Friedrich Hebbel
Genoveva
Friedrich Hebbel

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Zweiter Akt.

(Halle im Schloß. Kapelle im Hintergrund, deren offenen Eingang, nebst der ewigen Lampe, man sieht.)

Erste Szene.

Caspar und Balthasar, einander begegnend.

Caspar. Habt Ihr's gesehn?

Balthasar.                           Ich sah's. Doch werde ich
Mir morgen nicht mehr glauben, daß ich's sah.
Kaum einer Fliege hätt' ich's zugetraut,
Daß sie auf so abschüssig-steilem Rand
Sich halten könnt'!

Caspar.                         Ich hab' es nicht gesehn.
Ich hab' den Golo lieb, wie meinen Sohn,
Drum eilt' ich schnell ins Haus hinein, der Sturz
Schien unvermeidlich mir.

Balthasar.                                 Die alte Frau,
Die Katharina, die ihm Amme war,
Und, nichts von allem wissend, eben ihn
Zum Frühtrunk rufen wollte, kreischte laut,
Als sie ihn hoch in Lüften schweben sah;
Er strauchelte, als er den Schrei vernahm,
Sie aber rief: Nimm, Teufel, meine Seel',
Nur führ' mir ungefährdet ihn zurück!
Dann ballte sie die Hand und schrie hinauf:
Du Bösewicht, bist du dir selbst so gram,
Daß du durchaus den Hals dir brechen willst,
So warte doch, bis ich begraben bin!
Dann wieder: Komm herab, mein liebes Kind,
Es soll die Untat dir verziehen sein!
Dann ward sie still und blaß, und ging ins Haus.

Caspar. Warum er's doch wohl tat?

Balthasar.                                         Warum? Um nichts!
Ja, stand der Kaiser unten mit der Kron',
Und sprach: Wer das vollführt, dem schenk' ich sie –
Da würde alles mir begreiflich sein!
Doch er – er riß die Dohlennester ab,
Weil ihn zu schwarz die öde Brut bedünkt.
Der Tor! Sie bauen neue, eh' er's denkt.
Ich hass' den Menschen, der sich selbst nicht liebt.

Caspar. Da kommt er!

Zweite Szene.

Golo, sehr erhitzt, tritt auf.

Golo. Luft! (Er bemerkt die beiden.) Was starrt ihr mich so an?
Zwei Beine und zwei Arme bracht' ich mit
Herunter, nahm ich deren mehr hinauf?
Geht! Habt Ihr nichts zu tun?

Caspar.                                         Wir gehen schon.

(Ab mit Balthasar.)

Golo. Luft! Luft! Ich möchte fluchen! Denn mir scheint,
Ich tat doch alles, was ein Mensch vermag.
Im Vorgefühl des Ungeheuersten
Stellt' ich mich selbst vors oberste Gericht.
Nicht eines Stoßes von des Höchsten Arm
Bedurft' es noch, nur, daß er mich nicht hielt!
Er aber tat ein Wunder – und warum?
Damit in mir der Schurke reifen kann.
Als ich hinaufstieg, wo noch keiner stand,
Da drängten mich die Winde schier zurück,
Die Eule aber sah so trotzig drein,
Als dächte sie: du kehrst wohl wieder um,
Und schwer an meine Fersen hängt' sie sich,
Wie eine Welt, die abzuschütteln war.
Ich wollte beten, doch ein Fenster klang
Und Genoveva winkte mit der Hand,
Und sie, die Tote stören könnt' im Schlaf,
Wenn sie vorüberwallt an ihrer Gruft,
Daß durch vermoderndes Gebein aufs neu'
Ein Angedenken aller Seligkeit
Hinzittert, die auf Erden möglich ist,
Mich lockte sie vergebens aus dem Tod,
Den ich erwählt, ins helle Sein zurück,
Ich sah sie schwindeln, und beharrte doch.
Zurufen wollt' ich ihr: ich liebe dich!
Doch in der Brust hielt ich es fest, das Wort,
Und jenes Kusses denkend, den ich stahl,
Wie einer, der vor Fieberdurst verglüht,
Von einer Lilie den Tropfen Tau,
Schwang ich mich zu des Turmes Rand empor
Und seufzt' und sprach: Nun ist er gleich bezahlt!
Mein Blick zerrann im Unermeßlichen,
Kaum fühlt' ich's noch, daß mich ein Leib umschloß,
Doch leicht und fest, wie man die Erde tritt,
Und ohne Straucheln, wandelte mein Fuß,
Und in der Seele klang mir's, wie zum Hohn:
Du stürzest nimmermehr, du bist gefeit!
»Ich will!« So dacht' ich, und, zum Sprung bereit,
Hob ich den Fuß, dann aber rief ich: Nein!
Ich tat genug! Wirft Gott mich nicht herab,
So will ich auch nicht selbst mein Henker sein!

Dritte Szene.

Katharina tritt eilig auf, die rechte Hand ist ihr verbunden.

Katharina. Mein Golo, lebst du?

Golo.                                             Freilich, Mutter, doch,
Was fehlt denn dir? Dir blutet ja die Hand!

Katharina. Das kam, als sie vorhin mit mir Gewalt
Das Messer nehmen wollten.

Golo.                                             Mit Gewalt?

Katharina. Zu deiner Strafe höre, was ich tat.
Als ich mit Grauen dich dort oben sah,
Da war mir's ganz, als säh' ich dich schon tot.
Drum ging ich in die Küch', nahm aus dem Schrank
Das breitste Messer, riß den Brustlatz ab
Und horchte, um beim ersten Weheruf
Die Spitze tief zu stoßen in mein Herz.

Golo. Ich schaudre, Mutter.

Katharina.                           Sohn, versprichst du mir,
Daß du den Turm nicht mehr besteigen willst?

Golo. Nie, Mutter, nie!

Katharina.                     Nun will ich beichten gehn.

Golo. Was macht die Gräfin?

Katharina.                               Einen Starmatz lehrt
Sie Siegfrieds Namen.

Golo.                                   Würg' mir diesen Star!

Katharina. Du meinst, weil er so dumm ist!

Golo.                                                             Ist er dumm?
Dann laß ihn leben!

Katharina.                       Unverständig glotzt
Er sie mit gelb beringten Augen an
Und guckt umher, ob sich nicht irgendwo
Ein Körnlein in der Nähe finden läßt.
Ich hätt' ihm längst die Kehle umgedreht,
Sie aber lispelt mit dem kleinen Mund
Ihm fort und fort den Namen Siegfried vor,
Als wäre jegliche Musik der Welt
In die zwei Silben: Sieg! und Fried! gebannt.

Golo. Sie muß doch fürchten, daß sie ihn vergißt,
Weil sie schon jetzt in einem Vogel sich
Den Warner und Erinnerer bestellt.
Sag', liebe Mutter, meinst du das nicht auch?

Katharina. Mein junger Herr, ich bin zwar alt und grau,
Doch werd' ich nie verraten mein Geschlecht.

(Ab in die Kapelle.)

Golo. Kein Vaterunser will ich sprechen mehr,
Kein Ave, wie ich sonst doch gerne sprach,
Wenn morgens eine erste Lerche stieg,
Wenn abends eine ferne Glocke klang.
Von jetzt an soll mir zum Legendenbuch
Das Leben Siegfrieds dienen, meines Herrn,
Gedenken will ich all der Tugenden,
Der Tapferkeit, des hohen Edelmuts,
Wodurch er seinen Feinden selbst so oft
Die Tränen in die Augen hat gelockt,
Will mich der Zeit erinnern, wo kein Held,
Kein Heiliger, mir anders denkbar war,
Als nur in seiner herrlichen Gestalt,
Will seine Taten, seine Worte mir,
Wie Perlen, die er, wo er ging, gesät,
Zusammenreihn zu einem Rosenkranz,
Und, den beschämt abbetend Tag für Tag,
Ersticken mein Gefühl, damit ich bald,
Von den Gedanken seiner Trefflichkeit
Durchbohrt, verschwinde in das leere Nichts.

Vierte Szene.

Genoveva tritt auf.

Golo. Da naht sie! Blicke weg, ruhmred'ger Tor!
Wozu? Ich seh' sie doch! Und wenn mein Geist
Ihr Bild sich malt, so blickt es sanft und mild,
Doch sie blickt ernst. Drum schau' sie immer an!
        (Er wendet sich und stürzt ihr, wie niedergeworfen, zu Füßen.)
Verzeiht Ihr?

Genoveva.           Niemals, daß Ihr vor mir kniet!

Golo (sich erhebend, und sie von der Seite betrachtend, für sich).
Ich knie nur, damit sie zögern muß!
O, jeder Blick in dieses Angesicht
Ist ein Gewinn, und jedes Wort, entlockt
Dem rührend-süßen Mund, bereichert mich
Und weckt die Ahnung einer Seligkeit,
Fremd und geheim, in meiner tiefsten Brust;
Wie, wenn Musik erklingt, Entzückungen
Durch alle Nerven, leise schwellend, ziehn.
Und soll der Durst'ge, wenn ein voller Strom
Umflutend ihn erfaßt, die Lippen feig
Zusammenpressen, daß kein Tropfe ihm,
Durchdringend, kühlt den heißen Herzensbrand?

Genoveva. Ihr weint!

Golo.                           Tu' ich's? Dann ist's das erstemal,
Und wie Gewitterregen, der umsonst
Den Blick, nachstürzend, auszulöschen sucht.
        (Er faßt sich ans Auge.)
Weg, Sündflut vor der Sünd'! Du kömmst zu früh!
O Genoveva, seht, mir fehlt ein Tuch,
Und Tränen stehen einem Mann so schlecht;
Ich bitt' Euch, trocknet mir die Tränen ab.

Genoveva. Wie rot er wird! O echte Männerscham!
Ei, Eurer Wangen Glut ersparte mir
Die Mühe schon, sie sog die Tränen ein.

Golo (für sich). Ich hatt' als Knabe einst ein Saitenspiel,
Und liebt' es sehr, und übte viel und gern
Die heitre Kunst, die aus Metall und Holz
Mit edler Müh' den holden Wohllaut lockt.
Doch eines Abends, als ich einsam mich,
Die Saiten rührend, im Gewäld erging,
Da schnitten mir die Töne mördrisch-tief
Ins Herz, das Auge ward mir feucht, und kalt
Schlich Schauer mit nach Schauer durch das Mark.
Wohl war das süß, und lange sog ich still
Die wunderbare Todeswollust ein,
Dann aber zuckt' ich knirschend auf, zerriß
Die Saiten und zerschlug das Instrument.
Und nie ein andres nahm ich in die Hand.
        (Mit einem zornigen Blick auf sie.)
Mir deucht, ich sollte heut dasselbe tun!
O, Sünde ist's, so liebenswürdig sein,
Daß man durch einen Blick, durch einen Ton,
Ja, durch ein Lächeln selbst, das ihm nicht gilt,
Den Mann im Innersten in Fesseln legt,
Die Kraft ihm bricht, den stolzen Mut ihm raubt.
Was ist wohl süßer? Plötzlich an den Hals
Ihr fliegend, alles, was man ist und war,
Zu setzen an den räuberischen Kuß,
In dem man Zeit und Ewigkeit vergißt,
Und dem ein Fluch folgt, welcher vierfach trifft:
Von Gott, von ihr, von ihm und von mir selbst;
Wie, oder zieh' in grimm'ger Notwehr ich
Mein Schwert, und – Ha, Verfluchter, zieh' dein Schwert,
Doch kehr' es reuig-wütend gegen dich!
Welt-End' ist da, nachdem du dies gedacht;
Gott, aufgestört aus seiner ew'gen Ruh',
Erhebt sich schaudernd und versiegelt stumm
Den Schöpfungsborn, damit nicht einst ein Mensch
Geboren wird, der, was du denkst, vollbringt.
Auf deine Knie! (Er kniet.) Verzeiht mir, edle Frau!
(Für sich.) Schurk'! Schurk'! Du greifst zugleich nach ihrer Hand,
Wie jener, der dem Muttergottesbild,
Vor dem er beichtete, ein Kleinod stahl.

Genoveva. Ihr ängstigt mich! Was soll ich Euch verzeihn?

Golo. Daß ich – o, daß ich nicht den Hals mir brach!

Genoveva. Ihr frevelt, Golo, daß Ihr also sprecht!
Steht auf! Steht auf! Und wollt Ihr knien durchaus –
In der Kapelle ist dazu der Ort.

Golo (erhebt sich). Gebt Euer Buch mir, und ich folg' Euch gern
Zu Beichtstuhl und Altar.

Genoveva.                               Ich geh' allein!
Doch wißt, mich wundert's sehr, daß Ihr von mir
Vergebung Euch erfleht, und nicht von Gott.
Leicht habt Ihr mich, Gott habt Ihr schwer gekränkt.
Viel edle Güter hat er Euch vertraut:
Kraft, Jugend, einen ritterlichen Arm!
Dies alles, wie ein trunkner Steuermann
Mutwillig zwischen Klippen treibt sein Schiff,
Statt es vorbeizulenken, setztet Ihr
Um eine Torheit tollkühn auf das Spiel.
Der Atem stockte mir, als ich zum Turm
Empor Euch klimmen sah, ich winkte Euch,
Denn rufen konnt' ich nicht, Ihr ließt nicht ab,
Ich glaube gar, Ihr lachtet, häßlich klang's,
Kaum wußt' ich, durft' ich beten, durft' ich nicht.

Golo. Sie hat für dich gebetet. Freue dich!
Nein, sei kein Tor! Sie tat's nur, daß dein Bild
Sich nicht zerschmettert, blutig und entstellt.
Zu ihrem Herzen schleiche, und, sie kalt
Berührend, weck' aus linder Seligkeit.
O, sei gewiß, den schwarzen Mörder selbst
Verschont in ihrer heil'gen Näh' der Blitz,
Damit er fallend nicht sein Blumenbeet
Beflecke, das ihr Düfte senden soll.
In Lächeln wandelte sich Gottes Zorn,
Als sie in Angst um mich emporgeschaut,
Und wie ein Vater, wenn sein Kind sich naht,
Vergißt, daß er den Diener strafen will,
So streut' er Lilien mit der rechten Hand
Auf sie herab, und mit der linken gab
Er seinem Engel einen stummen Wink,
Mir, ihretwegen, Schutz und Schirm zu sein.
Ich kann es ihr nicht danken, ihr Gebet;
Läg' ich zu ihren Füßen jetzt, ein Klump,
Ein rauchender, von Knochen, Fleisch und Blut,
Sie würde weinen, und im Schmerz um mich,
Wär' es auch nur auf einen Augenblick,
Vergessen, daß sie eines andern ist;
Ja, fühlen würde sie's in tiefster Brust,
Daß ich ein Opfer ihrer Schönheit sei,
Und Liebe, welche stumm den Tod erwählt,
Sie wird verziehn, erwidert, nie verdammt.

Genoveva. Ihr redet, Golo, warum nicht mit mir?
Ich sah Euch niemals so, Ihr seid wohl krank.

Golo. Ich bin ganz Wunde, und mich heilen, heißt
Mich töten!

Genoveva.           Seine ganze Krankheit ist
Die Jugend, die in ihrer Kraft erstickt,
Weil noch die Welt sie nicht zum Dienst berief.
Ei, Golo, blickt doch freudig auf, und fühlt,
Was ich gefühlt, als ich aus sichrem Tod
Euch stolz und trotzig wiederkehren sah.
Wenn Gott den Frevelmut des Jünglings schützt,
So ist's ein Zeichen, daß er schon den Tag
Im Auge hat, wo er des Manns bedarf.
Erkennt dies still und beugt Euch demutvoll
Und harrt, bis er Euch winkt, er winkt gewiß!

Golo (erschüttert). O!

Genoveva (lächelnd)   Habt Ihr's heute doch mit Gott gemacht,
Wie einst mit Eurer Amme, wißt Ihr's wohl?
Herr Siegfried hat es mir erzählt, es kam,
Ich weiß nicht, wie, mir oft schon in den Sinn.
Als die einmal mit Euch am tiefen Rhein
Vorüberging, da rieft Ihr, plötzlich Euch
Von ihr losreißend und dem blanken Strom
Zueilend: Bin ich wirklich dir so wert,
Wie du mir sagst, so zeig's! und sprangt hinein.
Sie stürzt' Euch nach, und –

Golo.                                             Noch erröte ich!
Ich konnte schwimmen, und sie wußt' es nicht,
Sie konnt' es nicht, und sank. Ich ward bezahlt.
Ein Fischer kam zuletzt und zog für tot
Sie aus den Wellen. In erstarrter Hand
Hielt sie mein Käpplein fest, als wär' ich's selbst.
Das ging ans Herz mir. Ja, sie zeigte mir,
Was ich ihr galt.

Genoveva.                 Gott hat's Euch auch gezeigt!
Er hätt' Euch seinen Engel nicht gesandt,
Wär' Euch nicht eine Tat bestimmt, so groß,
So schwer, daß sie jedweden anderen
Zum Feigling machen wird, zum Helden Euch.
Und kommt dereinst ein Tag, der das verlangt,
Was ihr verweigern könnt, und doch ein Mann
Noch bleiben, und ein tapfrer Mann dazu,
Dann denkt: Gott bin ich's schuldig! und vollbringt's.

Golo (für sich). Dem heil'gen Fluß ist ihre Seele gleich,
Aus dem Aussätz'ge, niedertauchend, rein
Und leuchtend sich erhoben. Sünde kann
Sie sich nicht denken; was sie dafür hält,
Ist schlackig Gold, das gleich geläutert wird,
Sobald es ihr Gedanke nur erfaßt.
        (In plötzlicher Bewegung sein Schwert ziehend.)
O Genoveva, weihe du mein Schwert!

Genoveva. Am liebsten dazu, daß es immerdar
In seiner Scheide bleibe. Doch, es will
Geschwungen sein. So weih' ich's denn, als Weib,
Gedenkend meines eigenen Geschlechts,
Das, schwach und waffenlos, in seinem Feind
Zugleich den Freund und den Beschützer sieht,
Gedenkend dessen, was von Jugend auf
Als aller Greuel höchster mir erschien.
Wenn irgendwo ein edles Frauenbild,
Von einem ehrvergeßnen Mann verfolgt,
Nur kaum sich schnöder Übermacht erwehrt;
Wenn sie, durch wilde Wünsche, halb verhehlt,
Halb ausgesprochen, schon befleckt sich dünkt,
Und fort und fort sich nun in Tränen wäscht;
Wenn alle Heil'gen ferne sind, von Gott
Zurückgehalten, der den Himmlischen
Verbot, den ird'schen Helden eine Tat
Zu rauben, die sie jenen zugesellt:
Dann hat dies Schwert
        (sie berührt es.)
                                        ein Recht auf Blut, dann soll's,
Der hart bedrängten Unschuld letzter Hort,
Dräuen, verwunden, töten, wenn es muß.
Ist doch das Schwert ein rächerischer Blitz,
Der, statt aus Himmelshöhn, aus dunklem Schoß
Der Erde kommt, die, innerlich ergrimmt
Ob all dem Frevel, den sie tragen muß,
Ihn sendet, daß er ihn bestraft und tilgt.

Golo. Ein Schauer faßt mich. Ist es nicht Gott selbst,
Der also zu mir spricht durch ihren Mund?
(Zu Genoveva.) Wie kommt Ihr darauf?

Genoveva.                                                     Habt Ihr nie gehört,
Was für ein Ende meine Schwester nahm?
In ernstem Kloster sah von ungefähr
Ein Ritter sie bei einem Kirchenfest.
Erglüht verfolgt' er Gottes reine Braut
Mit ungestümem Werben, plötzlich ihr
Zu Füßen stürzend, als sie ahnungslos
Bei Mondenlicht im Garten sich erging.
Sie floh entsetzt; er aber rief ihr nach:
Du sollst heraus aus dieser Mauern Kreis,
Und muß ich auch mit meiner eignen Hand
In Brand sie stecken, daß des Feuers Glut
Dich scheuche; der Äbtissin sagte sie's,
Und in derselben Nacht noch ging des Herrn
Geweihtes Haus in düstern Flammen auf.

Golo. Und Eure Schwester?

Genoveva.                             Keiner sah sie mehr.
Man meinte, daß sie in der Finsternis
Wohl nicht den Weg fand, der ins Freie führt.
Das glaub' ich nicht. Sie wollte nur den Weg
Nicht wandeln, welcher sie mit Schmach bedroht.

Golo. Entsetzlich!

Genoveva.             Wenn ich meines Herzens Trieb
Nicht folgte, der auch mich ins Kloster zog,
So war es nur, weil ich die Schwester dort
An jedem Ort in Flammen sterben sah.
Gern stellt' ich sie mir nur mit Palmen vor,
Die Himmelskrone in dem goldnen Haar
Und stimmend in den Halleluja-Ruf.
Doch oft verwandelt sich vor meinem Blick
Ihr edles Bild, ich sehe sie verzerrt,
In Rauch und Qualm, ich höre ihren Schrei!

(Sie geht in die Kapelle.)

Golo. O, daß sie eine goldne Wolke jetzt
Dem trüben Kreis, wo man verlangt und wünscht,
Enthöbe! Denn, was auf die Erde sich
Hernieder läßt, das will die Erde auch
Mit Banden, schwer und unrein, wie sie selbst,
Festketten, daß es adle ihren Staub.
Darum gebiert sie nichts Geflügeltes,
Als nur den Vogel, und der Vogel selbst,
Sobald er edel ist, kehrt nie zu ihr
Zurück, selbst dann nicht, wenn der Lenz die Flur
Mit allen seinen Blumen überdeckt.
Von ferne nur, von einem Blütenbaum,
Sieht er sich Lilien und Rosen an
Und schwingt sich dann zur Sonne wieder auf.
Nimm, Ewiger, nimm sie zu dir empor!
Nur, weil es Edelsteine gibt und Gold,
Gibt's Räuber. Ich, ich fühl' es, dieses Weib,
Wenn du nicht schnell sie unserm Blick entziehst,
Ruft Sünd' ins Dasein, außerordentlich,
Wie ihre Schönheit, einzig, wie sie selbst!

Fünfte Szene.

Ein alter Jude stürzt herein, vom Gesinde verfolgt.

Mehrere Stimmen. Ein Jud'! Ein Jud'!

Golo.                                                     Was hat der Jud' getan?

Balthasar. Getrunken aus dem Brunn!

Golo.                                                     Hat er ihn auch
Vergiftet?

Balthasar.         Das gilt gleich. Wer trinkt wohl noch
Aus einem Brunn, woraus der Jude trank!

Katharina. Reiß dir den Leib auf, wenn du durstig bist,
Du Hund, und saug' die eigne Galle aus!
Habt ihr doch Galle unserm Herrn zum Hohn
Gereicht, als er vor Durst am Kreuz verging.

Balthasar. Was meint ihr, wenn wir den hier kreuzigten?
Es steht im äußern Hof ein steinern Bild,
Der Heiland mit der Dornenkron', das Haupt
Geneigt, die Seite von dem Speer durchbohrt.
Ich denk' doch, lächeln muß das Schmerzensbild,
Wenn wir, ihm gegenüber, an die Wand
Den Juden nageln und verdreifacht ihm
Die Marter antun, die der Herr erlitt!

Hans (dringt mit dem Messer auf den Juden ein).
Fürs erste wäre hier der Seitenstich!

Golo. Halt! (Für sich.) Jedem Sünder fühl' ich mich verwandt!

Jude. Nein! Laß sie, Christ! Noch keinem deines Volks
Ward Dank ich schuldig, würd's auch dir nicht gern!
Fluch! Fluch der Feigheit! Warum wandt' ich mich,
Daß ihre schweren Steine nur die Brust
Mir trafen, nicht die Schläfe. Wenn ein Greis,
Halb blind, elendiglich, in Fiebers Glut
Aus einem Brunnen trinkt, wo er vorher –
Sonst hätt' er's nicht gewagt – den grindigsten
Der Hunde trinken sah, und man den Greis,
Bloß, weil er trinkt, zu Tode steiniget:
Dann ist das Maß der Zeit erfüllt, dann dreht
Der Herr die Welt, daß unten oben wird,
Dann tut er unsre Sünden aus, und spricht:
Sie sind bezahlt! Auf, Christen, steinigt mich,
Doch schnell, schnell, schnell! Ich sterbe sonst von selbst.

(Man sieht in der Kapelle Messe lesen. Der Geistliche, Chorknaben mit Rauchfässern werden erblickt.)

Golo. Dir wird kein Haar gekrümmt!

Jude.                                                     Ich spei' nach dir,
Damit du's widerrufst! Wenn auch mein Leib
Dem Schlage zittert, der von fern ihm droht,
Wenn sich mein Auge furchtsam schließt, mein Fuß
Zur Flucht sich hebt, so lechzt doch meine Brust
Nach Schimpf und Schmach und unverdienter Qual.
Sie sind mein Schatz, mein einz'ger, letzter Schatz,
Sind meines Volkes Schatz, wodurch es einst
Zurück erkauft, was es an Rom verlor:
Die heil'ge Stadt, das hochgelobte Land.
Für jeden Stein in Sion will der Herr
Ein Herz, das brach, und eine Wunde, die
Nicht heilt und nicht verharrscht. Ich bin schon reich.
Siehst du die Narbe von dem Pfeilschuß hier?
Ein Ritter schoß den Bolzen mir ins Haupt,
Weil just kein Tier daherkam, sein Geschoß
Zu prüfen, das er niemals noch versucht.
Ich jauchzt', ich ächzte auch, doch flucht' ich nicht!
Siehst du, daß links das Ohr mir fehlt? Ein Knapp'
Hieb mir's herunter, bloß zum Zeitvertreib,
Weil ich gerad' am Wege saß und aß.
Als nach dem blut'gen Läpplein Fleisch sein Hund
Verhungert sprang, da trat er's mit dem Fuß,
Sprach: pfui! Hei, dies Pfui hör' ich noch!
Ich jauchzt', ich ächzte auch, doch flucht' ich nicht.
Siehst du –

Golo.                   Schweig, wenn du nicht die Wunde mir,
Die ich dir selbst schlug, zeigen kannst.

Balthasar.                                                       Ob wir
Den Bart ihm scheren?

Hans.                                   Seine Augen glühn,
Als legte drin ein Teufel Feuer an.

Katharina. Ich fürcht' ihn fast. Er richtet sich empor,
Wie eine blaue Schlange, die man tritt.

Jude. Ich habe nie geflucht! Ich hab's gespart!
Jetzt sterb' ich. Soll ich beten, oder soll
Ich fluchen? Ich will fluchen. Herr der Welt,
Für alles, was ich litt, leg' jetzt den Fluch
Mir auf die Lipp', der sie am ärgsten trifft!

Golo. Schweig, oder stirb!

Jude.                                   Gleich beides! Doch zugleich!
Fluch! Fluch! Mir deucht, es wirkt! Sie werden blaß!
Fluch! Hei die Mauern wanken! Fluch! der Turm
Erzittert, er begräbt sie. Fluch! 's wird Nacht!
Ich blas' die Sonn' aus mit dem letzten Hauch!

Golo (haut mit dem Schwert nach ihm).

Jude. Fluch! Fluch! Man schlägt die Sterbenden! Ich will
Doch sterbend einen würgen!
        (Er tastet umher und faßt Balthasar.)

Balthasar (stößt ihn zurück).             Fort, du Aas!

Jude. Aas bin ich bald! Dann werd' ich eure Luft
Verpesten, hei, denn ihr begrabt mich nicht!
Fluch! Donnert's nicht? Es donnert! Ja! hör' auf!
Nun flucht Gott selbst! O weh, ich fürcht' mich doch!
        (Er stürzt fort.)
Hinab! Hinab! Wo's finster ist und still!

Katharina (sieht ihm nach).
Er fällt!

Balthasar.     Zum Teufel! Innerhalb des Tors?

Katharina. Nein, außerhalb!

Balthasar.                               Da mag er liegen, bis
Die Raben ihn fortschleppen. Freilich sind's
Langsame Leichenträger. Doch, was tut's?

(Das Gesinde zerstreut sich.)

Golo. Die ew'ge Lampe brennt noch ruhig fort!
Man sieht sie heller, weil es dunkel wird.
Kommt das vom nahen Abend, oder will
Die Sonne nicht mehr leuchten über uns?
Jud'! Jud'! Ich wollte, daß dein Fluch die Welt
Zersprengte! Nicht zum zweiten Male wird
Sie Gott erschaffen, nur sein Mitleid hält
Sie noch zusammen mit dem blut'gen Kitt,
Den ihm vom Kreuz herunter bot sein Sohn.
Mich schaudert's. Denn mir ist, als wär' ich nur
Ein Wurm in einem Körper, der verfault.

(Er tritt der Kapelle näher und blickt hinein. Die Messe ist beendigt. Man sieht Genoveva am Beichtstuhl. Der Geistliche wird nur wenig gesehen.)

Sie beichtet. O, nun lauscht Gott selbst herab
Vom Himmel. Ob er gleich allwissend ist,
Doch kennt er ihre Sünden nicht, und horcht
Auf ihres Mundes Stammeln, daß er jetzt
Erfahre, wess' sie selbst sich lieblich zeiht.
So wäscht ein Kind sich wohl in Maientau,
Nicht, daß es reiner, daß es schöner wird.
Doch, hier ist beides gleich unmöglich. Ernst,
Beschäm fast schaut der Pfaff auf sie herab,
Denn ihre Beichte fällt ihm so ins Herz,
Wie Diamantenstaub in schlechten Sand.
Er sinnt umsonst auf eine Buße, wie
Auf Sünden sie. Doch, sie erglüht, und gibt's
Für Sünde aus, daß sie von keiner weiß.
Pfaff, leg' zur Buße ihr die Sünde auf,
Wie du dem Mägdlein, das sein weißes Kleid
So liebte, und in Unschuld dir's gestand,
Befahlst, es zu beflecken. Er ist stumm.
Jetzt flüstert er. Sie neigt sich still und geht.

(Genoveva verläßt die Kapelle und geht ins Schloß.)

Golo (sieht ihr nach).
Sie kehrt zurück, erleichtert um ein Nichts,
Das ihr doch viel dünkt. – Ob sie wohl aufs neu'
Jetzt ihren Starmatz unterweisen wird?
Die einz'ge Sünde, die sie je beging,
Die, wett' ich, hat sie nie gebeichtet. Ist's
Doch Sünde, daß dies Himmelsbild
Aus goldnem Rahm' in eines Mannes Arm,
Um seinen Hals sich flechtend, niederstieg.
Nur, weil die Heil'ge Weib ward, lieb' ich sie,
Nur, weil ich's sah, wie süß sie küssen kann!
O, wie verstrick' ich mich! Unglückliche!
Vom stillen Kloster wies die Schwester dich,
Ein jammervoller Schatten, dich zurück,
Und von des starken Gatten Brust, an die
Du dich geflüchtet vor dem Drang der Welt,
Zerrt Leidenschaft, entzündet durch den Strahl,
Den nur der Abschied dir entlockt, dich fort.
Doch nein! Zu schlimm bedrohter Frauen Schutz
Hast du mein Schwert geweiht; ich will für dich
Es zücken auf mich selbst, wenn – du's gebeutst!
        (Ab.)


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