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Im Garten und Weinberg des Bürgermeisters Garbe vor dem Tor. Das einfache Anwesen des Eigenmannes Eckart. Es enthält Wohnung des Winzers, Keller und Kelter. Das Kellergewölbe steht offen. Es sind darin große Stückfässer im Halbdunkel sichtbar. Das Gebäude ist belaufen von Wein und Efeu. Ringsumher, dahinter und darüber, steigen die Reben den Abhang hinauf. – Der Himmel ist noch immer bedeckt. In einiger Entfernung deutet ein Abschnitt der Stadtmauer die Nähe der Stadt an. Fast alle Stadtglocken läuten.
Eckart, der Winzer, hat seine Schnitzelbank unter den einzigen Baum in der Nähe gestellt, eine Linde. Hier dringt Quellwasser aus einer ins Halbrund gehenden Molassewand. Ein geräumiges Sammelbecken ist aus derselben Wand herausgeschnitten, zugleich rechts und links von ihr natürliche Sitze. Rebenstöcke überspinnen das Ganze und bilden eine Weinlaube. – Eckart spitzt Weinpfähle. Die achtjährigen Zwillinge Jörg und Jakob, die Enkel des Winzers, schauen zu.
Jakob. Warum läuten die Glocken auf einmal so alle miteinander in der Stadt, Großvater?
Eckart. Das mußt du die Kirchner fragen, Jaköble, ich weiß es nicht. – Vielleicht ist das Tanzhaus abgebrannt. Es hat sich den ganzen Morgen lang ein höllisch dicker Qualm von dorther über die Mauer herausgewälzt.
Jakob. Willst du mit uns in die Stadt und zuschauen, wie's brennt, Großvater?
Eckart. Ei, laß brennen, hab' anderes zu tun! Wo alles verbrennt, wo die Saat im Boden verbrennt, wo die Frucht auf dem Halm, die Rebe am Stock verbrennt, wo ein Funke vom Feuerstein ganze Wälder einäschert bei der schrecklichen Trockenheit, warum soll dann nicht auch das Tanzhaus zu Asche werden?
Jörg. Aber wenn nun die ganze Stadt niederbrennt, Großvater?
Eckart. Mag's doch! Der Bürgermeister Magnus Garbe baut sie schon wieder auf.
Jakob. Großvater, dort kommt der Herr Bürgermeister.
Eckart unterbricht die Arbeit, legt spähend die Hand über die Augen. Nach kurzem Stillschweigen. Wahrhaftig, er ist's. – Kopfschüttelnd. Des Wochentags . . . zu so ungewöhnlicher Stunde!? Habet acht, bleibet wach! Denn ihr wißt nicht, wann es Zeit ist, da der Herr des Weinberges kommen wird.
Magnus Garbe und Jan Gossaert werden langsam schreitend sichtbar.
Garbe, indem er des alten Weingärtners und der beiden flachsköpfigen Enkel ansichtig wird. »Laudabunt alii claram Rhodon aut Mytilenen aut Epheson bimarisve Corinthi . . .« Meister Gossaert, seht Ihr, mein alter, lieber Weingarten vor dem Klingentor hat jedesmal, wenn ich ihn betrete, eine freundliche Überraschung für mich. Ich darf es als gutes Omen auslegen.
Jan Gossaert. Es gibt in der Tat nichts Freundlicheres für einen wahrhaft sehenden Blick als den alten Eckart mit seinen Enkeln. In den letzten Wochen verging beinahe kein Tag, wo ich nicht von Eurer Erlaubnis Gebrauch machte, jederzeit hier einzudringen, und ich habe dabei auch selten versäumt, mit dem alten, erfahrenen Mann ein Wort zu sprechen.
Garbe. Und, Meister, Ihr tatet recht daran. Wollt Ihr mir glauben, daß ich oft in den schwersten, nicht nur eigenen, auch städtischen Sorgen bei ihm Rat gesucht und gefunden habe? In wie mancher Entscheidung, die ich zum Segen meines geliebten Schmerzenskindes, meiner Tochter, der Stadt, getroffen habe, war seine Entscheidung die frühere! Er kennt meine Tochter besser als ich. Seit unvordenklichen Zeiten haben seine Vorfahren als Eigenleute ebendiese Scholle bebaut, von der sie – wie jetzt – auf die stolze, mit Türmen und Mauern bewehrte Jungfrau Republik schauen konnten, die, wie eben ein Weib, eines folgerichtigen Denkens und Handelns nicht immer sicher ist.
Jan Gossaert. Seid Ihr nicht selbst auf diesem Stück Erde herangewachsen?
Garbe. Nicht früher als von meinem achten Jahre an. Wir zogen hierher, als mein Vater mit seinem Ersparten das kleine Topplergütlein samt allem Zubehör erworben hatte. Ehedem hatte der Vater sechsunddreißig Jahr Seiner fürstlichen Gnaden, dem Bischof, als Verwalter treulich auf den Gütern des Bistums gedient. Trotzdem: hier erst wurde ich etwas, zwischen diesen Wiesen, Äckern und Rebenhügeln, wenn ich nämlich überhaupt etwas geworden bin.
Jan Gossaert. Dann wär nirgendwo auf der Welt eine Stätte fruchtbarer. Auch im Lande Mesopotamien nicht.
Garbe. Jedenfalls kenne ich keine liebere. Nun, alter Eckart, hab guten Tag!
Eckart ist aufgestanden, hält die Mütze in der Hand. Schönen Dank! Es möchte nur regnen, Herr Bürgermeister!
Jakob. Großvater, es regnet. Ich hab' einen Regentropfen auf der Hand.
Eckart. Ein Tropfen ist lange kein Regen, Jaköble. Könnt Ihr uns nicht sagen, Herr Bürgermeister, was es mit dem Sturmläuten und dem Qualm auf sich hat, der den ganzen Tag über die Stadtmauer zieht und als dicke Wolke am Himmel hanget? Ihr wäret nicht hier, stünde wirklich das Tanzhaus in Flammen.
Garbe, bedeutsam. Nein, das Tanzhaus steht nicht in Flammen. Wär' es nur das! Wozu haben wir Lehmgruben, Ziegelstreicher, Steinbrüche und Baumeister? Was der Rauch bedeutet, das frage uns lieber nicht, alter Eckart, wenn du es glücklicherweise noch nicht erfahren hast in deiner ländlichen Einsamkeit! Daß aber unsre lieben alten Glockentürme so gar außer Rand und Band geraten sind, das hängt mit gewissen Vögeln zusammen, die von Zeit zu Zeit wie Heuschrecken über die deutschen Städte hereinfallen. Glaub mir, Eckart, du bist der glücklichste Mann!
Eckart. Wenigstens nicht das Gegenteil, Euer Gnaden, Herr Bürgermeister. Aber warum glaubt Ihr das?
Garbe. Erstlich, weil du kein Bürgermeister bist. Dann deshalb: du bist trotz des nahen Tores seit mehr als zehn Jahren nicht in der Stadt gewesen. Aus vielen anderen Gründen zum Schluß, darunter vor allem: diese zwei Flachsköpfe, die dein Sohnesweib dir zur Freude deines Alters geboren hat.
Eckart. Das läßt sich hören, Herr Bürgermeister.
Garbe. Ihr zwei beiden Flachsköpfe, kommt einmal her!
Jakob. Soll ich oder soll der Jörg zuerst gehen, Großvater?
Eckart. Beide, beide, ihr habt ja gehört.
Jan Gossaert. Du bist doch sonst nie der zweite, Jaköble.
Eckart, nach kurzem Besinnen. Erlaubt, will einer auch noch so sehr der erste sein, er muß doch manchmal der zweite werden. Und so geschah es, daß auch dieser, obgleich er der erste sein wollte, schon beim Eintritt ins Leben der zweite war.
Jan Gossaert. Saget doch, wie das zuging, Eckart!
Eckart. Es war ganz einfach und ging so zu: meine Schwieger hatte, als die Zwillinge kamen, die Dorothea Meulin, die Frau des Baders, als Wehmutter.
Garbe. Dieselbe, die im ehemals Amsingschen Hause Ammfrau, dann Kinderfrau und Beschließerin gewesen ist?
Eckart. Sie hat Eurer Frau, unserer gnädigen Frau Bürgermeisterin, von der Geburt an wohl ein Jahr lang und länger die Brust gereicht. Wahrhaftig, es brauchte sie nicht gereuen, sie leidet nicht Not. Im Amsinghause hat sie sich einen hübschen Pfennig zurückgelegt.
Garbe. Kommt, wir wollen uns an den Brunnen setzen! Es geschieht. Wir sind ganz Ohr, unterbrecht Euch nicht!
Eckart. Nun ja, Dorothea Meulin war damals die Wehmutter, als meine Schwieger niederkam, und es war niemand anders als das fürwitzige Jaköble, was die kleine Faust zuerst in die Welt streckte. Ich stand dabei, ich habe die kleine Greifhand mit Augen gesehen. Was hat nun die Dorothea Meulin getan? Sie hat ein rot Fädlein darumgebunden. Dabei sprach sie so: »Es sind ihrer zwei, aber dieser wird der erste sein.« – Ja daß dich! Die Hand mit dem Bändchen kroch wieder hinein, und Gott fügte es, daß nicht dieser Unband, sondern das geduldige Jörgle voran zu Tage kam. So oder so, ich wünsche Euch zwei solche Burschen, Herr Bürgermeister, keiner von beiden hat eine schlechte Ader im Leib.
Garbe hat jedem der Knaben, die vor ihn getreten sind, eine Hand auf den Scheitel gelegt. Was gibt es nicht alles, was das Menschengemüt immer aufs neue staunen macht! Wie kann so was aus dem Mutterleibe hervorgehen? Und fasse ich wohl die Möglichkeit, daß ich in gemessener Zeit recht wohl zwei solche Knaben mein nennen könnte, in denen mein Blut mit Feliciens zur neuen Schöpfung Gottes verbunden ist? Ist das Natürliche nicht das Wunderbare, an das zu glauben dem wahrhaft Sehenden, wie Ihr es nennt, am schwersten wird? Und sind nicht die Wunder, die ein wundersüchtiger Geist zu sehen wünscht, Einbildungen von Tauben und Blinden? Das gläubige Wissen, das Gottes deutliches, immerwährendes Schöpfungswunder von uns verlangt, was hat es mit dem zu tun, was unzufriedene, unbescheidene, blindbegehrliche Leichtgläubigkeit an törichten Gauklerkünsten von unserem lieben Herrgott verlangt? Hast du noch deine deutsche Bibel im Hause, Eckart? Wir sind unter uns, erschrick nur nicht!
Eckart. Herr, gedenket der Vögel, von denen Ihr sprächet, die über die Alpen und Pyrenäen gekommen sind und sich drüben auf Türme und Dächer gesetzt haben!
Garbe. Was hast du mit diesem Geschwärm zu tun? Wollte man dieser Plage nachgeben, die christliche Freiheit zusamt der deutschen wäre längst ganz und gar dahin. Bring deine Bibel hervor, du Kleinmütiger!
Eckart. Sie ist wider mein Wissen und Willen ins Haus gekommen.
Garbe. Ich weiß, ich weiß, ein hebräischer Handelsmann, dem du in der Bastkammer über der Weinpresse Obdach für die Nacht gabest, ließ dir am Morgen das Buch zurück.
Eckart. Als man öffentlich vor dem Tore verderbliche Bücher verbrannt hatte, fand er es in der Asche unversehrt, als er nach Gott weiß was darin herumstökerte. Aber ich will Euch zuerst einen Krug von dem neuen Fasse bringen, Herr Bürgermeister, das aus der Maßen geraten ist.
Garbe. »Trinke mit deinen Freunden Wein«, sagte mein armes Weib. »Feiere Feste, wie du sie feierst, wie du sie feierst und sie . . .«
Jan Gossaert . . . verdienst!
Garbe. Wie kommt Ihr auf diesen Schluß, Jan Gossaert?
Jan Gossaert. Vielleicht ebenso, wie die Frau Bürgermeisterin darauf gekommen ist.
Garbe. Und woher wißt Ihr, daß sie darauf gekommen ist?
Jan Gossaert. Ich sagte es nur so aus freien Stücken.
Garbe. Wie sonderbar! Denn so sagte sie in der Tat! Wir aber brauchen nicht von Verdienst zu reden, wenn auch ein braves Eheweib ihrem Manne jedes Verdienst zugesteht.
Eckart hat zwei silberne, vergoldete Buckelbecher auf den Brunnenrand gesetzt und füllt sie mit rotem Wein aus einem irdenen Krug.
Garbe ergreift den gefüllten Becher. Mit diesem Gewächs des Väterbodens lasset uns auf Feliciens Wohl trinken! Sie tun es und trinken. Als Garbe den Becher, den er geleert hat, wegzustellen im Begriff ist, befällt ihn ein leichter Schreck. Er horcht. Nein! – Es war mir nur so, als ob irgendein Ruf über die Stadtmauer herausdränge.
Eckart. Es sind die Dohlen und Raben, Herr Bürgermeister. Von hier aus gesehen, sind sie nur klein wie Mückenschwärme um die Turmspitzen herum. Wenn aber der Wind danach ist, hört man sie oft wie aus nächster Nähe.
Garbe atmet tief und gepreßt auf. Gott Vater im Himmel, wie schleicht die Zeit!
Eckart. Ihr sehet sehr bleich, sehr abgemüdet aus, Euer Gnaden, Herr Bürgermeister . . .
Jan Gossaert. Das kann recht wohl an der drückenden Luft liegen.
Eckart. Ich sagte es nur, weil ich an solchen Tagen dem Herrn Bürgermeister manchmal unter den Platanen oben im Berg ein Ruhelager zurechtmachen mußte.
Garbe. Es gibt heut für mich kein Ruhelager.
Jan Gossaert, zu den Knaben, die den Bürgermeister anstarren, der sich zurücklegt und die Augen schließt. So, nun glotzt nicht weiter, ihr beiden Flachsköpfe! – Er schiebt sie beiseit, und die Knaben entfernen sich. Jan Gossaert, nach längerer Pause. Ihr habt nicht zu Mittag gegessen. Nehmt etwas zu Euch, Herr Bürgermeister!
Eckart geht ins Haus, Garbe und Gossaert bleiben allein.
Garbe, nach längerem Stillschweigen. Wo bin ich? Verzeiht! War ich am Ende doch eingeschlafen?
Jan Gossaert. Ihr lehntet nur eben den Kopf zurück.
Garbe. So habe ich wachen Sinnes ein Gesicht gehabt, war hier und war zugleich auch abwesend. Ich bitte Euch, verlaßt mich in dieser Stunde nicht, Meister Gossaert, da ich wie nie im Leben von allen meinen Kräften verlassen bin! Am ehesten gleiche ich einem Ertrinkenden, der sinnlos selbst nach dem Strohhalm greift, der ihn wahrhaftig nicht retten kann.
Jan Gossaert. Magnus Garbe wird unter dem Volk der Simson genannt.
Garbe. Nun, wenn mein Weib auch ein Engel und keine Delila ist, doch bleibt es dabei, auch ich kann durch mein Weib aller meiner Kräfte beraubt werden. Wer sie anrührt, tut mir weh; wer sie anstößt, wirft mich zu Boden; wer ihr weh tut, tötet mich.
Jan Gossaert. Ich prophezeie Euch einen Göttersohn, einen Sohn des Blitzes, Magnus Garbe. Ich habe gesehen, wie der kugelförmige Blitz auf dem Dache der Erlöserkirche mit den beginnenden Mutterängsten Eures Weibes zusammengetroffen ist.
Garbe. Sollte Gott Großes mit uns vorhaben?
Jan Gossaert. Blicket hinüber auf das, was über die Stadtmauer in einem jähen Strahle der Sonne blitzt! Es ist das ehedem Amsingsche Wahrzeichen. Ist der berühmte goldne Merkur, mit dem Ferulstab über der goldenen Weltkugel schwebend. Habt Ihr vergessen, daß der Giebel, auf dem das Wahrzeichen steht, jetzt der Eures Hauses, des Hauses zur Goldenen Kugel, ist? Wie sollte hierin nicht ein Omen liegen?
Garbe. Eure Deutung ist prächtig, ist königlich. Der Mannesstamm der Amsings ist ausgestorben. Gott würde nun zu erkennen geben, wie Ihr meint, daß er das alte Symbol trotzdem zu neuem glänzendem Aufflammen bestimmt habe; dann würde ich der gesegnete Stammvater eines neuen Geschlechtes geworden sein, in dessen Adern das edle Blut der Amsings geborgen und mit dem kräftigen Strome der Garbes vermählt wäre.
Jan Gossaert. Und darauf leere ich meinen Becher Wein.
Er trinkt, und auch Garbe trinkt.
Garbe. Was so im Bereich der Wahrscheinlichkeiten liegt, warum erscheint es uns, bevor es eintritt, unmöglich? – Ich durchlebe jetzt einen Augenblick, wo ich zugleich im Besitze alles Guten und doch wieder nicht in seinem Besitze bin: vielmehr nackt und arm wie zu Olims Zeiten. Als ich vorhin die Augen schloß, war ich plötzlich zum kleinen Knaben geworden, der barfuß hinüber in die Stadt und ins Haus zur Goldenen Kugel ging, um beim Koch Felchen und Hechte aus unserem Fischwasser abzuliefern. Da war es mir, als sagte der Koch: Kleiner Lausbube, weißt du denn, daß unsrem Hause Freude bevorsteht, weil unsere schöne Felicia, die einem Fürsten vermählt ist, eines Kindleins genesen will? Und er fügte hinzu: Fangt Fische, bringt Wildbret ein, denn die Taufe wird über die Maßen köstlich ausfallen! Ich aber stand und hörte ein furchtbares, gräßliches Schreien, wovon alle Wände und Räume des Hauses erzitterten. So schreit jemand, dachte ich, der hundertfach gefoltert, tausendfach gemartert und getötet wird. So raset im besinnungslosen Schmerze ein Tier; einer Menschenstimme gleichet es nicht. Das Gesinde sah indessen, wie ich zitterte. Man lachte mich aus und ging lustig und gleichgültig den Geschäften nach. Noch höre ich die furchtbaren Notrufe; sehet, meine Hand ist eiskalt! Könnt Ihr mir nun eigentlich sagen, ob ich Magnus Garbe, der Knabe, oder Magnus Garbe, Feliciens Gatte und Bürgermeister, bin?
Jan Gossaert. Das Dasein des Menschen ist hundertfältig.
Garbe. Die Kirche hat ihr größtes Verbrechen am Weibe getan. Sie hat es erniedrigt, sie hat es entheiligt. Und doch ist es allein sein ewiges Martyrium, wodurch das Geschlecht der Kinder Gottes erhalten wird und dem Päpste, Priester und Laien das Leben verdanken. Zu Beginn dieser Worte hat Garbe sich erhoben und schreitet mit Jan Gossaert davon und weiter in den Weinberg hinauf.
Eckart, Käse und Brot auf einem Holzteller tragend, kommt wiederum aus dem Hause.
Eckart. Ah, der Platz ist leer! Richtig, die Herren sind weiter zu des Bürgermeisters selbstgepflanzten Platanen hinaufgegangen.
Hans Meulin, der Bader, kommt in Eile.
Meulin. Um Christi willen, verbirg mich, Oheim, wenn du noch ein menschliches Herz im Leibe hast! Die Hölle raset in unseren Stadtmauern.
Eckart. Nichts geschieht ohne Gott, beruhige dich! Wer verfolgt dich? Was ist geschehen?
Meulin. Der Pöbel ist in mein Haus eingebrochen. Sie warfen mir Tische, Bänke und Schränke zu den Fenstern hinaus. Sie banden mein Weib mit Stricken, und die Dominikaner schleppten es auf das Halsgericht.
Eckart. Ist es nun doch so weit gekommen!
Meulin. Ja, Oheim, sie haben es nun so weit gebracht. Sie haben uns Späher ins Haus gesandt. Seit Wochen haben sie alles Erdenkliche aufgeboten. Heimlich machten sie uns das Gesinde abwendig. Ein Kerl hat uns die lange Magd verführt, um sie als Zeugin wider uns zu brauchen. Die Fratres bedrängten stündlich mein Weib. Sie drohten ihr mit Exkommunikation, wenn sie nicht wider die Bürgermeisterin aussage. Was soll sie aussagen wider die Bürgermeisterin? Immer wieder schwor sie, sie könne nichts aussagen. Jetzt hat man sie auf der Folter gestreckt, und nun mag Gott wissen, was alles die Qual ihrem Herzen entpreßte.
Eckart. Nur sachte, mein Sohn, überstürze dich nicht! Zwar weiß ich mehr, als ich mir so gemeinhin merken lasse, was drüben hinter der Mauer geschieht. Aber was du zusammenredest, will mir, weiß Gott, nicht in den Kopf gehen.
Meulin. Versteck mich! Sie sind mir auf der Spur, Oheim. Ich höre Stimmen, ich höre Tritte. Versteck mich, Oheim, errette mich!
Eckart schiebt den Bader Meulin ins Haus und schließt hinter ihm eine kleine Pforte. Der Ratsdiener Gößwein kommt.
Eckart. Suchst du jemand? Was bringst du, Gößwein?
Gößwein. Gott sei Dank, daß du da bist. Ich suche den Bürgermeister.
Eckart. Was ist geschehen? Siehst du doch aus wie einer, der nur grade mit dem Strick um den Hals dem Hochgericht entlaufen ist.
Gößwein. Mann, rede, wo ist der Bürgermeister?
Eckart. Mit Jan Gossaert, dem Maler, eben in den Berg hinauf!
Gößwein. Schnell! Dort hinaus? Oder dort hinaus?
Eckart. Ich muß mit, du findest es nicht allein, wart! Will mir nur schnell den Bundschuh anlegen.
Gößwein. Barfuß, Mensch! Lauf barfuß! Bedenke, jede verlorene Minute ist unwiederbringlich!
Eckart. Haben sie wirklich wider Gesetz und Recht meines Brudersohnes Weib auf der Folter gestreckt?
Gößwein. Wider das fliegende Blutgericht gibt's keine Berufung. Wollt' ich sprechen, hätte ich Zeit dazu, du solltest die Ohren ganz anders aufreißen. Glaub nur nicht, daß irgend etwas, hoch oder niedrig, Weib oder Mann, es läge auf Stroh oder seidnem Bett, vor diesen Malefizkutten sicher ist!
Eckart. Kommt denn, wir suchen den Bürgermeister!
Gößwein. Schlimmer wütet kein Marder im Taubenschlag, als dieser Pater in der Stadt wütet.
Eckart. Halt, wer kommt dort den Steig heraufgelaufen?
Gößwein. Mensch, wenn du noch zögerst, mit mir zu gehen, so wird die Bürgermeisterin im stinkenden Keller des Buddenturmes hinter armdicken Eisenstangen vor Grauen umkommen, ehe sie der Bürgermeister wieder ans Licht ziehen kann, oder sie wird sein Kind unter den Fäusten des Nachrichters zur Welt bringen.
Eckart. Du hast einen Biß oder Stich einer Natter oder giftigen Fliege ins Hirn bekommen. Niemand soll mir sagen, daß einer, der solche Dinge schwatzt, bei Verstande ist.
Dominik erscheint. Helft mir, ich suche den Bürgermeister!
Eckart. Wir sind drauf und dran, das gleiche zu tun.
Dominik. Helft mir den Bürgermeister finden! Besser, nehmt eine Axt und schlagt mich nieder, damit ich das Fürchterlichste nicht mehr hören und sehen muß! Wie ihr mich seht, ich bin so von Sinnen, ich weiß nicht mehr, wie ich hergekommen bin. Ob ich wach bin oder geträumt habe, ob ich rede oder mit geschlossenen Augen im Schlaf liege. Ob du Eckart bist und du Gößwein, der Ratsdiener. Seid ihr's? Oder seid ihr nur Trugbilder meiner Stirn, weil mich etwa auch die gefleckte, wuttolle Dogge gebissen hat? Seid ihr Menschen, seid ihr Gespenster? Ist das Magnus Garbes Weingarten? Und diese fremden Mauern und Türme, sind es wirklich noch Mauern und Türme unsrer lieben, reichen, arbeitsfröhlichen Heimatstadt? Oder ist alles eine Stätte der Verfluchung und der Verdammnis geworden, wo Heulen und Zähneklappern Häuser, Plätze und Gassen bis in alle Winkel und bis zum Bersten ausfüllt?
Eckart. Versuche dich einmal in der Ordnung zu fassen, Dominik! Ich bin Eckart, des Magnus Garbe Weingärtner. Euch beiden ist der Verstand verrückt worden. Was faselt Ihr von der Frau Bürgermeisterin?
Dominik. Das weißt du nicht? Das ist dir noch nicht zu Ohren gedrungen? Im Angesichte des ganzen Marktes, im Angesichte der ganzen Stadt, im Angesichte der Stadtwache vor dem Rathause, an der Spitze der Obrist Kilian, im Angesichte der hochmögenden Herren, Herrn Ratsherren und Senatoren, die untätig, mit gefalteten Händen oben in den Ratsstubenfenstern standen, haben die Predigerbrüder meine liebe Frau Felicia unterm Gejohl des großen Haufens im Bett aus dem Haus und in den Kerker geschleppt. Werde zu Stein, alter Eckart, höre, sonst springt eine Feder in dir: ihr markzerreißendes Wehgeschrei übergellte den Lärm des Platzes. Sie wand sich in Wehen. Vielleicht, daß sie auf dem Weg, auf der Straße, unter den Augen, unter dem Hohngelächter, ja vielleicht unter den Fäusten des Pöbels geboren hat. Und Gott weiß: jedermann schrie, man müsse sie steinigen!
Eckart. Wenn du wirklich bei Sinnen bist – aber ich glaube es nicht – und wirklich und wahrhaftig vorgefallen ist, wovon du redest, wenn es wirklich geschehen ist, drinnen unter Menschen, Bewohnern der ehemals guten Stadt, so lügt die Schrift; Gott hat die Bürger Sodoms und Gomorras nicht mit Pech und Schwefel vernichtet. Er hat ihnen Kutten angezogen und sie als eine verheerende Pest über die ganze Welt ausgesandt. Dann gibt es kein Erbarmen vor Gott! Dann gibt es vor Gott dem Herrn keine Gnade! Dann gibt es bei Jesus Christus, gibt es bei der gnadenreichen Gottesmutter keine Gnade und Barmherzigkeit!
Gößwein. Vor allem, wo ist der Bürgermeister?
Eckart. Ich sehe ihn kommen, tretet zurück! Laßt mich allein mit mir zu Rat gehen, wie man, ohne Magnus Garbe zu töten, ihm das Fürchterliche eröffnen muß! Erst aber reiche mir deine Hand! Es geschieht. Es ist unmöglich. Ich glaube dir nicht; du hast irre geredet. Oder du mußt einen heiligen Eid leisten. Dominik hebt die Hand zum Eide. Erst kommt ins Haus, ich glaube euch nicht! Er drängt sie ins Haus und verschwindet mit ihnen darin.
Magnus Garbe und Jan Gossaert erscheinen heruntersteigend wiederum vor dem Haus.
Jan Gossaert. Ich habe zu Venedig, habe zu Padua von unsrer göttlichen Kunst einen ganz neuen Begriff bekommen.
Garbe. Und ich habe von dort den neuen Begriff des Lebens zurückgebracht. Wahrhaft entdeckt man die Heimat erst in der Fremde. In die Heimat wiederum, in das nächste Nahe, bringt man die Fremde, die Ferne, die Weite und Breite der Erde mit. – Wenn es ein Knabe wird, Jan Gossaert, sollt Ihr nach Eurem Belieben ein Jahr oder zwei unter dem Löwen von San Marco leben oder zu Florenz, denn wir haben auch dort unsre Faktorei. Er ruft. Eckart! Es war mir, als hört' ich ins Gartenpförtchen Leute eintreten. Beide Männer nehmen wieder am Brunnen Platz. Garbe fährt fort. Seht Ihr, nun bin ich gefaßter und ruhiger. Der Gang durch den Berg, der Gang durch die Wiesen, an allen lieben bekannten Stätten meines doppelten Glückes vorbei, hat mich dankbar und gottergeben gemacht.
Eckart tritt aus dem Hause.
Garbe. Da bist du ja. Hat jemand nach mir gefragt, Eckart?
Eckart. Nicht daß ich wüßte, Herr Bürgermeister.
Garbe. Es überkommt mich eine sonderbare, fast beglückende Müdigkeit. – Beinahe, als ob irgend etwas Schweres in diesem Augenblick von irgend jemand zu Ende gelitten wäre. – Regen! – Wirklich, es regnet! – Wirklich, wahrhaftig, der langerwartete, langerflehte, langersehnte Regen rieselt auf die verschmachtete Erde herab. Prozessionen, Gebete, Messen, Vigilien! Mit einem Male taut es, fließt, rinnt, nebelt und sickert überall, schweigend und schweigsam, doch stärker und stärker. Nun ist der Erlöser auf einmal ungerufen da, nach dem man so wild in Gottes erznen Himmel geschrien hat. Überall tropft es und trieft es wie von Salböl der Gnade herab. Wie ruhig mein Blut, gleichsam entspannt von Druck und Last, wohltuend durch die Adern rinnt, die es eben noch zerreißen wollte! Hab' ich dir denn schon berichtet, Alter, welch ein Glück meinem Haus widerfahren will und welcher Art Botschaft ich hier entgegen warte? Weißt du, welchen Geschenkes Gott deinen Herrn, seinen Knecht, für würdig hält und was sich, indes wir hier reden, vollzieht? – Du sollst ein neues Haus erhalten, wenn mir ein Mägdlein, und einen Freibrief dazu, wenn mir von meiner Eheliebsten ein Knabe geboren ist. – Höret, sie läuten den Angelus!
Eckart betet laut und inbrünstig. Ave Maria, gratia plena! Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus, et benedictus fructus ventris tui, Jesus! Sancta Maria, mater Dei, ora pro nobis peccatoribus nunc et in hora mortis nostrae! Amen.
Jan Gossaert. Sieh, Eckart, der müde Mann ist tief entschlafen.
Eckart. Wohl ihm, daß er entschlafen ist!
Jan Gossaert. Der Abend kommt. Sein Tag war schwer, überbürdet und sorgenvoll.
Eckart. Meister, laßt uns miteinander ins Haus treten!
Jan Gossaert. Er atmet tief. Seht, wie er zuckt! Der Krampf des Handels und Wandels löset sich. Selten ward ein Schlaf mehr verdient, Eckart.
Eckart. Und selten ist einer so grausam geweckt worden, da man ihn doch bald wecken muß. Kommt, helft uns, ich habe Euch viel zu sagen, Meister! Beide begeben sich ins Haus.
Der schlafende Magnus Garbe bleibt allein. Das Aveglöckchen läutet fort. – Langsam kommt Doktor Anselo den Berg herauf; unerwartet gewahrt er den schlummernden Bürgermeister. Er steht still, seufzt und streicht sich über die Stirn.
Garbe öffnet die Augen, blickt ihn lange an. Wenn ich nicht irre, ist dies Doktor Anselo.
Doktor Anselo. Ja, der bin ich. Ihr irrt Euch nicht.
Garbe. Aber ich bin meiner Sache noch immer nicht sicher. Ich schlief, übermannt von Müdigkeit. Auch in den Räumen der Seele sind redende Bilder.
Doktor Anselo. Ich weckte Euch auf. Ich habe Euch nichts Gutes damit getan.
Garbe. Wenn Ihr das sagt, so frag' ich nicht weiter. Kommt Ihr, mir zu sagen, daß mein Weib ihrer Stunde erlegen ist?
Doktor Anselo. Sie ist ihrer Stunde nicht erlegen. Aber ich komme doch nicht so, wie ich gern gekommen wäre, Magnus.
Garbe. Hat sie ein totes Kind zur Welt gebracht?
Doktor Anselo. Nein, Ihr habt einen lebenden Sohn, Magnus.
Garbe erhebt sich. Und Ihr wolltet mit einer noch besseren Botschaft zu mir gekommen sein? Doktor Anselo, es gibt keine bessere. Er umarmt den Doktor. Warum steht Ihr so steif? Warum bewegt Ihr Euch nicht? Ist es wahr, daß Felicia lebt, ist es wahr und hat sie mir einen Erben geboren, was soll dann der unbewegliche Ernst Eures Angesichts? Sagt, sie ist tot, und der Knabe ist tot! – Was mehr? Dann ist der Engel, der mir während des Angelusläutens im Traum erschienen ist, nicht Gabriel, sondern auch mein Todesengel gewesen.
Doktor Anselo. Ich sagte Euch schon, und so ist es: Mutter und Kind, beide leben, Magnus.
Garbe. Etwa beide zum Tode krank?
Doktor Anselo. Auch das nicht. Haltet das fest im Sinn, Magnus! Bei allem Ernste dessen, was ich Euch möglicherweise eröffnen muß. Mutter und Kind sind gesund. Ihr sollt das festhalten.
Garbe. Bei Euren Worten befällt mich eine seltsame Kälte. Wer Euch ansieht, weiß, etwas muß Euch begegnet sein. Noch will ich nicht fragen: was ist Euch begegnet? Nicht fragen, welcher eisige Hauch Eure Seele gestreift hat, Ihr seid und seid auch nicht mehr der alte Doktor Anselo. Etwas erfüllt Euch, das mehr ist als Ihr.
Doktor Anselo. Es ist, wie Ihr sagt, Herr Bürgermeister. Daran erkenne ich Magnus Garbe, der versteht, was unausgesprochen ist. Und was mehr ist als wir, ist in uns allen. – Bin ich kühl und hauche ich Kälte aus, so ist es darum, weil ich Überwindung geübt, mich selbst besiegt habe. Ihr tut wohl, nicht früher eine Frage zu tun, bevor Ihr nicht seid wie der Steuermann, der inmitten berghoher Wogen, am fürchterlichsten, dunkelsten Tag seines Lebens, des kühlsten Kopfes, seines unverzagten Herzens und der festen Hand am Steuer sicher ist.
Garbe. So will ich zu meinem Gott um Kraft beten.
Doktor Anselo. Ja, Magnus, versichert Euch Eurer ganzen Kraft! Wenn Ihr die Taten Eures Lebens vor Euer Gedächtnis rufet und Euer inneres Tribunal über die tapfersten, kühnsten und verwegensten entschieden hat – und wenn es ferner über den Aufwand an kühler, überlegter Kraft, verständiger Umsicht sowie unbeugsamer Zähigkeit, der zu ihrem Gelingen nötig war, entschieden hat, so werdet Euch klar, daß Euer die schwerste Prüfung erst jetzt wartet! Eine Prüfung fast über Menschenkraft, der nur der klarste, kühnste und stärkste Mann gewachsen ist.
Garbe. Lasset mich überlegen. Herr Doktor! Wenn ein Mann solche Worte zu einem Manne sagt, so weiß man wohl, was die Uhr geschlagen hat. Trotzdem, mein treuer Dysangelist, will ich Rat und Warnung beherzigen. Ich durchfliege die Reihe meiner Lebenstaten nach Eurem Wunsch und frage nicht.
Doktor Anselo. Magnus Garbe, lasset uns nach Kräften ruhig, lasset uns abgeklärt wie Weltweise sein! Lasset uns mit der Erwägung reden und handeln, daß unser Leben auf Erden das von Verbannten, ja von Verdammten ist, nach der Zeit gemessen nur eine flüchtige Stunde! Gedenket des Seneca, des Marc Aurel und lasset uns diese furchtbare Unterredung miteinander unter dem Zwange stoischen Gleichmuts durchführen!
Garbe. Ich erkenne wohl, daß es mir nötig ist. Freilich ist mein Leben weder flüchtig noch eine Verbannung, am allerwenigsten eine Verdammnis gewesen. Aber um ein Mann, um stark zu sein, wo es not tut, brauchte ich bislang zum mindesten die Entwertung des Daseins nicht.
Doktor Anselo. Aber der große florentinische Gibelline hat die Welt eine Hölle genannt, Magnus. – Man tut gut, nicht anders mit ihr zu rechnen. – Erinnert Euch, was im Namen Gottes zu dieser Zeit an Elend, Seuchen, Jammer und Mord allein im ganzen oberen und im ganzen niederen Deutschland geschehen ist! Und ist es Euch wohl gelungen, die rasende Meute der Predigermönche an den Toren der Stadt zurückzuhalten?
Garbe. Nein! Aber erst beim dritten Anlauf gelang es ihnen endlich einzuziehen: nachdem sie Kaiser und Papst wider mich in Bewegung gesetzt hatten.
Doktor Anselo. Habet Ihr je daran gedacht, Euch gefragt, ob heute, wo sie eingedrungen sind, irgend jemand, Domherr, Senator, selbst der Bürgermeister, vor den Zähnen der Hunde Gottes, wie sie sich nennen, sicher ist?
Garbe. Ja! Ich für mein Teil fühle mich sicher.
Doktor Anselo. Wenn sie aber doch wagten, Euch anzugreifen? Wenn sie darauf verfielen, eine Rache zu nehmen, wie sie ihnen an Ratsherren und Bürgermeister, zu Würzburg, Bamberg und vielen anderen blühenden Städten gelungen ist?
Garbe. Ich sage Euch: sie wagen es nicht. Und wagten sie es, noch im Henkerskarren würde ich das ganze Romanistengeschmeiß aus der Stadt peitschen.
Doktor Anselo. Mit wessen Hilfe wolltet Ihr das?
Garbe. Mit allen Bürgern, Bauern und Knechten der ganzen Stadt.
Doktor Anselo. So macht Euch darauf gefaßt, Magnus Garbe!
Garbe. Ihr sagt: gefaßt? Worauf gefaßt?
Doktor Anselo. Daß Ihr mit dem grausamsten aller Feinde in den letzten Kampf Auge um Auge, Zahn um Zahn eintreten müßt.
Garbe. Ist es nur das, so atme ich leichter. Hört, Herr Doktor Anselo! Ihr müßt wissen, aus unseren Gesprächen wissen, daß ich den Fall beinah herbeigewünscht habe. Wir sind zu träge. Wir wollen nicht vom Faulbett aufstehen, solange des Feindes Faust nur an des Nachbars Pforte pocht.
Doktor Anselo. Nun hat sie an Eure Pforte geschlagen.
Garbe. Wieder macht Ihr mich stutzig, wie meint Ihr das?
Doktor Anselo. Denkt es Euch im buchstäblichen Sinne, wie wenn mit vielen rohen Fäusten an eine Haustür geschlagen wird.
Garbe. Wer hätte an meine Haustüre mit Fäusten geschlagen? – Redet heraus, Ihr macht mich wahnsinnig! Haben wirklich die Kutten einen Handel mit mir in die Wege geleitet, haben sie eine Klage wider mich vor den Senat, vor das Stadtgericht oder vor den Ketzerrichter gebracht, so will ich ihnen in Deutschland mit der Hilfe Gottes ein Feuer anblasen, das sie und ihre verfluchten Holzstöße, darin sie deutsche Kinder, Männer, Weiber und Greise lebendig zu Asche verkohlen, miteinander hinwegfegen wird.
Doktor Anselo. Käme der Tag deines heiligen Brandes, Mann! Und wäre es so, bestünde die Hoffnung, die leise Hoffnung dieser allgemeinen feurigen Läuterung, so sollte das Märtyrertum selbst des edelsten Weibes als Preis nicht zu teuer sein.
Garbe. Was hätten wir, wenn es darum geht, Doktor Anselo, mit Weibern zu tun? Wenn es darum geht, muß ein Mann, muß ein Mann aufstehen. Und ganz Deutschland muß wie ein einziger Mann aufstehen und muß mit der Kraft des Simson, meinethalben des blinden Simson das weibische romanistische Blutsaugergezücht unter seinem eigenen Baalstempel erschlagen. Wehe jedem von ihnen, der dreist genug wäre, meine Schwelle zu überschreiten!
Doktor Anselo. Wie aber, wenn sie nun Pater Gislandus bereits überschritten hat? – Magnus Garbe, Ihr dürft nicht schwach werden! Blickt nicht so, Magnus Garbe: auf Euren zwei Schultern, auf Euren zwei Augen ruht alles, alles, was noch zu retten ist! Ihr seid nicht darauf verfallen, Herr Bürgermeister. Aber eben das ist es, daß Pater Gislandus, von seinem Meister, dem Satan, geleitet, auf diesen Ausweg verfallen ist.
Garbe. Auf welchen Ausweg ist er verfallen?
Doktor Anselo. Den gehaßten Feind an der Stelle zu treffen, wo er wehrlos, wo er verwundbar ist.
Garbe. Ihr habt mir keinen andern Ausweg gelassen. Ihr habt alle meine Gedanken auf einen Weg und auf ein Ziel zusammengepreßt. Noch schließ' ich die Augen und sehe nicht. Noch will ich nicht, noch darf ich nicht sehen. Wehe, wenn ich sehe, zu sehen glaube, was ich vermute und was vielleicht doch nur ein fürchterlicher Alpdruck eines schweren Traumes ist! Ihr sehet mich aufrecht, aber der Irrtum, als Wahrheit genommen, wär's auch nur einen Augenblick, wäre stark genug, mich wie mit einem Axtschlage niederzuwerfen. Saget mir . . . saget mir, Doktor Anselo, ob ich meine Augen nun doch öffnen muß!
Doktor Anselo. Ihr dürft nicht fallen. Ihr müßt der ganzen Wahrheit gewärtig und müßt ihr gewachsen sein.
Garbe. Gut. So habe ich denn zu verstehen, daß meine Schwelle von der Meute der Ketzerriecher bereits überschritten wurde. Aber ich bin ein gut katholischer Christ: was wollten sie wider mich und die Meinen ausfinden?
Doktor Anselo. Magnus Garbe, täuschet Euch selber nicht! Was dem Hohenpriester und den Pharisäern wider Jesum Christum gelang, wie sollte es Pater Gislandus nicht wider ein Weib gelingen, da doch die Kirche das Weib überhaupt als das natürliche und das vornehmste Werkzeug des Satans gebrandmarkt hat?
Garbe. Saget nun alles! Ich zittre nicht.
Doktor Anselo. Ihr werdet es alles selbst ergründen, mit festem, erprobtem Blick und mit Eurer festen, erprobten Hand. Wißt indessen, Euer Weib ist eine Heilige! Seid stark mit der Tat, wie sie stark im Erdulden ist: dann wird Euch die Welt mit Triumph aus dieser Prüfung beide emporführen.
Garbe. Saget alles, ich zittre nicht! Saget, ob es ihr geradezu wie der Frau des städtischen Syndikus zu Trier ergangen ist, die sie im Bett, in Kindesnöten, von ihrem Hause in den Kerker geschleppt haben? Saget, ob Felicia, Magnus Garbes Weib, meinen Sohn im Hause des Henkers geboren hat? Ihr schweigt? Ihr schweigt?
Doktor Anselo. Ich darf nicht nein sagen.
Garbe fällt um. Aus dem Hause stürzen weinend und schluchzend Jan Gossaert, Eckart, Dominik und Gößwein. Alle bemühen sich um den besinnungslosen Bürgermeister.