Hans von Hammerstein
Die blaue Blume
Hans von Hammerstein

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Zum Klagen und Weinen hatte er tagsüber Zeit genug gehabt in seinem Kerker. Nun war er müde und ausgehungert. Wie war nun all das Glück, das ihn so plötzlich und riesengroß überkommen hatte, jäh und grausam zerstört worden! Die ganze Welt schien ihm wie ausgestorben und leergebrannt. Was lag ihm an der wiedergewonnenen Freiheit? – Er überlegte, ob er, statt zu fliehen, nicht lieber ins Schloß zurückkehren und kühn auf Leben und Tod um sein Recht kämpfen sollte. In solcherlei Sinnen versunken, schritt er unter den dunklen Bäumen hin, zwischen denen 95 der Mond manchmal seine Silberfluten über Felsen, Wurzeln und Moos ergoß. Nichts regte sich ringsum, nur die Tropfen fielen hin und wieder durch die Blätter. Zögernd lenkte er seine Schritte bergab. Vor ihm begann es, hell durch die Stämme zu schimmern. Es war eine stille Waldwiese, über der ein duftiger, lichter Nebel lag. Einige Büsche ragten seltsam mit ihren blinkenden Zweigen aus demselben hervor. Da war es Peter plötzlich, als vernähme er fernen Gesang. Er stand still und lauschte. Leise wie im Traume drangen die Klänge an sein Ohr, lieblich und lockend, von der Waldwiese schien es herzukommen. Den Atem anhaltend schlich er vorsichtig bis an den Rand des Waldes, und hinter einem Baume 96 stehend übersah er die ganze Wiese. Es war ihm, als bewegte sich der Nebel um die Büsche, als würde er wie ein Schleier wallend im Kreise gezogen. Und schärfer hinblickend glaubte er Gestalten aus dem Dufte hervortreten zu sehen, zarte, schlanke Mädchengestalten, die sich im Tanze zierlich die Arme reichten und fortbewegten. Hin und wieder funkelte es wie ein Diamant aus den Reihen auf, der Gesang wurde immer deutlicher, wie ein Zaubernetz umspannen ihn die wundersamen Töne. Das waren die Elfen und die sangen: –

»In der Mainacht stiller Feier,
Bei des Mondes vollem Glanz
Weben wir den Zauberschleier
Weich und leicht mit Sang und Tanz. 97
Aus des Taues klaren Perlen,
Aus der Blumen süßem Duft.
Um die jungen, schlanken Erlen
Wallt er in der lauen Luft.«

Peter stand mäuschenstille und lauschte. Es war ihm, als zerginge all sein Leid in diesen Tönen, wie Schnee in der Frühlingssonne. Die Elfen sangen weiter: – – –

»Aus der Blume Schoß geboren
Durch der Sterne Liebesblick,
Sind wir nur zur Lust erkoren,
Nur zur Schönheit und zum Glück.
Wie in Wonnewellen schweben
Wir in Liedes-Zaubermacht.
Glück ist Traum und Traum ist Leben,
Und das Leben ist die Nacht.«

Es ward ihm selbst so träumend zu Sinne. Eine große Sehnsucht 98 überkam ihn, in den luftigen Reigen einzutreten. Und die Elfen sangen: – – –

»Bleicher Wandrer, steig hernieder
In den mondeshellen Grund.
Bade deine müden Glieder
In der Elfen Lust gesund.
Gram und Sorge ist beschworen,
Süß verwandelt dein Geschick.
Tausendfach, was du verloren
Bringen wir im Traum zurück.«

Peter wußte nicht, wie ihm geschah. Auf einmal stand er mitten auf der Wiese. Um ihn her schwankten und kreisten verwirrend die lieblichen Lichtgestalten. Wollüstig schwollen die Töne zu ihm auf, als sollt er in ihnen untergehen. Die Sinne schwanden ihm. Es war ihm, er sänke in ein weiches, duftiges Lager von lauter 99 Rosenknospen und die Elfen webten ihn immer dichter und dichter mit ihren Schleiern und Tönen zu. – – –

Der Magister saß noch nicht lange im Turme, als er draußen reden hörte und vernahm, wie die Riegel der Türe zurückgeschoben wurden. Und eine Stimme, die er gleich als die eines Junkers, der sich im Gefolge des Prinzen befand, erkannte, rief herunter: »Herr Studio! Seid Ihr noch lebendig?« Zugleich schweifte der Schein einer Laterne wie suchend über die feuchten Mauern des Gelasses und blieb hell auf ihm haften. Der Magister duckte sich und antwortete nichts. »Nun, noch immer starr und trotzig?« fuhr der Edelmann fort. »Aber das wird Euch nun wenig mehr 100 nützen. So geht's einmal, wenn man unglücklicherweise Dinge findet, die anderen gebühren. Doch damit Ihr seht, daß man es gut mit Euch meint, schickt Euch hier der König als Entschädigung so viel Gold und Edelgestein, daß Ihr davon leben könnt wie ein Kardinal. Und gleichzeitig, damit Ihr kostet, wie Ihr künftighin täglich speisen könnt, ein kleines Frühstück von der Hoftafel. Einige Stunden müßt Ihr Euch allerdings noch in so schlechtem Logier begnügen. Dann könnt Ihr wandern, so weit Ihr wollt und sollt sogar eine Kutsche mit guten Pferden zur bequemen Weiterreise erhalten. Laßt die Sachen am Strick hinunter,« befahl er den Dienern, die hinter ihm standen. »Gebt acht, daß Euch das Gold nicht erdrückt!« klang die Stimme 101 noch einmal, und gleich darauf rutschten längs der Mauer zwei Säcke herunter, die, als sie auffielen, einen rasselnden Ton von zusammenklingendem Metall von sich gaben, daß dem Magister das Herz im Leibe lachte. Dann kam noch ein Korb, durch dessen Deckel der glitzernde Hals einer Flasche lockend heraussah. Der Magister verblieb indessen in seiner kauernden Stellung und machte nur eine abwehrende, verächtliche Handbewegung. »Seht nur einmal zu, wie reich Ihr nun geworden seid,« rief der Junker von oben, »dann werdet Ihr gleich ein ander Lied anstimmen. – Wohl bekomms!« – Der Lichtschein verschwand, die Türe wurde neuerdings geschlossen und verriegelt und die Schritte entfernten sich. – – – 102

Nun warf sich der Magister wie ein Raubtier auf die Säcke und befühlte sie in der Dunkelheit mit gierigen Fingern. Kaum vermochte er sie zu heben, so schwer waren sie, und in seiner Freude über den gelungenen Streich begann er laut nach dem Diener zu rufen. Da wurde auch schon vorsichtig die Türe wieder geöffnet und »Still!« flüsterte der Famulus, »sie sind noch kaum den Berg hinunter.« »Gib acht, ich reiche dir das eine Ende des Strickes hinauf,« entgegnete der Magister leise. »Aber du mußt wacker anziehen, die Säcke sind schwer. Dann knüpf den Strick los und laß ihn wieder herunter, daß ich daran hinaufklettern kann. Hier! – Kannst du's erreichen?« – »Hab's schon,« antwortete der Diener. »Eins, 103 zwei, drei – Hup! Ein halber Zentner gut!« Und die Säcke stiegen langsam hinauf. »So, da sind sie,« begann er wieder. »Und nun lebt recht wohl, gnädiger Herr. Vielen Dank für alle Maulschellen und Fußtritte, die ich je von Euch bekommen. Und wenn Ihr noch einmal in einem solchen Loch reich werdet, dann traut dem treuesten Famulus und dem besten Golde nicht. Denn Gold und Treue kriegen leicht Füße!« Damit schlug er die Türe zu, verriegelte sie gut, schwang mit kräftigem Arme die Säcke auf seine Schulter und schritt, ungeachtet des Wutgeheuls, das der gefoppte Magister in der Tiefe anstimmte, in den Wald hinein. – – – 104

 


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