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Geschminkte Tugenden, die ich zu lang erhob,
Scheint nur dem Pöbel schön und sucht der Toren Lob!
Bedeckt schon euer Nichts die Larve der Gebärden,
Ich will ein Menschen-Feind, ein Swift, ein Hobbes werden
Und bis ins Heiligtum, wo diese Götzen stehn,
Die Wahn und Tand bewacht, mit frechen Schritten gehn!
Ihr füllt, o Sterbliche! den Himmel fast mit Helden;
Doch laßt die Wahrheit nur von ihren Taten melden!
Vor ihrem reinen Licht erblaßt der falsche Schein,
Und wo ein Held sonst stund, wird itzt ein Sklave sein.
Wann Völker einen Mann sich einst zum Abgott wählen,
Da wird kein Laster sein und keine Tugend fehlen;
Die Nachwelt bildet ihn der Gottheit Muster nach
Und gräbt in Marmorstein, was er im Scherze sprach.
Umsonst wird wider ihn sein eigen Leben sprechen,
Die Fehler werden schön und Tugend strahlt aus Schwächen.
Zwar viele haben auch den frechen Leib gezähmt,
Und mancher hat sich gar ein Mensch zu sein geschämt:
Ein frommer Simeon wurd alt auf einer Säule,
Sah auf die Welt herab und tat, was kaum die Eule;
Ein Caloyer verscherzt der Menschen Eigentum,
Verbannt sein klügstes Glied und wird aus Andacht stumm;
Assisens Engel löscht im Schnee die wilde Hitze,
Sein heißer Eifer tilgt, bis in der Geilheit Sitze,
Des Übels Werkzeug aus, und was auf jedem Blatt
Für Taten Surius mit rot bezeichnet hat.
Allein was hilft es doch, sich aus der Welt verbannen?
Umsonst, o Stähelin! wird man sich zum Tyrannen,
Wann Laster, die man haßt, vor größern Lastern fliehn,
Und wo man Mohn getilgt, itzt Lölch und Drespe blühn.
Wir achten oft uns frei, wann wir nur Meister ändern,
Wir schelten auf den Geiz und werden zu Verschwendern.
Der Mensch entflieht sich nicht; umsonst erhebt er sich,
Des Körpers schwere Last zieht an ihm innerlich;
So, wann der rege Trieb in halb-bestrahlten Sternen
Von ihrem Mittel-Punkt sie zwingt sich zu entfernen,
Ruft sie von ihrer Flucht ein ewig starker Zug
Ins enge Gleis zurück und hemmt den frechen Flug.
Geht Menschen, schnitzt nur selbst an euren Götzen-Bildern,
Laßt Gunst und Vorurteil sie nach Belieben schildern,
Erzählt, was sie vollbracht und was sie nicht getan,
Und was nur Ruhm verdient, das rechnet ihnen an:
Das Laster kennet sich auch in der Tugend Farben,
Wo Wunden zugeheilt, erkennt man doch die Narben.
Wo ist er? zeiget ihn, der Held, der Menschheit Pracht,
Den die Natur nicht kennt und euer Hirn gemacht?
Wo sind die Heiligen von unbeflecktem Leben,
Die Gott den Sterblichen zum Muster dargegeben?
Viel Menschheit hänget noch den Kirchen-Engeln an,
Die Aberglaube deckt, Vernunft nicht dulden kann!
Traut nicht dem schlauen Blick, den demutsvollen Mienen!
Den Dienern aller Welt soll doch die Erde dienen.
War nicht ein Priester stets des Eigensinnes Bild,
Der Götter-Sprüche redt und, wenn er fleht, befiehlt?
Trennt nicht die Kirche selbst sich über dem Kalender?
Des Abends Heiliger verbannt die Morgenländer,
Läßt Infuln im Gefecht des Gegners Infuln dräun
Und dringt auf Märterer mit Märtrern feindlich ein.
Den Bann vom Niedergang zerblitzt der Bann aus Norden,
Die Kirche, Gottes Sitz, ist oft ein Kampfplatz worden,
Wo Bosheit und Gewalt Vernunft und Gott vertrieb
Und mit der Schwächern Blut des Zweispalts Urteil schrieb.
Grausamer Wüterich, verfluchter Ketzer-Eifer!
Dich zeugte nicht die Höll aus Cerbers gelbem Geifer,
Nein, Heilge zeugten dich, du gärst in Priester-Blut,
Sie lehren nichts als Lieb und zeigen nichts als Wut.
Seitdem ein Papst geherrscht und sich ein Mensch vergöttert,
Hat nicht der Priester Zorn, was ihm nicht wich, zerschmettert?
Wer hat Tolosens Schutt in seinem Blut ersäuft
Und Priestern einen Thron von Leichen aufgehäuft?
Den Blitz hat Dominic auf Albis Fürst erbeten
Und selbst mit Montforts Fuß der Ketzer Haupt ertreten.
Doch tadl ich nur vielleicht und bin aus Vorsatz hart,
Und die Vollkommenheit ist nicht der Menschen Art:
Genug, wann Fehler sich mit größrer Tugend decken;
Die Sonne zeugt das Licht und hat doch selber Flecken.
Allein, wie, wann auch das, was ihren Ruhm erhöht,
Der Helden schöner Teil durch falschen Schein besteht?
Wann der Verehrer Lob sich selbst auf Schwachheit gründet
Und, wo der Held soll sein, man noch den Menschen findet?
Stützt ihren Tempel schon der Beifall aller Welt,
Die Wahrheit stürzt den Bau, den eitler Wahn erhält.
Wie Gut' und Böses sich durch enge Schranken trennen,
Was wahre Tugend ist, wird nie der Pöbel kennen.
Kaum Weise sehn die March, die beide Reiche schließt,
Weil ihre Grenze schwimmt und ineinander fließt.
Wie an dem bunten Taft, auf dem sich Licht und Schatten,
Sooft er sich bewegt, in andre Farben gatten,
Das Auge sich mißkennt, sich selber niemals traut
Und bald das Rote blau, bald rot, was blau war, schaut,
So irrt das Urteil oft. Wo findet sich der Weise,
Der nie die Tugend hass' und nie das Laster preise?
Der Sachen lange Reih, der Umstand, Zweck und Grund
Bestimmt der Taten Wert und macht ihr Wesen kund.
Der größten Siege Glanz kann Eitelkeit zernichten;
Der Zeiten Unbestand verändert unsre Pflichten,
Was heute rühmlich war, dient morgen uns zur Schmach,
Ein Tor sagt lächerlich, was Cato weislich sprach.
Dies weiß der Pöbel nicht, er wird es nimmer lernen,
Die Schale hält ihn auf, er kömmt nicht zu den Kernen;
Er kennet von der Welt, was außen sich bewegt,
Und nicht die innre Kraft, die heimlich alles regt.
Sein Urteil baut auf Wahn, es ändert jede Stunde,
Er sieht durch andrer Aug und spricht aus fremdem Munde.
Wie ein gefärbtes Glas, wodurch die Sonne strahlt,
Des Auges Urteil täuscht und sich in allem malt,
So tut die Einbildung; sie zeigt uns, was geschiehet,
Nicht, wie es wirklich ist, nur so, wie sie es siehet,
Legt den Begriffen selbst ihr eigen Wesen bei,
Heißt Gleißen Frömmigkeit und Andacht Heuchelei.
Ja selbst des Vaters Wahn kann nicht mit ihm versterben,
Er läßt mit seinem Gut sein Vorurteil den Erben;
Verehrung, Haß und Gunst flößt mit der Milch sich ein,
Des Ahnen Aberwitz wird auch des Enkels sein.
So richtet alle Welt, so teilt man Schmach und Ehre,
Und dann, o Stähelin, nimm ihren Wahn zur Lehre!
Durch den erstaunten Ost geht Xaviers Wunder-Lauf,
Stürzt Nippons Götzen um, und seine stellt er auf;
Bis daß, dem Amida noch Opfer zu erhalten,
Die frechen Bonzier des Heilgen Haupt zerspalten:
Er stirbt, sein Glaube lebt und unterbaut den Staat,
Der ihn aus Gnade nährt, mit Aufruhr und Verrat.
Zuletzt erwacht der Fürst und läßt zu nassen Flammen
Die Feinde seines Reichs mit spätem Zorn verdammen;
Die meisten tauschen Gott um Leben, Gold und Ruh,
Ein Mann von Tausenden schließt kühn die Augen zu;
Stürzt sich in die Gefahr, geht mutig in den Ketten,
Steift den gesetzten Sinn und stirbt zuletzt im Beten.
Sein Name wird noch blühn, wann, lange schon verweht,
Des Märtrers Asche sich in Wirbel-Winden dreht;
Europa stellt sein Bild auf schimmernde Altäre
Und mehrt mit ihm getrost der Seraphinen Heere.
Wann aber ein Huron im tiefen Schnee verirrt,
Bei Eries langem See zum Raub der Feinde wird,
Wann dort sein Holz-Stoß glimmt und, satt mit ihm zu leben,
Des Weibes tödlich Wort sein Urteil ihm gegeben,
Wie stellt sich der Barbar? wie grüßt er seinen Tod?
Er singt, wann man ihn quält, er lacht, wann man ihm droht;
Der unbewegte Sinn erliegt in keinen Schmerzen,
Die Flamme, die ihn sengt, dient ihm zum Ruhm und Scherzen.
Wer stirbt hier würdiger? ein gleicher Helden-Mut
Bestrahlet beider Tod und wallt in beider Blut;
Doch Tempel und Altar bezahlt des Märtrers Wunde,
Kanadas nackter Held stirbt von dem Tod der Hunde!
So viel liegt dann daran, daß, wer zum Tode geht,
Geweihte Worte spricht, wovon er nichts versteht.
Doch nein, der Outchipoue tut mehr als der Bekehrte,
Des Todes Ursach ist das Maß von seinem Werte.
Den Märtrer trifft der Lohn von seiner Übeltat;
Wer seines Staats Gesetz mit frechen Füßen trat,
Des Landes Ruh gestört, den Gottesdienst entweihet,
Dem Kaiser frech geflucht, der Aufruhr Saat gestreuet,
Stirbt, weil er sterben soll; und ist dann der ein Held,
Der am verdienten Strick noch prahlt im Galgen-Feld?
Der aber, der am Pfahl der wilden Onontagen
Den unerschrocknen Geist bläst aus in tausend Plagen,
Stirbt, weil sein Feind ihn würgt, und nicht für seine Schuld,
Und in der Unschuld nur verehr ich die Geduld!
Wann dort ein Büßender, zerknirscht in heilgen Wehen,
Die Sünden, die er tat, und die er wird begehen,
Mit scharfen Geißeln straft, mit Blut die Stricke malt
Und vor dem ganzen Volk mit seinen Streichen prahlt:
Da ruft man Wunder aus, die Nachwelt wird noch sagen,
Was Lust er sich versagt, was Schmerzen er vertragen.
Wie aber, wann im Ost der reinliche Brachmann
Mit Kot die Speisen würzt und Wochen fasten kann?
Wann Ströme seines Bluts aus breiten Wunden fließen,
Die seine Reu gemacht, und oft der Tod muß büßen,
Was Rom um Geld erläßt, wann nackt und unbewegt,
Er Jahre lang den Strahl der hohen Sonne trägt
Und den gestrupften Arm läßt ausgestreckt erstarren?
Wie heißen wir den Mann? Betrüger oder Narren!
Wann in Iberien ein ewiges Gelübd
Mit Ketten von Demant ein armes Kind umgibt,
Wann die geweihte Braut ihr Schwanen-Lied gesungen
Und die gerühmte Zell die Beute nun verschlungen,
Wie jauchzet nicht das Volk und ruft, was rufen kann:
Das Weib hört auf zu sein, der Engel fängt schon an!
Ja stoßt, es ist es wert, in prahlende Trompeten,
Verbergt der Tempel Wand mit persischen Tapeten,
Euch ist ein Glück geschehn, dergleichen nie geschah,
Die Welt verjüngt sich schon, die güldne Zeit ist nah!
Gesetzt, daß ungefühlt in ihr die Jugend blühet
Und nur der Andacht Brand in ihren Adern glühet;
Daß kein verstohlner Blick in die verlaßne Welt
Mit sehnender Begier zu spät zurücke fällt;
Daß immer die Vernunft der Sinnen Feuer kühlet
Und nur ihr eigner Arm die reine Brust befühlet;
Gesetzt, was niemals war, daß Tugend wird aus Zwang:
Was jauchzt das eitle Volk? Wen rühmt sein Lobgesang?
Doch wohl, daß List und Geiz des Schöpfers Zweck verdrungen,
Was er zum Lieben schuf, zur Witwenschaft gezwungen,
Den vielleicht edlen Stamm, den er ihr zugedacht,
Noch in der Blüt erstickt und Helden umgebracht;
Daß ein verführtes Kind in dem erwählten Orden
Sich selbst zur Überlast und andern unnütz worden!
O ihr, die die Natur auf beßre Wege weist,
Was heißt der Himmel dann, wann er nicht lieben heißt?
Ist ein Gesetz gerecht, das die Natur verdammt?
Und ist der Brand nicht rein, wann sie uns selbst entflammt?
Was soll der zarte Leib, der Glieder holde Pracht?
Ist alles nicht für uns und wir für sie gemacht?
Den Reiz, der Weise zwingt, dem nichts kann widerstreben,
Der Schönheit ewig Recht, wer hat es ihr gegeben?
Des Himmels erst Gebot hat keusche Huld geweiht,
Und seines Zornes Pfand war die Unfruchtbarkeit:
Sind dann die Tugenden den Tugenden entgegen?
Der alten Kirche Fluch wird bei der neuen Segen.
›Fort, die Trompete schallt! der Feind bedeckt das Feld,
Der Sieg ist, wo ich geh, folgt, Brüder!‹ ruft ein Held.
Nicht furchtsam, wann vom Blitz aus schmetternden Metallen
Ein breit Gefild erbebt und ganze Glieder fallen,
Er steht, wann wider ihn das strenge Schicksal ficht,
Fällt schon der Leib durchbohrt, so fällt der Held noch nicht.
Er schätzt ein tödlich Blei als wie ein Freudenschießen,
Sein Auge sieht gleich frei sein Blut und fremdes fließen;
Der Tod lähmt schon sein Herz, eh daß sein Mut erliegt,
Er stirbet allzu gern, wann er im Sterben siegt.
O Held, dein Mut ist groß, es soll, was du gewesen,
Auf ewigem Porphyr die letzte Nachwelt lesen!
Allein, wann auf dem Harz, nun lang genug gequält,
Ein aufgebrachtes Schwein zuletzt den Tod erwählt,
Die dicken Borsten sträubt, die starken Waffen wetzet
Und wütend übern Schwarm entbauchter Hunde setzet,
Oft endlich noch am Spieß, der ihm sein Herz-Blut trinkt,
Den kühnen Feind zerfleischt und, satt von Rache, sinkt:
Ist hier kein Helden-Mut? Wer baut dem Hauer Säulen? -
Die Jäger werden ihn mit ihren Hunden teilen.
Wer ist der weise Mann, der dort so einsam denkt
Und den verscheuten Blick zur Erde furchtsam senkt?
Ein längst verschlissen Tuch umhüllt die rauhen Lenden,
Ein Stück gebettelt Brot und Wasser aus den Händen
Ist alles, was er wünscht, und Armut sein Gewinn;
Er ist nicht für die Welt, die Welt ist nichts für ihn.
Nie hat ein glänzend Erzt ihm einen Blick entzogen,
Nie hat den gleichen Sinn ein Unfall überwogen,
Ihm wischt kein schönes Bild die Runzeln vom Gesicht,
An seinen Taten beißt der Zahn der Mißgunst nicht;
Sein Sinn, versenkt in Gott, kann nicht nach Erde trachten,
Er kennt sein eigen Nichts, was soll er andrer achten?
Der Tugend ernste Pflicht ist ihm ein Zeitvertreib,
Der Himmel hat den Sinn, die Erde nur den Leib.
O Heiliger, geht schon dein Ruhm bis an die Sterne,
Flieh den Diogenes und fürchte die Laterne! -
Ach, kennte doch die Welt das Herz so wie den Mund!
Wie wenig gleichen oft die Taten ihrem Grund!
Du beugst den Hals umsonst, die Ehre, die du meidest,
Die Ehr ist doch der Gott, für den du alles leidest:
Wie Surena den Sieg, suchst du den Ruhm im Fliehn,
Ein stärker Laster heißt dich, schwächern dich entziehn,
Und wer sich vorgesetzt, ein Halbgott einst zu werden,
Der baut ins Künftige, der hat nichts mehr auf Erden,
Ihm streicht der eitle Ruhm der Tugend Farben an,
Was heischt der Himmel selbst, das nicht ein Heuchler kann?
Versenkt im tiefen Traum nachforschender Gedanken,
Schwingt ein erhabner Geist sich aus der Menschheit Schranken.
Seht den verwirrten Blick, der stets abwesend ist
Und vielleicht itzt den Raum von andern Welten mißt;
Sein stets gespannter Sinn verzehrt der Jahre Blüte,
Schlaf, Ruh und Wollust fliehn sein himmlisches Gemüte.
Wie durch unendlicher verborgner Zahlen Reih
Ein krumm geflochtner Zug gerecht zu messen sei;
Warum die Sterne sich an eigne Gleise halten;
Wie bunte Farben sich aus lichten Strahlen spalten;
Was für ein innrer Trieb der Welten Wirbel dreht;
Was für ein Zug das Meer zu gleichen Stunden bläht;
Das alles weiß er schon: er füllt die Welt mit Klarheit,
Er ist ein steter Quell von unerkannter Wahrheit.
Doch, ach, es lischt in ihm des Lebens kurzer Tacht,
Den Müh und scharfer Witz zu heftig angefacht!
Er stirbt, von Wissen satt, und einst wird in den Sternen
Ein Kenner der Natur des Weisen Namen lernen.
Erscheine, großer Geist, wann in dem tiefen Nichts
Der Welt Begriff dir bleibt und die Begier des Lichts,
Und laß von deinem Witz, den hundert Völker ehren,
Mein lehr-begierig Ohr die letzten Proben hören!
Wie unterscheidest du die Wahrheit und den Traum?
Wie trennt im Wesen sich das Feste von dem Raum?
Der Körper rauhen Stoff, wer schränkt ihn in Gestalten,
Die stets verändert sind und doch sich stets erhalten?
Den Zug, der alles senkt, den Trieb, der alles dehnt,
Den Reiz in dem Magnet, wonach sich Eisen sehnt,
Des Lichtes schnelle Fahrt, die Erbschaft der Bewegung,
Der Teilchen ewig Band, die Quelle neuer Regung,
Dies lehre, großer Geist, die schwache Sterblichkeit,
Worin dir niemand gleicht und alles dich bereut!
Doch suche nur im Riß von künstlichen Figuren,
Beim Licht der Ziffer-Kunst, der Wahrheit dunkle Spuren;
Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist,
Zu glücklich, wann sie noch die äußre Schale weist!
Du hast nach reifer Müh und nach durchwachten Jahren
Erst selbst, wie viel uns fehlt, wie nichts du weißt, erfahren!
›Die Welt, die Cäsarn dient, ist meiner nicht mehr wert‹,
Ruft seines Romes Geist und stürzt sich in sein Schwert.
Nie hat den festen Sinn das Ansehn großer Bürger,
Der Glanz von teurem Erzt, der Dolch erkaufter Würger,
Von seines Landes Wohl, vom bessern Teil getrannt:
In ihm hat Rom gelebt, er war das Vaterland.
Sein Sinn war ohne Lust, sein Herz war sonder Schrecken,
Sein Leben ohne Schuld, sein Nachruhm ohne Flecken,
In ihm verneute sich der alte Helden-Mut,
Der alles für sein Land, nichts für sich selber tut;
Ihn daurte nie die Wahl, wann Recht und Glücke kriegten,
Den Cäsar schützt das Glück und Cato die Besiegten.
Doch fällt vielleicht auch hier die Tugend-Larve hin,
Und seine Großmut ist ein stolzer Eigensinn,
Der nie in fremdem Joch den steifen Nacken schmieget,
Dem Schicksal selber trotzt und eher bricht als bieget;
Ein Sinn, dem nichts gefällt, den keine Sanftmut kühlt,
Der sich selbst alles ist und niemals noch gefühlt.
Wie? hat dann aus dem Sinn der Menschen ganz verdrungen,
Die scheue Tugend sich den Sternen zugeschwungen?
Verläßt des Himmels Aug ein schuldiges Geschlecht?
Von so viel Tausenden ist dann nicht einer echt?
Nein, nein, der Himmel kann, was er erschuf, nicht hassen;
Er wird der Güte Werk dem Zorn nicht überlassen:
So vieler Weisen Wunsch, der Zweck so vieler Müh,
Die Tugend, wohnt in uns und niemand kennet sie.
Des Himmels schönstes Kind, die immer gleiche Tugend,
Blüht in der holden Pracht der angenehmsten Jugend;
Kein finstrer Blick umwölkt der Augen heiter Licht,
Und wer die Tugend haßt, der kennt die Tugend nicht.
Sie ist kein Wahl-Gesetz, das uns die Weisen lehren,
Sie ist des Himmels Ruf, den reine Herzen hören;
Ihr innerlich Gefühl beurteilt jede Tat,
Warnt, billigt, mahnet, wehrt und ist der Seele Rat.
Wer ihrem Winke folgt, wird niemals unrecht wählen,
Er wird der Tugend nie, noch ihm Vergnügen fehlen;
Nie stört sein Gleichgewicht der Sinne gäher Sturm,
Nie untergräbt sein Herz bereuter Laster Wurm;
Er wird kein scheinbar Glück um würklichs Elend kaufen
Und nie durch kurze Lust in langes Unglück laufen;
Ihm ist Gold, Ruhm und Lust wie bei des Obsts Genuß,
Gesund bei kluger Maß, ein Gift beim Überfluß.
Der Menschen letzte Furcht wird niemals ihn entfärben,
Er hätte gern gelebt und wird nicht ungern sterben.
Von dir, selbständige Gut, unendlichs Gnaden-Meer,
Kommt dieser innre Zug, wie alles Gute, her!
Das Herz folgt unbewußt der Würkung deiner Liebe,
Es meinet frei zu sein und folget deinem Triebe;
Unfruchtbar von Natur, bringt es auf den Altar
Die Frucht, die von dir selbst in uns gepflanzet war.
Was von dir stammt, ist echt und wird vor dir bestehen,
Wann falsche Tugend wird, wie Blei im Test, vergehen,
Und dort für manche Tat, die itzt auf äußern Schein
Die Welt mit Opfern zahlt, der Lohn wird Strafe sein! |