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Von Ceylon nach Kaschmir – ein gewaltiger Sprung! Selbst für die weiträumigen Verhältnisse Indiens recht respektabel. Ein Sprung, der vom äußersten Süden des Kaiserreichs zum höchsten Norden, von den heißen Regionen der Aquatornähe bis zu den von Schnee und Eis starrenden Gipfeln des Himalaya führt, von dem frauenhaft sanften Volk der Singhalesen zu den kraftvollen Bergbewohnern der halbmongolischen Stämme, die an der Grenze des verschleierten Tibet ein rauhes Nomadendasein fristen. Wie groß dieser Sprung ist, der innerhalb des britisch-indischen Kolonialreichs über alle Provinzen und Eingeborenenstaaten hinweg zwei so schroffe Gegensätze miteinander verbindet, mag der Leser vergleichsweise daraus ermessen, daß es von Colombo bis Srinagar, der Hauptstadt Kaschmirs, in der Luftlinie so weit ist, wie von Berlin bis zum Nildelta.
Ich habe auf den verschiedenen Geschäftsreisen, die mich als Kaufmann und Tierhändler durch Indien führten, das Kolonialreich vom Land der Tamulen im Süden bis zum Khaiberpaß im Nordwesten und zu den Sundabans, dem Sumpfland der Gangesmündung im Nordosten, gründlich kennen gelernt und im Bande »Kreuz und quer durch die indische Welt« von meinen Reise- und Jagderinnerungen aus der wichtigsten Gegend des ungeheuren Gebiets, aus Mysore, Madras, Haiderabad, aus Bombay, Gwalior, Benares, Kalkutta manches zum besten gegeben. Jetzt möchte ich, ehe ich von meinem Ausflug nach Kaschmir erzähle, noch etwas näher auf die damals nur flüchtig berührte wichtigste Stadt Nordindiens eingehen, jene Stadt, in der sich zur Zeit der mohammedanischen Großmoguln alle Macht und alle Kultur des Landes zu sprichwörtlichem Glanz entfaltete und die heute, nach langen Jahren des Niedergangs, wieder zur Metropole des indischen Nordens emporgeblüht ist: Delhi.
Drei nordindische Städte sind es vor allem, deren Paläste und Palastmoscheen der abendländischen Vorstellung von den »Schätzen Indiens« am meisten entsprechen: Jaipur, Delhi und Agra. Davon ist die Radschputenstadt Jaipur, die »rosenrote« Residenz eines der reichsten Maharadschas, von der ich schon ausführlich erzählte, sicherlich die bunteste, sozusagen indischste aller Städte des nördlichen Indiens, während Agra mit der märchenhaften Marmorpracht des weltberühmten Taj Mahal und den übrigen Prunkgebäuden aus mohammedanischer Glanzzeit die Sinne kaum minder gefangen nimmt. Delhi verhält sich dem Reisenden gegenüber spröder, erschließt sich ihm nicht so rasch. Schon die Reizlosigkeit der ganzen Gegend ringsum enttäuscht den Indienbummler, der, wenn er von Bombay oder gar von Colombo kommt, schon riesige Strecken des Landes durchfahren, schon so viel Schönes und Interessantes gesehen hat, daß er ziemlich gesättigt und ermüdet ist und es deshalb unliebsam vermerkt, daß die erwartete weitere Steigerung der Eindrücke ausbleibt. Stundenlang trägt ihn der Zug durch das Flachland von Radschputana, ein heißer blendender Dunst liegt in der wärmeren Jahreszeit auf der endlosen Flucht staubgrauer Steppen, deren Öde dann und wann von ausgetrockneten Flußläufen, von Reis-, Baumwoll- und Kaffeepflanzungen unterbrochen wird. Diese Gegend hat auf den ersten Blick kaum etwas, das sie empfiehlt, und steht, wie so vieles in Indien, in krassem Widerspruch zu den übertriebenen Vorstellungen, die man sich in Europa von der Natur des alten Wunderlandes zu machen pflegt. Sie hat dem Auge nichts zu bieten und wirkt fast quälend durch ihre Eintönigkeit. Und wenn der feine Staub von draußen sich, trotz der dreifachen Sicherung der Fenster, mit fanatischer Bosheit ins Innere des Eisenbahnwagens einzuschmuggeln versteht, dort alles mit seinem trostlosen Grau überzieht, Augen und Nase, Mund und Kehle empfindlich reizt, dann entringt sich dem schwergeprüften Indienfahrer wohl der Seufzer: »Seltsamer Einfall der Großmoguln, sich just in dieser traurigen Gegend niederzulassen!«
Aber Delhi entschädigt dann den Besucher für die Beschwerden der langen Reise in reichstem Maße, gehört es doch mit seinen 261 Moscheen, seinen Palästen aus Indiens größter Zeit, seinem fesselnden Volksleben, seinen zahlreichen Altertümern, die über ein ungeheures Areal von 20 englischen Quadratmeilen zerstreut sind, zu den sehenswertesten Städten des Landes. Freilich darf der Fremde auch hier einige Anstrengungen nicht scheuen, denn um auch nur von dem Wichtigsten gewissenhaft Kenntnis zu nehmen, bedarf es tagelanger Rundfahrten mit dem Gespann oder dem Motorwagen.
Es sind in Delhi drei sehr verschiedene Teile zu unterscheiden: das moderne Delhi, das Fort und der ausgedehnte ländliche Bezirk, auf dem sich die Trümmer des alten Delhi erheben.
Das »moderne« Delhi mit seinen 250 000 Einwohnern, von denen 40 v. H. Mohammedaner, 55 v. H. Hindus sind, ist keineswegs so modern, wie die bei den Engländern übliche Bezeichnung vermuten läßt, denn seine wohlerhaltenen Stadtmauern und Tore blicken schon auf 300 Jahre zurück. Innerhalb der Mauern besteht es aus dem echt orientalischen Gewirr phantastisch krummer Winkel- und Sackgassen, durchbrochen von einigen regelmäßiger angelegten Hauptstraßen, auf denen sich das geschäftliche Leben abspielt. In der Nähe der Stadt, hinter dem Fort, wälzt der insel- und sandbankreiche Dschamna seine Fluten. Wir kommen bei Delhi in das gewaltige Stromgebiet des Ganges, der mit seinen zahlreichen Nebenflüssen für die reiche Bewässerung und die Fruchtbarkeit des ganzen indischen Nordostens von Kaschmir bis zum Golf von Bengalen sorgt. Später, bei Allahabad, ergießt sich der Dschamna in den Ganges, den heiligen Strom.
So manches schöne Werk arabisch-indischer Baukunst bietet sich hier dem Auge dar, Palastfronten mit wundervoll gewölbten Toren und zierlichen Balkonen und Erkern, die, wie in Jaipur, häufig aus rosafarbenem Stein gemeißelt sind. Aber am liebsten verweilt man doch mit immer neuem Interesse bei den tausendgestaltigen Erscheinungen des Lebens, wie es sich, temperamentvoller als sonst in Indien, in allen Gassen und Winkeln abspielt. In den Bazarstraßen zu wandeln erfordert einige Widerstandskraft, es sei denn, daß man nicht ängstlich zu rechnen braucht, denn die Kauflust regt sich hier, wo es noch ein seit alters gut gepflegtes Kunstgewerbe und nicht bloß, wie an vielen anderen Fremdenplätzen des Landes, minderwertige Souvenirware gibt, besonders stark. Juweliere, Silberschmiede, Elfenbeinschnitzer, Brokat- und Mousselineweber, Miniaturmaler, Metallarbeiter, Teppichknüpfer – alle haben so begehrenswerte Dinge zu bieten, daß es nicht leicht ist, der Versuchung zu widerstehen.
Das Leben lockt – und unmittelbar daneben wandelt der Tod. Schrille Trompetenstöße zerreißen die Luft, um die Ecke biegt ein seltsamer Zug. Ein Leichenzug der Hindus. Die Brust schlagend und das Haar raufend eilen Klageweiber voraus, ihr langgezogenes Geheul erinnert an das Heulen des Schakals, ihre gutgespielte Verzweiflung wird mit Kupfermünzen honoriert. Dann folgen die zum Zeichen der Trauer völlig glattrasierten Leidtragenden, schwankenden Schrittes tragen sie auf einer Bahre aus Bambusstäben den Leichnam. Es ist eine Frau; ihr magerer Körper ist, wie es die Sitte erheischt, mit rotem Pulver bestreut und mit einem durchsichtigen roten, mit Silberfäden durchwirkten Stoff bedeckt. Gleichgültigen Gesichts lassen die Straßenpassanten den Zug vorbei, kaum daß einer einen flüchtigen Blick darauf wirft. Der Inder läßt selten Gefühlsregungen erkennen. Eines wirklich herzlichen Lachens ist er so wenig fähig wie aufrichtig geweinter Tränen, beides überläßt er den dafür bezahlten Kräften, das Lachen dem berufsmäßigen Spaßmacher und das Weinen den Klageweibern.
Unter den schier zahllosen mohammedanischen und hinduistischen Heiligtümern der Stadt ist die Jumma Musjid die größte Moschee nicht nur Delhis, sondern überhaupt der ganzen mohammedanischen Welt. Aus dem 17. Jahrhundert stammend, zieht sie durch ihre freie Lage, ihre monumentale, streng regelmäßig gegliederte Architektur schon von weitem die Blicke an. Großartige Freitreppen führen zu dem quadratischen Riesenbau mit den mächtigen Toren, den offenen Arkaden, den schlanken Minaretten und zwiebelförmigen Kuppeln hinauf. Dieser schneeweißen Marmorpracht, diesem leuchtend roten Sandstein hat der Staub der Jahrhunderte nichts anzuhaben vermocht, alles strahlt noch in derselben fleckenlosen Reinheit wie einst, als sich die Flügel des Haupteingangstores nur für den Großmogul öffneten, und Indien noch nichts von den Engländern wußte.
Die Großmoguln! Die ungeheuren Reichtümer, die sie in nicht gerade zartfühlender Weise zu sammeln verstanden, sind noch heute, längst nach ihrem Zerstieben in alle Winde, sprichwörtlich bekannt, und einen Abglanz der Pracht, die an ihren Höfen entfaltet wurde, sieht man im Fort von Delhi, den Resten der alten Kaiserburg. Vieles von den großartigen Bauten mußte in pietätloser Zeit den Magazinen und Kasernen der hier untergebrachten europäischen Garnison weichen, aber zum Glück ist doch noch vieles Herrliche erhalten geblieben. Vor allem der Audienzsaal, ein architektonisches Märchen aus weißem Marmor, farbigem Mosaik und goldenen Ornamenten gedichtet, und der nicht minder prächtige Wohnpalast des Kaisers Schah Jehan, dessen Ruf als Kunstmäzen damals, im 17. Jahrhundert, bis zum Abendland drang und manchen europäischen Künstler die abenteuerliche Reise nach Indien antreten ließ. Diese mongolisch-tatarischen Herrscher aus Timurs Geschlecht waren trotz ihres Hanges zur Unterjochung fremder Völker keine Barbaren, sondern Männer von feinem Geschmack, denen die Kultur und die Kunst Nordindiens eine seitdem nie wieder gesehene Blütezeit zu verdanken hatten. Aber auch das Großmogulreich mußte zerfallen, die Dynastie wurde schwach, ließ sich von anderen Eroberern, schließlich von den Engländern verdrängen. Als 1803 Delhi in die Hände der Engländer fiel, erinnerte beim letzten Großmogul nur noch der Titel an die stolzen Zerren der Macht und des Glanzes. Seine Nachkommen erhielten von England ein Jahresgehalt und genossen zu Delhi fürstliche Ehren; aber nachdem die Familie am Aufstand von 1857 und besonders an den dabei begangenen Grausamkeiten hervorragenden Anteil genommen hatte, wurde sie nach Benares verbannt, wo jetzt noch einige Überbleibsel des einst so mächtigen Fürstengeschlechts ein ziemlich kümmerliches Leben fristen sollen.
Der Boden Delhis und seine nächste Umgebung war tausend Jahre hindurch bis auf unsere Zeit der Schauplatz großer Begebenheiten von weltgeschichtlicher Bedeutung. Ein fortwährendes blutiges Ringen um Macht, ein Vorwärts- und Rückwärtsfluten der von Norden her eindringenden fremden Völker, Zeiten der Blüte und des Niedergangs, das wechselte hier in ewigem Reigen ab. Nicht weniger als neunmal wurde Delhi, das »indische Rom«, zerstört und wieder aufgebaut. Mit der Herrschaft der Engländer schien die Stadt endgültig zur Ruhe gelangt zu sein. Aber der vorhin erwähnte Aufstand von 1857, die berühmte »Mutiny«, die Meuterei der eingeborenen Truppen, hat Delhi damals wiederum in einen glühenden, brodelnden Krater verwandelt. Ganz überraschend, über Nacht, war diese Katastrophe hereingebrochen. An warnenden Zeichen hatte es freilich nicht gefehlt, aber sie waren unbeachtet geblieben. Man hatte den Fehler begangen, übermäßig viel Mohammedaner ins Heer einzustellen und sie nicht immer richtig zu behandeln. Es bedurfte nur des Auftretens eines so tatkräftigen Fanatikers, wie Nana Sahib es war, um das Pulverfaß zur Explosion zu bringen. Nana Sahib, der Sohn eines Brahmanen, ein wütender Engländerfeind, war die Seele des Aufstands. Dieser kam am 10. Mai 1857 in Meerut, in der Nähe von Delhi, zum Ausbruch, und schon am folgenden Tage versagten auch in Delhi die Eingeborenentruppen den Gehorsam, ermordeten die englischen Offiziere und Beamten, bemächtigten sich der Kriegsvorräte und riefen den neunzigjährigen Bahadur zum Großmogul aus. Delhi wurde zum Hauptaktionsplatz der Rebellen, deren Zahl sich bald auf 30 000 belief. Die Situation war für England aufs höchste gespannt, jetzt ging es um alles, denn griff die Meuterei auch auf die anderen Provinzen und die Eingeborenenstaaten über, so war es mit der englischen Herrschaft in Indien einstweilen und vielleicht für immer vorbei. Aber die Engländer hatten auch diesmal wieder bei allem Unglück ein ganz merkwürdiges Glück. Erstens war es ein großes Glück, daß der ganze Aufstand sich auf das Militär beschränkte und die Zivilbevölkerung sich ziemlich passiv und neutral verhielt, und zweitens war es ein noch größeres Glück, daß die revolutionäre Bewegung im wesentlichen in Hindostan lokalisiert blieb, während das Pandschab den Engländern die Treue bewahrte und zuverlässige Truppen gegen die Aufständischen stellte. Am 7. Juni rückte General Barnard mit 3000 Mann und 22 Feldgeschützen aus dem Pandschab heran, schlug den Feind trotz seiner zehnfachen Überlegenheit im Norden Delhis und setzte sich auf dem Felsenrücken des Ridge fest, der die Stadt beherrscht. Während von hier aus die Belagerung Delhis vorbereitet wurde, wütete Nana Sahib in Khanpur am Ganges gegen die kleine Besatzung von 400 englischen Offizieren und Mannschaften nebst ungefähr ebensoviel Frauen und Kindern. Man sicherte den Engländern nach tapferer Verteidigung zuerst freien Abzug zu, schoß sie dann aber größtenteils nieder und nahm den Rest samt Frauen und Kindern gefangen. Als ein britisches Entsatzheer anrückte, wurden sämtliche Engländer ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht grausam niedergemetzelt und in einen noch heute dort befindlichen Brunnen geworfen. Diese Untat des »Tigers von Khanpur«, wie Nana Sahib fortan von seinen Anhängern genannt wurde, spornte die aufs höchste erbitterten Engländer zu ganz außerordentlichen Kraftleistungen an. Nachdem die Truppen auf dem Ridge allmählich Verstärkungen nebst schwerem Geschütz erhalten hatten, begann im September zuerst die Beschießung der von den Aufständigen besetzten Bastionen, dann abschnittweise die Erstürmung der Stadt. Am 20. September befand sich nach blutigsten Kämpfen auch das Fort in den Händen der Engländer. Damit war die größte Gefahr beseitigt. Zwar zog sich die revolutionäre Bewegung in einzelnen Gegenden Indiens noch bis zum Sommer 1858 hin, aber sie hatte dann schon längst ihre Kraft verloren. So furchtbar wie die Untaten der Rebellen gewesen waren, besonders das Massaker von Khanpur, so furchtbar fiel auch das Strafgericht aus. Es ist den Engländern jedoch nicht gelungen, des Oberhauptes der Meuterei, Nana Sahibs, habhaft zu werden. Er hatte sich rechtzeitig ins Dschungel flüchten können und soll später in der Abgeschiedenheit der Berge von Nepal noch lange gelebt haben.
Nur sehr gering ist die Zahl der heute noch lebenden Inder, die sich der großen Meuterei von 1857 aus eigener Anschauung erinnern können. (Einige der damals zur Deportation verurteilten Eingeborenen-Offiziere habe ich, wie im Indien-Werke erzählt, in ihrem Verbannungsort auf den Andamanen kennen gelernt.) Zwei Menschenalter sind seitdem vergangen, eine Zeitspanne, die uns, an unserem kurzen Dasein gemessen, sehr beträchtlich erscheint. Aber wie geringfügig sie im Vergleich zur Geschichte Indiens ist, das wird recht sinnfällig klar, wenn man die Trümmerstätte Alt-Delhis Wo sind die großen Städte geblieben, die sich einst auf diesen Gefilden erhoben? Sie sind wie fortgeblasen, in endlosen Kriegen so oft und so gründlich zerstört, daß sich schließlich nicht mehr der Wiederaufbau verlohnte. An ihre einstige Größe und Pracht erinnern aber noch zahlreiche Ruinen der Monumentalbauten: Grabmäler, Zitadellen, Moscheen, Tore und Siegestürme, unter letzteren der grandiose Kutb Minar, der mit 72½ Meter Höhe zu den stolzesten Baudenkmälern der Welt gehört. Und wo sind die zahllosen Geschlechter geblieben, die einst diese versunkenen und verschollenen Städte bevölkerten? Staub, Staub – und weniger als Staub …
Aber trotzdem: »Es kribbelt und wibbelt weiter,« wie der Dichter sagt. Mich davon zu überzeugen, hatte ich bei meinem letzten Aufenthalt in Delhi die beste Gelegenheit, denn es waren gerade die Festtage des großen Durbar, den hier der Vizekönig alljährlich veranstaltet. Im eigentlichen Sinne des Wortes bedeutet Durbar eine Audienzhalle, jenen meist monumentalen und prächtig ausgestatteten Raum der Fürsten- und Gouvernementspaläste, in denen die feierlichen Empfänge von Deputationen und andere Staatsaktionen stattfinden. Im übertragenen und erweiterten Sinn versteht man in Indien unter einem Durbar die offiziellen Festlichkeiten, die in den Hauptstädten in regelmäßigen Zwischenräumen oder aus Anlaß eines hohen Besuchs, wie z. B. des englischen Thronfolgers, unter großem Schaugepränge als allgemeine Volksfeste veranstaltet werden. So zurückhaltend das offizielle England in Indien für gewöhnlich auch ist, tritt es bei solchen Gelegenheiten doch ungemein glänzend auf, nicht nur um seine Machtfülle und alle Herrlichkeit des »Empire« in imposanter Weise öffentlich zu bekunden, sondern auch, um allen Schichten des Volkes, das sich so gern, wenn auch nur in der Rolle des Zaungastes, an Pomp und Grandezza werdet, einen gehörigen Augenschmaus zu bescheren.
Das große Durbar, das ich in Delhi zu sehen bekam, war eines der glänzendsten seiner Art und erhielt durch die Anwesenheit einer größeren Anzahl indischer Fürsten, die man dazu eingeladen hatte, seine besondere Weihe. Denn die Radschas und Maharadschas verstehen sich auch auf Repräsentation und treten bei solchen Anlässen immer sehr prunkvoll auf, natürlich mit großem Gefolge und all dem Drum und Dran, das zu einer richtigen indischen Hoffestlichkeit gehört. In dem Festzuge, der vor dem Vizekönig, seinen mit Edelsteinen förmlich besäten hohen Gästen sowie den Spitzen der Behörden und der Gesellschaft vorbeidefilierte, befanden sich nicht weniger als 500 Staatselefanten aus den Marställen jener Fürsten, jeder einzelne prächtig aufgezäumt mit Kopfputz, reich gestickten Teppichen und kunstvoll geschnitzten Howdahs. Europäische und eingeborene Truppen in Paradeuniform marschierten und ritten im Zug, darunter die berittene Ehrengarde des Vizekönigs, ausgesucht schöne und große Inder in purpurroter Galauniform mit hohen Lackstiefeln und buntem Turban. Dem Défilé schlossen sich militärische Exerzitien, Turniere und andre sportliche Veranstaltungen an. Es läßt sich denken, welchen Eindruck ein solches Aufgebot von irdischem oder beinahe schon überirdischem Glanz auf die Volksmassen macht. In Indien ist auch den ärmsten Schichten der Bevölkerung der Begriff der sozialen Mißgunst im allgemeinen ziemlich fremd. In den strengen Anschauungen uralter Überlieferungen und einer ganz auf Duldung eingestellten Religion aufgewachsen, finden sie es vollständig in der Ordnung, daß es Schwache und Starke, Arme und Reiche gibt, und sie vertrauen darauf, daß in einem anderen und dann besseren Leben diese Unterschiede mehr zu ihren Gunsten ausgeglichen sein werden.
Schon von den höchsten Türmen Delhis aus kann man bei klarem Wetter am nordöstlichen Horizont einige Gipfelpunkte des Himalaya erkennen, der sich in einer Entfernung von 200 km von Delhi aus dem Flachland des Ganges zu erheben beginnt. Fährt man dann mit der Eisenbahn nach Lahore, so tritt immer deutlicher eine ausgedehnte Bergkette hervor, die nicht sehr hoch zu sein scheint, aber doch die erste Stufe des gewaltigsten Hochgebirges der Welt darstellt, und es dauert dann nicht mehr lange, und hinter den Vorbergen tauchen, zunächst nur in Gestalt kleiner heller Flecken und Spitzen, einige der von ewigem Schnee und Eis verhüllten Gipfel und Rücken des Himalaya auf. Für den, der aus den glühenden Ebenen Indiens kommt und vielleicht noch niemals ein Hochgebirge, noch niemals Schnee und Eis zu sehen bekam, hat der Anblick des fernen, das Landschaftsbild allmählich immer mehr beherrschenden Alpenzuges einen geheimnisvoll packenden Reiz.
In Lahore, der nördlichsten Großstadt des indischen Reiches, habe ich, wie schon in »Kreuz und quer durch die indische Welt« berichtet wurde, längere Zeit geweilt, um dort im Auftrag der Stadt den Zoologischen Garten des Lawrenceparkes neu einzurichten. Lahore ist einer der angenehmsten Aufenthaltsorte Indiens. Es hat, wie Delhi, unter der Herrschaft der Großmoguln seine Zeit des Ruhmes und Glanzes gehabt, an die in der Altstadt mit dem üblichen Gassenlabyrinth noch manches schöne Bauwerk erinnert, und nachdem es 1849 in britischen Besitz gekommen ist, hat sich auf den Ruinenfeldern der verwüsteten Vorstädte eine weit ausgedehnte prächtige Gartenstadt der Europäer entwickelt, die mit ihren Parkanlagen, Sportplätzen, Klubhäusern und reizenden Bungalows zu den schönsten Niederlassungen der Kolonisten in Indien gehört. Das lohnendste Ausflugsziel ist Amritsar, in einer Bahnstunde zu erreichen. Hier fühlt man sich schon im Banne des nicht mehr fernen Himalaya und seiner Völker. Amritsar hat von jeher lebhaften Handel mit Kaschmir, Nepal, Tibet, Afghanistan, Beludschistan usw. unterhalten, und die vielen hierher gekommenen, zum Teil auch hier seßhaft gewordenen Angehörigen jener Länder haben der Stadt den Stempel des Fremdartigen aufgedrückt. Amritsar ist der Hauptsitz der Sikhs, einer alten Reformsekte des Hindutums, die im Pandschab großen Einfluß besitzt. Die Sikhs gehören mit den Radschputen, der wertvollsten nordindischen Hindukaste, zu den besten Soldaten des englischen Heeres und haben auch im großen Militäraufstand von 1857 den Engländern Treue bewahrt. Es sind auffallend schöne Männer von stolzer Haltung, mit Vollbart und gelbem Turban. Der religiöse Mittelpunkt der Sekte und ihr bedeutendstes Heiligtum ist der Goldene Tempel von Amritsar. Er befindet sich inmitten des im 16. Jahrhundert angelegten »Teiches der Unsterblichkeit«, einem großen Wasserbecken, in dem die Gläubigen ihre rituellen Bäder nehmen. Eine Marmorbrücke führt über den Teich zum Tempel hinüber, dessen strahlend weiße, von vergoldeten Kuppeln gekrönte Marmorpracht sich in den Wassern spiegelt. Der Fremde muß sein profanes Schuhwerk mit Zeugsandalen überziehen, bevor er das Heiligtum betritt. In dem mit buntem Mosaikwerk überreich dekorierten Innern des Tempels, der nicht weniger als 500 Priester beschäftigt, findet ununterbrochen Gottesdienst in der Weise statt, daß in der Mitte der Halle unter einem Baldachin ein Priester sitzt und, einen weißen Yakschweifwedel mit goldenem Griff in der Hand, aus den vor ihm liegenden heiligen Büchern der Sikhs vorliest; zwei Musikanten begleiten seine Worte mit leiser Musik. Ringsum in der Halle verharren die Gläubigen, Männer und Frauen, in kniender oder hockender Stellung, oder bringen an den Altären lautlos Blumen – und Kranzopfer dar. Der Gottesdienst, die andächtige Stille, das ganze Milieu, alles macht einen sehr würdigen Eindruck; auch das Fehlen der fratzenhaften Götterbildnisse und Symbole, die von der Sekte der Sikhs abgelehnt werden, sowie des sonst in Indien üblichen Jahrmarktstreibens, hebt diese Kultusformen auf eine Stufe geläuterter Religiosität.
Da ich mich in Lahore so nahe – wenigstens für die weiträumigen indischen Verhältnisse nahe – bei Kaschmir befand, wollte ich die Gelegenheit, mir einen flüchtigen Einblick in das Land zu verschaffen, nicht ungenützt vorbeigehen lassen, zumal mir nach Beendigung meiner Arbeit im Lawrencepark einige freie Wochen verblieben. Der bequemste und auch noch heute am meisten besuchte Zugang zu dem Hochgebirgsland ist die gut gebaute Poststraße, die im äußersten Nordwesten des Pandschab von Rawal Pindi über Murree ins obere Tal des Dschelam und weiter an dem Strom entlang nach Srinagar, der Hauptstadt Kaschmirs, führt.
Es gibt Landschafts- und Ortsnamen, von deren Klang ein seltsamer Zauber ausgeht, deren Klang, wenn er das Ohr berührt, sofort bestimmte Gedankenverknüpfungen reizvoller Art bewirkt. Zu diesen Namen gehört für mich auch Kaschmir. Mir fallen dabei zunächst immer jene schönen buntseidenen Umschlagetücher ein, die berühmten Kaschmirschals, die einst in Europa in Mode und damals der Stolz unserer Großmütter waren, dann auch gewisse Erzeugnisse des Kunstgewerbes, zierliche Vasen aus gehämmertem Metall. Schließlich denke ich beim Klange des Wortes unwillkürlich an ein Hochgebirgsland mit smaragdgrünen Weidegeländen zwischen gewaltigen Bergen. In diesem Land, das den westlichsten Teil des Himalaya einnimmt und seit 1846 ein Vasallenstaat des britisch-indischen Reiches ist, hatte man einst das Paradies und die Wiege des Menschengeschlechts gesucht, hierher pflegten sich die Großmoguln in der heißesten Jahreszeit in ihre von Marmor und Gold strotzenden Sommerpaläste zurückzuziehen, hier rangen durch Jahrhunderte verschiedene Völker in erbitterten Fehden um die Herrschaft über das Land, das Einfalltor nach Indien, bis schließlich der große Brite kam und durch das bei ihm beliebte abgekürzte Verfahren der Besitzergreifung allem Hader ein Ende machte.
Kaschmir, im Norden und Osten an Turkestan und Tibet grenzend, ist ein ausgeprägtes Alpenland, dessen größtes Hochtal und wichtigstes Kulturgebiet vom Dschelam durchströmt wird, dem Hydaspes der alten Griechen. Trotz seiner hervorragenden Naturschönheiten und des vielen Interessanten, das die alte Kultur des Landes zu bieten hat, wird Kaschmir immer noch recht wenig besucht. Freilich wurde der Besuch dem Reisenden bis in die neuere Zeit hinein auch absichtlich nicht leicht gemacht. Aus politischen Gründen war man bestrebt, dieses Grenzland, das zugleich eine wichtige natürliche Grenzfestung ist und an eine zum Teil sehr unruhig« Nachbarschaft stößt, für den Verkehr nur gerade soweit zu erschließen, wie aus wirtschaftlichen Gründen eben unbedingt notwendig war. Hatte schon der Himalaya das Hochland am Dschelam durch seine Riesenwälle schwer zugänglich gemacht, so wurde die Absperrung durch behördliche Maßnahmen noch verstärkt. Der Fremde durfte Kaschmir nicht ohne Erlaubnis der britischen Behörde besuchen, und wenn auch Engländern in dieser Hinsicht keine erheblichen Schwierigkeiten bereitet wurden, so war man gegen Nichtengländer doch zurückhaltender. Auch waren die Unterkunfts- und Verpflegungsverhältnisse in Kaschmir lange nicht in so befriedigender Weise geregelt, wie in den viel besuchten Gegenden Indiens. Neuerdings hat man nun den Verkehr mit Kaschmir auf den Hauptrouten in größerem Umfange freigegeben, auch durch Ausbau der Poststraßen, Anlegen von Rasthäusern nach indischem Muster und weitere Maßnahmen das Reisen im Lande erleichtert. Aber das bezieht sich nur auf die Hauptrouten im Dschelamtal. Wer Kaschmir in seinen entlegenen Teilen besuchen will, muß alles mitnehmen, was zum Kampieren im Freien gehört, Zelte und sonstigen Lagerbedarf, dazu natürlich auch den nötigen Bedienungstroß, vom Khitmatgar (Oberdiener) und Khansama (Koch) an bis zum Bischti (Wasserträger) und jenem Paria niedrigster Kaste, der die schmutzigen Arbeiten besorgt, die kein anderer Diener anrührt. Es gehört also zur Bereisung dieses Gebirgslandes ein umständlicher Apparat und außerdem reichlich Zeit, denn da die Eisenbahnen nur bis zur Grenze und höchstens noch ein kleines Stück weiter führen, ist man in Kaschmir auf die langsameren Fortbewegungsmittel angewiesen, wie Wagen, Reittiere, Sänften und die Wohnboote auf dem Dschelam.
Wie schon gesagt, ist die bequemste und am meisten benützte Zugangsstraße nach Kaschmir jene, die von Rawal Pindi in der Nordwestecke des Pandschab, unweit des Indus, zum Dschelamstrom und an diesem entlang nach Srinagar führt. Die Bahnfahrt von Lahore nach Rawal Pindi verschafft dem Reisenden einen hübschen Einblick in die charakteristische Pandschab-Landschaft, das deltaförmige Fünfströmeland zwischen dem Indus, seinen großen Nebenflüssen und dem Himalaya. Es ist das fleißig angebaute, von einer arbeitsamen und tüchtigen Bevölkerung bewohnte Schwemmland der großen Ströme, zu denen sich noch zahlreiche kleinere Wasserläufe gesellen, die wildbachartig in breiten, von Sandbänken erfüllten Betten dem Indus zufließen. Halbwegs auf der Fahrt geht es über den Dschelam nach seinem Austritt aus dem Gebirge hinweg, in nächster Nähe von jener historischen Stelle, wo Alexander der Große vor etwa 2250 Jahren auf seinem berühmten Eroberungszuge nach Indien, wobei er aber nicht weiter als bis ins Pandschab gelangt ist, den Beherrscher dieses Gebietes, Poros, am Dschelam (Hydaspes) vernichtend schlug. Hier genießt man einen prachtvollen Blick auf den Himalaya in der Gegend des Pir Panjal-Passes, hinter welchem Srinagar liegt, der aber wegen seiner großer: Höhe von 3470 Metern wenig benutzt wird.
Rawal Pindi ist Sitz einer starken Garnison und neben dem jenseits des Indus liegenden Peshawar der militärisch wichtigste Punkt des britisch-indischen Reiches. Gleich hinter Peshawar befindet sich der berühmte, oder besser gesagt berüchtigte Khaiberpaß, der nach Afghanistan führt, und dessen Bewohner, die kriegerischen Afridis, den Engländern viel zu schaffen machten. In Rawal Pindi hatte die Eisenbahnfahrt ihr Ende erreicht, und ich mietete nun zur Reise nach Kaschmir einen der landesüblichen Wagen, Tonga genannt, ein solides, zweirädriges, mit zwei Pferden bespanntes Fuhrwerk. Auf den beiden Vordersitzen nahmen Kutscher und Pferdeknecht Platz, während ich mit meinem Diener, den beiden dos-à-dos, die Rücksitze einnahm. Das hat freilich den Nachteil, daß man beim Fahren nicht geradeaus blickt, sondern die Landschaft nur rückschauend genießt, aber es fährt sich im übrigen auf solcher Tonga recht bequem, so daß man durch die großen Tagereisen, die zurückgelegt werden müssen, nicht übermäßig angestrengt wird. Das Gepäck wird teils im Innern des Wagens, teils auf dem Schutzdach verstaut. Man fährt mit Relais, ungefähr alle fünf Meilen befindet sich eine Relaisstation, an der die Pferde gewechselt werden, so daß die ganze, reichlich 300 km lange Strecke nach Srinagar in etwa drei Tagen zurückgelegt wird.
Unsere kleinen, aber kräftigen Pferdchen legten sich sofort ordentlich ins Geschirr und mäßigten ihr Tempo auch dann nicht, als die Straße zwischen prächtigen Wäldern bergan stieg. Nach sechs Stunden langten wir in Murree an, das sich neuerdings zu einem vielbesuchten klimatischen Kurort entwickelt hat. Hier weht schon eine ganz andere Luft als unten im Pandschab, denn Murree liegt 2300 Meter hoch und steckt im Winter häufig tief im Schnee. Von Murree steigt die Straße zur Paßhöhe an und fällt dann in Kehren zum Dschelamfluß ab, an dessen Ufer sie nun beständig, der Strömung entgegen, über Baramula bis Srinagar führt, das ich am dritten Tage erreichte.
Die ganze Reise ist so angenehm, daß man trotz der langen Wagenfahrt und der kräftigen Durchschüttelung des Körpers kaum Ermüdung verspürt. Schon die belebende frische Luft des Hochtales von Kaschmir bewirkt wahre Wunder, pumpt Sauerstoff in die Lungen, beschleunigt den Kreislauf des Blutes. Dazu die starken Eindrücke auf das Auge durch die beständig wechselnden Formen und Farben der Landschaft, die ebenso wie die Luft etwas Herbes und Kräftiges hat und mehr an mitteleuropäische Alpenländer als an den tiefen Süden erinnert. Oft genug glaubte ich mich in die Täler Tirols oder der Schweiz versetzt. Durchaus erfreulicher Art waren auch die Menschen in Dörfern und Städten, die hochgewachsenen, starkgebauten Männer mit ihrer frischen bräunlich-roten Gesichtsfarbe und den arischen Zügen, die freundlich grüßenden Mädchen und Frauen. Es ist ja bedenklich, sich von Äußerlichkeiten und ersten günstigen Eindrücken beeinflussen zu lassen, und mir sind die Vorwürfe, die man den Kaschmiris zu machen pflegt, bekannt: daß sich hinter ihrer heiteren Liebenswürdigkeit, ihrer scheinbaren Offenheit ein verschlagener Geist verstecke, daß sie falsch, unzuverlässig und in jeder Hinsicht lasterhaft seien. Zu einem geradezu vernichtenden Urteil über die Kaschmiris gelangt der ungarisch« Ethnologe Karl Eugen von Ujfalvy in seinem Reisewerk »Aus dem westlichen Himalaya« (Leipzig 1884). Er schreibt: »In Kaschmir erleben wir das in anthropologischer Beziehung wirklich seltene Beispiel von einem Volke, das bei relativ entschieden herrlichem physischem Typus eine unglaubliche moralische Entartung aufweist. Der Kaschmiri, groß und kräftig von Körperwuchs, mit ausgeprägten intelligenten Gesichtszügen und feurigen, klug blickenden Augen, ist der feigste, lügenhafteste, betrügerischste, lasterhafteste Schurke unseres Erdballs. Bei einer wirklich seltenen Begabung für jede manuelle Beschäftigung, bei einer gewissen künstlerischen Auffassung, gepaart mit feinem Geschmack, ist er jeden moralischen Gefühls bar und stets dazu bereit, seinen Nächsten zu übervorteilen, von seinen Lastern gar nicht zu sprechen.« Das ist ein ungewöhnlich abfälliges Urteil, das um so mehr verwundern muß, als Usfalvy es keineswegs durch die Erzählung von Einzelfällen näher begründet; er scheint sich vielmehr in Kaschmir sehr wohlgefühlt zu haben. Übrigens nimmt er die Panditen, von denen sogleich die Rede sein wird, aus. Sicherlich sind die Kaschmiris, wie ihre ganze Geschichte beweist, keine Engel und Charakterathleten, aber deshalb sind sie wahrscheinlich auch nicht schlimmer, als die anderen Völker des Orients, und wenn sie schon ihre Fehler haben, so helfen sie mit ihrer freundlichen Zuvorkommenheit leichter darüber hinweg. Jedenfalls habe ich mich in der kurzen Zeit, die ich in Kaschmir verbrachte, sehr wohl gefühlt, und ich habe auch von anderen Reisenden nur Günstiges über das Volk gehört. Die kleinen Prellereien und Inkorrektheiten, denen der Reisende in Indien ebensogut ausgesetzt ist, wie in vielen andern Ländern der Welt, darf man nicht tragisch nehmen.
Wie in dem ganzen großen Indien mit seinem bunten Völkergemisch, so stellt auch in dem verhältnismäßig kleinen Kaschmir die Bevölkerung keine nationale Einheit dar. Man muß zwischen der großen Masse des Volkes, den stark mit fremdem Blut durchsetzten gewöhnlichen Kaschmiris, und der in der Minderzahl befindlichen Elite, den brahmanischen Panditen unterscheiden, die sich ihr arisches Blut im großen und ganzen rein erhalten haben und die schon durch ihr Äußeres, ihre stattliche Gestalt, ihre angenehmen, intelligenten Züge, ihr leicht gelocktes, nicht selten blondes Haar die Aufmerksamkeit erregen. Die Schattenseite ihres sonst sympathischen Charakters ist religiöser Fanatismus und Hochmut. Während sich die gewöhnlichen Kaschmiris soviel Übles nachsagen lassen müssen, werden die Panditen als ehrlich und zuverlässig gerühmt; in ihrem Auftreten von gewinnender Höflichkeit und voll Würde, sind sie nicht so kriecherisch wie die Kaschmiris. Die Panditen leben jedoch fast nur in Srinagar und einigen anderen größeren Orten. Zu erwähnen sind ferner die mongolischen Ladaki, die den Osten Kaschmirs bewohnen, und die im Westen zu findenden ursprünglich arischen Balti. Insgesamt beläuft sich Kaschmirs Bevölkerung auf etwa drei Millionen. Der Maharadscha ist dem Generalgouverneur von Indien unterstellt, hat in außenpolitischen Dingen nichts zu sagen und muß sich auch eine strenge Finanzkontrolle gefallen lassen, darf aber sonst in den inneren Angelegenheiten des Landes frei schalten und walten. Im Winter residiert er in Jammu, am Südabhang des Himalaya, im Sommer in Srinagar.
Srinagar, die Hauptstadt des Landes, mit 125 000 Einwohnern, liegt an beiden Ufern des ziemlich schmalen Dschelams, von dem sich eine größere Anzahl Kanäle abzweigt. Wegen dieser Kanäle und der vielen ins Wasser hineinragenden Pfahlbauten ist Srinagar von einigen Reisenden »das indische Venedig« genannt worden. Solche Vergleiche haben immer etwas höchst Gezwungenes, und in diesem Falle trifft der Vergleich nun schon ganz und gar nicht zu. Denn mit der stolzen und heiteren Königin der Adria hat Kaschmirs Hauptstadt natürlich nicht das geringste gemein, allenfalls mit Ausnahme von Wasser und Pfählen, die es ja aber auch noch an einigen anderen Punkten der Erbe gibt. Bei aller Sympathie für die Kaschmiris läßt sich nicht leugnen, daß Srinagar etwas sehr Baufälliges, Ruinenhaftes, Wackliges an sich hat, und daß man sich die Stadt am besten in einer hellen Mondnacht besieht, wenn das magische Licht des Nachtgestirns alles Verwahrloste und Schmutzige aus der gemeinen Wirklichkeit des Tages in eine poetisch verklärte Romantik rückt. Ja, dann ist Srinagar sogar geradezu schön, dann haben die windschiefen Häuser mit ihren hölzernen Altanen und Galerien, die jeden Augenblick einzustürzen drohen, die zertrümmerten Kais am Strom, die merkwürdigen Holzbrücken, die spitzdachigen Moscheen und übertünchten Hindutempel etwas märchenhaft Reizendes, dann bedecken die Schleier der Nacht mitleidsvoll jene Bilder der Armut, die sich im hellen Tageslicht dem Auge allzu wahrnehmbar aufdrängen.
Das Alte in Srinagar liegt ganz oder halb in Ruinen, und alles Neue ist häßlich oder zum mindesten banal, wie freilich auch in vielen anderen Städten Indiens. Zur Entschuldigung für die auffällige Baufälligkeit ihrer Haupt- und Residenzstadt dürfen sich die Kaschmiris auf die vielen Erdbeben berufen, die das Land und besonders Srinagar stark heimgesucht haben. 1828 wurden in Srinagar 1200 Häuser zerstört, und Tausende von Menschen kamen dabei ums Leben; das große Erdbeben von 1885 wirkte aber noch viel verheerender.
Enttäuscht das architektonische Bild der Stabt ein wenig den Reisenden, der an die großartigen Paläste und Tempel der indischen Städte gewöhnt ist, so entschädigt ihn dafür das originelle Volksleben auf dem Dschelam und längs seiner Ufer und Kanäle. Obwohl der Fluß, wie gesagt, hier nur von mäßiger Breite ist, konzentriert sich doch auf und an ihm der ganze Verkehr. Im oberen Flußlauf liegen zahlreiche Hausboote aller Art verankert, sehr einfache, bessere und höchst komfortable Boote. Die einfachen dienen den ärmeren Klassen als ständiges Heim. In diesen winzigen schwimmenden Behausungen spielt sich ihr ganzes Leben vom ersten Schrei bis zum letzten Seufzer ab. Die feineren Hausboote mit ihrem oft zweistöckigen Aufbau, ihren hübschen Veranden und Blumenbrettern sind für die bevorzugten Klassen als schwimmende Villeggiaturen zum vorübergehenden Aufenthalt bestimmt; hier bringen ihre Besitzer die heißen Sommerabende zu, hier ertönt von den Verdecks bis in die späte Nacht hinein Musik und fröhliches Lachen. Noch eine besondere Art von Hausbooten gibt es, die sich abseits von den andern halten und für das »Nachtleben« Srinagars ebenso charakteristisch sind wie die berühmten Blumenboote der chinesischen Hafenstädte. Aber die Sache spielt sich in Srinagar wirklich recht harmlos ab. Will hier jemand seine Bekannten bewirten oder einem von auswärts gekommenen Geschäftsfreunde – wie es bei mir der Fall war – eine Aufmerksamkeit erweisen, so ladet er zum Besuch eines solchen Vergnügungsbootes ein, das er zu diesem Zweck mit allem Drum und Dran für eine Nacht mietet. Die Boote sind sehr hübsch und geschmackvoll ausgestattet. An der Spitze des ganz flachen großen Fahrzeuges befindet sich ein Deck mit bequemen Sesseln, von dort gelangt man in den geräumigen Salon, der mit Teppichen, Fellen und Sitzkissen, mit schön gestickten Vorhängen und kristallenen Beleuchtungskörpern ausgestattet ist. An den Salon grenzen einige kleinere Zimmer, am Ende des Schiffes befinden sich die Wirtschaftsräume nebst Küche. Über dem Salon ladet ein freundlicher Dachgarten, dessen Hauptschmuck die herrlichen Kaschmirrosen sind, zum Lustwandeln im kühlen Abendwind ein. Kurzum, diese schwimmenden kleinen Luxushotels, die sich ganz nach Wunsch bald an diese, bald an jene Stelle des Flusses verlegen lassen, gewähren einen sehe angenehmen, dem Dunstkreis der Stadt entrückten Aufenthalt, und auch die Art der Unterhaltung, die dort geboten wird, hat den Reiz der Originalität. Mein Gastfreund hatte es im Verein mit dem Bootsbesitzer, dem Wirt, an nichts fehlen lassen, um ein sehr nettes Programm zustande zu bringen. Zunächst wurden in Souper, echt à la Kaschmir, serviert. Jenen Lesern, die für gastronomische Dinge Interesse haben, soll das Menü nicht vorenthalten bleiben. Es gab also zur Einleitung einige Vorgerichte aus Reis und Butter, dann eine schmackhaften fette Fleischsuppe, weiter als Hauptgericht das hierzulande unvermeidliche, aber ganz vorzügliche Hammelragout, zu dem die berühmten Fettschwanzhammel von Kaschmir ihre besten Teile hergeben. Noch ein zweites Fleischgericht folgte, das aus runden, in Milch und Butter gekochten und mit Safran gefärbten Fleischstücken bestand, den Schluß bildete eine Fülle von Süßigkeiten der mannigfachsten Art; dazu wurde erst Tee, dann ein in Kaschmir gebauter und gar nicht übler Wein gereicht.
Schon während des Essens hatte eine aus sechs Mann bestehende Kapelle mit musikalischen Darbietungen begonnen, die von drei Geigen, einer Flöte und zwei mit den Fingern bearbeiteten Trommeln bestritten wurden und in ihrer sanften, diskreten Art auf einer weit höheren Stufe standen als die sonst übliche, für europäische Ohren kaum erträgliche indische Musik. Nach Beendigung des Mahls trat die landesübliche Wasserpfeife in ihre Rechte, der auch die Musikanten fleißig zusprachen, die ich für meine Person aber bald mit der gewohnten Zigarre vertauschte. Denn ich glaube nicht, daß ein Europäer der Wasserpfeife, der persischen »Nargileh« oder der indischen »Hucka«, auf die Dauer Geschmack abgewinnen kann, so ästhetisch reizvoll diese Art des Tabaksgenusses auch sein mag. Es ist eben etwas ganz anderes als der Genuß einer Zigarre oder der bei uns üblichen Tabakspfeifen, es läßt sich kaum damit vergleichen. Schon der bei der Wasserpfeife verwendete persische Tabak, der in angefeuchtetem Zustand in das Glasgefäß gestopft und durch Auflage von glühender Holzkohle zum Glimmen gebracht wird, hat einen ganz anderen Geschmack als die uns vertrauten Tabaksorten, und dadurch nun, daß der Rauch in einem langen Schlauch durch Wasser geleitet und stark abgekühlt wird, verändert sich der Geschmack noch mehr. Man muß schon Orientale sein, um an dieser Art des Nikotingenusses Gefallen finden zu können.
Es traten dann einige Tänzerinnen auf, die in ihrer Blütezeit einmal jung gewesen sein mochten, aber durch ihre schönen Kostüme und akrobatenhafte Beweglichkeit mit Erfolg zu ersetzen suchten, was ihnen an Jugend und Liebreiz gebrach. Wirklich schöne, anmutige Tänzerinnen bekommt man in Indien nur dann zu sehen, wenn man das Glück hat, die Gastfreundschaft eines reichen Fürsten zu genießen, wie es mir am Hofe des Maharadschas von Gwalior vergönnt war, der mir seine berühmten Tempeltänzerinnen vorführen ließ. Die Tempeltänzerinnen sind, wie ich schon früher erzählt habe, sehr verwöhnte und gefeierte, vor der profanen Außenwelt streng behütete Damen, die mit den meistens recht armseligen »Nautschmädchen«, die dem naiven Fremden als »Bajaderen« vorgeführt werden, natürlich nicht das geringste zu tun haben.
Bis lange nach Mitternacht dauerte die festliche Veranstaltung auf dem Vergnügungsboot, dann kehrte ich mit meinem liebenswürdigen Gastfreund, einem in Srinagar ansässigen mohammedanischen Kaufmann, in die Stadt zurück.
Da ich bereits die Kaschmirschals erwähnte, seien noch einige Worte über diesen Handelsartikel gesagt, der einst Weltberühmtheit genoß. Zur Herstellung der echten Kaschmirschals werden teils die Unterhaare der zahmen Kaschmirziege, teils die der wilden Ziegen Tibets verwendet. An einem gewöhnlichen Schal arbeiten die Weber drei Monate, an einem feineren bis zu anderthalb Jahren. In früheren Zeiten gingen diese schönen bunten Schals als vielbegehrte Umschlagetücher der Damenwelt über die ganze Erde und wurden in anderen Ländern, auch in Deutschland, fabrikmäßig nachgeahmt, und als sie dann aus der Mode kamen, war das für die Industrie in Kaschmir ein schwerer Schlag. Immerhin ist der Export auch heute noch ziemlich beträchtlich. Außerordentliches haben die Kaschmiris von jeher als Goldarbeiter und Kupferschmiede geleistet. Sie folgen dabei auch heute noch den alten Traditionen. Diese getriebenen, ziselierten oder eingelegten Metallarbeiten, wie Kannen, Vasen, Becher, Teller usw., gehören zum Zierlichsten der orientalischen Kunst und waren zu meiner Zeit in Srinagar noch ungemein billig zu haben. Sieht man in Kaschmir die Fülle von schönen kunstgewerblichen Gegenständen, die zum täglichen Hausgebrauch dienen, und zwar nicht nur in den Häusern der Reichen, sondern auch in den Hütten des geringen Volkes, so bekommt man einen hohen Begriff von der feinen alten Kultur des Landes und bedauert um so mehr, daß diese reich begabte arische Rasse doch nicht charakterfest und zäh genug gewesen ist, um sich dem Einbringen minderbegabter, aber robusterer Stämme erfolgreich zu widersetzen. Es ist den Kaschmiris deshalb auch nicht gelungen, sich im Norden Indiens die Stellung zu verschaffen, die ihnen eigentlich gebührt.
Nach mehrtägigem Aufenthalt in Srinagar trat ich auf demselben Wege die Rückreise an, benutzte aber diesmal, da es mir nicht eilig war und ich mir noch einige nähere Einblicke in die Flußlandschaft verschaffen wollte, von Srinagar bis Baramula ein Reise- und Wohnboot auf dem Dschelam. Die Strecke ist nur 70 km lang und könnte, da es stromabwärts geht, bequem in einem Tag zurückgelegt werden; ich brauchte aber, mit Absicht ganz langsam fahrend und mit Aufenthalt an verschiedenen interessanten Stellen, zwei Tage dazu.
Solch eine Dunga, wie die Boote heißen, ist ein flaches, an beiden Enden spitz zulaufendes Langboot von etwa zehn Meter Länge und zwei bis drei Meter größter Breite. In der Mitte befindet sich ein aus Schilfmatten hergestelltes geräumiges Zelt, dessen Innenraum man durch verschiebbare Mattenwände in kleinere Gelasse abteilen kann. Vor dem Zelt liegt nach der Spitze des Bootes zu eine kleine Veranda, auf der man im Freien sitzen kann; hinter dem Zelt befindet sich ein kleines Kämmerchen, das als Toilette benutzt wird. Ganz hinten am Boot dient ein winziger Verschlag dem Schiffer und seiner Familie als Salon, Wohnzimmer und Schlafgemach zugleich. Wie die guten Leute es fertig bringen, nicht nur ihre sämtlichen Glieder in dem winzigen Raum zu verstauen, sondern darin auch noch zu kochen und ihre sonstigen Verrichtungen zu tun, das ist ihr Geheimnis und bleibt dem Europäer ebenso rätselhaft wie tausend andre Mysterien des Orients. Im übrigen merkt der Reisende von der Existenz des Schiffers und feiner Familie nicht viel. Obwohl diese Handschiks, wie die Eigentümer der Dungas heißen, wegen ihrer angeblichen Verschlagenheit und Hinterlist zu den verachtetsten Bevölkerungsklassen gehören und man besonders ihren Frauen das Übelste nachsagt, hatte ich allen Anlaß, mit meinem Handschik und den Seinigen wohl zufrieden zu sein. Man darf in Indien auf die Vorurteile und Verdächtigungen, mit denen sich die verschiedenen Kasten gegenseitig traktieren, nicht viel geben; oft findet man gerade unter den niedrigsten Parias, z. B. den so unendlich verachteten Rodiyas in Ceylon, höchst ehrenwerte und sympathische Menschen.
Die Dungas werden tage- oder wochenweise zu einem sehr mäßigen Preise gemietet, und der Mieter ist dann der Schiffspatron, der unumschränkt herrschende Kommandant des kleinen Fahrzeugs. Es lebt sich sehr angenehm auf diesen still dahingleitenden Booten, auf denen man auch die Nacht verbringt. Alles geht pünktlich nach den pedantisch geregelten Gewohnheiten des angloindischen Lebens zu. Der Diener bereitet auf dem kleinen Herd die Mahlzeiten, für die man überall an den Anlegestellen, und obendrein zu sehr billigen Preisen, das nötige Rohmaterial in Gestalt von ausgezeichnetem Hammelfleisch, feinstem Mastgeflügel, Eiern, Butter, Gemüse und Früchten erhält. Da nun das Reisen mit der Dunga so angenehm ist und man das Faulenzen auf den Fahrzeugen fast wissenschaftlich betreiben kann, da man ferner auf diese Weise, das Boot bald hierhin, bald dorthin lenkend, alle hervorragenden Punkte Kaschmirs, soweit sie im Tal des Dschelam liegen, auf die bequemste und staubfreie Weise besuchen kann, haben zahlreiche Angloinder einen neuen Reiz darin entdeckt, ihre Ferien auf einer ausgedehnten Campingtour mit der Dunga zu verbringen und dabei ein gesundes Freiluftleben zu führen, das sich von der banalen Schablonenhaftigkeit des Hotellebens aufs vorteilhafteste unterscheidet.
Es gibt im Hochtal von Kaschmir kein billigeres und bequemeres Transportmittel als die Dunga, und deshalb ist der Dschelam hier überall sehr belebt, aber der Verkehr wickelt sich ohne viel Geschrei in großer Ruhe ab. Während mein Boot, hin und wieder mit Nachhilfe durch die langen Ruderstangen, mit der Strömung langsam dahinglitt, hatte ich, vorn am Bug auf der kleinen Veranda sitzend, hinlänglich Muße, die wechselnden Landschaftsbilder zu betrachten, zu beiden Seiten des Flusses die bald flachen, bald in Terrassen sanft ansteigenden Ufer, dahinter in verschleierter Ferne die Riesenmauern des Gebirges. An einigen Stellen führen seltsam schwerfällig gebaute Holzbrücken, wie ich sie schon in Srinagar gesehen hatte, über den Fluß. Die Brückenpfeiler bestehen aus kreuz und quer übereinanderliegenden Balken, dabei nehmen die Balken in den oberen Schichten ständig an Länge zu, bis sich die obersten Balken der Pfeiler einander berühren. In der Richtung stromaufwärts werden die Pfeiler durch Vorbauten geschützt, die den Eisbrecher »unserer deutschen Brücken entsprechen und zur Ablenkung treibender Baumstämme dienen. Da die Brücken meistens mit kleinen Häuschen bebaut sind, gleich dem berühmten Ponte vecchio in Florenz, nehmen sie sich sehr malerisch aus«.
Wir übernachteten nach der ersten Tagesreise an Kaschmirs größtem See, dem Wular-See. Sechzehn Kilometer lang, zehn Kilometer breit, bildet er nebst einer Anzahl kleinerer Seen den Überrest des großen Binnengewässers, das einst in vorgeschichtlicher Zeit das ganze Hochtal von Kaschmir erfüllte. Der Dschelam durchfließt einen Winkel des Wular-Sees, der bei windstillem Wetter von weitem beinahe wie eine ungeheure, ganz ebene Wiese aussieht, so ist er mit grünem Tang bedeckt. Bei stürmischem Wetter zersprengt das wild bewegte Wasser die trügerische Pflanzendecke, und die Handschiks trauen sich dann mit ihren Dungas, die wegen der Aufbauten einem stärkeren Wellengange nicht gewachsen sind, unter keinen Umständen auf den See hinaus. Als ich mein Boot am Eingang zum Wular-See am Ufer festmachen ließ, lag das weite Gewässer in idyllischer Ruhe da und war, mit Ausnahme der durch die Schiffahrt verursachten schmalen Streifen freien Wassers, dermaßen von Tang überwuchert, daß es den Anschein hatte, als ob man diesen zauberhaften grünen Teppich trockenen Fußes überschreiten könnte.
Es war ein wundervolles Plätzchen, an dem ich hier den Spätnachmittag und Abend verbrachte. Ich hatte mein kleines Schlafzelt in einer Gruppe uralter Platanen aufschlagen lassen. Zahlreiche Wasservögel mit buntem Gefieder nisteten an dem Gestade und belebten die Szenerie, die trotz ihrer Eintönigkeit etwas seltsam Ergreifendes hatte. Bald sorgte der glückliche Zufall, dieser beste Reisegenosse, auch dafür, daß ich abends Gesellschaft bekam, eine sehr fröhliche Gesellschaft sogar, die erst spät in der Nacht auseinanderging. Gegen Sonnenuntergang näherten sich nämlich aus entgegengesetzter Richtung, von Baramula, zwei Dungas, die ebenfalls am Ufer anlegten, und denen eine Anzahl Herren entstieg, jüngere Kaufleute aus Lahore, die ihre Ferienzeit zu einer Campingtour durch Kaschmir benützten. Da wir, wie sich bei der Begrüßung herausstellte, gemeinschaftliche Bekannte hatten – in Indien ist der Raum so weit, aber die Welt der Kolonisten so eng! – war der Konnex bald hergestellt. Die Herren schlugen ihre Zelte neben dem meinigen auf, wir aßen außer einigen andern guten Sachen gemeinschaftlich unsern unvermeidlichen Reis mit Curry und packten dann den noch unvermeidlicheren, in den heißen Ländern bei maßvollem Genuß sehr bekömmlichen Whisky-Soda aus, um unseren Lagerfreuden unter funkelndem Stemmhimmel die höhere Weihe zu geben.
Wenn in der Ferne unter solchen Umständen Kolonisten zusammentreffen, gehen Erzählungen von Mund zu Mund, und manches seltsame Garn wird da gesponnen, mancher Vorfall zum Besten gegeben, der einen skeptisch Veranlagten wohl zu ungläubigem Kopfschütteln veranlassen mag. Dennoch wäre es unrecht, die Wahrheit solcher Geschichten nur deshalb bezweifeln zu wollen, weil sie aus dem Rahmen des Alltäglichen herausfallen. Es gibt in der Tat – das werden viele meiner Leser aus eigener Erfahrung bestätigen können – Erlebnisse so kurioser und abenteuerlich klingender Art, daß man sich beinahe scheut, davon zu sprechen, um nicht für einen Aufschneider gehalten zu werden. Dazu gehört auch das folgende Jagderlebnis, das einer der Lagergenossen am Wular-See in jener Nacht zum Besten gab, und das ich, wenn es vielleicht auch ein wenig nach Jägerlatein klingen mag, doch für durchaus glaubwürdig halte.
Wir – so begann der Erzähler – d. h. mein Freund Smart und ich nebst einer Anzahl Diener und Bootsleute, hatten unser Lager an einem der kleinen Ströme Bengalens aufgeschlagen, um hier in aller Muße verschiedenen sportlichen Neigungen frönen zu können, wozu auch das Angeln in dem fischreichen Gewässer gehörte. Eines Tages, als es noch eine gute Stunde bis Sonnenuntergang war, lockte es mich, noch einmal im Angeln mein Glück zu versuchen, und so warf ich die Rute, die aus starkem Stahlrohr bestand und für besonders große und schwere Fische bestimmt war, über die Schulter und begab mich ohne Begleitung allein am Ufer stromaufwärts zu einer Stelle, wo ich am Tage vorher mit Erfolg geangelt hatte. Aber da diesmal nichts anbeißen wollte, ging ich noch weiter am Fluß hinauf, bis mir das dicht ans Ufer herantretende Dschungel Halt gebot, weil mir sonst nicht mehr genügender Spielraum zum Auswerfen der Angel geblieben wäre.
Hier nahm ich also meinen Standplatz ein. Aber es kam so, wie ich es schon befürchtet hatte: nach mehrmaligem Auswerfen hakte sich die nach hinten geschleuderte Angel irgendwo im Dickicht fest. Natürlich dachte ich, sie wäre an einem Ast hängen geblieben, und drehte mich um, um zu sehen, wo die Schnur sich verfangen hatte. Aber in demselben Augenblick ereignete sich etwas so Überraschendes, daß mir der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erst später klar wurde. Ein mächtiger, rötlich-gelber Körper flog aus dem Dickicht auf mich zu. Unwillkürlich duckte ich mich, und wahrhaftig gerade noch zur rechten Zeit, denn schon streifte die gelbe Masse im Sprung meinen Kopf, um gleich darauf, nur ein paar Schritte von mir entfernt, ins Wasser zu plumpsen.
Bis dahin hatte ich, wie gesagt, die Situation noch gar nicht erfaßt. Als ich mich aber vom ersten Schrecken erholt hatte und wieder zu voller Besinnung gekommen war, sah ich im Strom – und wollte zuerst meinen Augen nicht trauen – einen leibhaftigen großen Tiger, der mit aller Kraft zum anderen Ufer hinüberschwamm.
Geradezu hypnotisiert durch diesen verblüffendsten aller Zwischenfälle, die mir in meiner sportlichen Laufbahn jemals zugestoßen sind, auch immer noch im Unklaren darüber, was eigentlich geschehen war, starrte ich dem fortschwimmenden Tiger nach. Als ich dann die Angelschnur, die aus sehr zäher, mit feinstem Draht übersponnener Seide bestand, aufwickeln wollte, ward mir eine neue Überraschung zuteil. Denn die im Wasser liegende Schnur war ganz straff gespannt, irgend etwas zog heftig an ihr, und zwar nach der Richtung hin, in welcher der Tiger schwamm. Es konnte also kein Zweifel darüber bestehen, daß die Schnur samt dem Angelhaken am Körper des Tieres festsaß.
Das Beste wäre gewesen, Schnur und Angelstock fahren zu lassen; mochte das Tier dann sehen, wie es sich von seinem lästigen Angebinde befreite. Aber ich wollte mein schönes, teures Angelzeug nicht preisgeben und hielt es krampfhaft umklammert. Durch mein Zerren an der Schnur wurde der Tiger beim Schwimmen gestört; er wandte sich zur Hälfte um und schien einen Augenblick zu überlegen, ob er seinen Weg mit Gewalt weiter fortsetzen oder ans diesseitige Ufer zurückkehren sollte. Ich war mir bewußt, daß er im letzteren Falle sehr kurzen Prozeß mit mir machen würde, und rollte deshalb die Schnur in Eile so weit wie möglich ab, um ihm Bewegungsfreiheit zu lassen. Aber es war schon zu spät. Die Bestie schwamm bereits zurück und strebte mit aller Kraft auf meine Uferstelle zu, obwohl die reißende Strömung sie ziemlich weit abtrieb.
Da ich kein Gewehr bei mir hatte, war mein erster, sehr naheliegender Gedanke der, mich so schnell wie möglich davon zu machen. Aber das war leichter gedacht als getan. Denn stromaufwärts hatte der Uferweg hier, wo das Dickicht bereits bis fast ans Wasser herantrat, sein Ende erreicht, da gab es kein Durchkommen mehr. Und stromabwärts, nach unserem Lager zu, war mir der Weg ebenfalls schon abgeschnitten, weil der vom Strom davongetriebene Tiger setzt jeden Augenblick das Ufer erreichen und mir den schmalen Landstreifen zwischen dem Wasser und dem undurchdringlichen Dschungel verlegen mußte. Selbst beim schnellsten Laufen wäre ich ihm nicht mehr zuvorgekommen, und gänzlich unbewaffnet, wie ich war, konnte ich mir über die Folgen eines Zusammentreffens mit dem schwer gereizten Tier nicht im Zweifel sein.
Ich versuchte durch Rufe und immer lauteres Schreien die Aufmerksamkeit meines Freundes und unserer Leute in dem leider recht weit entfernten Lager zu erregen, und zugleich schickte ich mich an, den Tiger durch Steinwürfe abzuschrecken. Es ist ja bekannt, wie leicht sich selbst große Tiere durch ein derartiges Bombardement verwirren lassen. Ich warf also das Angelzeug fort und rannte, fortwährend Steine aufhebend und nach dem schwimmenden Tiger schleudernd, dorthin, wo er bald landen mußte. Mein Geschoßregen schien leider wenig Eindruck auf ihn zu machen, vermutlich traf ich in meiner Erregung nicht gut. Da die Situation immer bedenklicher wurde, zielte ich besser und pfefferte ihm ein paar große Steine gehörig aufs Fell. Wenn sie ihm auch keinen Schaden zufügten, so bewirkten sie doch, daß der Tiger stutzig wurde. Ich setzte also das Bombardement nach Kräften fort und dankte dem Himmel dafür, daß mir das steinige Ufer Material in Massen bot. Mein Arm begann schon zu erlahmen, aber das Tier schwamm trotzalledem mit erneuter Energie aufs Ufer zu und war bereits nahe daran zu landen.
In diesem kritischen Moment fiel mein Blick auf ein am Ufer liegendes langes Stück Treibholz. Ich raffte es auf und stieß es dem Tiger, der, nur ein paar Schritte von mir entfernt, gerade aus dem Wasser kriechen wollte, mit Wucht in die Flanke. Wütend schnappte er nach dem Holz und grub seine Zähne hinein. Krampfhaft hielt ich die hin und her gezerrte Stange fest und hatte immerhin den Erfolg, daß die zu dreivierteln noch im Wasser befindliche Bestie auf den glatten Steinen ins Rutschen und mit dem Kopf ins Wasser geriet, wobei ihr dieses wahrscheinlich in den geöffneten, in die Stange verbissenen Rachen floß. Sie ließ setzt den zähen Bissen fahren, und ich nahm die Gelegenheit wahr, um ihr die Stange nochmals mit aller Wucht in die Rippen zu rennen. Das war mein Glück. Mit einem Gefühl der Erleichterung sah ich, daß der Tiger wieder zur anderen Seite des Flusses hinüberzuschwimmen begann. Schon wollte ich seinen Rückzug durch weitere Steinwürfe beschleunigen, doch fiel mir noch rechtzeitig ein, daß ich dadurch ebensogut das Gegenteil erreichen konnte, und so unterließ ich es lieber.
Als das Tier sich bereits in der Mitte des Flusses befand, sah ich plötzlich meinen Freund Stuart mit den Bootsleuten kommen. Zu meiner Freude bemerkte ich, daß Stuart eine Büchse bei sich hatte. Das veränderte natürlich die ganze Situation, jetzt wollte ich mir den Tiger doch nicht entgehen lassen. Befand er sich erst am anderen Ufer, so war er für uns verloren. Ich zupfte also an der Angelschnur, mit der er noch immer verbunden war, um ihn zu reizen und zur Umkehr zu bewegen. In der Tat schwamm er nur noch soviel wie nötig war, um gegen die Strömung aufzukommen, und schien in seiner Verwirrung nicht mehr zu wissen, wie er sich verhalten sollte.
Inzwischen war Stuart nahe genug herangekommen, um meinen Ruf »Ich habe einen Tiger geangelt« zu verstehen. Er machte begreiflicherweise kein besonders geistreiches Gesicht und stammelte nur ein ungläubiges »Was?« Köstlich aber war bei ihm der Ausdruck höchster Verblüffung, als er die Situation begriff. Am liebsten hätte er dem Tiger sofort eins auf den Pelz gebrannt, aber da das Tier dann wahrscheinlich vom Strom entführt worden und für uns verloren gewesen wäre, nahm er davon Abstand und versteckte sich, mit der Büchse im Anschlag, im Dickicht des Dschungels dort, wo der Tiger, wenn er überhaupt kehrt machte, vermutlich landen würde.
Wir durften also unserer Sache ziemlich sicher sein. Leider schien uns der Hauptbeteiligte an der Affäre, der Tiger, durchaus nicht den Gefallen erweisen zu wollen, sich zu stellen. Er sträubte sich mit aller Gewalt gegen die zerrende Schnur, ihm schwante wohl Unheil. Die Zeit verging, und ich fürchtete schon, daß uns die Dunkelheit überraschen würde, ehe wir unsere Beute gesichert hatten. Zum Glück ließen nun die Kräfte des Tigers im Kampf mit dem feuchten Element, das den großen Katzen ja ohnehin nicht sehr sympathisch ist, ersichtlich nach; zögernd machte er kehrt und näherte sich, mit der Strömung treibend, unserem Ufer. Laut klopfte mein Herz vor Erregung, und ich rief Stuart zu, sich bereit zu halten. Erwartungsvoll beobachteten wir das Näherkommen des Tieres; fetzt bemerkte ich auch, daß der Angelhaken an seinem rechten Ohre saß. Als der Tiger nur noch einige Meter vom Ufer entfernt war, suchte er durch wütende Bewegungen, die beinahe die Schnur zerrissen hätten, seine Freiheit wiederzugewinnen. Er wurde ganz wild und fing an, sich im Wasser zu wälzen, wobei er ein Gebrüll ausstieß, das uns durch Mark und Bein ging. Glücklicherweise gelang es ihm nicht, die Angelschnur in seine Pranken zu bekommen. Er kletterte nun rasch zum Ufer empor und verschwand, noch ehe Stuart zum Schuß kam, mit einem mächtigen Satz im Dschungel. Man kann sich denken, wie enttäuscht und verdrießlich ich war. Schon wollte ich meinem Freund gründlich die Meinung sagen, als ein Knall und kurz darauf Stuarts Ruf erscholl: »Ich habe ihn getroffen!«
Da ich bereits die Hoffnung aufgegeben hatte, den Tiger jemals wiederzusehen, war ich sehr froh, aber gleich darauf wieder sehr niedergeschlagen, denn Stuart, der nun aus seinem Versteck auftauchte, mußte kleinlaut bekennen, er hätte den Tiger nur angeschossen, und dieser wäre jetzt im Dschungel verschwunden. Mißmutig warf ich den Angelstock auf die Erde, nahm ihn jedoch schnell wieder auf, da ich bemerkte, daß er sich langsam in der Richtung nach dem Dschungel bewegte – ein Beweis, daß der Tiger noch immer am Angelhaken haftete und sich in nächster Nähe befand. Unter Beobachtung aller gebotenen Vorsicht folgten wir der Schnur und entdeckten das angeschossene, anscheinend schwer verwundete Tier in einem Gebüsch. Stuart überließ mir sein Gewehr, und ich jagte nun der zornig fauchenden Bestie einen zweiten Schuß dicht unter dem Schulterblatt in den Leib. Die Kugel durchbohrte wahrscheinlich das Herz, denn der Tiger verendete sofort. Es war, wie sich ergab, ein schönes ausgewachsenes Männchen von beinahe zehn Fuß Länge. Wir konnten nun auch genau feststellen, auf welche Weise ich das Tier ohne Wissen und Willen »geangelt« hatte: beim Auswerfen der Angel hatte sich der Angelhaken im Ohr des hinter mir lauernden Tigers verfangen, und durch das Zerren an der Schnur und seine Befreiungsversuche war der Haken immer tiefer ins Ohr eingedrungen. Dieser höchst seltsame, in den Annalen des Weidwerks wohl einzig dastehende Fall, nämlich daß ich beim Auswerfen der Angel just den Tiger traf, hat mich zweifellos vor einer Katastrophe bewahrt. Denn ohne diese merkwürdige Fügung hätte mich die hinter mir lauernde Bestie in den nächsten Sekunden sicherlich niedergestreckt, und die große Liste der alljährlich in Indien durch wilde Tiere getöteten Menschen wäre um eine Nummer bereichert worden.«
Mitternacht war längst vorüber, als wir uns endlich in unseren Zelten zur Ruhe begaben. Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von der Camping-Gesellschaft, um die Fahrt am Ufer des Wular-Sees entlang und dann den Dschelam weiter hinab bis zu der kleinen Stadt Baramula fortzusetzen.
In Baramula fand gerade ein Volksfest statt, das in der sportlichen Veranstaltung eines großen Poloturniers gipfelte. Man findet hierzulande immer Gelegenheit, Kaschmiris besseren Standes bei ihrem Lieblingssport, dem Polo, zu sehen, denn jedes noch so kleine Nest hat seine Polowiese. Das Polo ist bekanntlich ein dem Fußball ähnliches Spiel, bei dem jedoch die beiden kämpfenden Parteien beritten sind. Die mit Schlaghölzern von entsprechender Länge ausgerüsteten Reiter bemühen sich, einen Ball nach einem bestimmten Ziel hin zu treiben, während sie zugleich die Gegner an der Erreichung des Zieles zu verhindern suchen. Das Spiel verlangt große Gewandtheit und Beweglichkeit, nicht bloß der Reiter, sondern auch der dazu dressierten Pferde. Es stammt aus dem Baltistan und wurde von englischen Offizieren nach Indien verpflanzt, von wo es sich dann über die ganze Welt verbreitet hat (in Deutschland ist es wenig bekannt). Ein flott betriebenes Turnier von Eingeborenen mit den über den Rasen sprengenden, sich gegenseitig bedrängenden und abwehrenden Reitern mit ihren bunten Turbanen und dem flatternden langen Kopfhaar gehört zweifellos zum Packendsten, das der Freiluftsport dem Auge zu bieten hat. Dabei ist es von besonderem Interesse zu sehen, mit welchem Verständnis sich die lebhaften kleinen Kaschmirpferde den Situationen des Spiels anzupassen wissen. Es scheint beinahe, als ob sie bewußt mitspielten und von demselben sportlichen Eifer erfüllt wären, wie ihre Reiter.
Mit aufrichtigem Bedauern nahm ich von meiner Dunga und dem biedern Handschik Abschied. Gern hätte ich die angenehme Flußreise, auf der man sich so gründlich erholen konnte, fortgesetzt, aber von Baramula an wird der Dschelam, der bis hierher nur sehr geringes Gefälle hat, zum brausenden Bergstrom. Ich bestieg also den schon vorausbestellten Zweiräderwagen, und bald ging es auf derselben Straße, auf der ich nach Kaschmir hineingekommen war, im flottesten Tempo nach Murree und Rawal Pindi zurück.
Von Rawal Pindi aus stattete ich noch einem in Peshawar ansässigen Geschäftsfreunde einen Besuch ab. Peshawar, die starke Grenzwacht des britisch-indischen Nordwestens, eine Stadt von 100 000 Einwohnern, liegt, wie schon früher erwähnt, unweit von dem nach Afghanistan führenden Khaiberpaß in einer bergumschlossenen Ebene. Peshawar zeigt ganz und gar den Charakter eines ungemein lebhaften Grenzhandelsplatzes. Im Basarviertel scheinen sich alle Völker dieser unruhigen Wetterecke ein Stelldichein gegeben zu haben, neben den Vertretern der verschiedenen nordindischen Stämme sieht man Trachten und Waren von Kabul, Buchara, den Oxusländern, von Tibet und Zentralasien. In den Karawansereien treffen beständig Karawanen von Hunderten schwer bepackter, zottiger Kamele ein, geführt von afghanischen Treibern, hochgewachsenen Männern mit kühnem Blick, denen man draußen im Gebirge nicht gern allein begegnen möchte. Auch die Khaiberschützen fallen auf. Ehemals Angehörige der räuberischen Afridistämme, bilden sie jetzt unter britischen Offizieren ein Hilfskorps der Grenzwache. Es war sehr praktisch, die wilden Instinkte dieser Naturkinder so in friedliche Bahnen zu leiten und aus den früheren Schrecken der Karawanen am Khaiberpaß ihre jetzigen Beschützer zu machen.
Nur kurze Zeit dauerte mein Aufenthalt in Peshawar, und bald befand ich mich wiederum, um schöne Erinnerungen reicher, unter des Pandschabs glühendem Himmel in Lahore.