Gerhart Hauptmann
Die Atriden-Tetralogie
Gerhart Hauptmann

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Vierter Teil.
Iphigenie in Delphi

Tragödie

Der Herr Generalintendant des Deutschen Theaters in Prag, Oskar Walleck, sandte mir einige Nummern des von ihm herausgegebenen schönen Blattes. Ich fand nachfolgenden Text aus Goethes Italienischer Reise darin abgedruckt:

»Von Cento herüber wollte ich meine Arbeit an ›Iphigenia‹ fortsetzen, aber was geschah! Der Geist führte mir das Argument der ›Iphigenia von Delphi‹ vor die Seele, und ich mußte es ausbilden. So kurz als möglich sei es hier verzeichnet.

Elektra, in gewisser Hoffnung, daß Orest das Bild der taurischen Diana nach Delphi bringen werde, erscheint in dem Tempel des Apoll und widmet die grausame Axt, die so viel Unheil in Pelops' Hause angerichtet, als schließliches Sühneopfer dem Gotte. Zu ihr tritt, leider, einer der Griechen und erzählt, wie er Orest und Pylades nach Tauris begleitet, die beiden Freunde zum Tode führen sehen und sich glücklich gerettet. Die leidenschaftliche Elektra kennt sich selbst nicht und weiß nicht, ob sie gegen Götter oder Menschen ihre Wut richten soll.

Indessen sind Iphigenie, Orest und Pylades gleichfalls zu Delphi angekommen. Iphigeniens heilige Ruhe kontrastiert gar merkwürdig mit Elektrens irdischer Leidenschaft, als die beiden Gestalten wechselseitig unerkannt zusammentreffen. Der entflohene Grieche erblickt Iphigenien, erkennt die Priesterin, welche die Freunde geopfert, und entdeckt es Elektren. Diese ist im Begriffe, mit demselbigen Beil, welches sie dem Altar wieder entreißt, Iphigenien zu ermorden, als eine glückliche Wendung dieses letzte schreckliche Übel von den Geschwistern abwendet. Wenn diese Szene gelingt, so ist nicht leicht etwas Größeres und Rührenderes auf dem Theater gesehen worden. Wo soll man aber Hände und Zeit hernehmen, wenn auch der Geist willig wäre!«

Die hier entwickelte Idee nahm mich durchaus gefangen. Beinahe absichtslos formte sich mir das nachfolgende Werk. Ich hoffe, daß niemand in dieser Tatsache den Gedanken eines Wetteifers mit dem Ingenium divinum Goethes oder Mangel an Ehrfurcht vor ihm vermuten wird. Stoffe wie dieser waren vor zweitausend Jahren schon alt und sind bereits damals dramatisch gestaltet worden: es ist doch wohl nichts dagegen zu sagen, wenn sie auch hundert und mehr Jahre nach Goethe noch ihre Anziehungskraft auf die Phantasie eines Dramatikers ausüben.

Agnetendorf/Riesengebirge,
am 24. Januar 1941.

Gerhart Hauptmann

 

*

 

Dramatis Personae

Iphigenie

Elektra

Orestes

Geist der Klytämnestra

Pylades

Pyrkon

Proros

Atakos

Drei Greise

Tempeldiener und Tempeldienerinnen des Apollon-Tempels

Tempeldienerinnen der taurischen Artemis

Delphi-Pilger und allerlei Volk

*

Der Schauplatz ist in allen drei Akten der gleiche: der Apollon-Tempel zu Delphi.

Durch den Vorhof gelangt man über eine Freitreppe auf eine breite Terrasse, dann in die Vorhalle.

Hinter ihr schließt ein Purpurvorhang einen Raum des Tempelinneren ab.

Der Hof ist flach. Ganz im Vordergrund ein offener Halbkreis gegen den Zuschauer.

Dieser Halbkreis wird durch Säulen markiert.

Auf der Terrasse, rechts und links an der Freitreppe, stehen große goldene Wasserschalen.

Die Vorhalle, aus Säulen bestehend, läßt einen breiten, torartigen Raum frei, in dem der Purpurvorhang besonders sichtbar wird.

Öffnet sich dieser Vorhang, so blickt man in das Tempelinnere, einen Raum, an dessen Hinterwand ein qualmender Dreifuß steht und ein goldenes Bild des Apoll.

Zwischen den Säulen im Hof mündet rechts und links eine Straße.

Auf der Terrasse befindet sich ein niedriger Altar.

Die wesentlich dorische Säulenordnung des Ganzen zeigt einen derben, frühgriechischen Charakter. Weihgeschenke sind darin aufgestellt.


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