Ulrich Hegner
Saly's Revolutionstage
Ulrich Hegner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ich habe schon oft an kleinen Orten und von geringen Leuten große Wahrheiten sagen hören, die man da nicht vermuthete; seine Rede war mir also weniger wundersam, als daß er hier in der Fremde 47 meinen Geschlechtsnahmen wußte, den ich zu Hause selbst des Jahrs kaum Einmahl hörte, und mein Geschäft kannte, das ich beynahe vor mir selbst zu verbergen suchte; das kann nur ein Prophet, dachte ich, und war äußerst begierig, etwas näheres von ihm zu erfahren; aber noch neugieriger waren die Anwesenden, zu wissen wer ich wäre. Aus der Achtsamkeit, die der alte Herr, wie sie ihn nannten, gegen mich zu haben schien, da er, nach ihrem Geständnisse, noch nie so viel auf Einmahl gesprochen, und aus meinem Aufzuge, der gegen diese Achtsamkeit abstach, fielen sie auf den Argwohn, der in kleinen Städten Fremde häufig trifft, ich sey etwas anders als ich scheinen wolle.

Es war eine rechte Plage; statt daß sie meine Neugier befriedigten, sollte ich nur die ihrige stillen, die mich von allen Seiten anfiel. Sie tranken auf meine Gesundheit; nannten dabey den Geschlechtsnahmen, den mir der Prophet gegeben; bedauerten, daß ich so eine kalte Zeit zum Reisen ausgewählt, und verwunderten sich, daß ich zu Fuß ginge. Und wenn sie glaubten, einer habe etwas zu dreist gefragt, so verwiesen sie es ihm mit Husten und Kopfschütteln. Kurz sie schienen sich selbst in den Wahn hineinarbeiten zu wollen, mich für einen Incognito reisenden Herrn zu halten.

Dieß nun zu verhüthen und mir selbst aus der peinlichen Verlegenheit zu helfen, sagte ich geschwind heraus, wer ich sey, nemlich ein Bauer von R., der 48 nach Basel reise, um einige Freunde zu besuchen. Freunde heißen bei uns auch Verwandte; ich wußte aber damahls noch nicht, daß ich die Wahrheit sagte.

Um aber weitere Nachforschungen abzuleiten, und endlich zu erfahren, wer der seltne Mann wäre, fing ich an, von dem, was er über die Bundesbeschwörung gesagt hatte, zu sprechen; doch ich merkte bald, daß sie mehr den Wohlklang seiner Worte bestaunt, als ihren Geist begriffen hätten, wie ich das bey ähnlichen Anlässen oder bey Gelegenheitspredigten und andern feyerlichen Reden schon oft erfahren, wo die Leute mit Entzücken sagten: welch eine schöne Rede! aber wenn man sie um den Inhalt fragte, nichts mehr davon wußten, und wo denn doch Prediger und Redner glaubten, unendlich viel Gutes gewirkt zu haben.

Wiewohl sie nicht begreifen wollten, daß ich nichts von dem alten Herrn wisse, so erfuhr ich doch nach und nach folgendes von ihm:

Er nenne sich Helmont, und sey schon mehrere Jahre hier; woher er aber gekommen, habe man nie in Erfahrung gebracht, und bekümmere sich auch jetzt nicht weiter darum. Bey seiner Ankunft sey ihm vom Magistrat nach Gewohnheit ein Heimathschein abgefordert worden, statt dessen aber habe er ein Schreiben von dem Preußischen Statthalter in Neuenburg vorgewiesen, welches eine Empfehlung und Bürgschaft für den Unbekannten enthalten, womit man sich habe begnügen müssen. Damahls habe er einen alten 49 Bedienten bey sich gehabt, der aber bald gestorben; seitdem lasse er sich von einem Nachbarsmädchen bedienen, und speise aus dem Wirthshause. Geld beziehe er von einem Handelshause in der Nachbarschaft, wenn und so viel er wolle; er brauche aber nicht viel. Seine tägliche Arbeit sey Glasschleifen; zuweilen schreibe er auch in der Kanzley; was er aber damit verdiene, lege er gewissenhaft für die Armen des Städtchens bey Seite. Bey besondern Vorfällen, manchmahl auch wenn Fremde kommen, finde er sich bey der Abendgesellschaft im Wirthshause ein, und sey sehr aufmerksam auf Neuigkeiten, lasse sich aber nie in keinen Wortwechsel darüber ein, und sey immer kurz von Worten. Sage man ihm etwas Unangenehmes oder Unbescheidenes, so gehe er stillschweigend weg, komme aber nachher wieder, oft denselben Abend, ohne den geringsten Verdruß merken zu lassen.

Alles dieses erzählten die Bürger mit auffallender Achtung für den Mann, und vergrößerten meine Begierde ihn näher zu kennen, und von ihm zu lernen. Aber wie sollte ich an ihn kommen? Zudringlichkeit ist kein Trieb der Weisheit, sie kündigt sich mit eitelm Selbstbetrug an, und schleicht gemeiniglich in stummer Blöße wieder weg.

Als sie fort waren, kam mein Reisegefährte wieder zum Vorschein, der sich zum Nachtessen hatte wecken lassen, um es nicht zu versäumen. Er suchte bey Tische dem Wirth seine menschenrechtliche 50 Staatsklugheit beyzubringen; ich hatte aber dießmahl von seinen Maximen nicht viel zu besorgen, denn der Wirth gehörte zu der in unserm Lande zahlreichen Klasse seiner Gewerbsgenossen, die mit einer weißen Mütze hinter den Ohren und einer Pfeife im Maul sich zutraulich neben Euch hinsetzen und plaudern, und, die Zeche am Ende ausgenommen, weiter nichts verlangen, als daß Ihr ihnen mehr Ehre erweiset, als sie Euch.



 << zurück weiter >>