Adolf Hausrath
Elfriede
Adolf Hausrath

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel

»Heile mich, Vater der Liebe«, sprach die Seele zu ihrem Schöpfer. »Riß und Entzweiung kam in mein Inneres, seit ich durch der Wolken Spalt den Stern erblickte, den sie Erde nennen. Wenn Deine Hand mich nicht hielte, so wäre ich längst hinabgestiegen, denn ob ich wache oder träume, stets ist mir, als ob dort meine wahre Heimath wäre. So bin ich in mir getheilt; liebend hasse ich, wollend will ich nicht. Rings umgeben vom Lichte bin ich in Finsterniß, denn Streit gegen mich selbst macht mich friedlos mitten im Reiche des Friedens.«

Indem sie so sprach, sank die Seele schon tiefer und tiefer, und der Magnet der ewigen Liebe schien schwächer zu wirken, als ob er sie lasse und sie hinabstürze in die untere Welt. Ihr Licht verbleichte, je ferner sie dem Urquelle alles Lichtes kam. Bald sah sie sich umgeben von Genossen, die denselben Weg nach unten betreten hatten. Gleich Schneeflocken trieben sie, von jedem Lufthauche hin- und hergeführt, nach unten, während ihnen andere entgegenkamen, die ihren irdischen Lauf vollendet hatten und in froher Eile heimkehrten in der ewigen Liebe Schos. Ein Lied, sanft wie Harfenklang, tönte aus den Reihen der heimwärts wallenden Pilger:

O, seliges Sein
In Gottes Schos!
Einst ließ ich los
Und war allein.
Hell wie Krystall
An der Grenze des All'
Sah ich die Klippe;
Sumpfiger Boden
Schien lachende Au,
Stickender Brodem
Erstrahlete blau.
Das salzige Meer
Wie Silberschaum,
Die starren Felsen
Ein Riesentraum!
So lockt's mich hinab
In der Erde Grab.
Von ihr gezogen,
In's Elend gelogen,
Hab' ich sie geküßt
Und bitter gebüßt.
Aus irdischer Höhle
Entrinnt nun die Seele;
Sie kehrt nicht wieder
Zur Erde nieder,
Glänze nur, Fluth –
Ich kenne Dich gut,
Nicht einen Blick
Werf' ich zurück,
Grünende Au',
Tödtlicher Thau!
Seit ich Ihn ließ,
Mich selbst verstieß,
Gleich irrendem Sterne
Schoß in die Ferne,
War Elend mein Loos.
Nun kehre ich wieder
Der Gottheit zu.
Nur dort ist Frieden,
Nur dort ist Ruh'.

Als die Seele diesen Sang der heimkehrenden Pilger vernahm, hielt sie inne. Es war ihr, als ob der Ewige sie aufs Neue an sein Herz nehme, und sie hörte sein Wort: »Bleibe bei mir, mein Kind! Noch ist keiner zu seinem Heile hinabgestiegen in das Thal der Schatten, das alle täuschte, die den Weg dahin einschlugen. Mit einem Hunger und Durst, die nie gestillt werden, wirst du dort unten wandeln, heimverlangend nach der ewigen Heimath des Lichtes, da du der Seligkeit Fülle hattest.«

»Es ist vergebens, mein Vater«, sprach die Seele verstockt. »Was soll der Friedlose im Reiche des Friedens? Nur im Kampfe werde ich das Gleichgewicht wieder finden. Gewähre mir nur, daß ich mein Loos auf jenem Sterne mir selbst wähle, und keine Bitte soll Dich fürder belästigen.«

»So gehe«, sagte der Ewige ernst. »Ich strafe Dich, indem ich Deine Wünsche erfülle.«

»Laß uns mit ihm ziehn«, riefen nun zwei Zwillingssterne, die in friedlichem Einklang neben einander am Himmel glänzten. »In gleichen Bahnen kreisten wir mit ihm, und es trübte unsere Seligkeit, als wir ihn ferner und ferner von Dir sinken sahen. Wir wollen ihn begleiten, daß er nicht verloren gehe, denn wie könnten wir forthin froh sein, wenn wir ewig die leere Stelle sähen, wo er einstmals glänzte?« Ein tiefes Mitleid lag in dem flehenden Tone, in dem diese Bitte ausgesprochen ward.

»Die aus Liebe hinabsteigen, um Andere zu retten, hielt ich nie zurück«, erwiderte der Ewige. »Sie sind es, die auch dem Erdenleben seinen unvergänglichen Werth geben. Geht, Kinder, Ihr wißt, daß forthin Schmerz euer Theil ist, aber ohne Schuld hat der Schmerz keinen Stachel. Gehet hin, ich werde mit euch sein.«

Und erdenwärts schwebten drei Sterne, der eine matt glänzend, mit schwachem zitterndem Strahle, die Zwillingssterne licht und freundlich, wie Hesperus am Abendhimmel versinkt. So sanken sie hinab und kamen der Erde näher und näher. Die quirlenden Wolken zertheilten sich, sie sahen der Berge Waldesgrün und der Flüsse Silberfäden, sie sahen blaue Seen und freundliche Rebgelände und Wiesenfluren und Saatfelder. Sie sahen altersgraue große Städte und schmucke Flecken und einsame Weiler, Häuser und Häuschen. Und während sie der Erde immer näher und näher kamen, drang Glockengeläute zitternd zu ihnen empor, denn es war auf Erden der Tag des Herrn. In tiefen dunkeln Tönen klang es aus den Kathedralen der Städte, und hell und fröhlich klimperten die Glöckchen der kleinen Dorfkirchen und der Kapellen, die für sich standen als fromme Einsiedler in Berg und Wald. Wie mächtiger Männerchor und wie mit feinen Kinderstimmchen priesen die Glocken, groß und klein, den Herrn. Man hörte es läuten in allen Tonarten, aus allen Ebenen, aus jeder Thalfalte, aus versteckten Schluchten und von einsamen Halden bis hinauf zum Schnee der Alpenwelt, so wie der Lerche Lied hier und dort vom Himmel fällt oder die Sterne aufblinken an allen Enden der Nacht. Die abtrünnige Seele aber schwebte einem glänzenden Schlosse zu, dessen helle Wände in den klaren Wellen eines breiten Stromes sich spiegelten. Nur zögernd folgten die beiden lichten Sterne, die sich lieber auf eines der freundlichen Dörfer oder kleinen Weiler niedergelassen hätten, die ihr Genosse verächtlich liegen ließ. Als sie so hart bei dem Schlosse angekommen waren, verstummte das Läuten der Dorfkirche, die ein wenig abwärts am Ufer des Stromes stand. Die feierliche Stille eines Sonntagmorgens lag auf Flur und Feld, und aus dem einfachen Gotteshause tönten, erst leise summend, dann deutlicher anschwellend, die Worte eines frommen Liedes den Kommenden entgegen:

Seele, willst du dieses finden,
Such's bei keiner Kreatur,
Laß', was irdisch ist, dahinten,
Erdengüter täuschen nur.

Die drei Sterne standen jetzt genau über dem Schlosse, hier aber theilten sie sich; die beiden Zwillingssterne schwebten einem kleinen Hause zu, das in der nächsten Nähe des Parkes lag, vom Schlosse getrennt durch eine weite Wiesenfläche, auf der weiße Linnen sorgsam hingebreitet lagen. Es war eine gottumfriedete Halde, zu der der tosende Lärm der Stadt jenseits des Flusses nur wie ein fernes Rauschen herübertönte.

Unter der Thüre des Häuschens saß eine junge Frau, die in ihrem Andachtsbuche las, während aus der Dorfkirche die Worte der Predigt herüber schallten, zu welcher die Gärtnerin ihren Mann heute allein hatte ziehen lassen, weil ihr Stündchen nahe war. Ein Strahl der Morgensonne spielte um die goldenen Haare des blühenden Weibes, ihre Wangen glühten bei dem Klopfen ihres Herzens, und leise bewegten sich ihre Lippen in stillem Gebete. Von diesem lieben Bilde angezogen, strebte das Doppelgestirn der freundlichen Hütte zu, noch einmal dem Genossen winkend mit einem hellen Freundesblicke. Einen Augenblick schien es, als ob der düstere Geselle ihnen folgen wolle, aber als er zum Schlosse hinabschaute, wurde er unschlüssig. Die plätschernden Brunnen des Gartens rauschten ihm verlockend zu, er sah helle glänzende Fenster, unter denen prangende Blumenbeete sich hinzogen, bunte Tulpenfelder erstrahlten vor ihm wie köstliche Teppiche, prangende Hyacinthen sendeten ihm ihre Wohlgerüche entgegen. »Erdengüter täuschen nur«, ertönte noch einmal die Stimme des Predigers aus dem offenen Kirchenfenster. Er aber säumte noch immer. Hinter den spitzen Dächern des Schlosses führte eine Brücke über den Zwinger nach dem Garten. Unter blühenden Bäumen bei einem Brunnen, in den ein Löwenkopf sein helles Wasser goß, daß es ununterbrochen aus der oberen Schale in die untere herabrauschte, lag in einen Stuhl hingegossen eine weibliche Gestalt, eingehüllt in weite weiche Gewänder und bedeckt mit warmen Teppichen. Wie bleich und vornehm sah sie aus mit ihren blonden Haaren und dem matten Achatglanze ihres blassen Gesichtes, und wie schwach und hülfsbedürftig! Als der irrende Stern ihre Mattigkeit und Erschöpfung sah, ward er selbst inne, daß auch er ermüdet sei. Er ließ sich auf sie nieder, während seine lichten Begleiter ihren Weg nach der Hütte fortsetzten.

In gleichem Augenblicke aber fiel ein dritter Funke vom Himmel, oder war es eine Sternschnuppe, ein glühender Meteorstein? Er leuchtete grell, bald feuerroth, bald gelb. An der hinteren Mauer des Dorfes sah man ihn niederschlagen, da, wo dasselbe am winkligsten und schmutzigsten war. Es schien fast, als ob er nicht eilig genug in jene Region der Verkommenheit hätte gelangen können. Die beiden jungen Frauen im Schlosse und im Gärtnerhäuschen kehrten bald darauf mit langsamen Schritten nach ihren Stuben zurück, und aus dem Parkthore sah man einen Diener eilig nach der Brücke laufen, die zu der Stadt über dem Flusse führte.


 << zurück weiter >>