Hermann Heiberg
Menschen untereinander
Hermann Heiberg

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Fünftes Kapitel.

An einem der folgenden Tage führte Kay seine Absicht aus und besuchte seinen Vetter Bomstorff.

Dieser bewohnte in der innern Stadt am Markte ein altes Haus aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts. In dem pyramidenartig aufsteigenden, durch das Alter vornüber gebeugten. spitzen Giebel befanden sich statt der Fenster zahlreiche Öffnungen ohne Fenster, die wie ausgehöhlte Augen erschienen.

In dem Gebäude wohnten viele Personen, kleine Handwerker, Beamte, Schüler, alte Männer und bejahrte Frauen. Früher ein Armen-Stift, war es, nachdem ein Neubau die Dürftigen aufgenommen hatte, von einem reichen Fabrikanten erworben worden, der nun statt der früheren Kuratoren die Herrschaft führte.

Eine breite Eichenholztreppe, deren Geländer schöne, kunstgerechte Auskehlungen zeigte, führte über den mit Steinfliesen bedeckten, sehr geräumigen Eingang zur Linken in die oberen Wohnungen hinauf.

Die Flurdecken trugen treffliche und noch gut erhaltene Stukkatur-Arbeiten, wenngleich schon der weiße Kalkpinsel, der im Laufe der Jahrhunderte immer von neuem darüber hingeglitten war, um die Spuren des Staubes zu beseitigen, die zarten Konturen verwischt hatte.

Ursprünglich war das Grundstück im Besitz einer adligen Familie gewesen, deren letzter Nachkomme es den Armen vererbt hatte.

Noch jetzt saß über der Hausthür ein stolz emporgerichtetes Wappen, auf dessen Feldern sich zwei Vogelköpfe und zwei geballte, mit Fehdehandschuhen bedeckte, gegen einander gekehrte Fäuste befanden.

Bomstorff bewohnte in dem Hause zwei nach vorn belegene, große, kahle Gemächer und ward des Morgens von einer ihm gegenüber wohnenden Schneiderswitwe mit Frühstück versorgt.

Die alte Frau stand ohne Verwandte in der Welt und suchte sich durch Flickarbeiten ehrlich durchzuschlagen. Auch auf Bomstorffs Schnürrock und Pantalons ruhte hin und wieder ihr spähendes Auge; aber für diese Thätigkeit mußte sie die früheste Morgenstunde wählen, weil er sein Magnatengewand nur auf sehr kurze Zeit entbehren konnte.

»Herr Baron ist noch zu Hause! Jawohl!« antwortete sie, das o breit betonend, dem Fragenden, der sie fegend und stäubend, mit der Hornbrille auf der Nase, auf dem Flur fand und ihre vielen Knixe mit freundlichem Kopfnicken erwiderte. »Ich glaube aber,« fügte sie hinzu, »er ist heute nicht ganz zupaß. So sagte der kleine Clas heute morgen, was sein Stiefelputzer ist.«

Als Kay die Thür mit der lautschallenden Klingel öffnete, traten ihm die Windhunde mit eingezogenen Schwänzen schnuppernd entgegen, und aus dem Innern ertönten einige mit starker Nasalstimme hervorgestoßene, sehr impertinent klingende Sätze.

»Wer ist da? Nein! Nein! Ich kann keine Besuche heute empfangen. Sapristi, wollt Ihr herkommen, Ihr Museumsskelette! Max und Eva hierher!«

»Also ein andermal!« gab Kay gutgelaunt zurück. »Ich wollte Ihnen einen Besuch machen, Vetter. Kay Witzdorff! Sie erkennen mich wohl nicht?«

»Ah! Der treffliche Nepomuk und andere Repräsentanten der Heiligenverehrung sollen Euren Eintritt segnen, Vetter. Das ist eine andere Sache. Nein, ich bitte, ich bitte. Ich glaubte, irgend eine Handwerkerseele wolle den Tag benutzen, um langatmige und nutzlose Gespräche zu führen über den schnöden Mammon, der noch niemals irgend welche Anhänglichkeit für mich an den Tag gelegt hat! Pardon!« schloß er, seinem Vetter den Vortritt lassend, »Pardon für das Negligee! Und nehmen Sie freundlichst Platz auf dem einzigen Sessel, der in dieser Wohnung die Ehre hat, die Bekanntschaft meiner Rückenpartie zu machen. Oder vielleicht hier!«

Bei diesen Worten packte er, den großen Körper ungeschickt vornüber beugend, im unordentlichen Durcheinander einen Wust von Papieren, Zeitungen, alten Büchern und allerlei Krimskrams von einem farbenverschossenen Sofa fort.

Bomstorff entsprach vollkommen den Doréschen Bildern des Don Quixote. Er war mit einem weit ausgeschnittenen Hemde, das seinen langen Hals frei ließ, und mit ganz eng anschließenden, hellgrauen Pantalons bekleidet. Das lange, scharf markierte Gesicht mit der hohen Stirn, den durchdringenden, mit buschigen Brauen versehenen Augen und den auf der hinteren Schädelpartie zurückgebliebenen über den Ohren nach vorne gekämmten Haaren schimmerte lederfarben, und der lange, schwarze Knebelbart verstärkte den komödiantenhaften Eindruck seiner Erscheinung.

Kay schaute sich um und musterte die Gesamt-Einrichtung des Zimmers. Viel war nicht zu entdecken. Außer dem Sopha, einem davor stehenden, ebenfalls bepackten Tisch und einem mit rosarotem Seidenzeug bezogenen und mit weißer Lackfarbe bemalten, altmodischen Sessel sah man noch zwei flache Strohkörbe für Max und Eva. Auch erhob sich zwischen den Fenstern ein ausgegangener Oleanderbaum in einem grün angestrichenen, hölzernen Kübel und daneben ein schmales Gestell, auf dem große und kleine Flaschen standen, auch Toilettegegenstände nebst anderen Kleinigkeiten Platz gefunden hatten.

Endlich war noch ein braunbemaltes, in viele Fächer eingeteiltes Vogelbauer dort, hochhängend befestigt, und in diesem hüpften und zwitscherten zahlreiche Vögel, welche die verschmähten Hüllen des Futters nebst Sand und Unrat weithin über den Fußboden verstreut hatten.

Auf der Fensterbank trockneten Zigarren und Tabak in der Sonne, und ein Tabakkasten mit geöffnetem Deckel, der in gelockerten Scharnieren hing, zeigte in seinem Innern eine Staniolbekleidung. Es war das einzige, was von dem hellen Lichte beschienen, in dem dreifenstrigen, großen Gemache einen etwas lebhafteren, das Auge anmutenden Glanz zeigte.

»Ich bitte, Gevatter,« hub Bomstorff, pathetisch sich selbst verspottend, an, »nehmt in diesem Feenpalaste fürlieb und weigert nicht ein Kraut, das selbst Könige zwischen ihre Lippen nehmen dürfen.« Hier flocht er eine seiner gewöhnlichen Übertreibungen ein, holte ein paar Fünfpfennig-Zigarren vom Fenster herbei und bot Kay davon an.

»Ich habe Schmerzen, grausame Schmerzen,« fuhr er nach einer teilnehmenden Frage Kays nach seiner Gesundheit fort. »Dennoch trinke ich, bis der Kognak aus der Wunde fließt!« Hier zeigte er auf sein krankes Bein und warf sich mit einem cynischen Gelächter zurück. »Und sicher ist das gut gethan. Wäscht man mit Branntwein von außen, wie sollte es schaden, auch von innen der Natur nachzuhelfen. Ist Euch, liebwerter Vetter, vielleicht ein kleiner Trunk gefällig?« schloß er schmunzelnd.

Und ohne Kays Antwort abzuwarten, schurrte er auf seinen rotledernen Morgenschuhen ins Nebengemach. Ihm folgten die Hunde, die sich mit trägen Bewegungen erhoben hatten, weil sie für ihre verhungerten Leiber einige Futterreste witterten.

Nun warf Kay auch einen Blick in das Schlafzimmer. Das erste, worauf sein Auge fiel, waren die großen, von Clas geputzten Reiterstiefel und der über die Bettlehne ausgebreitete Schnürrock. An der Wand über dem Bette waren Säbel, Czakos, Flinten, Dolche, Degen und einige bunte Offizier-Uniformen der österreichischen Armee malerisch gruppiert, und eine seitliche Umschau zeigte einen alten, von Schweinsborsten fast entblößten, mit bunten Wirtshausadressen und Eisenbahnvermerken bedeckten Koffer, sowie eine gut erhaltene Rokoko-Kommode mit weit aufgerissenen Schubladen. Zudem lagen auf dem Nachttisch allerlei nette Kleinigkeiten, Erbstücke und Erinnerungen, die nicht dem Gebrauch dienten, aber zufällig hierher verstreut waren.

Nun brachte Bomstorff, wieder von den schnuppernden Hunden verfolgt, eine Punschkaraffe mit silbernem Deckel herbei und außer einem feingeschliffenen Glase ein Wasserglas.

»Mit Verlaub, Vetter! Ich trinke aus einem Gefäß, aus dem man die Tränen des Himmels und die Quellen der Erde zu kosten pflegt. Ich bitte, bedient Euch!«

Und er schenkte den hellen Branntwein in die Gläser und that seinem zögernden Verwandten Bescheid. »Nieren- und nervenstärkend zu jeder Tageszeit!« rief er, vergnügt den Bart streichend und mit einem »Kuscht euch, ihr hochbeinigen Schmarotzer, allons – in die Körbe!« die Hunde fortweisend.

Sie entfernten sich mit ihren spitzen Schnauzen und ausdruckslosen Augen und blieben mit eingekniffenen Schwänzen, zitternd und lungernd, vor ihrem Lager stehen. »Was, um alle Welt, Bomstorff, zieht Euch eigentlich zu den Windhunden hin?« fragte Kay. »Keine Geschöpfe aus der Welt, außer den Ratten, sind mir so zuwider.«

Bomstorff lachte.

»Das will ich Euch sagen, Gevatter. Ich gehe mit Heiratsgedanken um, und zufällig habe ich erfahren, daß meine Duenna einst um den Tod einer solchen Bestie zwei Monate die Augen feuchtete. Nun promeniere ich täglich an ihrer Wohnung vorüber und bedeute ihr in zarter Weise gleiche Tier-Sympathien. Endlich muß sie das rühren.«

Er lachte wieder auf seine faunische Art. Man verstand nicht, ob er sich über sich selbst lustig machte, oder über alle anderen. Er that fortwährend Thörichtes und sprach doch darüber, wie jemand, der die Welt und ihr Treiben voll Weisheit belächelt. Diesem Gedanken gab auch Kay Ausdruck:

»Das alles glauben Sie doch selbst nicht, Bomstorff!« warf er hin.

»Nein, Gevatter, eigentlich habt Ihr recht. Aber ich fand bisher in diesem Komödienkasten, den man die Welt nennt, daß das Barocke und Ungewöhnliche, wenn schon der Spott sich regt, mehr Chancen hat als das Vulgäre. Für letzteres fehlt's eigentlich überhaupt an Chancen, wenn man kein Geld besitzt. Und kurz und ein für allemal,« – hier ward Bomstorffs Rede für Augenblicke durch einen heftigen Schmerz am Bein unterbrochen, der sich durch Zucken in seinem Gesicht und im Zusammenbeißen der Zähne bemerkbar machte –»ich treibe die Thorheit eigentlich nur, weil ich mich auf diese Weise besser amüsiere. Ich vergnüge mich im stillen über das gesamte Narrenspiel. Sagt selbst, Vetter, wie soll man's in dem gottverd– Nest der Langweile, – in der Narrenwelt von Philistern und Pharisäern aushalten, wenn man nicht der Gegenstand ihrer Neugierde ist? Sie halten mich für einen Thoren; das ist ein Glück. Hielten sie mich für einen Weisen, hätten sie mich, glaube ich, schon lange gesteinigt. Glaubt, Gevatter, hier, hier sitzt etwas, das bisweilen mit salzigen Fluten in die Augen dringt, und wer meine stillen Stunden belauschen könnte, würde wissen, wie oft ich nach dem Pistolenlauf drüben über meinem Bette schiele. Doch genug! Etwas Bisam,« hier ließ Bomstorff eine cynische Lache erschallen, »guter Apotheker, meine Phantasie zu würzen.«

Und er schenkte sich den Rest ein, nachdem Kay dankend abgelehnt hatte.

»Möchtet Ihr Euch nicht beschäftigen,« begann der letztere, seinen Verwandten mit steigendem Interesse betrachtend. »Was meint Ihr? Soll ich versuchen, Euch irgend eine Thätigkeit zu verschaffen?«

Bomstorff strich langsam den Bart und sah Kay mit eigentümlich fragenden Augen an.

»Sie meinen, Gevatter?«

»Ich meine,« betonte Kay, – »Ihr könntet Euch nützlich machen und etwas verdienen.«

»Nützlich machen? Verdienen?« wiederholte Bomstorff. »Gewiß, ein vortrefflicher Gedanke; aber hört, Gevatter! Neulich kam ein Jüngling zu mir. Wie ein Ganymed. der an der galoppierenden Fettsucht leidet, sah er aus und bot mir die Vertretung einer Lebensversicherungs-Gesellschaft an.«

»Charmant! Und was ist zu thun, um zu verdienen?«

»Wenn Sie, Herr Baron, so und so viele Abschlüsse machen, haben Sie so und so viele Prozente.«

»Und welches Fixum?«

»Der Fettsüchtige schüttelte das Haupt, und ich machte eine meiner schönsten Abschiedsverbeugungen.

Dann kam einmal der Abgesandte einer Weinhandlung, gegründet 1791 &c. &c.

»Bitte nehmen Sie Platz.« Er hatte die Ehre, auf dem einzigen Erbstück meiner Ahnen zu sitzen. Auch er war gut gemästet. Auf einem Bäuchlein mit weißer Weste tanzte eine fingerdicke Uhrkette. Er stöhnte und schwitzte, und der Zeigefinger der linken Hand suchte unter dem Halskragen Luft und Erlösung.«

»Und wieviel jährliches festes Gehalt?«

»Darauf könnten wir uns allerdings nicht einlassen, Herr Baron.«

»Sehr schön! Aber ich mich auch nicht auf Ihre Offerte!«

»Ich sollte aber doch glauben, Herr Baron.«

»Nein, mein Herr, glauben Sie gütigst nichts, überlassen Sie das mir! Und jetzt muß ich meine Windhunde füttern.«

»Nein, lieber Vetter, das ist alles nichts. Auch ziehen mich die Geschäfte nicht an. Den Medoc, den ich für den Mann verkaufen soll, trinke ich lieber selbst, und was Versicherungen anbelangt, so würde beispielsweise eine solche meines eigenen Lebens höchstens dem Engel Gabriel zu gute kommen. Sie und Klöden sind meine einzigen Verwandten und haben bekanntlich auch für des Teufels Handwerkszeug, das Gold und Silber, nur Passion, wenn Sie dessen benötigt sind. Mein Bein ist zerschossen. Ich bin keinen Tag ohne heftige Schmerzen, auch nicht jung und biegsam genug, um das Kommando über Reiterschwadronen gegen devotes Antichambrieren zu vertauschen. Zudem! Keine Sorte wird auf der Welt so gehaßt, wie Wein- und Lebensversicherungs-Agenten. Seltsam genug, da Leben und Trinken uns schon in der Wiege mundeten und neben Schlafen immer noch die beste Beschäftigung bleiben! – Auch zum Schreiben« – fügte Bomstorff hinzu – »bin ich nicht zu gebrauchen. Meine Finger sind steif wie Elfenbeinstöcke, und nur, wenn mich einmal die mephistophelische Lache über das Dasein befällt, und Hunger und Durst greuliche Umschau bei mir halten wollen, schreibe ich quer über die bekannten Dreimonatsfetzen meinen Namen. Wollt', es wär' niemals geschehen, – ich that's zu häufig für andere.«

Dieser Besuch gab Veranlassung, daß sich Kay und sein Verwandter enger befreundeten. Während der kommenden Zeit saß ersterer mit Bomstorff abends häufig beim Wein und horchte auf seine cynischen Reden. Aber er lud ihn, zu Clementina-Julias Ärger, auch nach Dronninghof ein und fand großen Gefallen an seinem Vortrag. Bomstorff hatte nicht nur viel erlebt, sondern auch sehr viel gelesen, und alles, was sein Auge gesehen, und was sich in seinem Gehirn festgesetzt hatte, ward bei der Wiedergabe durch die besondere Art seiner Auffassung äußerst anziehend, entbehrte niemals jenes wirklichen Ernstes, der einen gereiften Mann kennzeichnet, und wirkte völlig anders, als das farblose Gespräch der Dutzendmenschen.

*           *
*

Kurz vor Mercedes' Abreise war noch einmal eine kleine Gesellschaft nach Dronninghof geladen worden.

Nachdem sich gegen Mitternacht die Gäste entfernt hatten, blieben Kay, Clementina-Julia und Mercedes plaudernd beisammen, und ersterer, angeregt durch den Wein und die Eindrücke des Abends, neckte Mercedes und brachte zuletzt das Gespräch auf ihr Bleiben in Dronninghof.

»Es ist also abgemacht,« hub er ein wenig unüberlegt an, »daß Du Dich nicht von Carmelita trennst! Ich werde gleich morgen an Deine Eltern schreiben, oder vielleicht auch mit Dir nach Hamburg hinüberreisen, nur diesen Plan ins Werk zu setzen.«

Clementina-Julia horchte auf. Aller Blicke streiften sich rasch.

»Nein, lieber Kay! Es geht nicht. Ich sagte es Dir schon einmal,« gab Cedes zurück.

»Es geht nicht nur, es muß sein! Ich bin überzeugt, daß Clementina-Julia sich meiner Ansicht anschließt, und wenn wir dich beide bitten –«

»Niemals werde ich darum bitten,« stieß Clementina-Julia, eine günstigere Verständigung über diese wichtige Angelegenheit in ihrer Erregung nicht abwartend, heraus.

»So geschieht es gegen Deinen Willen!«

»Kay!« rief die Frau und schoß empor. Von draußen sah die Nacht in den hellerleuchteten Raum. Von den Rasenplätzen, aus den Parkbäumen drang eine kühle, befreiende Luft ins heiße Gemach. Der Himmel schaute mit seinen zahllosen, unbewegten Sternen friedlich herab, und die ganze Natur schien durch sanfte Ruhe ihre Geschöpfe gleichsam zu mahnen, alles Unfriedliche abzustreifen.

Aber in der Brust dieser beiden Menschen gärte es. Was sich doch nun einmal nicht zusammengefügt hatte aus einer rechten, inneren Übereinstimmung, was mehr Sinnenreiz und Berechnung gewesen war als Liebe, lockerte sich bereits und drohte zusammenzubrechen.

»Nun? Du wünschest?« erwiderte Kay, stolz das Haupt emporrichtend, während ein unbeugsamer Ausdruck in seine Züge trat.

»Nun?« wiederholte er, als Clementina-Julia mit zornsprühenden Augen seinem Blick begegnete, aber nicht antwortete. »Du hast während der verflossenen Jahre und in den letzten acht Tagen bewiesen, daß Du Sanftmut und Duldsamkeit gegen das kleine Wesen nicht zu üben vermagst, welches ich nach allen natürlichen Gesetzen liebe wie mich selbst, und für das ich einzutreten habe aus naheliegendster Pflicht. Ich bereue nicht, daß ich Dir bisher stets nachgab. Was Du aus Eigenliebe thatest, ist zum Besten geworden. Aber wessen Sorgfalt verdanke ich, daß Carmelita körperlich und geistig so vor mich hingetreten ist? Ich verdanke dies Deiner Schwester. Ist es denn nicht begreiflich, daß ich das Kind in ihren Händen lassen möchte? Ist es nicht die Liebe für sie und zugleich die größte Rücksicht auf Dich? Du kannst nicht? Wohlan! Ich finde mich mit der unabänderlichen Thatsache ab. Aber ich kann verlangen, daß Du für die Enttäuschung, welche Du mir bereitet hast, Dich jetzt wenigstens einer kleinen Buße unterziehst. Haben Dein Eigenwille, Deine Herrschsucht, Deine Launen größeren Anspruch auf Berücksichtigung als des Kindes Wohl? Mercedes raubst Du schon die Unbefangenheit, sich der Aufgabe zu unterziehen, indem Du in solchem Ton und in solcher Weise Verständiges zurückweisest. Es giebt nur eines, um alles zum Guten zu wenden. Du gestehst Dein Unrecht ein, bittest Deiner Schwester ab und gelobst, Dich zu bestreben, einen vernünftigen Entschluß ehrlich fördern zu wollen.«

»Wie wenig kennst Du mich!« stieß Clementina-Julia verächtlich heraus. »Eher werde ich zum Stein, als daß ich eine Entschuldigung ausspreche, wo mich verständige Gründe leiteten. Und eher verlasse ich beizeiten Dronninghof, als daß ich Zeuge sein will, wie Mercedes Schlieben sich das Herz meines Mannes stiehlt und mir – als einer Betrogenen – nur die Wahl –«

»Julia!« schrie Mercedes und faßte sich an die hämmernde Brust. Der Schrei klang durchs Haus, durch die geöffnete Thür in den Park und pflanzte sich fort in die Ferne.

Aber die Ruhe, die ihm folgte, wirkte noch eindrucksvoller als der Ton, der sich der beleidigten Brust des Mädchens entrungen hatte. Selbst Kay fand für Sekunden keine Worte.

»Ich habe Augen zum Sehen und Ohren zum Hören. Mein Blick dringt in die Zukunft. Das Kind ist nur ein Vorwand,« nahm Clementina-Julia von neuem mit eiserner Ruhe das Wort. Und trotzig, boshaft schloß sie: »Besser wird es unter meiner rauhen, aber gerechten Hand aufgehoben sein, als unter den Schmeichelreden einer Mercedes, die sich nicht scheut, den Altar des Hauses anzutasten.«

»Julia! Bist Du von Sinnen? Du wagst es! Willst Du zurücknehmen, was Du Ehrloses mir vorgeworfen hast? Oder, bei Gott, ich verlasse in dieser Sekunde das Haus!« hauchte Mercedes, außer sich vor Erregung.

»Nein! Nein! Ich will nicht!« gab die Frau mit fliegendem Atem zurück und riß an den Armbändern, die ihre Handgelenke umspannten. »Ich halte Dich nicht – keine Minute. Geh, wohin Du willst! Ich werde den Augenblick segnen, in dem ich sicher weiß, daß Du niemals wieder in Dronninghof erscheinen wirst!«

Mercedes' Gestalt reckte sich empor. Ihr Gesicht war wie das Leinen, das sie gegen den Mund preßte, und aus dem sich einige Blutstropfen lösten, die ihrer Brust entquollen. Sie flog gegen die Thür und wollte die Stufen hinabeilen.

Aber Kay fing sie in seinen Armen auf, hielt sie umfaßt, und während sie an seiner Brust ruhen blieb, sagte er, einen vernichtenden Blick auf seine Frau werfend: »Ich könnte Dich selbst nach solchen Worten gehen heißen, Clementina-Julia! Aber ich weiß, der Zorn, die Eifersucht sprechen aus Dir! Du bist Dir selbst nicht bewußt, was Du thust! Ich will den kommenden Tag abwarten! Du wirst dann Deiner Schwester abbitten, was Du an ihr gesündigt hast. Wir wollen uns jetzt zur Ruhe begeben. Komm, Cedes, ich geleite Dich in Deine Gemächer.«

Und ohne seine Frau ferner eines Blickes zu würdigen, verließ er mit Mercedes das Zimmer.


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