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Viertes Buch.

Büreaukratie. Der Oberbürgermeister in B***.

»Büreaukratie, ein schönes Wort,
Das Herrschaft der Beamten heißt.
Wo diese an des Staatsschiffs Bord
Das Steuer führt, despotisch, dreist,
Da flieht die Freiheit weinend fort,
Das Volk in Sclavenketten beißt.«

———————

Um die Familie Redlich noch mehr für sich zu verpflichten, hatte der Graf dem jungen Edmund eine Stelle als Supernumerar im Ministerium des Innern ausgewirkt. Ganz besonders hatte er den Geheimrath Leblos, in dessen Büreau er arbeiten sollte, für den jungen Menschen zu interessiren gewußt, daß dieser, um ihn stets zur Hand zu haben, ihn in seinem Hause aufnahm und ihm, wenn er sich nach vierzehntägiger Probezeit als tüchtig bewähren würde, Diäten versprach.

Edmund wußte sich sehr bald durch Geist und Gewandtheit in sein Fach hineinzuarbeiten. Geheimrath Leblos war einer der Geschäftsmenschen, welche blaß, mit geknickten Beinen und weißlichem Haar, stets über Geschäftsüberladung, Nervenleiden und Unterleibsbeschwerden klagen. Dabei that er nichts als einige tausend Mal seinen Namen unter Ausfertigungen, die er jedoch niemals las, wenn sie von dem betreffenden Beamten collationirt waren, zu unterzeichnen. Dabei verstand er sich vortrefflich darauf, Andere für sich arbeiten zu lassen, um für den fleißigsten und beschäftigtsten Beamten bei der hohen Behörde zu gelten.

Man nennt diese Methode die Jagd nach Nummern. Da nämlich die Minister nicht unmittelbar die Thätigkeit ihrer Beamten übersehen können, so gilt ihnen der als der Thätigste, der im Laufe eines Monats die meisten Nummern expedirt hat. Um dieses zu erwirken, erhält aber auch jede Verfügung: » ad acta« oder »nach vier Wochen wieder vorzutragen,« die Ausfüllung einer lithographirten Quittung so gut wie ein Bericht an den Abtheilungsdirector, oder der kurze Bescheid: »dem Suchen kann nicht gewillfahrt werden,« seine Nummer.

Der letztgedachte Bescheid war übrigens der gewöhnliche, wenn schon früher eine untergeordnete Behörde den Petenten abgewiesen hatte; denn es galt als Princip, keinen Beamten irgendwie zu compromittiren. Man könnte dieses mit dem Fürst von Lobenstein das »Reiten auf dem Princip der Unfehlbarkeit der Beamten« nennen.

Beschwerden gegen untergeordnete Beamte wurden jedes Mal mit dem Decret: » communicetur dem *** zur Berichterstattung« hinterlegt. Es versteht sich, daß auch diese brevi manu an den Rand der Beschwerdeschrift gesetzte Zeile ihre Nummer erhielt, deren zehntausendfache Vervielfältigung, nach einiger Dienstzeit unfehlbar den rothen Adlerorden vierter Classe einbrachte.

Kam dann endlich nach einem solchen jahrelangen und rastlosen Suppliciren des Querulanten die Beschwerdeschrift mit dem rechtfertigenden Bericht zurück, so konnte man allerdings wohl die Schuld des Angeklagten zwischen den Zeilen lesen, aber am Schluß fehlte niemals das Petitum: »Schließlich vertrauet der unschuldig Verläumdete der Gerechtigkeit eines hohen Ministerii, daß der Querulant mit seiner unbegründeten Beschwerde ab- und zur Ruhe verwiesen werde, und hofft der unterthänigst Unterzeichnete, daß derselbe wegen grundlosen Querulirens und unziemlichen Ausdrücken in die Ordnungsstrafe genommen werde.«

Das geschah denn auch in der Regel. Die Ordnungsstrafe konnte bis zu funfzig Thalern steigen.

Beruhigte sich dabei der Bittsteller nicht, der bei wiederholten Eingaben nun schon den Ehrentitel eines unruhigen Querulanten erhalten hatte, so blieb ihm noch der Weg eines Immediatgesuchs an den König offen. Dieses aber ging in der Regel vom Cabinet an das Ministerium zurück, gegen welches die Beschwerde geführt wurde, um entweder den Querulanten zu bescheiden oder darüber zu berichten. In beiden Fällen erfolgte dann die Bescheidung stets abschläglich.

Es kam auch wohl vor, daß der Querulant auf Antrag des beleidigten Beamten in eine gerichtliche Untersuchung verwickelt wurde, und diese endete dann nicht selten mit dem Bescheide: Obwohl Querulant in der Sache selbst so unrecht nicht zu haben scheint, so ist er doch wegen beleidigender Form derselben, zu sechs Monat Festungsstrafe zu verurtheilen.

Dagegen durfte der Beamte, und wenn er vor der öffentlichen Meinung noch so sehr als ein Schuldiger galt, ohne Genehmigung der ihm vorgesetzten höchsten Verwaltungsbehörde niemals vor Gericht zur Untersuchung und Strafe gezogen werden. Wie sehr in solchen Fällen hohe Protection und Gunst selbst den schuldigen Beamten Straflosigkeit sicherte, davon werden wir später einen charakteristischen Zug aus den Mysterien der Büreaukratie mittheilen.

Eine andere Bestrebung hochgestellter Beamten ging damals oft dahin, sich durch Einführung eines sogenannten Ersparungssystems in ihrem Departement beliebt und belobt zu machen. Das geschah dann in der Regel auf Kosten der Subalternen und Schreiber.

Das letztere Geschick war es auch, was den geheimen Canzlist Redlich mit seiner zahlreichen Familie in ein so tiefes Elend gestürzt hatte. Früher waren diese Stellen liberal salarirt gewesen; später aber kam sein hoher Departementschef auf den Gedanken, daß sich wohl Ersparungen anbringen ließen, wenn den Herren Canzlisten etwas besser auf die Finger gesehen würde. Das Controliren des genauen Einhaltens der Büreaustunden führte zu nichts, denn wer mochte berechnen, wie viel Zeit mit Federschneiden, eine Priese Tabak nehmen oder präsentiren, mit Liegenlassen der Schrift bis zum Trockenwerden, Plaudern, oder heimlichem Zeitungslesen verloren ging, und nun mußten für die allerdings nicht zu rechtfertigenden Mißbräuche der faulen Arbeiter, die fleißigen leiden. Es wurde beliebt, daß die sämmtlichen Canzlisten von jetzt an nur bogenweise bezahlt werden sollten. Schon das brachte Ersparung; aber mehr noch, als man dahinter kam, daß in den Rechnungen Viertelbogen für ganze figurirten, und nun beliebt wurde, daß nur das wirklich Geschriebene mit zwei Groschen Courant für den vollen Bogen berechnet werden dürfe. Man glaubte noch ein Uebriges an Billigkeit zu thun, wenn wenige Zeilen, so wie auch das Couvert, für eine halbe Blattseite gerechnet wurde, und so erhielt der Copist in der Regel für ein Rescript mit Adresse nur sechs Pfennige bezahlt.

Dagegen wurden die dadurch auf Kosten der armen Schreiber gemachten Ersparnisse höhern Beamten als Gratifikationen oder Extraordinarien für Badereisen zugelegt.

Ueberhaupt ist es ein altes Sprichwort: »wer das Kreuz hat, segnet sich,« und so erging es auch im preußischen Beamtenthum.

Die Besoldung der Minister von zwölf Tausend Thaler jährlich behielten sie auch, wenn sie in den Ruhestand versetzt wurden. Es fehlte nicht an hochbesoldeten Sinecuren, wofür wenig oder nichts zu thun war, die entweder von geistig unfähigen Protegés verwaltet werden konnten oder an bereits Hochbesoldete zur Verbesserung ihrer Lage übergingen. Wir könnten empörende Beispiele von solcher Verschwendung der Staatsgelder, unter den frühern unverantwortlichen Ministerien, an Hochbegünstigte und Hochgestellte aufzählen; besonders aber machte sich in den höhern Regionen bemerklich die Jagd nach Gratificationen und die Jagd nach Commissionen und Dienstreisen.

Der Erstern galt wieder die bereits erwähnte Jagd nach Nummern, diese scheinbare Thätigkeit in formellen Unbedeutendheiten, zum Gebot. Dann wurden die Leute, welche auf die Conduitenliste Einfluß hatten, Pedelle, Portiers, Kammerdiener, Barbiere, die etwa das Ohr Sr. Excellenz des Ministers, des Oberpräsidenten oder des Regierungspräsidenten hatten, bearbeitet. Bearbeiten heißt aber hier, solche Leute, deren Einflüsterungen auf die Conduitenliste Einfluß hatten, mit Höflichkeit und Aufmerksamkeit behandeln, ihnen wo es nur möglich war einen kleinen Nebenverdienst zuwenden und sei es durch Uebertragung der Lieferung von Federposen oder Siegellack und Oblaten für das Büreau, durch Abgabe von Papier für die Schreibbücher der Kinder; durch Empfehlung zu einer Verdienstmedaille oder Zulage, versteht sich immer auf Kosten des Staats; denn hätte man aus eigenen Mitteln ihre Gunst erkaufen wollen, so würde der dadurch erzielte Vortheil zu bedeutend geschmälert worden sein. Ein ächter Büreaukrat melkt wohl die Staatskasse, aber er theilt nicht gern Andern mit von der gewonnenen silbernen Milch. Hat man nun etwa nicht einen beträchtlichen Vorrath von Kindern, freibaren Mädchen, studirenwollenden Söhnen, altersschwachen kränklichen Eltern, die man ernähren zu müssen sich rühmen kann; oder Apotheker- und Doctorrechnungen aufzulegen, denn andere Schulden anzugeben hütet man sich wohl: so fingirt man ein chronisches Körperleiden, wenn kein wirkliches vorhanden ist, verschafft sich Atteste und Empfehlungen einflußreicher Aerzte zu einer Badekur und ist dann stets des Erfolges von einigen hundert Thalern an extraordinairer Gratification gewiß.

Um nach Commissionen zu jagen, bringt man irgend ein Project aufs Tapet, z. B. eine Gesetzrevision. An der preußischen Gesetzrevision ist schon seit nahe an dreißig Jahren viel Geld an Commissionsdiäten verdient worden und da man sich wohl hütet, ein solches Geschäft zu Ende zu bringen, damit nicht die Quelle, aus welcher Milch und Honig von täglich drei oder vier Thaler Diäten fließen, verstopft werde, so hätte man noch dreißig Jahre und abermals dreißig Jahre daran zu trinken gehabt.

Hätte es damals schon Nationaldeputirte aus der breitesten Unterlage breitschultriger Arbeiter gegeben, so würde die Aussicht auf drei Thaler täglich Diäten, auch wenn man die Sitzungen versäumte oder sich beurlauben ließ, die halbe höhere Büreaukratie während der Wahlzeit urplötzlich ultraliberal, liebreich gegen die Blouse und den Schmiedehammer oder zu demokratischen Volksrednern gemacht haben und gelang es dadurch, eine solche Commission vom Volke erlangt zu haben, so stehen wir dafür ein, daß die in die Nationalversammlung eingedrungene Büreaukratie gewiß das Ihrige beigetragen haben würde, die Vereinbarung einer Verfassung in alle Einigkeit hinauszuziehen und gehe auch darüber der Staat durch Anarchie zu Grunde; was thut es, werden nur die Diäten gezahlt, dann ist Alles gut.

Am ärgsten aber war die Jagd nach Commissionen in Hinsicht auf Reisekosten. Hatte die Familie einmal Lust, eine Partie nach Potsdam oder von da nach Berlin zu machen, so war der Vorwand zu einer Dienstreise leicht gefunden. Man liquidirte vier Thaler Diäten und vier Pferde Extrapost nebst Trinkgeldern nach Potsdam und zurück für vier Meilen und vier Meilen zurück; Facit etwa sechszehn Thaler, welche mit obigen Diäten in Summa vierundzwanzig Thaler für zwei Tage betrugen, wogegen die Hauptperson nur in zweiter Wagenclasse hin und her einen Thaler zu zahlen hatte. Für den Gewinn konnte man alsdann schon ganz anständig bei Harrach in Gienieke diniren und bei Kast auf dem Bahnhofe soupiren.

Am ärgsten aber trieben es nicht selten einige der Herren Oekonomiecommissaire. Hätten sie an einem Tage vier Termine und sei es auch nur zur Vorlegung einer Vollmacht, an fünf an der Eisenbahn belegenen Punkten, z. B. in Burg, Genthin, Brandenburg und Werder abzuhalten, so berechneten sie die Reisekosten mit Extrapost und Diäten voll vom Ausgangspunkte an bis zu dem Orte, wo das Geschäft vorgenommen werden sollte und vertheuerten dadurch und durch große Gewandtheit im Sportuliren, im Commissionenmachen, Terminiren und Hinschleppen des Geschäfts Alles so sehr, daß man bei Ablösungen von Reallasten der Bauerngüter oder Gemeinheitstheilungen und Separationen, in der Regel die Vortheile, die man daraus hätte gewinnen können, hätte mit Gold aufwiegen müssen. Bei Gemeinheitstheilung eines Weiderechts z. B. ging das ganze Recht, eine oder einige Kühe oder Schafe auf die Gemeindeweide zu treiben, verloren, wofür man den Acker oder die Wiese, welche ein Hof aus der getheilten Gemeindeweide erhielt, so gut als theuer kaufen mußte, indem die Kosten oft mehr betragen, als das Kaufgeld betragen haben würde.

Ist auch später, noch vor den Märzereignissen in Hinsicht der Diäten und Reisegelder manche Beschränkung eingeführt worden, so ist doch damit des Uebels Wurzel nicht angegriffen und, um mit Goethe's Mephistopheles zu reden: »Des Pudels Kern, Ihr habt ihn nicht gefunden.«

Und alles dieses, die ganze Staatsmaschine in ihrem überkünstelten Organismus durchdringende Unwesen, das eine zähe Lebenskraft hat, welche selbst die Revolution noch überdauerte und bis jetzt noch jeder Reform trotzte, kennt man unter dem Schreckensnamen für alle Vaterlands- und Freiheitsmänner, unter dem der Büreaukratie.

Die Farben dieses Bildes mögen wohl etwas stark aufgetragen sein, das geben wir zu; denn es giebt sehr ehrenwerthe Ausnahmen; aber eine Skizze, welche die Mysterien der Büreaukratie zeichnet, hat es nur mit den leider nicht selten vorkommenden Mißbräuchen zu thun. Daß übrigens Wahres daran ist, an solchen sehr allgemein in Deutschland verbreiteten Zuständen, wird kein ächter Patriot, der Auge, Ohr und Herz für Volksklagen offen zu halten versteht, verkennen.

Es giebt zwar so viele treffliche und rechtliche Beamte in Preußen, daß ihnen dieser tiefe Krebsschaden des Staats nicht zugerechnet werden kann. Halten sie aber auch ihre Hand rein von jeder Volksbedrückung und Staatsmelkerei Als Beleg, daß solche Uebelstände wirklich vorhanden waren, geben wir aus dem Bericht der Commission der preußischen Nationalversammlung zur Prüfung der Finanzverwaltung u. A. folgende in öffentlichen Blättern veröffentlichte Mittheilung: Der Staatsminister Graf Stolberg hatte 1840 9000 Thlr. Gehalt, später 10,000 außer freier Wohnung und liquidirte hierzu im Jahre 1846, 1327 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf. Reisekosten. Der Landforstmeister von Burgsdorf in Königsberg erhielt zu einem Gehalt von 3500 Thlr. noch 250 Thlr. Remuneration; der Geheime Ober-Finanzrath Senft von Pilsach erhielt 1846 zu einem Gehalt von 4000 Thlr. noch 3488 Thlr. Reisekosten und 1940 Thlr. Büreaukosten; der General von Hüser in Mainz erhielt Zulage 6000 Thlr.; die Familie des Generals von Grollmann zur Stiftung eines Fideicommisses 26,250 Thaler. so bleiben sie doch immer, ohne es zu wollen oder zu wissen, nicht selten Mitwirkende an einer chronischen Krankheit im Staatsleben, welche wir neben deutscher Umständlichkeit und Gründlichkeit den Consequenzen des Metternichschen Systems zu danken haben.

Edmund war ein viel zu heller Kopf, um nicht bald dieses Uebel auf den Grund zu durchschauen. Mit seinem lebhaften Rechts- und Sittlichkeitsgefühl nahm er sich vor, dagegen anzukämpfen, so viel in seiner Macht lag, und das war für einen jungen Mann, der im Staatsdienst Carriere machen will, ein wenn auch ehrenhaftes, doch immer sehr gefährliches und daher nach der Bezeichnung des gewöhnlichen Hausverstandes, unsinniges Beginnen.

Edmund fand aber eine Stärkung für seine redlichen, ächt patriotischen Gesinnungen in einem edlen weiblichen Herzen, das sich ihm bald mit einer fast schwesterlichen Zutraulichkeit entgegen neigte. Das war Bertha, des Geheimraths einzige Tochter.

Bertha war ein hübsches Mädchen, mit braunem Haar und braunen großen Augen, die viel Leben und Feuer hatten. Da sie ihre Mutter früh verloren, so war sie im väterlichen Hause sehr bald zu einer gewissen Selbstständigkeit herangereift. Wenig in Gesellschaft kommend, hatte sie sich ihre eigene ideale Welt gebildet; sie schwärmte für alles Große und Edle; wußte aber nie das rechte Maß zu treffen. Nach ihrer Ansicht gab es in der Welt nur Engel und Teufel, und wie oft und schmerzlich sie auch in ihrer günstigen Meinung für die Ideale schon getäuscht war, so brachte es doch ihre eigene Reinheit dahin, daß sie die meisten Menschen mindestens für gut hielt.

Daß dieses günstige Vorurtheil auch Edmund entgegen kam, war wohl kein Wunder. Der junge Mann hatte so etwas Offenes und Treues in seinem Blick; er war so grade in seinem Wesen, ohne alle servilen leeren Höflichkeitsformen, die man sonst bei Untergebenen so häufig, besonders ihren Vorgesetzten gegenüber, findet, daß man ihn wohl liebgewinnen mußte. Selbst der Geheimrath war von ihm eingenommen und seines Lobes voll, was natürlich auf ein jungfräuliches Herz, wie das der achtzehnjährigen Bertha, den Eindruck des einzigen jungen Mannes, der bis jetzt in ihren engen Familienkreis gekommen war, noch erhöhen mußte.

Edmund sah sie zunächst nur beim Mittags- und Abendtisch. Da aber Mittags der Geheimrath nicht selten zum Diner geladen war oder irgend einem der zahlreichen Zweckessen und Festmahle, die durch Gesang, Toasts und Schneider- und Hosemannsche lithographirte Witz- und Speisekarten, zudem noch durch Champagnerlibationen illustrirt wurden, Theil nahm; oder seine Abende bei einem Souper oder einer Spielpartie außer dem Hause zubrachte: so gab das Gelegenheit genug für beide junge Leute, mit einander allein zu sein. In solchen Fällen aber lehrt die Erfahrung:

                        Gelegenheit macht Diebe.
Der Dieb kommt in der Nacht;
Und so kommt auch die Liebe
Zu dem, der Nachts noch wacht.
    Das Herz ist gleich dem Zunder,
Es fängt den Funken auf,
Der magisch wie ein Wunder
Durchs Auge nimmt den Lauf.
Es klingt dann in den Seelen,
Wie Sang der Philomelen,
Voll Freud' und Hoffnung wallt
Die Lieb' im Blüthenwald.

———————

Es fehlte nicht an Commissionen, wobei Edmund die Mißbräuche der Beamtenhierarchie kennen lernen konnte.

In einer entfernten Provinz war in dem Städtchen N. N der Oberbürgermeister, den wir Dachstein nennen wollen, von der öffentlichen Meinung längst beschuldigt des Mißbrauchs seiner Amtsgewalt zu Erpressungen, der verschwenderischen und dissoluten Lebensweise und eitler unerträglichen Arroganz und Willkürherrschaft, der eigenmächtigen Verfügung über Gemeindegelder, der Verwendung mancher mißbräuchlich sich eingeschlichen habenden Einnahmen in eigenen Nutzen und der Einschüchterung des Magistrats und der Stadtverordneten, auf deren Wahl er stets einen ungesetzlichen Einfluß zu üben wußte, so daß nur Männer von schwachem Charakter und indifferente servile Naturen, deren es in kleinern Städten so viele giebt, in den Rath und die Stadtverordnetenversammlung traten.

So wenigstens schilderte ihn sein Ruf. Was Wahres daran ist, hätte sich nur durch eine strenge und unparteiische Untersuchung feststellen lassen und wir sollten meinen, wenn der Mann sich unschuldig gefühlt hätte, so würde ihn selbst, da ihm der böse Leumund gegen ihn wohl bekannt sein mußte, schon das eigene Ehrgefühl veranlaßt haben, auf eine strenge Untersuchung anzutragen; allein er that grade das Gegentheil, indem er Alles anwendete, um eine Untersuchung zu verhindern.

So hatte das Unwesen dort schon Jahre lang gedauert, als ein energischer Mann, der trotz aller Vorsicht in den Gemeinderath gekommen war, gegen den Oberbürgermeister eine Denunciation bei der Regierung einreichte. Der Abtheilungsdirigent aber war zu oft bei Gelegenheit von Commissionen in Communalsachen im Hause des Oberbürgermeisters freundlich aufgenommen und verschwenderisch bewirthet worden, um es mit seinem Gewissen vereinbar finden zu können, gegen diesen gastfreien und liebenswürdigen Mann rücksichtslos einzuschreiten. Es ließ sich zwar nicht vermeiden, daß, wenn auch nur um actenmäßig den Rücken frei zu halten, eine Commission zur Disciplinaruntersuchung der Beschwerde nach N. N. abgeordnet wurde; aber dann fand der Commissarius dieselbe freundliche Aufnahme, dieselbe glänzende Bewirthung, dabei die heiligste Versicherung, daß Alles nur Neid und Verläumdung sei, daneben Frau und Kinder in Thränen schwimmend; kurz, es wurden zwar Zeugen verhört, aber das geschah mit einer Einschüchterung, die schon die Gegenwart des Oberbürgermeisters und sein vertrauliches Benehmen gegen den Commissarius erzeugte, daß jeder Denunciant und besonders die Zeugen dachten, hier hilft doch Alles nichts, du sollst dir die Finger nicht verbrennen.

So stellte sich denn die Sache schon ganz anders, und der Commissarius, der ein bornirtes Schreibersubject als Protokollführer mitgenommen hatte, ließ in die Acten schreiben, was er nur für gut fand, um der schlimmen Sache ein freundliches Mäntelchen umzuhängen. Der Querulant aber wurde mit Härte angelassen und mit Zuchthausstrafe bedroht, wenn er nicht entweder seine unbegründete Denunciation zurücknehmen, oder Alles bis auf den kleinsten Nebenumstand durch Documente oder eidliche Zeugenaussagen beweisen würde.

Am Schluß der Sache gab der Commissarius dem Angeklagten noch den freundlichen Wink: »Man wird doch nicht umhin können, die Sache dem Oberpräsidenten der Provinz vorzulegen. Es befinden sich allerdings noch einige Judicia in den Acten, welche streng verfolgt doch unangenehmen Eindruck gegen Sie machen könnten, mein sehr werther Freund, und deshalb würde ich Ihnen empfehlen, dem Oberpräsidenten, bei dem Sie bis jetzt wegen Ihrer Geschäftstüchtigkeit gut angeschrieben stehen, Ihre Aufwartung zu machen und sich selbst anzuklagen, daß Sie vielleicht durch einige Unvorsichtigkeiten Veranlassung zu Anfeindungen und Verläumdungen gegeben hätten, worauf bereits eine Disciplinar-Untersuchung gefolgt sei. Sie glauben nicht, was grade in Disciplinarsachen, so wie überhaupt in der Verwaltungsjustiz ein geschicktes Pränunciren von Nutzen sein kann.«

»Sehen Sie, mein lieber Freund,« fuhr er fort, »der Oberpräsident ist ein strenger und rechtlicher Mann, aber eben darum ist er leicht zu gewinnen durch den Anschein von Offenheit und Biederkeit. Er haßt jede Unrechtlichkeit und Sittenlosigkeit der Beamten; aber er hält fest am Princip, daß das Ansehen der Beamten unter keinen Umständen zu compromittiren sei. Im Vertrauen kann ich Ihnen sagen, Ihr Folium in der Conduitenliste steht noch immer rein, da es mir gelungen war, den Mann, der in Geheim den bedeutendsten Einfluß darauf hat, für Sie zu gewinnen, und darauf fußend werden Sie den Oberpräsidenten leicht überzeugen können, daß Alles, was gegen Sie vorgebracht sei, auf Haß, Neid und Verläumdung hinauslaufe.«

Und so geschah es auch. Der Oberpräsident, ein sehr achtungswerther Mann mit blassen, geistvollen Gesichtszügen hatte eine anfangs abschreckende Kälte in den aristokratischen Repräsentationsformen seines äußern Wesens; dabei aber war er voll warmer Liebe für den hohen Beruf seines Amts. Er hätte gern durch seine Administration das ganze Volk glücklich gemacht; aber die Geschäftsformen und besonders das büreaukratische Vorurtheil, daß Alles für das unmündige Volk geschehen müsse, nichts aber durch dasselbe, und dabei, wenn wir nicht irren, ein tief im Hintergrunde seiner Seele liegender Zug von Menschenliebe, das waren die geistigen Handhaben, woran sich dieser sonst bedeutende Staatsmann wohl lenken und gewinnen ließ; und das muß man dem Oberbürgermeister Dachstein lassen, daß er bei einer großen und imposanten Figur so etwas ungemein Gewinnendes in seinen Umgangsformen hatte, daß es ihm leicht wurde, dem Oberpräsidenten ein günstiges Vorurtheil für sich und ein Mißtrauen gegen seine Ankläger einzuflüstern.

Der Oberpräsident versprach ihm eine strenge und gerechte Untersuchung mit einem Ernst, der den nicht ohne Grund angeklagten Mann fast erschreckte, und entließ ihn mit der Versicherung: »Sein Sie überzeugt, daß ich Ihnen, wenn Sie, wie ich hoffe, unschuldig befunden werden, eine eclatante Genugthuung verschaffen werde; das bin ich im Allgemeinen dem nothwendigen Ansehen der Beamten schuldig, ohne welches sich eine geordnete Staatsverfassung nicht erhalten lassen würde.«

Der Oberpräsident las als gewissenhafter Mann persönlich die Acten, was man eigentlich bei seinen überhäuften Geschäften nicht erwartet hatte. Seinem klaren Verstand und ungemeinem Scharfsinn konnte es freilich nicht entgehen, daß, wenn man zwischen den Zeilen las, allerdings noch Manches ungerechtfertigt und unaufgeklärt blieb. Er bestimmte daher, daß ein anderer Commissarius nach N. N. gesendet werde, um die Sache noch genauer zu untersuchen.

Der Mann auf den die Wahl fiel, war ein junger Assessor, Namens Walker. Der Oberpräsident hatte ihm gesagt: »Ich wünsche und hoffe, daß der Oberbürgermeister Dachstein völlig gerechtfertigt aus diesem bösen Handel hervorgehen möge; ich will ihm gern glauben, daß er unschuldig verläumdet ist; denn man kennt die Klatschsucht in kleinen Städten; indeß, damit der sonst tüchtige Geschäftsmann auch völlig gereinigt vor der Welt dastehe, habe ich Sie beauftragt, sine ira et studio diese Sache noch einmal genau zu untersuchen und mir darüber, unter Beifügung der Acten, zu berichten.«

Der junge Mann war ein Feuerkopf, der noch mit dem ersten Schwerte focht, voll Diensteifer und Rechtlichkeitsgefühl; aber der frühere Commissarius wußte seinen Eifer zu dämpfen.

»Ihre Gesinnungen,« sprach er, »Herr Assessor, machen Ihrem Herzen Ehre, aber nicht Ihrem Verstande. Ein junger Mann, der Glück machen will in der leider jetzt den Schneckengang gehenden Beamtencarriere, darf nicht immer seinem eigenen Kopfe folgen wollen. Wer das thut, rennt mit dem Kopfe gegen die Wand und zerschellt sich den Schädel. Im Staatsleben, besonders im Polizei- und Verwaltungsfache ist es mehr die Politik als das Rechtsgefühl, welches die Beamtenwelt leiten muß. Besonders jüngern Beamten kann es nicht genug empfohlen werden, sich den Ansichten hoher Vorgesetzten nicht zu opponiren. Wer sich fügt mit aalglatter Haut, der wird fortgeschoben im Drange der Verhältnisse. Also wenn der Oberpräsident, wie doch in diesem Falle klar ist, den Oberbürgermeister Dachstein unschuldig finden will, so ist das eine Sache, die er auf seine eigene Kappe zu nehmen hat, und es wäre unklug von einem jungen Aspiranten für den Staatsdienst, in solche menschenfreundliche Intentionen Ihres hohen Vorgesetzten nicht einzugehen.«

Obwohl diese Ansichten eines ergrauten Beamten den edlern Gesinnungen des jungen Feuerkopfs nicht zusagen wollten, so hatte er sich doch einmal in den Strom der Büreaukratie begeben und war verständig genug, einzusehen, daß ein gehaltloser Assessor gegen den Strom nicht schwimmen dürfe, wenn er nicht darin untergehen wolle. Das leidige: »Leben und leben lassen« kam auch dazu; es war zudem die erste Commission von einiger Bedeutung, die ihm aufgetragen wurde und dabei wollte er sich denn doch auch nicht grade mißliebig machen; endlich übte die Liebenswürdigkeit und Gewandtheit, so wie auch die gute Tafel des Angeschuldigten ihre verführende Macht auf den jungen Mann so gut, wie auf ältere Geschäftsmänner; kurz, die von ihm fortgeführte Untersuchung brachte auch kein anderes Resultat, als daß dem Oberbürgermeister nichts Bedeutendes zur Last gelegt werden könne. Dem Denuncianten wurde bei schwerer Ahndung angedroht, jedes fernere Queruliren zu unterlassen und jedenfalls blieb eine Criminaluntersuchung wegen beleidigter Amtsehre vorbehalten.

Die Acten wurden damit reponirt und die Sache schien vollständig niedergeschlagen zu sein.

So war es auch geblieben, da Niemand weiter zu queruliren wagte und der Volksunwillen sich nur im Stillen Luft machte, wenn der durch das ganze Verfahren erbitterte Oberbürgermeister sein Rachegefühl und seinen verletzten Hochmuth hätte bezähmen können. Wer aber das Leben der Menschen beobachtet hat, wird finden, daß der Rachedurst nicht ruheloser und glühender waltet als in der Brust Dessen, der sich im Unrecht befindet. Der Bürgermeister Dachstein hatte ermittelt, wer der Verfasser der von einem angesehenen Bürger, welchen der Rächerarm eines Oberbürgermeisters nicht erreichen konnte, eingereichten Denunciation war.

Es war ein sogenannter Concipient, der sich und seine zahlreiche Familie durch Winkelconsulentschaft, Anfertigung von Bittschreiben, Beschwerden und Geldnegocen, wenn auch nicht immer sehr rechtlich ernährte. Scandal und endlose Querelen war sein eigentliches Element, weil solche Sachen ihm besser bezahlt wurden als gewöhnliche Supplicate. Die preußische Gesetzgebung und Praxis ist sonst ziemlich nachsichtig gegen solche Subjecte und ignorirt ihr allerdings oft sehr verwerfliches Treiben. So weiß Mancher dieser Classe, besonders in dem ewig wogenden Berlin, sich den Schein eines großen Wohlstandes zu erschwindeln. Er lebt auf einem großen Fuß. Wer den Herrn Commissarius, diesen Titel führen sie nicht selten, sprechen will, wird in das Büreau verwiesen. Dort erst wird er vorläufig verhört, was seine Absicht sei; dann muß er einen Vorschuß deponiren und ist es ein Geschäft, das auf dem Büreau nicht abgemacht werden kann, so führt ihn ein Bedienter durch eine lange Reihe elegant meublirter und decorirter Zimmer in das Allerheiligste, das Cabinet dieser Winkelexcellenz. Mit vornehmer Kälte wird er um sein Anliegen befragt; zeigt sich aber dem ungemeinen Scharfsinn des Consulenten nur die geringste Spur, daß hier etwas zu machen sei, so ändert er plötzlich sein Benehmen; wird aus dem kalten, gemessenen Geschäftsmann der wärmste Freund des Clienten; hat er abschlägige Resolutionen und Decrete schon empfangen, desto besser. Je fauler die Sache, desto mehr schmeckt sie dem Winkelschreiber. Er schimpft auf die Behörden und Gerichte, zeiht sie der Böswilligkeit, Parteilichkeit und Dummheit und schwört hundert Mal bei seiner Ehre, wovon indeß die Welt nichts weiß, daß er sie schon fassen werde. Ist der Mann, der bei ihm Hülfe sucht, wohlhabend, so giebt es eine zweifache Weise ihn zu melken, entweder durch bedeutende Vorschüsse oder durch einfache Vollmacht mit der Erklärung, die Arbeiten nach Erfordern honoriren zu wollen und dann Gnade Gott den Rechnungen! Winkelconsulenten haben keine Taxe. Sie können fordern und nehmen an Honorar, so viel sie wollen. Sie haben keine andere Grenze als die ihnen durch die Concurrenz gesetzt wird. Mißlingt das Geschäft und der Client macht ihnen Vorwürfe, so haben sie die stehende Ausrede: »Ungerechtigkeit geht vor Recht!«

Am liebsten sind ihnen Geldgeschäfte oder Güterhandel. Sie kaufen Bauergüter oder Altentheile; erstere entweder um sie zu dismembriren, wodurch sie oft den doppelten Preis herauspressen, oder sie zahlen eine geringe Abschlagssumme und versprechen, den Rest des Kaufgeldes bei Abschließung des gerichtlichen Contracts zu entrichten. Sie hüten sich aber wohl, dafür eine Frist zu bestimmen; dagegen haben sie sich in den Besitz einsetzen lassen; und nun schalten und walten sie dort als Eigenthümer, verkaufen das Inventar, parcelliren Grundstücke, deterioriren die Gebäude, kurz sie thun Alles, um dem Verkäufer Angst zu machen, daß das Gut in schlechte, zahlungsunfähige Hände gekommen sei; Helfershelfer müssen dazu mitwirken, daß diese Meinung sich verbreite und der vormalige Besitzer wird besorgt, daß er um den Rückstand des Kaufgeldes geprellt sei. Nun sucht er den Handel rückgängig zu machen; aber der Käufer hat sich vorgesehen, ein Neukaufgeld stipulirt und so bleibt denn dem geprellten Eigenthümer nichts übrig, als noch ein Tausend Thaler oder mehr zuzuzahlen, die eingezahlte Abschlagssumme zurückzugeben und mit dem blauen Auge von einem Paar tausend Thaler Schaden aus diesem schlechten Handel hervorzugehen. Der Betrüger aber geht dabei frei aus, mit einem reichen Gewinn beladen, denn wir haben kein Gesetz, das die Leichtgläubigkeit gegen solchen Schwindel schützt.

Ein so großartiger Geschäftsmann aber war der Winkelconsulent Federfuchser in N. N. nicht. Er trieb sein Geschäft im Kleinen und stieß dabei nicht selten an. Es war also ein Leichtes, irgend eine Veranlassung zu finden ihm eine Disciplinarstrafe zuzuwenden. Der Oberbürgermeister machte nur den Fehler, daß er ihn nicht bei Gericht denuncirte, sondern in Kraft seiner Polizeigewalt sofort arretiren und über acht Tage ohne Verhör in einem dumpfen Kerkerloche bei schmaler Kost und schlechter Behandlung sitzen ließ. Endlich mußte er doch losgelassen werden. Der Oberbürgermeister ließ ihn vorführen und kündigte ihm an, daß, wenn er so fortführe mit seinem unruhigen Queruliren, so würde er ganz bestimmt mit sechs Monaten Zuchthaus büßen müssen. Die Beschwerden des so willkürlich verhaftet gewesenen Querulanten bei der Oberbehörde hatten natürlich weiter keine Folgen, als ihm Verweise zuzuwenden und nun krümmte sich der getretene Wurm und die Schlange zeigte ihren Giftzahn.

Nach einigen Wochen enthält ein Leipziger Blatt die ganze Geschichte dieses bösen Handels mit einer Skizzirung der Persönlichkeit und des Lebens und Wandels jenes Oberbürgermeisters, der willkürlichen Verhaftung des Concipienten und des Schutzes, den Jener bei den Oberbehörden gefunden hatte, mit Namensnennung des Oberpräsidenten und der Regierungscommissarien.

Das war denn doch zu viel für eine an Preßfreiheit noch nicht gewöhnte Zeit. Damals war die geringste freie Bewegung der Presse noch sehr mißliebig; man hielt jede freimüthige Aeußerung dieser Art für Frechheit einer auf den Umsturz des Staats gerichteten Partei und verfolgte den Verfasser so lange, bis er entweder im fiscalischen Prozeß auf die Festung gebracht oder polizeilich ausgewiesen war. Alles wurde aufgeboten, den Verfasser dieses die Wahrheit enthaltenden Pamphlets zu ermitteln, allein die Redaction jenes Blattes war nicht zu bewegen, den Namen desselben anzugeben.

Während man sich so im Aerger über eine Publicität, die sich nicht mehr ungeschehen machen ließ, zerknirschte, war das Ministerium des Innern auf diesen Artikel aufmerksam geworden. Es forderte Bericht mit Einsendung der Acten, und nun schien nichts mehr den Oberbürgermeister Dachstein retten zu können.

Allein der Geheimrath Leblos, welcher grade in diesem Fach arbeitete, wußte sich die Commission zu verschaffen, nach N. N. zu reisen und die Sache weiter zu untersuchen. Er nahm auch vorher Gelegenheit, mit dem Oberpräsidenten und dem betreffenden Regierungsrath darüber zu sprechen und gewann damit die Ueberzeugung, daß man diesen tüchtigen Beamten, der so unschuldig verfolgt werde, um jeden Preis schonen wolle.

Der Geheimrath hatte sein Factotum, unsern Edmund, als Protokollführer mitgenommen nach N. N. Er war, wie sich gebührte, im Gasthofe abgestiegen. Der Oberbürgermeister hatte davon schon Wind bekommen und machte ihm seine Aufwartung. So viel als möglich und mit der unterwürfigsten Höflichkeit lud er ihn ein, sein Haus als das seinige betrachten zu wollen. Kaum war der Geheimrath dort eingezogen, so ging es an ein Schmausen und Schwelgen, wobei nur zweierlei zu bewundern war, woher man in dem kleinen Städtchen alle die Delicatessen und feinen Weine hatte anschaffen und dann auch, wie es möglich war in einen Menschenmagen so viel und vielerlei an Trank und Speise hineinzustopfen. Indeß der Geheimrath Leblos war ein Apizius erster Größe und hatte er sich den Leib so recht con amore vollgestopft: so liebte er sein Schläfchen; nach Tische war er zu Allem, was nach Geschäften schmeckte, nicht aufgelegt und Vormittags hatte er nicht Lust, sich aus seiner Ruhe im Schlafrocke stören zu lassen; so lag denn die ganze Last und Verantwortlichkeit auf Edmund und dieser war genugsam verwarnt, nichts zu protokolliren, was nur den geringsten bösen Schein auf den guten Oberbürgermeister, der einen so trefflichen Wirth mache, werfen könne.

Allein stets kam dieser Befehl mit der Wahrheitsliebe des jungen Mannes und mit dessen Rechtlichkeitsgefühl in Collision. Und so entstanden denn freilich Protokolle, welche nichts weniger als geeignet waren, die Unschuld des Angeklagten ans Licht zu ziehen.

Zum Glück war der Geheimrath mit seinen 3000 Thalern jährlichen Gehalt zu arbeitsscheu, um sie durchzulesen. Er fügte eigenhändig dem: Gesehen da und da, seine Präsenz am Rande hinzu und unterschrieb die Protokolle bona fide.

Endlich nach acht schwelgerisch verlebten Tagen, die seinem gütigen Wirthe Hunderte gekostet haben konnten, schied er von demselben mit einem Handdruck und dem Glückwunsch, daß nun damit Alles beigelegt sein werde. Nach Berlin zurückgekehrt, hatte Edmund den Auftrag erhalten, den Bericht an den Minister auszuarbeiten. Das geschah; da er aber doch in den Fall kommen konnte, Sr. Excellenz über diesen oder jenen Casus noch mündlich nähere Auskunft geben zu müssen, so konnten sich der Geheimrath für diesmal der ungeheuern Aufgabe, das sechs bogenlange Opus, das er unterschreiben sollte, zu durchlesen, nicht entziehen.

Aber, o Herr des Himmels! wie groß war sein Schrecken, als die Schuld des Oberbürgermeisters damit klar an den Tag kam. Was war zu thun? den Oberpräsidenten, der den Mann protegirte, so grade vor den Kopf zu stoßen, wollte er doch auch nicht thun. Der Mann selbst lag ihm nicht viel am Herzen; den hätte er wohl geopfert; indeß würde das eine himmelschreiende Undankbarkeit für genossene Speise und Trank gewesen sein. Edmund bezog sich auf die Acten und weigerte sich entschieden, einen lügenhaften Bericht abzufassen; da mußte denn wohl unser Geheimrath Leblos das ungeheuere Stück Arbeit übernehmen, einen Bericht zusammenzustellen, der allerdings neben der Wahrheit ziemlich weit vorbeispazierte.

Edmund erhielt die ernste Weisung, daß, wenn er sich noch ein einziges Mal herausnehmen würde, anders zu protokolliren oder zu berichten als es die Intentionen seines Vorgesetzten beabsichtigten, er sofort aus dem Hause und den jetzigen Dienstverhältnissen entlassen werden solle.

»Aus dem Hause entlassen!«

Dieser Gedanke hatte etwas Erschreckendes für ihn, etwas Entsetzliches; es war ein Gedanke, den er nicht zu ertragen vermochte. Er nahm sich vor, sich zu bessern, d. h. sich selbst nur als willenlose Schreibmaschine seines hohen Vorgesetzten zu betrachten. Aber ihm schauderte die Haut über solchen Vorsatz.

In der Sache selbst hatte seine Ehrlichkeit in den Protokollen doch unangenehme Folgen für den gütigen Oberbürgermeister gehabt. Der vortragende Rath hatte, was man nicht erwartete, die Protokolle selbst gelesen und der Ministerialbescheid lautete, daß die Acten dem Kammergericht zur gerichtlichen Untersuchung und Bestrafung des etwa schuldig befundenen Beamten übergeben werden sollten; seitdem hat man nichts weiter von der Sache gehört.

Ob etwa das ad acta Legen und Todschweigen einer Sache auch zu den Mysterien der Justiz gehört, was wir bei der Controle der vielen höhern Orts einzureichenden Prozeßlisten kaum glauben können, oder nur der Büreaukratie?

Wer mag das wissen?

 

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