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Es war ein regnerischer Herbsttag, der 28. September des Jahres 1896, als ich mit Oberförster Gayer von Schiltach her in das Heubachtal einfuhr. Ich war von meinem Herbstaufenthalt in Hofstetten hergekommen, und der Oberförster, der sich sehr dafür interessierte, daß der Fürst vom Teufelstein nicht ganz vergessen werde, hatte sich freundlich erboten, mich zum Teufelstein zu begleiten.
Wir hatten beim Ochsenwirt in Schilte, einem grundgescheiten Manne, den ich von lange her kenne, Mittag gemacht.
Ich bin schon öfters in Schilte gewesen und habe meine Freude gehabt an seinen alten, hohen Holzhäusern und an dem wunderbaren Blick von der Ruine der Burg aus, auf welcher einst die Herzoge von Urslingen und von Teck saßen, Freunde der Grafen von Fürstenberg-Haslach.
Und jedesmal bin ich beim Ochsenwirt eingekehrt, der ein Freund war meines Vetters, des Kastenvogts zu Hasle, und mich noch als Student gesehen hat.
Der Ochsenwirt stellte uns ein flottes Gefährt zu der Gebirgstour, und unter strömendem Regen fuhren wir gleich unterhalb Schilte nördlich in den Heuwich ein. Je weiter wir das Tälchen hinauf kamen, um so wilder und romantischer wurde es.
Der Regen ließ etwas nach, und wir konnten den Wagen öffnen. Wohin ich schaute, liebliche Schwarzwaldbilder: Felsen, Tannen, Wasser, Hütten so malerisch und so grotesk gruppiert, daß ich mich schämte, wenige Stunden unterhalb des Heubacher Tälchens daheim zu sein und es heute das erstemal zu betreten.
Wie muß das alles erst dreinschauen, sagte ich mir, wenn der Sonnenschein durch die Tannen fällt und auf die Felsen und Hütten, da mich schon bei Regenwetter der Heuwich so entzückt!
In der Mitte des Tälchens, zwischen dem Abrahamsbühl und dem Walde von St. Anton, liegt einsam, vom Weg etwas entfernt, an einer Halde die Wirtschaft zum Auerhahn.
Hier tranken die alten Flößer noch eins, ehe sie abfuhren durch die Hölle und ehe sie heimkehrten von der Fahrt; hier sangen die Bergknappen der nahen Grube St. Anton einst ihre Lieder, und hier erfrischen sich jetzt noch zur Sommers- und Winterszeit die Holzhauer aus den Wäldern ringsum.
Und ich hatte Glück. Alle Sorten dieser jetzigen und einstigen Gäste traf ich heute im Auerhahn: Von den Flößern den Wirtsbasche, einen stattlichen, kräftigen Mann mit schwarzem Vollbart, von den Bergknappen den Obersteiger Cyprian Breitsch, von den Holzmachern den Schmied-Andres und den Harter-Lorenz aus dem Kaltbrunn, einen Vetter des Teufelsteiners.
Auch die Tochter Priska war da. Heiterkeit und Lebenslust spricht aus ihren Zügen, obwohl sie das Schwabenalter hinter sich hat. Sie und ihre älteste Schwester, die Wirtin, bekunden, da die Mädle in der Regel dem Vater gleichen, in Gestalt und Gesichtszügen, daß der Fürst vom Teufelstein ein schöner, stattlicher Mann gewesen sein muß.
Alle redeten vom toten Förster und Vater, und aus allen sprach das Heimweh nach dem Mann, der mehr als ein halbes Jahrhundert lang der Wälder ringsum wartete und sie pflegte wie seine Kinder, und der seinen Flößern und Holzmachern allzeit ein guter Freund und heiterer Gesellschafter gewesen war.
Vom Cyprian, dem Obersteiger, einem schönen, großgewachsenen Greisen mit glattrasiertem, jugendlich frischem Gesicht und denkenden Mienen, erfuhr ich zwei Bergmannslieder, die er heute noch bisweilen singt mit seinem Freund, dem Schultoni.
Mehr denn ein halbes Jahrtausend wurden die Berge des untern und obern Kinzigtals auf Kupfer, Silber und Gold abgebaut. Der Cyprian, der in den sechziger Jahren noch auf Silber mutete in St. Anton im Heubach, dürfte des Bergbaus letzter Vertreter in diesem Tälchen sein.
Er ist wohl auch der letzte Bergknappe, der die alten Lieder der Gewerkschaften singt im Auerhahn – und die Geister der Knappen weckt, die in diesen langen Jahrhunderten ihr Wesen getrieben haben in diesen waldigen Einöden.
Der Cyprian aber singt:
Wenn ich betrachte das bergmänn'sche Leben,
So möcht' sich ein jeder der Gewerkschaft ergeben.
Ich liebe und lobe die Zweischlegeleinsgesellen,
Im Berge zu bauen, tut mir am meisten gefallen.
Die bergmänn'schen Regeln sein silberreiche Wort';
Sie lassen sich hören bald hier und bald dort.
Früh morgens, spät abends bei Mondscheins-Glückauf
Versammeln wir uns alle nach bergmänn'schem Brauch.
Und sollt' ich mein Leben so ängstlich aufgeben,
Auf immer und ewig als Bergmann zu leben?
Als Bergmann zu leben ist Lust mir und Lab,
Die allerletzte Grube soll sein dann mein Grab.
Frisch auf ins Feld, der Bergmann kunnt,
sagt man im Kinzigtal statt kommt.
Denn er hat sein helles Licht bei der Nacht,
Sein helles Licht schon angezund't.
Schon angezund't, es gibt sein' Schein,
Damit man fahren kann bei der Nacht,
Damit man fahren kann ins Bergwerk hinein.
Die Bergwerksleut' sind hübsch und fein,
Denn sie graben das Silber und das Gold bei der Nacht,
Das Silber und das Gold aus Felsen und Stein.
Aus Felsen und Stein graben sie Silber und Gold,
Den schwarzbraunen Mädchen bei der Nacht,
Den schwarzbraunen Mädchen sind sie hold.
Herr Wirt, schenkt ein ein gutes Glas Wein,
Bringt's meiner Herzliebsten zu bei der Nacht –
Bringt's meiner Herzliebsten zu, ihr soll es sein.
Aber der Cyprian erzählte auch von seiner Bergmannszeit. Als Knabe schon war er mit seinem Vater vom Wildschapbach jeden Montag heraufgewandert in den Heuwich und am Samstag wieder heim. Denn sein Vater war in den dreißiger Jahren Obersteiger in der Silbergrube St. Anton, die dem badischen Bergwerksverein gehörte – an dessen Spitze der bekannte Bankier Louis Haber stand, der auch noch in den Gruben Bernhard im Huserbach und Wenzel im Frohnbach auf Silber bauen ließ.
Den Namen St. Anton bekam die Grube, in welcher der Cyprian und sein Vater arbeiteten, von einem Tiroler, Anton Mantel, der als Knappe zuerst auf eine Silberader traf. In fleischfarbigem Schwerspate fanden sie Kobalt und gediegenes Silber. Stücke von 10, 25, 50 Pfund gediegenen Erzes schlossen die Bergleute auf; und der Bergwerksverein ließ Kronentaler daraus machen mit der Inschrift: »Glück auf! Segen des badischen Bergbaues.«
Schon 1846 war der Cyprian Breitsch Obersteiger. Wasser zwang die Gesellschaft, die Grube an Engländer zu verkaufen, die mehr Geld hatten, um das Wasser zu schöpfen. Jetzt kamen auch englische Bergknappen, und bis 1860 ward die Grube unter großen Kosten mit 180 Knappen betrieben, ging aber ein, weil sie sich nicht mehr rentierte.
Das erzählte der Cyprian mir auch noch, daß die Bergknappen für eine zwölfstündige Schicht – Tag und Nacht – 36 Kreuzer, das ist eine Mark, erhielten. Jeden Morgen und jeden Abend, ehe sie einfuhren, wurde das christliche Glaubensbekenntnis und das Gebet zu den fünf Wunden Christi gebetet, und war dies Gebet vorgeschrieben. Der Karlsruher Bankier Haber, ein Israelit, soll, so oft er kam, den Obersteiger gefragt haben, ob auch das angeordnete Gebet regelmäßig verrichtet werde.
Auch von der schönen Uniform der Bergknappen sprach der ehemalige Obersteiger noch: von der stolzen, schwarzen Bergmannsjuppe mit samtnen Aufschlägen, von den metallenen Knöpfen, welche die Abzeichen »Schlegel und Eisen« trugen, und von der grünen Filzkappe mit Roßschweif. Eine Fahne mit der Inschrift »Glück auf« geleitete die Bergleute, als sie anno 1843 der Kirchweihe in Schwach anwohnten und anno 1846 den Fürsten Egon von Fürstenberg in Hasle empfingen auf seiner Hochzeitsreise.
Bei kirchlichen Festlichkeiten und Prozessionen zeigten sich die Bergknappen ebenfalls in Uniform, und vier von ihnen trugen »den Himmel«.
Das waren andere Zeiten, meinte der Cyprian, als die Gruben noch blühten: St. Anton im Heuwich, Herrensegen in Schapbach und Güte Gottes in Wittichen. Jetzt aber sei alles tot, die Bergleute und ihre Gruben. Wehmütig wies er von der Wirtsstube aus hin auf den zerfallenen Eingang der Grube St. Anton am Berge drüben.
Als er des Bergmanns zwei Schlegelein niederlegen mußte, nahm der Cyprian die Axt und zog in den grünen Wald, machte Holz und baute Wege unter dem Fürsten vom Teufelstein. Bisweilen fuhr er auch als Flößer durch die Hölle.
Heute bezieht er Altersrente und ist in alleweg eine vornehme Erscheinung trotz des blauen Wollkittels, der seine Glieder umschließt. –
Ehe wir einstiegen, um zum Forsthaus zu fahren, schaute ich noch in den Höllengrund am Heubächle und gedachte mit Schaudern und Bewunderung der Zeiten, da die früher genannten Flößer durch diese Schlucht hindurchfuhren. Und doch ist in diesem Jahrhundert nur ein Mann zu Tode verunglückt in der Hölle, der Abrahamsbur, der einen Schoppen zu viel getrunken hatte, ehe er auf den Floz sprang. –
Durch dichten Hochwald zieht der Weg dem Forsthaus zu, steil bergan; Wald und Wege sind Schöpfungen des toten Försters. Bald wird es licht, und in der Lichtung liegt das Forsthaus, still und einsam, wie verlassen. Und von den Tannen ringsum rieselt der Regen wie Tränenwasser um den toten Mann, der die Waldbäume gepflegt und gehütet hat.
Der Nachfolger des Teufelsteiners ist vom Auerhahn weg unser Begleiter. Er führt uns in das stille, aber stattliche Haus mit hohem Giebel und zeigt uns die drei großen Stuben des alten Försters und der Fürstin und daneben das »herrschaftliche Zimmer« des Fürsten von Fürstenberg, wenn er zur Auerhahnjagd kommt.
In einer Stube sitzen um einen Tisch friedlich die Kinder des Waldhüters. Die Wände, an denen die Uhren des Fürsten ticktackten, find schweigsam wie Kirchhofsmauern. Ich durchwandere die Kammern, werfe einen Blick aus dem Fenster auf Wald und Berge und ziehe weiter, St. Roman zu.
Kaum sind wir wieder im Walde, als zwischen Fichten der Teufelstein am Weg erscheint. Er trägt sichtbar nicht die Spuren des teuflischen Pferdefußes, sondern die der eisernen Keile, welche die Bauern ins Gestein getrieben haben, um Stücke als Bausteine abzusprengen.
Gleich hinter dem Stein lichtet sich der Wald wieder, und das Kirchlein von St. Roman erscheint, umgeben von einem Waldmeer, auf grüner Oase, in welche der Staufenkopf malerisch hereinschaut.
Einsam sitzt am »Kälberbühl« im nassen Gras bei Regenwetter ein Hirtenmädchen und betet laut den Rosenkranz, während seine Kühe friedlich in seiner Nähe weiden. Vom Pfarrer erfuhr ich nachher, daß es hier schöne Sitte sei, beim Hüten und bei leichter Arbeit laut zu beten. So beteten z. B. die Mägde während des Melkens im Stalle laut den Rosenkranz miteinander. –
Beim alten, kleinen Kirchlein treffen wir den jugendlichen Pfarrherrn von St. Roman, erst seit einigen Wochen hierher versetzt. Ich gratuliere ihm zu dieser wunderbaren Waldeinsamkeit, die als ein Ort geistlicher Verbannung gilt, mir aber ungemein zusagen würde. Das Kirchlein, dem noch gotische Bauteile ein hohes Alter bezeugen, mag groß genug sein für die wenigen zerstreuten Buren und Völker, die hierher eingepfarrt sind, aber für eine Wallfahrtskirche ist es viel, viel zu klein. Doch das Hauptfest des heiligen Romanus wird ja im Hochsommer gefeiert; da wird dann eine Bergpredigt im Freien gehalten, und die Wallfahrer lagern in Gottes schöner Natur, die Tannenwälder ringsum bilden Spalier dazu, und die Menschen singen das alte, schöne Lied, das da anhebt:
Um Gnad' will ich anhalten,
O heiliger Roman!
Laß deinen Schutz obwalten,
Soll ich von hinnen gân.
Wollst meiner nicht vergessen,
Wenn Angst und Tod mich pressen,
Wenn Angst und Tod mich pressen,
O heiliger Roman!
Kaum hat auf der Höhe des Hügels, den das Kirchlein krönt, noch der kleine Kirchhof hinter demselben Platz. Auf ihm suchte ich das Grab des Fürsten vom Teufelstein. Er ruht, weil neben seiner Heli kein Grab frei war, neben seiner Lieblingstochter gleichen Namens, und ein niedriger, ziegelförmiger Stein besagt: »Hier ruht Josef Anton Fürst, Förster in Heubach, geboren 2. März 1809, gestorben den 27. April 1893. Er ruhe im Frieden.«
Hohe Grabsteine dulden Sturm und Wetter nicht auf diesem kühlen Gottesacker, um den die Winde heulen und die Tannen ächzen.
Er wollte im Wald begraben sein, der alte Jäger und Forstmann. Sein Wunsch ist erfüllt. Ringsum grüßen die Tannen seine Ruhestätte, und der Ostwind trägt ihm am Abend die Grüße zu vom Teufelstein und vom Abrahamsbühl herüber. Und ich sagte mir, da ich vom Grab aus Rundschau hielt über Wald und Weide: Hier ist es schön, schön zum Leben, schön zum Sterben und schön zum Begrabensein.
Wenn aber am Tage des Weltgerichts die Posaunen der Boten des lebendigen Gottes hier die Toten aus ihren Gräbern rufen und unter ihnen den braven Mann vom Teufelstein, und wenn er dann sich umsieht und seine Wälder wieder erkennt, wird er heimwollen ins stille Forsthaus auf dem Abrahamsbühl, und die Engel werden Mühe haben, ihn zu bringen in »Abrahams Schoß«. –
Vom Grabe des Fürsten weg stiegen wir hinab zum Wirtshaus. Hier sah und sprach ich seinen Freund, den einstigen Bachvogt, einen prächtigen Alten im blauen Wamms und kurzen Hosen. Aus seinen freundlichen, bartlosen, von scharfen Linien markierten Gesichtszügen schaut ein echter, behäbiger Schwarzwälder, ein Musterkopf für einen Holzschnitt von Albrecht Dürer.
Hier verabschiedete ich mich von dem Nachfolger des Fürsten, dem Waldhüter Dieterle, der nun in dem wunderbar einsamen Forsthaus Herr und Meister ist. Ich beachtete heute den mittelgroßen Mann mit seinen braunen Augen, seiner großen Nase und seinem blonden Vollbart nicht besonders.
Den Spätherbst über trat ich aber mit ihm in Korrespondenz wegen der Geschichte des Fürsten vom Teufelstein, und nun fand ich, daß der Dieterle auch ein Original ist.
Er schreibt dermaßen klar, sachlich und überall den Nagel auf den Kopf treffend, daß ich wissen wollte, wo er her sei und wo er seine Studien gemacht.
Er stammt aus dem Hirschbach, einem Tälchen des Wildschapbachtales im Flußgebiet der Wolf, und ist der Sohn eines Holzhauers und einer Mutter, die den Namen Clothilde trug, einen Namen, den ich in den Tälern der Kinzig und Wolf nie vermutet hätte. Seine Studien machte der Dieterle in der Volksschule in Schapbach, die in den sechziger Jahren einen Lehrer von Gottes Gnaden gehabt haben muß.
Ich wollte wissen, wie derselbe geheißen, und erfuhr, daß es der alte Alois Schneider gewesen, der in den siebziger Jahren als Lehrer in meinem Paradies Hofstetten starb und den ich gar wohl kannte. Er war ein lustiger, gesellschaftlicher Mann und deshalb auch im benachbarten Hasle sehr beliebt.
Die Haslacher nannten ihn, weil er imstande war, zweimal zu Mittag zu essen, den »hohlen Alise«. In seiner Jugend war er Lehrer gewesen in dem Schweizerort Ermatingen am Bodensee, über welchem Dorf bekanntlich das Schloß Arenenberg liegt, wo damals die Hortense mit ihrem Louis, dem späteren Napoleon III., wohnte und wo der Lehrer Alise dem Louis Unterricht gab im Deutschen. Wundern wir uns also nicht über Josef Dieterles Leistungen.
Aus der Schule entlassen, half der Sepple seinem Vater im Walde, bis er selbst ein Waldarbeiter wurde. Als solcher fing er an, in freien Stunden Bücher und Zeitschriften aller Art zu studieren.
Ein angehender Zwanziger, half er dem Fürsten vom Teufelstein, der drüben im Wildschapbach Waldungen aufnahm, als Forstgehilfe und faßte dabei hohe »Achtung und Liebe« zu dem alten, heitern Waldmann.
So ward er diesem bekannt, und der Fürst willigte gerne ein, daß der Ditierle, ein Holzhauer und Waldarbeiter, mit dem bescheidenen Titel Waldhüter sein Nachfolger wurde.
Wenn ich der Fürst von Fürstenberg wäre, der Dieterle stürbe mir nicht als Waldhüter. Einstweilen aber stellte ich ihn, den ehemaligen Waldarbeiter, auch an im Walddienst. Er mußte und muß mir als Vorarbeiter dienen zu meinen Geschichten über Waldleute und Erzbauern im oberen Kinzigtal, wo ich durch ihn deren noch manche entdeckt habe.
Die Schneeballen und wilden Kirschen im mittleren Kinzigtal hab' ich nun schon alle gemacht und gebrochen: ich bin jetzt eine Station weiter gezogen und habe Waldleute im oberen Heimatgebiet gesucht und gefunden.
Mit Hilfe der Feder Dieterles, der so klar schreibt, wie die Waldquelle ihr Wasser zu Tage fördert, hoffe ich noch von manchen Originalen erzählen zu können. –
So lebt denn heute auf dem Abrahamsbühl zwischen Wald und Wald abermals ein Naturmensch mit hellem Geist, und das freut mich.
Drunten aber im Heuwich im Auerhahn sitzen an kalten Winter- und an heißen Sommersonntagen die Holzmacher und die alten Flößer und reden von vergangenen Zeiten und vom Fürsten vom Teufelstein, ihrem Freund und Vater, von seiner Heiterkeit, seiner Biederkeit, von seinen Zigarren und von seinen Uhren und Drehorgeln, und der alte Bergmann Cyprian schließt, ehe sie auseinandergehen und in den Tälchen und Wäldern verschwinden: »So wie der Fürst kommt keiner mehr auf den Abrahamsbühl. Gott hab' ihn selig.«
Und durch die Tannen im Walde von St. Anton, drunten im Hirschgrund und droben im blauen Loch zieht allnächtlich ein leises Geflüster. Sie erzählen sich, die deutschen Waldkönige und -königinnen, vom greisen, toten Förster, der ein halbes Jahrhundert lang bei Tag und Nacht unter ihnen wandelte wie ein Vater unter seinen Kindern, und unter dem sie so groß geworden sind, daß sie jetzt den Aether des Himmels küssen, während er in kühler Erde modert.
Und die älteste und gewaltigste der Tannen im blauen Loch neigt ihr Geäste herab zu ihren jüngeren Brüdern und Schwestern und flüstert: »Wir Tannenbäume sind doch andere Wesen als die Menschenkinder; wir überleben sie, und während sie im Staube modern, wiegen wir uns im Sonnenlicht.«
Aber ein kleiner Tannerich ruft ihr höhnisch zu: »Alte Tante, rühme dich nicht. Gestern hat der Oberförster Gayer von Wolfe mit seinem Hammer, ohne daß du es in deinem Himmelsblau droben merktest, dir das Todesmal unten in den Stamm geschlagen, und bald werden der Wirtsbasche und der Schultoni kommen und dich zur Erde legen zum Nimmeraufstehen. Unser Vater und Förster aber kommt wieder, denn, so sagen sie, die Menschen sind unsterblich!«
Die alte Tannenmutter schweigt, und wehmütig flüstern die Tannen alle weiter und murmeln von Vergänglichkeit, bis die Sonne aufgeht von der Bocksecke her und der Morgenwind sie aufrüttelt zu neuer Lebensfreude.
Nur die greise Tannenkönigin kann die Mahnung nicht vergessen; sie schaut ängstlich aus ihrem Geäst herab, ob nicht der Basche und der Toni kamen und sie sterben müßte.
Sie seufzt und spricht zu sich selber: »Ich hab' viel verloren am alten Förster; er hat mich geehrt und geliebt und vor dem Tode bewahrt so manches Jahr. Jetzt soll auch ich sterben. Noch, es sei, er ist ja auch tot, er, der so oft singend und pfeifend an mir vorüberzog; ich will ihm nachfolgen und auch sterben.«
Sie schüttelt, in ihr Schicksal ergeben, ihre alten Aeste; die Vögel aber, die auf ihnen übernachtet, fliegen davon und singen ihr Morgenlied dem Gotte alles Lebens.