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Der Palast ist dunkel. Mondlicht. Das Grab in der Arena wird hell. Stufen führen hinab ins Gewölbe. Bewaffnete von links bringen Antigone in Ketten. Sie nehmen ihr die Fesseln ab und entfernen sich. Aus der Schar löst sich Hämon und bleibt zurück. Antigone steht, mit dem Rücken ihm zu, dicht vor dem Grabe.
Hämon. Antigone.
Hämon
Antigone!!
Antigone
Du, Hämon?
Hämon
Ja, ich bins.
Antigone
Das Licht verrät dich den Spionen.
Folge mir nicht!
Hämon
Ich hasse dich.
Antigone
(wendet sich um)
Hämon
Du hängst dein Herz an einen Toten.
Antigone
Wir stehn an meinem Grabe.
Noch bin ich nicht geläutert,
Wenn ein Mensch mich hassen kann.
Hämon
Du lagst in meinen Armen.
Du bist nur eine Frau!
Frauen will ich peitschen lassen;
Sieger in Schlachten sein.
Könige sollen mich grüßen.
Auf meinem Schwert blitzt Männlichkeit.
Antigone
Was weißt du von mir!
Bist du es, Hämon,
Fremde Stimme, die mein Herz nicht hört?
Hämon
Liebe den Toten nur!
Ich will leben zu meiner Größe.
Weiber sind da, um zu lieben.
Antigone
Was ist Liebe!
Hämon
Liebe ist Ruhm.
Antigone
Hilfe den Schwachen, Kampf für die Welt –
Liebe ist Menschlichkeit.
Hämon
Die ärmsten Menschen knien vor dir.
Weshalb kann ich es nicht?
Sohn des Königs: werde Mensch.
Denke, wenn deine Sterne aufgehn,
Daß du Sohn einer Mutter bist.
Hämon
Weshalb muß ich dich hassen?
Antigone
(geht schweigend einen Schritt näher)
Hämon
(zitternd)
Sage ein Wort!
Antigone
Dein Herz ist rein.
(Er sinkt hin.)
Du wirst mein Werk verstehen,
Du wirst meinen Namen bekennen
Du wirst weinen um dich und mich.
Deine Seele ist das Bild der Welt.
(sie legt die Hände auf ihn)
Noch eine Flamme Zeit
Möchte ich mit dir dauern,
Dich schützen, dir dienen,
Deiner Leiden Schwester sein.
Du hast mich geführt;
Du hast mir die Berge der Freiheit gezeigt.
Schon darf ich hoffen!
Ich liebe dich
Und verlasse dich, Freund.
Hämon
Ich rette dich!
(Ab nach links.)
Ismene
(von rechts)
Ich schlich durch die Männer.
Sie schlafen. Keiner wacht.
Komm!
Antigone
Wohin?
Kein Fluß wird die Flamme löschen
Der Rache über mir.
Ismene
Rette dich!
Antigone
Hier will ich bleiben.
Ismene
Du hast genug getan.
Antigone
Soll ich leben,
Bis Mörder mich erschlagen?
Du wirst die Welt nicht ändern,
Unrecht nicht wandeln in Gerechtigkeit.
Antigone
Besser, gut sein als weise!
Ismene
Was willst du tun?
Antigone
Zu Ende gehn,
Damit das Licht entspringt.
Solang ich lebe, muß ich sterblich sein.
(Sie streckt die Hände aus.)
O fühle, daß wir Frauen sind!
Du bist mir nah.
(Sie halten sich umschlungen.)
Ismene
Gibt es nicht Männer?
Antigone
Auf der weiten Flur
Sind die Männer zur Schlachtbank geführt.
Ismene
Wer bleibt noch?
Antigone
Du und ich.
Ismene
Ach, Frauen nur.
Ihr Frauen, unterjocht und untertan,
Brecht auf, ihr Frauen, aus dem engen Geschlecht!
Geht hin und opfert euch.
Ismene
Läßt Gott uns würdig sein?
Antigone
Ihr seid es schon durch meine Tat.
Ismene
Werden alle es sein?
Antigone
Ja, alle, alle –
Ismene
Wir kämpfen für dich!
(Ab nach rechts.)
Antigone
(allein)
Toter Mensch in deines Grabes Halle,
Ferne Seele, ungewisses Licht:
Was soll ich tun,
Bis ich frei von Lust, frei von Schmerz
Zu dir untergehen kann?
Was kann ich tun, daß alle mir glauben,
Welches Opfer ist groß genug?
Wenn Liebende zittern im Frühling am Schicksal,
Wer wird sagen: Antigone –
Du hast uns geholfen. Wir glauben dir!
Ich bin schwach, so schwach vor dem Tode.
Sprich aus dem Grabe! Antworte mir.
(Schweigen. – Das Grab wird dunkel.)
(Der Palast wird hell, die Arena ist dunkel.) Hämon. Kreon.
Hämon
Ich hörte, was geschah.
Kreon
Was willst du wissen?
Hämon
Was Recht und Unrecht ist.
Kreon
Du liebst sie noch?
Hämon
Antigone!
Kreon
Sie lebt nicht mehr.
Hämon
Was tat sie?
Frag mein Volk.
Hämon
Sie sagen –
Kreon
Was sagen sie?
Hämon
Daß sie im Rechte sei.
Kreon
So wächst die Lüge noch aus ihrem Grab.
Zertreten hab ich sie, ein Tier,
Das falsch mich in den Rücken sticht.
Tue das gleiche.
Hämon
Doch ich liebe sie!
Kreon
Die Dirne!
Hämon
Sie ist eine Frau.
Man lehrte mich, die Frauen zu achten.
Kreon
Wir sind Männer und fürchten Weiber nicht.
Hämon
Gib mir Antigone!
Mag sie gesündigt haben, ich rette sie.
Ich führ sie als die Treueste dir zu.
Bin ich eins mit der Verbrecherin?
Hämon
Du glaubst mir nicht?
Kreon
Sie büßt für ihre Schuld.
Hämon
Antigone wird meine Gattin werden.
Kreon
Mit ihrer Leiche wird es lustig sein.
Hämon
Sie ist unschuldig!!
Kreon
Schon einmal hört ich das.
Hämon
Hör es von allen!
Kreon
Wer ist der Herr??
Hämon
Ein großer König tötet eine Frau.
Kreon
Die Liebe macht dich irr.
Hämon
Bist du ein Mensch?
Erst bin ich König.
Was drohst du mir?
Hämon
Ich warne dich.
(Ab durch den Palast.)
(Geräusche steigen auf.)
Kreon
(tritt einen Schritt vor und starrt in das Dunkel)
Stirb, kleine Geburt,
Für des großen Zweckes eherne Tafel.
Ich herrsche. Ich bin im Recht.
(Die Geräusche wachsen. Sturm.)
Kreon
(fährt auf)
Anführer!
Anführer
(tritt aus dem Palaste)
Herr?
Kreon
Was ist das für ein Lärm?
Anführer
Das Volk ist aufgeregt vor dem Palaste.
Hämon ist unter ihnen.
Wer?!
Anführer
Dein Sohn.
Kreon
(heftig)
Fangt ihn!
Anführer
Die Männer scharen sich um ihn.
Kreon
Sind alle Hunde gegen mich verschworen?
Anführer
Hämon –
Kreon
Was tut er?
Anführer
Er schürt den Tumult.
Er reizt die Menge auf.
Kreon
Was noch?
Anführer
Er sagt, du seist ein Mörder.
Sie folgen ihm.
Kreon
Wo sind die Reiter?
Es ist zu fürchten, daß sie – meutern!
Kreon
Feigling!
Anführer
(zieht die Waffen)
Solang ich lebe, König –
Kreon
Hinaus, schlag dich!
Anführer
Soll ich den Kampf befehlen?
Kreon
Töten – nein!
Wenn sie uns beide finden?
Was dann?
Anführer
(erbleicht)
Kreon
Du könntest bluten!
Hör zu!
Wenn ich den Arm aufhebe – so wie jetzt:
Leg Feuer an!!
Anführer
Feuer...?
Die ganze Stadt soll brennen.
Anführer
Sie laufen schon!
Kreon
Ich lehr euch den Aufruhr!
Alle gegen einen. Ich gegen euch!
(Höhe des Tumultes. Orkan.)
Kreon
(beugt sich vor ins Dunkel)
Heran, heran! Peitschen heraus!
Elefanten! Ich trete euch nieder.
Die Macht ist mein!
Teiresias
(hell beleuchtet im Publikum)
Kreon!
Anführer
(stürzt nieder)
Teiresias, der Seher.
Kreon
(ballt ihm die Faust entgegen)
Hinab, Gespenst!
Des Ewigen Mund –
Kreon
(tritt den Anführer die Stufen ins Dunkel hinab)
Fahr in die Hölle!
Teiresias
Kreon, höre mich.
Hundert Jahre bin ich alt.
Ich sehe die Taten der Menschen.
Kreon
Was störst du meine Wege?
Teiresias
Beuge dich
Vor dem Allmächtigen.
Kreon
Ich König knien vor einem Greis?!
Ich laß dir die Haare scheren, jage dich
Kahlköpfig zu den Maulwürfen.
Teiresias
Sein ist die Rache.
Kreon
Ich erfülle sie.
Teiresias
König!
Wehe, wenn du Unrecht tust.
Nah ist die Stunde der Verdammten.
Schlag an dein Herz, eh es zu spät ist.
Bitte um Gnade!
Kreon
Schwarze Klaue, du drückst mir die Kehle nicht zu.
Noch bin ich nicht zerschmettert.
Hier stehe ich –
Und rufe in die Windrichtungen:
Was ich befehle, geschieht!
Teiresias
Der Berg des Todes ist höher als deine Burg.
Schon steigt Blut empor.
Spring auf den letzten Stein deiner Herrschaft:
Der Hochmut wankt unter dir.
Kreon
Lügner!
Die Dummheit des Volkes nährt dein glattes Hirn.
Verreck im Sande verdorrt –
Kein Engel wird dich zum Himmel tragen.
Teiresias
Kreon, erkenne mich doch!
Türme nicht Leichen auf Leichen.
Erbarme dich!
Kreon
(streckt die Faust empor)
So wahr mir Gott helfe!
Ich bin der Herr.
Wenn die Schreie der Zerfleischten gellen,
Wenn Städte in Rauch aufgehn,
Mütter winseln:
Ich schwinge die Geißel,
Bis der letzte Feind am Pfahl verkrampft ist,
Der letzte Dieb, der letzte Räuber,
Die Hure, der Verräter –
Solange, bis der eiserne Wagen
Des Rechtes fährt über meine Stadt.
Teiresias
So stürze, Unseliger –
Erscheint, ihr Gekreuzigten!
Erschlagene, armselige Tote,
Stoßt in sein Herz!
(Die Arena wird plötzlich hell. Haufen von Toten. Blutende mit offenen Wunden. Frauen, Männer mit Messern in der Brust. Wahnsinnige blöken. Zerfetzte Gliedmaßen. Kinder stolpern zwischen den Leichen.)
Ruf
Kreon!!
Kreon
(schreit)
Ah ...
(Tierisches Heulen; Bewegung nach ihm hin.)
Kreon
(lallt zwischen den Zähnen)
Ich kenne euch nicht –
Kennst uns nicht? Kennst uns nicht?
Feiner Herr! Rabenkönig! Hoho!
Kreon
(schlägt zuckend die Hände vors Gesicht)
Angst! – Fort!
Ein Krüppel
Mein Bein!
Ein Blutender
(wimmernd)
Oh –
Eine Dirne
Komm ins Bett!
Ein Sterbender
(stöhnend)
Trinken!
Kinder
(suchen zwischen den Toten)
Vater! Vater!
Alle
Mörder!
Kreon
(stürzt auf die Kniee, brüllt)
Ich bin schuldig.
Ich bereue!
(Die Arena wird dunkel.)
König von Theben!
Sein ist die Macht!!
Kreon
(kommt zu sich)
Was war das? Zauberei??
Messer im Leib? Was schreien die Kinder
zwischen den Leichen –
(Er betrachtet seine Hände.)
Hände, blutbefleckt!
Reißt ab, Fetzen Fleisch.
(Er beißt hinein.)
Es soll dunkel werden!
(Verdunklung.)
Der König ist gefallen –
Wer stöhnt?
(Stille.)
Schlag weiter, Herz –
Die Kälte vom Schlachtfeld,
Das Grauen der Toten.
Menschen herbei, eiserne Brustwehr!
Kommt keiner? Soll ich ersticken?!
(Fast Dunkelheit. Er steht schattenhaft auf der Rampe.)
Ich will nicht sterben. Der Tod kriecht.
Finsternis. Ich will sühnen.
Ich rieche die Toten.
Rache fällt auf mich.
(Ferner Trommelwirbel. Ein einzelner Fanfarenstoß. Er wirft die Arme empor.)
Jüngstes Gericht! Die Posaune.
Noch ein Tag! Noch eine Stunde.
Ich werfe mich nieder. Ich bete.
Hilf mir Gott!!
Ruf
(hinter der Szene)
Antigone!
Kreon
Antigone soll leben!
(Die Stimmen und Instrumente wachsen an zum Klang. – Dunkelheit.)