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Fünfter Gesang

Schöngeschmückt zu einem Götterfeste
Ging des andern Tags die holde Venus.
«Höre, Falterchen,» so sprach zu Psyche
Sie, auf einen hochgethürmten Haufen
Weisend, der bestand, hoch aufgegipfelt,
Bunt-gemischt aus Körnern aller Arten:
Roggen, Hirse, Weizen, Gerste, Bohnen,
Linsen, Mohn, und hundert andern Samen.
«Höre, Falterchen, ein reizlos Mädchen
Muss den Liebsten sich durch Fleiss verdienen.
Will nun deinen Fleiss einmal erproben!
Sondre diesen bunt-gemischten Haufen,
Und wenn du die Körner jeder Gattung
Hast für sich gelegt in schöner Ordnung,
Zeig' vor Abend mir das Werk vollendet!»
Sprach's und ging. Die arme zarte Psyche
Stand verzagend vor dem Körnerhügel,
Keinen Rath sich wissend: unentwirrbar
Schien der Wust, unmöglich war's, vor Abend
Gänzlich zu vollenden noch die Arbeit.
Sieh, da kam ein Ameislein des Weges,
Und die Noth erkennend, hatte Mitleid
Sie mit Amors vielgeprüfter Liebsten,
Tröstete sie wispernd, rief zusammen
Ihre Schwestern dann von nah' und ferne.
Kribbelnd, krabbelnd kam's in dichten Schaaren,
Unabsehbar, wacker flugs beluden
Sich die ems'gen Thierchen all': lebendig
Schien der Häuf geworden und es krochen
Auseinander wie von selbst die Körnlein,
Art für Art auf's schönste sich gesellend.

Von dem Feste, noch bekränzt mit Rosen,
Kehrt des Abends heim die schöne Göttin,
Und gethan das Wunder sehend, runzelt
Sie die Stirn: «Das ist nicht deiner Hände
Werk, du Schändliche! dir beigestanden
Ist gewisslich der bethörte Knabe,
Hat dir Helfer insgeheim gesendet!»
Also scheltend wies in jene dunkle
Kammer sie das Mädchen, liess ein Stück ihr
Harten Brodes reichen, das mit Thränen
Psyche netzt auf welkem Blätterlager,
Spät entschlummernd, träumend von dem Liebsten.

Andern Tags, als angeschirrt die Tauben
Standen am Gefährt der gold'nen Kypris,
Sie nach Knidos hoch durch's Blau zu tragen,
Sprach zur Magd die Herrin, spöttisch lächelnd:
«Falterchen, du bist ein hässlich Mädchen,
Musst durch Klugheit dir den Mann verdienen!
Siehst du dort die strauchbewachs'ne Halde
Und auf ihr die goldbevliessten Widder,
Die da weiden ohne Hirt und Hürde?
Thiere sind's, gar hitzig und verwildert,
Jeden, der sich naht, mit spitzen Hörnern,
Ehr'ner Stirn und gift'gem Biss bedräuend.
Sieh doch, Herzchen, wie du schlauer Weise,
Wenn am Felsenborn bei den Platanen
Ruh'n die Widder nach des Tages Hitze,
Ungefährdet ein paar gold'ne Flocken
Für mich magst aus ihrem Vliesse zupfen!»

An des nahen Stromes Ufer traurig
Wandelt Psyche lange Zeit, erwägend,
Wie sie soll die wilden, scharfgehörnten,
Giftgezahnten Widder überlisten!
Und schon rollt vom Aug' ihr manche Zähre
Bitter in den grünen Strom hinunter.
Da beginnt's zu flüstern in dem Röhricht,
Und Arundo spricht, die Binsen-Nymphe:
«Liebchen Amors, wolle nicht verzagen!
Trübe nicht mein heiliges Gewässer
Mit gesalznen Thränen der Verzweiflung!
Warte nur getrost, bis spät am Abend
Müd' bei den Platanen ruh'n die Widder:
Sacht dann schlüpfend in der Kräuter Dickicht,
Wirst du finden manche Flocke Goldes
An den Dornen und am dürren Astwerk,
Die da hängen blieb, wenn Tags die Widder
Ungestüm sich drängten durch's Gestrüppe!»

Abends brachte heim die frohe Psyche
Manche schöne Flocke weichen Goldes,
Die herab vom Strauchwerk sie gelesen,
Ungefährdet, nach dem Rath der Nymphe;
Brachte sie der schönen, strengen Herrin.
Leicht die Brauen kräuselnd, sagte diese,
Spöttisch lächelnd: «Unbedankt, mein Püppchen,
Bleibst du diesmal auch; dein kranker Buhle,
Seh' ich, hat, obgleich in Haft, auch diesmal
Rath gewusst für sein geliebtes Seelchen.
Will noch besser ihn von heut an hüten!»
Sprach's, und liess ihr eine Kruste harten
Brodes reichen, wies sie barsch in's dunkle
Schlafgemach auf's welke Blätterlager.
Psyche wacht und seufzt, gedenk des Liebsten.

Und am dritten Morgen sprach die Göttin:
«Flatterseel'chen, bist ein garstig Mädchen,
Musst durch Muth den Freier dir verdienen!
Siehst du dort des Felsenberges Gipfel,
Trüb umwallt von grauen Nebelmassen,
Wo, genährt von Unterweltsgewässern,
Ein gewalt'ger Born die dunklen Fluten
Erdwärts wälzt in brausendem Gefälle?
Auf, und bring' aus jenem Born mir styg'sches
Nass, geschöpft hier in kristall'ner Urne!»

Psyche klettert, wundgeritzt die Sohlen,
Aufwärts zu dem Felsenquell des Berges.
Weh! da ringeln sich zwei Flügeldrachen
Zu des Bornes rechter, linker Seite,
Rastlos Wache haltend, Zähne-fletschend,
Bald die unabsehbar'n Riesenhälse
Reckend hoch empor in's Nebelgrauen,
Bald damit weit in die Runde züngelnd,
Und aus ihren klafterweiten Rachen
Ganze Ströme weissen Gischt's verspritzend.
Zwischen ihnen wälzten sich die Wasser
Abwärts, brausend, brodelnd, und mit dumpfem
Röcheln scheinen rauschend sie zu rufen:
«Rasch hinweg! was suchst du? rasch von hinnen!
Rette dich! es ist um dich geschehen!»

Psyche sieht's, bis tief in's Herz erbebend,
Hebt den Blick nach oben, hilfeflehend.
Schwebte just der Aar des Göttervaters
Über dem Gebirg auf mächt'gen Schwingen.
Dieser sah das schreckensbleiche Mädchen
Zitternd steh'n mit der kristall'nen Urne,
Und des zarten Kindes sich erbarmend,
Rauscht er auf sie zu, gigantisch wachsend,
Fasst in seine Klaue aus den Händen
Der Erschrock'nen sacht den Krug, und taucht sich
Tief damit in's Schaumgewölk, wo schnaubend,
Doppelt zornig aufgeregt, die Drachen
Ihn mit ihrem Geifer überschütten,
Bringt sodann die randgefüllte Urne
Flugs zurück, mit triefend nassen Schwingen,
Aber unverletzt. Und freudig abwärts
Mit der Beute eilt das zarte Mädchen.
Leicht erblasst der Göttin Rosenwange,
Und sie beisst sich in die Rosenlippe,
Und es zuckt ihr, merklich kaum, ein Blitzstrahl
Auf in dem olympisch heit'ren Auge.
Und sie spricht: «Ei, Mädchen, Zauberkünste
Scheinst du zu versteh'n! ein Hexchen bist du! –
Doch, mein Püppchen, Eines noch vollbringe!
Diese Büchse nimm, und damit mache
Auf den Weg dich stracks hinab zum Hades! –
Alles ja vermagst du! – und die Büchse
Reichend dort der bleichen Todesgöttin,
Sage: Venus bittet dich, ein wenig
Ihr zu schicken von der wunderbaren
Schönheitssalbe, die du hast; den eig'nen
Reiz hat eingebüsst sie bei des kranken
Sohnes Pflege ganz!» Und ohne Säumen
Bring' zurück dann Büchse mir und Schminke!» –

Fast entseelt, von Schreck gelös't die Glieder,
Wusste Psyche erst kein Wort zu stammeln.
Doch die strenge Göttin zu versöhnen,
Dieser hoffnungsreiche Trostgedanke
Blieb doch siegreich wieder ihr im Herzen.
Ohne kurze Rast sich nur zu gönnen,
Eilt sie fort, hinaus in's nächt'ge Dunkel.
Doch wohin? wo klafft des Hades Pforte?
Zweifelnd steht sie. Endlich sich besinnend,
Eilt sie hin, die lange, lange Nacht durch,
Bis im Frühroth ihr entgegenleuchten
Eines Göttertempels weisse Zinnen.
Der Proserpina geweihte Stätte
War's, der Todesgöttin. Seine Schwelle
Überschreitend wirft dem hundertjähr'gen
Priester, dessen Bart schneeweiss zur Erde
Wallt, sie sich zu Füssen, und die Kniee
Ihm umklammernd, fleht sie: «Sag' mir, sage,
O ehrwürd'ger Greis, wie zu des Hades
Pforten ich gelange? Für die Göttin,
Die zu Paphos herrschet, eine Spende
Muss ich heischen von der Todesgöttin!»

Sprach der Priester: «Im Lakonerlande,
Nah' beim Tänarum, ein abgeleg'ner,
Dunkler Hain birgt eine wilde Felskluft.
Diese Kluft, sie ist des Hades Pforte.
Dicht verkleidet aber mit Gewächsen
Ist der Eingang rings, und eng der Felsspalt,
Sich auf Mannesbreite dem nur öffnend,
Welcher klopft daran mit einem Stengel
Falben Asphodill's, der Todesblume.
Aber, Kind, gedenkst du nicht der Schrecken,
Welche hinter'm Eingang auf dich lauern?
Was Heroen, hohe, schaudernd wagten,
Will ein zartes Mägdlein gar versuchen?»
Wiederum des Priesters Knie umklammernd
Flehte Psyche: «Lehre mich die Wege,
Heil'ger du, die mich zum grausen Hades,
Die mich durch den Hades bis zum Throne
Deiner hocherhab'nen Göttin führen!»
«Hör' und merke denn!» versetzt der greise
Mystagog. «Wenn dir die Todesblume
Aufgethan den Eingang, wirst du wandeln
Durch zwei Reih'n von Todtenhüterinnen,
Riesenfrauen, deren Vorderleiber
Hingekauert ruh'n auf Löwentatzen.
Wenn sie, lieblich winkend, dich zur Lösung
Dunkler Räthselfragen an sich locken,
Achte nicht auf sie: mit ihren Tatzen
Würden sie das Antlitz dir zerfleischen!
Seh'n an ödem Ort drei grausenvolle
Weiber wirst du dann, bedacht mit wilden,
Rasenden Geberden, Fackeln schwingend,
Schlangenhaare schüttelnd, dich zu schrecken,
Dass du aus der Hand verlierst den Kuchen,
Welchen du dem Höllenhund, den Fährlohn,
Welchen du dem styg'schen Bootsmann schuldest.
Wirf dem Hunde vor den einen Kuchen,
Und die eine Münze gieb dem Fährmann,
Der dich von dem äussern styg'schen Strande
Übersetzt in's inn're Land der Todten.
Jetzo werden Schatten dich umringen,
Schemen, die nach warmem Blute lechzen,
Werden anfleh'n dich um einen Tropfen
Deines Blut's: doch wenn erst einen Tropfen
Sie erhascht, Kraft würden sie gewinnen,
Um dein ganzes Blut dir auszusaugen.
An die kalten Schatten nicht verschwende
Du dein warmes Herzblut – eile weiter!
Leuchten wirst du seh'n sodann in fahlem
Glanze den Pallast der Todesgöttin.
Muthig sprich zu ihr, vollzieh' den Auftrag,
Aber nichts geniesse von den Früchten,
Welche sie dir bieten wird zur Labe!
Wärest sonst, wie sie, ein Raub des Hades!
Auf dem Rückweg in Bereitschaft halte
Für den Höllenhund den zweiten Kuchen,
Für des Nachens Herrn die zweite Münze:
Bliebest sonst gebannt an's Todtenufer!»

Psyche, als gelauscht sie diesen Worten,
Kniete hin am Fuss des Tempelbildes,
Fast verzagend, betend, bis sie müde
Sank zuletzt in Schlaf, von Amor träumend.
Spät erwacht dann findet, freudig staunend,
Sie in ihrem Schooss die Todesblume,
Die ihr öffnen soll des Hades Pforte,
Findet auch die Kuchen, auch die Münzen,
Die ihr bahnen sollen freie Wege
Durch das düst're, grausen volle Nachtreich.

Und nun eilt sie muthbeseelt, beflügelt,
Nimmermüde, schlaflos, endlos wandernd,
Bis zu Tänarums geweihten Gründen,
Bis sie steht im schaurigsten der Haine,
Vor des Hades dunkler Felsenpforte.
Mitternacht war's – Sternlein karg durchblinkten
Fliegendes Gewölk, gejagt vom Winde,
Und am Kreuzweg bellte fern die Meute
Hekate's. Den Eingang überwebte
Düst'rer Taxus, Immergrün und Epheu,
Auch Gestrüpp von Lorbeer und Cypressen.
Krachend klaffte mannesbreit der Felsspalt,
Als das Mädchen an den starren Felsen
Klopfte mit dem Todesblumenstengel.
«Fahre wohl, du heil'ges Licht, und lass mich
Wiedersehen deine gold'nen Strahlen!»
Also flüstert, einmal noch ihr Antlitz
Rückwärts wendend, Psyche, tritt beherzt dann
In die schwarze Nacht des Hölleneingangs.
Schmal erstreckt in lockrem, feuchtem Erdreich
Dieser sich, von styg'schen Tropfen triefen
Rings die Wände, schlüpfriges Gewürm kriecht
Hin am Boden: nach Verwesung duftet's,
Dumpf, nach Moder. Hin so tappt im Finstern
Endlos Psyche sich, ob Stunden, Tage
Lang, sie weiss es nicht, denn ungemessen
Schleicht die Zeit hin in des Hades Reichen.
Endlich tagt gespenstig-öder Lichtschein,
Unerfreulicher als tiefstes Dunkel.
Und in diesem öden Dämmerscheine
Ruh'n gereiht die Todtenhüterinnen,
Frau'n, dämonenhaft, die Vorderleiber
Hingestreckt auf mächt'ge Löwenpranken,
Seltsam flüsternd dunkle Räthselfragen.
Psyches Herz befällt ein tiefes Bangen,
Zweifel und Verwirrung; Neugier lockt sie
Nach den Worten dieser Zauberfrauen;
Doch sie fasst sich, Amors Bild im Herzen,
Schliesst ihr Ohr den düstern Räthselstimmen.

Weiter wandert Psyche. Wacht sie? träumt sie?
Horch, ein Stöhnen! Sieh, der Höllentöchter
Dreizahl, kämmend ihre Schlangenhaare!
Heissa, wie sich unter'm Kamm die schwarzen
Nattern zornig bäumen, Geifer sprühen,
Wüthig um sich beissen, zischend, züngelnd,
Ihrer Quälerinnen Leiber peitschen,
So dass Weib und Schlange sich zu immer
Gröss'rer Wuth entflammen wechselseitig!
Ihr Geheul verdoppeln, Psyche schauend,
Diese styg'schen Weiber, an den Schlangen.
Zerrend, aus dem Haupt sie sich zu reissen,
Und nach jener Fremden sie zu schleudern.
Weithin sprüht der Geifer, Psyche selber
Netzend, so, dass während der Verzweiflung
Bild sie schaut, wie angesteckt, vergiftet,
Auch ihr selbst Verzweiflung schon die Seele,
Raserei den Sinn ihr will befangen.

Doch sie denket Amors, und es träufelt
Mildes Öhl in ihres Herzens Woge.
Aber bald, vor neuem Schreckniss bebend,
Hört sie fernher dreier Hunde Bellen.
Donnerähnlich klingt's, und dennoch marklos,
Tonlos, dumpf, wie tief aus Grüften kommend,
Eines Lautes Traumbild nur und Schatten.
Und wie Psyche, ängstlich spähend, ausblickt
Nach der Meute, die so bellt und belfert,
Fahren auf sie los aus finst'rer Höhle
Plötzlich die drei Riesenhunderachen,
Bellend vorgestreckt, indess der Leiber
Hintertheil sich birgt noch in der Grotte.
Aber dies auch wälzet jetzo träg sich
Nach, und Psyche sieht, dass in ein einzig
Scheusal die drei Hälse sich verlieren.
's ist der Höllenhund, und der Besinnung
Schier beraubt, wirft Psyche zitternd, fernher,
Ihm den einen Kuchen zu, mit Honig
Angemacht und reichen Schlummersäften.
Flugs, einander ihn bestreitend, schnappen
Gierig nach dem Kuchen die drei Schlünde,
Während Psyche flieht, beschwingten Schrittes.

Weiter wandert sie und endlich steht sie
An des Höllenstromes ödem Ufer.
So unmerklich schleicht des Stromes Welle,
Dass ein Sumpf nur scheint sein todter Spiegel.
Jetzt den Fährmann sieht sie, sieht den Nachen
Träg auf träger Woge brütend rasten.
Lange zögert Psyche; endlich aber,
Neu beseelt von liebenden Gedanken,
Setzt in's binsenrohr-geflocht'ne Boot sie
Stracks den zarten Fuss, dem schattenhaften
Greis den Fährlohn reichend. Und der Nachen,
Der, geflickt und modrig, wurmzerfressen,
Blasse Todte nur gewohnt zu tragen,
Trägt ein athmend Kind der grünen Erde
Widerwillig heut an's andre Ufer.

Und nun krampft sich Psyches Herz zusammen,
Denn nun steht im Innersten des düstern
Todtenreich's sie, steht im unermess'nen
Reich der Schemen, steht im Reich der Herzen
Ohne Schlag, im Reich des Wesenlosen,
Steht im Reich des allertiefsten Schweigens.
Blumen sind hier, aber schattenhafte,
Duft- und farblos; Bäume, die nicht säuseln,
Vögel in den Ästen, die nicht singen.
Fahler Trauerweiden todte Zweige
Hängen in den todten Strom hinunter.
Lautlos schweben Fledermaus und Eule,
Und gleich ihnen, stumm, geräuschlos gleiten,
Schreitend nicht, nein, mit geschloss'nen Füssen
Schwebend aufrecht, nah' dem Grund die Sohlen,
Schemen der Entschlaf'nen: blutlos, aber
Träumend noch von Blut, nach Blute lechzend ...

Jetzo mitten unter sich gewahrend
In des Hades Nacht ein Menschenwesen,
Dessen Tritt ein Echo weckt, das Schatten
Wirft, nicht selber ist ein blosser Schatten,
Schweben zu auf Psyche dicht die Schemen,
Und erfleh'n mit Worten, die nicht klingen,
Jammerblicken, gierigen Geberden,
Einen einz'gen Tropfen ihres rothen,
Warmen, frischen, jugendlichen Blutes.
Enger, dringender stets kreis't um Psyche
Dieser Schwärm, ob auch des Höllenhundes
Dräu'n ihn scheucht wie eine störr'sche Herde.
In dem Schwarm auch, siehe, zeigt den Augen
Psyches sich das Schattenpaar der Schwestern,
Die, von wüth'gem Neid auch hier befangen,
Gleich Vampyren dicht sich an sie drängen:
«Einen Tropfen, o, nur einen Tropfen
Gib uns, Schwesterchen, vom Saft des Lebens!»
Aber Psyche, sie gedenkt der Mahnung:
«An die kalten Todten nicht verschwende
Du dein warmes Herzblut – eile weiter!»

Unbeschreiblich ist die Todtenstille
Für ein lebend Ohr. Wie in den Tiefen
Zitterte, als wär's der Tod des Todes,
Ganz der Erebus, als Orpheus' Leier,
Der zur Unterwelt hinabgestiegen,
Heimzuholen die geliebte Gattin,
Plötzlich klang in dieser schauerlichen,
Unbeschreiblichen, unfassbar'n Stille –
War es doch, als ob des Orcus Decke
Plötzlich berstend klaffte, und ein heller
Blitzstrahl zündend schlug' in's ewig dunkle,
Licht- und klanglos öde Haus der Schatten –
Aufregt so die Unterwelt auch Psyches
Fusstritt, hallend in der ew'gen Stille.

Jetzo winkt, umschattet von Cypressen,
Der Palast, wo mit dem finstern Gatten
Thront Proserpina, die Cerestochter,
Mit dem Todesgott die Todesgöttin.
Matt erhellt von schwarzer Ampel dehnt sich,
Einer hochgewölbten Riesengruft gleich,
Weit der Saal um beider Götter Thronsitz.

Bleich und ernst, in feierlichem Schweigen
Sitzt die Göttin da; ihr Diadem gleisst
Düsterroth von schwärzlichen Granaten,
Nachtschwarz niederwallt zur Erd' ein Schleier
Angefüllt mit Früchten des Granatbaums
Und mit andern Früchten, reichbesamten,
Ruht im Schooss zur Linken ihr ein Füllhorn,
In der Linken aber hält des Mohnes
Purpurblüte sie auf hohem Stengel:
Aus dem Kelch betäubend steigt ein Dunsthauch,
Sacht einlullend, leise Sehnsucht weckend
Nach des traumlos-tiefsten Schlummers Ruhe,
Und zur Wollust wird die Todesstille
Hier, zunächst dem Thron der Todesgöttin.
Schlummerschwer die Lider, sich entreissend
Nur mit Müh' der wonnigen Narkose,
Naht sich taumelnd Psyche, und der Göttin
Knie umfassend, wie zuvor im Tempel,
Spricht sie: «Venus sendet mich, zu bitten
Dich, erhab'ne Götterfrau, ein wenig
Ihr zu spenden hier in gold'ner Büchse
Von der wunderbaren Schönheitssalbe,
Die du hast, weil eingebüsst den eig'nen
Reiz sie bei des kranken Sohnes Pflege!»

Schweigend auf das Mädchen blickt die Göttin,
Seltsam zuckt ein Strahl im schwarzen Aug' ihr,
Dann erwidert sie mit düst'rem Lächeln:
«Wenig für olymp'sche Götterfrauen
Passt die Schönheitssalbe, die ich habe,
Und nicht weiss ich, was mit solcher Schminke
Zu beginnen denkt die holde Kypris.
Doch mir ziemt es nicht, ihr zu versagen.
Was sie heischt.» Und aus des Mädchens Händen
Nimmt die gold'ne Büchse sie und reichet
Sie dem Thanatos, dem Todesboten,
Sie zu füllen mit der Zauberspende
In des Hintergrundes tiefem Dunkel.

«Willst du rasten nicht auf diesem Sitz hier
Und mit saft'ger Labe dich erquicken?»
So zu Psyche spricht die Todesgöttin,
Und sie hielt das Füllhorn ihr entgegen,
Mit den reichbesamten gold'nen Früchten.
Aber Psyche blieb gedenk der Warnung.
Wieder zuckt' es um den Mund der bleichen
Cerestochter, und es war, als dächte
Sie der Zeit, wo solcher Goldfrucht Same
War verhängnissvoll ihr selbst geworden,
Als von grüner Au, Narzissen pflückend,
Weggeraubt sie ward vom Gott des Hades.

«Kind,» so spricht sie, «da in's Reich der Schatten
Du dich hergewagt so todesmuthig,
Hast du Lust nicht, hier zu ruh'n auf immer,
Still dein Haupt in meinen Schooss zu legen ?» –
Psyche schweigt erblassend. Wieder lächelt
Ernsten Blicks die bleiche Schattenfürstin,
Und voll Majestät die friedenreiche
Stirn erhebend, spricht sie: «Kind, du denkest,
Wie ich dachte einst als thöricht Mädchen,
Als der Tod mir noch kein Ammenmärchen!»

Und lebendig um der Göttin Thronsitz
Ward es plötzlich und begann zu säuseln,
Und aus des Palastes Dämmerwinkeln
Kam's herangeschwirrt, und wie im Lenzhauch
Fortgetragen schwebt ein Blütenschauer,
Schwebt, sich drängend, ein geheimnissvoller
Zug nach oben, um den Thron der Göttin,
Aufwärts trachtend durch des Thronsaals offne,
Unabsehbar hohe Kuppelwölbung.

Psyche staunt, und, ihrem Blick begegnend,
Spricht die Göttin: «Siehst du dies Gewimmel?
Seelen sind's, des Hades Nacht verfallen,
Samenkörnern gleich vertraut der Tiefe,
Und erstehend jetzt zu neuem Leben.
Tausend Jahre nur behält der Hades
Der Verblich'nen Seelen; doch dann kehren
Sie zurück zur Oberwelt, beginnen,
Ihres frühern Daseins ganz vergessend,
Neu verwandelt ein verjüngtes Leben. –
Iss nur, Kind, von des Granatbaums Frucht hier! –
War' so süss ein oberweltlich Dasein,
Dass man's endlos, ewig möchte leben?
Fasst euch Lebende nicht oft die Sehnsucht
Nach Vergessen, Schlummer, Todesruhe?
Und wer satt der Ruh, ihn reisst des Lebens
Wirbelstrom bald aus der Tiefe wieder
Mit empor in's unruhvolle Lichtreich! –
Iss nur, Kind, von des Granatbaums Frucht hier!» –

So die Göttin; ihr versetzt das Mädchen:
«Nicht der Tod erschreckt mich; möchte gerne
Hier mein Haupt in deinem Schoosse bergen,
Kosten ganz des tiefsten Friedens Wonne.
Doch die Liebe ist's, erhab'ne Göttin,
Die mich allgewaltig zieht nach oben.
Rasch verlangt mich's wieder heimzukehren,
Und verwandelt nicht wünsch' ich zu werden;
Die Gestalt auf ewig festzuhalten,
Göttliche, begehr' ich, die dem schönen
Liebesgott gefiel, und die er liebend
Hielt in seinen Armen! – Nur wenn nimmer
Sein geliebtes Bild ich dürfte schauen,
Niemals ihm das meine mehr gefiele,
Möcht ich tausend mal im Reich der Schatten
Lieber weilen als auf Erden droben!»
Milder lächelt drauf des Hades Herrin;
Reicht dem Mädchen dann die gold'ne Büchse,
Wohl verwahrt, mit der verlangten Spende.
Doch sie fügt hinzu: «Lass nicht die Neugier
Auf dem Heimweg, Mädchen, dich verlocken!
Offne nicht die Büchse! schrecklich treffen
Würde für den Vorwitz dich die Busse!» –

Rückwärts nun des Hades Pfade wandelt
Psyche, mit der glücklich unverlor'nen
Zweiten Münze lohnend froh den Fährmann,
Der zurück sie führt zum äussern Strande,
Und beschwicht'gend mit dem zweiten Kuchen
Cerberus, das Höllenungeheuer.

Und zurückgelangt zum Hadeseingang,
Sieht aus finst'rer Schlucht sie durch den Felsspalt,
Als des Lichtes erste liebe Boten,
Sterne funkeln an dem Tageshimmel.
Schlag der Spalt sich, wieder dehnt der Hain sich,
Düster, doch schon oberweltlich säuselnd.
Ihn durchwandernd, freier wieder athmend,
Lässt zu einem Quell sich Psyche nieder,
Trinkt mit gier'gen Zügen, denn verdorrt ist
In der Unterwelt ihr Zung' und Lippe.
In dem Quell ihr Spiegelbild erblickend,
Merkt sie, wie viel bleicher sie geworden,
Wie viel tiefer ihre Augenhöhlen,
Seit sie durch das Schattenreich gewandert,
Thränen über ihre Wange perlen:
«Würde so mich Amor noch erkennen?
Noch mich lieben wollen? er, der Schöne?
Doppelt hässlich bin ich ihm geworden:
Durch den Wortbruch erst, durch den verlor'nen
Liebreiz nun. Weh mir! – Und diese gold'ne
Büchse, ach, birgt eine Zauberschminke,
Fähig zu verschönern noch die schönste
Götterfrau, die holde Liebesgöttin!
O von dieser Schminke nur ein wenig,
Würd' es nicht zurück mir die verlor'ne
Schönheit geben, so dass sie, vergöttlicht,
Locken würde leuchtend den Geliebten?
Schrecklich, sprach die Göttin, würd' ich's büssen.
Immerhin! mich selbst zurückgewinnen
Will ich, schön dem schönen Gott erscheinen,
Oder ganz des Bitt'ren Mass erschöpfen
Und für immer dann im Haus des Hades
Weilen bei der bleichen Todesgöttin!»
Spricht's und öffnet kühn die gold'ne Büchse.
Aber keine Schminke drin sie findet,
Nur ein Dampf erhebt sich draus, dem ähnlich,
Der entstieg dem Kelch der Purpurblüte,
In der Hand der bleichen Cerestochter.
Nur viel dichter strömt er, viel gewalt'ger,
Dass sie hinsinkt, taumelnd und bewusstlos,
Starr, entseelt, vergleichbar einem Leichnam,
Tief versenkt in traumlos styg'schen Schlummer. –
Holder Liebesgott, wo weilst du? – Endlich
Von der Wunde war er ganz genesen,
Und entschlüpft dem Kerker. Kunde ward ihm
Von des kühnen Mädchens letztem Wagniss.
Schreck befällt ihn, er beschliesst zu eilen
Hin nach dem Avernus, sie zu schützen,
Zu entreissen sie den finstern Mächten.
Sieh, da findet er auf seinem Wege
Vor des Hölleneingangs dunkler Felskluft
Psyche liegend in dem styg'schen Schlummer.
«Todt mein Seelchen? weh' mir, wehe!» ruft er,
Über sie sich beugend. Ihre Züge
Schmückt etwas von jener ernsten Schönheit,
Welche schwebt zuweilen um das Antlitz
Der Verblich'nen. Ihr zur Seite liegen
Sieht er auch die Büchse jetzt, geöffnet,
Ihres Dunsthauchs letzten Qualm entsendend,
Dass dem Gotte selber schlaff die Flügel,
Schlummerschwer die Augenlider werden.
Aber ahnend gleich, was da geschehen,
Reisst er einen Pfeil aus seinem Köcher,
Ritzt damit die Liljenbrust der Theuren,
Unter'm Herzen; eine zarte Röthe
Tritt ihr mälig auf die bleichen Wangen,
Mälig schmeidigt der erstarrte Leib sich,
Und ein warmer Hauch durchströmt die Glieder.
Jetzt berührt der Gott mit seinem Pfeile
Sanft ihr Augenlid; da schlägt das Aug' sie
Langsam auf und sieht den Götterknaben
Lächelnd an, als wär' nach traut gesellter
Ruh' sie aufgewacht an seiner Seite,
Dort auf jener sel'gen Liebesinsel.

Sinnend blickt sie lang ihm in die Augen:
«Sag' mir,» spricht sie dann, «du Vielgeliebter,
Sag', was war das, mein vergang'nes Leben?
Jener Fehl, den ich an dir begangen,
Und die Qual der langen, langen Irrfahrt,
Und die Wand'rung in des Todes Reiche?
Ach, mich dünkt, ein langer, banger Traum war's!
Ist mir doch, als hätt' ich tausend Jahre
Hier geschlummert und geträumt dies Alles!»

Lächelnd drauf der Liebesgott, der schöne:
«Tausend Jahre braucht, sich zu verjüngen,
Sonst die Seele in des Hades Gründen;
Rascher ging den Todesweg mein Seelchen!» –

Sprach's und streichelte mit seiner Rechten
Sanft des Mädchens Wange, küsste zärtlich
Ihren Mund, indessen sie die Linke
Herzlich schlang um seines Leibes Mitte.
Und dann sprach er kosend noch die Worte:
«Vielgeliebte Psyche, traute Seele,
Reine Perle du der Weltenmuschel,
Harre mein ein Weilchen hier: empor jetzt
Schwingen will ich mich zum Göttervater,
Seine Gnad' und Hilfe dir erflehend.
Denn nie wieder wagen wird die Erde,
Aufzunehmen eines ihrer Kinder,
Das getrotzt hat so den Todesgöttern!»

Angstvoll sieht ihn Psyche wieder scheiden,
Streckt die Arme nach ihm aus verlangend.
Wird er auch gewiss ihr wiederkehren?
Still die Blicke senkt sie. Sieh, da tritt ihr
Neuerdings ihr Bildniss hell entgegen
Aus dem Waldesborn ... Getröstet sieht sie,
Dass sie wieder schön und hold geworden,
Und dass neue Flügel ihr gewachsen:
Falterflügel, bunte, goldberändert.


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