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Drei Wochen später.)
Viktor (sitzt mit dem Rücken gegen das Publikum am Schreibtische, vor ihm eine Studierlampe mit Schleier, sonst Halbdunkel im Zimmer. Der Hintergrund ist fast ganz dunkel. Viktor ist über eine Arbeit gebeugt.)
Karl (tritt von rechts ein. Bei der herrschenden Dunkelheit und dem durchs ganze Zimmer laufenden weichen Teppich bleibt sein Eintreten fast unbemerkt. Langsam, fast zögernd kommt er nach vorn. Er ist sehr ernst, etwas gebeugt und erscheint älter als im vorigen Akt. Er geht zum Schreibtisch und bleibt einen Augenblick, Viktor beobachtend, doch ohne von diesem bemerkt zu werden, vor demselben stehn. Dann geht er ebenso still nach rechts und läßt sich in einem Sessel nieder. Seine Stimme klingt müde.)
Karl. Guten Abend, Viktor.
Viktor (schrickt zusammen, greift nach der Lampe und leuchtet nach rechts herüber:) Wer – Papa! Guten Abend. Du hier. Womit kann ich dir dienen?
Karl. Bitte laß dich nicht stören – arbeite ruhig weiter. Ich –
Viktor. Bitte sehr. Das hat Zeit. Also?
Karl. Ach, gar nichts. Ich bitte dich, bleibe nur dabei.
Viktor. Aber – du mußt doch – ich werde übrigens die Lampe dort hinüberstellen.
Karl nervös: Nein . . . nein! Nicht doch! – Ich bin ja nur gekommen . . . es ist so . . . so einsam bei mir . . .
Viktor. Und weshalb gehst du nicht in den Klub?
Karl. Ich? – In den Klub?
Viktor. Nun ja, du bist bald vierzehn Tage nicht mehr dagewesen. Fritz hat mir gestern ordentlich seine Not geklagt. Er hält dich für krank.
Karl (schweigt.)
Viktor. Hat er vielleicht recht? Bist du nicht wohl?
Karl. O doch.
Viktor. Nämlich – nimm's mir nicht übel – mir 20 ist das auch schon aufgefallen. Ich finde, du siehst gealtert aus.
Karl. Gealtert?!
Viktor. Pardon! Ich meine nur . . .
Karl. Ja – ja – – ich weiß. Laß nur. Es wird schon so sein.
Viktor. Hast du vielleicht finanzielle Sorgen?
Karl. Bewahre. Wie kommst du darauf? Brauchst du etwas?
Viktor. O nein. Das heißt: ich habe mir da heute ein Bild gekauft. Wenn du die Güte haben wolltest, mir dreihundert Mark dafür zu bewilligen, könnt' ich es gleich bezahlen.
Karl. Schön. Morgen früh, nicht wahr?
Viktor. Jawohl, danke sehr. Ich habe ein gutes Gewissen, wenn ich darum bitte: ich werde nämlich von nächstem Monat an bedeutend sparen können.
Karl. Wieso?
Viktor. Ich – ich breche mit Angele.
Karl (schweigt.)
Viktor. Ich hab sie gründlich satt.
Karl (schweigt.)
Viktor. Ja. Und das merkwürdigerweise fast genau seit dem Tage, an dem wir uns – es ist ja nun wohl schon drei Wochen her – beinah um ihretwillen entzweit hätten. Und zwar obwohl du die große Liebenswürdigkeit gehabt hast, meinem Wunsche zu entsprechen und nicht mehr morgens zu erscheinen. Übrigens ist sie ja seitdem nur noch zweimal hier gewesen; seit bald vierzehn Tagen hab ich sie überhaupt nicht mehr gesehen: dreimal hintereinander hat sie mir abgeschrieben. Das paßt mir natürlich nicht mehr.
Karl. Hm. Und weiter hast du ihr nichts vorzuwerfen?
Viktor. O doch. Gott sei Dank. Denn ich möchte doch um alles gern vermeiden, mit ihr »in Freundschaft auseinanderzugehn«. Da hab ich nun 21 glücklicherweise die prachtvollste Gelegenheit, einen Bruch großen Stiles zu inszenieren. – Du kennst doch den Kollegen Löwenthal, der auf der Penne mein Intimus war?
Karl. Ich glaube, ja.
Viktor. Mit ihm zusammen hab ich die Angele kennen gelernt. Er hätte sie, glaub ich, auch ganz gern gehabt – jedenfalls interessiert ihn unser Verhältnis noch immer. Heute bekomme ich nun folgenden Brief von ihm. Hör' mal zu:
»Werter Ritter! Bade Dich und salbe Dich und lege Festtagskleider an Deinen Leib. Und mache Dich auf, gürte Deine Lenden und wandle zu Sigismund Löwenthal. Denn es gilt abzutun den Aussatz, so Deinen Leib befleckete und er will Dir helfen: die große babylonische Dame, der da Beelzebub den himmlischen Namen Angela gegeben – siehe sie betrügt Dich sehr und ihr Geruch ist nicht fein vor dem Herrn. Ein Greis, dessen Haupt voll Silber, doch dessen Hände voller Gold, wandelt zu ihr so Tag wie Nacht. Noch haben meine Augen ihn nicht gesehen, doch ist solches sicherlich wahr und ist auch sicher, daß selbiger Greis ihr einen Palast gemietet hat, bestehend aus zween möblierten Zimmern und einer Kammer. Alles Nähere von Angesicht zu Angesicht heut abend auf der bekannten Höhe der Situation, 7½ Uhr.
Es segnet Dein Haupt
Sigismund.«
Karl erregt: Geschmacklos!
Viktor. Dieser Bibelstil?
Karl. Überhaupt die – die ethische Tonart.
Viktor (überrascht:) »Ethische Tonart?«
Karl. Nun ja, ich finde das ekelhaft, zynisch . . .
Viktor. »Zynisch!« Du findest etwas zynisch! Aber Papa . . . Verzeih, wenn ich lache: aber das ist doch wirklich zu drollig.
Karl. Ja – ja. Es mag sein. Ich fange an drollig 22 zu werden. Wenigstens, diesen euren Zynismus – verstehe ich nicht, mag ich nicht. Ich finde ihn geschmacklos. Vielleicht nur, weil ihr noch jung seid. Als ich in eurem Alter war, da – da – habe ich aus Liebe geheiratet.
Viktor (nach einigem verlegenen Schweigen, ernst:) Hm – ich will ja auch bald heiraten.
Karl (laut auflachend:) Wunderbar! Wieder dieser großartige Gedankengang. Der scheint euch doch wie Gußeisen im Gehirn zu liegen. Man heiratet – oder – man heiratet nicht. Einer weiteren Differenzierung seid ihr nicht mehr fähig. Daß es einen Naturwillen gibt, der zwei besondere Menschen, zwei Einzelwesen, diesen Mann und dieses Weib zueinander führt, zueinander zwingt – und daß es Menschenpflicht ist, diesem Naturwillen nachzuspüren und ihm zu gehorchen – mit einer gewissen – gewissen Frömmigkeit des Fleisches – trotz aller Satzung und Gesellschaft . . . von all dem wißt ihr nichts. Ihr habt eure Sinne stumpf und brutal werden lassen – dem Geschlechtsgenuß habt ihr all seine feine Heiligkeit geraubt – das Gewissen eures Fleisches habt ihr getötet. – – Ihr liebt nicht mehr – ihr befriedigt euch, oder heiratet. Ach das ist wirklich widerwärtig! (Er geht rechts ab.)
Viktor (kopfschüttelnd:) Unglaublich!
Fritz (bringt eine Karte:) Der Herr wünscht Sie zu sprechen.
Viktor. Ich lasse bitten.
Fritz ab, (läßt Franz Kerner ein.)
Franz Kerner. Habe ich die Ehre mit Herrn Referendar Brandes –
Viktor. Mein Name ist Brandes.
Franz. Kerner.
Viktor. Bitte, mein Herr! (Er trägt die Lampe zum Sofatisch hinüber.) Nehmen Sie Platz. (Er klingelt.) Womit kann ich Ihnen dienen?
Franz. Ja – Sie müssen entschuldigen, Herr 23 Referendar, nämlich . . . (Fritz tritt auf). Ich komme in einer so zarten Angelegenheit zu Ihnen, daß ich . . .
Viktor. Pardon! Einen Moment! (Zu dem eintretenden Fritz:) Stecken Sie das Gas an! (Zu Franz:) Verzeihung! Bitte.
Franz. Ja – ich sehe voraus, daß Sie sich über meine Offenheit wundern werden, aber . . .
Viktor (zu dem beim Anstecken beschäftigten Fritz:) Alle Sechs.
Franz. Mein Vater war Pastor.
Viktor, (der bisher nicht auf Franz gehört hat, überrascht und erheitert:) Ach nein!
Franz. Ja – auf dem Lande.
Viktor (zu Fritz, der bei den Worten: »Mein Vater war Pastor« ebenfalls erstaunt zusammengefahren ist:) Schnell doch! – Also auf dem Lande?
Franz. Ja. Im Laufe des letzten Jahres sind jedoch meine beiden Eltern verstorben.
Fritz (geht rechts ab, sieht sich aber an der Tür noch einmal besorgt nach Franz um.)
Viktor (leise, verlegen:) Oh . . .
Franz. Ich stehe nun selbständig da und besitze die Mittel, für den Fall, daß ich demnächst eine Anstellung erhalte, einen Hausstand zu gründen.
Viktor. Anstellung? Sie sind – (auf die Karte sehend:) Ah der . . . Sie sind der Predigtamtskandidat. Ah . . .
Franz. Ja. – Sie wundern sich vielleicht ein wenig, daß ich Ihnen all dieses sage. Aber, wenn Sie erfahren, weshalb ich Sie aufsuche, werden Sie es – denke ich – begreiflich finden, daß ich Sie zunächst in meine persönlichen Verhältnisse einweihe.
Viktor (höflich:) Sicher! Sicher! Gewiß. Ich bitte Sie, Herr Kandidat . . .
Franz. Es betrifft nämlich Fräulein Angele Buchwald.
Viktor (behaglich lächelnd:) Ah – die Angele. Na?
Franz. Ja. Ich besuche nämlich häufig eine Familie, die schon mit meinem Vater bekannt war: die Müllers. 24 Jenny Müller feierte vor etwa einem Monat ihre Hochzeit mit dem Herrn Postsekretär Brotmann. Dazu war ich auch eingeladen und bei der Gelegenheit habe ich Fräulein Buchwald kennen gelernt.
Viktor. Ich weiß, weiß!
Franz (erfreut:) Ach – sie hat davon erzählt!
Viktor. Gewiß. Öfter sogar.
Franz. Und sie hat mir gleich so außerordentlich gefallen. Es ist wirklich ein seltenes Mädchen.
Viktor. Selten. So? – meinen Sie?
Franz. Ja. Ihr ernstes, selbständiges Wesen . . . ihre herbe Zurückhaltung und ihre klugen, überlegten Worte . . . Sie war so etwas ganz Neues für mich. Ich habe an jenem Abend gefühlt, daß mir doch noch recht viel fehlt und daß ein Mann nicht meinen darf, er sei nun fertig, wenn er auch in allem ehrlich seine Pflicht getan zu haben glaubt.
Viktor. »Ergänzung der geschlechtlichen Einseitigkeiten,« alte Geschichte.
Franz. Wie meinen Sie?
Viktor. Oh nichts. Nur eine jener berühmten Definitionen der Ehe, wie wir Juristen sie deichseln. Aber bitte!
Franz. Der Ehe. Ja. – Und seitdem habe ich sie dann sehr oft gesehen und habe sie immer lieber – immer lieber gewinnen müssen. Sie hat alles das, was mir fehlt und ich glaube wirklich, wir würden uns sehr glücklich ergänzen. Auch besitzt sie eine viel größere Lebensklugheit, als ich.
Viktor. Meinen Sie?
Franz. Ja. Und dabei hat sie doch ein tiefes Verständnis für meine einsam aufgewachsenen Gefühle.
Viktor (leise für sich wiederholend, wie um sich hineinzudenken:) »Für meine einsam aufgewachsenen Gefühle« . . .
Franz. Ich bin zu Ihnen gekommen, Herr Referendar, in der Absicht, ganz offen gegen Sie zu sein. So offen wie ein Mensch gegen den andern nur sein kann. Ich habe den Glauben, daß dies unsere Pflicht 25 ist, und daß sich die Menschen viel Trübsal und viele Wirren ersparen könnten, wären sie alle so offen gegeneinander. – Ich muß Ihnen sagen, daß ich Fräulein Buchwald liebe – so innig – so innig . . . (Sein Gefühl will ihn übermannen. Er hält einen Augenblick inne.) Als ich zuerst erfuhr, daß Fräulein Buchwald mit Ihnen verlobt sei –
Viktor. Verlobt?
Franz. Ja. Was . . .
Viktor (für sich:) »Was sonst.« (Laut, leichthin:) Sie nehmen das Leben sehr ernst. Nun ja – und da?
Franz. Ich weiß ja, daß noch keine öffentliche, formelle Verlobung stattgefunden hat . . . aber trotzdem, als ich es erfuhr, da wurde ich sehr, sehr traurig. (Auf einen Blick Viktors:) Ja. Ich konnte es mir nicht wegleugnen, daß ich nun einmal in ihr das Weib gefunden hatte, welches mir bestimmt sein mußte, wenn ich ein glücklicher Mensch werden sollte. Und – mir schien, als sollte ich das nicht. – – Ja. Und dann hatte ich noch einen viel größeren Schmerz zu erfahren – Ich mußte erfahren – sie selber hat es mir unter blutigen Tränen gestanden, daß – daß sie sich schon jetzt, vor der Zeit Ihnen ganz hingegeben hat.
Viktor (macht unwillkürliche heftige Bewegungen, bezwingt sich jedoch.)
Franz. Ich danke Ihnen, Herr Referendar, daß Sie mich so ruhig ausreden lassen.
Viktor. Bitte sehr, ich höre Ihnen mit Interesse zu.
Franz. In jugendlichem, mir unfaßbarem Leichtsinn hat sie so gefehlt. Aber auch Sie, Herr Referendar, haben unrecht getan.
Viktor. Ich auch? – Ach so, ja.
Franz. Ja. In einem schweren Kampfe habe ich da mit mir gerungen. – : Sollte, mußte ich mich nun von ihr lossagen? Konnte ich länger ihr mein bestes, mein tiefstes Gefühl weihen? – Da habe ich mich erinnert, wie Luther uns gelehrt hat, daß die Ehe eine 26 Forderung des natürlichen Lebens und nicht des geistlichen sei. Und ich empfand es als geistlichen Hochmut, dieses Verlangen des Mannes, daß die Vergangenheit des Weibes reiner sei als die eigene, ich durchschaute diese Forderung und erkannte, daß sie keine sittliche, sondern eine egoistische sei, hervorgewachsen aus dem Boden einer traditionellen Gesellschaftsmoral, mit der wir Männer unsere tatsächliche Machtstellung zu sanktionieren verstanden haben.
Viktor (springt auf. Als er sieht, daß auch Franz Miene macht, sich schüchtern zu erheben:) Bitte, bitte, behalten Sie Platz . . . bleiben Sie ruhig sitzen. Erlauben Sie mir nur, etwas auf und ab zu gehen. Ich bekomme kalte Füße. Es ist das ja kein Wunder – bei dieser Witterung. – Nun? Und da?
Franz. Da habe ich mit ihr geredet. Ich habe zu ihr gesprochen: erst als Mensch, meiner menschlichen Pflicht folgend, habe sie ermahnt, sie an ihre – (ganz leise:) Weibesehre erinnert. Aber dann, als ich gewahrte, wie meine Worte auf fruchtbaren Boden fielen, dann habe ich mit ihr geredet, wie der Mann, der eine tiefe, unabänderliche Leidenschaft empfindet, zu diesem Weibe, welches ihm . . . für welches er – bestimmt ist.
Viktor. Rauchen Sie?
Franz (ohne ihn zu hören, mit überströmendem Gefühl aufspringend:) Seien Sie nun großmütig, Herr Referendar! Großmütig, wie Sie bisher gewesen! Sie haben sie, die blutarm war, als Ihre Braut reichlich unterstützt. Sie haben das arme Mädchen aus niedrigen Verhältnissen erwählt, obwohl Ihnen doch sicherlich die Wahl zwischen reichen, jungen Damen von großer gesellschaftlicher Stellung freistand. Es muß Ihnen hart sein, sie jetzt zu verlieren, denn auch Sie müssen sie sehr geliebt haben. Aber ich – ich darf diese Seele nicht verlassen, die Gott für die meine geschaffen hat – seien Sie nun großmütig! Schuldlos an der Wandlung in ihrem Herzen, hat 27 sie es nun mir geschenkt. Und mir, dem Lebensfremden, stets Vereinsamten, ist sie nun alles – alles . . .
O achten Sie Angele darum nicht geringer! Denken Sie: das arme, junge, unerfahrene, alleinstehende Mädchen . . . wie die Dankbarkeit, die Bewunderung sie so ganz für Sie, ihren Beschützer, ihren wahren großmütigen Freund einnehmen mußte . . . wie leicht, wie natürlich es war, daß sie diese Gefühle für Liebe hielt, (wieder ganz leise:) für die Liebe, welche die Ehen heiligt. – (Steht auf.) Und denken Sie auch an Ihre Schuld! Verzeihen Sie – aber ich muß auch daran rühren. Müssen Sie sich nicht verantwortlich fühlen, wenn Angele jetzt, wo zum ersten Male die – echte, die wahre Liebe ihr Herz bereichert und bewegt – wenn sie jetzt – (wieder mit gesenkter Stimme:) beschämt, mit gesenkter Stirne vor dem Manne ihrer Wahl dasteht?
lSeien Sie großmütig, Herr Referendar! Sühnen Sie Ihre Schuld! Nehmen Sie die Schuld von ihr! Geben Sie Angele frei! Geben Sie uns das Glück! (Er steht zitternd vor Erregung und streckt beide Arme Viktor entgegen.)
Viktor (ist sehr ernst und verlegen geworden. Er faßt, einem plötzlichen Impulse folgend, Franz' Hände:) Ich . . . beneide Sie! Es ist alles so einfach – so gut und so einfach . . . (Die Hände wieder loslassend, leise:) Und doch – Sie tun mir sehr – sehr leid.
Franz, (ängstlich:) Wie – darf ich das verstehen?
Viktor, (der ratlos nach links gegangen ist:) Ich schäme mich. Schäme mich vor Ihnen. Ich weiß nur nicht . . . für wen? . . . warum? (In nervöser Erregung:) Ich glaube, ich möchte Sie am liebsten – (versucht zu lachen.) Aber – ich kann nicht.
Franz. Und können Sie nicht offen gegen mich sein, wie ich es gegen Sie war?
Viktor. Nein – das ist es ja eben. – Ich besitze nicht die Qualifikation zum Henker. Ich bin feige . . . Halt! (Nach der Uhr sehend:) Der Kollege Löwenthal! Das wäre hier der Mann der Situation – ja – 28 (Laut; möglichst leichthin:) Sagen Sie, lieber Herr Kandidat – würden Sie sehr abgeneigt sein, unsere Unterredung zu verpflanzen? Sie könnten mir nämlich einen großen Gefallen tun. Ich habe halb Acht ein Rendezvous mit einem sehr lieben Freunde von mir, meinem Kollegen Löwenthal – hier gleich in der Nähe, drei Häuser.
Franz (gekränkt, resigniert:) Ich will nicht im Wege sein.
Viktor. Nein, nein – im Gegenteil, ich möchte Sie nämlich bitten, mitzukommen. Es handelt sich bei diesem Rendezvous . . . es handelt sich zufälligerweise – ebenfalls um – Angele.
Franz (erschrocken:) Um – Fräulein Buchwald? Mit Ihrem Herrn Kollegen Löwenthal. –
Viktor. Ja. Er schrieb mir, daß er mir über sie Mitteilungen zu machen hätte, die jetzt – nach Lage der Dinge Sie wohl ebensosehr, wenn nicht mehr interessieren dürften, als mich. – Sind Sie bereit?
Franz (nickt.)
Viktor. Ich mache Ihnen den Vorschlag, daß wir ihm Ihre innere Beteiligung an der Sache zunächst nicht verraten, daß Sie vielmehr unserem Gespräch über Angele ruhig zuhören. – Die – na, sagen wir – »ethische Tonart« des Kollegen Löwenthal dürfte uns manche Auseinandersetzungen ersparen. – Einverstanden?
Franz (tonlos:) Ja.
Viktor. Verzeihen Sie einen Augenblick. Ich stehe sofort zu Ihrer Verfügung. (Er geht links ab.)
Franz (wankt; sinkt gebrochen in einen Sessel:) Also – doch! – O Gott! Mein Gott! – Verbirgt den Kopf in die Hände.
Viktor (tritt, zum Ausgehen angezogen, wieder ein.)
Franz (bemerkt ihn nicht.)
Viktor, (bewegt, auf ihn zu:) Lieber Herr Kandidat! Es ist ja nur ein Weib. –
Franz (erhebt sich, blickt Viktor groß an. Mit eigentümlicher Betonung:) Nur ein Weib. – Ja. –
Viktor. Ist es Ihnen recht? Wollen wir gehen? (Öffnet die Tür.) Bitte.
(Franz ab, Viktor ebenfalls.) 29
Viktors Stimme (draußen. Die Tür steht noch offen:) Na endlich! Konnten Sie denn nicht früher kommen? Ich erwarte Sie seit zwei Stunden. Jetzt hab ich keine Zeit mehr. Fritz, Sie werden das nun beaufsichtigen. Also genau an die Stelle. Sie werden den alten Haken benutzen können.
(Man hört das Murmeln anderer Stimmen, darauf:)
Fritz (riegelt den zweiten Türflügel auf.)
Zwei Dienstmänner (tragen ein großes Ölgemälde hinein.)
Erster (rückwärts eintretend:) Ist ja nicht nötig. Jotte doch.
Fritz. Vorsicht! Langsam! Daß Sie nichts abstoßen.
Zweiter. Haben Sie nur nicht so'ne Bange, Männeken! So abstoßend sind wir nicht.
Erster. Holen Sie lieber die Himmelsleiter.
Fritz (ab.)
Erster. Hast du noch einen?
Zweiter. Da! (Gibt ihm seine Flasche.) Halt! (Trinkt ebenfalls. Zu Fritz, der mit der Trittleiter wieder eintritt, die Flasche anbietend:) Alter Herr?
Fritz. Danke.
Erster. Na gib her. Sein Herr trinkt besseren! (Trinkt aus und hält die Flasche hoch:) Wieder eine denaturiert!
Fritz. Na . . . dalli! dalli!
Erster. Jotte doch. Sie glauben wohl, Sie sind hier aufs Hürdenrennen, und Sie hätten man so auf'n Start zu wedeln.
Fritz. Na nun kommen Sie schon. Lassen Sie uns die Möbel abrücken.
Zweiter. Wo soll denn det Leinöl hin?
Fritz. Da übers Sofa.
Zweiter. Und die Tante da mit die Proppenzieher?
Fritz. Die kommt eben runter.
Zweiter. Armes Luder – so'ne runterjekommene Tante . . . (Das Bild betrachtend:) Die is ooch jar nich mehr Mode.
(Sie rücken das Sofa ab, stellen die Trittleiter an und nehmen das Bild ab.)
Fritz (dreht das Gas aus.) 30
Zweiter (hebt das neue Bild dem Ersten in die Höhe. Das Bild stellt ein fast lebensgroßes, halbnacktes Weib dar, welches von einem alten Orientalen mit einer empfehlenden Gebärde feilgeboten wird.)
Fritz (halblaut:) Auch nicht übel! Auch nicht übel.
Erster. Ihr Herr ist wohl Fleischbeschauer?
Zweiter. Schweig stille: die Sau ist trichinenfrei. Det laß ick mir jefallen! (Schnalzt.)
Fritz. So – fertig. Schön.
(Rückt mit ihnen die Möbel wieder zurecht.)
Zweiter. Na, guten Abend, alter Herr.
Erster. n'Abend.
Fritz. Halt! Das Bild kommt nach hinten.
Erster. Ach so: die Tante.
(Sie tragen das Bild hinaus, Fritz folgt ihnen mit der Trittleiter. Sie lassen die Tür offen stehn. –)
Angele (tritt schnell durch die offene Tür.) Na nu . . . alles offen . . . und niemand da? (Unruhig auf und ab.) Ach – mir klopft das Herz – – Ach was! – – Mehr als – und ich will ja gerade . . . Das heißt . . .
Karl (erscheint in der Tür.) Was suchst du hier?
Angele (zusammenfahrend, aber schnell gefaßt:) Dich. – Guten Abend, sagt man.
Karl (tritt ein und schließt die Tür hinter sich, leise, ernst:) Hab ich dir nicht ausdrücklich verboten, mich zu Hause aufzusuchen?
Angele. Mein Gott, sei doch nicht so unfreundlich. Ich habe eben eine besondere Ursache. So setz dich doch nur erst mal hin!
Karl. Also dein Besuch gilt nicht Viktor?
Angele. Wenn du in diesem Tone weiter sprechen willst, werde ich gehen. – Willst du dich also setzen?
Karl. Gleich. (Er geht zur Türe rechts und öffnet dieselbe schnell.)
Fritz, (der davor gestanden hat, wird gestoßen:) Geh nach Rexhausen und hol die Zigaretten ab, die ich gekauft habe. (Schließt die Tür und setzt sich.) Bitte, sprich dich aus!
Angele (befangen:) Ich – hätte es dir doch lieber schreiben sollen. Du bist so – so kalt.
Karl. Kalt. Hm. 31
Angele. Und du bist doch sonst so . . . du hast mich, obwohl wir uns erst kurzeZeit kennen, so ganz anders – so – achtungsvoll – so nett behandelt. Ich hatte das von dir am wenigsten vermutet. So ganz anders, wie – wie die andern . . .
Karl (zwischen den Zähnen:) »Wie die andern«. (Mit einem tiefen Seufzer:) Ja! – Leider! Ich muß. Ich kann nicht . . . Senile Velleitäten.
Angele. Ich habe es stets dankbar herausgefühlt. Und – die Menschen sind doch immer nur, was man aus ihnen macht.
Karl (weich:) Liebe Angele! Wie freue ich mich, wenn ich dich so sprechen höre. Sieh, das ist ja, was du fühlen sollst. Selbstachtung. Weißt du, was das heißt: Selbstachtung?
Angele (nickt.)
Karl (rückt ihr näher und faßt ihre Hand. Mit leiser, weicher Stimme:) Siehst du. Nur das will – ich. Weiter nichts. Das hab ich ersehnt, erhofft. Darauf hab ich gewartet und wollte noch lange, lange warten . . . Du liebe . . . (Er faßt ihre Hand.) Und weshalb bist du zu mir gekommen, mein liebes Kind?
Angele (abgewandt:) Ich will weg.
Karl. Wie?
Angele. Ich will fort.
Karl. Fort? Was heißt das? Fort von Berlin?
Angele. Ja.
Karl. Fort von mir!
Angele (schweigt.)
Karl. Unmöglich! Und eben sagtest du noch . . . Angele!
Angele. Ja – ich sagte, daß du – daß du aus mir eine andere gemacht hättest. Und . . . das schien dich zu freuen.
Karl (höhnisch:) Ah – jetzt versteh ich. Also daher die Komödie. Hm. – »Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag« . . . So, so. Wer ist denn der Glückliche, wenn ich fragen darf? 32
Angele. Karl –
Karl. Na – na – na, laß nur! Es ist gut. Ich verzichte. (Er steht auf. Gezwungen kalt.) Also bitte, laß dich nicht abhalten. Meinetwegen reise, wohin du willst. Wünschest du noch Geld? Es steht dir zur Verfügung. – – Es tut mir außerordentlich leid, meine Teure, dich nun entbehren zu müssen. Auch Viktor wird es möglicherweise noch leid tun, wenn du jetzt schon freiwillig gehst. Und wem mag es noch leid tun – was weiß ich – man verläßt eine Stadt wie Berlin nicht leicht, ohne sich viele Freunde gemacht zu haben. – Schade! Wir haben vergnügte Stunden mit dir verlebt. – Aber schließlich – müssen wir uns in das Unvermeidliche fügen. Das heißt – Pardon! Ist es wirklich so unvermeidlich? Überleg es dir! Vielleicht ließe sich auch hier wieder das – Nützliche mit dem Nützlichen vereinen – he?
Angele. O – Karl –
Karl. Du weinst, wie es scheint. Sonderbar. Wie machst du das? Pah! die Natur ist selber eine Dirne. Mich hat sie aus frivoler Laune zu dem possenhaften Lose verurteilt: wieder und wieder – verachten zu müssen, wo ich liebe – lieben zu müssen, wo ich verachte! O Gott – worauf wartest du noch?
Angele (erhebt sich und geht langsam zur Tür nach rechts.)
Karl (sieht ihr mit steigender Angst nach. Als sie hart vor der Tür steht, im höchsten Affekt:) Angele!
Angele (bleibt abgewandt stehen.)
Karl (eilt auf sie zu, führt sie zu einem Sessel und wirft sich vor ihr nieder:) Du darfst nicht gehen! Du darfst nicht gehen! Mein! Du bist mein! Du gehörst mir! Ich will dich behalten . . . ich . . . Habe doch Mitleid, Kind! Nur Mitleid! Tritt mich mit Füßen, mißhandle mich, mache mit mir, was du willst, fordere, was du zu denken vermagst – aber laß mich bei dir, bei dir: stoß mich nicht von dir! Ich fühl es: du bist das letzte Weib, das mich so entzücken kann – das letzte Weib. Nach dir ist nichts – das leere Alter – der Tod . . . Angele! 33
Angele, (geschmeichelt lächelnd, legt die Hand auf seinen Kopf. Gutmütig:) Karl! Steh doch lieber auf. Wenn dich jemand so sieht.
Karl. Nein – laß mich! So hab ich dich. So halt ich dich. O bleibe bei mir, Angele! Stoß mich nicht von dir! –
Angele. Ich wollt es ja auch lieber nicht. Aber wenn du mich verachten mußt . . .
Karl. Ich dich verachten! Höre doch nicht darauf: es ist ja Torheit, lächerliche Überhebung, wenn ich so etwas sage. Wo nähme ich die Kraft her, die wir brauchen, um zu verachten. Ich – was bin ich neben dir! Du das herrliche, üppige, reife Weib, die Gebieterin, die alles fordern darf – und ich – ich – (Verbirgt seinen Kopf in ihrem Schoß.)
Angele (erschreckt, verschüchtert:) Aber Karl – mein lieber Karl . . .
Karl (sanft, halblaut:) O ja, nenne mich so. Nenne mich »mein lieber Karl«. Und lüge nicht dabei, Angele. Hörst du: lüge nicht dabei. Sieh: es ist so unendlich rührend, wenn du, du so gut und freundlich zu mir sprichst. Dann wird es mir, als hätt ich mich doch im Leben geirrt, als hätte mich doch vielleicht auf Erden jemand lieb. – – O Gott: und wenn es nur eine Täuschung ist, es ist so schön – so schön . . .
Angele (ihn streichelnd:) Mein lieber Karl! So weine doch nur nicht. Es ist ja keine Täuschung. Ich habe dich ja wirklich lieb. Viel, viel lieber als ich je einen anderen Mann gehabt habe.
Karl (schaut sie groß an:) Ist das vielleicht – wahr?
Angele. Ja!
Karl (richtet sich langsam auf, blickt sie fest an und faßt ihre Hand:) Du – hättest mich lieb?
Angele (aufrichtig, aus vollem Herzen:) Ja!
Karl. Und weshalb wolltest du von mir gehen?
Angele, (welche bis dahin den groß auf sie gerichteten Blick Karls ruhig erwidert hat, schlägt die Augen nieder und wendet sich verlegen ab:) Weil ich – ja, es ist das so schwer zu sagen. 34 Und es ist doch so einfach. Ich fühlte, und du sagtest es ja auch, daß du . . . daß du mich verachten müßtest und das . . . das kann ich nicht ertragen. Das quält mich. Und weil du nicht anders kannst – muß es auch dich quälen. – – Und da meinte ich: es wäre wohl das beste . . . wenn ich ginge.
Karl (blickt schweigend, ernst prüfend auf sie nieder.)
Angele, (deren Hand er noch immer hält, vermeidet es, ihn anzusehen.)
Karl (nach einigem Schweigen:) Sieh mich an, Angele!
Angele (sieht zu ihm auf.)
Karl. Und nun antworte mir: ist es wirklich nur dies, was dich von mir treibt?
Angele (mit einiger Anstrengung:) Nur dies.
Karl. Nichts anderes?
Angele. – Nein.
Karl. Angele! Höre mich jetzt an. Ich will dir glauben. Ich muß dir glauben. Bedenke: was das heißt! – – Ich habe Liebe gesucht. Ich habe eine Frau zu meinem Weibe gemacht, welche ich liebte, inbrünstig mit aller Hingebung meiner Jugend. Sie hat mich betrogen. Ich selber aber – bin zum Wüstling geworden, zum Zyniker, der sich zwang, die Weiber zu genießen wie die Austern und den Burgunder . . . Dann aber – nachdem ich dich meinem Sohne weggenommen hatte, wie eine Sache, an der man kein Eigentum anerkennt, – als ich dich kennen lernte, dich besaß und du mich entzücktest, wie nie ein Weib zuvor – da war es, als ob der gewonnene Genuß nur eine neue reinere Begierde erweckte, da ist meine Ruhe, meine Selbstbehaglichkeit, all meine Sicherheit vernichtet worden und die alte unendliche, unbändige Sehnsucht nach Leidenschaft und Liebe, die ist aus meinem Herzen wieder emporgebrochen, hat mich aufs neue beseligt und gemartert und noch einmal hab ich mich ihr hingegeben – hingegeben mit der – mit der – mit dieser zähen Sucht, dieser . . . Weißt du nun, was es heißt: ich glaube dir? – 35
Angele (schüchtern:) Ja. –
Karl (beugt sich nieder und küßt sie auf die Stirn:) Mein Weib! – Nun wird alles so gut werden. So einfach. Nun werden wir beide Berlin verlassen, denn hier . . .
Angele. Ja, ja, laß uns gleich morgen reisen – ja?
Karl. Gleich morgen – ja
Angele. Mein lieber Karl!
Karl. O du . . . (Man hört draußen eine Tür gehen.) Halt! Das könnte Viktor sein. Komm! Rasch! durch das Schlafzimmer hinaus.
(Beide eilen links ab. In dem Augenblick, wo Karl die Tür schließt, öffnet Viktor die Tür rechts und läßt Franz Kerner eintreten. Dann folgt er nach.)
Karl (tritt von links wieder ein:) Verdammt! Die Tür ist verschlossen. (Er läßt die Rechte auf der Türklinke ruhn und bleibt so stehen.)
Viktor, (nachdem beide eingetreten sind, ohne Karl zu bemerken, freundlich zu Franz:) Setzen Sie sich nun, lieber Herr Kandidat, und beruhigen Sie sich. Sie ist das wirklich nicht wert.
Franz (bleibt stehen und starrt verlegen Karl an.)
Viktor (folgt seinem Blick und entdeckt nun ebenfalls Karl:) Ah – da ist er ja! (Lachend.) Guten Abend, Papa! Das ist famos! Darf ich dir deinen Kollegen, den Herrn Pfarramtskandidaten Kerner vorstellen!
Franz (mit tiefer Verbeugung:) Sehr angenehm!
Viktor (brutal:) Ei verflucht! Na ja, solamen miseris socios habuisse malorum – ja – ja! Ach was, lassen Sie mich nur ruhig lachen und spotten. Mein Vater verträgt's – und Sie – stählen Sie sich in diesem Lachen, das nicht ich allein, das mit mir die ganze Welt lacht – stählen Sie sich in ihm wie in einer kalten Dusche. (Ironisch, feierlich.) Vater – du bist erkannt! Der Kollege Löwenthal hat dich zur Strecke gebracht. Du bist der Greis, dessen Haupt voll Silber, doch dessen Hände voller Gold und wandelst zu ihr so Tag wie Nacht.
Karl (vornehm:) Wenn du mit diesen geschmacklosen, 36 in Gegenwart dieses fremden Herrn doppelt taktlosen Äußerungen auf meine Beziehungen zu Fräulein Angele Buchwald anspielst, so verbiete ich dir hiermit jedes weitere Wort. – Ich schätze Fräulein Angele Buchwald sehr hoch, sie wird vielleicht bald meine Frau heißen und ich denke, daß ich der Mann sein werde, ihr als solcher Respekt zu verschaffen. Freilich werden wir dir und deinesgleichen mit Vergnügen das Feld räumen und schon morgen Berlin verlassen. Die Welt ist gottlob größer und dein Milieu nicht das einzige.
Viktor. Ich halte das für einen etwas frostigen Scherz.
Karl (aufbrausend:) Scherz!? Junge – nimm dich vor meinem Ernst in acht! Sie wird als deine Mutter gelten mit demselben Rechte, mit dem ich als dein Vater gelte. Du wirst das anerkennen und schweigen. (Indem er die Tür aufreißt:) Komm heraus, Angele! Wir brauchen uns nicht zu verstecken. Wir haben nichts zu scheuen, denn wir haben den Mut unserer – unserer Liebe.
Angele (tritt merklich selbstbewußt ein. Als sie jedoch Franz Kerner erblickt, stößt sie einen Schrei aus und wankt zurück. Karl eilt zu ihr.)
Viktor. Au weh: Das hat sie nicht vermutet.
Karl (gleichzeitig:) Was ist – was ist dir denn?
Franz (vortretend:) Nur ein paar Worte, Herr Brandes. Die Wahrheit sehen –
Angele (ihn wild unterbrechend:) Hör ihn nicht! Laß uns gehen! Gleich! Schnell! Er lügt. Er ist verrückt! Ich will dir das später alles erklären – laß uns gehen! (Sie will ihn mit sich ziehen.)
Karl (fest:) Nein. Ich muß ihn . . .
Angele (außer sich:) Karl! Nein! Du darfst ihn jetzt nicht hören! Später! Glaube mir doch! Traue mir doch! Hast du mir nicht eben erst versprochen, daß du mir glauben willst. Hast du nicht . . .
Karl (mit einem düstren Blick auf sie:) Laß ihn sprechen! 37
Franz. Dieses Mädchen ist meine Braut. Das heißt: sie war es. Denn nun habe ich wohl erkannt, daß sie eine verworfene, eine herzlose Dirne ist, die mit den Männern ihr Spiel trieb und schließlich glücklich das ihr Begehrenswerteste erreicht zu haben scheint, da ihr der Reichste von uns die Hand zur Ehe bietet. Auch ich hatte ihr die Ehe versprochen und schon in wenigen Tagen wollte ich mit ihr Berlin verlassen, sie auf das Land – in meine Heimat – in mein Vaterhaus führen. Da ist sie noch vorher zu Ihnen gegangen, sie hat sehen wollen, ob von Ihnen nicht vielleicht doch etwas noch Besseres zu erreichen sei, und ich denke mir, daß sie gerade durch die Drohung, fortzugehen, Sie dazu gebracht hat, ihr auch eine solche Versprechung zu machen, wie ich.
Karl, (seine fürchterliche Aufregung niederkämpfend, zu Angele zwischen den Zähnen durch:) Nun?
Angele (wirft sich ihm zu Füßen:) Mitleid, Karl! Habe Erbarmen! – Es ist wahr, ja, es ist wahr, was der Mann spricht . . . aber trotzdem, – hörst du, trotzdem, ich habe dich lieb – nur dich! Das hab ich nicht gelogen . . . das nicht – ich fühl es erst jetzt . . . oh Karl!
Karl (hat bei den Worten »nur dich« aufgelacht. Er lacht weiter, stärker, lauter) . . . O ich . . . ich . . . ich – Also richtig beinah wieder auf den Leim gekrochen. – Ich werde doch auch nicht alle. (Munter, leichthin zu Franz:) Ich danke Ihnen, mein Herr, für Ihre gütige Aufklärung. (Ihm die Hand schüttelnd:) Ich danke Ihnen herzlich! – Aber so steh doch auf, Angele! Es ist ja schon gut. Es tut dir keiner was. (Angele erhebt sich.) Man muß das Leben nicht tragisch nehmen, Kind. Was? Tut mir ja leid, daß du nun nicht Frau Pastor wirst – aber, du lieber Gott, wer weiß, ob's dir auf die Dauer gefallen hätte. So bleibst du nun hier in dem großen, amüsanten Berlin und wenn du nichts dagegen hast, bleiben wir auch gute Freunde. Wie? Wir werden uns schon arrangieren . . . he?
Angele (schüttelt den Kopf.) 38
Karl. Du willst nicht?
Angele. Nein.
Karl. Weshalb nicht?
Angele. Ich kann nicht.
Karl. Du kannst nicht. Schön. Dann geh!
Angele (sieht fragend zu ihm auf.)
Karl. Nun ja – so geh doch!
Angele. Wohin?
Karl. Wohin! Welche Frage! Auf die Straße. Wohin denn sonst . . .
Angele (sieht ihn an. Er weicht ihrem Blick aus:) Ja – das – kann ich. (Sie geht langsam nach rechts ab. Alle drei verharren noch einen Augenblick, nachdem sie die Türe geschlossen hat, in gespanntem Schweigen. Dann plötzlich:)
Franz auffahrend: Nein! Nein! das darf nicht . . . das . . . Er greift nach seinem Hute: Verzeihen Sie. Adieu! Er eilt rechts ab.
Viktor (lacht.)
Karl (die Achseln zuckend:) Immer wieder dasselbe!
Ende.