Heinrich Hansjakob
Der steinerne Mann von Hasle
Heinrich Hansjakob

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3.

Es ging lebhaft her wie in einem Kriegslager auf der Burg Zindelstein am Abend vor Sankt Bartholomä des Jahres 1286. Die beiden Grafen von Freiburg und Eginos Schwiegervater, der Markgraf Heinrich II. von Hachberg, waren mit einer Schar von Dienstmannen und reisigen Knechten auf der Burg eingeritten.

Die zwei Freiburger waren verabredetermaßen in Waldkirch mit dem Hachberger zusammengetroffen und »den Simonswald« hinauf- und dann hinabgeritten ins Bregtal, an dessen Ende in romantischer Waldenge »der Zindelstein« lag.

Die Ritter des Gefolges hatten alle Platz gefunden in der Burg, die Knappen aber lagerten in den nächstgelegenen, dem Grafen Egino gehörigen Höfen bei den Bauern.

Gräfin Verena, die Schloßfrau, machte in der Ritterstube heute doppelt gern die Honneurs des Hauses, weil unter den Gästen ihr lieber Herr Vater sich befand. Sie erzählte diesem natürlich zuerst von der Teilung auf Fürstenberg und wie sie froh sei, vom einsamen Zindelstein im rauhen Bregtal fortzukommen und hinab ins sommerliche Hasela, nur wenig Stunden von der unvergeßlichen Hachburg entfernt.

Erst dann nahmen der Markgraf und sie teil an der allgemeinen Unterhaltung der Herren der Tafelrunde. Die Vettern von Freiburg sowohl als der Markgraf-Schwiegervater hatten von ihren angesehensten Dienstmannen im Gefolge, tapfere Ritter und Träger guter Namen. Unter ihnen waren Burckard der Turner, Heinrich von Munzingen, Konrad Sneweli, Hans von Munzingen in der Nüwenburg, Rudolf von Uesenberg, Dietrich von Keppenbach, Hans von Schwarzenberg, Wilhelm von Theningen u. a.

»Mir kam,« so begann Graf Egino, der Burgherr, »als mein Wächter diesen Abend vom Hauptturm der Burg herab das Zeichen gab, daß was im Anzug sei – und ich von meiner Kemenate hinabschaute ins Bregtal und die vielen Reisigen sah, ein eigener Gedanke.«

»Heraus damit, Vetter!« rief Egino von Freiburg, »du dachtest wahrscheinlich, die bringen mir so viele Leute in die Burg, daß sie mich aussaufen in einer Nacht. Aber wisse, wir haben absichtlich so viele Glefen Reisiger mitgenommen, um dir eine Ehre zu machen vor den Villingern.«

»Und ihr müßt froh sein, Eidam,« warf der Markgraf dazwischen, »wenn wir euern Keller leerer machen. Ihr braucht dann nicht so viele Karren zum Umzug nach Hasela, wo es Wein in Hülle und Fülle gibt.«

»Mein Gedanke geht viel tiefer als in meinen Weinkeller und ist auch ernster als das Trinken,« meinte der Gastherr.

»Du wirst doch nicht daran denken, Egino, uns alle diese Nacht niederwerfen zu lassen und dann Lösegeld zu verlangen,« sprach lachend Graf Heinrich von Freiburg.

»Ans Niederwerfen hab' ich allerdings gedacht – aber dabei nicht an euch. Ich möcht' am liebsten meine lieben Villinger bändigen, denen ich morgen Dinge beschwören soll, die eigentlich kein Herr beschwören dürfte, falls seine Herrschaft noch einen Sinn haben will. Ich mein', wenn die Grafen von Montfort und Nellenburg und meine Schwäger von Hohenberg und Tübingen ebensoviel Glefen mitbringen, wie ihr, könnte man denen von Villingen schon den Meister zeigen.«

»Das wirst du bleiben lassen, Freund!« rief Egino von Freiburg, während die andern erstaunt aufhorchten. »Unser Alter, der König Rudolf, versteht keinen Spaß, wenn man ihm an seine lieben Städte und Bürger geht. Er ist mir deshalb auch schon einmal vors Nest gelegen.«

»Ja, ja, der Vetter Egino hat recht,« nahm jetzt der alte Hachberger das Wort. »Wir würden alle den kürzeren ziehen und mein Eidam voran, wenn wir die Villinger bedrängen wollten. Seitdem er vor vielen Jahren als Graf von Habsburg Fähndrich der Stadt Straßburg war, unser König, ist er für alle Städte eingenommen und die Städte für ihn. Sie bezahlten ihm seine Schulden, als er zum König erwählt worden, und halfen und helfen ihm in jeder Geldverlegenheit, drum ist er ihnen so gewogen.«

»Und zudem müßt ihr Fürstenberger doppelt vorsichtig sein. Ihr wißt, daß nur durch des Königs Wohlwollen euerem Vater Villingen und Hasela erhalten blieben. Macht ihr jetzt Spektakel, so könnt ihr beide Städte ganz verlieren, und der Kaiser schlägt sie zum Reich. Also, mein Eidam, beschwört denen von Villingen ruhig die Freiheiten, die ihr Fürstenberger ihnen vor zwei Jahren schon versprochen habt, und dann kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht bekommen wir bald einen neuen König, der den Narren nicht so gefressen hat an den Städten und auch den Adel wieder mehr gelten läßt.«

»Auch ein neuer König,« nahm Egino von Freiburg das Wort, »wird uns Herren nicht viel helfen können gegen die Städte. Da hat in meiner Stadt ein Barfüßer, ein wahrer Teufelskerl, eine neue Waffe erfunden, die Feuer speit, und mit der er Mann und Roß, Mauern und Türme niederschlägt. Der Ritter von Almeshofen wird dir's berichtet haben. Vetter, er war dabei, als der Mönch uns Proben machte.«

»Kommt aber diese Teufelskunst in die Hände der Bürger, dann legen sie uns unsere Burgen vor die Füße, und der beste Ritter von heute ist weniger wert im Felde, als ein Bauer mit einer Feuerwaffe.«

»Ja, ja,« rief Egino von Fürstenberg, »der Ritter Hug hat mir davon erzählt und gesagt, die Knochen zitterten ihm noch, so sei ihm die Teufelskunst des Barfüßers in den Leib gefahren.«

Die anwesenden Freiburger Ritter pflichteten dem, was ihr Graf über die Erfindung gesagt, bei und wußten noch allerlei zu erzählen, was sie von ihr gesehen und gehört hatten.

Burckard der Turner, der älteste unter ihnen, nahm aber auch noch zu dem Vorschlag des Herrn von Zindelstein das Wort und sprach: »Mit Verlaub, Graf Egino von Fürstenberg, will auch ich meine Ansicht sagen zu euerm Anschlag gegen die von Villingen. Ich sitze im Regiment der Stadt Freiburg, bin ein alter Dienstmann meiner Herren auf dem Schloß und kenne den Geist der Bürgerschaft. Aber glaubt mir, ihr Herren, dieser Geist wird mehr und mehr für den Adel sowohl als für die Herren am Städteregiment ein gefährlicher. Die Handwerker mit ihren Zünften werden immer begehrlicher nach Teilnahme am Regiment und immer anspruchsvoller an die Freiheiten. Ich ahn', es kommt die Zeit, wo die von Freiburg aufstehen und Adel und Ratsherren zur Stadt hinausjagen, wenn wir nicht mit ihnen die Rechte teilen wollen. Und wenn gar die Zünfte sich mit der Feuerwaffe des Bruders Berthold vertraut machen, so ist's aus mit dem Rittertum und seinen Privilegien in den Städten.«

»Meine Meinung geht dahin, daß wir im Frieden morgen in Villingen einziehen und der neue Herr der Stadt sich auf guten Fuß stelle mit den Bürgern im Interesse einer gesicherten Zukunft.«

»Siehst du, Vetter Egino,« nahm jetzt Heinrich von Freiburg wieder das Wort, »alles rät dir ab, und ich könnte meine Ansicht bei mir behalten, will aber doch noch an meine Affäre mit meinen Bürgern zu Neuenburg, der kleinen Stadt am Rhein, erinnern. Du warst damals noch ein Knabe. Meine Liebesgeschichte mit einer schönen Metzgerin reichte hin, um die ganze Bürgerschaft gegen mich aufzubringen und mir allen Gehorsam aufzusagen. Es gab schwere Fehden; der Bischof von Basel und unser König griffen mit in dieselben ein, und das Ende vom Lied war, daß der König die Neuenburger zum Reich schlug, und ich hatte das Nachsehen. So kann's dir mit Villingen gehen.«

»Ich hab' schon gesehen,« sprach der Burgherr von Zindelstein, »mein Plan findet keinen Anklang. Ich laß' ihn darum fallen und schwöre morgen den Villingern, wie sie's gern haben, und dann ziehe ich hinab zu denen von Hasela, die nicht so versessen sind auf Rechte, wenn man ihnen nur wenig Pflichten auferlegt.«

»Die Villinger haben nur noch Respekt vor der Geistlichkeit, und wenn's nur Bettelmönche sind. Diese haben die Philister letzthin so zahm gemacht, daß es eine helle Freude gewesen wäre, wenn man sich nicht ärgern müßte aus Neid, daß unsereiner keine ebenso unblutigen als wirksamen Gewaltmittel hat wie die Kirche.«

»Was war's denn?« fragte Graf Egino von Freiburg, »erzähle es uns, Vetter!«

»Aber zuerst will jetzt ich noch ein Wort reden,« fiel die Hausfrau ein, »und die Herren bitten, endlich den gesulzten Schweinskopf in Angriff zu nehmen. Er steht schon lange auf dem Tisch, und ihr Herren habt vor lauter Politisieren das Essen ganz vergessen.«

»Er ist von einem jungen Keiler, den mein Mann dieser Tage drüben im Hallenberg mit dem Speer erlegt hat.«

»Und dann muß ich den Rittern mitteilen, daß ich nur für die drei Grafen eigene Kemenaten habe und deshalb die andern Herrn auf den Spannbetten im Saale hier unterbringen muß für die Nacht. Die Burg Zindelstein hat nicht so viele Räume wie die Burgen zu Freiburg, Hachberg und Fürstenberg.«

»Machet euch keine Sorge um uns, Frau Gräfin,« sprach Ritter Konrad Sneweli von Freiburg, »wir können überall schlafen. Wir werden uns schon noch einen gehörigen Schlaftrunk zulegen heute abend.«

»Also jetzt wird zuerst der Schweinskopf in Angriff genommen, sonst wird mein Weib bös, und dann erst erzähle ich von der Verdemütigung der Villinger durch die Franziskaner,« kommandierte der Hausherr.

»Es kommen aber noch gepfefferte Hühner in einer Brühe,« nahm Frau Verena wieder das Wort, »und wenn du erzählst, werden die kalt. Ich meine, du solltest warten, bis mein Essen fertig ist; dann laß' ich die Becher frisch füllen und empfehle mich den Herren, und ihr könnt' reden und trinken, bis der Sakristan in Wolterdingen drüben am Morgen Betzeit läutet.«

»Einverstanden, Frau!« entgegnete ihr Gemahl. »Ich glaube aber, du könntest noch dableiben, bis der Vetter Heinrich von Freiburg seine Liebesgeschichte von Neuenburg etwas ausführlicher erzählt hat. Ich kenne sie nicht, war damals noch zu jung und möchte sie auch gerne hören.«

»Na wird nichts daraus, Vetter!« fiel Egino von Freiburg ein. »Die Geschichte ist nicht so schön, um sie vor der Dame des Hauses zu erzählen, und dann will ich nichts mehr von der Sache hören, sie hat uns zwei Freiburger in Kriegsschulden gestürzt und eine Stadt gekostet. Der Heinrich soll sie dir morgen unterwegs mitteilen. Ihr zwei könnt dann nebeneinander reiten. Und du kannst später, wenn sie es will, deiner Gattin davon Meldung tun.«

Damit war alles einverstanden und Graf Heinrich am meisten: denn vor der Frau des Hauses hätte er doch nicht gerne sein unrühmliches Abenteuer in Neuenburg zum besten gegeben.

Als der Schweinskopf gehörig versucht, die Hühner verzehrt, die Becher gefüllt waren und die Herren sich ehrerbietig von der Gräfin Verene für die Nacht verabschiedet hatten, hub Graf Egino von Fürstenberg an:

»Vor einiger Zeit verging sich ein Minoriten-Mönch in der Stadt Villingen. Die Bürger und Bürgerinnen stürmten draufhin das Kloster der Brüder und schlugen klein, was ihnen in die Hände fiel. Da kamen sie aber schön an. Sie wurden vom Bischof von Konstanz mit dem Kirchenbann belegt, von Gottesdienst und Sakramentenempfang ausgeschlossen, bis sie Buße taten. Und worin bestund diese? An drei Sonntagen in der Fastenzeit mußten sie mit dem Kreuze zweimal um die Franziskanerkirche ziehen, Ruten in den Händen, und wurden von einem Priester mit Ruten gegeißelt, die Männer barfuß und im Hemde, die Frauen barfuß, barhäuptig und mit aufgelösten Haaren.«Riezler, Geschichte des fürstlichen Hauses Fürstenberg, Tübingen 1883 p. 238.

»Sie unterwarfen sich dieser Strafe – und mich hat's einerseits gefreut, daß sie so verdemütigt wurden, anderseits aber geärgert, daß die Kerle sich von der Kirche alles, von ihren weltlichen Herren aber nichts gefallen lassen wollen.« –

»Doch jetzt noch etwas anderes, das Programm für die Reise. Also morgen in aller Herrgottsfrühe reiten wir ab bis zum Kloster Thannheim, wo ich uns schon zum Frühstück angesagt habe. Wir reiten in leichtem Waffenrock, und die Knappen führen Harnische, Speere, Helme und Schilde uns nach. Im Kloster stecken wir uns in Gala und ziehen nach Villingen. Ich beschwöre den Spießen alles, was sie wollen, und im stillen noch Tod und Teufel dazu.«

»Aber nun noch eine Bitte an euch Herren alle. Die Grafen von Tübingen, Montfort und Nellenburg, die vom Fürstenberg her in die Stadt einreiten, werden alsbald wieder heim wollen; aber ihr, die ihr alle den Schwarzwald hinabzieht, müßt mich nach Hasela begleiten, dort meine Zeugen sein und mir in meine Residenz einreiten helfen.«

»Gerne begleiten wir dich, Egino,« riefen die Freiburger Vettern; »wann ziehst du ein?«

»Am kommenden Verenentag – meiner Frau zu Ehren.«

»Aber das sind ja noch acht Tage bis dahin,« meinte der Herr von Hachberg. »Wie wollen wir die da oben umbringen?«

»Das wollt' ich euch eben noch sagen,« entgegnete sein Schwiegersohn. »Es ist jetzt heiß in eurem Breisgau drunten, und ihr alle müßt froh sein, wenn ihr bei der Hitze noch einige Tage in der Baar euch abkühlen könnt. Wir haben da oben immer herrliche, frische Luft.«

»Und die Zeit wollen wir schon totschlagen. Drüben im Götzenwald bei Mistelbrunn liegen noch Keiler und Sauen im Ueberfluß; die hetzen wir ein paar Tage. Dann halten wir eine Falkenbeize auf Reiher im Bregtal und in der Donau bei Pfohren auf Wildenten.«

»Ist das vorbei, dann besuchen wir meinen Bruder Heinrich auf dem Fürstenberg. Im Schloßhof halten wir einen Tjost und in dem Urwald, Länge geheißen, jagen wir Hirsche, Wisent und Ur. Und zu alle dem trinken wir und spielen am Abend Schachzabel oder lassen die Geiger und Pfeifer von Baldingen kommen.«

»Du hast es gut vor mit uns, das laß' ich mir gefallen,« sprach Egino von Freiburg. »Ich für meine Person bin gleich dabei.«

»Und ich bin mit deinem Programm auch einverstanden, Vetter,« meinte Eginos Bruder. »Und die Herren Ritter von und um Freiburg werden auch nichts dagegen haben. Der freie Herr Rudolf von Uesenberg kann dann den Herren von der Baar einmal zeigen, was er im Tjost vermag. Er rennt ja jeden nieder, der mit ihm ein Stechen wagt.«

Die breisgauischen Dienstmannen waren alle gerne bereit, ihren Herren zu folgen. Und der alte Markgraf zu Hachberg hatte für sich erst recht nichts dagegen, war er ja bei seiner geliebten, einzigen Tochter und bei seinen Enkelkindern Heinrich und Egino, die, beide noch im zartesten Knabenalter, dem Großvater am meisten Freude machten. –

Der Sakristan von Wolterdingen läutete am folgenden Morgen gerade Betzeit, als der stattliche Zug der Reisigen vom Zindelstein her am Dorfe vorbeizog, Thannheim und Villingen zu.

In dieser Stadt ging es am Bartholomäustag des Jahres 1286 hoch her. Die »Herren«, d. i. die vom Rat, waren guter Dinge. Sie wußten, daß Graf Egino von Fürstenberg käme, um die alten Rechte und Freiheiten zu beschwören, welche er und seine Brüder schon am Sankt Gallentag vor zwei Jahren zugesagt hatten. Sie wußten auch, daß heute der Stadt Wunsch nach einem einzigen Herrn in Erfüllung gehen sollte. Aber sie waren auch nicht im unklaren darüber, wie wenig verliebt die Fürstenberger in die Villinger wären, weil diese so viele Rechte in Anspruch nahmen.

Trotz alle dem, ja gerade deshalb sollten die Fürstenberger und deren Zeugen, wenn sie einritten, die Stadt im Glanze ihrer Macht sehen. Die Bürger rückten bei tausend an der Zahl, nach den neuen Zünften abgeteilt, wohlbewehrt mit Schwert, Schild und Speer, aus.

Die GeschlechterGeschlechter, in der Ein- und Mehrzahl gebräuchlich, bezeichnete einen Mann oder Männer patrizischen Standes. In den deutschen Städten waren es meist durch Handel reich gewordene Bürger, die, in allen ritterlichen und höfischen Künsten bewandert, das Regiment in den Händen hatten oft neben den ritterlichen Burgmannen des Landesherrn. In Villingen und Freiburg waren meist nur Geschlechter am Regiment, wie überhaupt in allen Städten zähringischer Gründung. aber, unter denen nicht wenige den Ritterschlag erhalten hatten, zeigten sich im Harnisch und Helm hoch zu Roß. Und ihr Rüstzeug glänzte dem ihres Grafen zum Trotz im Scheine der Augustsonne, welche am Bartholomäustag 1286 über Stadt und Land lag.

Auf dem großen Marktplatz an der Kreuzstraße standen die Bürger und Geschlechter und harrten des Rufes der Wächter am obern Tor und am Bickentor, welche die Ankunft der Herren signalisieren sollten.

Mitten unter den Geschlechtern saß der Schultheiß Heinrich Bergeli auf einem ungarischen Hengst, und um ihn bildeten einen glänzenden Kreis seine Standesgenossen: Heinrich Solle, Kunrad Stähelein, der alte, und Kunrad, der junge, Otto der Schultheiße, Hermann der Munser, Heinrich der Munser, der alte, Heinrich der Buzzer, Otto der Vetter, Walther der Lecheler u. a.

»Die Herren,« hub der Schultheiß, ein stattlicher Mann mit weißem Vollbart, zu reden an, »werden heute bald wieder abreiten. Graf Egino ließ mir sagen, sie nähmen den Imbiß mit uns auf der Ratstube, ritten aber gen Abend wieder weg.«

»Kann mir's wohl denken, warum,« meinte Heinrich der Munser, der alte; »der Brocken, den die Fürstenberger heute schlucken müssen, ist zu grob. Der Stadtschreiber hat ihnen was aufgesetzt zum Beschwören, das uns zu Herren von Villingen macht und nicht sie.«

»Um so höflicher wollen wir heute gegen die Herren sein, damit sie gute Miene zum bösen Spiel machen,« meinte der Schultheiß.

»Wenn darum der Wächter vom obern Tor bläst – sollen alle Glocken läuten, und ich reite mit dir, Munser, mit dem Lecheler und dem alten Stähelein ans Tor zum Empfang.«

»Bläst aber der Wächter vom Bickentor, dann machen sich der Ritter Heinrich Hindermuz und die zwei jungen Munser, Bernwart und Heinrich, auf und reiten den Herren entgegen. Zu jenem Tore werden die Grafen von Hohenberg und Tübingen einreiten. Die Herren von Freiburg und Hachberg kommen, so haben mir Knappen berichtet, mit unserm neuen Grafen vom Zindelstein her. Die Grafen von Montfort und Nellenburg waren auf dem Fürstenberg über Nacht und reiten mit dem Grafen Friedrich ebenfalls durchs obere Tor ein.

Während die Herren vom Stadtregiment so sich über die zu erwartenden Gäste besprachen, unterhielten sich unfern von ihnen auch die Handwerker untereinander.

»Unsere MüßiggängerDies war, wie schon oben angedeutet, der Titel, den die kleinen Bürger und Handwerker in Villingen unter sich den Geschlechtern zu geben pflegten. machen heute wieder den Großen,« meinte einer von der Zunft der Metzger. »Sie sitzen da auf ihren Rossen, als wären sie die Grafen, und schauen auf uns herab, wie wenn wir nicht so gut Bürger von Villingen wären wie sie.«

»Hast recht, Kunz,« fiel Steffe Dold, ein Bäcker, ein. »Das muß bald einmal aufhören, daß die Müßiggänger allein die Herren spielen und zu Gericht sitzen und wir nur zum Zahlen da sind.«

»Ja, ja,« stimmten die umstehenden Metzger und Bäcker alle zu, »wir wollen auch in dem Rat sitzen, und die Zünfte müssen den Müßiggängern den Meister zeigen. Die sind dem gemeinen Mann gefährlicher als die Fürstenberger, die eigentlich nicht mehr viel zu kommandieren haben.«

»Die Gerber, die Schmiede und die Weber sind auch unserer Ansicht,« fuhr der Metzger Kunz weiter. »Nur die Krämerzunft laicht noch mit den Müßiggängern, weil diese Fleisch von ihrem Fleisch sind. Allein wenn die andern Zünfte alle zusammengehen, kehren wir das Stadtregiment bald einmal zu unterst und zu oberst.« –

Eben blies der Wächter vom Bickentor her: die Deputierten der Geschlechter sprengten an den Reihen der Zünfte hinunter. Die Glieder ordneten sich, und die Reden der Kleinbürger verstummten.

Graf Albrecht von Hohenberg und Graf Götz von Tübingen ritten ein mit einem stattlichen Gefolge von reisigen Knechten.

»Der mit dem blonden Barte ist der Hohenberger,« sprach einer von den Krämern zu seinen Zunftgenossen. »Ich habe ihm den Seidenzeug geliefert zu seinem Waffenrock. Er ist ein gescheiter Herr und macht Verse

»Mit den zwei Grafen,« äußerte weiter unten ein Weber, »können unsere Müßiggänger doch nicht wechseln. Denen sieht man diesen zwei Herren gegenüber wohl an, daß sie früher nur Krämer gewesen sind.«

Weitere Vergleiche schnitt der Wächterruf ab vom obern Tor her, dem der Schultheiß und seine Begleiter alsbald zusprengten.

»Jetzt rücken die Fürstenberger ein,« sprach der Zunftmeister der Gerber, Jörg Stör, »nun kann's losgehen. Wenn's aber fertig ist, ziehen wir alle in unsere Zunftstube im Falken, trinken eins und halten ein Mahl. Hab' was Guts bestellt beim Falkenwirt und ihm gestern noch zwei Ochsenschwänze, die ich gerade abgehäutet, zugeschickt zu einer rechten Suppe.«

»Eine gute Suppe ist die Hauptsache bei einem Essen,« meinte ein altes Gerberlein und dankte dem Zunftmeister, daß er für eine so gute gesorgt habe.

Hörner ertönten vom Tore her. Drei Reiter des Grafen Egino bliesen sie, und bald zogen – die vom Fürstenberg gekommenen Herren hatten sich in Thannheim mit den andern vereinigt – sieben Grafen mit ihren Ritterglefen an den staunenden Bürgern vorbei.

»Dem Grafen Egino,« so redete leise der Ladenmeister der Schmiede, Sebald Rau, »ist's nicht ums Lachen; er schaut ernst drein und redet nicht gar freundlich mit unserm Schultheißen. Doch laßt uns hören, was unsere Herren ihm zum Beschwören vorlesen, ehe wir ihm huldigen.«

Als der Graf und seine Zeugen in der Mitte des Marktplatzes angekommen und von den Rossen abgestiegen waren, bildeten die Zünfte einen Ring um die sämtlichen Herren, Ritter und Grafen, und die feierliche Handlung begann.

Der Stadtschreiber trat vor den Grafen Egino von Fürstenberg und las ihm vor, was er beschwören sollte, »zu schirmen seinen lieben Burgern von Villingen Leib und Gut und alle ihre Rechte und Freiheiten gegen jedermann und zu halten für sich und seine Nachkommen die folgenden Satzungen: daß Villingen stets, ob der Kinder viel oder wenig im gräflichen Hause wären, nur einen Herrn haben solle, daß dieser weiter keine Burg oder Feste bauen lasse in der Stadt, daß die Bürger zur Steuer geben nicht mehr als vierzig Mark Silbers, daß der Schultheiß vom Grafen ernannt werde aus der Bürger Zahl und nach ihrem Rat, daß die Bürger alle andern Beamten, selbst den Gerichtsbüttel und den Hirten und den Hirtenmeister wählen.«

Nach Verlesung dieser Satzungen erschien aus der Menge der Herren der Leutpriester von Villingen mit den Reliquien des Stadtpatrons. Der Graf küßte sie, nahm seinen Helm ab – alle andern entblößten ihre Häupter – und schwor, die rechte Hand auf die heiligen Reliquien gelegt, bei allen lieben Heiligen das alles, was eben vorgelesen worden, getreulich zu halten.

Die Urkunde wird zu einer »ganzen vestenunge« vom Grafen und seinen Zeugen besiegelt mit seinem und ihrem »Ingesiegel«.

Jetzt besteigt der Schultheiß und Ritter Heinrich Bergeli sein Roß und spricht zu den Zünften: »Bürger, unser aller Wunsch ist erfüllt. Wir haben einen Herrn in der Person des erlauchten Grafen Egino von Fürstenberg. Er hat uns eben Treue geschworen und Schirm verheißen für uns und unsere Freiheiten. Es ist jetzt an uns, mit aufgehebten Händen zu Gott und den Heiligen einen leiblichen Eid zu schwören, ihm, unserm Herrn, in allem, was recht ist, Treue und Gehorsam zu erzeigen.«

Die Herren vom Rat und alle Bürger nahmen ihre Helme und Stahlhauben ab, erhoben die Rechte und riefen: »Wir schwören Treue unserm Herrn, dem Grafen Egino von Fürstenberg. So wahr uns Gott helfe und alle seine lieben Heiligen!«

Die Glocken der Kirchen läuteten dazu ihr Amen – und zu Ende war die Feier.

Die Grafen und ihr Gefolge, so weit es aus Rittern bestand, tafelten auf dem Rathaus, die Bürger in den einzelnen Zunftstuben. Hier bildete bei den meisten Zünften das Tagesgespräch die Auflehnung gegen die Geschlechter.

»Wir wollen einen neuen Rat neben dem alten,« so hieß es, »und neben dem Schultheißen einen Bürgermeister; beide sollen aus den Zünften genommen werden.«

Es gingen nicht viele Jahre darüber hin, bis das, was am Bartholomäustag 1286 in den Zunftstuben gesäet wurde, aufging. Die Villinger Handwerker setzten, wie die Zünfte allerwärts in den deutschen Städten, ihre Rechte gegen die Geschlechter durch und schufen damit die erste Grundlage der bürgerlichen Freiheiten.

 


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