Friedrich Hebbel
Der Rubin
Friedrich Hebbel

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Dritter Akt.

(Die Gärten des Kalifen am Tigris An der Palastseite ist ein prächtiger Pavillon aufgeschlagen. In den Gärten viel Volk.)

Erste Szene.

Soliman und Khalf treten vor.

Khalf. Er wird doch noch gehängt!

Soliman.                                         Er wird es nicht!

Khalf. Ho! Ho! So sicher, als es Stricke gibt!

Soliman. So sicher nicht, als Allah Allah ist!

Khalf. Setzt Ihr das Kalb, das Ihr von Eurer Kuh
Erwartet, setzt Ihr's an das Füllen,
Mit welchem meine Stute geht? Ich biete
Die Wette!

Soliman.           Nein!

Khalf.                         Dann denkt Ihr auch, wie ich!

Soliman. Gewiß nicht! Doch ich will nicht, daß ein Mensch
Aus Eigennutz ihm Böses wünschen soll,
Und ginge ich die Wette ein, so würdet
Ihr's tun.

Khalf.           Gleichviel! Er wird noch heut gehängt!

Soliman. So dacht' ich diesen Morgen auch, als ich
Aus meiner Tür trat und ihn stehen sah,
Den Strick schon um den Hals, und den Kadi,
Argwöhnisch passend, neben ihm. Doch, als
Auf einmal, von Trompetenschall verkündigt,
Der Herold nun daher geritten kam
Und ausrief: Haltet ein, denn heute soll
Kein Todesurteil hier vollzogen werden,
Eh' der Kalif es selbst bestätigt hat!
Da jauchzt' ich wieder auf, und klar erkannt' ich
Den Finger Allahs!

Khalf.                             Wirklich?

Soliman.                                         Ist es denn
Nicht wunderbar? Das erstemal verschluckte
Die Erde ihn, es sah zum wenigsten
So aus, und jetzt – – In diesem Jüngling steckt
Was ganz Besondres, glaubt es mir! Das Lamm,
Das gestern, als er kaum verschwunden war,
An seiner Statt hervortrat ans dem Nebel,
Schneeweiß und schuldlos um sich blickend,
Hat etwas zu bedeuten!

Khalf.                                   Wunderbar
Ist's auch, daß Ihr, der Ihr von ihm beraubt seid,
Ihn so in Euren Schutz nehmt! – Dennoch – Habt
Ihr den Kadi Euch angesehn? Der ließ
So ab von seiner Beute, wie der Tiger,
Wenn er den Löwen hört! Einstweilen zaudernd,
Doch immer noch zum Sprung bereit. Und –

Soliman.                                                               Nachbar
Ich möcht' zu Mittag gern was essen können!
Hört auf, wir werden's sehn! – Ich bin begierig,
Ob's wahr ist, was man vom Kalifen sagt.
Unglaublich scheint es mir. Noch nie stieg einer
Von seinem Thron herab und wurde Derwisch,
Wenn ihn kein Bruder dazu zwang!

Khalf.                                                     Man konnte
Darauf gefaßt sein!

Soliman.                         Meint Ihr?

Khalf.                                               Nun, man weiß
Ja, was man weiß!

Soliman.                       Ihr tut geheim!

Khalf (faßt sich an den Hals).                  Ich habe
Den äußerst lieb.

Soliman.                     Und glaubt Ihr, daß Ihr mir
Nicht trauen dürft?

Khalf.                           Man sollte niemand trauen!
Es ist schon schlimm genug, daß man sich selbst
Nicht zwingen kann, gefährliche
Geheimnisse beizeiten zu vergessen.
Im Fieber hat schon mancher ausgeplappert,
Was ihn, wenn die Besinnung wiederkehrte,
Auf die Genesung gern verzichten ließ.

Soliman. Ihr treibt es weit! Was ist's?

Khalf.                                                 Wißt Ihr etwas,
Das Ihr zu meiner Sicherheit im Tausch
Dagegen setzen könnt? Ihr schweigt? So schweige
Ich auch!

Soliman.         Ihr könnt schon was erfahren haben,
Denn Euer Sohn ist des Kalifen Arzt,
Seit ihm die wunderbare Kur gelang!

Khalf. Ach, wär' er's nicht!

Soliman.                             Wie so? Ich denke doch,
Er wird nicht karg beschenkt!

Khalf.                                             Nur hat er leider
Die Kunst noch nicht entdeckt, den Arzeneien
Den widerwärtigen Geschmack zu nehmen,
Und der Kalif nimmt nie ein Mittel ein,
Das seinem Gaumen widersteht.

Soliman.                                             Das ist
Denn freilich schlimm!

Khalf.                                   Ich denk's! Für einen Arzt,
Der mit dem Kopf für des Kalifen Leben
Zu haften hat und der, sobald er stirbt,
Gehängt wird!

Soliman.                 Dies ist doch wohl nicht zu ändern!
Was könnte wohl den Arzt so eifrig machen,
An des Kalifen heiliger Person
Nichts zu versäumen, als die Furcht vorm Strick!

(Im Pavillon erscheinen Mohrenknaben.)

Soliman. Im Pavillon wird's laut!

Khalf.                                           Hinweg! Er kommt!

(Sie ziehen sich zurück.)

Zweite Szene.

In den Pavillon treten der Kalif und der Wesir nebst Gefolge ein.

Der Wesir. Herr, nimm mir meinen Kopf!

Der Kalif.                                                   Warum denn, Alter?

Der Wesir. Er will es nicht begreifen, daß du recht tust!

Der Kalif. Ich tu', was ich nicht lassen kann!

Der Wesir.                                                     O, laß dich
Beschwören!

Der Kalif.             Spar' das! Mein Entschluß steht fest!

Der Wesir. Du in die Wüste ziehn! Ein Derwisch werden!

Der Kalif. Führ' mir Fatime her! Dann unterbleibt's!

Der Wesir. Man wird sie sicher noch entdecken!

Der Kalif.                                                             Nie!
Seit sie verschwand, verstrich ein ganzes Jahr!

Der Wesir. Und wenn denn nicht – Schon mancher Vater hat
Sein Kind verloren!

Der Kalif.                       Ja! Doch an den Tod!

Der Wesir. Ist das nicht noch viel schlimmer?

Der Kalif.                                                         Abubeker,
Du willst nicht, daß ich Derwisch werden soll
Und sprichst, als wär' ich's schon.

Der Wesir.                                           Wenn meine Zunge
Durch Widerspruch mich um den Kopf gebracht,
So dank' ich's ihr. Ich brauch' ihn nur so lange,
Als ich dir dienen darf und geb' ihn jetzt
Mit Freuden hin!

Der Kalif.                   Sprich immer zu! Zwar trage
Ich heute noch die Krone Mahomeds,
Allein ich tu's zum letztenmal und will
Gern zum voraus mich an die Zeit gewöhnen,
Wo man in mir nur noch den Greis erblickt.

Der Wesir. Das muß ich hören! Erde, tu dich auf
Und schlinge mich hinab!

Der Kalif.                               Wesir! Ich habe
Dir nie gesagt, warum ich etwas tat!

Der Wesir. Du winkst, und wir gehorchen! So geziemt sich's!
Dir legt es Allah in das Herz!

Der Kalif.                                       So ist's!
Wir Potentaten sind für ihn dasselbe,
Was ihr für uns seid; wenn wir tun,
Hat er gedacht! Drum ist es auch gewiß
Kein Märchen, daß es einen Apfel gibt,
Den nur ein König essen kann, der jedem
Zu Gift wird, der nicht unsresgleichen ist.
Ich ließ die Welt schon längst nach ihm durchforschen,
Wer weiß, wie bald man mir ihn bringt!

Der Wesir.                                                     Was soll
Er dir?

Der Kalif.   Du fragst? Wenn ein Empörer sich
Erhübe, und, auf Lug und Trug gestützt,
Im Pöbel Anhang fände, brauchte man
Nicht erst das ungewisse Schwert zu ziehn:
Man zöge diesen Apfel bloß hervor
Und lüde ihn zum Essen ein!

Der Wesir.                                   Wie kannst
Du an Empörung denken? Lebt der Mensch
In deinem Reich, der, wenn du ihm gebeutst,
Den Bauch sich aufzuschlitzen und die Schnur
Sich um den Hals zu legen, auch nur wagt,
Nach dem Warum zu fragen?

Der Kalif.                                     Das ist wahr!
Allein, es kam schon vor!

Der Wesir.                               Nur nicht bei uns!
Nur nicht in Bagdad! Muß ich dich, o Herr,
An die Moschee erinnern, die dein Vorfahr
Am Tigris aus den Schädeln seiner Feinde
Erbaun ließ nach der großen Christenschlacht?
Fehlt ihr die Krone? Sind, als es zuletzt
Gebrach an Köpfen, Tausende nicht gleich
Herbeigeströmt, von heil'gem Eifer voll,
Und haben ihren eignen dargebracht?
Und ist das Denkmal seiner Herrlichkeit
Nicht auch ein ew'ges Denkmal unsrer Treue?

Der Kalif. Dein Ahnherr ging den übrigen voran
Du darfst dran mahnen!

Der Wesir.                           Und dies treue Volk
Willst du – – Nein! Nein! Du kannst es nicht!

Der Kalif.                                                               Ich habe
Dir nie gesagt, warum ich etwas tat!
Jetzt soll's geschehn! Ich liebe meine Tochter
Nicht bloß, weil dies ein Vater immer tut,
Und auch nicht bloß, weil sie die einz'ge ist,
Der ich, verzeih, mich ganz vertrauen darf,
Ich tu's noch weit mehr ihrer Mutter wegen,
Denn diese ihre Mutter habe ich
Im Rausch – es war mein erster und mein letzter! –
Erschlagen!

Der Wesir.         Herr der Gläubigen! Es war
Ein Weib und deine Sklavin!

Der Kalif.                                       Habe sie
Erschlagen, ohne sie, die im Harem mir
Noch stets die Liebste war, auch nur zu kennen,
Bin dann auf ihrem Leichnam eingeschlafen,
Als ob's ein Kissen wär', und hätt' ihn fast
Mit mir emporgerissen, als ich morgens
Erwachend aufsprang, ihre langen Locken
Vom Abend her noch um die Faust gewickelt,
Und ganz durchnäßt von ihrem kalten Blut!

Der Wesir. Je nun! je nun! Du hast dein Kleid gewechselt
Und auf dem nächsten Sklavenmarkt Ersatz
Für die Verlorene gefunden!

Der Kalif.                                     Freilich!
Doch wünschte ich's aus meinem Leben weg!
Ja, Abubeker, ja! Der Koran spricht:
Du sollst die Mutter deiner Kinder ehren,
Und das gilt mir wie dir!

Der Wesir.                               Du hast dafür
Die Tochter, welche sie dir hinterließ,
Mit unbegrenzter Zärtlichkeit beglückt.

Der Kalif. Jawohl! Doch eben darum kann ich sie
Auch nicht entbehren, und gewiß ward sie
Mir nur entrissen, um die frühre Schuld
An mir zu strafen. Ich versteh' den Wink
Und suche mir das Paradies zu sichern,
Indem ich selbst die Buße noch verdopple,
Und auch auf's Reich verzichte. Das ist nicht
So schwer, wie es dir scheinen mag! Du kennst
Mein Fieber nicht! (Für sich.) Ich zittre nachts im Traum
Vor Euch, wie Ihr bei Tag vor mir! – Auch glaub' ich,
Daß mir mein Kind vielleicht zum Lohn dafür
Zurückgegeben, daß es wenigstens
Der Welt zurückgegeben und nicht länger
Für meine Sünden leiden wird!

Der Wesir.                                       Weh' uns!

Der Kalif. Verdammt sei, wer die erste Traube preßte!
Ein Teufel sitzt in jedem Tropfen Wein.
Ich kostete nur einmal das Getränk,
Das der Prophet verbot, und jetzt noch trifft
Der Fluch mich. Doch ich hätte mich vielleicht
Auf dem verruchten Pfad der Neuerung,
Den ich verwegen eingeschlagen hatte,
Noch weit verirrt, wenn diese ernste Mahnung
Zur schnellen Umkehr nicht gekommen wäre.
Jetzt klammerte ich fest mich an's Gesetz,
Wie der Ertrinkende sich an den Balken,
Und daher rührt's, daß ich mit Feu'r und Schwert
Jedweden, der sich von der alten Weise
Auch nur um einen Fingerbreit entfernt,
Vertilge. Ich erfuhr, wohin es führt.

Der Wesir. Du bist der Hort des Glaubens. Soll der Glaube
Des Horts entbehren? Dies erwäg' noch, Herr!

Der Kalif. Dem Glauben ist sein ew'ger Hort gewiß.
Ich will die letzten Pflichten jetzt erfüllen,
Damit ich ruhig ziehen kann. Zunächst
Ernenne ich Ägyptens Pascha noch,
Da ich den jetz'gen Pascha, meinen Bruder,
Auf meinen Thron berief. Laß sämtliche
Emire kommen!

(Der Wesir winkt.)

Dritte Szene.

Die Emire, zehn an der Zahl, treten ein.

Der Kalif.                 Jetzt vollzieh' an mir
Den uralt-heil'gen Brauch, damit nicht Neigung
Und Vorurteil, mir selber unbewußt,
Sich geltend machen können!

(Der Wesir verbindet ihm mit Feierlichkeit die Augen.)

Der Kalif.                                       Wechselt nun
Die Plätze!

(Die Emire wandeln einige Male durcheinander, dann knien sie nieder.)

Der Wesir.       Es geschah!

Der Kalif (mit erhobenen Händen). So leite du mich,
Der du im Stein den Funken und im Menschen
Das Herz siehst.

Vierte Szene,

Indem er sich langsam in Bewegung setzt, tritt ein Bote ein und wirft sich vor ihm auf die Knie.

Der Kalif (berührt den Boten). Auf denn, Pascha von Ägypten,
Erhebe dich.

Der Bote.           Ich bin der Pascha nicht,
Ich bin sein Bote nur und soll dir melden,
Daß er noch heut erscheint. Er wär' schon hier,
Wenn nicht sein Pferd den Hals und er den Arm
Gebrochen hätte!

Der Kalif (nimmt sich die Binde ab). Was ist dies, Wesir?

Der Wesir. Der Mensch trat eben ein!

Der Kalif (nach einem feierlichen Stillschweigen). Allah, vergib!
Du kannst nicht irren! Was gehört zum Pascha?
Ein Mensch! Und der da (er betrachtet den Boten)
                                        ist kein Tier! (Zum Boten.) Steh' auf
Und kehre in dein Paschalik zurück!
(Zum Wesir.)
Du, fertige den Firman aus!

Der Bote.                                   Ich küsse
Die Füße dir!

Der Kalif.             Der Pascha küßt den Rock.

Der Wesir (nimmt den Boten beiseite).
Du kennst des Paschas Pflicht?

Der Bote.                                         Wie sollte ich?

Der Wesir. Ägypten ist ein reiches Land, die Ernten
Sind höchst ergiebig!

Der Bote.                         Wenn der Nil im Frühling
Den Boden wässert. Doch er tut's nicht stets!

Der Wesir. Das gilt uns hier in Bagdad gleich. Wir können
Den Nil nicht strafen, aber wohl den Pascha,
Wenn er den schuldigen Tribut nicht schickt.
Ich selbst war einmal Pascha von Ägypten
Und habe dort ein Hungerjahr erlebt.
Da ging der Zehnte spärlich ein. Was tat ich?
Ich legte eine Steuer auf die Luft!

Der Bote. Ich weiß es wohl. Man mußte Scheine lösen,
Und wenn man's unterließ, so wurde einem
Der Mund verklebt, und durch die Nase mußte
Man kümmerlich sein bißchen Atem ziehn,
Bis man der Vorschrift nachgekommen war.
Ich selbst, ich habe damals einen Becher
Verkaufen müssen, der noch aus der Zeit
Der Pharaonen stammte und vom Vater
Stets auf den Sohn vererbt ward.

Der Wesir.                                         Ja, das Mittel
War gut, um alte Münzen, alte Teller
Und alten Schmuck ans Tageslicht zu ziehn,
Drum wählte ich's. Dies merke dir. Man fragt
In Bagdad nie, wie du's zusammenbringst,
Wenn du das Geld nur schickst.

Der Bote.                                         Ich werd' mich treu
Nach deinem Wink verhalten!

Der Wesir (zum Kalifen).                 Ich belehrte
Den neuen Pascha über seine Pflicht.

Der Kalif. Laß ihm auch aus dem Schatz das Nöt'ge reichen,
Damit er einziehn kann, wie sich's gebührt.

Der Wesir. Es soll geschehn! Emir!

(Ein Emir tritt heran. Der Wesir spricht mit ihm. Der Emir geht mit dem neuen Pascha, dem er viele Ehrfurcht erweist, ab.)

Der Kalif.                                           Jetzt sprech' ich Recht!

Der Wesir. Noch eins, Herr, dein Erzähler –

Der Kalif.                                                       Geht, wohin
Es ihm gefällt, und auch mein witz'ger Kopf!
Was soll mir ihr Tribut noch! Um Fatimen
Erheitrung zu verschaffen, ließ ich mir
Ihn zollen. Selbst erfind' ich keine Märchen,
Auch kommt mir niemals etwas in den Sinn,
Was junge Mädchen lachen macht, und lachen
Sah ich Fatime gern. Drum ließ ich mir
In Märchen, Possen, Phantasien und Witzen
Von diesen Bettlern, die nichts andres hatten,
Die Steuer zahlen und ergötzte dann
Mein Kind damit. Doch, das ist längst vorbei.
Nun mag er graben, dieser Dichterpöbel,
Um endlich auch einmal in barer Münze
Dem Schatz gerecht zu werden, wie sich's ziemt.
Wohlan!

Fünfte Szene.

(Er verläßt mit seinem Gefolge den Pavillon und tritt in den Garten. Rauschende Musik begrüßt ihn. Das Volk wirft sich nieder. Er setzt sich und gibt dem Wesir ein Zeichen.)

Der Wesir.       Der Herr der Gläubigen will heut
In eigener Person des Rechtes pflegen,
Wie er's getan, als er den Thron bestieg!
Tritt vor, Kadi!

Der Kadi (tritt vor, hinter ihm sein Gefolge, mit verschiedenen Gefangenen, unter denen man Babeck und Assad bemerkt.)
                            Du, dessen Angesicht
Die Sonne selbst verdunkelt, dessen Tritt
Die Erde zittern macht und dessen Stimme
Den Sternen Halt gebietet, demutvoll
Küss' ich die Füße dir und preise mich
Beglückt, daß deine tiefe Weisheit jetzt
Den kleinen Schatz von Einsicht und Erfahrung,
Den ich erwarb, vertausendfachen will!

Der Kalif (zeigt auf Babeck).
Was hat der Mann verübt?

Der Kadi.                                 Er tötete!
Und keinen Menschen – das geschieht zu oft,
Als daß es mich noch sehr erhitzen sollte!
Nein, eine Spinne!

Der Kalif (zu Babeck).     Hast du's nicht gewußt,
Daß der Prophet die Spinnen heilig sprach,
Seitdem sie, eifrig webend, zu Medina
Ihn in der Höhle bargen vor dem Feind?

Babeck. Ich tat es aus Versehn!

Der Kadi.                                   So sprechen alle!
Der eine will vom Baum gefallen sein,
Und so das fromme Tier zertreten haben,
Der andre gibt für blind sich aus, doch immer
Wird Mahomeds Beschützerin erquetscht,
Anstatt daß man ihr Fliegen fangen soll.
Was diesen Wicht betrifft, so hab' ich Zeugen,
Daß er vor Monden auch nach einer Katze
Schon Steine warf.

Der Kalif.                     Das deutet allerdings
Auf ein verwildertes Gemüt. (Zu Babeck.) Vernahmst
Du nie, daß der Prophet, als seine Katze
Auf seinem Ärmel eingeschlafen war
Und ihn die Stunde zum Gebete rief,
Den Ärmel abschnitt, statt das Tier zu wecken?

Babeck. Ich tat's im Zorn, weil sie mein letztes Brot
Gestohlen hatte!

Der Kalif.                 Das entschuldigt dich,
Wenn auch nur halb. So sollst du denn auch nur
Die halbe Strafe leiden! (Zum Kadi.) Kerkr' ihn ein,
Solange dir's gefällt. Doch laß ihn leben!

(Babeck wird zurückgeführt.)

Der Kadi (für sich).
Steht's heute so? Dann bleibt mein armer Rustan
Leicht ungerächt! (Kniend.) Herr, darf dein treuster Sklav'
An diesem Tag, wo deine Mildigkeit,
Wie Tau und Regen, selbst auf Disteln sich
Ergießt und Dornen, darf er auch für sich
Um eine letzte Gnade zu dir flehn?

Der Kalif. Sie ist gewährt, noch eh' du sie genannt!

Der Kadi. So stoß jedweden Urteilsspruch mir um,
Nur einen nicht, nur den nicht, welcher diesen
(Er zeigt auf Assad.)
Betrifft!

Der Kalif.       Es sei! Doch sag' mir, was er tat,
Daß er, so jung noch, dich so sehr gereizt!

Der Kadi. Ich sag' dir leichter, was er nicht tat, Herr,
Denn eher zähl' ich eines Dornstrauchs Nadeln
Dir vor, als seiner Missetaten Menge.
Er raubte, erstlich, einen Edelstein,
Und das am hellen Tag, auf offnem Markt!

Assad (bedeckt sich das Gesicht).
O! O!

(Irad erscheint im Hintergrunde.)

Der Kalif.   Er scheint die Tat doch zu bereun!

Der Kadi. Er stellt sich so, um dich zu rühren, Herr!
(Er bemerkt Soliman, der sich genähert hat.)
Dort seh' ich den Beraubten! Dieser kann
Von seiner Reu' erzählen. Mit dem Dolch
Hat sie der Bösewicht ihm dargetan.
(Zu Soliman.)
Du kommst gewiß um den Rubin!

Soliman.                                               Ich will
Ihn nicht zurück.

Der Kadi.                   Dann fällt er an den Schatz!
(Zu Assad.)
Heraus mit ihm!

Assad                         Nimm mir das Leben erst!

Der Kadi. Ich will den Stein zuvor!

Assad.                                             Ich geb' ihn nicht!

Der Kadi. Was sagst du, Herr, zu einem solchen Trotz
Vor deinem Angesicht?

Der Kalif.                             Mein Arzt soll kommen!
Er ist verrückt!

Der Kadi.                 O nein! Ich bürge dir!

Der Kalif (zu Assad, mild).
Gib mir den Stein!

Assad (überreicht dem Kalifen nach einem kurzen innerlichen Kampf den Rubin, zieht ihn aber, als dieser die Hand nach ihm ausstreckt, wieder zurück.)
                                Ich kann's nicht!

Der Kalif.                                                 Gib ihn her!
Er mahnte mich, wie ich ihn funkeln sah,
An meiner Tochter Auge! – Schnell! Ich sehe
Sie vor mir! Nun?

(Er streckt die Hand aus.)
(Assad schließt seine Hand.)

Der Kalif.                     Ha! Stoßt ihn nieder!

Assad.                                                             Gleich
Tu' ich das selbst! Erst –

(Er schleudert den Rubin in den Fluß.)

Der Kadi.                                 Unerhört!

Assad.                                                         Nun wird
Ihn keiner haben! Jetzt, mein Dolch, heraus
Und –

(Er zieht den Dolch und zückt ihn gegen sich selbst.)

Sechste Szene.

Fatime (im Hintergrund).
              Halt! O, halt!

Assad.                                 Welch eine Stimme!

Der Kalif.                                                             Tochter!

Fatime (fliegt an seine Brust).
Mein Vater!

Der Kalif.           Bist du's? Habe ich dich wieder?

Fatime. Dank's diesem Jüngling! Er erlöste mich
Aus eines Zaubrers fürchterlicher Macht!

Der Kalif. Er?

Assad (mit innerlichem Hohn).
                  Ich!

Der Kalif.                 So dank' ich's ihm, wie ich's gelobt.
Ich war bis heut Kalif. (Zu Assad.) Du bist es jetzt!

(Der Wesir macht eine Bewegung des Erstaunens.)

Der Kalif. Hast du's nicht selbst verkündigt? Oder brach
Ich je mein Wort? Tät' ich's, so stellte ich
Ja unter meinen letzten Sklaven mich,
Denn jeden andern zieht ein Höherer
Zur Rechenschaft, ich bin der Höchste selbst!
So sprach mein Ahnherr einst! So sprech' auch ich!

Der Wesir. Wohl! Doch –

Der Kalif.                           Er ist des Raubes angeklagt!
Was tut's? Wenn er Kalif ist, hat er alles
Und kann solch eine Tat nicht mehr begehn!
Drum –

(Er legt sein Purpurgewand und sein Diadem ab und gibt es dem Wesir.)

Der Wesir (nähert sich Assad und will ihn bekleiden).
              Demutvoll –

Assad (tritt zurück).             Ich habe nichts zu fordern!
(Er wendet sich gegen Fatime.)
Wohl hätt' ich gern den letzten Tropfen Bluts
Für dich verspritzt, doch ward mir's nicht so gut,
Und wer auch immer mit dem Zaubrer kämpfte,
Ich war es nicht!

Fatime.                       Warfst du den Stein nicht weg?

Assad (bitter). Das tat ich! O, das tat ich! Weißt du's schon,
Und gönnst mir doch noch einen Blick und lächelst
Mich freundlich an? Das habe ich verdient!
Von Raserei der Eifersucht erfüllt –
Ja, ja, der Eifersucht, ich! –schleuderte
Ich ihn hinunter in den Fluß und wußte
Doch längst, daß er dein holdes Selbst umschloß.
Pfui über mich! Nie werd' ich's mir verzeihn!

Fatime. Nie wird er sich's verzeihn und hat mich doch
Dadurch erlöst! Dies war das einz'ge Mittel!
Wer den Rubin besaß, der sollte ihn
Wegwerfen, wie der Knab' den Kieselstein.
Das war des Zaubrers letztes Wort zu mir,
Das ich, gefrierend, noch mit Graun vernahm.
Der Zauber war gesprengt, sobald er's tat,
Doch Edelsteine hält ein jeder fest.
Dies machte mich so hoffnungslos.

Siebente Szene.

Omar (tritt ein, der rechte Arm ist ihm verbunden). Kalif,
Du winktest, ich bin da!

Der Kalif.                             Mein Bruder Omar,
Ich bin zufrieden! Huldige denn jetzt
Dem neuen Herrn! Die Krone des Propheten
Ging über auf (er deutet auf Assad.) dies junge Haupt. Du zauderst?

Omar (sich mühsam fassend).
So lange nur, als not ist, dich zu bitten,
Dem Boten, welchen du an mich gesandt,
Die freche Zunge aus dem Hals zu reißen!
Denn dieser Lügner sagte mir –

Der Kalif.                                         Ich hätte
Dir selbst die Krone zugedacht, nicht wahr?
Das hatt' ich auch! Ja, ich ernannte schon
An deiner Statt Ägyptens neuen Pascha!
Nun kam es aber so!

Omar (geschmeidig, indem er sich vor Assad niederwirft).
                                  Und das war gut!
Wer diente dir nicht lieber, als er selbst
Die Welt beherrschte! Doch, ich bitte dich:
Ernenne mich zu deinem Mundschenk!

Assad.                                                         Dich?

Omar. Es wär' mein Stolz und meine Seligkeit!

Assad. Den Pascha und den Bruder des Kalifen?
Wie könnt' es sein!

Omar (aufstehend, für sich). So mache ich mir den
Zum Freund, der's wird! – Es gibt ja wohl noch Gift!

Hakam. Ist es denn möglich!
(Er kann nicht länger an sich halten.)

Soliman.                                 Nun?

Der Kadi (mit einer Gebärde an den Hals). Ich folge Rustan!
Der läßt mich braten! Täte ich's doch selbst,
Wär' ich an seiner Statt und er an meiner!
(Zu Selim leise.)
Den Strick!

Selim (reicht ihn hin). Den Strick?

Der Kadi (greift rasch darnach).     Nur her! Ich habe Eil'!
Noch denkt er nicht an mich!

(Schleicht sich fort.)

Der Wesir (zu Assad).                   Vergönnt jetzt, Herr!

(Er hängt Assad das Purpurgewand um und setzt ihm das Diadem auf. Assad läßt es willen- und bewußtlos geschehen.)

Assad (streicht sich mit der Hand über die Stirn).
Schon einmal träumt' ich so!

Der Wesir (kniet).                       Bin ich der Zweite
Im Niederknien, so werde ich dafür
Im Pflicht-Erfüllen stets der erste sein!
Das hoff' ich dir noch heute darzutun!

Der Kalif. Ich huldige dir auch! (Er will ihn zum Thron führen.)
                                            Dies ist dein Sitz!

Assad. Herr!

Irad (tritt mit Majestät hervor).
              Still! Ich weiß, was dein bescheidner Sinn
Einwenden möchte. Aber dies geschieht
Mit Allahs Willen und auf sein Geheiß.
Der böse Geist hat, ohne es zu ahnen,
Für seinen Plan gewirkt!

Assad.                                     Ehrwürd'ger Greis,
Ich bin ein Fischersohn!

Irad.                                       Ward der Prophet
Im Purpurkleid geboren? Zwanzig Jahre
Trieb er Kamele durch den Wüstensand!

Assad. Wie kann der Fischersohn die Millionen
Regieren, welche –

Irad.                               Wenn er nie vergißt,
Daß er von allen diesen Millionen
Nur einer ist, und daß sein Volk nicht bloß
Mit seinen beiden, nein, mit Millionen
Von Ohren und von Augen hört und sieht,
Daß es mit Millionen Herzen fühlt,
Mit Millionen Köpfen denkt! Du hast
Die Not gekannt, die bittre Not, es schritt
Dreimal sogar der Tod an dir vorüber,
Du wirst dich niemals in betörtem Sinn
Für einen Gott erklären, auch dein Sohn
Wird's noch nicht tun, und selbst dein Enkel nicht.
Und das ist schon genug!

Der Wesir.                             Erfüll', o Herr,
Jetzt deine erste Herrscherpflicht: die Pflicht,
Dich selbst zu schützen vor Verrat und Tücke.
Es gibt hier einen, der dir Böses sinnt,
(Deutet auf Omar.)
Leg' den in Fesseln!

Assad.                             Das verschiebe ich
So lange, bis er Böses an mir tat!

Der Kalif. Wer sprach das, Abubeker?

Der Wesir.                                           Wer das sprach?
Ein treuer Diener seines neuen Herrn!

Assad. Doch, wenn ich wirklich meine Brüder jetzt
In Fesseln legen kann, so werd' ich sie
Ja wohl von Fesseln auch befreien können!
Nehmt diesem denn die seinen ab!

(Er deutet auf Babeck. Es geschieht.)

Assad (juchzend).                                   Man tut's!
Ich kann das in der Tat! O Allah, Allah!
Ich bin ein Fischersohn und doch Kalif.
Jetzt öffn' ich denn die Kerker meines Reichs,
Daß Tausende um Segen für mich flehn,
Dann wird mir Kraft und Mut und Weisheit werden,
Und was noch fehlt, das (zu Irad) fügt dein Rat hinzu!

Irad. Wir scheiden gleich! Der böse Geist erwacht,
Ich fühl' es schon, und ich muß schlafen gehn!
(Zum Wesir.)
Wesir, verkünde du dem Volke jetzt
Den neuen Herrscher! Assad nennt er sich.

Assad. Noch nicht! (deutet auf Fatime.)
                        Und sie?

Irad.                                       Sie teilt den Thron mit dir!

Assad (zu Fatime).
Darf ich es hoffen?

Fatime.                         Weißt du es nicht schon?
Mein Vater!

Der Kalif.           Folg' ihm nur! Ich segne euch!

Hakam. Kalif, ich küsse dir die Füße!

(Er wirft sich vor Assad nieder.)

Assad (tritt zurück).                               Au!

Hakam (steht auf). Verzeih die Inbrunst! Einmal mußt' ich ihn
Noch beißen! Jetzt verehr' ich den in ihm,
Der mir die Taschen füllen und den Kopf
Mir nehmen kann!

Der Wesir (mit erhobener Stimme).
                              Ihr Gläub'gen, Harun stieg
Herab vom Thron und Assad steigt hinauf!

(Musik und Jubelgeschrei der Menge.)


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