben einen im Mondlicht hell glänzenden See, welcher die Blicke Aller anzog. In der Mitte desselben lag auf einer Insel das Waldai'sche Kloster der iberischen Mutter Gottes, phantastisch und geheimnißvoll schimmerten seine versilberten und vergoldeten Thürme aus dem stahlglänzenden Wasserspiegel und den fast schwarzen Tannenwäldern, welche das Kloster umgaben, im Glanze des Mondlichtes hervor.– – – –

– – – – Von drunten erklang jetzt eine Glocke, sanft und melancholisch, das Herz bestrickend, die Seele tief ergreifend. – Es ist etwas Eigenthümliches um Glockentöne in stiller weicher Mondscheinnacht. – Selbst Madame Bauvallet fühlte sich ergriffen, Elise erhob die leuchtenden Augen gen Himmel, und die Fürstin ließ ihr Haupt tief auf die Brust herabsinken und barg das Gesicht in beide Hände. –


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