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Januar 1920
Der unwiderleglichste Beweis für die Freiheit des Menschen ist das Böse, das immer gewählt werden muß, für das man immer und immer von neuem sich entscheiden muß, das in der verlorensten Zeit nie ganz in Mechanismus auf- und übergeht. Es ist auch dieses Mal nicht aus dem Krieg mit der Notwendigkeit des Absoluten einfach gefolgt; es ist gewählt worden; die drei schauerlichsten Tröpfe der Weltgeschichte [es ist ein Satz Hiltys, der sonst vor starken Worten zurückschreckte: »Ein Mensch in hervorragender öffentlicher Stellung ..., der noch etwas anderes fürchtet als Gott, ist ein armer Tropf«] haben dafür sich entschieden in Versailles, weil nicht einer von ihnen Gott fürchtete, was der Anfang der Weisheit ist für Kinder, für Männer und Greise, für Mann und Weib, sondern weil sie, verächtliche Feiglinge, nur Menschen fürchteten: ihre Wähler und die besiegten Feinde. Wie hallen die Herzen, die in Europa noch schlagen, traurig wider von den gesta diaboli per Francos! Und was sagen denn dazu die französischen Christen? Wie ist das mit Herrn Claudel? Ich habe die Ehre, öffentlich zu fragen. Mich interessiert nicht seine Literatur, denn ich achte das persönlich wesenlose Deklamieren in einer Sprache, deren Wesen das Deklamieren ist [was bleibt dann noch?!], nicht sehr hoch, und einen viel anderen Eindruck von seiner Literatur habe ich nie empfangen; aber hätte er Werke zu zeigen, wie Dante – hier stock' ich, eine unmögliche Möglichkeit, denn da wäre er selber ein anderer und ich brauchte nicht zu fragen –: um all das geht es nicht, oder erst wieder in einem viel tieferen Sinn, denn: er gibt für einen Christen sich aus, was man ja von seinem Chef, dem Herrn Clémenceau, nicht sagen kann. Sein Chef, sage ich; ich sah nämlich ein Bild: die Abstimmungskommission für Schleswig: ein paar biedere Bürger und unter ihnen einen gefährlichen giftigen Schwamm, dessen Anblick und Name: Paul Claudel mich in ein tiefes Staunen warf. Welch eine Verkündigung! Das geht also zusammen; man kann also als französischer Christ zwei Herren dienen, Christus und Moloch, der Liebe und dem Haß, dem Menschensohn und einem Gorilla; man kann also als französischer Christ in einem fremden Land und vor Menschen seine Stücke aufführen und bezahlen lassen, gegen die man als politischer Erpresser, als Verleumder sich anstellen läßt und sicher auch ganz so vorgeht. Das ist stattlicher, als was meine Vorstellungskraft leisten kann. Wohl, wir haben einen Eid geschworen, daß der Zorn unser Herz nie verbrennen soll, und Gott wird uns helfen, ihn zu halten; aber das genügt nicht, denn nun will der Ekel unsere Seele wegfressen. – Wie ist das mit Herrn Jammes? Ich habe die Ehre, öffentlich zu fragen. Mich interessiert nicht sehr seine Literatur, da ich immer die Demut des Christen für eine Nüchternheit des Herzens hielt und eine Kraft des Herrn, nicht aber für einen verdorbenen Gaumen und einen Sirup der Sentimentalität, der beim zweiten Löffel schon etwas widerlich schmecken kann, und ich immer erachtet habe, daß es äußerst gefährlich ist, aus der Gottseligkeit, die im Anfang wohl bei ihm war, ein Gewerbe, und gar ein literarisches Gewerbe: ein liederliches Gewerbe zu machen; aber hätte er Verse vorzuzeigen wie André Chénier – hier lächle ich, der Unterschied zwischen Mannesadel und zweifelhafter Kindlichkeit ist zu unvermittelt und deshalb komisch –, er wäre ein anderer und ich brauchte nicht zu fragen –: um all das geht es nicht oder erst wieder in einem viel tieferen Sinn, denn: er gibt für einen Christen sich aus, und weil die schönsten Mädchenbeine und Honigseim und Röslein gegen die Verbrecher und Verbrechen von Versailles gewiß machtlos sind, so dürste ich eben nach einem männlicheren Wort. Dabei rede ich hier ja nur von den Besseren und zu den Besseren. Ich schweige von den anderen offiziellen nationalistischen Christen Frankreichs, ich schweige von einem M. Barrès, dessen – von einem einzigen Menschen beherbergte – Legion Dämonen zu fassen alle nach diesem Krieg übriggebliebenen Säue nicht imstande wären. Was also sagen denn die französischen Christen?! Seit ein Gorilla sie hütet, was ist's mit der Gloire? Ach, wie sie stinkt nach einem einzigen Jahre! Ihr sagt: sie strahlt wieder im alten Glanze, ich sage euch: sie blüht und schlägt aus wie Aas und Aussatz! Was ist's mit Frankreich, der »ältesten Tochter der Kirche«, die rein sich nannte? Heute ist sie zur irren Hure geworden, deren Ausbeuter und zugleich wieder Zuhälter die gottlosesten Goldanbeter sind; deren Advokat in politischen Schmutz- und Erpresseraffären ein Dämonenkot ist, welcher Wohnung nahm in der verlassenen Carcasse Hideuse einer längst wegen sechzig Jahre lang fortgesetzter Verbrechen der Lügenjournalistik und Politik außer Leibes gejagten Seele –: Äffin im Imbezillengarten Darwins, Schweinin im Stalle Zolas, Schnorrerin im Schoße Judas, Schaffnerin im Hause Mammons; deren Ritter und Held ein wortbrüchiger Marschall ist – den Stab mußten Börsenkönige ihm geben, siehe da, den Royalisten! – der wider Gewissen, wider Recht Gottes und der Menschen, wider allen hergebrachten europäisch-soldatischen Ehrbegriff seiner eigenen Kaste, die Gefangenen der Besiegten fünfzehn Monate über die Zeit in viehischer Sklaverei zurückbehielt und trotzdem mit allen Ehren gegrüßt werden will. Was ist das doch für eine Ehre?! Wenn ich diesen Marschall, den ich, wenn ich ein Bischof der römischen Kirche wäre, da er ja von jedem verächtlichsten Journalisten als frommen Katholiken sich feiern läßt – vom Sakrament des Altars ausgeschlossen hätte, bis auch kirchliche Sühne geleistet wäre für das scheußliche Verbrechen der Gefangenenzurückhaltung, ein Verbrechen, das, wenn die Anschauungen der Zeiten berücksichtigt werden, nicht kleiner ist, als das Verbrechen des Kaisers Theodosius, dem der Bischof von Mailand Buße auferlegte, und doch war Theodosius ein Kaiser und ein Mann und nicht ein grotesker »gallus«, der, weil 10 000 Tanks siegten über gar keinen Tank, auf dem Mistbeet eines verfaulten Nationalismus »Gloire« kräht, und wiederum, Priester der Revanche, der rachitischen Tochter ihrer größeren Mutter, der Rache, die auch keine obere Göttin ist, in orgiastischer Raserei niedrigsten Haßrausches seinen und seiner Nation Geist entmannt – aber freilich war auch der Bischof von Mailand ein Bischof der Kirche Christi, während die Bischöfe von Frankreich nur die Bischöfe von Frankreich sind, die sich begnügen mit der Verbreitung der Nachricht, daß der Herr Marschall »das Schwert des Siegers« – das Schwert, – multum intervallum: – das Schwert – eine Gasgranate? – »der Madonna von Lourdes zu Füßen gelegt habe«, ein Geschehnis, das nicht den Geist Christi, sondern nur das Todleben einer Phrase erneuern wird, – wenn ich diesen Marschall einen Verbrecher und einen Erpresser nenne, also die Wahrheit sage, so fühlt er wohl in seiner »Ehre« sich gekränkt, die aber das eigene Verbrechen niemals kränkt! Was ist das für eine Ehre, eine Ehre, die ein schiefer Blick, ein Achselzucken, ein leises Wort der Wahrheit zu immer neuen Verbrechen reizt, die aber das Unrecht und die Sünden, die sie doch an jedem Tage säuft wie Wasser und Wein vom Rhein, gar nicht spürt?! Wie unheimlich ist das! – Es ist schon so, daß auch der Wert des Militärs, des Soldaten in der merkwürdig giftigen Atmosphäre dieser Zeit vernichtet wurde. Alles geht zugrunde an sich selber, durch die Überschreitung seines Zweckes, durch die Anarchie seiner Mittel, durch die Hybris seiner Selbsteinschätzung. Wenn jedes kleinste Segment einer Kreisperipherie, weil es das wahre Zentrum nicht mehr sieht oder sehen will, für das Zentrum sich ausgibt und so sich benimmt, was für ein Schwanken gibt das, was für ein Schaukeln zum Übelwerden! Es gibt keine wirtschaftliche Beurteilung wirtschaftlicher Dinge, die übrigens in einem gottgefälligen Leben leicht von selbst sich ordnen könnten, sondern es gibt eine wirtschaftliche Weltanschauung, und sie, die schon zum Verzweifeln vielproblemige Hydra, bekam noch Junge mit denselben Zauberkräften: es gibt nicht eine kapitalistische, eine sozialistische, eine kommunistische Ansicht von den Teildingen, die jeweils nach Zeit, Umstand, Situation mit Recht kapitalistisch, sozialistisch, kommunistisch angesehen werden können, nein, es gibt sofort eine kapitalistische Weltanschauung, eine sozialistische Weltanschauung, eine kommunistische Weltanschauung. Alle harmonia praestabilita zwischen Gegenstand und Modus des Sehens und Urteilens, zwischen Wert und Maß und Qualität der Leidenschaft, die ihn ergreift in einer von ihrem Schöpfer doch teleologisch gedachten und geordneten Welt, ist verhöhnt und verachtet. Wenn alle Geblendeten, alle Schwachsichtigen, alle Kurzsichtigen, alle Weitsichtigen, alle Fernsichtigen die ganze »Welt anschauen«, was für ein Bild gibt das! Und wenn sie nach diesem Bild die Welt ordnen und umordnen, was für ein Leben wird das! So gibt es auch nicht nur eine militärische Beurteilung militärischer Dinge, nein, es gibt eine militärische Weltanschauung. Und diese ist etwas Fürchterliches, noch fürchterlicher durch ihre heute bestehende intime Verbindung mit der mammonistischen Weltanschauung. Selbst das von Gott geduldete, in engen Grenzen und um unserer Sünden und Bosheit willen, damit es nicht durch Bolschewisten, Kommunisten, unabhängige Dachschützen, Literatur- und Feuilletonverbrecher noch schlimmer mit uns würde, geduldete Militär ist von ihm eben doch nur geduldet und niemals ein Stand des geringsten Grades der Vollkommenheit des Neuen Lebens; selbst im Alten Testament durfte der König David, ein Erwählter und Gesalbter und der irdische Ahnherr des Messias und Gottessohnes, nicht einmal den Tempel erbauen, weil er, wiewohl in gerechten Kriegen, Blut vergossen hatte. Werden aber die Grenzen überschritten, gibt es eine militärische »Weltanschauung«, deren Zentrum notwendig ist: du sollst töten, rauben und erpressen, so ist das Militär ein Greuel vor Gott; im selben Augenblick ist militärische »Ehre« einfach menschliche Schande geworden [wie eine militärische Ehrenbezeigung heute ganz eindeutig einer menschlichen Verhöhnung gleicht!], ganz einerlei, ob es sich nun um den Krötenkönig handelt aus dem wüstesten und faulsten Sumpfe, den Deutschland jemals hatte und in dem es sich selber und seine »Ehre« erstickte – noch plagt mich zuweilen in Träumen des Schlafens wie Wachens sein Bild, das uns anglotzte aus jedem Schaufenster und das ansehen zu müssen ein böser Teil der allgemeinen Pflicht der Wehrlosigkeit war, und das ich doch nie ohne den Schüttelfrost des Ekels ansehen konnte, weil ich von beiden Winkeln des Mundes den tödlichen Schlamm der nationalliberalen Phrase triefen sah – ob es sich also um Ludendorff handelt, den Besiegten, der aber fast so keck sich gebärdet wie der Sieger, und den einen Junker zu nennen noch der Feind des Junkers als eine grobe Beleidigung dieses empfinden müßte, oder um den goldgalonnierten Banditen Foch, den Bordellmarschall der Rheinlande, der diese mit der Syphilisation Française vollends ganz zu durchdringen hat und dem es gelungen ist, in einem Lande, in welchem einst die Lächerlichkeit tötete, das Gefühl für diese zu töten, indem er den Siegeseinzug auf seinem Schlachtroß hielt, noch einmal: auf seinem Schlachtroß, das nicht etwa eine Phrase und eigentlich ein Tank oder ein Automobil, sondern ein wirkliches Pferd war – mein Gott, wie alles sich verwirrt und wieder klärt, denn damit die Phrase ganz und sogar in die Potenz erhoben und ins Licht gerückt würde, die Phrase des persönlichen ritterlichen Heldentums, gehörte eben ein edles, lebendiges Pferd dazu, aber es merkte keiner etwas in Paris, das für diesen Augenblick, kretinisiert durch den Rausch des Nationalismus, die dümmste Stadt war, was sich geziemte, da es durch die Tat von Versailles die verbrecherischeste Stadt wurde. – Die natürliche Ehre, die Ehre des natürlichen Menschen, des Kriegers und Soldaten in ihm ist in diesem Krieg für den konkreten europäischen Menschen vollends vernichtet worden. Oder wenn sie doch noch da sein soll, dann muß man sagen, daß die Elastizität der Auffassung von ihrer Tragkraft beim Besiegten Schwindel erregt, und beim Sieger ihr Inhalt platte Bosheit und Hysterie ist. Im Anfang, 1914, in Deutschland, genügte wohl ein Staubkorn, um die Schale des Unheils zu senken; im Anfang genügte das Kitzeln mit einem Haar, um sie, als wäre sie schon zum Tode verwundet, aufzucken zu lassen; im Anfang genügte der Anblick – ich rede noch lange nicht vom Anzünden – eines Streichholzes, um eine unermeßliche Explosion zu erwirken – so zauberhaft war unsere militärische Ehre; heute kann alle erpresserische Kanonengewalt der siegreich verkommenen Regierungen, die uns ihren Waffen und ihre Völker der höllischen Phrase unterworfen haben, ihr nichts anhaben. Mit der Ehre ist es in Europa wie mit allem Notwendigen: sie ist rar, und noch rarer, da für sie kein Schieber Interesse hat. Die Besiegten haben die Ehre verloren, kein Zweifel, denn es ist ehrlos, die Führer auszuliefern, denen man im Grunde des Herzens ja doch Jahre lang zugestimmt hat; es ist ehrlos, Sätze zu unterschreiben, von denen man gewiß weiß, daß sie nicht wahr sind; aber die Sieger haben sie auch verloren, nicht nur einfach, sondern doppelt. Wenn ein Weib, um sein Leben zu retten, von einem betrunkenen und bewaffneten Kerl sich vergewaltigen läßt, wohl, so hat es die Ehre verloren, da es ja hätte sterben, den Tod wählen, das Leben geringer schätzen können, als die Ehre; wenn sie sich aber von dem, der ihr mit solchen Mitteln und auf solche Weise die Ehre genommen hat, ehrlos nennen lassen soll, während er selbst, und zwar, wegen eben dieser Tat, Ehre zu haben und verlangen zu können prätendiert – so darf sie ihn, menschlich gesprochen, verachten und hat im selben Augenblick jenseits ihrer Unehre eine höhere Ehre gewonnen, die Ehre der Wahrheit nämlich gegen die Ehrlosigkeit der Heuchelei und einer Lüge, die nicht mehr nur menschlich dumm, nein, die dumm ist wie der Teufel. Die Erkenntnis des Mittelalters, daß der Teufel dumm ist, wächst in jedem ernsten Betrachter dieser Zeit durch die Zweifel, in die er immer wieder gestürzt wird: ob die Bosheit der Menschen größer sei oder ihre Dummheit, und durch die Entscheidung, der er nicht oft entgehen kann, daß doch die Dummheit noch größer ist. Aber Gott hat den Menschen nicht dumm geschaffen, und Christus will den Menschen nicht dumm haben, sondern, zuerst freilich, zuerst: rein und einfältig in seinem Herzen und Willen; er soll nur Eines wollen, dann aber: klug wie die Schlangen; und dem, der auch die Sinne und den Leib rein sich erhält, verspricht er Blitze der Erkenntnis. Durch die Macht des Teufels sind die Menschen dumm geworden; es ist die Dummheit des Teufels, welche die Menschen so dumm macht, daß sie etwa »geistliche Armut«, eine der geheimnisvollsten, tiefsten Bestimmungen des Menschengeistes, über die nachzudenken ein philosophischer Kopf nicht müde werden kann, ohne daß er sie doch ergründete, ochsenstirnig für – Dummheit halten. Es ist die Dummheit des Teufels, welche die Sieger die Ehre doppelt verlieren ließ, die Ritterehre, die Sieger wie Besiegte schon längst verloren haben, und die höhere, die Ehre der Wahrheit und Aufrichtigkeit. Es wird aber fortan keine höhere mehr im Völkerleben geben; welches Volk der Wahrheit die Ehre geben wird, wird allein die wahre Ehre haben. Von dieser Ehre haben heute, bei Gott, die Besiegten mehr, als die Sieger. Kein Verdienst, oh, kein Verdienst! nur Gnade, nur Segen der Niederlage. [Nachdem aber die Gnade sich geschenkt hat, ist es ja Sache der Freiheit des Menschen, ihrer würdig zu werden.] Es wird nun wohl Deutsche geben, die jenen Dreierauswurf der Sieger verachten mit jener grenzenlosen, absoluten Verachtung, die nichts ist, nichts, aber auch sonst gar nichts, als nur Verachtung, die, weil sie eben nur Verachtung ist und sein will, auch, was man für möglich halten sollte, den kleinsten Funken von Haß in sich nicht duldet, weil der etwas nehmen könnte von ihr: von der Verachtung; eine Verachtung, die noch den Speichel, und wandelte er sich in Eiter, lieber hinunterschluckt, als daß sie ihn ausspuckt [weil jene selbst das nicht wert seien!], vor einem hyperbolischen Tartuffe, dessen hypokritisches Gesicht so grauenvoll offenbar den Tod Christi in ihm anzeigt, daß man in einem Kloster, wenn man Mönche in der Physiognomik zu unterrichten hätte, auf dieses Gesicht mit dem Stabe zeigen und sie mahnen könnte, auf einander und sich selber zu achten, um zu forschen, ob sie noch leben, noch im Geiste leben – auf diese grauenvolle Maske, welche die heute mächtigste, systematische Feindschaft gegen Christus und sein Reich, selber sich freigemauert hat. Denn was sind gegen diese – ihre Finsternis kleidet sich gern in den schwache Augen immer blendenden Schimmer der Undurchsichtigkeit einer äußeren Gerechtigkeit – alle nur fluchenden oder lallenden Schreier, ja selbst die, welche in das göttliche Antlitz spieen –: sie sind nur subalterne Dämonen; jene aber, die freimauernden, die frei von Gott mauernden, die mit dem Mörtel der Selbstsucht und des Mißtrauens mauernden Erbauer des schmachvollsten Kerkers der Menschheit, der diese für immer von dem Wort und der Stimme des lebendigen, persönlichen Gottes abschließen und in die paragraphierten, mit Gucklöchern für gegenseitige Spionage versehenen Zellen der Menschensatzungen einsperren soll, damit sie kein Geheimnis in Gott mehr weder sei noch habe, sondern ein für jeden Gentleman verständliches Taylorsystem werde – jene hat eine unsterbliche Macht mit den Malen des Fürsten der gefallenen Engel stigmatisiert: sie tragen in ihren Gesichtern das Siegel des geistlichen Todes in fahler Unveränderlichkeit. Deutsche, die so verachten, wird es geben, und es sind die, welche mehr Herz haben, als die Schlammseelen der Feuilletonverbrüderung. Denn aus »Steinen« kann Gott Abraham Söhne erwecken, sprach er durch den Mund seines Propheten, aber nicht aus fäkalischem Schlamm, so wie wiederum sein Sohn durch den Mund eines Engels und wieder eines Apostels sprach, daß die Lauen ausgespieen werden. Die harten Herzen, die von Gott sich zerbrechen lassen, die ehernen, die von ihm sich umschmelzen lassen, sind seine liebsten, seine treuesten Knechte; von solchen geläuterten Herzen können Ströme geheiligter Kraft fließen, und sie werden wie mildes Licht in Menschennacht strahlende Milchstraßen am Firmament der ewigen Liebe. Es wird aber den Deutschen, wiewohl sie von Natur zu Haß und nachträgerischer Rachsucht durchaus nicht neigen und wegen des Elsasses allein z. B. niemals einen Revanchekrieg führen würden [obgleich ja nur Betrüger und Betrogene leugnen können, daß Straßburg eine deutsche Stadt ist], nicht leicht gemacht, nicht zu hassen, nicht an Rache zu denken; es wird ihnen schwer gemacht durch das Übermaß der Ungerechtigkeit und die Schamlosigkeit einer viehischen Raubsucht; durch den schauerlichen Pesthauch der Verkommenheit, mit dem jeden Tag die auf den Tod kranke Siegerseele Frankreichs uns anstinkt; durch die Scheußlichkeit der Heuchelei des verlogensten Menschen – was ja schon etwas heißen will –, der England je regiert hat – the lying minister! –, eines Menschen, in welchem die bewußte Lüge das unbewußte organische Gewebe des Cant bereits wieder durchlöchert hat, denn Herr Lloyd George weiß, daß er lügt; – es wird ihnen schwer gemacht endlich durch das trostlose Unvermögen auch der Besseren, der Edleren unter ihren Feinden, sie zu verstehen, denn auch diese tun in sträflicher Leichtfertigkeit so, als kennten sie alle unsere Griffe, sie wollen in das Herz unseres Geheimnisses dringen, das doch Gott nur kennt, wir aber immer noch besser als sie, mäßige Flötenspieler, fürwahr, die auf dem simplen Instrument der Begriffsstutzigkeit, das die europäische öffentliche Meinung ist, das abgeleiertste Lied, das ihnen das Grammophon der internationalen Presse noch vorkreischen muß, mit Mühe und Not abfingern. Es hat unter uns immer Einzelne, Wenige – auf sie aber kommt es an – gegeben, die auch die Griffe fremder edler Instrumente kannten; sie aber haben allzumal niemals auf unserem spielen gekonnt, sie haben es immer nur verstimmt! Und doch müssen und sollen die Deutschen, um Europas und ihrer selbst willen, um der Ehre des Christentums willen, das Harte, das unnatürlich Harte, lernen: nicht zu hassen und nicht an Rache zu denken. Niemals aber werden sie das können mit den nur humanen Ideen der Weltversöhnung, des Sozialismus, des »ewigen Friedens«, niemals werden sie das können ohne den Glauben an die Gerechtigkeit und an die geheimnisvolle Liebe Gottes, die durch Demütigungen zum Heile führt. Nur auf so hohe und höchste Dinge den Blick richtend, können Herzen den harten Weg der Demütigung gehen, ohne härter zu werden – oh, welch ein Irrweg würde das! –, sie können ihn gehen und jene Weichheit finden, die in göttlicher Entfernung von aller Schwachheit der Nerven, der Gefühle, des Verstandes, die edelste menschliche Frucht ist, die auch der Sohn Gottes geoffenbart hat, wachsend in süßester Reife an dem felsenharten unbeugsamen Stamme der Entschiedenheit des menschlichen Willens für den Willen Gottes.
Die Dinge und Begebenheiten dieser Tage in ihrem Sein und Geschehen sind nicht einfacher Natur, sie sind ein maßlos verwirrtes Gewebe, so daß ihnen die durch die Ernährung mit der europäischen heidnisch-idealistischen Philosophie zu unserem geistigen Habitus gewordene Formelfertigkeit: eins, zwei oder eins, zwei, drei nichts anhaben kann, sondern an ihnen ihre armselige Abstraktheit und Anschauungslosigkeit verrät. So bleibt es zum Beispiel wahr, daß die Deutschen, trotz aller furchtbaren Schuld, trotz Verirrung und Abfall, gleichzeitig, also im selben Augenblick, mit all diesen von der Vorsehung fast mit der völligen Vernichtung bezahlten Sünden doch auch die von ihrer ganzen Umwelt mißverstandenen tragischen Opfer waren einer im Mißbrauch noch, in der grotesken Karikatur noch, in der Herz und Augen austrocknenden Phrase noch, ihren himmlischen Wert bewahrenden Tugend: der Treue. Man muß das eine sehen und auch das andere, die starke Sünde und die schwache Tugend; wer nur diese sieht, muß hart werden und verzweifeln und kann im Grunde seines Herzens nicht mehr an Gott glauben; wer unter uns nur jene sieht, wird zum lieblosen Feind seines Volkes – wer aber sein Volk tadelt, ohne es zu lieben, der ist mit ewiger Gewißheit ein gottverhaßter Mensch. Hilty, ein Freund Gottes wie Abraham, wußte doch wohl, was er sagte, da er die Treue hoch pries als die Eigenschaft, welche Gott nächst der Reinheit am gnädigsten ansieht. Wo und wann immer Gott durch seine Propheten sich geoffenbart hat, nannte er sich nicht so oft die Liebe, wie die Treue. Treue ist die halbe Liebe, und das ist nicht einmal richtig, denn ohne die Treue ist die Liebe nicht mehr halb, sondern gar nicht mehr da, oder erst wieder da in der Reue und durch die Reue. Es ist eine sehr ernste und an furchtbaren tragischen Möglichkeiten reiche Frage, ob für das Böse wirkliche Treue möglich ist. Ich halte dafür, daß die Sphäre des absoluten und entschiedenen Bösen die Treue so ausschließt wie die Liebe, da sie ja eben die Sphäre Satans, der Gott untreu ward, und Judas' ist, der den Gottes- und Menschensohn verriet; ihnen, aber nur ihnen, kann man deshalb nicht untreu werden, an ihnen kann man nicht Verrat üben – das wären hier nur Wortspiele, nur absolut leere Begriffsformen ohne jeden Inhalt –, denn untreu werden kann man nur einem Wert, verraten kann man nur einen Wert, der freilich oft genug so schwach sein kann, daß er nur dem Liebenden, ja nur der göttlichen Liebe erschaubar ist, weil er nur ein Wert der Hoffnung ist, nur eine Hoffnung auf Wert, aber immer noch ein Wert, einer Treue wert. Nur in dieser absoluten Sphäre wäre Treue, wenn sie überhaupt möglich wäre, gar keine Tugend mehr, sondern absolute Sünde; nur in ihr sind auch keine Konflikte möglich zwischen Treue gegen höhere und Treue gegen niederere Werte; in allen Sphären der Relativität aber nicht. Der Hund, der einem schlechten Herrn treu ist, ist nicht ein schlechter Hund, und ein Volk, das treu ist auch einer schlechten Sache, einer zweideutigen Person, wird von Gott nie so angesehen, daß es »gar aus« wäre mit ihm. Man hat viel Unfug mit Nationalpsychologien getrieben; aber daß Treue auch der unsicheren Sache gegenüber, auch für eine selber durchaus nicht treue Person und ohne Rücksicht auf Nutzen oder Schaden, eine deutsche Eigenschaft ist – kein anderes Volk hat sie, auch nicht die Angelsachsen, wie Amerika lehrt, das, von Gonerils, von Regans Geblüt, gegen seine Mutter sich empörte und diese an einem künftigen Tage noch einmal auf ein bescheidenes Altenteil setzen kann –, darf im Urteil feststehen, viel fester als die, schon wie sie überhaupt entstehen konnte, völlig unbegreifliche, heute vor aller Welt Lügen gestrafte Legende von der »Ritterlichkeit« der Franzosen, als welche Nation heute kein anderes Volk einen niedrigeren und gehässigeren Charakter zeigt. Hätten die Deutschen im Laufe ihrer Geschichte Führer gehabt, die Gott und seiner Sache mit solcher Treue gefolgt wären, wie ihnen ihre Nach- und Anbeter, Führer also: treuer als Luther, treuer als Goethe, treuer als Kant, treuer als Bismarck – von dem abgefallenen Nichts und dem verlorenen Schmutz, die vor und im Krieg ihnen Führer waren, will ich gar nicht reden –, so würden sie Taten und Werke vollbracht haben, die Europa gerettet und bewahrt, statt vernichtet und aufgelöst hätten. Im Geheimnis der Treue liegen Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft des deutschen Volkes beschlossen, in ihm ist sein Schicksal nicht nur, das wäre nicht viel, sondern auch die Möglichkeit seines eigenen freien und geheiligten Werkes. Treue ist nicht nur Gehorsam, – wie wäre das wahr, da sie zuerst die Eigenschaft Gottes ist, das Verhältnis des Schöpfers zur Schöpfung, des allmächtigen Herrn zur Kreatur? Treue kann sich ausdrücken im Gehorsam – im Gehorsam bis zum Tod am Kreuze –, aber auch in der Prüfung der Geister, in der vollkommen freien Selbstverantwortung der Wahl, in der absoluten Freiheit der persönlichen bewußten Entscheidung: die Treue dem allein wiederzugeben, der allein sie gab; für die Gabe den Geber wiederzufinden, ohne den sie nicht lange leben kann, ohne zu straucheln und umzukommen in Mißgriff und Irrtum und Selbstverrat; in der Gabe den Geber zu ehren, im Geber die Gabe zu wahren und so das Geheimnis der Schöpfung und der Liebe wiederzufinden: in der seligen unbegreiflichen Einheit des unbegreiflichen Fürsichseins und Werthabens und Verdiensthabens und des unbegreiflichen, unlöslichen dennoch Verbundenseins mit Gott: in der seligen Einheit der Treue des Geschöpfes und der Treue des Schöpfers.
Ich weiß nicht, ob der Orientale Glück ertragen kann – die Juden des Alten Testaments konnten es gewiß nicht, und die Völker, die sie bekriegten, eigentlich auch nicht, aber das sei dahingestellt: fest steht, daß die Europäer es nicht können, weder als Völker und Staaten noch als Einzelne, ja nicht einmal als Kirchen und Päpste und Priester, sondern nur als Heilige; die einzige »natürliche« Ausnahme, bis zu einem gewissen Grade, bilden die Engländer, und will man nur psychologisch urteilen und erklären, so liegt hier das Geheimnis ihrer Weltherrschaft; doch ist gewiß, daß die Wurzeln dieses Geheimnisses noch tiefer liegen und Gründe sind, die für die Engländer weniger schmeichelhaft aussehen; denn alle »natürlichen« Eigenschaften, alles »natürliche« Recht, alle »natürliche« Eignung und Bestimmung, alles Talent: alles »Natürliche« hat auf Erfüllung so viel und so wenig »absolutes« Recht, wie der Samen auf Aufgehen, das Ei auf Befruchtung, der Keim auf Nährboden – welche Finsternis der Verzweiflung, wenn nicht das leitende Licht des göttlichen Weltplanes der Erlösung durch das düsterste historische Geschehen leuchtete! – hat also seine Erfüllung nur nach dem Plane der ewigen Liebe – irgendeine »historische Mission«, die ein Philosoph oder Historiker oder Politiker für sein Volk in seinem Hirn ausheckt und aus empirischen Daten, so tatsächlich sie sein mögen, durch Induktion sich und anderen beweisen will, sind an sich und ihrem »immanenten«, »natürlichen« Recht nach vor Gott noch gar nichts. Wenn er sie ansieht und jenem Volk die Macht und die Herrschaft gibt, so folgt daraus für dessen »Auserwähltheit« im absoluten Verstand noch gar nichts, ja könnte eher, wenn die Zeiten so sind wie heute, etwas für seine Verworfenheit folgen, da es, um mit einer solchen Welt so klug zu Ende zu kommen, mit jener »Welt« und »Klugheit«, die das Christentum von der ersten Minute an mit warnenden Anführungszeichen versah, in einem gefährlichen Zusammenhang leben muß. Solange die Menschheit die Umkehr nicht im Geist und in der Wahrheit und zuerst einmal durch Reue gegangen ist, kann die Allmacht Gottes wie vor 2000 Jahren nur mehr für äußere Ordnung, mit abgekehrtem Antlitz und fernen Armen, die Hilfe geben; dafür können Eigenschaften gut sein, die im Reiche Gottes nicht großer oder keiner Ehre wert sind. Die Engländer haben als Volk, als Staat, als Kirche, zusammengefaßt: als Insel vom Geiste Christi sich losgesagt. Es hat dort gegeben und gibt dort, wie überall, Einzelne als Christen, aber die englische Hochkirche hat nicht nur nicht die »Liebe« – Widersinn, das auch nur zu sagen – nein, sie hat auch den Glauben nicht, sie hat keinen Glauben, sie glaubt nicht und nichts. Wie sagst du doch? Sie habe den Glauben nicht? Glaubt auf der ganzen Welt irgend jemand so verzweifelt an etwas, wie sie an ihre Auserwähltheit? Nein, niemand; indessen, so verzweifelt an etwas Selbstgemachtes glauben, – denn wo und wann ist der Prophet aufgestanden, der Moses und den Propheten, deren Weissagungen bis zum Letzten sich erfüllt haben, sich erfüllen und noch sich erfüllen werden, gleich gewesen wäre und England die Herrschaft der Welt von Gott selber zugesprochen hätte, wo und wann?! – das heißt nicht: den Glauben haben, sondern das heißt: den Glauben nicht haben; das heißt nicht: an Gott glauben, sondern das heißt: an Gott nicht glauben. Wohl, ich weiß, es sagen manche dort: wir glauben an die Vorsehung und durch sie hindurch an die Bestimmung unserer insularen Lage; das ist nicht wahr, und ihre eigne Gentlemanphilosophie der freiwilligen Borniertheit, die auch den Geist von vornherein aufgegeben hat und ihn mit Hilfe der induktiven Methode niemals finden wird, zeigt sie an: sie gehen aus von der empirischen Tatsache ihrer »insularen Lage« und ihrer »Erfolge« und induzieren daher den Willen der Vorsehung. Aber heißt das: an eine Vorsehung glauben? Dieses eine wissen wir ja doch mit unerschütterlicher Gewißheit und danken dafür dem allmächtigen Gott, daß die Vorsehung etwas anderes vorsieht als den ewigen Erfolg englischer Eigenschaften, die für einen geistigen Menschen etwas durch Langeweile Einschläferndes und Idiotisierendes, kurz, für heute freilich, etwas »Welt«beherrschendes haben. Der Tag des göttlichen Gerichtes, der diese Insel, wenn sie von ihrer ruchlosen Politik nicht läßt, treffen muß und treffen wird, wird der Tag des Hungers sein. Denn, wie steht das doch? Ist der Satz: diese Insel ist von der Vorsehung zum Hungertod bestimmt, für die Vorsehung weniger beweisend als der Satz: diese Insel ist von der Vorsehung zur Weltherrschaft bestimmt und also auch dazu, andere Hungers sterben zu lassen? Wo ist der Denker und der wahrhaft Gläubige, der das sagen wollte! Und doch werden die Engländer, wenn das erste eintreffen wird, keine, nicht einmal mehr, wie heute, mäßige, nein: keine Denker mehr sein, sondern sie werden an die Vorsehung nicht mehr glauben, weil sie auch vorher nicht an sie, sondern »verzweifelt« an ihre Weltherrschaft glaubten. Es steht aber auch für diesen Tag, wenn er durch eigene Schuld kommen muß, fest, daß niemals vorher ein anderes Volk mit solcher radikalen Verzweiflung seine Herrschaft wird verloren gehabt haben, wie das englische sie verlieren wird – nicht einmal anno 70 das jüdische, das die Weissagung der Weltherrschaft ja nicht selber von sich aus erfunden, noch weniger in einer im Grund doch lächerlich infantilen Weise, wie England, induziert – im Gegenteil, da ja alle Empirie, aller Erfolg dagegen zeugte –, sondern von dem gewaltigen dreieinigen Gott empfangen hat, darum in Wahrheit auch gar nicht zugrunde ging, so wie Babel, Assur, Pharao, die Perser, Meder, Griechen, Römer ... [Lücken bleiben auszufüllen], sondern bis ans Ende der Tage bewahrt wird.
Es kann also der europäische Mensch das Glück und den Sieg nicht ertragen – er wird frech oder unanständig oder faul oder dumm. So nennt der Kardinal Mercier, der sich zu politischen Propagandareisen in Amerika erniedrigt, jetzt, vom »Sieg« berauscht wie irgendein Held von Versailles, in einem Buch den Kampf zwischen der Entente und Deutschland den Kampf zwischen »Gut und Böse« schlechthin, ganz einfach, absolut: Gut und Böse. Wenn ein einfacher Mensch, der nicht die tönende Tragweite eines solchen Namens und Amtes hat, die Dinge so einfach nimmt, so mag man über ihn lächeln oder ihn auch belehren, je nachdem; wenn ein Kirchenfürst und Kardinal es tut, so wird man traurig, sofern man nämlich einen Eid geschworen hat, seine Eingeweide nicht vom Zorn, der hier immer das erste ist, verbrennen zu lassen. Ist einer denn dazu nicht nur Christ, sondern auch, wir sollen das ja für eine Klimax halten – Kardinal, daß er, was naiv ist in eines Einfältigen Mund, in dem seinen zu einer mordbrennerischen, noch einmal eine Generation anzündenden Lüge macht? Denn dieser Mann, der, während sein Vaterland in Not und unterdrückt war, eine gute Figur machte – aber wem es schlecht geht, fällt das eben gar nicht so schwer, so daß es fast eine Naturfolge dessen ist, daß es einem schlecht geht. So sind wir Europäer, unser Herz ist trotzig und verzagt wie am ersten Tage des Sündenfalles; wir sind alle so, der eine auffälliger nach außen, der andere verborgener nach innen, aber vor Gott sind wir alle so, außer den Heiligen, weshalb einem der Einfall kam, daß der einzig vernünftige Ehrgeiz wohl sei, ein Heiliger zu werden, da der immer eine gute Figur macht, vor Gott und vor Menschen, vor diesen freilich erst, wenn er gestorben ist; wir sind alle so, sogar uns Neudeutschen ist es durchaus nicht schwer gefallen, eine gute Figur zu machen, damals nämlich, als wir zu dreien – wir hätten die beliebigsten drei woher immer, nehmen können, es wäre uns immer gelungen – im Spiegelsaal von Versailles dem Auswurf der »Sieger« gegenüberstanden: drei Erniedrigte und Beleidigte hundertzwanzig durch Gottes- und Menschenhaß, durch Hochmut, durch infantilen, freimaurerischen Kretinismus verzerrten Visagen von Erpressern und Heuchlern – an ihrer Spitze der Gorilla der Gloire – [welch ein Schauspiel! und wie drückt dieses Zahlensymbol die namenlose Lächerlichkeit der »Sieges«- und »Ruhmes«allüren der rasselnden französischen Generalbanditen aus!], vor deren Anblick die Spiegel gewiß zersprungen wären, wären sie nicht schon zu Zeiten ihres Stifters, der seinen euphemistischen Namen per antiphrasin trägt, da er von der Sonne nur die Flecken hatte, trüb und blind geworden – denn wahrlich diesem Mann, dieser Eminenz, hätte es besser angestanden, nun einmal, nach dem Sieg, die eigenen Leute und die Benutzung des Sieges, nicht bloß seinen Nutzen für eine Propagandafahrt nach Amerika, auf »Gut und Böse« anzusehen, dann wäre ihm für die Tat von Versailles wohl ein Ausdruck des heiligen Augustinus eingefallen, den er noch hätte steigern müssen: magnum, was magnum, maius, das ist in der Mitte und mittelmäßig, nein: maximum, maximum latrocinium! Und die eigenen Leute! Denn, bei Gott, so gut zu sein, wie die belgischen Armeegötter und Hurenknechte am Rhein, fällt dem bösesten Deutschen leicht, aber so böse zu sein, wie belgische Soldaten, die, als kein Krieg mehr war, auf badende Deutsche und deutsche Kinder schossen und sie auch trafen, so böse zu sein, fällt dem neudeutschesten Deutschen schwer. Es gibt gewiß unter der belgischen Besetzung deutsche Beamte, die bei demselben Mut, den der Kardinal unter der deutschen aufgebracht hat, ungleich größeren Gefahren im Frieden sich aussetzen, als dieser während des Krieges gelaufen ist und sogar gelaufen wäre, wenn er seinen Mut bis zum Übermut gebracht hätte. Daß wir geschlagen worden sind, dafür danke ich Gott, denn von ihm sind wir geschlagen worden, damit wir gerettet würden, und weil er uns noch liebt, nicht aber, weil die belgische Sache das absolut »Gute« war und die deutsche das absolut »Böse«. Vor Gott beuge ich mich, nicht aber vor irgend so einem Belgier, und wenn er Priester ist. Mag er den Mund voll nehmen mit so lächerlicher Phrase, man wird ihn ihm stopfen mit dem Wort. Es hätte mehr zu unserer christlichen Erbauung gedient, wenn dieser Kirchenfürst die Mißverständnisse nicht noch weiter durch eine [in seinem Mund!] infernalisch dumme Lüge verdichtet hätte; es wäre auch unser ästhetisches Bedürfnis besser befriedigt worden, wenn dieser ex officio »Knecht Christi« nicht bei den Menschen und Amerikanern Ehre gesucht, also auch nicht, wie nur irgendein erbärmlicher politisch-militärischer Wichtigtuer der Zentral-, item der Ententemächte – hier eröffnete uns schon längst die Sprache das Geheimnis, daß heute wichtig von Wicht kommt – die Hochkonjunktur benutzt und in einem Nu Memoiren veröffentlicht, sondern zunächst, laut rufend wie aus der Wüste, erklärt hätte, daß das Werk von Versailles eine ungleich teuflischere Tat ist, als der Einfall der Deutschen in Belgien. Von einem Ludendorff, einem Foch, einem Lloyd George, einem Wilson verlangen wir geistig gar nichts, von einem »Knecht Christi« verlangen wir alles, alles und alles ganz. Nun geschieht aber alles wieder so, daß das Wort erfüllt wird, das von den offiziellen Vertretern der Kirche gesagt ist: »Alles, was sie euch sagen, daß ihr halten sollet, das haltet und tut's; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun.« So viel an uns liegt, wollen wir den ersten Teil des Satzes genau beachten, den zweiten aber auch: Nicht ihnen folget nach, sondern Christus folget nach! Am Schluß aber steht, was am Anfang stand: es kann der europäische Mensch das Glück und den Sieg nicht ertragen – er wird frech oder unanständig oder faul und dumm.
November 1921
Ein Jahr danach habe ich in dem Nachwort zu meiner Übertragung der »Philosophie des Glaubens [Grammar of Assent]« des Kardinals Newman die Sätze geschrieben:
»Wer möchte bestreiten wollen, daß es ein Akt der Vorsehung ist, daß der größte, edelste und erfolgreichste Apologet des Katholizismus der neueren Zeiten gerade ein Engländer gewesen ist? Politisch und wirtschaftlich haben heute die beiden angelsächsischen Reiche, England und Amerika, als die Hauptprätendenten auf das Imperium der Welt auch die Hauptverantwortung gegenüber den göttlichen Ansprüchen des Christentums und der katholischen Kirche. Es ist ein Akt der Vorsehung, meine ich, und eine Gabe der göttlichen Liebe, mächtigen Völkern aus ihrer Mitte heraus Führer und Lehrer wie Newman zu berufen, es ist aber, wie ich auch angedeutet habe, auf der andern Seite ebensosehr eine gewaltige Verantwortung, die damit einem solchen Volke aufgebürdet wird. Und da ist es freilich ein herzbeklemmendes Omen, daß die neue Epoche der angelsächsischen Weltherrschaft inauguriert wird mit unchristlichen Akten selbstmörderischer Ungerechtigkeit, indem wir alle unter den immer heilloser werdenden Folgen der gezeichneten Stunde leben, da Amerika ein feierliches, so gut wie vor Gott gegebenes Versprechen nicht gehalten und so eines Wortbruches sich schuldig gemacht hat, der nur Schmach und Verderben bringen kann – der Mensch, der mit unerhörter Anmaßung den Herrn der Welt spielte und eine Hauptschuld daran trägt, ist freilich auf der Stelle von dem Allmächtigen auf den frevelnden Mund geschlagen worden – und indem wir erleben, daß die Engländer, wenigstens soweit sie mitverantwortlich sind für eine von dem erstaunlichsten Pharisäismus besessene Regierung und einen Mann, der, wiewohl er schon weiße Haare hat, dennoch, noch einmal, nach zwei Jahren, nicht in der Leidenschaft, sondern überlegt die Lüge von der Alleinschuld Deutschlands an dem furchtbaren Kriege, ohne zu erröten oder zu erbleichen, öffentlich zu sagen wagt, eine Lüge, so albern, daß ein Kind sich genieren müßte, sie nachzusagen, und so schamlos, daß kein Dämon mehr zu ihr die eherne Stirn aufbringen könnte – daß die Engländer, als Sklaven einer unchristlichen Idee, seit der Gotteslästerung von Versailles ihre politische Ehre schleifen lassen und anrüchig machen in dem Seelenunrat der Hysteriker und Psychopathen Frankreichs, seiner Apostaten des Glaubens und Advokaten der Pest, seiner machtgierigen imbezillen weißen Negermarschälle und ehrlosen Generalbanditen. Die letzte ›Voraussetzung‹, das tiefste ›Prinzip‹, die letzte ›Verschlossenheit‹ der Politik Englands ist die tief versteckte, aber unheimlich wirksame Superstition, das auserwählte Volk zu sein, ohne doch irgendeine Offenbarung Gottes dafür zu haben. Dieser finstere Gedanke könnte sich auflösen in sein Nichts, nur wenn er sich dem vollen, klaren Licht der Einen übernationalen Kirche Christi aussetzte, zu der Newman seinem Volk den Weg gewiesen hat; aber vor diesem Licht hat der Gedanke Angst, wie vor der – Vernichtung. Ich will nicht sagen, daß die katholische Kirche ein Volk gegen diese Sünde ein- für allemal feie, das wäre gesprochen gegen die Freiheit des menschlichen Willens, und auch die Tatsachen selber straften mich ja Lügen, da heute zweifellos ein großer Teil der französischen Katholiken Christus der Nation bedingungslos unterordnet – ein Abfall, der furchtbarer ist, als es der der preußischen Protestanten je war, und zwar um soviel mehr, als die reinere und höhere Lehre verletzt wird – nicht das also kann man sagen, wohl aber dieses, daß diese große Sünde sich innerhalb der katholischen Kirche niemals so verstecken und so ›verschließen‹ kann, wie bei protestantischen Völkern und Einzelnen.«
Seitdem ist wieder fast ein Jahr vergangen, und Europa riecht französischer denn je, und wo sonst in der Welt noch Gestank ist, ist es derselbe penetrante der französischen Krankheit. Einer ihrer Fanfarons hat in diesen Tagen geschrieben, wie einst Rom der Welt die pax Romana aufgezwungen habe, so müsse Frankreich seinen Frieden mit seiner glorreichen Armee durchsetzen. Also wird in den nächsten Jahrzehnten der morbus Gallicus Blut und Knochen Europas vollends verseuchen. Denn es wäre verbrecherisch und dumm von uns, uns auch nur der geringsten Illusion darüber hinzugeben, daß die von Schmutz und Aas starrende Seele Frankreichs eher zur Ruhe kommen könnte, als bis sie sich völlig entleert hat. Wir in Deutschland wollen es nicht bloß uns selber im geheimen sagen, wir wollen es offen sagen, daß wir in den nächsten Jahren auf französische Mordbrennereien und traditionellen Länderraub gefaßt sind, die alle früheren noch weit übertreffen werden. Freilich auch jene ehrenwerten Neutralen, auch jene, ach so unsagbar nobeln Schweizer z. B. [damit er diese Schmach nicht mehr erleben müsse, ist Hilty, der neueren Schweiz edelster und frömmster Geist, vorher von Gott abgerufen worden!], die um der so rasch sich zersetzenden Gloireschminke einer Pesthure willen der nackten Gerechtigkeit ins Gesicht geschlagen haben – auch sie werden die französischen Neger und Marschälle über ihre Mütter, Frauen und Kinder kommen sehen. Oh, diese großherzigen Herren in Zürich und Genf und Basel, die jetzt so so sagen und ja ja, es sind ja bloß Deutsche, bloß Reichsdeutsche, denen das passiert!
Aber sind wir Deutsche auch oft bereits schon so weit, daß wir irgendein Gefühl der europäischen Verantwortlichkeit von Frankreich überhaupt nicht mehr erwarten, also ähnlich, wie man sich gegenüber einem Irrsinnigen, einem unzurechnungsfähig Betrunkenen oder einem rettungslosen Verbrecher verhält – mit England und Amerika ist das anders! Hier ist unser Gefühl nicht das oft fassungslose vor einer unfaßlichen Verblendung, noch ein oft bis zum physischen Horror sich steigernder Ekel vor dem leiblichen, mit Parfüm verdeckten, und dem seelischen, in der »Gloire« versteckten Schmutze; hier ist unser Gefühl das simple, durchschnittliche, das von einem andern nicht kranken oder überspannten Mann die simple, durchschnittliche Vernunft und Gerechtigkeit dieser Welt fordert und erwartet. Wie vergebens aber! Und doch werden wir nicht aufhören, England und Amerika verantwortlich zu machen für die schmutzige Urkundenfälschung des Herrn Clémenceau und deren praktische Folge im Saargebiet und den Urteilsspruch der Genfer Tröpfe über Oberschlesien. Dostojewskij erzählt in seinen Memoiren aus einem Totenhaus von einer grausamen Strafe: es wurden dem Gefangenen am Nacken Stricke durch das Fleisch gezogen und jeden Tag hin und her gezerrt, damit die Wunden schmerzhaft und eiternd blieben. Das ist die Politik Frankreichs in Europa seit dreieinhalb Jahren. Und dafür, daß sie dieses geduldet haben und immer von neuem dulden, dafür tragen England und Amerika die Verantwortung, und kein Gramm von dieser Zentnerlast wird ihnen geschenkt werden. Ich persönlich aber werde sogar nicht aufhören, die ehrlose Politik des Herrn Balfour mit seiner ruchlosen Philosophie in die innigste Verbindung zu bringen. Denn dieser Antipode des Kardinals Newman hat in bewußtem Gegensatz zu dessen katholischer Glaubensphilosophie seine Philosophie der Autorität geschrieben, nach der es eine Erkenntnis der Wahrheit für den Menschen nicht gibt, wohl aber eine Notwendigkeit der Autorität – eine unheimliche Nachmachung wahrlich der katholischen Lehre, für die doch mit dem Begriff der Autorität ebenso absolut, ebenso notwendig, ebenso transzendent der Begriff der Wahrheit und der Erkenntnis der Wahrheit für ewig verbunden ist. Wenn heute der Antichrist aufträte – eine andere Philosophie könnte er nicht haben; denn von der Autorität würde auch er kaum lassen, aber von der Wahrheit ganz gewiß: er wird und muß sein: Agnostiker und der himmlischen Gerechtigkeit ins Gesicht speiend wie Herr Balfour.
Vieles aber ist für uns Deutsche nicht anders aufzufassen, denn als Gnade. Denn es ist zwar immer besser, Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun, in einer so maßlos ungerechten Zeit aber, wie heute, ist es schlechtweg Gnade, am Unrechttun im großen verhindert zu sein. Es war Gnade, gar nicht in die Lage kommen zu können, die bescheidene Bitte eines erschütterten Mannes um Unterstützung von Millionen hungernder Frauen und Kinder in Rußland abzuschlagen, wie es der Völkerbund, diese Spottgeburt aus Wilsongift und gallischem Dreck, in Genf getan hat. Welch ein Schauspiel! Dieser Mann und Held, dessen Leben so rein strahlt wie das Nordlicht, der schon des Knaben Herz höher schlagen lassen konnte, weil er aller Abenteuerlust, allem Wagemut der Jugend genügte, ohne zu stehlen, ohne zu töten, ohne zu morden, ohne zu rauben, ohne zu plündern, ohne zu brennen, ohne zu foltern, ohne zu vergewaltigen, ohne zu lügen, ohne frechen Gloiredünkel – diese adelige Seele, der das Schwerere gelang, auch des Mannes Herz höher schlagen zu lassen, weil er, als die Sieger und Tröpfe von Versailles sich nur immer noch besannen, wie man weiter rauben und schinden könne, Müttern ihre Söhne, Frauen ihre Männer, Kindern ihre Väter wiederbrachte – dieses schlagende Menschenherz, der einzige öffentliche Mann, der – außer dem Papst – nicht Schmach und Schmach und dreimal Schmach ist; der heute tut, was im Mittelalter die Mönche taten im Namen Jesu Christi, der vor der Heiligen Mutter Gottes als ein reinerer, barmherzigerer, und der Gnade würdigerer Menschensohn dasteht, als der Kardinal Mercier, der so ausgezeichnet, wie durch ein Teleskop, den Splitter in seines Nächsten Auge als Balken sieht, und den Balken, wie durch das umgekehrte Ende im eigenen »lateinischen« nicht, nicht einmal entdeckt, der über das Unrecht der Feinde im Kriege laut schmetterte wie eine Trompete, der über das zehntausendmal grauenvollere seiner Eigenen in Versailles und Eupen im Frieden nicht einmal lispelt – welch ein Schauspiel! dieser heldische Mann, dieser Frithjof Nansen vor einer Herrenabendgesellschaft, die menschlich unmittelbar fühlt und spricht, erst wenn es um die Toiletten ihrer Schreibmaschinenfräulein und das Essen in den Hotels und das Schinden der Deutschen geht –, bettelnd um eine Summe für verhungernde Frauen und Kinder, bettelnd um eine Summe, die der Tirard und der Degoutte und ihre Neger und Ritter im Rheinland, binnen einer Woche nur, verfressen, versaufen, verhuren und verschieben oder Herrn Maurice Barrès zur Kulturpropaganda geben, auf Kosten von Witwen und Waisen; bettelnd um diese Summe – und sie nicht zu bekommen, weil der Herr Bourgeois nicht mag! Welch ein Schauspiel! Ein Hammerschlag fiel in der Ewigkeit!
Januar 1920
Mir fällt ein: Der Verfasser des »Untergangs des Abendlandes«, welcher Untergang, wie es für das Abendland sich ziemt, lukrativ in bis zu diesem Augenblick zehnter Auflage, also sozusagen allabendlich vor ausverkauftem Hause sich abspielt, leitet sein dickes Ende von allem so ein: »Ich habe nur den Wunsch beizufügen, daß dies Buch« [dieses dies leitet übrigens auch das Deutsch dieses Unterganges, also den Untergang der deutschen Sprache ein, ein Deutsch, das ganz unvermeidlich ein stattlicher Chorus von ehrenwerten Sprachkennern »glänzend« nennt] »neben den militärischen Leistungen Deutschlands nicht ganz unwürdig dastehen möge.« Diesen »faustischen« Wunsch eines ganz genau so »faustischen« Menschen – so etwas allein müßte den Mann und das Buch unmöglich machen – teile ich durchaus und werde, soviel an mir liegt, zu seiner Erfüllung beitragen. Und die läßt gar nicht auf sich warten, hat schon die Hälfte des Weges zurückgelegt. Denn bekanntlich haben die militärischen Leistungen Deutschlands zu bislang unerhört zahlreichen Auflagen von Siegen geführt, um dann schließlich auf das erfolgreichste den eigenen Untergang zu leisten. Die Siegesauflagen unseres Propheten sind zweifellos wieder da; ich warte jetzt voll Zuversicht – man muß eben warten, wie Deutschland auch warten mußte –, daß auch die zweite Hälfte des Wunsches, so wenigstens wie ich ihn verstehe, sich erfülle, also: daß der Untergang des Abendlandes noch lange vor dem Abendland untergehe. Ehe es so weit ist und ich noch mehr über das dicke Buch sagen und einen Wasserkopf anzapfen muß, will ich eine Jugend warnen, die noch geistige Interessen hat. Man muß nicht auf alles hereinfallen, man muß nicht. Und wenn ihr ihn lest, so lest mit prüfenden Augen, seht ihn euch genau an, diesen höchst peinlichen Schriftsteller, wie er die feinste, subtilste, die edelste Arbeit, die humane Philosophie tun kann, vernichtet, indem er mit dem zähen Schlamm seines rettungslos verworrenen Denkens die durch mühsame selbstverleugnende Arbeit erschauten und beschriebenen Grenzen der Erkenntnis- und Wissenschaftssphären überflutet und verwischt, indem er, ein zum Aufschluchzen neudeutsch geschwollener, die ganze Welt auf seine »Leistungen« nehmender Kommis, mit der Anmut des Hippopotamen die zarteste wie die hochaufgeschossene Saat auf den Fluren der Erkenntnistheorie niedertrampelt – Leistungen, die freilich »neben den militärischen Leistungen Deutschlands nicht ganz unwürdig dastehen mögen«. Lasset euch das Haus, von dem ihr Welt und Geschichte anschauen wollt, nicht von einem solchen Spengler einrichten! Der Spengler arbeitet mit Blech; das ist ein ehrliches Gewerbe; der Schwindel fängt aber an, wenn die Spengler faustisch werden; denn ein solcher faustischer Spengler tut noch mehr als bloß mit Blech arbeiten: er macht selber, apollinischer aber dionysisch bewegter Leere voll, mit jener Magie, die vom Fürsten dieser Welt einem jeden Feuilletonisten als Kaufpreis für seine Seele gegeben ist, aus jedem Nichts ein glänzendes Blech. Seht euch dann auch die an, die ihn euch aufschwatzen! Wer sind sie denn? Es sind die schleimigen Wucherpflanzen der Feuilletons der großen Zeitungen, angefangen von jenem Bahr, der immer noch lebt, bis zu jenem Mahrholz, der scheint's unter denen, die an unsern Nerven zerren, den Ehrgeiz hat, den ersten Platz sich zu erschreiben, unterstützt von dem nicht zu zählenden Schwarm von redefixen Schwammerln, die plötzlich über Nacht aufschießen aus dem Boden der »Bildung«, sobald ihn einer mit was immer von neuem benäßt hat. Sie erkannten in ihm sofort Schleim von ihrem Schleim, Gallert von ihrem Gallert, Tinte von ihrer Tinte, einen also, der die Gefilde der Kunst und Philosophie – daß er auch die Unanständigkeit hat, über Christentum und Theologie mit der üblichen arroganten Ignoranz zu reden, ist ein Kapitel für sich, das ich mir aufhebe – durch eine weitverzweigte Banalisation den Massen nutzbar macht und zugleich den gesteigertsten Ansprüchen einer verwöhnten Zivilisation auf geistige Bequemlichkeit – zu denken braucht man nicht mehr, nur zu schreiben – entgegenkommt. Diese sind es, und wer noch? Oh, vielleicht noch Schlimmere! Liberale protestantische Theologen, diese letzte Konkretion der Gedankenlosigkeit, die mit einer nur durch geheimnisvolle Affinität erklärbaren Vehemenz auf alles Totgeborene sich stürzt, alles dem Tode Geweihte lebendig preist. Es sind jene, zu denen eine theologische Jugend, wenn sie erwachte, sagen könnte: Wir haben Speise von euch verlangt, ihr aber gabt uns kein Brot, ihr gabt uns auch nicht Steine, gewiß nicht, ihr gabt uns Staub mit Schlamm gefeuchtet, ihr gabt uns Dreck zu essen; uns dürstete, ihr gabt uns nicht Wein, ihr gabt uns auch nicht Wasser, o gewiß nicht, ihr gabt uns Spülwasser zu trinken! Diese sind es, und ist unter ihnen nicht bereits auch ihr Primas, ihr Kirchenvater, die versatile Exzellenz Harnack, der endlich literarisch heimgefunden hat, indem er an Bord des Inselschiffs stieg, eines stark gebauten Untiefenbootes, das mitten durch vernichtende Solecismen [aber nur andere!] und todbringende Banalitäten [aber nur anderen!] die so notwendige Verbindung zwischen Flachländern und Flachköpfen todsicher herstellt? Diese sind es, die, verschwenderisch wie nur der Tod, ihren Untergang mit dem eurer Denkkraft bezahlen wollen. Darum denkt an eure geistige Ehre und die mögliche Schmach! Wenn eure Väter dem Rembrandtdeutschen erlagen und, durch seinen unausgegorenen Wein in einen unsauberen Rausch gefallen, eine ganze Generation von unausstehlichen zudringlichen Kunstwärtern und hoffnungslosen Anwärtern züchteten, so braucht doch ihr nicht, davon längst nüchtern geworden, noch einmal, nun, da er wiederkehrt, auf ihn hereinzufallen, und dann vielleicht nur deshalb, weil er inzwischen die Elephantiasis sich zugezogen hat.
November 1920
1
Es muß ein metaphysischer Entschluß der europäischen Völker vorliegen, nicht mehr von Königen, sondern von Parlamenten, Ministern und Präsidenten sich regieren zu lassen, die Monarchie zu verwerfen, die »Demokratie« von nun an als das Heil anzuerkennen – ein Entschluß, ähnlich dem, den einst das jüdische Volk gefaßt hat: nicht mehr ganz unmittelbar von Gott abzuhängen und nicht mehr regiert zu werden von einem von Ihm immer wieder neu berufenen Richter oder Propheten; nicht mehr in der Anstrengung, die einem Menschen weltliche Unsicherheit und göttliche Sicherheit bereitet, zu leben, sondern, »wie die andern Völker« der weltlich größeren Sicherheit, Bequemlichkeit und Stabilität der Monarchie zu genießen, also eine Mittelbarkeit zwischen Gott und sich zu haben, in welcher Wert des Amtes und Wert der Person zwar nicht immer getrennt sind, aber infernalisch getrennt sein können, während sie in Richtern und Propheten fast zusammenfallen müssen. Und wie Gott damals gewillfahrt hat, so läßt er den Völkern auch heute ihren Willen, aber selbstverständlich, wie damals, so auch heute: mit allen wesentlichen und natürlichen Folgen. Denn es könnte ja sehr wohl behauptet und mit unverächtlichen Argumenten verteidigt werden, daß, wie das Königtum die Völker aus dem unmittelbaren Leben vor dem Antlitz Gottes unter Richtern und Propheten entfernt hat, so die Demokratie die Entfernung noch um vieles vergrößere – indessen: die Entscheidung ist gefallen, und die Folgen sind zu tragen. Das ist die bedeutungsreichste Perspektive der eindrucksvollen und vieldeutigen Geschehnisse: daß uralte Throne und Kronen in Europa stürzten und fielen. Und an dieser Entscheidung könnte auch keine Restauration etwas ändern, die immer nur eine anachronistische Episode sein würde; eine Folge der noch nicht zu Ende gekommenen Zuckungen; ein Ausläufer des Alten, nicht ein Vorläufer des Neuen.
Doch das ist nicht die Revolution, auch nicht ihre unmittelbare Ursache oder gar ihre Entschuldigung, da es auch ohne sie hätte eintreten können oder müssen. Was aber ist der Sinn der Revolution, was ist der Eigenwert des »revolutionären« Menschen?
»Es werden Sonne und Mond den Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes am Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen, und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels zum anderen.« Hier ist eine Revolution prophezeit, eine kosmische, im Inneren und Äußeren der Schöpfung. Eine neue Welt wird geschaffen werden; es wird aber auch der Weizen ausgesondert werden vom Unkraut; es wird nicht sein wie jetzt, daß die Sonne leuchtet über Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte, sondern es werden offenbar werden die Sonne der Gerechtigkeit und die Finsternis der Ungerechtigkeit, und werden geschieden sein für immer. Und das alles soll geschehen in einem Nu »gleichwie der Blitz ausgehet vom Aufgang und scheinet bis zum Niedergang«, in einem einzigen Akt: Revolution. Aber das ist der göttliche Sinn des Wortes »Revolution«, und ach! wir ahnen schon, wie bitter die Welt ihn verfälscht hat. Diese Revolution ist wesentlich eine Tat Gottes, und das Tun des Menschen ist: die Wachsamkeit, das Harren in Nüchternheit, und daß er für seine Lampe das Öl beizeiten kaufe und verwahre; daß er dem Leib die Zucht gebe; daß er für seine Seele das festliche Kleid bereit halte. Es ist ein Satz des Glaubens und der religiösen Erfahrung, daß alle göttlichen Dinge ihre Zeichen, Anzeichen, Vorzeichen, Figurationen, Symbole, Allegorien und Gleichnisse schon in Natur und Leben und Geschichte dieser Welt haben. Jedes Gewitter, jedes Erdbeben, jeder Meteorenregen ist ein Bild und ein Gleichnis jener kosmischen Revolution im Äußeren; jede wahrhafte Bekehrung und Sündenvergebung in einem Menschen, wenn plötzlich über Nacht – mag das Warten noch so lange und für die menschliche Geduld ohne Aussicht gewesen sein – plötzlich die Gnade erwacht, und die Macht des Alten gebrochen ist, und ein erleuchtetes Auge dieselben Dinge nun neu sieht, kann auch gelten als ein Gleichnis und Symbol der letzten großen Umwälzung.
Vornehmlich seit dem Jahre 1789 ist das Wort Revolution so gut wie in unsere tägliche Umgangssprache aufgenommen worden; aber sein objektiver Sinn ist fast völlig zurückgetreten hinter einen subjektiven der Erregung, nicht jedoch hinter seinen echten, christlichen subjektiven Sinn: daß ein Mensch durch Umkehr und Selbstzucht und Demütigung »den Weg bereite und den Steig richtig mache«, sondern hinter einen antichristlichen, durchaus unheiligen Sinn: Revolution ist fast gleichbedeutend geworden mit – Revolte. Nicht als ob durch die Revolutionen von 1789 und 1918 nicht göttlich zugelassene, ja gewollte objektive Änderungen eingetreten seien – sie geschehen immer ziemlich unabhängig von uns Zeitgenossen, und ob wir auf sie blicken oder nicht; meist blicken wir auf andere oder nur nebensächliche Dinge; nicht als ob das französische Königtum nicht durch eigene Schuld und mit vollem Recht zertrümmert worden sei; nicht als ob der Geist des preußischen Staates nicht eine Beleidigung des Göttlichen und Natürlichen im Menschen gewesen sei und die Austreibung nicht verdient habe; nicht also, daß für beide der Satz Kierkegaards: »Sind die Autorität und die Macht einst mißbraucht worden in der Welt, und haben sie eine Revolutionsnemesis über sich gebracht, so waren sie ja eigentlich die Ohnmacht und die Schwachheit, die selber auf eigenen Füßen stehen wollten und deshalb nun diese Nemesis über sich brachten« nicht gelte; nicht das will ich sagen, nein, sondern das davon sehr wohl zu Trennende, das damit nicht zu Verwechselnde: daß in beiden Fällen die »revolutionären« Menschen, die an der Stürzung des Bestehenden aktiv beteiligt waren, niemals, was sie aber doch heute gerne tun, auf den Geist des Christentums sich berufen dürfen. Der Geist der gewalttätigen Revolte ist niemals christlicher Geist. Gegen das Bestehende, wenn es gottlos geworden ist, das unvergängliche Wort zu sagen, ist die so oft vergessene Pflicht des Freimutes des Christen; es mit Gewalt stürzen kann er nur unter einer Bedingung: daß er von Gott dazu außerordentlich berufen ist. Hier brennt flammend auf der Stelle die uralte, in ruhigen Zeiten so kalt scheinende Frage: Wes Geistes Kind er sei? Wer ihn schicke? In wessen Namen er komme? Woher er seine Autorität habe? Daß von zwei Menschen, die, nehmen wir an, beide persönlich verbrecherisch und böse sind, der eine, der seine Gewalt »rechtmäßig« hat – was immer historisch und jeweils unter »rechtmäßig« zu verstehen sein mag –, für den Christen durch eine mit Überredung, Überzeugung, freiem Wort, verfassungsmäßigem Widerstand, Opfer und Märtyrertum anzugreifende, aber niemals mit Gewalt niederzureißende, unsichtbare geistige Schranke der »Autorität« der »Obrigkeit« geschützt ist, während das von dem »Revolutionär« nicht gilt; daß von zwei Mördern, auf dem einen, der einen »rechtmäßigen« tyrannischen Herrscher ermordet, noch ein Fluch mehr liegt, der nicht liegt auf dem Mörder des durch Revolte zur Herrschaft gekommenen Tyrannen – das sind nicht menschliche Erfindungen; das sind nicht theoretische Konstruktionen cum fundamento in nihilo, sondern das ist eine Tatsache der geistigen Konstitution des sozialen Lebens, nicht anders als die analoge Tatsache, daß die Idee der »Ordnung« – auch die leerste, die abstrakteste, ja die ungerechteste – einen geheimnisvollen, jedem unverdorbenen, unvoreingenommenen Geist unmittelbar sich aufdrängenden, wenn auch wie alle den »unsichtbaren Dingen« zugehörigen Eigenschaften schwer zu erklärenden Vorzug hat vor der »Unordnung«, was aber damit zusammenhängen muß, daß Gott ein Gott der Ordnung ist, nicht jeder Ordnung, gewiß nicht, nicht etwa der heutigen auf dem Sumpf und Sand der Schurken- und Narrentat von Versailles wankenden politischen und sozialen Ordnung Europas – o nein, aber immerhin und immer und unter allen Umständen der »Ordnung« und niemals und unter keinen Umständen der »Unordnung«. Weil übrigens das so ist, just deshalb bedient sich das raffiniert Böse gern eines Kleides und einer Form der Ordnung; es sind immer nur die »armen Teufel«, die ihr Werk durch Unordnung tun wollen und tun, denn das Böse, das in der Unordnung selbst schon liegt, kommt sofort auf; aber es sind die mächtigeren, begabteren, welche die Fülle der Ungerechtigkeit in ein System, in eine Ordnung bringen und dahinter lange in Sicherheit verbergen, lange, nachdem sie schon im Himmel gerichtet ist, – ein Anarchist, der eine Bombe schmeißt, ist ein »armer Teufel« und richtet einen geistig minimalen Schaden an im Vergleich etwa zu dem Leiter einer korrupten Presse, des Emissärs des Vaters aller Lügen – denn die völkerfressende Sünde der Presse ist die Lüge – also etwa dem Lord Northcliffe der Times, der Stunde für Stunde am Morgen, am Mittag und am Abend die furchtbarsten Verbrechen und Seelenmorde hinter dem Wall einer von seinem Geist besessenen »Ordnung« vermittelt.
Ist es auch eine irrsinnig komische Übertreibung, die aber trotzdem ein beliebtes Futter der gefräßigen revolutionären Eitelkeit ist, zu sagen, daß die Kaiser und Könige von 1918 von Männern, die mit Namen zu nennen sind und mit Namen zu kennen wert wäre, gestürzt worden seien, etwa das Haus Wittelsbach von einem Eisner, im selben Sinn wie Karl I. von dem gewaltigen Cromwell; kann man auch von der Revolution sagen, daß sie ausbrach, wie man das auch vom vorhergehenden Kriege sagen konnte, so darf doch weder jene Übertreibung zu der andern zurückschnellen, daß die Revolutionäre nur unvermeidliche und unverantwortliche Werkzeuge in der Ökonomie der Gesellschaft – wie Würmer, die einen toten Leib zu zersetzen haben, in der Ökonomie der Natur – gewesen seien, noch darf dieses Wort »ausbrechen« so gepreßt werden, daß darunter die Freiheit des Willens des Menschen erstickt wird. Braucht einer zur Entfesselung wilder Kräfte – des Krieges oder der Revolution – auch nur den kleinen Finger zu rühren, nur noch zu tippen, so muß er doch den kleinen Finger rühren, muß er tippen, muß er, der einzelne Mensch, diese winzigen Bewegungen auf dem Grund einer inneren Bewegung des Gewissens, die niemals winzig ist: eines Entschlusses machen. Darauf müssen wir bestehen, weil wir den Menschen lieben, der nicht Automat, noch Pflanze, noch Tier, sondern durch den freien Willen ein Ebenbild Gottes ist. Mag dieser Entschluß des freien Willens in dem Meer oder in den Flammen elementarer Ereignisse dem Auge der Welt wie ein nicht mitzuzählender Tropfen oder Funken, in der Zwangsläufigkeit von Ursache und Folge dem Verstand der Welt wie aufgezehrt erscheinen –: in der Verfassung des geistigen Lebens ist er der Halt; ohne ihn geht alles verloren; ohne ihn gibt es den Menschen nicht mehr. Zur Revolte des »Führers« zum mindesten gehört ein Entschluß; dieser Entschluß allein interessiert uns; wir behaupten nämlich, daß er zusammen mit dem christlichen Geist in demselben Bewußtsein nicht bestehen kann: der eine oder der andere muß weichen, oder, was auch vorkommen mag: das Bewußtsein wird entweder gesprengt – der Mensch wird irrsinnig – oder teilweise verfinstert – das Bewußtsein schützt sich vor gewaltsamer Sprengung durch die Verdrängung des einen oder andern Sachverhalts.
Nach diesen allgemeinen Erwägungen lasset uns sie betrachten, die »revolutionären« Führer und Geister!
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Wahrlich, viele sind Jünger und Brüder und Vettern des Barrabas, der um Aufruhrs und Mordes willen ins Gefängnis geworfen wurde, nicht aber Jünger und Nachfolger Christi, der um des Gehorsams und der Liebe willen vor den ungerechten Richter kam. Unreine Gefäße, oft nicht einmal angefüllt mit natürlichem Zorn und Empörung – sie sind die am wenigsten verächtlichen! – sondern voll der übelriechenden Blähungen einer maßlos lächerlichen Eitelkeit. – Ich habe eines Tages bedacht, von außen dazu gezwungen, wie wenig Umstände im Äußeren doch der Tod des Sohnes Gottes der Stadt Jerusalem und ihren Einwohnern bereitet hat –: wenn aber der »beste Feuilletonist der sozialistischen Presse«, Prophet der Phrase, Mandatar der Gasse, Herold seines Schellenhirns, den lange provozierten Tod – nicht den ihm geziemenden, freilich, da ein eitler Politikohistrione durch ein Gelächter, nicht aber durch eine Kugel getötet zu werden verdient – auch das gewiß gehört zur Perversität huius saeculi – auch erleidet: dann gibt es tagelang keine Milch für Frauen und Kinder; dann fährt keine Bahn; dann werden die Kirchenglocken geläutet – geschändet! die zwar dadurch, daß sie viele ihrer Schwestern für Kanonen einschmelzen ließen, eine Sühne schuldig waren; aber ich sage: geschändet! da ihr hehrer Mund aus geweihtem Erz um ein Herz, das nicht Erz und nicht Fleisch, sondern eine sich selbst vergötternde Tintenmolluske war, die Klage lügen soll; dann ziehen Banden plündernd durch die Stadt; dann fahren Wagen, belastet mit Maschinengewehren und Exkrementalvisagen, fauchend und stinkend, durch die Straßen; dann werden Kinder, werden Greise überfahren; dann lallen und brüllen die losgelassenen Dämonen; dann gaxt ein Schmutz von innen nach außen transpirierender, von außen nach innen aspirierender, so daß er mehr klebt als lebt, Lemur mühsam Kastratenlaute vom Willen des »Volkes«, nämlich von einem Dutzend betrunkener Matrosen, und der Weltrevolution; dann doziert ein anarchistischer Bildungsphilister – daß der Mund, der Bart ihm trieft als wie von Kunsthonig – die Sentenzen, die er am Abend vorher in Revolutionsbriefen gelesen hat. Wenn nun an solchen, die in das öffentliche Leben eingebrochen sind, nicht aus Berufung, nicht einmal aus Begabung, sondern aus Eitelkeit und Wichtigtuerei, aus Neid und Ressentiment, oder gar, weil sie ein privates zu führen nicht fähig waren, also aus Verzweiflung, irgendeine beklagenswerte Gewalttat verübt wird, aber doch immer als Folge des »Aufruhrs«, so vergessen oder verheimlichen plötzlich die Undenker und Unredlichen dieser Tage und Journale deren »öffentliche« Wirksamkeit und schildern die Gewalttat, als ob sie einer Privatperson, und nur weil sie besonders edel war, zugefügt worden sei. Männer, die mit ihren Frauen und Kindern die Güter des Lebens nicht nach dem Gesetz der Liebe teilen können, oft sogar nicht einmal gemäß dem kargen Rest von Liebe, der noch in den allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches enthalten ist, sondern extra noch einen Ehevertrag und einen Advokaten nötig haben; die also nicht einmal in der Familie Kommunisten sein können, fordern den Kommunismus für die ganze disjunkte, sich nicht verstehende Welt; da diese durch Geschwätz allein dazu nicht zu überreden ist, versuchen sie es mit Maschinengewehren. Sie beklagen sich, wenn ihr Unfug erledigt wird; diesmal unter anderen auch durch wahrhaft »Freiwillige«, die ihre Leiber den Kugeln kommunistischer und unabhängiger Dachschützen und ihre Ehre der Lügenschwärze ebensolcher Zeitungen aussetzen. Wahrhaft »Freiwillige« sage ich, da diesmal keine Phrase sie zwingt und für keine Phrase sie kämpfen, sondern eine höchst selbstverständliche Realität: das Privateigentum. Daß sie dadurch zugleich Wucherer, Hartherzige, Geizige, Ungerechte, Fresser der Güter von Witwen und Waisen, also: Gottverhaßte schützen – wer von uns könnte das nicht sehen? Aber warum soll, daß wir dieses sehen, uns so blenden, daß wir das andere nicht sehen: daß der Kommunismus entweder eine primitive, unreflektierte, mütterliche Erd-, Natur- und Geschlechtsgebundenheit ist – aber wie weit sind wir davon, und wie grotesk unmöglich, dahin zurückkehren zu wollen – oder aber die letzte Opferblüte einer Freiheit, am Endpunkt angsterfüllter Reflexionen. Indessen, es hat manche Heilige gegeben, die nicht imstande waren, dieses Opfer zu bringen; deren Seele böse und vergiftet worden wäre, wenn man es von ihnen erzwungen hätte, während sie so doch heilig war. Und nun sollen dieses Opfer, das für individualistische Menschen, und das sind wir Europäer in jedem und jedem Fall und müssen es sein und werden, um eines Tages »solus cum Solo« zu stehen, viel schwerer ist, als der Verzicht auf Weib und Kind – nun sollen es Gottlose, sollen es Ungläubige bringen! O mentes amentes!
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Andere sind oder nennen sich Gnostiker. Als Polykarp, der Bischof von Smyrna, der Johannes, den Jünger Christi und Evangelisten, noch gekannt hatte, als ein dem Grabe naher Greis in Rom dem Marcion begegnete, ging dieser auf ihn zu, grüßte ihn und fragte ihn, ob er ihn denn nicht anerkenne. Und der heilige Bischof erwiderte: »Ja, ich erkenne dich wohl, du bist der Erstgeborene Satans!« Und wenn ich hundertmal diese Episode lese und überdenke: immer werde ich vor ihrer Erhabenheit gleich erschüttert stehen. Welch ein Pathos! Welcher Mensch, der nicht berufen ist, könnte dieses Gewaltigste sich anmaßen und nachmachen, ohne lächerlich oder verworfen zu werden? Nicht daß einem Menschen, wenn er wahr ist und ergriffen ist und die Gabe des Wortes hat, das unmittelbare, das dichterische, das ursprünglich menschliche, ästhetische, wie ethische, Pathos verwehrt wäre, nein! aber jenes, das ich das Pathos der göttlichen Autorität nenne, ist ihm verwehrt. Doch würde auch ein Apostel heute dieses Pathos gegenüber den Nachkommen Marcions und der Genies der Gnosis – denn es waren geniale Menschen, ach, um vieles genialer, als etwa ein Nietzsche! – nicht mehr bedürfen, denn sie sind recht blutleer, mediumistisch und astral geworden; sie werfen keine Schatten mehr, wie einst, auf die Kirche, da sie selber nur Schatten der Literatur sind, und wie sollte ein Schatten noch Schatten werfen? Ihre gemeindebildende Kraft, die am Anfang groß war, reicht wohl kaum zu, ein Jahr lang einen Kaffeehaustisch zusammenzuhalten. Ihr und ihrer Utopien Geist lockt keinen normalen Hund vor den Ofen, sei der warm oder auch kalt, sondern höchstens, was aber unsagbar viel leichter ist, jenen alten Zauberer, der uns neuerdings vor ein Pseudonymen- oder Metempsychosenrätsel stellt; denn wer ist Rabindranath Tagore? Einfach nur so etwas wie eine Bagretawumba Hapag, oder ist er – mirabile dictu – jener, jener aber dieser, wie er leibt und schreibt; jenen neuen Midas, dem die Gabe gegeben ward, alles, was er liest, in Müll zu verwandeln, vorausgesetzt, daß es nicht vorher schon Müll ist, also Hermann Bahr vor den Schreibtisch, welcher – der Bahr – hinwiederum den Erzbischof von München und, gegebenenfalls, wohl ein Dutzend anderer in seinen Vortragssaal lockt, ein Umstand, der die Finsternis der kulturintellektuellen Verfassung offizieller Christenführer blitzartig offenbaren mag. Denn kein auch nur mittelmäßiger, kandider Intellekt eines Laien, der in diesen Dingen mitzureden befugt ist, wird heute noch die tief unappetitliche Ideenpromiscuität, in der dieses in Auflösung begriffene Komödiantenhirn lebt, verwechseln, sei es mit der schönen, aber doch immer im Schweigen und im Reden, humoristisch differenzierten und ironisch graduierten Duldsamkeit eines reifen »katholischen« Geistes, sei es mit dem halb dämonischen Gebaren eines edeln Jünglings, der zu gefährlichen und suspekten Ideen der Kunst, der Philosophie und des Lebens sehr wohl eine Zeitlang, spielend und um zur Selbsterkenntnis zu kommen, sich verhalten mag, wie Heinz zu Falstaff, bis er eines Tages die vorbestimmte Distanz auch im Äußeren verwirklicht und jenseits jeder Mißdeutung deklariert.
Darum nun hat die Gnostik unserer Tage auch kein System, wie sie ehedem ihrer viele hatte, sondern ist form- und gestaltlos wirkend in trüben Trieben, Stimmungen, Ansichten, Meinungen und vagen Bildern; sie verbirgt ihre wesentliche Hohlheit durchaus nicht mehr hinter einer verzweifelten Askese, die immerhin etwas anstrengend wäre, auch nicht hinter allzu unerhörten Ausschweifungen, sondern, wenn nicht hinter der Maske der Kunst – davon werde ich später reden –, so doch der eines bestimmt getönten Sozialismus: eines etwas trotzigen Mitleids, das etwa das leidende Tier gegen den plagenden Menschen nicht nur pflichtgemäß in Schutz nimmt, sondern das Tier nun einfach höher wertet, als den Menschen – es gibt sogar gefährliche Revolutionäre, die den Tod zahlloser Menschen, die Vergiftung ungezählter einfacher Seelen auf dem Gewissen haben und diese furchtbare Blut- und Gewissensschuld nicht mit dem leisesten Gedanken und Wort berühren, während sie bis zur Sentimentalität Worte greinen über gequälte Pflanzen –, eines trotzigen Mitleids, dem das zweifellose Leiden des Menschen den Anlaß gibt, Gott, den Schöpfer dieser Welt, zum ungerechten Demiurgen zu degradieren, ihn niedriger zu stellen als den erkennenden Menschen selber, und ihn schließlich, streng genommen, durch eine Erfindung des Menschen – hier kommt der Hochmut – erlöst werden zu lassen: – eines Mitleides also, das zweifellos leidende, ja ungerecht leidende Wesen, die abhängig oder zu Gehorsam verpflichtet sind, übertreibend und absolut ausspielt gegen die, von denen sie abhängig sind und denen sie gehorchen sollen: Tiere gegen Menschen, Schüler gegen Lehrer, Söhne gegen Väter, Menschen gegen Gott. Dieses trotzige Mitleid, wesentlich verschieden von der mit Gott und seiner hierarchischen Ordnung: daß die Söhne die Väter ehren, die Schüler den Lehrern gehorchen sollen, daß die Tiere den Menschen und alle Geschöpfe Gott Untertan sind, einigen, in das Geheimnis der Erlösung durch Glauben eingeweihten, allein zum Heil führenden Barmherzigkeit macht den wirksamen, den positiven, der in sich eine Wahrheit, aber eine durch falschen Akzent schadende hat –, den so überaus expansionsfähigen Teil aller sozialistischen Lehren aus. Wären die Sozialisten, oder ich will doch lieber sagen: die Arbeiter, nicht einfach auch Menschen und Individuen mit allen den Möglichkeiten, die von alters her Menschen und Individuen haben; wären sie nur »Masse« und höchstens leere Indices ihrer »Klasse« und in ihrer geistigen Konstitution identisch mit ihrem heute noch gepriesenen Evangelium, dem kommunistischen Manifest der Marx und Engels, dieser trockenen Narrheit, erlassen von wildgewordenen Pedanten, dieser wölfischen Empörung im Kleide des Mitleids, nicht einmal mit dem »Menschen«, sondern mit einer »Klasse« und dem Einzelnen nur als einem definierten Fall dieser Klasse – wäre es der wahre Ausdruck auch ihrer Seelen, man müßte verzweifeln über das geistige und sittliche Elend, über die Verlorenheit so vieler Menschen. Gegen solchen Sozialismus, der ein Haß gegen Gott ist und in allen seinen drei Personen, ist ja der »religiöse« Individualist ein Erlöser und Befreier und ein Vorläufer der wahren Gemeinschaft, denn es kann ja doch so sein, daß man so ziemlich mit jedem Arbeiter einzeln reden kann; daß aber, sobald nur zwei oder drei im Namen des Marx beisammen sind, der Teufel mitten unter ihnen ist. Die Arbeiter warten nicht heute, aber werden vielleicht morgen warten auf die Missionäre, die ihnen das wahre Evangelium verkünden.
Es gehört zur geistigen Entwicklung eines Menschen, daß er einmal für alles, was in der Welt an Leiden und Verbrechen ist, sich verantwortlich fühlt und, dafür mit Recht bestraft zu werden und büßen zu müssen, überzeugt ist; es ist das ein metaphysisch-psychologischer Beweis für die Gemeinschaft des Menschengeschlechts, für den Satz Kierkegaards, daß jeder Mensch in geheimnisvoller Weise »das Individuum und das Geschlecht« ist. Aber daß einer dieses unbegrenzte Gefühl hat – welches das allerpersönlichste sei und überhaupt nur »persönlich« sein könne, man meinen sollte, das in Wahrheit aber auch, kraft jenes Zusammenhangs zwischen jedem Individuum und dem ganzen Geschlecht, ein »allgemeines« ist, so daß es eine bestimmte Person oft nur tangiert, ohne sie wesentlich zu besitzen oder gleichsam aus ihrem Urgrund zu kommen – beweist noch nicht die Echtheit seines Mitleidens und seiner Mitverantwortung; die meisten wären ja auch viel zu schwach und würden sofort zerbrechen; nur Gott weiß, wieviel einem jeden zuzumuten ist – freilich auch das weisen wieder viele zurück, so daß die Erlösung nicht abzusehen ist. – In ihrer Fülle konnten diese Leiden nur getragen werden von einem Einzigen und sind von ihm getragen worden: von Gottes Sohn, von Christus. Wieviel nun immer an Leiden und an Verantwortung in der für das Christliche allein entscheidenden Sphäre der Wirklichkeit getragen wird, bestimmt mit den Wert eines Menschen, den er vor Gott hat, und die Stufe der Heiligkeit, welche die Engel nicht erreichen. Bleibt das Gefühl, in einer Ferne von der Wirklichkeit und von der Person, also im Medium der Phantasie und des Möglichen – ein Medium, das, wohlverstanden, zur Natur des Menschen gehört und im Anfang seines geistigen Lebens notwendig ist, da es so sehr den Wert des »Jünglings« ausmacht, der nach dessen Möglichkeiten zu bemessen ist – ohne daß das persönliche Leben ihm die Wahrheit der Erfüllung gibt, so welkt es, stirbt allmählich ab oder wird, wenn es doch bleibt, im Zustand der Gärung zu einer Krankheit der Seele. Denn wer immer den Kreis seiner Verantwortlichkeit in phantastischer Weise erweitert, verdunkelt eben dadurch das Feld, wo in der Wahrheit Verantwortung von ihm gefordert wird. Wer immer schwachsinnig, aber modern, mit jeder Kreatur, vor allem mit dem Niederen und Vergänglichen in ihr, und man ist dann leicht in der skurrilsten Form großartig, sogar mit dem »werdenden Gott«, diesem ächzenden Wechselbalg, immer wieder werdend aus der Verbindung neudeutscher Unzucht mit urdeutschem Mangel an Erkenntnis des Lichtes ohne Finsternis, der in Kraft und Herrlichkeit ewig seienden Schöpfermacht, – diesem Bastard eines hyperboreischen Pantheismus, der halb lahm, halb stumm, halb taub, halb blind nur schleicht und kriecht, wähnt und meint, stottert und stammelt, in graulichem Dämmer und Dunkel prophetisch ahnend munkelt, allüberall auf der Welt sei Leben nur das Anagramm von Nebel, aus dem nicht nur Götter werden, sondern der Christengott wird, wie für die Alten aus Schlamm und Kot Molch, Lurch und Wurm ward – wer immer, halb schläfrig, halb wollüstig, auch ohne eigentlich zu verzweifeln, und gern auch schreiend und schreibend, mit allem und nichts jenes interessante oder hysterische oder dunkle Mitleid hat, der verliert leicht den Blick für den Wert des wirklichen Leidens und auch für den wirklichen Wert, welcher leidet in dieser Welt und dieser Zeit.
Ich sagte aber, daß die Gnostik heute, die ja nicht mehr eine theologische, sondern durchaus eine Laienangelegenheit ist – die Theologen haben sich merkwürdigerweise vom konkreten Leben ganz zurückgezogen, so daß dieses nun wieder zu ihnen kommen muß – vor allem hinter dem Idol der Zeit: der Kunst und dem Ästhetischen sich verbirgt. Hier will ich auf eine bemerkenswerte Tatsache des europäischen Geisteslebens aufmerksam machen, die wohl kaum beachtet worden ist. Während für das ganze christliche Altertum, für das ganze Mittelalter, mit Einschluß Dantes, der Teufel und das Böse von unbedingter, von unbeschreiblicher Häßlichkeit sind – der Wahrheit entsprechend, da ja alle Heiligen, die allein ein Wissen und eine Offenbarung davon haben, von alters her bis zu unseren Tagen, bis zu Blumhardt, Sünde und Teufel als wesentlich häßlich beschrieben haben – hat der englische Protestantismus den Teufel – Luzifer – mit »dämonischer« Schönheit, mit eisigem, schwermütigem Adel, mit tiefer Genialität begabt. Nur der englische Protestantismus hat das, als erster und ursprünglich, – heute macht ganz Europa es nach – getan, nicht der Luthers, für den der Teufel noch ganz und gar seine mittelalterliche plebejische Gestalt hatte, eine Tatsache, die sich noch in Goethes Faust auswirkt, wo der Teufel von Vornehmheit gar nichts hat. Nebenbei gesagt, ist ja auch für den Russen Dostojewskij der Teufel schließlich nur – gemein und dumm. Aber die Auffassung vom Teufel, die Milton als Herold eines abgefallenen Volkscharakters gab, und die ganz ähnliche, nur vom Erhabenen in das so peinigend moderne Gebiet des »Interessanten« niedersteigende Darstellung Byrons, haben in ganz Europa einen immer weiter und breiter wachsenden Einfluß gehabt auf die Wertung des Bösen und die Anschauungen von ihm. Die Hirne und Herzen der Jugend sind voll davon und die breiten, leider immer noch wasserreicheren Kanäle der Romanliteratur tragen Keime davon in alle Ebenen, in alle Schichten. Wenn ich selbst auch vollkommen immun bin gegen alle modische Kommiskinodämonie – etwa der Schäffer, Steiner, Ewers, Meyrink – wenn mich die trostlose Banalität und die insolente Insuffizienz der Mittel und Ideen dieser der Magie ergebenen Wagnerseelen – daß sie in der Regel auch Wagnerianer sind, geht mit drein – nur lustig macht, so kann mich doch wieder ernst machen – der Ernst, mit dem andere sie nehmen. Freilich ist eben das ja die große Gefahr für den geistigen Menschen in solchen Zeiten, daß er wegen der persönlichen Winzigkeit, wegen der in die Augen, in einen Witz springenden Komik seiner Vertreter, das Böse oder Gefährliche unterschätzen will. [Das ist ja überall so. Auch in der Politik. Die Ludendorff, Jagow, Zimmermann u. a. m. waren ja nie als eigentliche Personen, wie Napoleon, Friedrich der Große, Bismarck, polemisch zu nehmen. Und wer wollte denn heute die pithekanthropoide Latrinenpolitik- und Winkeladvokaturfigur des Herrn Millerand oder die Gamin-, Diebs-, Metzger-, Lemuridengesichter der Foch, Gérard, Le Rond und aller dieser von »Ehre« – die aber ihre Besitzer nicht hindert, Frauen und Kinder verhungern oder von Negern vergewaltigen zu lassen – bis zum Hautgout saturierten, in schlechthin unermeßlichen, sicher auch noch aus den Marskanälen mitgespeisten, kochenden Ozeanen von »Gloire« hart und stupid gesottenen, ahnenwerten Nachfahren – zuweilen mit dem Bindeglied Sade – der Mordbrenner der Pfalz als per se Personen anschauen, während sie freilich der adäquate persönlich wesenlose Ausdruck eines grauenvollen Unwesens sind: der militaristisch-hypernationalistischen, auch die Ehre des Christentums unsäglich beschmutzenden, offiziellen fäkalischen »Sieger«-Seele Frankreichs. Denn das steht fest: die Franzosen mögen bei sich zu Hause sein, was sie sind, nämlich ein Volk, nicht schlechter und nicht besser, als andere auch; indessen, sobald sie die Grenze überschreiten, als Besetzer fremden Landes und Bedrücker fremden Volkes, sind sie, wie niemand sonst auf der Welt, und sind es immer gewesen, von den Tagen Dantes, der sie verachtete und haßte, über die Tage Kleists, dessen Martyrium der Vaterlandsliebe, dessen Verzweiflung und Selbstmord wir heute besser verstehen, bis auf die unseren: eine empörende Affenschande Europas.]
So betrachtet, ist die Luft, sind die Seelen der Menschen voll von gnostischen Ideen: diesseits von dichterischer und philosophischer Anschauung und Fülle; diesseits von theologischer Klarheit und bewußter Entschiedenheit. Es fehlen die Philosophen und die Theologen; es fehlen die »Jünglinge« und es fehlen die »Männer«. Ich sage so, weil doch die Philosophie, mit ihrem Führer: dem Eros, zum »Jüngling« gehört – Platon ist der ewige »Jüngling«, ja der Grieche überhaupt ist der ewige »Jüngling«, ist aber auch der »Philosoph«, während die Theologie, mit ihrer Führerin, der ἀγάπη, der Caritas, die wissenschaftliche Erfüllung des »Mannes«, der »Väter« ist. Die Luft ist voll davon. Jedem kleinen Literaten kann es heute einfallen, auf ein Hörensagen hin, das gewaltige Mysterium der Einheit an individuelle Unterschiede zu verraten und vor allem, was ganz und gar Mode geworden ist: das Neue Testament vom Alten; Christus von Jehova; die Liebe von den Zehn Geboten zu reißen, ohne des sakrilegischen Tuns recht bewußt zu werden: daß er den Sohn vom Vater reißt; ohne den geistigen Selbstmord auch zu fühlen: daß er, soviel an ihm liegt, vom Vater, vom Sohn und vom Geist sich reißt. Im Hirn und – der Weg ist heute so kurz – in der Feder kaum der Schule entwachsener Knaben spukt schon der Demiurg, und sie sehen, zuweilen mit echtem, meist freilich nur mit literarischem Ekel auf die Schöpfung, nicht ahnend, daß die Idee, daß ein Kind, wie es aus dem Leibe der Mutter kommt, das Werk eines Dämons sei und nicht die Schöpfung des dreieinigen Gottes – daß diese Idee, nicht aber das Kind das Werk eines Dämons ist. Eine jede solche gnostische Vergiftung des Leibes: daß er an sich aus dem Bösen sei, ist ein für allemal abgetan durch jene Worte Christi: »Merket ihr noch nicht, daß alles, was zum Munde eingehet, das gehet in den Bauch und wird durch den natürlichen Gang ausgeworfen? Was aber zum Munde herausgehet, das kommt aus dem Herzen, und das verunreinigt den Menschen.«
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Anteilscheine, und nicht wenige, der großen Genossenschaft zur Ausbeutung der Revolution – wie es eine zur Ausbeutung des Krieges gab; sie sind beide schon bankerott – haben auch die »Aktivisten«. Ihr Problem ist: wie kommt Geist zur Macht? Siehe da! Aber was für ein Geist? Das allein kann ja nur die Frage sein. Denn hinter jeder Macht steht ein Geist. Woher käme denn sonst auch Macht? Ein Stein hat keine Macht; auch ein Säbel oder ein Gewehr oder eine Kanone haben keine Macht. Also, was für ein Geist? »Geist« schlechthin? Das ist Unsinn. Also wohl der Herren eigener Geist? Aber erstens hat dieser, ein wesenseiniger Ableger des Zeitgeistes und des Zeitungsgeistes, leider schon Macht genug, und zweitens ist ja nichts wünschenswerter, als daß gerade er eben nicht zur Macht kommt. Doch gering denken sie nicht von sich selbst. Der Aktivismus hat den neuen Inhalt, den Inhalt der Zukunft, aber leider noch nicht die Form dazu – man könnte hier sagen, daß alles Lebendige die Form in sich hat und zu dieser eigenen Form, wenn auch durch Assimilation und Synkretismus, allmählich wächst, während nur für Totes und Konstruiertes nach einer Form fremden Ursprungs gesucht werden kann; aber passons! – die Form also, so meint der Aktivist, hat die katholische Kirche, die hinwiederum als Inhalt nur »Überholtes« hat. Darum wartet der Chef des Ganzen, das ja auch jetzt nicht ganz ohne Form sein kann und deshalb ungefähr die eines Warenhauses angenommen hat, wo es bekanntlich verschiedene Rayons und dementsprechend verschiedene versierte Rayonchefs gibt, es wartet, sag' ich, der Chef des Ganzen jeden Tag auf die Post, daß sie ihm endlich einen Brief – Eingeschrieben! – vom Papst oder dem Kardinalstaatssekretär oder der Propaganda bringe, der ihn nach Rom einlüde zu Besprechungen, wie er die Konkursmasse raschestens übernehme; rette, was noch zu retten ist; den neuen feurigen Wein in die immerhin noch leidlich erhaltenen Schläuche fülle; die doch noch imponierende, sogar einem Aktivisten imponierende, Organisation auf »atheistische Grundlage« stelle. Wenn einer das eine hyperbolische Darstellung nennen will, so protestiere ich dagegen energisch und verweise kühl auf den gigantischen Ernst, mit dem jener panische Rayonchef, also: Chef des Ganzen, von diesen Dingen spricht. Der neue Inhalt liegt zwar noch in den Windeln, die nicht ganz sauber sind, aber einige Züge sind doch schon zu erkennen, so ist z. B. »Nietzsche der Kirchenvater der neuen Religion«; »Offenbarung ist eine bloße Erlebnistatsache«; die Apostel Christi waren »passive, fröhlich unbewußte Sklaven«; und die christliche Demut ist – » eine sexuelle Angelegenheit«! Das sollte freilich genügen. Ich wenigstens habe genug. Mir ekelt. Heißt es denn sich übernehmen, heißt es Hoffnung haben gegen die Hoffnung, wenn man erwartet, daß Sätze, die, wenn sie in der Neuen Rundschau oder sonstwo in einer Bar moderner intellektueller Unzucht ausgebreitet liegen, durch die Identität in Geruch und Gesinnung mit ihrer Umgebung sozusagen harmlos erscheinen, ja überhaupt nicht auffallen und einfach das tägliche Brot des Zeitgeistes sind, hier, wo ich sie zitiere, wo sie nackt stehen in einer Atmosphäre, die sie brennt wie Eis, getroffen und beleuchtet ohne Erbarmen von nichts als einem Strahl gesunden Menschenverstandes – daß diese Sätze nun auch von anderen in ihrer abgründlichen geistigen und seelischen Verluderung und in ihrer hinterweltlichen Stupidität erkannt werden?! Aber wiederum: nicht über diese Ansichten selbst und ihre Urheber, die immer waren, ist immer von neuem unser Staunen so groß, sondern über ihre Verbreitung und ihren Erfolg. Und nur darum reden wir auch davon. Sollten diese Ansichten und die tüchtigen jungen Männer, die sie haben, um ihrer selbst willen betrachtet werden, wir würden die Hand nicht rühren, so erledigt, so uninteressant sind sie, und zwar die Urheber so sehr wie die Ansichten. Denn der Aktivismus war und ist kein Ausweg genialer oder auch nur normaler Unmittelbarkeit, sondern der einer stockig gewordenen Reflexion; er war und ist die Zuflucht noch nicht arrivierter Ehrgeiziger, die, bevor sie zu ihrer eigentlichen, durchaus profanen Lebensaufgabe kommen, mit zwanzig und dreißig Jahren etwas brausen, nicht aus eigener unvergorener Kraft, sondern weil von außen Gärstoffe eindrangen; nicht wie junger Wein, nein, wie Wasser, in das man doppeltkohlensaures Natrium geschüttet hat. Wenn das ausgebraust hat: man weiß, wie das dann schmeckt. Es ist nicht Wein geworden; es ist aber auch nicht wieder reines Wasser geworden. Oder, er ist auch wie die Journalistenpolitik eine Schiebung geistiger Bankrotteure; die schwindelhaft verschleierte Insolvenz ungeschlossener Geister oder solcher, die einen Leck bekamen, und nun mit der schlechten Unendlichkeit des Endlichen kommunizieren, anstatt mit der echten des Unendlichen. Nach der Politik schielen sie ja bekanntlich alle, nach der des Zirkus und der Journale, nicht nach der, wo man in Selbstverleugnung arbeiten muß; aber gerade sie ist das Paradigma der schlechten Unendlichkeit; sie ist immer das, was noch nicht oder nicht mehr zulangt – lauter Augenblicke und nie der »Augenblick« – an seine Stelle treten die täglichen, die stündlichen Ereignisse des Unzulänglichen, sinnlos, ein seelengieriger Abgrund unendlicher Leere, in welchem sogar das Wesen der Zeit, das da ist: Früchte für die Ewigkeit zu tragen, gleichsam – verwest. – Ich darf diese Aktivisten nicht entlassen ohne eine scheinbar nur persönliche Bemerkung, die aber in Wahrheit doch die öffentlichen Literaturverhältnisse in Deutschland angeht. Ihr Chef hat aus vitalen und totalen Mißverständnissen heraus mir, zusammen mit einigen unappetitlichen Bemerkungen, auch ein Lob gespendet, und zwar, was die Sache so grotesk macht, in der Neuen Rundschau. Das Lob juckt mich; ich will es weg haben. Zeitschriften von solcher Charakterlosigkeit – noch ganz und gar unethisch gesprochen! – wie die Neue Rundschau, hat es früher nie gegeben. Sie hat von mir an ihren verantwortlichen Namen eine Behandlung erfahren, die einen normalen Menschen, je nach seiner Art und seinem Temperament, in Scham, Haß, Schweigen oder die heftigste, lauteste Abwehr drängt. Sie aber registriert mich und läßt mich besprechen, als wäre nichts geschehen. Das ist ein Grad von Selbstverleugnung, der, wenn er auch empfunden würde, heroisch wäre und auf mein Haupt feurige Kohlen sammeln müßte. So aber, nicht empfunden und nicht erlebt, ist er unmenschlich und unheimlich. Wenn ein Mensch, selbst nur im Äußeren und Physischen, etwa wie ein Thermometer, bloß die Wärme- und Kältegrade registrieren und anzeigen würde, ohne zu schwitzen oder zu frieren und diese Empfindungen auch als Empfindungen auszudrücken, so wäre das unheimlich. Menschen aber, die sogar Personen und »Persönlichkeiten« fingieren, und die durchaus nicht fiktiven Schläge, die sie treffen, und gut treffen, objektiv registrieren wollen – solche Menschen sind nur noch phantasmagorisch zu verstehen; es fehlt ihnen eine Dimension des Geistes, wie dem Film eine des Raumes; für sie gibt es hinfort keine Wand mehr, sie können durch jedes Buch schreiten, und wäre es mit Flammen geschrieben. Damals, ich erinnere mich, 1915, hieß es wohl: ja, wenn auch alle schweigen, der Kerr läßt es sich sicher nicht gefallen; Kerr wird antworten; aber Err, der in Berlin W als ein Schwan gilt – hört ihr sie lauschen auf den Schwan?! –, von uns jedoch auf dem Land, die wir uns in talibus animalibus besser auskennen, unverkennbar als ein ambitiöser Gänserich mit einer kuriosen hintern Talentfeder agnosziert wurde, sagte, was sag' ich? gestaltete nicht einmal Rr! Das tat nur ich; aber diese Gestalt wurde kein »Anlaß«. Um so weniger, als eine neuerliche Gestaltung vielleicht doch nur den Anlaß hätte geben können, das Brenner-Jahrbuch zu lesen, wozu damals, 1915, so meinte man in Berlin, eben kein Anlaß bestand. Jeder, der nicht leben will, ohne daß Sinn im Leben sei und also auch in einer lebendigen literarischen Polemik, muß verstehen, daß ich, was ich als unbeteiligter Dritter und nur sachlich Interessierter sagen müßte, auch sagen kann und darf, wenn ich persönlich beteiligt bin, indem ich meine eigene Autorschaft in Indifferenz setze; und trotz der selbstverständlichen Tatsache, daß ein Bekanntwerden meiner Schriften mir nur erwünscht sein kann. Dieses letzte ist aber eine Sache, vollkommen für sich. Schließlich könnte mir auch zufällig durch den schwärzesten Verrat eines fremden Menschen das Leben gerettet werden, was mich doch nicht zwingen dürfte, Verrat und Verräter zu preisen. Nachdem ich über ihrer aller und aller ihrer Werke Sänger den Aufsatz »Die müde Nazarenerseele« und über Bie und Kerr und andere in »Der Krieg und die Führer des Geistes« einiges geschrieben habe, ist für sie das Dilemma, sich zu wehren oder mich totzuschweigen, zunächst einmal vom Schicksal gegeben, nicht aber die alles verwirrende und zersetzende Methode, mich zu bereden oder bereden zu lassen. Was nun den Aktivisten anlangt, der mich in diesem besonderen Fall beredet, oder wie er auch einmal sich nennt: den Aktiven, was, stelle ich mir vor, eine Steigerung sein mag, indem es sich im Gegensatz zu den A. H. Philistern und Ehrenphilistern eben um die »Aktivitas«, d. h. die aktiven Burschen der Aktivisten handeln wird, dieser nicht schlagenden, meiner Vermutung nach auch nicht trinkenden, sondern nur schreibenden, also durchaus spiritusfreien Verbindung, so erkläre ich, daß ich entweder wünsche, von ihm gar nicht, oder, wenn er über mich schreiben will, fordere, von ihm aufmerksam und nicht schlampig gelesen zu werden, damit so lächerliche Unterstellungen, so klägliche ineptiae, wie, um von Dutzenden nur eine zu nennen, daß »ich die Philosophen verwerfe, weil sie Systematiker seien«, während ich ihnen doch nur ihren Platz in der geistigen Hierarchie anzuweisen versuche, nicht vorkommen. Wohl gibt es Schriftsteller, die am besten und mit dem größten Vorteil für alle Welt ungenau und schlechtweg kursorisch gelesen werden; die genau und systematisch zu lesen ein großer Stilfehler wäre. Es sind jene, die in Sphären und Gebieten, in denen ohne Prinzipien nichts zu sehen und nichts auszurichten ist, dennoch ganz und gar ohne Prinzipien Lärm und Unordnung anrichten und, als die rechten Tolpatsche, was noch ganz war, zerstören; Leute also, wie etwa die Aktivisten, zu denen der gesunde Geist kein anderes als ein satirisches Verhältnis haben kann. Hier ist die Kunst der Satire verwandt mit der Lyrik. Was nämlich der Lyriker von selbst und ursprünglich tut: die Natur und die Dinge etwas ungenau und verschwommen und ineinander, aber prima facie: unschuldig anschauen, das kann der Satiriker, dieser unglücklich das Ideal Liebende und Betrogene, dem das Rückgrat der ersten Unmittelbarkeit gebrochen ist, ohne daß er in das Leben der zweiten Unmittelbarkeit, welche nur die Heiligkeit sein kann, und welche die Lyrik neu geboren als Psalm und Hymnus wieder bekommt, eingegangen wäre, mit Bewußtsein und Absicht tun, um seine Leidenschaft zu befriedigen. Seine Gegenstände sind andere als die des Lyrikers – ach! wie dieser seine Dinge gleichsam noch im Mutterleib, im Leib der großen Mutter, der Natur, sieht, und darum so verbunden, so ineinander, so er die seinen in der Farbe der Wüste und der Unfruchtbarkeit, durchflossen alles vom Wesen des Mangels und im Schatten des Fluches des Nichtseins all dessen, das doch sein sollte; aber er tut ihnen, wenn er nur Satiriker bleibt und nicht zugleich Philolog oder Historiker sein will, so wenig Gewalt an, wie der Lyriker den seinen, wenn er Lyriker bleibt und nicht zugleich Botaniker oder Psychologe sein will. Alle subjektiven Weisen des menschlichen Geistes haben ihre genau entsprechenden Gegenstände, alle, bis zum Schimpfen, – betrifft und trifft das Schimpfwort das wahrhaft Schimpfliche, so ist der, der es erfindet oder gebraucht, des Vorwurfs, selber schimpflich zu sein, quitt [sonst fällt es zurück], genau so wie der Satiriker, dessen Gegenstand in Wahrheit satirisch ist und also nicht von ihm dahin umgelogen oder umgebogen wird, nicht selbst wiederum Gegenstand eines Satirikers werden kann – es gilt nur immer, nicht zu pfuschen und nicht zu verwirren. Jedoch in einem satirischen Verhältnis steht der aktive Chef der Aktivisten – ach, es gibt, Gott sei Dank, schon hienieden eine Burg der Kontemplation, für deren Ausblick der Radius der so lärmenden und wirbelnden Aktionskreise aller dieser Aktiven, Aktivisten und Aktionisten [hier fallen sie alle zusammen] so schnell zu messen ist, wie eben in einem imaginären Punkt der Weg vom Zentrum zur Peripherie – in einem satirischen Verhältnis steht – Herr Hiller weder zu den Prinzipien, denen zu dienen ich die Ehre habe, noch zu der Art, wie ich ihnen diene; das wird er, selbst wenn er es in einer megalomanischen Anwandlung aktiver Burschikosität in der Neuen Rundschau oder sonstwo probieren würde, einsam vor sich selber nie behaupten, ja nicht einmal zu träumen wagen, wiewohl es gar nicht schwer zu erraten ist, daß seine Wunschträume einen oft verwegenen Charakter haben, was seine Schriften oft mit so unbewachter und rührender Naivität verraten, daß der Wachsame, was eine mögliche Gefahr oder gefährliche Möglichkeit dieses Typus anlangt, recht beruhigt sein kann.
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Viele sind noch weniger, nämlich die revolutionären Versemacher. Aber: sie entrüsten sich doch? Ich weiß es nicht, und vor allem: ich glaube es nicht. Aber wenn schon; man entrüstete sich viel leichter, als man was zu essen bekam, und oft nur eben deshalb, und man äußert es vor allem heute so ungefährdet, wie im August 1914 die Lust am Töten. Und wenn indignatio facit versum, der hier ja die Hauptsache ist, da wir ohne ihn Juvenals Entrüstung nicht kennten, dann muß man konstatieren, daß die ihre auch nicht einen einzigen geschaffen hat, der im Bewußtsein der Zeit, Gegenwart oder Zukunft haften bliebe, wiewohl sie doch unzählige machen, so daß auch der Einwand, vor dessen Langeweile wir uns schon beide Ohren zuhalten – ohne daß es etwas nützt: es sei ihnen ja gar nicht um das Versemachen zu tun, sondern um etwas weit Höheres, Erhabeneres, Wirkenderes, nun, wir wissen schon – mit einem schlichten »arbeit' und lern' erst was!« erledigt werden kann.
6
Eine Generation von Christen, welche die Erwartung der letzten »Revolution«, der Tat Gottes, nicht kennt und hat, hat ihr christliches Leben um ein Organ der Erkenntnis und der Liebe beraubt. »Eine solche Erwartung kann einen Menschen ins Irrenhaus bringen« höre ich sagen. Gewiß, das kann sie, wenn er nicht im Gehorsam des Glaubens bleibt und wenn er etwa die Revolution selber machen will. Aber Paulus hatte die Erwartung auch, und war nicht wahnsinnig; und, unseren Tagen so nahe, Blumhardt hatte sie auch, und war nicht wahnsinnig. Wohl weiß niemand die Stunde. Unser Gott ist auch ein Gott der Überraschung; sie mit aufzunehmen in unsere Anschauung vom menschlichen und kosmischen und himmlischen Leben gehört zu unserer menschlichen Natur, wie sie erschaffen ist. Warum sollen wir sie arm machen, wenn sie reich ist?! Was wäre dieses Leben ohne jede Überraschung – einfach schon als eigentümlicher Lebenswert – komme sie nun wie ein Blitz als Lust oder Pein, oder wie ein Dieb in der Nacht, oder sanft klingend, in Freude gegürtet, heiter schwebend wie eine Wolke am Abend im Sommer, oder schwer schreitend, in den dunklen Mantel des Leides gehüllt? Wohl, wir wissen den Tag und die Stunde nicht, da Gott eine neue Welt erschaffen, und die Gerechtigkeit der civitas Dei gemäß der Liebe eines Jeden einem Jeden das Seine geben wird; aber wir wissen über unsern Verstand, da wir es glauben, daß dieser Tag kommen wird. Vor dieser letzten, überschwenglichen und wesentlich stummen Hoffnung – denn wer so hofft, horcht viel auf Göttliches, und wer gut horchen will, spricht nicht viel – haben wir auch noch mancherlei irdische Hoffnungen, gewiß! indessen wir haben sie, nach diesen sechs Jahren, die wie 60 und 600 waren und uns alt und erfahren gemacht haben, als hätten wir sie nicht – hätten wir sie, und nur sie mit all unserem ganzen Herzen, so wie wir in Furcht und Zittern jene haben, so schlüge uns, die doch Herz haben und vom Geiste stammen, der furchtbare Engel des Wahnsinns: verflucht der Mann, der sich auf Menschen verläßt und hält Fleisch für seinen Arm! – Wir sind Kinder des Zorns, und die Ungeduld zehrt unsere Gedanken auf, macht unser Hoffen zu dörrendem Feuer, unser Harren zur trockenen Wüste. Unser Mut wird schwer in solcher Welt und Zeit und schwach wie ein Weib, ach, nur eine Schwermut noch. Was soll uns denn retten aus solcher Not des Lebens, wenn es der Glaube nicht tut?! Was denn?! Mein Gott, darum haben wir alle die irdischen Hoffnungen, die wir doch haben, nur, als hätten wir sie nicht; bereit, sie aufzugeben, wenn Gott sie nicht erfüllen will, jede einzelne, lebend von Stunde zu Stunde in Unsicherheit und Unwissenheit, aber niemals bereit, in Tod und Hölle nicht bereit, jener göttlichen zu entsagen. Die Revolution dieser Tage ist ernst zu nehmen nur, weil sie nicht von Gott kommt, von ihm nur zugelassen wurde zur Strafe derer, die sie machten, und derer, gegen die sie gemacht wurde; sie kann nicht ernst genommen werden als »Revolution« von uns, die nur eine einzige gelten lassen, nur auf die eine warten, die entscheidende Weltzerstörende und Himmelbauende, harren mit der bekümmerten Sorge, daß wir an jenem Tage zu denen gehören möchten, die schuldlosen oder schuldbereiten Herzens und aufrichtig rufen dürfen: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!