Gerhart Hauptmann
Festspiel in deutschen Reimen
Gerhart Hauptmann

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Der Direktor.
Nur selten tret' ich selber auf die Bretter
des Welttheaters, das ich dirigiere.
Ich mache gutes, mache schlimmes Wetter,
gewiß, daß mich's persönlich nicht geniere.
Doch auch der allerbeste Apparat
kann nicht für stets vollkommen gelten.
Es bricht ein Rädchen, reißt ein Draht,
und diese beste aller Welten,
die Welt des Scheins, zeigt eine Lücke,
wie die, darein ich jetzt mich drücke.
Mit einem Wort, der Mime, der sonst stets
zu diesem Drama den Prolog gesprochen,
hat leider den Kontrakt gebrochen.
Es geht auch ohne ihn, ihr seht's,
wenn der Direktor nicht zu stolz ist
und außerdem aus gutem Holz ist.
Natürlich werd' ich nicht wortwörtlich jetzt
euch den Prolog herunterleiern.
Ich hab' ihn selber aufgesetzt,
wie üblich bei dergleichen Feiern,
allein, im Kopf hab' ich ihn nicht.
Drum, da ich leichter komponiere,
als Komponiertes memoriere,
jetzt nur ein trockner Vorbericht!
Wie nennt man gleich das Stück? Das Ding ist schwer.
Man kennt die Gattung hierzuland nicht mehr.
Etwa 'nen Mimus, mimische Hypothese,
wie sie Philistion, der Weltverächter,
ersonnen, der gestorben am Gelächter?
Doch wenn ich's in Gedanken überlese,
so find' ich zwar die mimische Ironie,
doch eine mehr moderne Phantasie.
Nun, einerlei: so oder so benannt,
dies Werk lobt seines Autors Kopf und Hand,
und in Gesichten, bunt und wandelbar,
stellt's eines Erdteils Schicksalsstunde dar.
Die Gaukelbühne heißt in diesem Fall
Europa! Doch des Spieles Widerhall
verbreitet sich auf beiden Hemisphären.
Man soll dich, altes Fußgestelle, ehren!
    (Er stampft mit dem Fuße auf die Bühne.)
Denn was du ohne Einsturz schon erduldet,
dafür bleibt dein Direktor dir verschuldet.

Aus dem Vorhang tritt Philistiades, ein schlanker Jüngling, nur wenig bekleidet, mit den Flügeln des Hermes an den Fersen und an der Kopfbedeckung. Er wirft einen großen Rucksack vor die Füße des Direktors.

Philistiades.
Da bin ich wieder, alter Sternengreis,
und harre, deines Herrscherwinks gewärtig.
Du bist noch immer alterssteif und bärtig,
schneeigten Scheitels, jahrmillionenweiß.
Du willst bei tragischer Helden Todesröcheln –
was gilt's, ich rate recht! – in Wut und Streit
einmal, nach langer, langer Fastenzeit,
dein leis sardonisch Kinderlächeln lächeln.
Ein Wink von dir: gleich öffn' ich meinen Ranzen
und lasse alle deine Puppen tanzen.

Der Direktor.
Mein Philistiades, erst sieh dich um!
da unten sitzt ein Riesenpublikum:
nicht mir, ihm, das in andachtsvollem Schweigen
neugierig harrt, magst du die Puppen zeigen.
Sag ihm, mein Bester, wie wir uns das Leben,
mit welchen Kräften, abzuspiegeln streben.
Verschweig auch nichts, mein immer muntrer Sohn,
von unserer Organisation,
auch daß wir uns an Zeit und Ort nichts kehren
und uns um Aristoteles nicht scheren:
Luft, Wasser, Erde, alles ist uns gleich.
Die Truppe ist zu Haus in jedem Reich,
sogar daheim noch über den drei Reichen:
des ist der Stab in meiner Hand das Zeichen.

Philistiades (nach Bedarf Requisiten und Puppen aus dem Ranzen ziehend und vorweisend).
Unser Theater kann groß und klein,
wie du's ansiehst, so kann es sein.
Hier zum Beispiel, handgroß, ein Ball:
er bedeutet die Erde, kreisend im All!
Ihr habt ihn gesehen. Ich leg' ihn beiseite.
Gleich dehnt sich die Erde ins Breite und Weite,
und ihr vernehmet der Sintflutgewässer
Brausen und Rauschen schon lauter und besser,
weitet den Blick von des Meeres Küsten
über fruchtbare Länder, Gebirge und Wüsten.
Deutlich erscheinen die fünf Erdteile,
alsdann, Quadratmeile um Quadratmeile,
die großen Ströme, die großen Städte,
die Häuser, die Straßen, die Kabinette,
und wir erblicken das kleine Insekt,
das in Häusern und Kabinetten steckt.
Doch nein, es handelt sich nicht um Ameisen.
Laßt uns den Herrn der Erde preisen!
Er nennt sich den kleinen Gott der Welt
und mag sich nennen, wie's ihm gefällt.
In nächster Nähe wächst er zum Riesen,
man kann es zum Beispiel sehen an diesen.
    (Er weist einige Püppchen vor.)
Ihr lacht! Euch wird das Lachen vergehn,
bekommt ihr erst ihre Taten zu sehn.
Sie erscheinen steif, doch sie sind beweglich
und ganz unsäglich unverträglich.
Ihr werdet euren Augen nicht trauen,
wie sie einander erschießen, erstechen und über die Köpfe hauen,
sich würgen, morden und massakrieren!
Es ist manchmal, um die Geduld zu verlieren.
Tatsächlich beruht das heutige Stück
auf Blutbädern und Schlachtenmusik,
grausigen Simmelsammelsurien.
Diese Puppen hier sind die nötigen Furien.
Auch haben wir hier die Donnermaschine:
nun, Donner und Blitz gehören zur Bühne!
Hier wären einige Götter und Genien:
zwar behelfen wir uns mit wenigen,
doch einige ihrer gebrauchen wir,
denn unser Mimus spielt im Empire.
Zufällig greife ich aus der Fülle
soeben die Delphische Sibylle,
Talleyrand, den Turnvater Jahn,
deutsche und englische Generäle,
einen Kosaken-Hetman, französische Marschälle.
Auge um Auge, Zahn um Zahn
ist diesmal die allgemeine Parole,
und begegnen sich ihrer zwei,
so traktieren sie sich mit Pulver und Blei
und karessieren einander mit der Pistole.
Hier gibt es Musiker, Philosophen, Dichter,
geruhsame Bürger und Straßengelichter:
Puppen, genau nach dem Leben geschnitzt,
jedwede blutet, wenn man sie ritzt.

Der Direktor.
Halt! nicht allzu übereilig.
Überstürzungen sind nicht kurzweilig.
Reich mir die Püppchen, einzeln, in Ruh,
und auch natürlich den Draht dazu!
Nehmen wir gleich mal diesen Unband.
Dieser Unband ist Nelson genannt.
Er ist ein Schauspieler für Partien,
die sich auf offenem Meere vollziehen.
Solche Mitglieder haben wir nicht gar viele.
Er ist ein Kerl im erhabensten Stile.
Wir heißen ihn scherzhaft den Admiral.
Er stammt von da drüben überm Kanal.
Ein andres Püppchen, etwa das:
Wir nennen es schlechtweg den Marschall Vorwärts.
Diese Puppe hat Kopf, Hand und Herz,
ist manchmal ein bißchen Bramarbas.
Aber man soll einem Haudegen
die Zunge nicht an die Strippe legen.
Eine Feuernatur! Ein brillanter Akteur!
Wißt ihr noch einen solchen, so bringt ihn her.
Nun kommt ein Artikel, extra rar:
ein Preußenkönig, ein Kaiser, ein Zar.
Doch sind diese Püppchen höchst diffizil,
wir lassen sie lieber aus dem Spiel.
Bräche sich eines von ihnen ein Bein,
meine Stellung würde erschüttert sein.
Hingegen ist dieses bedeutend robuster,
sozusagen ein neueres Muster.
Überhaupt dieses Püppchen ist phänomenal:
geheißen der kleine Caporal!
Es ist eigentlich einzig in seiner Art.
Ich schnitt es bei einer Südlandfahrt
aus dem Holze korsikanischer Steineichen.
Es trägt mein eigenes Künstlerzeichen.
Es sollte eigentlich etwas werden,
dergleichen noch nie gewesen auf Erden.
Aber ein alter entlaßner Theatermeister,
Pedro Carbonaro heißt er,
hat mir den Mechanismus verstellt,
und so blieb es ein problematischer Held.
Es kam nach Marseille und von da nach Paris,
wo ich dieses Püppchen hauptsächlich tanzen ließ.
Und es tanzte so proper und so flink,
daß bald ganz Frankreich im Kreise ging.
Ja, ganz Europa geriet ins Tanzen.
Ihr erfahrt es sogleich im großen und ganzen.
Es wackelten Zöpfe, Köpfe und Grenzpfähle,
Kirchtürme, Schilderhäuschen und Thronsäle.
Durcheinander purzelten Thrönchen und Krönchen
und allerlei hohe und niedre Persönchen.
Nun aber war er kein bloßer Scharwenzer,
sondern vielmehr ein Schwerttänzer.
Aber später tanzte er selbst nicht mehr,
er sandte Schwerttänzer vor sich her.
Die Welt vergißt diesen Mimen nicht mehr.
Er mimte den großen Alexander
oder den großen Julius Cäsar,
nicht mehr wissend, ob er ein andrer war.
Seine Rollen kamen ihm durcheinander:
bald römischer Konsul, bald Karl der Große,
jetzt Attila, jetzt Hannibal:
er war dies und das, er war überall.
Er liebte die imperatorische Pose.
Vor seiner Gesellschaft zog ein Tambour,
der Trommler Mors! eine wilde Figur.
Er rührte zu dumpfem Wirbel die Schlegel,
und alles folgte mit Kind und Kegel.
Sie liefen vom Morgen bis in die Nacht,
dann wurden sie alle zur Ruhe gebracht.
Ihr seht aus allem, daß mein Artist
nicht von gewöhnlichem Schlage ist.
Ich gab ihm Freiheit, zwanzig Jahr,
zu ertränken das Erdreich in Blut und Gloire.
Er reiste mit seiner eigenen Truppe.
Er war eine kolossale Puppe.
Jede Bühne ward ihm zuletzt zu enge.
Er brachte die ganze Welt ins Gedränge.
Und schließlich kam ich selbst in Gefahr,
obgleich ich doch sein Direktor war.
Da setzte ich ihn auf die schwarze Liste
und warf ihn zurück in die Puppenkiste.
Es tat mir leid, doch es mußte geschehn,
sollte die Firma nicht untergehn.
Er hat sich nun wacker ausgeruht.
Mag er heute getrost wieder auftreten!
Tut er aber wieder nicht gut
und will, wie ein Strom, aus den Ufern treten,
so fliegt er, diesmal zu ewigem Rasten,
abermals in den Requisitenkasten.

Der Direktor hat einige Puppen, zuletzt die Napoleon Bonaparte darstellende, vorgewiesen. Er gibt sie jetzt an Philistiades zurück.

Philistiades.
So ist's. Er übertreibt mit keinem Wort.
Wen er nicht mag, den wirft er fort. –
Signor Balsamo, Graf Cagliostro genannt,
ist gegen ihn nur ein Dilettant! –
Großkophta aller Logen und Orden,
versteht er das Erschaffen und Morden.
Er besitzt die weiße und schwarze Magie
und eine allwissende Philosophie.

Der Direktor.
Genug, und schreiten wir nun zur Tat!
Ich hoffe, das Spielzeug ist parat.
Unsre Bühne ist dieses Gerüst, nicht mehr;
wir mimen sozusagen plein air.
Wir beginnen auf deutsche Weise mystisch
und enden quasi klassizistisch.
»Hic Rhodus, hic salta!« heißt unser Spruch.
Wir spielen ohne Kulissen und Buch.
    (Unsichtbar gespielte Musik.)
Vorhänge sind unsre einzige List.
Ein geheiligter Trick, man muß ihn leiden:
Gott selber könnte ihn nicht vermeiden,
solange die Schöpfung ist, wie sie ist.
Doch ihr werdet euch wundern, was wir leisten:
sucht eine Gesellschaft weit und breit
von Seßhaften oder Weitgereisten,
die unserer ein Paroli beut.
Allein schon diese Musik, dieser Ton!
Schon hat man die ganze Revolution.
Der Kantor Bach in allen Ehren,
unser Ariel soll sich nicht minder bewähren.
Schon wittert man Jakobinermützen,
Straßenrevolten und Blutpfützen.
Man sieht förmlich die rasende Carmagnole
und die gezückte Räuberpistole.
Hier waltet die allerbeste Regie
und eine Dantesche Phantasie.
Da ist Habebald und Eilebeute!
Da sind sie! Da kommen schon unsere Leute!

Rasender Pariser Pöbel der Revolutionszeit dringt in die Orchestra und von da zum Standort des Direktors und zu Philistiades.

Die Weiber.
Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!

Der Direktor (heftig).
Ihr kommt zu früh. Noch ist's nicht Zeit.
Hinaus! Euer Stichwort ist nicht gefallen!

Erster Jakobiner.
Schubiack! Man wird dich niederknallen!

Der Direktor.
Ich bin der Direktor!

Zweiter Jakobiner.
                                  Wer bist du?

Erstes Weib.
                                                        Wer?

Dritter Jakobiner.
Hinaus! Den Lehrling hinterher!
Infamer Drahtzieher! Menschenschinder!
Freiheit! Freiheit! Wir sind ihre Kinder!
Der Teufel hol's! Wir sind nicht Akteure!
Man kennt uns: wir sind Septembriseure!
Sengt, brennt, steckt das Theater in Brand!
Blut! Blut! nicht Pappe und Leinewand.

Man hat den Direktor und Philistiades hinter die Gardine gestoßen. In der Orchestra entwickelt sich mittlerweile ein Pariser Straßenbild aus der Revolutionszeit. Der Pöbel tanzt die Carmagnole. Abgeschlagene Köpfe werden auf Spießen umhergetragen. Von der ersten Bühne herab sucht sich der erste Jakobiner Gehör zu verschaffen. Es gelingt ihm nicht. Da erscheint der Trommler Mors – der Tod als Tambour –, tritt vor bis an den Bühnenrand und schlägt einen langen Wirbel. Darauf wird es still.

Erster Jakobiner.
Heran! hier hätten wir Fuß gefaßt.
Hölle und Satan! hier wird nicht gepaßt.
Gütergemeinschaft! Menschenrechte!
Es gibt keine Herren! Wir sind keine Knechte!
Volk, du bist allein das Allmächtige!
Du bist größer als Gott; du bist selbst der Gott!
außer dir kein rächender Zebaoth.
Fresse die Pest alle Volksverächter!

Vierter Jakobiner (streckt blutbespritzte Arme in die Luft).
Wer bin ich? Ich bin ein Septemberschlächter,
Einst bourbonischer Kuchenbäcker,
jetzt ein Aristokraten-Abdecker.
Ich verstehe mein Handwerk, habe das Meine getan.
    (Er zeigt einen Dolch)
Dahier ist mein Fangzahn,
damit hab' ich redlich gebissen,
Kaldaunen aus den Wänsten gerissen.
Ich verdiene den Dank der Nation:
es lebe die Revolution!
Die Freiheit geriet in Bedrängnisse,
da säuberten wir die Gefängnisse
von der infamen Verschwörerbrut.
Wir wateten in Verräterblut.
Offiziere, Priester und Zivilisten,
Palastschmarutzer und Schweizergardisten,
wir stachen sie ab wie das Nutzvieh.
Mord dampfte die ganze Conciergerie.
Aber wir hatten auch unseren Spaß.
Wer arbeitet, verdient seinen Fraß.
Die Fürstin Lamballe war ein guter Bissen,
wir haben sie buchstäblich in Stücke zerrissen.
Das aber kam erst ganz zuletzt.
Erst haben wir ihr gehörig zugesetzt.
Sie hatte ja alle Siebensachen.
Das Gefängnis La Force hat gewackelt vor Lachen.

Erster Jakobiner.
Auch ich bin ein Septembriseur.
Es lebe der Schrecken! Terreur! Terreur!
Ich griff in Leiber wie in Taschen,
lebendig das zuckende Herz zu erhaschen,
ich hielt's in der Faust wie eine Maus
und biß hinein und schlürfte es aus.
Volk, so mußt du fressen und saufen!
Das ist das wahre Sakrament,
das weder Kirche noch Pfaffen kennt.
Mit solcher Taufe mußt du dich taufen!
Vergeltung, Vergeltung an deinen Schindern!
Der Freiheit Sieg und all ihren Kindern!

Der Vorhang öffnet sich. Man erblickt die Guillotine und Samson, den Henker der Schreckenszeit, daneben, der ein abgeschlagenes Haupt hochhält. Der Trommler Mors schlägt einen dumpfen Wirbel.

Die Volksmenge (brüllt).
Das Veto! Das Veto! Hoch Louis Capet!

Erste Stimme.
Seht, das Veto macht eine Pfütze!

Zweite Stimme.
Wo hat er die Jakobinermütze?

Dritte Stimme.
He, Samson! Samson! tut das weh?

Die Volksmenge.
Vive la terreur! der Tyrannenmord!

Der Vorhang bedeckt schnell wiederum die ganze Szene und zugleich den Straßenpöbel, der sich auf der ersten Bühne befunden hat. Die Orchestra liegt jetzt im Dunkel und schweigend da. Allein sichtbar ist Philistiades vor dem Sternenvorhang.

Philistiades.
Dies geschah zu Paris, Place de la Concorde,
am einundzwanzigsten Januar
im siebzehnhundertunddreiundneunzigsten Jahr
nach Jesu Christi Kreuzesnot.
Auch dieser Tod war ein Märtyrertod.
Hier fiel ein Opfer der fiebernden Zeit
und gewann unterm Fallbeil die Freiheit.
Der König ward zum Untertan
und wiederum zum König dann,
als er mit festem Heldentritt
zum Tode schritt, den Tod erlitt.

Kurz möcht' ich nur noch so viel sagen:
der Rauswurf hat uns nichts verschlagen,
mir nicht und nicht dem alten Herrn.
Ihr mögt euch des versichert halten,
es bleibt in unserm Haus beim alten,
jedwede Änderung liegt uns fern.
Ein bißchen rohe Ungebühr,
was tut das? die ertragen wir.
Ein jeder kehrt zuletzt im Stück
auf seinen rechten Platz zurück.
Wir haben das schon oft erlebt.
Der Geist, der über allem schwebt,
bleibt dennoch hinter allem mächtig,
und der Direktor, wohlbedächtig,
sitzt lächelnd hinter seiner Wand
und hält die Fäden in der Hand.

Der Vorhang öffnet sich, man erblickt im mystischen Lichte die Pythia, einen Lorbeerkranz auf dem Haupt, den Prophetenstab in der Hand.

Die Pythia.
Europa, du, dem Christengotte Untertan,
du, seit der Griechengötter Flucht mit Nacht bedeckt,
in deines Schicksals Abgrund blick' ich tief hinein
und fernehin vorsehend deiner Zukunft Weg.
Du zucktest oft und zuckst auch jetzt in Blut
und Schmerzen auf gleich einer Kreißenden,
denn immer ist das Kind noch nicht geboren, das
du seit zweitausend Jahren schon geboren wähnst.
Europa, du noch immer Schwangre mit der Frucht
des Zeus, der dich in Stiergestalt trug durch das Meer,
du Heimatlose, die, gleich Io umhergepeitscht
als Kuh von Herens Rache, nicht zur Ruhe kommt.
Wutschäumend, blöd und sinnlos brüllend, rasest du,
in eine Wolke schwarzer Bremsen eingehüllt,
die giftige Stacheln in dich senken, Tag und Nacht
in unermüdet gieriger Arbeit, dicht wie Staub.
Und wenn du einmal todesmatt und schweißbedeckt
zusammenbrichst, der fürchterlichen Quäler nicht
mehr achtend und vor Müdigkeit nicht mehr den Sporn,
den tausendfachen, den millionenfachen nicht
mehr fühlend: kommt entgegen dir ein junger Gott
im Traum, im halben, kurzen Schlummer deiner Pein.
Und immer wähnst du dann, auf kurze Zeit getäuscht,
die grauenvolle Prüfungszeit sei endlich aus.
Noch immer bist du nicht entbunden, und die Last
des ungebornen Gottessohnes trägst du noch.
Noch nicht geboren ist Europens Friedensfürst,
nicht der Erlöser, ob man viele Tempel auch
ihm schon geweiht: wer anderes sagt, spricht lügenhaft.
Denn wäre dieser Sohn des höchsten Gottes dort,
wo sie ihm huldigen: wie hätte Krampf und stille Wut
und Krankheit weiter so der Mutter Leib versehrt
und die Schmerzbrüllende durch Stein und Dorn gehetzt?
Nein, dieser Friedensfürst, dem sie lobsingen, er
hat immer nur des Krieges wilden Brand entfacht.
Und seine Diener sannen solche Martern aus,
wie sie kein Teufel je erdacht in Fleisch und Blut!
Das graue Altertum kennt solche Qualen nicht.

Allein, ich sehe dämmern fern des Friedens Tag,
sosehr die giftige Pestilenz auch heute noch
und finstrer Wahnsinn toben in Europens Blut.

Mehr und mehr, während die Seherin gesprochen hat, ist Bewegung in die Orchestra gekommen. Bei zunehmendem Licht entsteht in der Menge ein Summen, ein Murmeln, vielstimmiges Reden, zuletzt ein Brausen, aus dem sich ein allgemeiner Ruf erhebt. Unter den Klängen der Marseillaise werden abgeschlagene Köpfe auf den Spießen umhergetragen. Voran schreitet der Trommler Mors.

Die Menge.
Vive la liberté! Vive la république!

Ester Jakobiner.
Das ist der Freiheit Hochzeitsmusik!
Das getretene Volk und die Freiheit,
die feiern ihre Bluthochzeit.
Da, auf den Stangen, das sind die Brautzeugen!
Seht, wie sich die stolzen Köpfe beugen,
es sind vornehme Huren, Fürsten, Herrn,
hoch aufgespießt, doch liegt ihnen Hochmut fern.

Erstes Weib (schreit zur Seherin hinauf).
He, Vogelscheuche, was machst du dort?
Du stehst uns zu hoch! troll dich! pack dich fort!

Zweites Weib
Deine alberne Fratze zerkratzt' ich dir gerne!

Stimmen.
An die Laterne! An die Laterne!

Erstes Weib.
Herunter mit ihr! Sie muß vor die Ausschüsse.
Sie ist verdächtig! Nieder mit ihr!
Eine Aristokratin! Ein Vampir!

Stimmen.
Unter die Spieße! Unter die Spieße!

Die Pythia.
Legt eure Hand nicht an die heilige Seherin,
die Loxias begeistert, dem nichts dunkel ist!
Ihr gärt in Blindheit, so wie Froschlaich gärt im Teich.
Ich aber sehe! sehe euch und was euch frommt!
Freiheit? – im Grabe! Gleichheit? – unten in der Gruft!
Und Brüderlichkeit? – mit den Würmern der Verwesung, die
nach euren häßlichen Kadavern lüstern sind!
Ihr seid nur Dung im Acker dieser schweren Zeit.

Ein zwölfjähriger, schöner Knabe springt aus dem Vorhang auf die erste Bühne und beginnt dort in vollkommener Harmlosigkeit mit einem Kreisel zu spielen, den er mit einer kleinen Peitsche treibt.

Blickt her! Kennt ihr den Knaben – nein, ihr kennt ihn nicht –,
der lustig seinen Kreisel treibt mit Peitschenschlag?
Kennt ihr den Kreisel, den er treibt? Ihr kennt ihn nicht.
Er ist aus eurem blutigen Staub gebacken, und er heißt:
Die Welt! Die Welt von morgen, nicht die Welt von heut.

Der Pöbel steigt erheitert und neugierig die Stufen zur ersten Bühne hinan. Schließlich bricht er in Lachen aus.

Stimmen.
Kommt, seht den Buben! seht den Bengel!
Ein echter Franzose! schön wie ein Engel!

Der Knabe.
Ah bah, ich bin kein Franzos'! bin von Korsika!
Frankreich ist meine Stiefmama.

Ein Weib.
Ein verteufelter Balg, eine mutige Kröte.

Ein Septembriseur.
Was würdest du sagen, wenn ich dich töte?

Der Knabe.
Das sähe dir klotzigem Rüpel gleich,
du bist so mutig wie Frankreich
und so verlogen noch obendrein.
Ich bin ein Korse, du bist ein Schwein!

(Brüllendes Gelächter der Menge.)

Stimmen.
Er hat es ihm ganz gehörig gegeben!

Der Septembriseur.
Er hat Mut! er hat Mut! Ich schenk' ihm das Leben!
Warum aber nennst du la France verlogen und feig?

Der Knabe.
La France ist ein träger, morastiger Teich!
Wir Korsen sind nur ein Fußbreit Land,
Knechtschaft indes ist nicht unsere Sache.
Ihr warft in unsere Hütten den Brand,
aber wir haben die Blutrache.
Ihr setztet den Fuß auf unseren Nacken,
ich werde euch bei der Gurgel packen,
ich werde euch bändigen und dressieren,
ihr sollt mir in jeder Gangart parieren!
Blut sollt ihr saufen nach Herzenslust:
aber ich zapfe es euch aus der Brust!

Die Menge (bricht aus).
L'Empereur! L'Empereur! Vive l'Empereur!

Stimmen.
Der Junge versteht den wahren Ton!
Er ist der Vollstrecker der Revolution.
Hebt ihn hoch! Setzt ihn auf den Thron!

Der Knabe wird im Triumph mit »Vive l'Empereur!« durch die Orchestra fortgetragen, über die sich Dunkel legt. Vor dem nun wieder geschlossenen ersten Vorhang steht, allein beleuchtet, Philistiades.

Philistiades.
Ihr seid verdutzt! Dies macht euch stutzig.
Der ganze Vorfall ist wirklich putzig.
Es ist eine Art Genieblitz,
sozusagen ein weltgeschichtlicher Witz.
Da war ein Knabe – da war die Krapüle:
sie hebt ihn als Kaiser aus dem Gewühle.
Ein Fastnachtshohn aus der Hefe der Gosse,
so steht sie da, diese Kaiserposse.
Ihr wißt ja, welches Prinzip sie verhöhnt.
Sie hätten ebensogern Hund oder Katze gekrönt.
Aber dieser Hohn war sehr gefährlich.
Sie malten den Teufel an die Wand,
und nachher kam er wirklich ins Land.
Da wurde er ihnen höchst beschwerlich.
Denn dieser Junge war eben kein Vieh,
sondern ein wirkliches Herrschergenie.
Sie werden es merken hinterher
an den Kartätschen des Vendémiaire.
Die werden ihnen die Köpfe abreißen
und ihnen des Knaben Sendung beweisen.
Indem ich hier rede, schon fiel die Entscheidung,
geschah die kaiserliche Einkleidung.
Schon salbt ihn der Papst, zum eignen Verdruß,
mit dem Fläschchen des heiligen Remigius.
Aber es kann ihm nichts helfen: Er muß!
Da dieser Knabe nicht zu ihm kam,
kam er selbst nach Paris in die Notre-Dame.
So wurde der lorbeergekrönte Diktator
in aller Form zum Imperator.
Karl der Große zu Aachen in der Krypte
mußte die Reichsinsignien herleihen,
mit ihnen den neuen Bruder weihen.
Er sandt' ihm sogar sein Frankenschwert
und hat ihn auch sonst geehrt und belehrt.
Da ergriff der neue Kaiser der Franken
den alten fränkischen Reichsgedanken:
ein Gedanke, umfassend und weit umgreifend,
doch leider das Unmögliche streifend.
Jetzt aber zieh' ich mich besser zurück.
Es beginnt eine neue Phase im Stück.

Die Orchestra, die wiederum hell geworden ist, zeigt ein neues Bild. Der Pariser Pöbel ist verschwunden. Statt seiner ist ein Karnevalszug eingedrungen. Schalksnarren ziehen einen Wagen, auf dem ein riesiger Fastnachtspopanz thront: eine mit Stroh gestopfte, lächerlich kostümierte Puppe, die den Kaiser des Römischen Reichs Deutscher Nation im vollen Ornat, mit Szepter und Reichsapfel, darstellen soll. An der Spitze des Wagens hockt ein riesiger, arg zerzauster Adler, dessen einer Ständer mit Ring und Kette gefesselt ist. Um den Wagen her bewegt sich ein Schwarm lärmender Masken: solche mit Kronen, solche mit Bischofsmützen, solche mit Barett, Talar, riesigen Tintenfässern und Gänsefedern. Eine Gruppe für sich bildet eine Schar in Vogelmasken. Dem Zuge voran schreitet ein Herold, der das Symbol kaiserlich-richterlicher Gewalt, das »weltliche Schwert«, auf einem Kissen trägt. Hinter dem Wagen schreiten die Inhaber der Erbämter, Truchseß, Mundschenk usw. Neben dem Popanz auf dem Wagen steht ein eisgrauer Ritter.

Der Ritter.
Packt euch! Beschreit nit früh und spät
Seine kaiserlich-römische Majestät,
sonst nehm' ich euer ein Dutzend beim Wickel,
ihr Lärmer! und tue euch ab wie Karnickel.

(Der Schwarm antwortet mit Hohngelächter.)

Erste Kronenmaske.
Das kennen wir schon, Ritter Knickebein.
Wer fürchtet sich vor dem Holzschwertlein!

Zweite Kronenmaske.
Niemand! Doch kann er's nit einmal bewegen,
denn dazu müßt' er sich selbst erst regen.
Der Paladin ist aber stocksteif,
seine ganze Kunst: ein bißchen Gekeif.

Der Ritter.
Nit so vorlaut, mein alter Kronensohn.
Hier sitzt der Beherrscher des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation.
Was haben euch Seine Gnaden geton?

Erste Vogelmaske.
Wir treiben ein bißchen Fastnachtspossen
mit dem Gespenste Karls des Großen.
Lobsinget und preiset den alten Fetzen,
an dem sich Motten und Schaben ergötzen,
bevor wir ihn ins Museum setzen.

Der Ritter.
Bricht man euch nit die Flügel, so fliegt ihr!
Macht ihr die Schnäbel auf, so lügt ihr!
Dies ist eine Krone, keine Schellenkappe!
Hier, Szepter und Schwert sind auch nit von Pappe.
Wenn der Kaiser sich regt, so erbeben die Lande
von der deutschen See bis zum Mittelmeer:
sein Wille herrscht und keiner mehr
und ist Gesetz von Strand zu Strande.
Leugnet ihr ihn, ihr leugnet zugleich
das blühende Heilige Römische Reich.
    (Er stößt mit dem Fuß nach dem Adler, der in
    sonderbarer Weise etwas aus dem Halse würgt.
)
Sitz stille, du lausiger Geselle!

Einige Masken (durcheinander).
Was tut er?

Erste Vogelmaske.
                    Ihn ekelt's, er bricht Gewölle!

Zweite Vogelmaske.
Was er speit, ist Blut und Galle!

Alle (außer den Vogelmasken, durcheinander).
Am besten ist's, wir machen ihn alle!

Der Adler wird von dem Ritter getreten, von Juristen mit Tinte bespritzt, von den Kronenmasken werden ihm Schwung- und Schwanzfedern ausgerissen. Die Narren schlagen ihn mit der Pritsche. Die Bischofsmützen stoßen ihn mit Hirtenstäben und sengen ihn mit Lichtern. Er hüpft sehr kläglich hin und her. Die Vögel brechen in ein Jammergekreisch aus.

Der Adler.
Verrat! Verrat! Verfluchte Tat!
Ich ward zum Hohn und Spott im Staat.
Man will mich, hinkend und versengt,
von Pfaffenwänsten arg bedrängt,
gerupft von Fürsten und Juristen,
als Suppenfleisch für Reichskanzlisten!
Und der dort sitzt, ein Fastnachtswisch,
kraftlos und kindisch,
kann mich weder schützen noch heilen
noch mir die alte freie Flugkraft mitteilen.
Schlimm entrann ich dem römischen Käfig,
aber die goldne Freiheit preis' ich
trotz der schrecklichen Jahre, der dreißig!
Find' ich ihn einmal oder traf ich –
denn ich bin doch der Vogel Phönix –
den Dämon, an dem ich fast verendet,
zerriss' ich ihn mit den Fängen des Himmelskönigs.
Bis Gott mir den Befreier sendet,
wird man zertreten das deutsche Mark!
Doch tretet's zu Quark, es bleibt doch stark.
Mein Leiden und meine Not sind erblich;
trotzdem bleib' ich ein Adler und unsterblich!

Vorn, gegenüber, wird eine geschlossene Sänfte herangetragen. Träger und Begleiter in Kostümen der friderizianischen Zeit. Als der kleine Zug den Maskenzug erreicht hat, öffnet sich die Tür der Sänfte, der Alte Fritz steigt heraus und befreit, mit dem Krückstock dreinschlagend, den Adler von seinen Peinigern.

Friedrich.
Parbleu, Messieurs! Parbleu, Messieurs!
Treiben ihr immer noch solche Karessen?
Ick hatten in die Champs Elysées
die deutsche Misère beinahe vergessen.
Cet aigle, hier auf dem römischen Karneval?
Quelle infamie, quel grand scandale!
Diese Sachen werden mich bald zu bunt!
'abt ihr noch immer keine neue Schmalkaldische Bund
als Leibwache pour cet oiseau céleste?
Laßt ihn in Ruhe, Hölle und Pest!

Die Quäler sind zurückgetreten. Der König steigt wieder in seine Sänfte. Alle Vogelmasken umgeben sie mit lautem Geschrei.

Chor der Vögel (Gesang).
Vivat hoch der große König!
Geh nicht von uns, bleibe bei uns
und den deutschen Aar befrei uns:
diesen Notschrei tausendtönig
zu des Himmelsthrones Stufen,
wo du weilest, hör uns rufen!

Der Gesang reißt ab. Der König steigt wieder aus der Sänfte und stampft mit dem Stock auf die Erde.

Friedrich.
Niemand fängt von vorne an,
der das Seine schon getan.
Was nun kommt, ist eure chose,
meiner Pflichten bin ich los.
Hab' ich Deutschland nicht gelehrt,
wie man stolz sich selber ehrt?
Wie man seinen eignen Geist
aus dem Pflanzenschlafe reißt?
Wie man's macht, um unter Kutten
nicht zum Halbtier zu verbutten?
Wie man mit dem bloßen Schwert
den Gewissensknechtern wehrt?
Hätt' ich Deutschland nicht geweckt,
wäre dieser längst verreckt!
    (Er berührt den Adler mit dem Krückstock.)
Und die römischen Prälaten
hätten ihn am Spieß gebraten.
Und ihr sänget jetzt, auf Ehre,
statt zu eures Königs Ruhm:
miserere! miserere! –
oder wäret kalt und stumm.

Der König verschwindet in der Sänfte. Der Strohpopanz hebt seinen Arm und läßt ein gewaltiges Pergament aus der Hand fallen. Eine Juristenmaske nimmt es auf und tritt damit an den Schlag der Sänfte.

Der Jurist (in die Sänfte hineinsprechend).
Sire, ich bin der Doktor April!
Hört, was ich Euch sagen will!
Getroffen hat Euch bereits der Bannstrahl.
Doch der Herrscher des römischen Karneval
tut Euch hiermit auch noch in Acht,
weil Euch der Bann nicht kirre gemacht,
Und zwar bis Ihr Euch anders resolviert
und unser Vergnügen nicht mehr geniert.

Der Alte Fritz springt abermals aus der Sänfte.

Friedrich.
Monsieur, Er haben auf Prügel Appetit.
Bon! (Er haut dem Juristen eine Maulschelle)
        Da ist mein Pour le mérite!
    (Indem er sich umwendet und eine große Papierrolle aus der Sänfte nimmt)
Euch aber, Kindern von Adlergeblüt,
hiermit ein andres Pergamen für das deutsche Gemüt.
Stellt euch gefälligst in Reih und Glied
und empfanget das deutsche Phönixlied,
eigenhändig von mir verfaßt
während meiner elysäischen Rast!

Er verschwindet in die Sänfte, und diese wird schnell fortgetragen. Die Vögel sammeln sich mit Geschrei um das friderizianische Pergament und beginnen, ablesend, im Chor zu singen.

Die Vögel.
Wahrlich jetzt kein Kind des Glücks,
nahst du dich, gerupfter Aar,
doch dem Phönix-Hochaltar,
wo sich schon die Scheiter schichten,
deine Schande zu vernichten.
Pfaffen, Fürsten und so weiter
schleppen Schwefel, Pech und Scheiter,
rupfen dich von vorn und hinten,
wenig fehlt, dich gar zu schinden.
Niemand kann sie alle nennen,
die dich stoßen, werfen, brennen.
Einstens stark, unüberwindlich,
heute schwächlich, komisch, kindlich.
Grenzenlosen Raums Bezwinger,
schleppst du Kett' und Kappe heute,
bist ein Spaß für kleine Leute,
wirst verhöhnt im Vogelzwinger.
Doch wie du auch hilflos hüpfst,
Riesenfederfächer lüpfst,
kläglich schleifst und erdgebunden,
bald bist du genug geschunden.
Wieder nach bestandner Mauser
bist du bald der Luftdurchbrauser,
und in machtgeschwellten Zügen
wirst du Raum und Zeit durchpflügen!
Heute ruppig, nackt und räudig,
morgen sonnenhoch und freudig!
Augen, ihr nahblinden Sterne:
seht, er bohrt sie in die Ferne!
In den Weiten sieht er's tagen,
hier mit Finsternis geschlagen.

Der Zug setzt sich, nach kurzem Verweilen, wieder in Bewegung. Plötzlich erscheint der Trommler Mors vor dem Vorhang, am Rande der ersten Bühne. Maskenlärm und Trommelwirbel gehen durcheinander. Da öffnen sich die Vorhänge der ersten und zweiten Bühne, und man erblickt den Kaiser Napoleon mit seinen Marschällen, neben ihm Talleyrand. Der Kaiser nimmt den Feldstecher vom Auge.

Napoleon.
Was lärmt denn dieses Federvieh?

Talleyrand.
Ich weiß nicht, was der Haufe schrie.

Napoleon.
Panduren kenn' ich und Kosaken.
Nie sah ich solche Federjacken.
Es sind nicht Juden, nicht Mosleminen,
nicht Mamelucken noch Beduinen.
Was ist's für ein Volk, wo brennen ihre Herdfeuer?
Ich weiß nicht, sie scheinen mir nicht geheuer.

Talleyrand.
Auch mir ist diese Gesellschaft suspekt.
Ich wüßte nicht, wo sie nistet und heckt.
Ich halte sie für Schwarmgeister.
Der am meisten Gerupfte ist ihr Meister,
Mitesser, unberechtigte Körnerpicker,
sozusagen Luftromantiker.
Hier im Lande der Denker und Dichter
gibt es, so sagt man, viel solches Gelichter,
Leute ohne Ar und Halm,
das Vogelhirn erfüllt mit Qualm,
Sonderbündler, Eigenbrötler,
Nichtstuer, Zeitvertrödler,
schwer zu fassen, ganz unberechenbar:
sie bilden die ideale Gefahr.
Mir schwant, wir werden die Großen besiegen,
aber dann mit diesen Kleinen zu tun kriegen.
Der Bürger und Bauer wird uns gehorchen,
aber nicht Sperlinge, Spechte und Storchen;
Könige, Pfaffenwänste und Zivilisten,
aber nicht diese Idealisten.
Wie soll man es machen, sie zu sistieren?
Man kann ihrer einige rupfen und rösten,
dessen werden sie sich getrösten.
Die übrigen trotzen unseren Verboten,
bleiben die alten Luftpatrioten.
Sie werden schweifen, sie werden lärmen
in Nord und Süd in großen Schwärmen.
Sie werden piepsen in West und Osten
die ideologische Litanei:
daß nur ein einiges Deutschland sei,
ohne Zollplackereien und Grenzposten.

Napoleon.
Der Gedanke ist gut: nur kommt's darauf an,
wer ihn hat und wer ihn durchführen kann.
Ich denke, dazu bin ich der Mann.
Auch ich bin eine Art Körnerbeißer,
eine Art Grenzpfahlniederreißer,
nicht wie jene dort etwa nur Guanoscheißer!
aber jedenfalls auch ein Flügelspreiter,
ein Durch-Sonnenhöhe-Gleiter.
Allerdings dabei ein Praktiker
und vor allen Dingen ein Taktiker.

Talleyrand.
Bemerken Eure Majestät jene Gruppe
mit der strohernen Kaiserpuppe,
auf dem Wagen, der durch die Menge schwimmt?

Napoleon.
Ich bin nicht für Kaiserfarcen gestimmt.
Schade! Man könnte sonst wirklich raten:
stürzt diesen strohernen Potentaten
und nehmt die Stelle des Götzen ein.
Dann würde der Karneval aus sein,
und es könnte sich manches daraus ergeben.

Napoleon.
Die Sache ist gar nicht so uneben.
Der Anblick des Strohmanns ist nicht ästhetisch,
aber er scheint ein heiliger Fetisch.
Man kann ihn zu eigenen Zwecken herrichten,
oder aber man kann ihn vernichten.
Aberglaube und Knechtsinn unterwirft ihm die Massen.
So kriecht man denn in den Moloch hinein,
oder man muß ihn beim Schopfe fassen
und die Massen von ihm befrein.
Die Ratlosen wird man leicht mit einigen Leithammeln
um beliebige neue Götter sammeln.

Talleyrand.
Wohl, wohl, Majestät erfassen jetzt ganz
diesen geheiligten Mummenschanz.
Sie haben da einen strohernen Gegner,
einen Cäsar von Stroh, das ist der Witz,
nach den beiden von Fleisch, denen von Austerlitz.
Zwar ist auch dieser kein Überlegner,
aber man darf ihn nicht unterschätzen
und muß ihn, wie jene, in aller Form matt setzen.
Noch dröhnt die Welt vom Ruhm der Dreikaiserschlacht.
Gut, wenn der Bürger auch wieder lacht!
Und da hätten wir, unerwartete Segnung,
nun plötzlich diese Zweikaiserbegegnung.
Der Allerjüngste, der Allerälteste,
der Allervollkommenste, der Allerentstellteste!

Napoleon.
Ich befehle, man soll den Popanz steinigen!
Dann laßt Grenadiere den Schauplatz reinigen!

Die Strohpuppe wird gesteinigt und zerrissen. Französische Grenadiere treiben alles aus der Orchestra.

Da kommt mir übrigens eine Idee.
Das Kaisergespenst ist ja glücklich zerschlagen.
Divide, imperabis! Man soll die Fetzen nicht forttragen,
besonders sorgfältig die Insignien sammeln –
Reichsapfel, Szepter, tutti quanti! –
Der Karneval geht doch sempre avanti.
Warum soll das Gemüs' nicht im Louvre bammeln?
Ich habe es dann für alle Fälle,
besonders, wenn ich das Kapitol wiederherstelle
und meinem Titel das Wörtchen Augustus zugeselle.
Bis dahin braucht's ein Stück Arbeit.
Wie sagt der Weise: alles hat seine Zeit.
Ich verwandle Europa in ein Kriegslager;
dies irae: ich beuge sie schon, die Karthager.
Diese anmaßlichen Krämer auf ihren Flibustier-Inseln,
sie sollen mir noch um die Füße winseln.
Ich säubere die Meere von diesen Piraten,
diesen pestilenzialischen angelsächsischen Seeratten!
und müßt' ich bis über den Scheitel in Blut waten.
Sie kaufen mir Gegner mit ihren Geldsäcken,
ich werde sie selbst in die Säcke stecken
und werde sie in den Kanal versenken.
Dort können sie über ihren Bankrott nachdenken
wie gestern zu Austerlitz Kaiser und Zar,
meinethalben einige tausend Jahr.

Mittlerweile hat ein distinguiertes deutsches Straßenpublikum die Orchestra eingenommen. Nun schließt sich der Vorhang der zweiten Bühne und verbirgt Napoleon und seine Generäle. Auf der ersten Bühne aber erscheint Hegel, der deutsche Philosoph.

Hegel.
Ihr saht diesen Mann: einerlei, wie er heißt!
ich sehe in ihm den Weltgeist.
In ihm ist die Weltseele inkarniert,
die Göttin Vernunft, die sich manifestiert.
Ich darf es sagen aus Überzeugung
mit demütig-stolzer Nackenbeugung:
Meine Geschichtsphilosophie
ward durch ihn zur Prophetie!
Dort stand die verkörperte Staatsidee
und auch der Geist, der sie geboren.

Der Turnvater Jahn steigt die Stufen zur ersten Bühne herauf.

Turnvater Jahn.
Er hört das Gras wachsen und den Klee!
Denn warum? Er hat lange Ohren.

Erster Bürger (ruft aus dem Publikum).
Halt' Er den Schnabel, grober Flegel!
Insultier' Er nicht den Weltweisen, den Hegel!
Wie er's doziert, so ist's bestellt.

Turnvater Jahn.
Jawohl, er ist ein Phrasenheld!

Erster Bürger.
Er aber ein rechter Grobian!

Turnvater Jahn.
Das stimmt: ich bin der Turnvater Jahn.
Echt grobianisch, echt teutonisch.
Dies sage ich keineswegs ironisch.
Diesen Mann da, mit seiner Ideenfabrik,
den fresse ich zum Frühstück.
Aber nur mit dem nötigen Schwarzbrot und Schinken
und nicht, ohne gehörig Rheinwein zu trinken.
Wo lebt denn der Mann? Wahrscheinlich in Regionen,
wo die seligen Geister wohnen,
sonst könnt' er die Ferse, die Deutschland zertreten,
in Dreitausendteufelsnamen doch nicht anbeten.
Soll mich doch der Satan bewahren,
in diesen Hegelschen Himmel zu fahren!
Statt mit solchen Hegeln zu segeln,
halt' ich es lieber mit den Vögeln.
Verschreibe mich lieber mit Haut und Haar
dem gerupften deutschen Aar.
Und meinethalben ein wenig verfrüht,
sing' ich sozusagen das Phönixlied.

Ein Krypto-Nichtgentleman.
Man kennt das Lied! Man kennt es schon!
Es richtet sich gegen Altar und Thron.

Turnvater Jahn (ruft zurück).
Nehmt ihm den Hut vom Kopfe weg,
da findet ihr einen kahlen Fleck.
Achtung! seine geheime Gilde
führt wider Deutschland nichts Gutes im Schilde.

Der Krypto-Nichtgentleman
Aufgepaßt, jetzt wird gelogen!
Ich wittre, ich wittre Demagogen.

Turnvater Jahn.
Ach was, mich läßt er ungeschoren!
Ist uns doch ein Retter geboren.
Freilich, das Kindlein ist noch klein.
Ganz Deutschland muß seine Amme sein.
Es ist geheißen: der deutsche Gedanke!

Zweiter Bürger.
Ein Bastard, für den ich mich bedanke.

Turnvater Jahn.
Wird das Kindlein zum Mann, der Gedanke zur Tat,
dann haben wir den neudeutschen Nationalstaat!

Dritter Bürger.
Merci! Wir danken für den Salat.

Freiherr vom Stein steigt ebenfalls die Stufen zur ersten Bühne herauf und stellt sich neben Jahn.

Freiherr vom Stein.
Ja, ein Salat, da habt Ihr recht,
ist heut das Land der deutschen Stämme.
Der Nation bekommt er schlecht,
besonders die gallischen Hahnenkämme.
Hole der Teufel die Herren Köche!
die uns zerhacken und zerreißen,
damit uns die Fremden besser zerbeißen,
die uns zermörsern in unserer Schwäche.
Hole der Teufel die Lakaien!
die uns servieren den Fressern, den zweien.
Sie können die größten Bissen vertragen,
der gallische und der russische Magen.
Sie verdauen uns wie einen Sperling
oder wie der Engländer seinen Weltplumpudding.
Denkt euch doch Frankreich so frikassiert
und England so kreuz und quer tranchiert!
Eine schöne Statue so zerschlagen,
daß jeder Steinklopfer sein Stück kann davontragen.
Soll Deutschland widerstehen der Zeit,
braucht's außen und innen Unteilbarkeit.

Der Weltbürger.
Solche Opinionen sind nicht die meinen.
Ich wollte lieber undeutsch erscheinen,
als daß ich das Diadem, das juwelengeschmückte,
auf Germaniens blondem Scheitel auch nur verrückte.
Ich liebe das vielfarb reiche Gestrahle.
Jeder Stein eine fürstliche Kapitale,
eine Sonne höfischen Glanzes
und mehr für sich als im Ganzen ein Ganzes.

Gneisenau.
Und ob das Werkstück noch so köstlich
und die Fassade noch so festlich,
ohne Grundriß, ohne Statik
bleibt das Ganze Tataratatik.
    (Er legt seine Hand auf die Schulter des Freiherrn vom Stein)
Hier steht unser Reichsbaumeister,
Reichsfreiherr vom Stein, so heißt er:
gebt ihm Vollmacht, gebt ihm Werkleute,
und den Bau beginnt er heute.
Ja, als Grund- und Eckstein
baut der Stein sich selber ein.
O hätten wir doch von solchen Steinen
Mandeln und Schocke, nicht nur einen.
Wüßt' ich den Steinbruch, den ich meine,
ich würde Steinklopfer, klopfte Steine.
Wie sähest du, deutsches Reichshaus,
errichtet von solchen Steinen, aus.
Du wärest fest, geräumig und licht,
ein wirkliches Architekturgedicht,
helle Zimmer, festliche Säle:
ein gesunder, starker, heiterer Leib für die starke, heitere Volksseele.

Dritter Bürger.
Nehmt doch den Österreicher beim Kragen!
Was hat uns der Österreicher zu sagen!

Turnvater Jahn.
Die Wahrheit! Der echte deutsche Mann
fängt mit dem deutschen Herzen an.
Das hängt in dir noch tot wie Blei,
deshalb erhebst du ein leeres Geschrei.

Der Krypto-Nichtgentleman.
Man kennt ihn, diesen Einheitsbau.
Die Fürsten werden euch was niesen –
den Reichsfreiherrn aus Nassau
an einem Festungstor aufspießen!
Dieser famose Einheitsstaat,
zu deutsch der Ketzerdominat,
er wird die Herrscher hoch ergötzen:
ich höre sie schon die Säbel wetzen.

Freiherr vom Stein.
So werden wir bauen mit Schwert und Kelle
wie jene von der Wölfin Gesäugten
und von dem Kriegsgott Mars Gezeugten!

Der Krypto-Nichtgentleman.
Jawohl, wie der Teufel und sein Geselle!

Freiherr vom Stein.
Doch weshalb sollten die Monarchien
mit uns nicht am gleichen Strange ziehen?
Weshalb sollten sie nicht für Deutschland glühen?
Denn keiner hat einen so hohen Stand,
daß höher nicht stünde das Vaterland.
Liebt er es nicht mehr als sein Leben,
so ist er an Adel dem nicht gleich,
der bereit ist, sein Leben zu geben,
zu verspritzen sein Blut für das einige Reich.
Der Tagelöhner, der das getan,
ist dann in Wahrheit der fürstliche Mann.

Vierter Bürger.
Haha! Schon ist der Kerl erledigt
mit seiner Jakobinerpredigt.
Daß dich! Ihr Unruhstifter und Aufrührer,
Ideologen und Volksverführer!

Zweiter Bürger.
Ein Nationalstaat? Wir können verzichten!
Oder sollen wir etwa die göttliche Weltordnung zugrunde richten?
die unantastbare, die unanrührbare?
Wer's versucht, ist ein Schuft oder Narre!

Scharnhorst (ist neben Stein und Jahn getreten).
Ob auch verachtet und verlacht,
hier wird der deutsche Gedanke gedacht!
In unserer alchimistischen Küche
wird erschaffen die deutsche Psyche.
In unsren Gewölben gießt man schon
den Normalpatrioten deutscher Nation,
der mindestens so viel Nationalehre besitzt,
als sie jedem braven Engländer oder Franzosen im Auge blitzt.
Ferner sind wir drauf und dran,
den sogenannten beschränkten Untertan
zu schmelzen, zu läutern, umzugießen.
Wir wollen ihn sehen auf festen Füßen:
den Bürger, den Bauer, den Arbeitsmann.
Statt sie zu drücken und zu knicken,
wollen wir ihnen vielmehr das Rückgrat graderücken!
Statt sie zu beugen und zu knechten,
wollen wir sie machen zu Aufrechten.
Dann bin ich gewiß, daß es uns gelingt,
ihnen einzuhämmern den deutschen Instinkt.
Wir haben dann einen Wald von Helden,
nicht von alten Weibern, mit Respekt zu vermelden.
Wir haben Krieger wie Sand am Meer.
Eine unüberwindliche Landwehr.
Ungeprügelt, ungeschurigelt,
von einer geheiligten, furchtbaren Pflicht beflügelt,
wird keiner zögern, sein kostbares Leben
für deutsche Größe hinzugeben. –
Auch arbeiten unsre Schmiede schon
an einem neudeutschen Volkskaiserthron!
Nur hätten wir gerne für diesen Sitz
vielleicht einen neuen Alten Fritz,
der müde war, Sklaven zu gebieten.
Wir könnten ihm dann freie Männer anbieten.
Freilich fehlt noch der Mann der Zeit,
der Zwingherr zur Deutschheit,
markig genug, Volk und Fürsten zu beugen
und ihnen die Gasse der Freiheit zu zeigen!

Erster Bürger.
Freiheit! Da hätten wir ja den Speck!
Das kennt man! Man kennt schon die Apotheke!
Ihr macht Pariser Teufelsdreck:
am besten, man stellte euch vor die Muskete!
Sie gehören in Kerkerzellen.
Fehlt nur noch Schiller mit Wilhelm Tellen,
der meuchlings den Geßler erscheußt
und obrigkeitliches Blut vergeußt.
Und daß man am Ende den Schurken preist.

Heinrich von Kleist faßt Fuß neben Stein, Jahn und Scharnhorst.

Heinrich von Kleist.
Wer mich auf Tellens Armbrust weist,
der hat erkannt mein tiefstes Sinnen,
mein heimlich-düstres Gedankenspinnen.
Ich bin der Dichter Heinrich von Kleist.
Des Tellen Tat, des Geßlers Tod,
war' wohl am Ende ein Ende der Not.
Von Geburt bin ich preußischer Kriegsaristokrat.
Unser König ist ein Kunktator, ich will die Tat!
Zwar schrieb ich ein Stück: Die Hermannsschlacht.
Das war eine Tat: aber nur gedacht.
Damit kann ich mich nicht begnügen.
Meine Schläfen glühn, meine Pulse fliegen.
Ich liege in einem brennenden Bette.
Nachts wecken mich Stimmen: Rette, rette!
Rette uns vor dem Weltenknechter,
dem unbarmherzigen Menschenverächter!
Aber da ist kein Widerstand,
außer das Messer in meiner Hand.
Mein Tag würde anbrechen,
könnt' ich den Korsen niederstechen.

Erster Bürger.
Ins Karzer mit allen Narren und Schwärmern,
malkontenten, gefährlichen Lärmern!
Erst Verseschmied, dann Attentäter!
Erst Winsler und Dusler, dann Hochverräter!

Turnvater Jahn.
Unsrethalben erstickt in eurer Verblendung:
wir aber, wir schwören zu unsrer Sendung!

Jahn, Scharnhorst, Stein, Gneisenau und Kleist erheben die Hände zum Schwur.

Stimmen (aus der Orchestra).
Ein Rütlischwur, eine Schillersche Poesie!
Eine höchst bedrohliche Phantasie!

John Bull mit einem Geldsack tritt aus dem Vorhang und bis vorn an die Bühne. Jahn, Scharnhorst, Stein, Gneisenau und Kleist verlassen sie.

John Bull.
Ich sagen, es sind nicht genug Gold im Spiel.
Hier haben ich englische Pound, sehr viel.
Sehr viel englische Pound haben ich mitgebracht,
weil ich mir haben bei mir gedacht,
daß englische Pound deutschen Mut macht.
Englische Pound machen auch Zwietracht,
haben ich so bei mir gedacht.
Aber davon ein andres Mal.
Ich seh', euch plagen der kleine Korporal.
Pst! still! wir wollen nicht sein zu laut,
daß er nicht merkt und uns hinterrücks in die Pfanne haut.
Well, wir müssen dem Wüterich setzen ein Damm.
The Prussians sind alter Heldenstamm!
Ihr haben auch sehr brave Monarken,
wie zum Beispiel August den Starken.
Sie haben schon in Ur-Ur-Zeiten
mit unsere englische Pound sehr gut gearbeiten.
Ihr werden euch deswegen nicht kränken,
wir sind Merchants, is gar keine Rede von Schenken.
Aber the Englishmen, wir sind Kolonisatoren.
Ihr saßt in der Sandbüchse arm und verfroren.
Die Kreaturen vom Louvre sprechen noch heute
von eure brave König als »König von arme Leute«.
Wer will leben in unsre verdammte Welt,
der muß nehmen überall sein Stück Geld.
Wer hat ein Stück Schöpsenfleisch verdauen,
der, Teufel, der können dann ordentlich um sich hauen.
Aber wenn er nicht kriegen das Fleisch zu schlucken,
dann kriegen er flauen Magen und Mucken.
Jetzt wollen ich mir in die Hände spucken
und meine schöne Guineen begucken.

Der Weltbürger (ist bequem aus der Orchestra heraufgestiegen und klopft John Bull auf die Schulter).
Dürfte ich mir ganz untertänigst zu fragen gestatten,
möchte gern ganz gehorsamst wissen,
warum Ihro Gnaden sich so echauffiert hatten?
Haben Sie denn kein gutes Gewissen?
Ist Ihnen irgendwas Unvorhergesehnes begegnet,
oder wie hat's Ihnen sonst in die Bude geregnet?

John Bull.
Oh, es ist bloß wegen the Frenchman. Zwar
wir haben ihm eins versetzt bei Trafalgar,
wo hat an Admiral Nelson Seeschlacht verloren,
und sind worden viel Ships von Frenchman in Grund gebohren.
But the Kaiser who is called Napoleon
hat immer noch die Opinion,
nicht wollen zu grüßen our Union Jack,
aber wir haben gemacht ihm, zu zeigen das Heck.
Ich hassen sehr blutig Napoleon,
weil er sein Todfeind von Albion,
wie er ist Todfeind von fridrizianisches Reich.
Wir wollen ihn hassen beide zugleich.
Ob ich blicke nach Luv und Lee,
for ever good English muß bleiben die See
und for ever gut preußisch gut preußisch Land.
Darauf geben mir, Bruder, old fellow, die Hand.
Hier haben mein Geld, wollen wir beide losschlagen
und den Banditen ins Mausloch jagen.

Erste Stimme (aus der Orchestra).
Was redet der Kerl von überm Kanal?
Wir bleiben neutral! Wir bleiben neutral!

Zweite Stimme (aus der Orchestra).
Was will der Kerl: wir gehen nicht auf den Speck!
Akten schreiben ist mein Lebenszweck.
Was kümmern uns die Händel der Welt,
solange der Korporalstock hält.

Dritte Stimme.
Balgt euch da draußen, wie's euch beliebt,
solange es hier in Preußen Fidibusse und Tabakspfeifen gibt!

John Bull.
O well, is a good thing, Pfeifen und Tabak,
aber wundert mir sehr, daß ihr jetzt haben dran Geschmack
und nicht gebrauchen eure berühmte Korporalstock
wider den verfluchte europeanische Vogel Rock,
der euch zerfetzten die ganze deutsche Landkarte –
ich meinen natürlich den Bonaparte! –
und verfinstern den Himmel weit und breit.
Haben ich gedacht, daß ihr Deutsche seid.

Erste Stimme.
Noch besser! Deutschland ist uns spanisch.
Man komme uns! Wir sind friderizianisch.
Potzblitz, wofür hätten wir seine Gamaschen,
wollten wir fremde Wäsche waschen!
Wir leben hier friedlich und bequem,
Deutschland ist uns unangenehm.

Der Weltbürger.
In ganz gehorsamster Devotion:
Sie sprachen vom Kaiser Napoleon.
Der Kriegsheld ist Ihnen nicht sympathisch.
Ich bin keineswegs demokratisch,
doch sagt man sich, ohne viel Phantasie,
dieser Homme-Peuple ist sicher ein Weltgenie.
Nämlich: ich bin keine bête allemande,
sondern vertrete die Bildung im Lande
und begrüße, avec permission, eine Tat,
die uns Mainz und Aachen gekostet hat,
Mainz, Aachen, Köln und Trier!
Nichts für Seifensieder und Lichterzieher.
Je vous demande pardon, Monsieur.
Das linke Rheinufer ist französisch!
Bon! Wir sagen einfach adieu.
Es war uns ja sowieso chinesisch!
Und überdies: ich lese am liebsten Voltaire,
die Theokratie ist mir entsetzlich.
Wie flogen die Bischofsmützen plötzlich
und hunderte Krummstäbe hinterher.
Da hat der Mann der reinen Vernunft
diesen Fledermäusen mal gründlich aufgetrumpft.

John Bull.
Solchen Schnickschnack können ich never verstehen.
Ich kennen nur England for ever und meine Guineen.
So fragen ich also zum letztenmal . . .

Stimmen (aus der Orchestra).
Wir bleiben neutral! Wir bleiben neutral!

John Bull mit seinem Geldsack verschwindet hinter der Gardine. Eine Kriegsfurie rast durch die Menge, zwei brennende Fackeln schwingend. Sie stürmt die Treppe hinauf zur ersten Bühne. Gleichzeitig hört man gedämpften Kanonendonner.

Die Furie.
Krieg! Krieg! Ihr habt geschlafen.
Die Welt steht in Waffen.
Euer Erwachen kommt zu spät.
Eure Adler sinken bei Jena und Auerstädt.
Euer Feldherr ist wie eine Fliege im Teig,
genannt Herzog von Braunschweig.
Eure Offiziere sind Großmäuler und Ausreißer.
Eure Generäle Maulmacher und Klugscheißer.
Schon hat Marschall Lannes niedergerannt
euern strahlenden Louis Ferdinand.
Er wollte sich keinem Feinde ergeben:
Preußen verlor sein Heldenleben.
Hört ihr den brummenden Schlachtengesang
und das furchtbare En avant! En avant!
Seht ihr den feuerspeienden Schrecken
und Preußenleichen den Rasen decken?
Hört ihr den Schnitter? Er mäht! Er mäht!
und den gallischen Hahn, der Mord kräht?
Marmont, Davoust, wie sie her wettern
und eure Cadres zusammenschmettern?
Das ist die Sprache der korsischen Majestät,
eine Blutsprache, eine Blutrache,
er macht Preußen zu einer Blutlache.
Heißa, Murat und Bernadotte!
Ich sehe Blutquelle auf Blutquelle
unter jedem Schritt der Marschälle.
Betet, betet zu eurem Gotte!
Ihr erwacht zu späte! erwacht zu späte!
Hört ihr es jammern und klagen: Retraite, Retraite!
Das ist die Retraite der guten alten Zeiten,
die feurige Reiter jetzt überreifen,
die Retraite der Ruheseligen
vor dem neuen Leben, dem hunderttausendkehligen,
die Retraite der Umnachteten
vor dem Licht der Vernunft, dem verachteten.
Krieg! Krieg! Ich verkündige Preußens Untergang!
Ihr schlieft zu lang! Ihr schlieft zu lang!

Die Furie verschwindet schreiend durch den Vorhang.

Der Weltbürger.
Was zetert sie Jena und Auerstädt?
Tant de bruit pour une omelette.

Er steigt gemächlich in die Orchestra hinunter, die Hände auf dem Rücken.

Das Publikum (murmelt durcheinander).
Was geht uns das an: Jena und Auerstädt?
Tant de bruit pour une omelette.

Der Raum verdunkelt sich, Philistiades, beleuchtet, steht auf der Rampe.

Philistiades.
Ihr habt mich sichtlich ganz vergessen.
Ich half dem Direktor unterdessen
den gewaltigen historischen Apparat zu lenken.
Ich mußte an tausend Dinge denken.
Soeben sank ein Staat um,
natürlich durch ein höheres Fatum.
Freilich starb auch das unglückselige Land
am beschränkten Untertanenverstand,
denn der ergriff, eine Epidemie,
schließlich die allerhöchste Aristokratie.
Dabei fühlten sich alle altenfritzig –
und darin waren sie wirklich witzig!
Denn ohne Zweifel erregt es Gelächter,
hält sich für einen Apoll ein Nachtwächter!
Kurz, es ward Nacht um den Preußenthron,
den Vollstrecker der Reformation:
das war und ist seine heilige Mission.
Und jenen John Bull mit seinen Guineen,
den brauchte er gar nicht so scheel ansehen,
denn Preußen und Engelland,
das ist Protestant und Protestant.
Das ist die gesunde Zweiheit
der gesunden geistigen Freiheit!
Und wenn sie das je vergessen,
so wird sie der höllische Satan fressen,
zum Frühstück verschlucken und verdauen,
und die Gewissensfreiheit hat das Nachschauen.
Lobt jemand die Revolution?
Hier ist mehr: die ewige Reformation.
Darauf sollten sich Preußen und England vereidigen
und der Menschheit heiligste Güter verteidigen.
Euch Preußen, Volk oder Königen, sei bewußt
das bedeutsame Wort des berühmten Sallust:
Wir sollen von dem nicht seitab schwanken,
dem wir Dasein und Größe verdanken.

Erster Bürger.
Je n'y comprends rien. Rien du tout.

Zweiter Bürger.
Ich stehe wie vorm Scheuntor die Kuh.

Studenten, in ihrer Tracht, stellen ein Rednerpult auf die erste Bühne.

Dritter Bürger.
Was bringt man da herausgezerrt?

Vierter Bürger.
'ne Kanzel, ein Katheder.

Dritter Bürger.
Heut schwadroniert ein jeder.
Es werden zu wenige eingesperrt.

Philistiades.
Hört, hört, hört!
Hört auf den Doktor hochgelehrt
vom philosophischen Lehrstuhle
unsrer neugegründeten preußischen Hochschule!

Fünfter Bürger.
Nous sommes Prussiens. Mais j'espère,
il est ein französischer Orateur.

Erster Bürger.
Vient-il de Paris? oder wo kommt er her?
    (Johann Gottlieb Fichte erscheint im akademischen Talar.)
O mon dieu! ein simpler deutscher Bär.

Philistiades.
Er wird euch Germanistik vortragen
und allen Auslandsanbetern und Frankomanen gründlich Bescheid sagen.
Hört, hört, hört, was er spricht!
Er ist ein gewalt'ges Kathederlicht.
Geboren in eines Bandwebers Kate,
Deutschlands Genius stand zu Pate.
Sein Name ist Johann Gottlieb Fichte!
Ein Stern erster Größe der deutschen Geistesgeschichte.
Hoch Fichte! empfangt ihn mit Beifallsgeschrei!
Er muß merken, daß er willkommen sei.

Fichte (am Pult, beginnt seine Rede).
Ich bin gewiß, ihr vernähmet schon
von meinen berühmten Reden an die undeutsche Nation.
Ich werde nun hier nochmals bemüht,
mein längst bekanntes Kolleg zu lesen.
Wir müssen genesen vom fremden Wesen
zu unserem deutschen Geblüt und Gemüt.
Was ist der Grundzug der Deutschheit?
Deutschen Selbstes Selbständigkeit.
Das hat mit Selbstsucht nichts gemein.
Jeder Deutsche muß ganz Deutschland sein,
und ganz Deutschland
stärke dem Deutschen Herz und Hand.
Mit einem Worte das Kurze und Lange:
die Deutschheit steht vor dem Untergange.
Das Elend der Fremdherrschaft
zehrt unser Mark, unsern Lebenssaft.
Armseliges Volk der Dichter und Denker,
du bist gesunken in Schmutz und Schmach,
seit dir der korsische Schlachtenlenker
die Zunge ausschnitt und das Rückgrat brach.
Schande läßt sich nicht hinwegdenken und -dichten.
Wo ist ein Arzt, den Ehrlosen, Wehrlosen aufzurichten?
O du blinder deutscher Pfahlbürger,
fröhlich dienst du mit Gut und Blut dem fremden Würger
unter fremdem Panier gegen dein Mutterland.
Dein eignes Panier liegt zerfetzt auf dem Sand:
kaltherzig und feig warfest du's weg.
Das bleibt ein ewiger Schandfleck.
Dennoch mußt du waschen, mit Tränen und Blut,
so sauer dir's wird, so weh es tut.
Deutsches Volk, du mußt werden wieder rein.
Ich sehe ein Land bedeckt mit Gebein:
Felder, Felder voller Gebeine,
voll Würmer, Verwesung und Unreine.
Und mir war, als raunete Gottes Wort:
Menschlein, Menschlein,
wird dies Gebein, voll Gewürm und unrein,
jemalen wieder lebendig sein?
Herr! nein, nein, sprach ich, nein!
Und Gott raunte fort:
Menschlein, predige diesem Gebein:
Gebein, du wirst wieder lebendig sein,
dich dehnen, dich strecken,
mit Fleisch, Flechsen und Haut bedecken,
Blut soll quillen,
Odem viele Lungen erfüllen!
Und wie mir der Herr geboten,
so predigte ich dem Gebein, dem toten.
Da rauschte es in den Feldern voller Gebeine,
begann zu keimen, zu steigen, zu schwellen,
Männer quollen herauf wie aus Quellen,
Frauenglieder von Elfenbeine.
Wie aus Wurzeln sprießend ein sehr groß Heer,
ein wogenwerfendes Menschenmeer,
stark, jedes Ufer zu überschwemmen,
durch Brücke und Damm nicht mehr einzudämmen. –
Wird es mir je beschieden sein,
lebendig zu sehen totes Gebein,
euch dort unten aus bleiernem Schlafe zu wecken,
euch Auslandsgecken
zu lehren, eure Mutter zu ehren?
Werdet ihr endlich die Fremde auskehren
und nicht mit den Pfennigen fremder Sprachen
das Gold eurer Muttersprache blind machen?
nicht mit dem Edelmetall eurer Schächte
eintauschen das Fremde, Billige, Schlechte?
Werdet ihr es endlich begreifen,
daß andere Völker sich selber schleifen,
die deutschen Geistes Wurzeln ausbrechen?
Werdet ihr endlich das Machtwort sprechen?
Schlagen die große Reveille der Selbstachtung
in die schmachvolle Todesumnachtung?

Erster Bürger.
Mein Herr Professor, hüt' Er sich vor dem Profossen!
Man hat den Buchhändler Palm erschossen.
Kaiser Napoleon wird sich schwerlich genieren,
Euch wie jenen zu füsilieren
für das Thema: Deutschland in seiner Erniedrung.

Ein Trupp deutscher Studenten stürmt mit gezogenen Rapieren in die Orchestra.

Erster Student (gegen den ersten Bürger).
Knecht! Knecht! Diene dir das zur Erwidrung!

Erster Bürger.
Du Bürschchen, hinter den Ohren noch naß!
Einem hochehrsamen Bürger sagst du das?

Zweiter Student.
Elender Philister, Pfahlbürger und Spießer,
rutsch Bauch nach Paris, du bist ein Pariser!

Erster Bürger.
Gut, gut! Das ist ein hübsches Getümmel!
Lernt ihr das auf den neuen Hochschulen, ihr Lümmel?

Dritter Student (haut ihm den Zylinder ein).
Scher' Er sich in die Federposen
mit seinen französischen Unterhosen!

Zweiter Bürger.
Da ist man doch zum Protest verpflichtet.
Wird jetzt ein solches Gezücht gezüchtet,
unsere Jugend dermaßen verderbt und verführt,
dann ist's Zeit, daß der ruhige Bürger sich rührt.

Vierter Student.
Das soll heißen: »Frisch drauflos denunziert!
Den Büttel heraus! Jedem ein Schloß vor den Mund!
In die Kasematten den deutschen Hund!«

Dritter Bürger.
Ich kenne dich, dein Herr Vater ist
ein ehrsamer Handwerksmeister und guter Christ.
Es würde dir meines Dünkens geziemen
eine Tracht Prügel mit seinem Knieriemen.

Vierter Bürger.
Heut will ein jeder obenhinaus,
da werden denn solche Früchtchen draus:
Schlingel, die sich unmäßig erdreisten.
Schuster, bleib bei deinem Leisten!

Vierter Student.
Mein Leisten würde dir wenig behagen,
dich müßt' ich zuerst darüber schlagen,
denn du hast einen viel zu engen Hirnkasten.

Dritter Bürger.
Großmäulige, unreife Gymnasiasten!
Nehmt eure Fibel und geht in die Klasse!

Fünfter Student.
O ihr Knechtseelen, wie ich euch hasse!
Unbewegliche, fühllose, träge Masse.
Ein dicker, schlammiger Most ohne Gärung,
ohne Feuer und ohne Klärung.
Kein Funke verfängt, kein Strahl durchdringt euch,
kein Geist, doch jeder Fußtritt bezwingt euch.

Fünfter Bürger.
Was, Fritz, du hier? mein eigner Sohn?

Fünfter Student.
Ich wünschte, wir wären weiter schon,
ich säße mit Sporen und Schwert zu Pferde
oder düngte mit Blut die deutsche Erde.

Fünfter Bürger.
Überstiegenes Geschwätz! Puerile Narrheiten!

Dritter Bürger.
Laßt sie doch Steckenpferdchen reiten!
Gebt ihnen Pappschilder und hölzerne Schwertlein,
Papierhelme und falsche Bärtlein!
Wird der Lärm zu groß in der Kinderstuben:
der Kaiser macht kurzen Prozeß mit Schulbuben.
Denn unser allmächtiger Empereur
bleibt doch der beste Professeur.

Der alte Blücher, siebzigjährig, weißhaarig, drängt sich durch die Studenten. Sie treten mit Ehrfurcht zurück, bilden eine Gasse und senken die Schläger.

Blücher.
Euer Diskurs macht mich sehr viel Spaß.
Parbleu! Hölle und Teufel und noch was!
Vor mir ist das alles Schnickschnack:
einer krepiert gern in Freiheit,
der andre gern im Bedientenfrack.
Einer liebt die Tressen, die Livree,
der andere hat lieber die Liberté.
Einer schmarutzt lieber Trüffeln von silbernen Platten,
erschlichen durch Liebedienerei.
Der andere frißt lieber Mäuse und Ratten
und trägt den Nacken steif und frei.
Ich zum Beispiel, für meine Person,
ich rede gern einen deutschen Ton.
Ich liebe den Mut. Ein Kerl ohne Courage –
Jungs! Pfui Teufel! da . . .
Mut hat nicht bloß ein roter Husar;
er kann stecken in Bluse und Talar.
Er kann stecken in Jungen und in Alten.
Ich hab' ihn zum Beispiel bis heute behalten.
Aber einen jungen Schlingel, der ihn nicht hat,
den soll man ersäufen im Kattegatt.
So liebe ich, Gebhard Leberecht Blücher,
mehr eure Rapiere als eure Bücher.
Eure Herrn Väter, au contraire,
lieben Akten und Bücher mehr.
Was wär' ich dagegen ohne dem Schwert?
Keinen Schuß Pulver wäre ich wert.
Was hätt' ich zu Stargard sollen ausfressen,
hätte ich nicht meinen Krötenstecher besessen?
Den habe ich jeder Fliege an der Wand
wenigstens durch und durch gerannt,
um nicht vor Galle und Zorn zu ersticken.
Dem Korsen könnt' ich nicht auf den Leib rücken:
deshalb, wie gesagt, massakrierte ich Fliegen und Wanzen
und gab ihnen Namen französischer Generäle und deutscher Hofschranzen.
Und sah ich mal einen großen Brummer,
da wuchs mir die Galle zugleich und der Kummer.
Ich nannt' ihn gewöhnlich Bonaparte
und gab ihm eins mit der Flachen auf die Schwarte,
und, Jungs, potz Satan, nicht ohne Schwung,
mit schillerischer Begeisterung!
Kurz, Bengels, da hätt' ich mein Thema beim Kragen:
könnt' ich das von dem korsischen Bösewicht auch sagen!
Mein Thema ist nämlich, lang und kurz:
des Kaisers Napoleon Höllensturz.
Es sitzt mir im Hirn, es hockt mir im Herzen,
und nur der Sieg oder Tod kann es ausmerzen.
Es macht mich krank, es macht mich gesund
und schweißbegierig wie einen Hetzhund.
Ich kann nicht liegen, ich kann nicht stehen,
ohne mein Wild vor Augen zu sehen.
Ich bin kein Heiliger, kein Prophete,
und doch liege ich Nacht für Nacht im Gebete
und bitte den Höchsten, Deutschland zu wecken
und seine Rache durch mich zu vollstrecken.
Da gibt es kein Aber und kein Wenn.
Ich zertrete den Mann, der uns zertreten.
Er wird verschlucken den Fisch mit den Gräten.
Ich raste nicht, er verröchele denn!

Erster Bürger.
Wie geraten Exzellenz denn in solche Wut?

Blücher.
Das, merk' Er wohl, das liegt im Blut!
Wenn man Ihm um die Ohren schlägt,
so bleibt sein Inneres unbewegt.
Brennt man den Hammel an der Stirn,
bleibt unbewegt sein dumpfes Hirn.
Legt man euch Zaum und Sattel an,
so bläht ihr euch als Untertan.
Reißt euch der Sporn die Seiten blutig,
so kurbettiert ihr fromm und mutig.
Ein jeder Reiter ist euch recht
und jeder beliebige Müllerknecht.
Euren Halfter kann ein jeder fassen.
Ihr seid bereit, jedem Schinder das Fell zu lassen.
Aber Leute wie ich und der Freiherr vom Stein,
wir sind schon lange nicht mehr vierbeinig:
wir tragen den Kopf hoch oben, mein' ich,
und im allgemeinen soll es so sein.
Vielleicht entschließt ihr euch, werdet auch mal so adlig
und in punkto Ehre wie ich untadlig.

Erster Bürger.
Dagegen hätte ich nichts, Exzellenz.
Meine untertänigste Reverenz.
Vielleicht sind Sie so ungeheuer gefällig
und werden an höchster Stelle vorstellig.
Ist der Welteroberer einmal perdu,
dann sing' ich ganz gern Ihre Melodie.
Und haben Sie ihn zur Strecke gebracht,
dann ändert sich alles über Nacht,
dann werde ich mich gewiß nicht sträuben
und etwa gar napoleonisch bleiben.
Wie die Dinge jetzt liegen, werd' ich zuletzt
immer wieder ins Recht gesetzt.
Exzellenz machen eine verdutzte Miene.
Der Korse beherrscht eben noch die Weltbühne.
Das Rednerpult wird umgestürzt,
der Denker um einen Kopf gekürzt.

Zweiter Bürger.
Sie packen ihn schon. Warte, du deutscher Esel!
Es wird dir gehn wie den Elfen von Wesel.

Ein Detachement französischer Soldaten hat mittlerweile das Rednerpult umgestürzt und treibt Johann Gottlieb Fichte vor sich her von der Bühne. Gleich darauf erklingt dumpfer Trommelwirbel.

Die zweite Bühne wird enthüllt. Man sieht elf Husarenoffiziere an einer Mauer zusammengesunken. Sie sind standrechtlich erschossen worden. Die dazu kommandierte französische Abteilung steht Gewehr bei Fuß.

Zwischen den Franzosen und den Toten, im Hintergrund, steht mit dem Gesicht nach vorn der Trommler Mors. Sein Trommelwirbel schweigt, und nun eröffnet sich die dritte Bühne. Man erblickt wiederum Napoleon und seine Marschälle.

Napoleon.
Was bedeutet denn diese Füsillade?
Prächtige Leute! 's ist jammerschade.

Französischer Offizier.
Elf gefangene Schillsche Offiziere.

Napoleon.
Ah, die Leute des Schill, die ich nicht pardoniere!
Pardonierte ich solche Rebellen,
man würde mich selbst an die Mauer stellen.
Solche Hitzköpfe muß man niederknallen.
Und der Major Schill selbst?

Französischer Offizier.
                                              Ist leider gefallen.
Im Straßenkampf, Majestät, zu Stralsund.

Napoleon.
Ein preußischer tête carrée! Ein Ausbund!
Ein lächerlicher, höchst alberner Draufgänger!
Mit solchen Zettelungen und Putschen
soll mir Preußen den Buckel lang rutschen.
Wahrhaftig, sie wissen nicht, was sie tun,
diese armen, zertretenen deutschen Heloten,
die elend für Fürsten und Adel roboten,
alle zehn Jahre einmal im Topf ein zähes Huhn.
Ich mache sie los von Diensten und Lasten,
entwöhne sie vom Schwitzen und Fasten,
befreie sie von der Erbuntertänigkeit,
rette sie aus der Bestialität zur Menschlichkeit,
und sie danken es mir wie diese Husaren.
Mögen sie also zum Teufel fahren!
Bevor mein Stern regierte die Stunde,
erhielten sie Stockprügel wie die Hunde.
Sie hatten Schwielen auf ihren Fellen
und geschwollene Backen von Maulschellen.
Von dreihundert Souveränitäten
wurden sie in der Kelter zertreten.
Aber ich fand sie nur noch als Trester,
als kraftlose, ausgetrocknete Rester.
Wollen sie jetzt etwa aufbegehren
und den spanischen Tritt vorkehren?
Eher wird ein Franzos' zum Herero
als ein deutscher Hammel zu einem Torero.
Als was erschien ich wohl diesem Majore,
der sich erhob wider die Trikolore?
Ich bin Herr von Italien und Holland,
von Oldenburg und Ostfriesland,
der Hansastädte und freien Reichsstädte.
Auch das Preußischblau sitzt auf meiner Palette.
Viermal schlug ich Österreich
windelweich.
Überall diktiert' ich der Welt meinen Willen.
Und sollte mich aufhalten bei solchen Schulen?
Erspar' uns Gott solche Beschämungen!
Uns bewegen ganz andere Unternehmungen.
Europa hat Grund, zu zittern und zu raunen.
Bald setz' ich die ganze Welt in Erstaunen.
Nahe bevor steht das Nichtzuvermeidende,
das für Orient und Okzident Entscheidende.
Morgen will ich halten die Heeresschau
und übermorgen niederreißen den alten Weltbau.
Was ist Europa: ein Ländlein!
Ein Gernegroß, sogenanntes Kontinentlein!
Ein Erdteil? – nun, ein Sandkorn ist auch einer! –
In meinen Augen ist es keiner.
Dort, wo die Indier unter englischer Peitsche schwitzen,
muß die Spinne im Netz der Weltherrschaft sitzen.
Dorthin sollen meine Adler vorstoßen,
dort will ich vereinen die Macht Karls und Alexanders des Großen.
Ja, die chinesische Mauer werde ich einreißen
und das Reich der Mitte dem meinen anschweißen.
Das ist durchaus kein Cäsarenwahn,
alle diese Dinge sind leicht getan:
der Weg ist viel kürzer bis dorthin
als der, den ich bis hierher bereits gegangen bin.

Die zweite und dritte Bühne werden abgeschlossen. Auf der ersten erscheint wiederum die Kriegsfurie.

Die Furie (fackelschwingend).
Krieg! Krieg! Ihr habt geschlafen.
Die Welt steht in Waffen.
Kriegsbrand! Kriegsbrand
von Kap Finisterre bis Samarkand!
Weh dir, weh dir, Rußland!
Du bist in des neuen Cäsars Hand.
Er betritt den Thron über allen Thronen:
der Kaiser, l'immortel Empereur.
Seine immer donnernden Kanonen
fegen vor ihm die Erde leer.
Er winkt, und Könige bringen
ihm Kriegswagen, Kriegsrosse und Schwertklingen.
Und was sie ihm noch bringen,
das ist mehr, das ist mehr!
Ihrer Länder Mark ist sein Kriegsheer.
Italiens heißes Blut,
Spaniens Glut
ist des Vernichtungsstromes Flut.
Ihre feurigen Jünglinge senden
Deutschland, Holland und Österreich!
Die Flut schwillt brausend, bald birst der Deich.
Adler steigen und schreien Gloire.
Hüte dich, Zar, hüte dich, Zar!
Sechsmalhunderttausend Soldaten
werden zertreten deine Saaten.
Du wirst ein Vasall des Weltpotentaten.
Umleuchtet von seinen unsterblichen Sonnen,
die ihm gehorsam folgen wie Motten:
begonnene Schlacht, schon ist sie gewonnen.
Er vermag zu töten, vermag zu vergotten.
Vermöge geheimnisvoller Zeichen
erschafft er Halbgötter oder Leichen.
Und wenn sie verblutend die Erde bedecken,
so müssen seine unsterblichen Sonnen das Blut auflecken.
Das sind seine göttlichen, himmlischen Hunde
mit dem lechzenden Glutmunde.
Er hat ihrer stumme, bellende, beißende,
Völker und Länder in Fetzen zerreißende.
Ich verkündige Rußlands Untergang!
Ihr schlieft zu lang! Ihr schlieft zu lang!

Die Furie rast davon. Die Orchestra hat in Dämmer gelegen. Von dorther werden jetzt einige Stimmen vernehmlich.

Erste Stimme.
Er treibt die Welt wie einen Kreisel!

Zweite Stimme.
Gottesgeißel! Gottesgeißel!

Dritte Stimme.
Blitzeschleuderer! Ägiserschütterer!
Wolkenversammler! Reichezersplitterer!

Die obere Bühne enthüllt sich. Man erblickt Napoleon, als Zeus, auf dem Thron, zu seinen Füßen den Adler. Es blitzt in seiner Hand. Ein furchtbarer Donnerschlag rollt nach. Aber das Bild verblaßt in zunehmender Dunkelheit und allmählich eintretendem Schneeflockenfall. Während des Folgenden hört man Schlittengeläut.

Stimmen (aus der Orchestra).
Duckt euch, duckt euch!
Es gewittert.
Die Bühne erzittert.
Es schlug ein. Aber wo?
wo? wo? wo schlug es ein?
Es ist still, ganz still!
So verhalten!
Es riecht nach Schwefel und Brand!
Hat sich die Erde gespalten?
Armes Deutschland!
Was ist das für ein Blutgequill?
Nein, es ist Regen. Weh! Weh!
Es ist kein Regen, ist blutiger Schnee.
Horcht doch: Was ist das? Seufzer Sterbender!
Röcheln in Eis und Schnee Verderbender!
Abgerissene Glieder! Wunden! Lumpen!
Zähnefletschende Leichen! Blutklumpen!
Hunde und Wölfe in Eingeweiden wühlend.
Tod aus steifen Kadavern schielend.

Es ist heller geworden. Nur die erste Bühne ist noch unverhüllt. Dort sitzen zwei preußische Unteroffiziere an einem grünen Tischchen bei der Lampe. Sie halten Gänsefedern und haben Skripturen vor sich. Der Zutritt zu dieser Bühne aus der Orchestra wird durch preußische Soldaten abgesperrt, die mit vorgehaltenem Gewehr andrängende deutsche Mütter aller Stände zurückweisen.

Erste Mutter.
Was ist geschehen? Was ist geschehen?
Blutregen fällt auf meine Hand.

Zweite Mutter.
Ich will meinen Sohn wiedersehen!
Er zog mit dem Kaiser nach Rußland.
Der König hat ihn nach Rußland gesandt.
Hier bleibe ich stehen unverwandt!
Warum hat ihn der König hingegeben,
für den Korsen zu lassen sein Leben!?

Erster Schreiber.
Ma chère Madame, das wissen wir nicht.
Wir tun hier einfach unsre Pflicht.
Aber ich gebe Ihr zu bedenken,
dreimalhunderttausend junge Männer läßt sich der Kaiser jährlich von Frankreich schenken.
So viel müssen französische Mütter ihm gebären
und bis zum Tage des Schlachtens ernähren.

Dritte Mutter.
Wo ist mein Sohn? Wo ist mein Sohn?
Er zog mit dem Kaiser Napoleon.
Ich empfahl ihn Gott, gab ihm Kuß und Segen.
Was soll nun der Blutregen?

Erster Grenadier.
Ick sein ein Franzos. Wir sein Menschen, Kamerad.
Ma mère 'aben auch su Kind ein Soldat.
In Frankreich schlafen schon viele Jahr
keine Mutter su Nacht vor Sorg und Gefahr.
Mon père est mort, vor längst, in die Schlacht.
Hat mich einmal mit blutbespritzte Gesicht in Gesicht gelacht.
Mein Sohn, lerne sterben, sagte mon père.
Damals sah ich ihn einmal und dann nicht mehr.

Dritte Mutter.
Was geht mich das an, was Er da sagt?
Ich habe nach meinem Kinde gefragt . . .

Zweiter Schreiber.
Wir tun hier unsre Soldatenpflicht.
Wo Euer Kind ist, wissen wir nicht.

Vierte Mutter.
Soldatenpflicht hin, Soldatenpflicht her:
gebt mir meinen Sohn! Wo ist er?
Ich sah im Traum einen Strom, und der war rot,
darin schwamm mein Kind, und das war tot.

Zweiter Grenadier.
Frauchen, du mußt nicht so viel in Traumbüchern lesen.
Die Grande Armée ist vernichtet, aber des Kaisers Gesundheit ist niemals besser gewesen.

Fünfte Mutter.
Gebt unsre Söhne heraus, ihr Schufte!

Zweiter Grenadier.
Halt deine Schnute, Megäre, verdufte!
oder geh und fisch in der Beresine!
Vierzigtausend Muttersöhnchen
treiben darin, hineingefegt von Kanönchen:
arbeiten besser als jede Guillotine.
Vielleicht beißt dein Junge an,
versuch's! Eines Bahrtuchs kannst du dann freilich nicht entraten.
Was tut man mit einem krepierten Soldaten?

Sechste Mutter.
Wollt ihr uns noch verhöhnen, Canaillen?

Erster Schreiber.
Was will man? Bataillen sind Bataillen.

Erste Mutter.
Ist vernichtet die Große Armee,
so rufen wir Mütter ach und weh.
So rufen wir Mütter zehnfach Fluch!
Gott, nimm's in dein Schuldbuch,
daß Metzgergesellen die, die wir gebaren,
hinwürgen zu Haufen, hinschlachten zu Scharen!
Daß die Lieblinge unsrer Wiegen
als stinkendes Aas auf den Feldern liegen . . .

Zweiter Grenadier (nimmt die erste Mutter fest, um sie fortzuführen).
Ich denke, ich tue recht, Herr Schreiber.

Erster Schreiber.
Jawohl, es sind staatsgefährliche Weiber.
Und diese besonders: sie mag hinter Schlössern und Riegeln
die ruhigen, braven, friedsamen Bürger aufwiegeln.

Universitätsdozenten, Studenten, Gymnasiasten, Jünglinge und Knaben aus allen Ständen haben sich einen Weg durch die Weiber gebahnt und befreien die festgenommene erste Mutter.

Erster Student (Theodor Körnern ähnlich).
Nein! diese Frau führt nicht fort!
Seht ihr den Blutschein? dort, dort!
Was ist geschehen?
Mütterchen Rußland liegt in Wehen!
Nein, sie gebar, sie gebar
ein Kind mit fressendem Flammenhaar!
Ein Kind, wild und ingrimmig,
einen Sohn, urmächtig und löwenstimmig,
stärker als Könige, stärker als Kriegsheere!
Es heißt: die nationale Ehre!
Volksehre heißt es,
und Knechtsketten zerreißt es!
Hinweg, Scherge, nimm deine Hand!
Dahier ist Mütterchen Deutschland!
Kennst du sie, ihr entarteter Sohn?
Sie gebar Dürer, Luther, Melanchthon,
sie gebar den himmlischen Laut unsrer Sprache,
nun soll sie gebären den Gott der Rache!

Zweiter Student.
Seht ihr den glühenden Fächer?
Mütterchen Rußland ist sein Ursächer.
Die gewaltige Frau
ließ verlodern in Brunst Moskau:
bevor es trüge des Korsen Sohlen,
sollte es erst zu Asche verkohlen.
Aber die Asche ward zornige Glut
und rauchte von beizender Volkswut
und sengte den Schritt des fremden Kaisers
und machte zuschanden das Lob des Siegpreisers.
Da erkannte der Korse eine Macht,
die stärker ist als gewonnene Feldschlacht.
Es ist die Sprache der Mütter, der Mütter!
Sie war es, sie redete im Gewitter.
Wie Donnerrollen von Wolke zu Wolke,
so redet auf einmal Volk zu Volke.
Und unsere Mutter hier versteht
den Ruf der Schwester, der ergeht.

Dritter Student.
Mutter, Mutter, o klage nicht mehr!
Liegen deine Söhne erschlagen,
so sollst du uns Übriggebliebene daran wagen,
die Brüder zu rächen, ein sehr groß Heer.
Sieh, wie dort unten die Woge schwillt,
wie alles von Jugend und Mannheit quillt!
Das sind nicht bezahlte Landsknechte,
sondern jeden durchbraust dein Blut, das echte.
Dein Segen begleite uns mütterlich,
und wir brausen ins Feld und siegen für dich.
Unsre nackten Leiber wird dein Segen
festmachen im Freiheitskugelregen.
Kindesliebe wird uns feien,
wenn die Kanonen deines Schänders Tod und Verderben speien!
Nackt werfen wir uns in den Höllenrachen,
und du magst jeden verleugnen als Bastard,
der nicht stirbt fest und hart,
der sein Leben nicht von sich wirft mit Hohnlachen.
Denn es jubelt in uns von Todeslust,
zu bieten dem Feinde Stirn und Brust.

Das von den Jünglingen befreite Weib wird zur nächsten Bühne emporgeführt, die sich eröffnet hat. Die Gestalt wächst, ein Schwall rotblonder Haare befreit sich und rollt über ihre Schultern zur Erde. Auf der zweiten Bühne ist ein Altar errichtet, den antike Priesterinnen umgeben, aber auch einzelne Jünglingsgruppen, deren erste von Stein, deren zweite von Scharnhorst, deren dritte von Fichte, deren vierte von Jahn geführt ist.

Die erste Mutter (etwa in halber Höhe zur zweiten Bühne, steht still und wendet sich. Sie ist in eine Erscheinung von fast übermenschlicher Art umgewandelt. – In verändertem Ton).
Steht auf! Blast die Trompeten!
Heraus die Musketen!
Ihr, die ich gebar aus meinem Schoß,
ihr Kleinen, Unmündigen, werdet groß!
Ihr Väter und Mütter, Töchter und Jünglinge,
werdet freie Fechter, nicht Söldner und Dinglinge.
Sie opferten euch auf Feldern der Schande,
ich werfe euch hin dem Vaterlande.
Ihr wart dem Tyrannen willig und billig:
ich gebe euch billiger und freiwillig.
Ich schenke euch hin, ohne euch zu zählen.
Nun wählet die Freiheit, ohne zu wählen.
Wir sind nicht von heute, wir sind nicht von gestern.
Man soll unsern alten Namen nicht lästern:
uns allen, Schwaben, Bayern, Sachsen –
das deutsche Maul ist uns allen gewachsen!
Preußen, Badenser, Thüringer, Hessen,
daß wir Brüder sind, haben wir niemals vergessen!
Auch Lothringen und Elsaß
ist Wein aus dem alten Mutterfaß.
Ich nährte euch alle an meiner Brust
in Lust und Unlust!
Vergesset Neid und Geschwisterstreit:
seid einig und zeigt der Welt, wer ihr seid!

Freiherr vom Stein (ist an die Sprecherin herangetreten).
Mütterchen, du hast recht.
Was du sagst, klingt nicht schlecht.
Wart ein wenig, erinnre dich mein:
ich bin dein Sohn, bin der Freiherr vom Stein.
Deine Worte kommen mir aus dem Herzen.
Gewiß ist, wir müssen die Scharte ausmerzen.
Du warst allzu langmütig, allzu kühl,
nun entdeckst du dein heiliges Muttergefühl.
Das Eis ist geborsten, um so besser!
Nun gibt es nur Kampf, nur Kampf bis aufs Messer!
Dämme nun aber deine Wutrufe
und steige mit uns von Stufe zu Stufe!
Dort entglimmt eine Flamme auf einem Altar,
der lange, lange erkaltet war.
Priesterinnen in Trauer ringsum
hüten ein totes Heiligtum:
dahin laß dich emporführen,
das Hochamt, das neue, zu zelebrieren.
Sei Priesterin und Göttin zugleich!
Wir sind Deutschland, nicht Frankreich.
Zwar machen wir dich zur deutschen Athene:
aber ein ganzer Deutscher, ein halber Hellene.
Das wird dir kein fremdes Tröpflein beimischen.
Du wurzelst doch ganz und gar im Heimischen.
Doch es geht nicht anders, sollst du uns taugen,
mußt du nachts sehen mit Eulenaugen
und am Tag mit den meeresblauen
Himmel und Erde durch und durch schauen.
Auch sonst müssen wir dich ein wenig umkleiden.
Habe die Gnade, es ruhig zu leiden.
Auf dem Haupte Athenens Goldhelmsfeuer,
sollst du sein der deutschen Einheit ewiges Elmsfeuer.
Hier die goldene Spitze am Speere
sei das blitzende Wahrzeichen deutscher Volksehre.
Und hier die Ägis sollst du erschüttern
als die gewaltigste unter den Müttern,
wenn sie mit Haß- und Neidgestänken
den reinen Lichtäther rings ertränken.
Dann scheuche die Ratten und die Mäuse,
die Maulwürfe, Heuschrecken, Fliegen und Läuse
und stärke die deutschen Heraklese, Achilleuse und Odysseuse.
Sei stets die Erkennende, niemals die Trennende,
die Erwärmende, aber wenn's sein muß, die Brennende!
Sei die Liebende, selten die Hassende,
aber wenn's sein muß, die eisern Zufassende!

Man hat das Weib bis an die Stufen des Altars emporgeführt, dort steht es, nun als Pallas Athene gekleidet und gewappnet, hoch aufgerichtet da. Gewaltiger und begeisterter Zuruf der Menge.

Athene Deutschland.
Ihr habt mich gewappnet, das ist gut!
Erhoben zur Priesterin und Göttinne.
Ich grüß' euch unterm Goldhut,
ihr Hochgesinnten, mit hohem Sinne:
junge Männer, Jünglinge, Knaben,
die mich geweckt und gewappnet haben.
Leuchtende Jugend, unversiegliche Kraft,
Jünger der Kunst und der Wissenschaft,
Denker, Dichter, süßtönige Sänger,
des neuen Lebens Ursächer und Anfänger.
Tretet heran, Jungmann an Jungmann,
daß ich einen jeden von euch zu Sieg oder Tod weihen kann.
Euren lorbeerumrauschten Gedanken entstiegen,
muß ich eure Nacken zum Opfer umbiegen.
Ihr habt mir gegeben das neue Leben:
ich muß euch dafür dem Tode hingeben.
Ich gebiete euch dreierlei:
Macht Deutschland von der Fremdherrschaft frei!
Sorget, daß Deutschland einig sei!
Und seid selber frei! Seid selber frei!

Sie hat zweien der Jünglinge in das lange blonde Haar gefaßt und ihre Köpfe, wie zum Opfer, über den Altar gebogen. Die Volksmenge bricht in Begeisterung aus. Man hört durcheinandergesungen »Lützows wilde Jagd«, »Frisch auf zum fröhlichen Jagen«, »Was blasen die Trompeten, Husaren heraus« usw. usw. Die ganze sehr mächtige Szene verdunkelt sich. Das Brausen der Begeisterung ebbt ab, und die Gesänge verklingen. Zurück bleibt einzig, in mystischer Beleuchtung hoch aufgerichtet, Athene Deutschland. Und auf der ersten Bühne Philistiades.

Philistiades.
Ich komme euch schwerlich recht gelegen
mitten hinein in den Freiheitswaffensegen.
Aber was tut man gegen den Befehl des Direktors
im Amte des einfachen Unterinspektors!
Mir gefiel dieser Aufschwung ungeheuer:
ich liebe das plutonische und das olympische Urfeuer.
Gern hätte ich euch noch sehen lassen
den Vernichtungsweg der glühenden Lavamassen.
Als das mein Direktor erfuhr,
rief er: Kunst ist Abbreviatur.
Das Leben ergeht sich in Weitschweifigkeiten,
Kunst muß ein Ende finden beizeiten.
Nun ja, es ist wahr: das entscheidende Wort ist gesprochen,
unsre Heldenpuppe, der Korse, zerbrochen.
Das Schlachtenglück wogte hin und her,
aber der Direktor stand hinter dem Korsen nicht mehr.
Er rang mit der riesigen Übermacht
und gewann zum Beispiel die Lützener Schlacht:
warf Russen und Preußen, York, Scharnhorst und Blücher.
Er schlug sie bei Bautzen noch fürchterlicher.
Aber bei Leipzig, bei La Rothière
und endlich bei Waterloo sank er,
sanken seine Adler und Fahnen,
erbleichte der Kamm des gallischen Hahnen.
    (Er nimmt aus seinem Rucksack ein Schiffsmodell und hält es hoch.)
Hier halt' ich ein Schiffchen, heißt Bellerophon!
Klopft man daran, gibt's einen Schmerzenston.
Es trägt den großen Napoleon
als Gefangenen des mächtigen Albion.
Es hält den Kurs in die große Leere,
nach dem ödesten Felsen im öden Südmeere.
Und was da pulst gegen seine Wanten,
das ist das Herz, das wir alle kannten.
Und der furchtbare Wille, dem nichts widerstand,
liegt jetzt zerbrochen hinter der Schiffswand.
Und sicher wird Meile um Meile gemessen.
Sie schleppen ihn fort in das große Vergessen,
wo sich auch der zäheste Wille
nutzlos zermartert in der unendlichen Stille.
Dort wird er sich vergeblich aufbäumen
in den unendlichen, einsamen Räumen.
Schlaflos wird er sich wälzen in seinen Ketten,
wie einst seine Feinde in ihren Schmerzensbetten.
    Er wendet sich und scheint Athene Deutschland erst jetzt wieder zu bemerken.
Doch was erblick' ich? Die Gottheit
ist geblieben im Wandel der Zeit:
sie hebt das gewappnete Haupt ins Licht.
Diesen Coup des Direktors verstehe ich nicht.
Denn wenn sie weiter so steht und ragt,
so siegt zuletzt die heilige Klarheit.
Wo bleibt dann der Welt und meine Narrheit
vor dieser gewappneten Mutter und Magd?
Mich durchschauert ihr Glanz. Mich erschüttert ihr Schweigen.
Beinahe möchte ich von der Bühne steigen.
Das Drama der Menschheit beruht auf Verwirrungen.
Doch dieses Schweigen löst alle Irrungen.
Wenn sie den Speer schleudert, ja nur spricht,
so trübt sich schon das durchdringende Licht.
Man möchte sagen: Taten verdummen.
Weisheit bedeutet das große Verstummen.

Hinter Athene Deutschland wird nach und nach auf der höchsten Bühne die Fassade eines gotischen Domes sichtbar. Überhaupt beginnen Athenens Helm, Schild und Speer immer stärker allgemeines Licht zu verbreiten.

Auch die Sonne, die himmlische Tagesquelle,
verbreitet schweigend schweigende Helle.
Ihre weckenden, nährenden Strahlen geben
liebeglühendes Erdenleben.
Sie lockt die Früchte aus Gräsern und Bäumen
und läßt die Auen in Blüten schäumen.
Und wunderlich: auch diese dort,
sie bildet schweigend um und fort.
Sie winkt empor zum heiligen Ort
hoch überm finstern Wahn des Krieges,
hoch überm Taumel blutigen Sieges.

Athene Deutschland (während eine leise Sphärenmusik durchsichtiger Klänge ertönt).
Welch reine Töne, neue Klänge hör' ich nun,
da sich aus blut'ger Nacht der reine Tag erhebt.
Die Reifen schmelzen, die ein Alp um mich geschweißt,
und reich und leicht vermählt sich mir das klare Licht.
Wie Nacht von meinem Helm und Schild und Schwerte rinnt
zum Hades, also trieft von meiner Seele auch
das Nächtliche und sinkt hinab. Der blutige Spuk
zergeht. Noch schauernd von dem Bad traumschwerer Nacht,
betret' ich nun den reinen Gipfel des Olymps,
die klare Heimat sel'ger Götter. Hoch hinaus
mich weitend in des lichten Äthers andres Bad.
Und alldurchdringend, mich durchdringend allzugleich,
erkenn' ich meines Daseins, meiner Waffen Sinn:
Die Tat des Friedens ist es, nicht die Tat des Kriegs!
Die Wohltat ist es! Nimmermehr die Missetat!
Was andres aber ist des Krieges nackter Mord?
So ruf ich euch denn auf, ihr eines anderen Krieges
Krieger! Ihr, nicht Tod bringend, Leben Schaffende!
Des heiligen Werkzeugs goldne Waffe schenkt' ich euch,
die volle Frucht aus steinigem Grund zu schöpfen, und
ich machte euch zu Ringern mit dem Wahn. Ich hob
des blinden Hasses Binde euch vom Auge los.
Ich machte euch zu Liebenden. Ich wies euch an,
Pfade zu treten mit des Friedens lieblichen
bekränzten Füßen. Breite Straßen lehrt' ich euch
auswerfen für der Liebe Bruderschritt. Ich hieß
die Kluft, die unversöhnliche, verstummen und
die Trennende sich fügen in das Brückenjoch.
Nun eint sich über Klüfte hin so Mensch zu Mensch
wie Volk zu Volk. Beladne Karawanen ziehn
köstlich belastet, außer mit der Zwietracht Last.

In der Orchestra erscheint der Anfang eines schön gegliederten Zuges, der alles umfaßt, was der Friede an Tätigkeiten und Segnungen enthält. Mit Bannern, Fahnen und bekränzten Werkzeugen schreitet der Handwerker neben dem Landmann, der Adlige neben dem Bürger, der Bergmann neben dem Schiffer und Fischer. Schöne Frauen aller Stände, aber besonders Landmädchen sind darunter, die Fruchtkörbe tragen, Getreidegarben usw. Seine Krönung gleichsam bekommt der Zug durch große Männer aller Zeitalter; in porträtähnlichen Erscheinungen sieht man Künstler, Dichter, Forscher, Philosophen, Musiker und Erfinder. Auch einige Herrscher, die sich um die echte Kultur ihrer Völker verdient gemacht haben. Bekränzte Knaben tragen bekränzte Namenstafeln hinter den auszuzeichnenden Erscheinungen her.

Athene Deutschland.
Welch eine Schar erklimmt die Stufen jetzt zu mir herauf:
wie freundlich rauschen ihre Banner mir
und wohlbekannt aus meines Tempels altem Dienst.
Empor! Empor! Mir ist, als würde ich erst jetzt
zur Göttin! Und als wäre des Olympos Glanz
nur eine Leere, etwa eine andre Nacht.
Dort, wo ich bin und wo ihr zuströmt, ist das Licht:
Wir nie Getrennten, stets Geeinten, wissen nichts
von Krieg. Und also wohnt der Friede unter uns!
Nicht da, nicht dort und etwa nicht umringt von uns
wie einer heiligen Schar, die einen Herrscher schützt.
Nein! Unsre Seelen sind in seiner Seele eins!
Uns trennen Sprachen, trennen Strom und Meere nicht.
Nicht trennen Götter noch der unbekannte Gott
die, denen aller Menschen Heil am Herzen liegt.
Was trennt, ist Irrtum, Irrtum, der allein den Haß
entfesselt, ist Unwissenheit, ist nackte Not
des Hungers! Nicht, was Göttliches im Menschen wohnt.
Denn dieses Göttliche ist Eros! Eros ist
der Schaffende, der Schöpfer! Alles, was da lebt,
ist Eros, ward aus Eros, wirkt in ihm und zeugt
ihn neu. Und Eros zeugt sie immer neu, die Welt!
Was ist der Sinn des Auges ohne ihn? Nur er
entschleiert Schönheit: dem Gehör wie dem Gesicht,
so dem Geruch wie dem Gefühl und nicht zuletzt
dem blitzbeschwingten, die Unendlichkeit im Nu
durchmessenden Gedanken. Beßre Diener haben Götter nicht.
Und darum laßt uns Eros feiern! Darum gilt
der fleischgewordnen Liebe dieses Fest, die sich
auswirkt im Geist! Und aus dem Geiste wiederum
in Wort und Ton, in Bildnerei aus Erz und Stein,
in Maß und Ordnung, kurz, in Tat und Tätigkeit.
Und also folgt mir in des deutschen Domes Liebesnacht
zu jenem Wunder, das untrüglich euch mein Wort
das heiligste euch nennt, das uns beschieden ist.
Doch euch nicht brauch' ich nennen, was ihr selber ja,
ein brennend Glück, in eures Herzens Herzen tragt.

Unter mächtigem Orgelklang und Glockenläuten, unter Vorantritt Athenens verschwindet der Zug nach und nach im Innern des Domes. Die Vorhänge schließen sich, und vor den ersten tritt der Direktor.

Der Direktor.
Ich war der Erste, ich bin der Letzte,
bin der Anfängliche und der Abschließende,
bin die Speise und der Genießende,
der Unbewegliche, nie zur Ruhe Gesetzte.
Ich bin der Laute und doch ganz verschwiegen.
Verschwiegner noch, als die dahinten liegen,
Menschen, Götter und Maschinisten,
kurz: die Puppen in meinen Puppenkisten,
die allerdings nun wieder lange Zeit
auch glänzen werden durch Schweigsamkeit.
Doch wer kommt dort heraufgestiegen? Was?
Du da! Was bist du für ein Eisenfresser?

Blücher (der säbelklirrend die Treppe heraufkommt).
Der Marschall Vorwärts!

Der Direktor.
                                        Wer? Ich kenn' dich besser:
marsch, marsch, in die Holzwolle, die Hobelspäne, das Seegras!
Du bist ein Püppchen meines Personals,
der Schatten eines toten Generals.

Blücher.
Was war das für ein Friedensbimmelbammeln?
Ich lebe noch!

Der Direktor.
                        So, so, Monsieur?!

Blücher.
Wir jehn nich nach Jedhsemane!
Trompete! Vorwärts! Blast zum Sammeln!
Wat soll mich denn dem Friedenstirili?
Ick bin for Infantrie und Kavallrie.

Der Direktor.
In deine Kiste!

Blücher.
                          Wie? Was? Kiste? Zieh! (Er hat den Degen gezückt.)

Der Direktor.
Du wackrer Graukopf, lieg an deinem Ort!
Was leben bleiben soll, das sei dein Wort.
Ich schenk' es Deutschland, brenn' es in sein Herz –
nicht deine Kriegslust, aber dein: Vorwärts!!

Der alte Marschall, vom Stab des Direktors berührt, sinkt entseelt nieder.

 


 


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