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Die Jüngste, die kleine launenhafte Blonde, war Braut. Im wunderschönen Monat Mai sollte Hochzeit sein, und eben befand sich die Mutter mit der achtzehnjährigen Braut und der älteren schlanken, recht still gewordenen Tochter Anne Dore in Berlin, um die Ausstattung zu besorgen. In dem kleinen Universitätsstädtchen war solches mit Schwierigkeiten aller Art verknüpft gewesen, fast unmöglich! So entschloß sich denn der Herr Professor Bodenstedt mit stiller Ergebung dazu, seine noch immer schöne stattliche Frau, die er für gewöhnlich nicht einen halben Tag zu entbehren im stande war, ohne sich todunglücklich zu fühlen, und seine beiden Lieblinge für acht bis zehn Tage zu beurlauben und ihnen obenein noch einen seinen Verhältnissen gemäß recht gut gespickten Geldbeutel mit auf den Weg zu geben.
Anne Dore hatte zuerst durchaus bei dem Vater bleiben wollen, aber beide Eltern bestanden auf ihrer Mitreise. Sie bestanden immer gemeinsam auf etwas, wie denn die Kinder sich nicht erinnern konnten, daß Vater und Mutter je vor ihren Augen und Ohren verschiedener Meinung gewesen waren. Und somit reiste Anne Dore in stummer, gleichgültiger Folgsamkeit mit. Wenn die Frau Professor Bodenstedt gemeint hatte, ihre Anne Dore werde in Berlin aufleben oder teilnehmender werden, ihren Kummer ein wenig vergessen können, so wurde sie inne, daß sie sich geirrt hatte. Ihr Mutterherz wurde dadurch nicht froher. Anne Dore 250 hatte bald verstanden, sich von den Damen, die aus einem Laden in den anderen fuhren, loszumachen, und stieg nun in allen Museen umher – »Piksolo«, wie Lori, die junge Braut, sich ausdrückte – ohne Furcht vor Taschendieben und Bauernfängern, vor welch unbekannten Gefahren die Kleinstädter gewöhnlich zu zittern pflegen, und traf stets erst um fünf Uhr Nachmittags, um welche Zeit man das Mittagessen verabredet hatte, mit den Ihrigen im Hotel zusammen. Gewöhnlich waren dann alle drei Damen todmüde, und man verschob den Theaterbesuch auf die letzten Tage des Aufenthalts, wo man hoffentlich mit den Kommissionen fertig sein würde.
Frau Professor aber konnte selbst nach solchen Strapazen den so notwendigen Schlaf nicht finden.
Erstens rasselten die Wagen bis spät in die Nacht hinein unter den Fenstern vorüber. Nur ganz kurze Zeit in den ersten Morgenstunden erfreute sich die Königgrätzerstraße wirklicher Ruhe, während um drei Uhr schon wieder das geräuschvolle Berliner Leben begann, zu dem in dieser Straße massenhafte Milchwagen und zahllose Bahnhofsdroschken nicht das wenigste beitrugen. Zweitens und hauptsächlich hielt die Sorge um ihre beiden Mädel, die im Nebenzimmer schliefen oder doch zu schlafen schienen, den ersehnten Schlummer vom Bett der Frau Professor fern.
Die Jüngste, die Braut, machte ihr Kummer wegen ihrer Prinzessinnenmanieren. Sie hatte mit geradezu unglaublicher Großartigkeit ihre Einrichtung ausgewählt, – mit viel Geschmack, o gewiß, und mit fabelhafter Sicherheit im Herausfinden des Reizendsten, Schicksten und Teuersten. Aber sie hatte auch immer erst, wenn sie endgültig gewählt hatte, nachlässig und beiläufig gefragt: »Was kostet das?« und schrak vor den enormsten Forderungen nicht zurück.
»Aber man richtet sich ja nur einmal ein, Mutterchen!« war stets ihre Begründung gewesen, wenn die Professorin dazwischen kam mit einem entsetzten: »Nein, Lori, das geht nicht, das geht ganz gewiß nicht!« – Gewöhnlich hatte es ihr nichts genützt. Das reizende Kind siegte fast immer, unterstützt von dem gesamten Ladenpersonal, das den betreffenden Gegenstand als ungemein 251 praktisch, wie geschaffen, um eine Ewigkeit zu überdauern, hinstellte und obendrein noch schwur, daß jetzt eine derartige Sache in jeder halbwegs anständigen Einrichtung zu finden sein müsse. Dabei heiratete die kleine Prinzessin einen netten, aber blutarmen Infanterieleutnant, der von einem spartanisch einfachen Elternpaar aufgezogen war in einenr alten einsamen Forsthause, das bis auf den heutigen Tag getünchte Wände und weiß gescheuerte Dielen besaß, der also wahrlich nicht verwöhnt war durch echte Teppiche und seidene Gardinen. Die Mama Oberförsterin hatte in ihrem Wohnzimmer kaum eine Andeutung von letzteren. Und das war in der Ordnung so, denn der Oberförster saß in dem dicksten Tabaksqualm tagaus tagein gleich Jupiter in den Wolken.
Wie nun Lori am heutigen Tage noch ihre Service gekauft hatte und eierschalendünnes Porzellan mit breitem Goldrand geziert wählte, in dessen Rokokorand das Wappen ihres künftigen Mannes ebenfalls in Gold angebracht werden sollte, und wie sie dann auf die ironische Bemerkung der Mutter, daß diese Teller für die Fäuste des jeweiligen Burschen, der sich ja doch wahrscheinlich in der Küche nützlich zu machen habe, ganz besonders geeignet sein würden, und sich Lori infolge dieser Warnung auch noch ein zweites Geschirr erbettelte »für alle Tage zu sechs Personen«, wie sie dann auch noch Kaffee-, Tee-, Bouillon- und Mokkatassen aussuchte, da wurde der armen Frau ganz ernstlich bange, und sie beschloß, Berlin zu fliehen, um doch etwas von dem Gelde, das ihr guter Mann so verschwenderisch ausgesetzt hatte für seinen Liebling, zu retten.
Aber da fiel ihr erst noch die größte Sorge aufs Herz: ihre Anne Dore, ihr liebes, ernstes, schönes Herzenskind! Sie hatte sich in diesen Tagen wenig um das Mädchen kümmern können und hätte doch gewünscht, sie ein wenig froher wieder mit heim zu nehmen.
Sie wußte ja aus eigener Erfahrung: so rasch kommt man nicht weg über eine erste Enttäuschung, über eine vernichtete erste Liebe. Und daß Anne Dorens Neigung nicht gebilligt werden konnte, daß Vater und Mutter beide mit ausgebreiteten Armen 252 sich ihr in den Weg stellen mußten, um zu sagen: Halt ein, du darfst nicht weiter schreiten, der Weg führt in dein Verderben, wir dürfen dich nicht ziehen lassen mit jenem, er ist deiner nicht wert – das hatte das junge Herz fast gebrochen. Seit drei Jahren trauerte sie um das verlorene Glück, seit zwei Jahren wies sie die Hand eines Ehrenmannes beharrlich zurück, der wohl geeignet war, eine Frau glücklich zu machen. Sie war in einer zu engen Gemeinschaft mit den Eltern aufgewachsen, um nicht blindlings deren Erfahrung zu trauen, deren Rat zu folgen, als sie damals ein Aufgeben ihrer Verlobung verlangten. Aber dennoch, es schien, als sollte sie in aller Ewigkeit umhergehen mit blassem ernstem Gesicht, in stets müder Gleichgültigkeit.
Und sie, die Professorin, hatte doch auch einmal ihr Herz in beide Hände fassen müssen, und ein zwingendes Geschick hatte ihr keinerlei Zeit gelassen, ihrem entschwundenen Ideal nachzutrauern.
Wenn das Anne Dore wüßte! Wenn sie ahnte, daß ihre Mutter auch nicht ihre erste Liebe hatte heiraten können! Und wie sie so lag und sann, sagte sie sich: Und warum sollte sie es nicht erfahren, die Anne Dore? Die Vergangenheit stieg in ihr auf, die erste schwere Zeit ihrer Ehe, die Kämpfe, die sie vor ihrer Hochzeit um ihre verlorene Liebe bestanden hatte, das liebe alte Dorf stand vor ihr, das väterliche Heim, das eigene kleine Doktorhaus. Könnte es nicht gut sein für beide Töchter, wenn sie den Anfang des elterlichen Glückes erführen? Da saß die Professorin auf einmal aufrecht in ihrem Bett und wußte es genau: hin will ich mit ihnen. Alles sollen sie sehen und wissen. Noch sind sie mein, – mit ihnen will ich die Wege meiner Jugend wieder gehen, mir zur Erinnerung, ihnen zur Lehre!
Es ist keine weite Entfernung von Berlin bis zu dem Fleckchen im Harz, wo ihre Wiege gestanden hat. Morgen früh gleich soll es fortgehen!
Sie stand zeitig auf, weckte die Mädchen und machte sie mit ihrem Plan bekannt. Anne Dore nickte ihr dankbar gleichgültig zu, Lori zog ein Gesicht. »Aber, Mama, den Flügel wollten wir doch noch kaufen!«
253 »Wir kommen ja, bevor wir in unsere Heimat reisen, wieder nach Berlin zurück,« antwortete die Professorin ein wenig arglistig. »Wenn du dann noch meinst, ein neues Instrument nötig zu haben und dein liebes altes Piano für zu schlecht hältst, dann kannst du das ja noch immer tun.«
»So, – na dann immerzu!« rief die Prinzessin, »ich weiß ja, Mutter, daß es dein Sehnsuchtsziel seit langen Jahren ist, uns dein Waldburg zu zeigen. Also vorwärts mit frischem Mut!«
Ein paar Stunden später fuhren die drei Damen vom Potsdamer Bahnhof ab nach Waldburg. Es war ein Tag Ende April, 254 warm und dunstig, wo die Blüten der Obstbäume, die jungen Blätter der Kastanien sich öffneten in ganzen Mengen. Lori war in strahlender Laune, Anne Dore saß neben der Mutter, deren Hand haltend. Die marineblauen Tuchkostüme der Mädchen standen gut zu ihrem lichten Teint. Lori plapperte von der bevorstehenden Hochzeitsfeierlichkeit und versprach der Mutter und Anne Dore unzählige Ansichtspostkarten – von jedem Ort, den das junge Paar auf seiner Italienreise berühren werde, mindestens zwei Karten. Die Mutter blickte still in die immer bekannter werdende Gegend hinaus und gab sich der leisen Wehmut hin, die ihr die tausend lieben Erinnerungen an Jugendleid und -freude verursachten.
Gegen Mittag war man an Ort und Stelle. Zunächst empfing sie ein ganz moderner Bahnhof, und gegen die Berge hin breitete sich ein Gewirr von Villen und Hotels und prächtigen Parkanlagen aus. Die Töchter machten angenehm enttäuschte Gesichter, aber die Mutter erklärte: »Das ist nicht mein Waldburg, dieses neue kenne ich nicht. Aber paßt nur auf, lange soll's nicht dauern, dann sind wir mitten drin in meiner Jugend!«
Sie nahm einen Mietwagen, der am Bahnhof stand, und stieg mit den Töchtern ein. »Fahren Sie uns zur ›Grünen Tanne‹!« befahl sie dem Kutscher.
Der lächelte und blieb mit über dem Scheitel gehaltenem Hute vor dem Schlage stehen. »Wie haben die gnädige Frau gesagt?«
»Sie sollen uns nach dem Gasthof ›Zur grünen Tanne‹ fahren,« wiederholte sie.
»Aber entschuldigen Sie, gnä' Frau, hier oben 'rum sind doch die feinen Hotels für Herrschaften, und die ›Grüne Tanne‹, – da kehren allerhöchstens Studenten ein, die mit dem Ränzel auf dem Rücken in die Berge gehen oder –«
»Alter Freund,« unterbrach ihn gemütlich die hübsche Dame, »es hilft Ihnen alles nichts, ich will nun 'mal partout in die ›Grüne Tanne‹. Sehen Sie, da hat mein lieber Mann auch gewohnt, als er mit dem Ränzel auf dem Rücken vor langen 255 Jahren in den Harz zog. Ist da übrigens noch ein Weigel der Wirt?«
»Jawohl, Madame, und der alte Weigel lebt auch noch.«
»Na, der Alte wird wohl der Junge von damals sein, den ich kannte als Kind.«
»Das glaube ich nicht, der Alte ist nun fünfundneunzig, den hat der liebe Gott ja wohl vergessen, gnä' Frau,« antwortete der Kutscher und lenkte seine Gäule auf die mit Obstbäumen bestandene Landstraße, die hart neben dem Flüßchen dahinführte, das um große Steinblöcke schäumte. Ein stumpfer Kirchturm, um den sich einzelne rotbedachte Häuser scharten, vom Grün der Obstbäume eingefaßt, so lag das Dorf vor den Augen der Reisenden, weitab von dem Villenort gleichen Namens.
Am oberen Ende streckte sich ein großes schloßartiges, von weiten Gärten umgebenes Gebäude, das die Mutter als alten Edelsitz der Familie von Zweistetten bezeichnete. Endlich trennte nur noch das Wasser Landstraße und Dorf, und der Kutscher lenkte einer alten Holzbrücke zu, wo nach der Dorfseite hin der Brückenzolleinnehmer in einem winzigen Häuschen wohnte. Als der Wagen dort hielt, kam ein junges Mädchen von fünfzehn Jahren heraus, ein paar 256 mächtige braune Zöpfe um den Kopf gewunden, und reichte den gedruckten Quittungszettel über zwanzig Pfennig Brückenzoll in den Wagen hinein.
»Früher hieß der Einnehmer Gelbhaar,« sagte die Professorin zu dem hübschen Kinde, indem sie zahlte. »Wer hat die Stelle jetzt inne?«
»Mein Großvater, der heißt Gelbhaar, aber weil er Gicht hat, versehen meine Mutter und ich das Amt.«
»So? Da grüße deinen Großvater schön von Lene Wermann, sag nur von Rentmeisters Lenchen, dann weiß er gleich Bescheid. Wir haben uns gut gekannt.«
Das Kind sah lächelnd und verwundert die stattliche fremde Dame an.
»Und dein Vater, wie heißt der?«
»Der hieß Wendholz.«
»Fritze Wendholz? War der nicht Förster?«
»Ja, beim Herrn Baron.«
Die Professorin nickte, und ein freundliches Lächeln spielte einen Augenblick um ihren Mund. Indem der Wagen sich in Bewegung setzte, sagte sie noch einmal. »Vergiß nicht den Gruß an den Großvater!«
257 Bald darauf hielten sie vor dem Gasthof »Zur grünen Tanne«, und die Augen der Mutter strahlten ganz eigen aus dem Gesicht, als sie die oberen Fenster des Hauses streiften.
Der Wirt, der voller Verwunderung über die vornehmen Gäste herbeistürzte, versicherte, daß zwei schöne Zimmer frei wären, und die drei stiegen nun, nachdem sie einen mit roten Backsteinfliesen ausgelegten Flur durchschritten hatten, die sauber gescheuerte Treppe empor, die dick mit schneeweißem Sand bestreut war, und standen bald darauf in einem niedrigen Eckzimmer mit einfacher Ausstattung. Der Wirt schloß die Tür nach dem Nebenraum auf, fragte, ob die Damen essen wollten, es sei Schweinebraten da mit Erbsenbrei, aber auch ein Beefsteak oder ein Schnitzel könne bereitet werden. Frau Professor entschied sich für das erstere, bat zunächst um Waschwasser, und als sie den Reisestaub abgeschüttelt und das kräftige Gericht in der sauberen Stube der Wirtin gespeist hatten, fand die Professorin keine Ruhe mehr.
»Nun kommt,« sagte sie, »nun geht mit mir auf den Wegen meiner Jugend.« Sie hatte sich zuvor erkundigt, ob der Baron Zweistetten anwesend sei, und erfuhr, daß er seit Jahren schon im Auslande weile. Es ziehe ihn ja nichts zurück zu Haus und Herd, da er ein lediger Herr sei, meinte der Wirt, der allerdings der Enkel des »uralten« Weigel war. Ein Jammer und ein Elend sei es, fügte er hinzu, daß der Herr nun wahrscheinlich so hinsterben werde ohne Erben und der herrliche Besitz an eine ganz entfernte Seitenlinie käme. Wenn übrigens die gnädige Frau das Schloß ansehen wolle, der alte Diener habe die Schlüssel und zeige gern Haus und Garten.
»Wir wollen es freilich ansehen,« antwortete die Professorin. »Und ich weiß auch, wo der alte Diener haust, wenn's noch so ist wie früher. Ich kenne dort jeden Schritt und Tritt.«
Der junge Wirt blickte der vornehmen Erscheinung verwundert nach. »Vielleicht Verwandtschaft vom Herrn Baron,« meinte er zu seiner hübschen Frau.
Die Damen gingen indessen im Schlosse umher, durch verlassene Zimmer und Säle, in denen Möbel längst verflossener Zeit standen und die Luft roch wie das Potpourri der seligen 258 Großmutter, nach Staub und verwelkten Rosen. Alte Porträts schauten von den Wänden, und die schwere Seide der Fenstervorhänge war brüchig und verschossen.
Die jungen Mädchen hielten sich an der Hand und folgten der vorausschreitenden Mutter, die hie und da einmal stehen blieb, irgend einem Mobelstück oder einem Bild schwermütig zunickte wie einem alten Bekannten. Einige wenige Zimmer zeigten die Spuren des Bewohntseins. Bequeme Fauteuils standen darin, moderne Teppiche lagen auf dem Boden, und über dem Sofa hingen die Bilder von Kaiser Wilhem I. und Bismarck.
»Des Herrn Barons Zimmer!« sagte der Diener erklärend. Und hier weilte die Professorin ein wenig länger. Sie stand abgewendet von den Kindern am Schreibtisch, ihre Hand lag leicht und wie liebkosend auf der Platte des altertümlichen Möbels und in ihren Augen schimmerte es feucht. Das machte, sie hatte auf dem Tische zwischen einigen anderen Bildern ein winziges Daguerreotyp erblickt. Sie hatte die gekannt, die aus dem Rahmen 259 blickte, wie sich selber so gut. Ein Mädchenkopf mit hellen Haaren und schelmischen großen Augen – wie oft hatte er ihr lächelnd aus dem eigenen Spiegel entgegengeschaut – damals – ach damals! Und das Bildchen stand da noch immer! – Und »er« war unvermählt geblieben! – Wie anders hätte sich doch ihr Leben gestalten können, wenn – ja wenn –. Ob sie heute noch tauschen möchte? Nein, nein, tausendmal nein! Als sie sich ihren Töchtern wieder zuwandte, zuckte eine tiefe Bewegung über ihr Gesicht. Aber sie bezwang sich und schritt wieder voran aus den Zimmern hinaus in das Treppenhaus, hinunter in die Halle und blieb dort vor einer Thür stehen, die in einen Seitenflügel führte. »Hier schließen Sie einmal auf!« sagte sie bittend.
»Da ist nichts zu sehen, Madame, da sind leere Räume, die hat früher 'mal der Rentmeister bewohnt,« berichtete der Diener.
»Aber für mich ist darin noch allerlei zu sehen, lieber Mann,« antwortete sie. »Da drin bin ich geboren und groß gewachsen, und da habe ich mich verlobt, da ist meine Hochzeit gefeiert worden, meine Eltern haben dort gewohnt lange Jahre.«
Der Mann nahm verlegen und eine Entschuldigung murmelnd einen Schlüssel aus einer kleinen Mauernische neben der Tür und öffnete mit einem verwunderten Blick auf die Frau. – Ein paar dämmerige Räume lagen vor ihnen, deren verbindende Türen geöffnet waren, sie waren vollkommen leer. Aber die Professorin eilte im ersten Zimmer gleich zu dem Fenster hinüber und stieß die Läden zurück. Die Sonne huschte durch das Laub der Lindenbäume in die weißgetünchten Räume, spielte in goldigen Flecken auf der Diele und blinkte so gut sie konnte aus dem braunen Kachelofen zurück. Die Mädchen blickten verwundert über die Schmucklosigkeit der kahlen Wände die Mutter an. Aber die stand lächelnd mitten im Zimmer, und dennoch liefen ihr die Tränen über die Wangen.
»O lieber Gott,« sagte sie leise, »wie sonderbar ist es, daß ich noch einmal hier stehe! Seht, Kinder, da am Ofen hatte Vaters Lehnstuhl seinen Platz und die Hunde lagen daneben. Am Fenster dort hinter der Zitzgardine war Mutters Nähtisch, ein Asklepienstock blühte da mit dichten Blättern, aber trotzdem 260 sah die Mutter alles, was wir, die Brüder und ich, im Garten taten. Da drüben an der Wand stand das Sofa mit schwarzem Roßhaar bezogen, man glitt immer von demselben hinunter, wenn man sich noch so fest in sein Polster setzen wollte, der alte Sattler Hühnerbein hat es verbrochen, ein Verbrechen an der Bequemlichkeit war es entschieden. In die Ecke dort müßt ihr euch den Glasschrank denken. Da hatte Mutterchen ihre Teebüchse drin, in der stak stets eine Stange Vanille, damit das Getränk recht lieblich schmecken sollte, auch Vaters Frühstücksschnäpschen kam aus dem Schrank. Vor dem Fenstertritt von Mutters Fenster stand mein Kindertischchen mit dem winzigen Stuhl, da lehrte sie mich lesen und schreiben und Puppenkleiderchen nähen an den Winternachmittagen, wenn der Schnee draußen stiebte. Und da am Ofen war das Brettchen, an dem die vielen Schlüssel zu den Stuben im Schlosse hingen, und ich kannte jeden einzelnen und ging ohne Furcht des Abends durch die dämmerigen Zimmer, um nachzusehen, ob alle Fenster geschlossen seien, wenn Mutter einmal unpaß war, obgleich es hier spuken sollte.
»Und nun kommt und seht, in dem zweiten Zimmer da schliefen die Eltern, hinter dem war die Stube der Brüder. Wie ich dann größer wurde und die wilden Jungens aus dem Hause kamen, wurde mein Bettchen und meine Kommode da hinein gestellt. 261 Nicht wahr, dies Stübchen ist besonders freundlich und licht? Ach, Kinder, hier bin ich einmal sehr unglücklich gewesen!«
Sie standen alle drei in dem einfenstrigen Raum, dem einzigen, der eine Tapete aufwies, rosengeblümt und verblichen. Die jungen Mädchen sahen sich fragend an. Ihre Mutter war einmal unglücklich gewesen? Und Anne Dora trat schließlich zum Fenster und sah still hinaus. »Mutter,« sagte sie nach einer Weile, als diese neben sie trat, »sieh, da ist ein Herzchen in das Fensterglas geritzt, da steht dein Name drin – Helene – und über ihm ein anderer, ich glaube Karl soll er heißen.«
Aber die Mutter antwortete nicht, sie wandte sich rasch ab und ging aus der Tür in die hofseitigen Räume. Dort waren ein paar Kammern und die Küche. Und am aufgemauerten Herd blieb die Frau stehen und sagte: »Seht, hier hat meine liebe Mutter mich das Kochen gelehrt, und hier habe ich meine letzte Ohrfeige von ihr bekommen.«
»Hast du denn als Kind schon kochen müssen?« fragte Lori.
»Nein!« antwortete die Professorin. »Damals war ich sogar schon Braut, vier Wochen vor meiner Hochzeit war's, und Mutter sagte zur Strafe: ›So, Kind, nun wirst du wohl für alle Ewigkeit nicht wieder das Schwitzmehl verbrennen lassen, zum Butterverhunzen wird deinem Mann das Geldverdienen zu sauer.‹« Die stattliche Frau lächelte, und dabei vertieften sich die Grübchen in ihren Wangen wieder und sie sah jung und reizend aus einen Augenblick.
»Das ist aber doch unerhört!« sagte Lori.
»Andere Zeiten sind's gewesen!« erwiderte die Professorin, »ich habe der Mutter Hand geküßt und habe niemals das Schwitzmehl wieder verbrannt. Mutter hatte recht, wir hätten's zu solchen Dummheiten nicht gehabt. – Aber kommt, ich will euch das Haus zeigen, in das mich euer Vater gebracht hat, wie er mich als seine Frau hier hinausführte.«
Der Diener, der im Nebenzimmer stand und gelangweilt aus dem Fenster auf den Hof schaute, wurde gerufen. Er erhielt sein Trinkgeld und die Damen verließen das Haus auf der Gartenseite.
Es regnete ein wenig jetzt, es mochte ein Aprilschauer sein, 262 deshalb verschoben sie einen Rundgang durch den Garten auf den morgenden Tag, wanderten durch die Gassen des Dorfes an der Kirche vorüber und gelangten hinter dem Pfarrhause auf einen kleinen, von Häusern umgebenen Platz. Mitten darauf standen drei alte Lindenbäume, unter jedem eine Steinbank, und zwischen diesen drei Stämmen war das Denkmal derer aufgerichtet, die im letzten großen Krieg ihr Leben gelassen hatten.
Auf eines der Häuser, das ein wenig stattlicher aussah als die übrigen, zu dessen Tür steinerne Treppen hinausführten, deutete jetzt die Professorin.
»Da hinein bin ich gezogen mit eurem Vater. Am 7. März 1864 war es und ein furchtbares Wetter. Regen und Schnee sind in mein Gesicht geflogen bei den wenigen kurzen Schritten die Treppe dort hinauf, und euer Papa merkte nicht, daß auch Tränen zwischen den Tropfen waren, die er mir in dem kleinen Stübchen vom Gesicht wischte. ›Regen bringt Glück, Lenchen,‹ sagte er freundlich. Er hat recht gehabt.« Sie hatte dabei schon den Messingklopfer der Haustüre gehoben und ihn gegen die Platte fallen lassen. Gleich darauf kam eine alte Frau und öffnete.
»Dürfen wir wohl eintreten?« fragte die Professorin, »ich möchte meinen Töchtern gern das Haus zeigen, in dem ich als junge Frau gewohnt habe.«
Die Alte heftete ihre kleinen, noch immer hellen Augen auf die Eindringlinge, dann sagte sie: »So sind Sie Frau Doktor Bodenstedt, von deren Mann wir damals das Haus gekauft haben? Kommen Sie näher, Frau Doktorin, ich hätt's nicht geglaubt, daß Sie noch an das Häuschen denken, wo Sie nun vornehm geworden sind und der Herr Doktor so berühmt.«
Sie öffnete linker Hand eine Tür und die Damen traten in ein winziges Stübchen, das die ›gute Stube‹ der Bewohnerin war. Sie wurden genötigt Platz zu nehmen, und die alte Frau blieb ehrerbietig vor ihnen stehen. Ihre Hände hielt sie unter der Schürze verborgen, und ihr runzliges Gesicht war unbeweglich, als sie sagte: »Mein Mann lebt ja nicht mehr, Frau Doktor. Im August 1875 ist er gestorben an einem Nervenfieber, und mein Sohn, der Maurermeister in der Stadt ist, der kann vom Hause 265 keinen Gebrauch machen. Aber man hängt nun einmal daran, da sitze ich denn allein drinnen, und manchmal kann ich es kaum aushalten vor Angst und Sehnsucht. Und dann kommen einem lauter alte Dinge wieder ins Gedächtnis. Auch an Ihnen habe ich manchmal gedacht, Frau Doktorn, und habe mich gefreut, wie es Sie und Herrn Doktor geglückt ist. Und wenn Sie sich noch besinnen können, ich hab's manchmal gesagt: ›Weinen Sie man nich, Frau Doktorn, wer im Leben einen schlechten Vormittag hat, der kriegt dafür einen schönen Nachmittag, denn es gibt eine Gerechtigkeit im Himmel.‹ Und das sind nun wohl Ihre lieben Töchter? Ja, ja, sie sehen Sie ja ähnlich, Frau Doktor, bloß daß Sie viel schöner waren, Frau Doktor, was man ja wohl den Kindern sagen darf, ohne sie zu kränken. Und nun will ich einen Kaffee besorgen, und Sie können indes meinswegen im ganzen Hause herumkramen, und wenn es 'mal eine Spinnwebe gibt, denken Sie nicht zu schlecht von mich, ich bin nun all an die Fünfundsechzig und die Augen wollen nicht mehr recht.« Sie nickte noch einmal und trippelte hinaus.
Ein Weilchen blieb es mäuschenstill, dann fragte Lori beklommen: »Und hier hast du gewohnt mit Papa? Armes Muttchen!«
»Hier, Kinder, habe ich mein Glück gefunden,« sagte die Professorin. »Denn ihr müßt wissen, es zog nicht gleich mit mir ein, oder wenn es das tat, so erkannte ich es doch nicht gleich, und es fiel mir auch zunächst nicht ein, mir viel Mühe zu geben, es zu entdecken. Ich habe das schwerste Jahr meines Lebens, aber dann auch die glücklichsten Stunden hier verlebt. Und seht ihr, dies war eures Vaters Zimmer, und hier nebenan da schliefen wir. Ja, nicht wahr, Lori, in dem Raum hätte weder deine Toilette noch der riesengroße Waschtisch Platz, den du gekauft hast für deine Einrichtung. Aber damals war man so bescheiden in dieser Beziehung!
»Hier in Papas Doktorzimmerchen sah es sogar recht gemütlich aus. Er hatte schon den netten Bücherschrank, der auch heute noch in seiner Stube steht, und ein Zylinderbureau befand sich dort am Fenster. Das Roßhaarsofa von der Großmutter war uns 266 auch gefolgt, denn meine Mutter hatte in ihrem neuen Heim keinen Platz für das große Möbel und der Vater meinte, für uns junges Volk sei es auch weich und bequem genug. So kam es hier in Vaters Stube, und wir saßen darauf gleich am ersten Abend, und vor uns stand ein gedeckter Tisch mit einer nagelneuen Petroleumlampe, die damals eben Mode geworden war und zusammen mit dem hübschen, einfachen Teeservice, das mir meine Freundin Cäcilie geschenkt hatte, und dem derben Drillichgedeck, das mir von Mutter zur Ausstattung gegeben war, sehr hübsch aussah. – Selbstgesponnen war das Tuch, und meine gute Mutter hatte eine hausschlachtene Wurst, ein Stückchen Gutsbutter und ein großes Landbrot als erstes Abendessen darauf gestellt. Und wie ich bange zitternd die ersten Scheiben davon schnitt, da klingelte es und der Herr Doktor wurde zu einem Schwerkranken gerufen und kam erst im Morgengrauen zurück, blaß und traurig, denn der arme Mensch, dem das Getriebe der Mühle den Brustkorb eingedrückt hatte, den hatte er nicht retten können, und eine Witwe und sechs Kinder jammerten um ihren Ernährer! Ich saß derweile mutterseelenallein und weinte mich satt. Darüber fand mich mein junger Mann eingeschlafen und hat mir die Füße auf das Sofa gehoben und mich sorglich zugedeckt und schlafen lassen. Wie ich aufwachte, da war ich noch in meinem schwarzseidenen Hochzeitskleid, und draußen schien ein trüber Vorfrühlingsmorgen in die Fenster.«
»Ein schwarzes Kleid hattest du?« fragte ganz entsetzt Lori.
Die Professorin nickte. »Ja, und es hat recht hübsch ausgesehen zu meinen blonden Haaren, das haben alle gemeint. Und meine Mutter sagte, als sie es kaufte: ›Ihr habt's nicht zu einem extra Brautkleid und unnützem Firlefanz, aber ein Schwarzseidenes das muß sein für jede Frau‹.«
»Hattet ihr denn nur so wenig?«
»Gar nichts hatten wir, Lori!« lachte die hübsche Frau. »Papa war Arzt und hoffte auf Praxis, und um die zu kriegen, brauchte er eine Frau. Unverheiratete Doktoren genießen kein so großes Vertrauen wie die verheirateten. Da kam er und wollte mich.«
»Wolltest du ihn denn nicht auch, Mutter?« Anne Dore hing mit großen traurigen Augen an den Lippen der Mutter.
267 »Nein, ich wollte ihn eigentlich nicht, Anne Dore.«
»Und du mußtest, Mutter?«
»Auch das nicht, aber ich sah ein, daß – – Doch das würde jetzt zu weit führen, ich erzähle es dir ein andermal, Anne Dore. – Kommt nun hinüber, dort in das gegenüberliegende Zimmer! Das war mein Reich und zugleich die ›gute Stube‹. In dem daneben liegenden hofseitigen Zimmerchen hielten wir unsere Mahlzeiten. O, mein Putzstübchen war fein und niedlich, besonders wenn die Sonne hinein schien durch die hübschen weißen Gardinen, die ich selbst gestickt hatte. Über dem Sofa, das mit grünem Plüsch bezogen war, hing der Regulator und rechts und links die Photographien von den Eltern. Auf dem Vertikow stand der Christus von Thorwaldsen. Im Bücherbrett schimmerten alle meine Lieblinge in feinem Einband: Chamisso und Uhland, Storms ›Immensee‹, Geibels Gedichte und Heyses ›Arrabiata‹ – Goethe und Schiller nicht zu vergessen. Im Fenster neben dem Nähtischchen zwitscherte Hans, der gelbe Kanarienvogel, den hatte ich schon daheim in meinem Mädchenstübchen gepflegt. Er war so zahm, er saß fast immer auf meiner Schulter, ich hatte ihn sehr lieb, den kleinen Kerl!« Die stattliche Frau lächelte wieder ihr junges Lächeln, und ihre Augen streiften im Stübchen umher, als sähe sie es wieder wie damals. Und wie verloren setzte sie leise hinzu: »Ja, ja, und hier war es, wo ich mein Glück plötzlich erkannte.«
* * *
Anne Dore und ihre Mutter saßen Abends allein in ihrem Logierstübchen der »Grünen Tanne«. Lori schlief schon, ihr regelmäßiges Atmen drang deutlich in das Ohr der Mutter. Frau Professor Bodenstedt hatte eine weiße Frisierjacke angezogen, und die Tochter flocht ihr das volle leicht ergraute Haar in zwei Zöpfe. Die Frisur gab ihr etwas Mädchenhaftes, Liebliches. Oder machte es die Erinnerung an ihre Jugend, die ihr die Wangen leicht rosig gefärbt hatte?
Die Tochter empfand dies, und sie sagte herzlich: »Die alte Frau in dem Häuschen wird schon recht haben, Mutter, wir reichen 268 dir das Wasser nicht. Wie hübsch mußt du gewesen sein als junges Mädchen! Viel zu fein eigentlich für die Verhältnisse, in die du anfänglich kamst. Ich meine, du hättest viel eher in das Schloß gepaßt.«
»Das habe ich auch einmal gemeint, Anne Dore, und das will ich dir jetzt erzählen, liebes Kind. Lori soll es später einmal erfahren, wenn sie reifer ist. Du, der das Leben schon einmal das ernste Gesicht zugewendet hat, du bist reif genug dafür, du wirst es richtig verstehen und gewiß sein, daß deine Mutter dabei einen Zweck im Auge hat. Sie möchte dich aussöhnen mit deinem Geschick, meine Anne Dore, dir sagen, daß mit einer gescheiterten Liebe nicht auch das Glück des Lebens untergeht. So – so – mein Herz, – gib mir die Nadel! Danke! Und nun komm, ich setze mich in den Lehnstuhl, und du legst deinen Kopf auf mein Knie und bist ein bißchen geduldig. Lange spreche ich nicht. Sitzest du auch gut auf deinem Fußbänkchen?«
Und als die Tochter ihr zu Füßen genickt hatte, begann sie, indem sie behutsam und zärtlich über das dunkle Haar ihres Lieblings strich: »Du weißt, daß mein Vater einfacher Beamter war, Rentmeister bei dem Baron Zweistetten, und du hast heute gesehen, wo wir lebten. Du weißt aber nicht, daß meine Mutter eine Gräfin Illerode aus Ohlenfels war, die mein Vater gegen den Willen der Ihrigen geheiratet hatte. Vater war als Inspektor nach Ohlenfels gekommen, sie hatten sich beim Erntetanz 269 kennen gelernt, liebten sich dann, und nichts war im stande, sie zu trennen. Ich habe das alles aus den Briefen, die sich nach ihrem Tode sorgsam aufbewahrt vorfanden, erfahren. Meine Mutter war die älteste der Komtessen, sie war wohl die Klügste, aber auch die am wenigsten Hübsche unter ihnen. Nur ihre wunderschönen dunklen Augen fesselten, und mit diesen hat sie es ja wohl meinem Vater angetan, so daß er nichts weiter sah und hörte und wollte als die Besitzerin dieser treuen, traurigen Augen. Sie erwiderte seine Neigung von ganzer Seele. Immer übersehen, verschmäht und zurückgesetzt bis dahin, fühlte sie nun eine so tiefe und starke Liebe für den tüchtigen, von jedermann geachteten jungen Mann in ihrem Herzen, daß sie den väterlichen Zorn sowie alle Vorstellungen und Einwendungen ihrer Familie geduldig ertrug und an ihrer Liebe festhielt mit der ganzen Kraft ihrer Seele. Als man sie dann, damit sie vergessen sollte, auf die Güter der Familie nach Österreich geschickt hatte, rührte der Herzenskummer der Armen ihre dort zurückgezogen von der Welt lebende Tante, ein altes Freifräulein, welches ihr seine ganze Liebe und Teilnahme zuwandte und zu helfen versprach. Leicht scheint das nun allerdings nicht gegangen zu sein, denn der Herr Großpapa war ein stolzer Herr, und einen noch größeren Stolz scheint Mutters Bruder, der als Kavallerieoffizier diente und mit Verachtung auf die untergeordnete Stellung meines Vaters herabsah, gehabt zu haben. Aber zuletzt setzte es das alte Tantchen, welches einen merkwürdig stillen Einfluß gehabt haben muß, doch durch, daß der stolze Großvater sich der Heirat wenigstens nicht mehr widersetzte. Nur die eine unumstößliche Bedingung stellte er, daß keinerlei Beziehungen zwischen dem unerwünschten Eidam und ihm sowie der gesamten gräflichen Familie bestehen dürften. Auch mußte Mama auf jeden Vermögensanspruch verzichten. Wie sehr mag sie unter der gänzlichen Trennung von den Eltern gelitten haben und wie groß muß ihre Liebe zu Papa gewesen sein, daß sie ihn nie etwas davon merken ließ! Ein Trost war es für sie, daß ihre Mutter ihr doch, so oft es sich tun ließ, noch Beweise und Zeichen ihrer mütterlichen Liebe und Sorge gab. Die Hochzeit fand dann ganz in der Stille statt. Das freundliche Tantchen nahm als 270 einzige Verwandte der jungen Frau noch teil an derselben und starb kurz darauf ruhig und still, herzlich betrauert von dem jungen Paare. –
»Da mein Vater ein kleines Vermögen besaß, trat zunächst die Not nicht an das junge Paar heran. Dann, als meine Brüder geboren waren, mußte mein Vater sich nach einer Brotstelle umsehen. Es war nicht leicht, das Nötige zu finden. Auf einem kleinen Gut konnte er eine Inspektorstelle nicht wohl annehmen, dort wollte man unverheiratete Leute als Beamte u. s. w. Administratorstellen gab's ausnahmslos nur auf adligen Gütern, und dort scheuten sich die Leute, einen Beamten anzustellen, der einer Gräfin Ehemann war. Wie sollten sie sich diesem gegenüber verhalten? Die Frau zu ignorieren, ging nicht wohl, und ihn in den Kreis ihrer Geselligkeit zu ziehen, das war auch solche Sache, – kurz überall, wo er sich hinwandte, ein abschlägiger Bescheid.
»Da gab es schwere Sorgentage und für meine Mutter noch schwerere Trauer durch den rasch nacheinander erfolgten Tod ihrer Eltern. Die Großmutter hatte ihr noch ihren Segen gesandt, aber der stolze Großvater war unversöhnt gestorben und hatte seine Tochter wirklich völlig enterbt. Eines Tages, als mein Vater niedergeschlagener als je dasaß mit einem abermaligen Absagebrief, schlich sich meine Mutter in ihre Schlafstube und schrieb dort heimlich an einen alten bärbeißigen Oheim, der sie einmal, als sie noch ein junges Komteßchen war, das an Glück und Liebe glaubte wie jedes andere junge Herz, zur Frau begehrt hatte. Er, der alte wunderliche Mann, der mitunter wochenlang mit Gicht im Lehnstuhl saß, sie die Zwanzigjährige! Ganz empört hatte sie ihn mit einem großen Korbe heimgeschickt. Seitdem hatten sie nichts voneinander gehört. Gott mag es wissen, was dieser Bittbrief sie gekostet hat, aber belohnt wurde sie für ihre Demütigung. Erstlich sandte er ihr sofort eine größere Summe, und fürs zweite fragte er sie, ob ihr Gatte die Stelle eines Rentmeisters auf den Gütern seines Mündels anzunehmen gewillt sei. Der wäre noch ein Knabe und vater- und mutterlos, augenblicklich auf irgend einer vornehmen Schule, ich 271 glaube in Hannover. Er habe diese eben freigewordene Stellung als Vormund zu besetzen, mache aber darauf aufmerksam, daß sie sehr bescheiden sei. Was hätte Vater nicht angenommen? Und alles war ja doch so günstig wie möglich: Wohnung im Schloß, ein immerhin anständiges Gehalt, eine Menge Naturalverpflegung und im Grunde weiter nichts zu tun als Buchführung und Rechnungslegung ohne irgend welchen Vorgesetzten in der Nähe, denn der alte Herr war viel zu bequem, um von Westfalen nach hier zu reisen, und begnügte sich mit dem schriftlichen Bericht über die Gutsverwaltung seines Mündels, des Barons Zweistetten.
»Hier lebten nun meine Eltern, und hier wurde ich geboren. Meine Kinderzeit war sehr glücklich. In unserm Familienkreise herrschte eine seltene Einigkeit, mir ist nie eine Meinungsverschiedenheit zwischen meinen Eltern aufgefallen. Mutter war es aber, die wir Kinder unwillkürlich bevorzugten. Sie war lebhaft, sie spielte mit uns, sie entschied in fast allen Fragen des täglichen Lebens. Mein Vater war ein schöner, großer, blonder Mann, das Urbild eines Germanen. Umso wunderlicher stach von dieser sieghaften Erscheinung sein müdes, stilles Wesen ab. Er sprach wenig und hatte seltsam schwermütige Augen, Augen, die sehnsüchtig nach irgend etwas zu suchen schienen.
»Meistens saß er arbeitend in seinem Bureau, das unserer Wohnung gegenüber im herrschaftlichen Flügel hofseitig lag. Und auch in den Stunden, wo er in unserem Kreise weilte, wurde er selten gesprächig. Eines war mir schon als Kind als besonders hervorstechend aufgefallen: eine gewisse Empfindlichkeit im persönlichen oder brieflichen Verkehr mit Fremden. Er konnte förmlich grübeln darüber, ob ihm auch die gebührenden Titel und das Wohlgeboren und die nötige Artigkeit erwiesen wurden. Es wurde dies zu einer fixen Idee, die meine Mutter stets liebenswürdig mit Scherzen oder mit Zärtlichkeit abzuschwächen versuchte, was ihr nicht immer gelang. Zuweilen hörte ich ihn bei irgend welcher feierlichen Veranlassung, etwa bei Geburtstagen oder bei Neujahrsanfang, leise die Mutter fragen: Bereust du es, Ilse? Und sie pflegte dann die Arme um seinen Hals zu schlingen und 272 zu versichern: ›Ich bereue nichts. Und du, Heinrich?‹ – Dann gab er ihr einen Kuß und wiederholte: ›Ich bereue auch nichts und ich danke dir.‹
»Mutter selbst unterrichtete mich, ich lernte spielend Französisch und Englisch, später lehrte sie mich ein wenig Wirtschaften und Kochen und so gut sie es vermochte, Nähen und Stricken. Man merkte wohl, daß sie zu solchen Dingen nicht aufgezogen war, aber ihr guter Wille dazu ließ doch alles gelingen. Als ich eben siebzehn Jahr alt gewesen, wurde eines Tages der Erbe, der junge Herr, der mittlerweile großjährig geworden war und alter Familiensitte gemäß einige Jahre auf Reisen verbracht hatte, zum ersten Male auf dem Stammsitz seiner Väter erwartet. Ich erinnere mich, daß mein Vater mit Eintreffen dieser Nachricht noch gedrückter und verstimmter wurde als sonst. Am Tage, an dem Baron Walter ankommen sollte, war er indessen wieder in gewohnter Stimmung und Mutter und ich wanden Kränze für das Portal des Hauses, damit das leere Nest, in das er kam, ein wenig freundlich zum Empfang gerüstet erscheinen sollte. Wir saßen im Garten unter der Linde und waren eifrig bei der Arbeit. Auf einmal fiel meiner Mutter ein, daß sie irgend eine Anordnung im Hause vergessen habe, und sie verließ mich mit den Worten: ›Ich bin gleich wieder hier, Helene, arbeite nur ruhig weiter!‹ Ich sehe sie noch, wie sie den Kiesweg hinausschritt in ihrem einsfchen dunklen Kleide, das gegen die herrschende Mode, welche die Krinoline erheischte, faltig und schlank von den Hüften 275 fiel und ihre feine Gestalt vorteilhaft zeigte. Auf dem dunklen Haar trug sie ein Häubchen aus schwarzer Spitze, dessen Barben zu beiden Seiten der Scheitel niederfielen. Das Schlüsselkörbchen hing ihr am Arm. Ich weiß noch, daß ich ihr nachsah und dann wieder ein Büschel Spargelkraut und eine Zentifolie ergriff und der Girlande einfügte. Es war gerade Johannistag und die ganze Luft durchduftet von Rosen. So wie in diesem Garten die Zentifolien blühten, habe ich sie nie wieder gesehen.
»Es war Nachmittags gegen vier Uhr, um Sieben sollte der Baron, der schlechtweg hier ›der junge Herr‹ genannt wurde, eintreffen. Die Johannissonne schien heiß, und es war eine große Schwüle in der Luft, wie vor einem Gewitter, obgleich der Himmel herrlich blau durch die Zweige der mächtigen Rotbuche schien.
»Kein Lüftchen rührte sich. Eine sonderbare Müdigkeit kam in dieser Stille über mich, ich schloß die Augen und verlor mich in eine Art Halbschlaf. Dann war es, als fiele ein Schatten über meine Augenlider, durch die ich das Licht purpurn gefühlt hatte. Ich sah unwillkürlich empor und erblickte einen Herrn in grauem Joppenanzuge, der vor dem Tische stand, die Hände leicht aufgestützt, und mich lächelnd betrachtete.
»Er hatte den Hut abgenommen, und wir sahen uns beide eine Weile wortlos an. Ich konnte sein Gesicht kaum erkennen, denn die Sonne stand hinter ihm, so daß er wie eine dunkle Silhouette auf dem flimmernden Hintergrund erschien. Nur seine großen blauen Augen, die unter dunklen Brauen hervorflammten, die sah ich deutlich. Ich kann dir nicht genau sagen, Anne Dore, wie's weiter ging, ob ich dumm oder klug ausgesehen habe in diesem Augenblick, ich weiß auch nicht mehr, wer zuerst gesprochen hat von uns und was es für ein paar Verlegenheitsphrasen gewesen sind, die wir wechselten, aber das weiß ich, daß mein Herz sonderbar in schweren, vollen Schlägen ging und daß ich noch unbeweglich wie eine Statue dasaß, als meine Mutter zurückkam.
»Ganz selbstverständlich und ruhig mit ihrer vornehmen Einfachheit hieß sie den Baron willkommen, da er ja nun verfrüht eingetroffen sei und sich um die feierliche Begrüßung der 276 Gutsleute und des Waldburger Gesangvereins gebracht habe. Der junge Mann lachte darauf herzlich und freimütig, ergriff die Hand meiner Mutter, küßte dieselbe und meinte, er habe so etwas geahnt, und deshalb, gerade deshalb sei er früher erschienen, und von allen Empfangsfeierlichkeiten wolle er nichts weiter als die Girlande dort, und wenn ihm überhaupt noch eine Bitte auszusprechen erlaubt sei, so sei es die, ihn um Gottes willen nicht allein zu Abend speisen zu lassen, sondern ihm freundlichst ein Plätzchen am Familientisch des Herrn und der Frau Rentmeister zu gönnen. – Wir gingen bald darauf ins Schloß zurück, er die halbfertige Girlande tragend, die er sich wie eine Boa um den Hals geschlungen hatte, und ich erinnere mich, daß mein Vater ein nahezu verblüfftes, keineswegs liebenswürdiges Gesicht machte, als er am offenen Fenster stehend uns drei so daherkommen sah.
»Am Abend erschien mir unser Wohnzimmer wie ein Festsaal. Es fiel mir kaum auf, daß unser Gast der allein Redende war, daß er sich vielleicht aus Zufall nie in seiner Rede an den Vater wandte, daß dieser immer blasser und meine Mutter immer stiller wurde. Er erzählte und erzählte in froher Laune, welche die Heimat ihm geweckt haben mochte, von seinen Reisen. Er berichtete von interessanten Menschen, die er kennen gelernt hatte, und dabei hingen unsere Blicke aneinander wie gebannt. Ich hatte den Tisch mit Rosen geschmückt und ein weißes Kleid angelegt. Die letzte rote Abenddämmerung glühte durch die Fenster, vom Garten herein kamen ein paar Schmetterlinge, wie getragen von den Klängen der alten Volkslieder, welche die Mägde jenseit des Gartens sangen.
»Als die Schale mit Erdbeeren, aus der unser Nachtisch bestand, mehrere Male herumgegangen war und niemand mehr zulangte, hob meine Mutter die Tafel auf. Man unterhielt sich noch eine Zeitlang, dann sagte der junge Baron Gute Nacht, küßte meiner Mutter die Hand, nickte ein wenig herablassend dem Vater zu, der ihn aus der Tür geleitete, und machte mir zuletzt eine Verbeugung, als wäre ich eine Königin.
»Wir standen alle drei wie unter einem Bann, so, als hätten 277 wir uns noch etwas zu sagen, als müßten wir uns unsere Eindrücke mitteilen, aber keines fand ein Wort.
»Nach einem Weilchen nahm ich ein Tuch vom Haken und wollte meiner alten lieben Gewohnheit nach in den Garten gehen, um frische Luft zu schöpfen, wie ich es jeden Abend bisher getan. Zumal heute war es mir geradezu ein Bedürfnis, allein zu sein. Ein ungewöhnlich strenger Ruf von Mutter: ›Bleib, hier, Helene!‹ hielt mich zurück. ›Das abendliche Herumstreifen im Garten hört von heute an auf, mein Herz,‹ fügte sie hinzu.
»›Solange der Baron hier ist,‹ ergänzte mein Vater, ›das wirst du begreifen.‹ Und er trat zu mir und streichelte mir das Gesicht. Seine Augen hingen mit einem seltsamen Ausdruck an den meinen. Wieder war es, als wollte er sprechen, aber er sagte weiter nichts, als: ›Hilf Mutter ein wenig, Helene.‹
»Als ich an diesem Abend zu Bett lag, konnte ich zum ersten Male nicht schlafen. Nebenan sprachen die Eltern noch, es klang fast, als hätten sie eine Meinungsverschiedenheit. Ich wußte nicht, was beginnen vor anstürmenden Gedanken. Immer sah ich seine Augen vor mir, schließlich fing ich an zu weinen, ohne einen rechten Grund dafür zu haben. Da kam meine Mutter, trat an mein Bett, und ich tat nun, als ob ich schliefe, denn ich hatte eine sonderbare 278 Scheu, mit ihr zu reden. Sie aber beugte sich über mich und sagte ganz dicht an meinem Ohr, als wüßte sie, daß ich mich verstellte: ›Habe nur immer Vertrauen zu mir, Kind, dann wird mit Gottes Hilfe alles gut!‹
»Am anderen Morgen wußte ich nicht, ob ich das geträumt, oder ob sie wirklich jene Worte gesprochen hatte, aber ich mochte sie nicht fragen darum.
»Es kam nun eine sonderbare Zeit im Hause. Mein Vater wurde oft zu dem Baron gerufen, von früh bis spät wünschte der lebhafte junge Herr ihn zu fragen und zum Begleiter zu haben.
»Er nannte meinen Vater dabei ›lieber Rentmeister‹ oder nur bei seinem Namen, und da er eine andere Tageseinteilung gewöhnt war, ließ er ihn bisweilen vom Essen abrufen. Einmal ging Vater mit beleidigtem Gesicht, denn als der Diener wiederholt sozusagen in die Suppenschüssel fiel und Vater zu dem gnädigen Herrn entbot, fuhr er den verblüfften Menschen hart an: ›Sagen Sie dem Herrn Baron, ich sei bei Tische.‹ Er aß indessen nicht weiter, sondern warf hochrot vor Zorn den Löffel in den Teller und verließ das Zimmer. Mutter schüttelte den Kopf, seufzte und ging ihm nach. ›Karl, du mußt nicht so sein,‹ hörte ich sie im Hineingehen in die Schlafstube sprechen, ›er meint's nicht bös, er denkt nicht daran, dich zu kränken.‹ Dann fiel die Tür zu.
»Gelegentlich einer anderen Szene aber, in der mein Vater in meinem Beisein seiner Empörung freien Lauf ließ, sich in harten Ausdrücken gegen den Baron erging, entdeckte ich, und die Entdeckung erschreckte mich förmlich, daß ich den Geschmähten liebte! Und diese Liebe wuchs, je stärker die Abneigung Vaters gegen ihn zu Tage trat! Ohne nach den Gründen zu forschen, die meinen Vater etwa leiten mochten, nahm ich nun in meinem Herzen aufs entschiedenste Partei für den, dem mein Herz gehörte. Er tat in meinen Augen nichts Verdammenswertes. Je mehr ich mich aber verlor in meiner Liebe, die den Eltern kaum verborgen bleiben konnte, da auch der Baron offenbar meine Gegenwart suchte, umso kummervoller wurden die Gesichter meiner Eltern. Ich fühlte mich stets beobachtet von beiden, ich wurde unermüdlich beschäftigt von Mutter. Von dem Baron sprach 279 man nie, es war, als wäre er nicht auf der Welt. Ich empfand das alles wie eine Ungerechtigkeit gegen mich, gegen ihn. So lebte ich ein aufregendes innerliches Leben damals, so still auch scheinbar alles zuging.
»Eines Abends aber kam die Katastrophe.
»Eine Freundin hatte mich besucht, oder vielmehr die Freundin, ich hatte nur eine. Meine Mutter pflegte mich von den anderen jungen Mädchen, den Töchtern des Hüttenbesitzers, des jungen Lehrers und des Försters, fern zu halten, einzig und allein mit Pastors Cäcilie durfte ich umgehen. Also die hatte mich besucht, war von mir mit Kuchen und Kaffee im Garten bewirtet worden, und ich begleitete sie nun bis zu der kleinen Pforte, die aus dem Obstgarten direkt in die sogenannte Kirchgasse führt, in welcher das Pfarrhaus lag. Cäcilie war ein blondes, schwärmerisches Mädchen, sie hatte an diesem Tage immerfort geredet, und mir war es recht gewesen. Ich konnte meine eigenen Gedanken dabei ungestört denken und wußte zum Schluß kaum noch, was sie alles berichtet hatte. Als wir abschiednehmend in dem Mauerpförtchen standen, kam ein Herr die Gasse daher und grüßte uns. Er war modisch aber einfach angezogen, trug einen Hut von weißem Stroh. Ein paar kluge graue Augen hinter Brillengläsern streiften uns bei seinem Gruß. Ich hatte nur ganz mechanisch acht auf ihn. ›Siehst du, das war ›Er‹, er kommt von Vater. Alle Tage besucht er Vater und läßt sich von ihm erzählen über die Dorfleute,‹ flüsterte Cäcilie hocherglüht.
»›Wer ist er?‹ fragte ich verwundert.
»Dem blonden Cäcilchen blieb der Mund offen. ›Bist du denn taub gewesen, Helene? Ich habe dir ja haarklein die ganze Geschichte erzählt vorhin. Der neue Arzt, der Doktor Bodenstedt, dem der Onkel Schröder seine Praxis abgegeben hat, der war es.‹
»Ach so, richtig, Onkel Schröder, der alte langjährige Arzt von Waldburg, hatte sich zur Ruhe gesetzt, und sein Nachfolger war seit etwa drei Wochen hier, ich hatte auch seinen Namen schon gehört. Aber mich interessierte es nicht. Mein Herz hing an dem alten Herrn, der uns Kindern bunte Steinchen und Schneckenhäuser mitzubringen pflegte in die Krankenstube und so 280 herrliche Geschichten erzählen konnte, daß wir Kopf- und Halsschmerzen darüber zu vergessen pflegten.
»Cäcilie begriff meine Teilnahmslosigkeit offenbar nicht und verabschiedete sich etwas steif von mir. Ich verschloß hinter ihr die Pforte wieder und kehrte, über die Grasnarbe des Obstgartens schreitend, zurück zum Park. Keine Ahnung sagte mir, daß ich da eben meinem Glück begegnet war, vielmehr glaubte ich es kommen zu sehen, als ich herzklopfend in der Kastanienallee des Parkes den jungen Gutsherrn mir entgegenkommensah.
»Und doch bog ich rasch in einen Seitengang ein in heißer Scheu vor seinen Blicken, seinen Worten.
»Einmal im Schutze des dichten Gebüsches,das diesen Weg fast dunkel machte, lief ich wie gehetzt und blieb an der Mündung des Weges in den einen Hauptgang betroffen stehen vor dem Baron, der, mein Ausweichen gewahrend, quer durch das Boskett gebrochen war, um mir nun lachend den schmalen Weg zu verstellen. ›Endlich!‹ sagte er und aus seinen Augen flog es über mich hin wie zwei Flammen. Niemals wieder habe ich solche Augen, habe ich überhaupt solch schönen Menschen gesehen, wie ihn in seiner durch jede ritterliche Übung entfalteten Jugendkraft.
»Und, Kind, so kam es denn – ich wußte kaum wie –, ich hörte nur noch seine zärtliche, flehende Stimme, das Geständnis seiner Liebe und fühlte den heißen Druck seiner Hände, welche 281 die meinigen nicht mehr loslassen wollten. Sprechen konnte ich kein Wort, aber er spürte doch wohl, daß mein Herz ihm schon gehörte!
»Die Glocke, die um halb acht Uhr geläutet wurde aus dem Gutshof drüben, schreckte uns nach wenigen Minuten auseinander. Mit dem ersten dieser Glockenschläge pflegten sich meine Eltern zu Tische zu setzen. So trennte ich mich denn, fast taumelnd unter der Last meines Glückes, von dem Baron und hörte nur noch sein: ›Schlaf süß! Morgen spreche ich mit Mama.‹
»Ich erinnere mich, daß ich tiefatmend einen Augenblick vor der Wohnstubentür stehen blieb und bemüht war, mich zu fassen, eine gleichgültige Miene anzunehmen. Es war mir aber, als schwebte ich über der Erde, als müßte ich einen Jubelschrei ausstoßen, der bis zu den Bergen drüben klingen müßte.
»Und wie ich dann mühsam beherrscht in unser altes, liebes Zimmer trat, fand ich es leer.
»Wie einen Sturz kalten Wassers empfand ich diese Abwesenheit der Eltern – – das war noch nie dagewesen. Was sollte es bedeuten? Draußen verklang das Abendläuten. Auf dem Eßtisch dampfte die mit Milchsuppe gefüllte Terrine. Ein Teller, der meines Vaters, war halb gefüllt, neben ihm lag zusammengeknüllt die Serviette, die Stühle an dem Platz der Eltern waren schräg gerückt, so, als hätten sie hastig ihre Mahlzeit unterbrochen, als hätte sie jemand gestört dabei. Beunruhigt ging ich zu der Tür des Schlafzimmers hinüber, leise drückte ich gegen die Klinke – es war verschlossen. Doch hörte ich hinter der Tür ein heftiges Auf- und Abschreiten.
»Zitternd von allem, was über mich gekommen war in den 282 letzten Minuten, sank ich auf den Stuhl, der hart neben der Tür stand, und legte wie erschöpft den Kopf an den weißlackierten Rahmen derselben, der Dinge harrend, die da kommen sollten.
»Und da traf auf einmal Vaters Stimme mein Ohr, daß ich taumelnd auffuhr, so deutlich und hart schallte es heraus. Ein Ton war darin, wie ich ihn noch nie gehört von ihm, ein mühsam unterdrücktes Grollen, ein Warnen!
»›Laß uns aufhören davon, Ilse, laß uns aufhören, bitte, werde mir einmal gerecht in diesem Einen, Ilse! Gib nach!‹ So hatte er gerufen. Eine kurze Pause entstand.
»Dann hörte ich meine Mutter sagen: ›Und du meinst, bis jetzt wärest du stets der Nachgebende gewesen, Karl?‹ Es klang erstaunt und verletzt.
»›Weißt du es anders?‹ fragte mein Vater dagegen. ›Sieh mich nicht so starr an, Ilse! Es ist so, und ich habe gern nachgegeben, bei Gott! Als wir vor dem Altar standen miteinander, da flocht der Prediger in seine Rede auch das Wort ein: Er soll dein Herr sein! Ich aber gelobte mir – ausgenommen in schweren, ernsten Lebensfragen, wo wir gemeinsam beschließen müßten, solltest du nie den ›Herrn‹ in mir sehen – und sieh, so ist's geworden. Alles gab ich in deine Hände, alles hat sich deinem Willen gefügt. Und so dünkte es mich recht! Für alles, was du mir geopfert hast, war es ja auch der mindeste Dank, daß ich dich in unserer kleinen Welt herrschen ließ. Und gut und klug hast du geherrscht bis jetzt. Jetzt aber, wo unseres Kindes Zukunft in Frage kommt, wo sein Wohl und Wehe auf der Wage liegt – heute zum ersten Male behaupte ich mein Recht als dein Herr, Ilse. Helene darf den Baron nicht mehr sehen, sie soll nicht das erdulden, was du und ich erduldet haben. Und da wir einmal nun doch bei einer Aussprache sind, laß sie uns auch zu Ende führen! Siehst du, ich habe dich ja tatsächlich zu mir heruntergezogen aus der Höhe deiner gesellschaftlichen Stellung. Und ich habe in deiner Seele mitgelebt, ich sah, wie du klaglos gelitten hast, wie fest die Fäden noch heute sind, die dich mit jener Sphäre verknüpfen. Du hast ja nie geklagt, Ilse, du bist eben eine starke Seele. Eine minder 283 starke wäre zu Grunde gegangen daran. Aber glücklich bist du nicht gewesen! Und wenn du es jetzt behauptest, so ist es Rücksicht auf mich, dem du dich gegeben hast. Widersprich nicht, Ilse, es ist so! Ich habe schwer unter dieser Erkenntnis gelitten neben dir, und doch bist du mir das Liebste auf der Welt! Den Stachel, den mir die Deinen in die Seele gedrückt haben, den konnte eben selbst deine Hingabe nicht entfernen! Was konnte ich dir auch bieten? Was bin ich in der Welt, was habe ich geleistet? Nichts! Ich bin der Rechnungsführer eines Fremden, und in dieser Stellung vegetierst du neben mir. Das ist nun einmal so. Wir können es nicht mehr ändern. Aber an unser Kind soll mir keiner rühren! Du meinst: wenn er sie heiratete? Nun, für ein Glück möchte ich auch das nicht erachten, sie würde ja auch dann unglücklich, weil man ihr in ihrem neuen Kreise nie vergeben würde, daß ihr Vater ein untergeordneter Mensch ist, den der hochgeborene Graf Illerode, dein Bruder, einst mit Schimpf aus seinem Hause jagte – – nein, laß mich ausreden, es muß sein, daß ich dich an diese fürchterlichste Stunde meines Lebens erinnere, Ilse, damit du meine Weigerung würdigst, – hochmütig wie dein Bruder – Gott hab' ihn selig – war, ist ja auch der junge Herr Baron, sind sie alle, diese hochgeborenen Herren. Eine Zeitlang mit solch hübschem kleinen Mädchen spielen und es dann sitzen lassen! Nein, da sei Gott vor! Dazu ist mir unsere Tochter zu gut! So, nun weißt du es! So sage du es deiner Tochter! Wendet sie sich trotzdem von uns, nun dann wäre es besser, ich erlebte den Tag nicht mehr. Aber sie wird nicht, Ilse, sie wird ja nicht –‹
»Das bitterliche Weinen meiner Mutter unterbrach ihn, dazwischen stieß sie abgebrochen die Worte aus: ›Ich verstehe dich ja, sprich nicht mehr, ich will, was du willst, Karl. Du sollst nicht noch unglücklicher werden – ich will, wie du willst –.‹ Sie mochte wohl den Kopf an seine Schulter geschmiegt stehen, von seinen Armen umfangen, und ihr Schluchzen mochte zu gleichen Teilen dem Scheitern ihres stolzen Planes, die Tochter wieder in ihren Kreisen zu wissen, gelten, halb dem Glück, dem Manne ihrer Wahl zeigen zu können, wie sehr sie 284 ihn liebe, ihn verstehe, wie gern sie ihm ein zweites Opfer bringe.
»Ich aber erhob mich von dem Stuhl, auf dem ich wie gelähmt gesessen hatte, und schlich hinaus durch die Küche, wo die alte Margarete am Tisch saß, in mein Stübchen, todunglücklich, irre geworden an der ganzen Welt. Da saß ich trostlos die halbe Nacht auf meinem Bett, bis ich endlich in dumpfem Schlaf meinen Kummer vergaß. Mein Vater fand mich so, als er mich wecken kam gegen Morgen. Mutter wäre krank geworden, sagte er mir. Ich fand sie fiebernd und offenbar große Schmerzen leidend; sie streckte mir die Hand entgegen, als hätte sie mir etwas abzubitten. So saß ich, ihre Rechte in der meinen haltend, neben ihr, bis der Arzt eintraf, nach dem man geschickt hatte. Als er gekommen war und die Untersuchung der Kranken beendet hatte, meinte er, er könnte noch nicht genau bestimmen, was für eine Krankheit im Anznge sei, aber nach allem scheine es ein Typhus werden zu wollen. Und so war es auch.
»Ich pflegte meine Mutter und betete für sie. Aber in alle Angst und kindliche Liebe mischte sich die Hoffnung, daß mein Vater ihr, der Todkranken, zuliebe seinen Sinn ändern und nachgeben werde.
»Ich sah, wie schwer er litt, aber auf ihre Fieberreden, in denen sie mich beklagte, sagte er kein Wort.
»Zehnmal des Tages schlich ich von dem Krankenbett der Mutter fort und zum Fenster hinüber – umsonst, ich sah ihn nicht. Kein Mensch sprach von ihm, und Vater zu fragen, hielten mich Stolz und Trotz ab.
»Einmal hörte ich, es war spät Abends, einen kurzen Wortwechsel im Garten. Es schien mir des Barons Stimme zu sein. Bald darauf trat mein Vater mit seltsam erregtem Gesicht in die Krankenstube, setzte sich still ans Bett und sah auf die Kranke mit trüben Augen.
»Eine Stunde später fuhr ein Wagen vom Hof, man hörte es deutlich durch die halb geöffneten Fenster. Es war davon die Rede gewesen, daß noch der Arzt aus der Stadt zugezogen werden sollte auf unseres jungen Doktors Wunsch, falls der Zustand sich 285 verschlimmern würde. Erschrocken fragte ich Vater: ›Fährt der Wagen in die Stadt zum Arzt?‹
»Da antwortete er zögernd und sah an mir vorüber: ›Nein, der Baron ist eben abgereist. Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit – ich habe ihm gekündigt zum ersten April.‹
»Ich starrte ihn an, als ob Tod und Leben abhingen für mich von dem, was er noch erläuternd hinzufügen werde. Aber er schwieg und starrte noch ein Weilchen auf die Kranke, dann faßte er meine Hand, drückte sie und ging schwerfällig in die Wohnstube. Und nun wußte ich es, es war keine Hoffnung mehr für meine Liebe, er würde nicht zurückkehren.
»Wie unglücklich ich war, brauche ich dir nicht zu schildern, ich meine, du hast dasselbe durchgemacht, – ich habe es dir wohl angesehen und ich habe aufs neue mit dir gelitten, denn ob man seine Liebe auf diese oder jene Weise verliert, ist ja gleichgültig, der Schmerz bleibt derselbe, gutes Kind. –
»Wie ich die folgenden Wochen überstand, weiß ich nicht mehr. In mir war alles tot, einzig und allein die Sorge um die Kranke hielt mich aufrecht.
»Ein paar Nächte kamen, da mußten wir glauben, sie werde uns genommen. Doktor Bodenstedt saß unermüdlich in dieser Zeit am Bett meiner Mutter, ich zu Füßen, er zu Häupten, gemeinsam betteten und beruhigten wir die Kranke, wir flüsterten uns unsere Wahrnehmungen zu, und wenn die Kompressen gewechselt wurden, berührten sich unsere Hände. Ich hatte alles dessen nicht acht, ich sah nicht seine langen teilnehmenden Blicke, nicht, daß er viel mehr opferte an Zeit und Muße, als er nötig gehabt hätte, wenn er als Arzt, nur als Arzt bei uns gewesen wäre, ich sah nicht, wie er erregt wurde, als ich wie von Sinnen schluchzte, bis er dann endlich freudestrahlend meine Mutter für gerettet erklärte. Ich stürzte vielmehr vollkommen aus den Wolken, als gegen Weihnachten zu – ein verschneiter Dezembertag war es und Mutter ging zum ersten Male mit matten Schritten, das Schlüsselkörbchen am Arm, durch die Zimmer – mein Vater zu mir an den Nähtisch trat und mir sagte: ›Doktor Bodenstedt hat bei mir um deine Hand angehalten. Überlege es dir, du hast 286 Zeit bis morgen, liebes Kind. Zieh in Erwägung, wie viel Dank wir ihm schulden, und auch das, daß zum Frühjahr deine Eltern, wiederum dem Zufall preisgegeben, eine Stellung suchen müssen, und daß es ein Trost für uns sein würde, dich in den besten Händen und für dein ganzes Leben versorgt zu wissen.‹ Es hatte sehr bekümmert und bedrückt geklungen. Schon im Begriff, aus der Stube zu gehen, fügte er hinzu: ›Von Zwang ist natürlich keine Rede, du sollst selbst bestimmen.‹
»Das wurden die schwersten Stunden, die ich je erlebt habe. Ich nahm ein Tuch um und wanderte in den schneetiefen Gartenwegen umher, um nur allein zu sein, um denken zu können. In mir schrie alles ›Nein‹. Ich hatte dem entsagen müssen, den ich liebte, und hatte mich gefügt. Aber einen Mann nur zu nehmen, damit ich eine Versorgung hätte – nein, das nicht! Ich wollte arbeiten und selbst für mich sorgen, und wie so vielen anderen, würde das gewiß auch mir gelingen.
»Als wir wie sonst Abends bei der Lampe saßen, faßte ich mir ein Herz und sagte den Eltern, es sei mir unmöglich, den Doktor zu heiraten, da ich ihn wohl achten, aber nie lieben könnte.
287 »Sie antworteten beide nicht, ich sah nur, wie ihre lieben Gesichter sich verfinsterten, die eben noch ein wenig hoffnungsfroh gewesen waren. Aber sie hatten kein Wort der Mißbilligung für mich. Mein Vater nahm anderen Morgens seine Mütze und ging aus. Er wollte, wie ich von unserer alten Margaret erfuhr, dem Doktor die Absage selber bringen.
»Nun schlichen die Tage einförmig dahin.
»Ich hörte die Eltern sprechen von diesem und jenem, sah, wie mein Vater sich besorgt über die Zeitung beugte oder die Briefe las, die er bekam, wie er den in der letzten Zeit so grau gewordenen Kopf schüttelte und meiner Mutter die Schreiben brachte, die sie nach Lesung ebenfalls traurig wieder hinlegte. Eines Tages hörte ich, wie sie sagte: ›Nein, das geht nicht mehr weiter so, wir ziehen in die Stadt und nehmen Pensionäre vom Gymnasium, damit hat sich schon mancher durchgebracht.‹ Da ich zufällig hinter Mutters Stuhl stand, fing ich einen Blick auf aus meines Vaters Augen und vernahm die tonlosen Worte: ›In die Stadt!‹
»Was da alles drin lag für mich, die ich ihn kannte!
»Als ob er es aushalten würde ohne freie Luft, ohne Garten, ohne seinen täglichen Gang durch den Buchenwald, der seine einzige Erholung war! Als er hinausgegangen war, fragte ich Mutter: ›Findet sich denn keine passende Stelle?‹
»›Nein!‹ antwortete sie. ›Eine einzige war günstig, aber da soll der Administrator unverheiratet sein, oder wenigstens ohne Familie. Aber es ist ja noch immer Rat geworden, Helene, es wird auch diesmal wieder werden,‹ setzte sie leiser hinzu. ›Wenn der Vater sich nur nicht immer um dich so große Sorgen machte! Für die Jungens ist ja gesorgt. Die schlagen sich schon durch. Aber ein Mädchen! Das läßt ihm keine Ruhe!‹
»Bald darauf fuhren die Eltern gemeinschaftlich nach der drei Stunden entfernten Stadt, um beim Direktor des Gymnasiums Erkundigungen einzuziehen über Pensionspreise und ihn zu bitten, ihnen einige Schüler zum April zuweisen zu wollen.
»Ich blieb allein zu Haus an einem windigen, naßkalten Februartage, in trauriger, schwer gedrückter Stimmung.
288 »Ich wollte den Eltern so gern helfen, ihre Sorgen vermindern, aber wie konnte ich das mit meinem guten Willen und meinen geringen Kräften? Dazu mußte etwas Entscheidendes geschehen, eine Radikalkur, ein Bollwerk gegen etwaige Rückfälle in meine Liebe, ein Abbrechen aller Brücken hinter mir. Plötzlich sprang ich auf und lief die Hände ineinandergewunden im Zimmer umher, beherrscht von einer Idee, die aufgetaucht war in meinem Kopf und mein Denken so gebannt hielt, daß ich unfähig wurde, sie näher zu erwägen, zu prüfen. Alles in mir drängte zu dem Bringen eines Opfers.
»›Margarete,‹ sagte ich heiser zu der alten Dienerin, die eben eintrat, ›ich glaube, ich bin krank.‹
»›Gott, erbarme dich!‹ schrie die Alte. ›Sie werden doch nicht auch den Typhus bekommen?‹
»›Ich weiß nicht, mir ist schlecht.‹ Ich log nicht, ich zitterte und die Schweißtropfen standen mir auf der Stirn.
»›Kommen Sie, legen Sie sich, ich schicke um den Doktor, Fräulein Helenchen.‹
»›Ja, ja, tue es‹ stieß ich hervor. Dann setzte ich mich, unfähig, aufrecht zu bleiben, in Vaters Lehnstuhl am Ofen. Margarete lief hinaus, so schnell sie vermochte. Dann hörte ich sie in der Küche klappern mit ihren Pantoffeln und dort am Herd das Feuer schüren. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich dachte, ich lauschte nur hinaus.
»Würde er kommen?
»Was sollte ich ihm sagen?
»Es war so schwer! Er hatte sich vielleicht schon getröstet, war schon auf neuem Freiersgang um eine andere. Herr Gott, es war doch auch unglaublich, was ich vorhatte! Aber ich sah keinen anderen Ausweg als diesen, um meinen Eltern zu helfen. Es blieb mir ja immer die Wahl: ich konnte schweigen, ihn nur als Arzt sehen. Die Phrase: Wenn Sie noch so denken wie vor wenigen Wochen und Ihnen der gute ehrliche Wille genügt, Sie lieben zu wollen, versuchen zu wollen, Ihnen eine gute treue Frau zu sein – brauchte ich ja nicht zu sagen, – ich brauchte ja nicht –
291 »Ein rasches Klopfen an der Tür, dann ward sie geöffnet, Doktor Bodenstedt trat ein.
»Er kam ruhig und freundlich näher, mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht. ›Sie sind die Patientin, Fräulein Helene?‹ Ich konnte nicht antworten, die Zähne klapperten mir leise aufeinander, er griff nach meinem Handgelenk, zog die Uhr heraus und zählte die Pulsschläge.
»Kopfschüttelnd sah er mich an.
»›Haben Sie eine Alteration gehabt?‹ fragte er.
»Ich weiß nicht, mit welch jämmerlichem Blick ich ihn angesehen haben muß! Er zog einen Stuhl heran, setzte sich neben mich und sagte: ›Haben Sie doch Vertrauen zu mir, ich kann Ihnen sonst nicht helfen.‹
»›Ich habe das größte Vertrauen,‹ stieß ich hervor, ›aber es wird mir schwer, zu sprechen.‹
»›Sie müssen denken, ich wäre Ihr Bruder,‹ redete er einfach zu. ›Beichten Sie mir ganz vertrauensvoll. Ist's etwa um die Eltern? Hat der Baron Ihnen wieder das Herz schwer gemacht?‹
»›Der Baron? O, Sie wissen –‹
»›Alles. Ihr Vater hat es mir erzählt, als –‹
»›Nein, nein, nicht der Baron!‹ fuhr ich auf, ›das ist vorüber –‹
»›Vorüber – wirklich?‹
»›Ja, ja‹
»›Und nun wollen Sie mir etwas mitteilen?‹
»›Ja, aber ich kann doch nicht –‹
»›Soll ich fragen?‹
»›Ja –‹
»›Wollten Sie mir sagen: Ich habe mich übereilt, als ich den einfachen Doktor mir nichts dir nichts abwies?‹
»›Nein, das nicht, ich konnte nicht anders – damals. Aber jetzt ist etwas geschehen, das heißt, ich habe etwas erfahren, das mich Vaters Weigerung verstehen läßt – und da wollte ich – ich wollte –‹
»›Sie wollten mich fragen: Denken Sie noch an mich?‹ half er.
292 »Ich nickte.
»›Dann antworte ich Ihnen: Ja, Helene, ich habe Sie unaussprechlich lieb, und ich will geduldig werben um Ihre Neigung. Schenken Sie mir nur vorerst Ihr Vertrauen, Ihre Freundschaft!‹
»›Aber wenn es mir nie gelingt, Sie zu lieben,‹ unterbrach ich ihn erschrocken über die Kürze des Verfahrens.
»Er lächelte ein wenig traurig. ›Wir wollen es der Zukunft überlassen. Vielleicht gelingt es Ihnen doch, vielleicht steckt meine Seele die Ihrige ein wenig an, wenn es nämlich wahr ist, daß die Liebe eine Art Krankheit ist.Und ich glaube fast, ich bin unheilbar.‹
»›Wollen Sie es daraufhin wagen? Auch wenn ich Ihnen sage, daß ich vorläufig über nichts verfüge als über einen ehrlichen guten Willen?‹
»›Ja, Helene, geben Sie Ihre Hand! So, ich danke Ihnen. Und für Ihre Offenheit danke ich Ihnen ganz besonders, und nun –‹
»›Und jetzt, bitte – gehen Sie fort, gehen Sie fort!‹ bat ich mutlos bis zum Äußersten, als die Würfel gefallen waren.
»›Ja, jetzt gehe ich, und wenn die Eltern kommen, grüßen Sie sie. Morgen früh bin ich wieder da und hole mir ihre Einwilligung.‹ Und bei diesen Worten zog er mich herzhaft an sich und küßte mich auf den Mund.
»Dann lief er wie ein Junge zur Tür hinüber, rannte 293 Margarete, die mit einer Tasse Lindenblütentee über die Schwelle kam, beinahe um, erklärte ihr in aller Eile, ich solle keinen Tee trinken, er habe schon Sympathie gebraucht, und fort war er.
»Margarete sah ihm nach. ›Der ist wohl toll geworden?‹ murmelte sie, ›oder hat getrunken.‹ Sie hatte den ernsthaften Menschen kaum wieder erkannt. Und wie sie dann vor mir stand, fragte sie: ›Wie sehen Sie denn aus, Fräulein? Sie bebbern ja man so.‹
»Da hielt ich mich nicht länger und begann zu weinen, wie ein kleines Kind, unbändig, trostlos. Und in diesem Augenblick kamen die Eltern wieder.
»Sie umstanden mich mit ängstlichen Gesichtern, versorgt und vergrämt, denn ich merkte es ihnen an, sie hatten in der Stadt nichts ausgerichtet. Und nun mein unverständliches Wesen obenein! – Da hielt ich mich denn nicht länger und spielte meinen Trumpf aus: ›Ich habe mich mit Bodenstedt nun doch verlobt, Mutter, ich glaube, ich habe ihn doch recht gern – und –‹
»Meine Mutter sah förmlich erschrocken aus, aber mein Vater – nie habe ich über eines Menschen bleiches Gesicht so die Freude aufgehen sehen. Und das allein hielt mich aufrecht in der schweren Zeit meiner Brautschaft. Die Vorbereitungen zur 294 Hochzeit flößten mir anfangs ein Grauen ein, später ließ ich alles beinahe apathisch geschehen. Die Eltern wünschten rasche Heirat, sie hatten sich ein bescheidenes Quartier am Ende des Dorfes gemietet mit der Aussicht auf die Berge und den Wald. Mein Bräutigam hatte das Haus gekauft inmitten des Ortes, in dem wir heute waren. Es war wünschenswert, daß die kleine Feier noch in den größeren Rentmeisterräumen stattfand, und so sollte Mitte März die Trauung sein. Es kam auch alles ganz programmmäßig, ich hatte sogar zwei Brautjungfern. Pastors Cäcilchen hatte mir großmütig vergeben, daß ich dem Doktor besser gefiel als sie, und dann meine junge Schwägerin, eure Tante Minna, die damals ein reizendes junges Mädchen war.
»Der Herr Pastor hielt eine schöne Rede, in der von wahrer, tiefer Liebe die Rede war, so daß ich im Gefühl meines störrischen Herzens zu zittern begann, als sei ich ein ganz verworfenes Geschöpf. Ich sagte mir nur immer zum Troste, er weiß es ja, ich habe ihm nichts geheuchelt, ich will ihn ja lieben lernen, ich spreche also keine Lüge, wenn ich Ja sage und gelobe, daß uns nur der Tod scheiden solle, daß ich ihm treu sein werde.
»Nun folgte das festliche Essen, das gar sehr einfach war, und dann führte mein junger Mann mich heim.
»Ich erzählte euch schon, daß er fortgeholt wurde und erst am Morgen wiederkam, wo er mich mit verweinten Augen fand.
»Ich bin auch nicht froher geworden in der nächsten Zeit, und nur die Wahrnehmung, daß meine lieben Eltern ruhiger geworden waren, hielt mich aufrecht. Ihre Sorgenlast war durch meine Verheiratung weniger schwer geworden, und mein Mann verschaffte ihnen auch in der zartesten Weise, ohne daß der Vater etwas davon merkte, alle möglichen Erleichterungen.
»Als aber der Juni kam und ich eines Tages von Cäcilie erfuhr, der Baron sei wiedergekommen, da stand es schlimm mit mir.
»Eine sonderbare Unruhe hielt mich in ihrem Bann. Ich irrte 295 in meinem kleinen Hause umher wie eine arme Seele, welche die rechte Bahn verlor und sich nicht heim finden kann.
»Als ich dann zu meinem Schrecken noch bemerkte, daß der Baron zuweilen an unserem Hause vorbeischritt und das Fenster musterte, an dem ich hinter Blumenstöcken und Gardinen versteckt zu nähen und zu lesen pflegte, zog ich die Rouleaus nicht mehr auf in diesem Zimmer und hielt mich in der Stube meines Mannes auf.
»Und doch geschah nichts von seiner Seite, keine auch noch so kleine Annäherung. Es war nur mein eigenes Herz, das ich fürchtete, das sich nicht abweisen ließ mit seiner Behauptung: Er liebt dich noch ebenso, er trauert um dich, er kann dich nie vergessen, so wenig wie du ihn.
»Euer Vater fuhr damals fast jeden Nachmittag auf Praxis und kam erst Abends heim, oft sogar erst spät in der Nacht. Er wurde geholt bis in die höchsten Gebirgsdörfer.
»Zuweilen bat ich die Mutter, mich während solchen langen Alleinseins zu besuchen, oder ging zu den Eltern. Mitunter lud ich auch Pastors Cäcilie ein, die ganz die alte war, seitdem sie ein neues Interesse hegte, das dem unverheirateten Nachfolger meines Vaters galt. Sie saß häkelnd und schwatzend neben mir, und ich war, ohne daß ich mich sehr beteiligte an dem Gespräch, schon beruhigt, daß ich einen Menschen neben mir hatte, der von meinen Seelenkämpfen nichts ahnte.
»An einem entsetzlich schwülen Junitage, an dem mein Mann nach Priesenrode gefahren war, am zeitigen Nachmittag, schickte ich nach Tisch das Mädchen in die Pfarre und ließ Cäcilie zu mir bitten. Eine Unruhe, viel größer noch als sonst, war über mich gekommen.
»Sie erschien denn auch bald in einem rosa Kleide und in strahlender Laune, eine Rose im Gürtel, bereit, sich über alles und nichts mit mir zu unterhalten. Da es unmöglich war, bei der sengenden Glut im Garten zu sitzen, zogen wir uns in mein Zimmer zurück, in dem ich es durch geschlossene Läden einigermaßen kühl gehalten hatte, und dort saßen wir uns gegenüger und tranken Kaffee und Cäcilie schwatzte von dem neuen 296 Rentmeister. Sie vertraute mir sogar an, daß sie mit ihm ein Stelldichein an dem Pförtchen in der Parkmauer gehabt habe und daß Robert, sie nannte ihn schon beim Vornamen, ihr erzählt habe, wie sehr ausgezeichnet er sich mit seinem Herrn, dem Baron, stehe. Der sage eigentlich zu allem, was er verlange, ja. Der Baron brüte so vor sich hin, säße bis in die Nacht im Garten oder gehe auf die Birsch, – augenscheinlich sei ihm die ganze Wirtschaft einerlei. ›Und siehst du, Helene,‹ schloß sie, ›das ist alles nur deshalb, weil er verliebt ist.‹
»Bei diesen Worten fühlte ich, wie ich ein starkes Zittern kaum beherrschen konnte. Wenn sie doch ginge, wenn du doch endlich allein wärst, dachte ich, denn ich fürchtete, meine Aufregung zu verraten. Aber sie bemerkte nichts, sondern blieb ruhig da und fuhr fort, gemütlich zu schwatzen.
»Endlich, gegen sechs Uhr Abends – es war ein Gewitter aufgezogen, das schon den ganzen Tag gedroht – sprang Cäcilie plötzlich auf. ›Um Gottes willen, das Wetter kommt!‹ schrie sie, griff nach ihrem Hut und stürzte aus der Tür, um das schützende elterliche Dach noch vor Ausbruch des Wetters zu erreichen.
»Ein starker Windstoß warf plötzlich Tür und Fenster zugleich zu, daß es schütterte. Eine Schar weißer Tauben schoß 297 vor dem Fenster vorüber, vom Sturm seitwärts getrieben, grell sich abhebend von der einbrechenden Finsternis. Eine Wolke von Staub verhüllte dann die Straße, und während ich ängstlich umherstürzte, um nachzusehen, ob alle Türen und Fenster geschlossen seien im Hause, und das junge Dienstmädchen mit kreideweißem Gesicht mir nachschlich, brach ein Unwetter los, wie ich es nie wieder erlebt habe. Hagelkörner groß wie Taubeneier, Blitz auf Blitz, Donner auf Donner.
»Auf einmal in einer Pause, die das tosende Wetter machte, als schöpfte es Atem zu erneutem Toben, drang eine zeternde Stimme durch das vom Hagel zertrümmerte Fenster, ein eilig laufendes Weib auf Holzpantoffeln hatte geschrien: ›Vom Blitze getroffen mitten auf der Landstraße!‹ Andere laufende Menschen folgten. Ich aber sank plötzlich nieder auf den nächsten Stuhl, ein furchtbares, unabweisliches Gefühl in mir sagte: Dein Mann – das ist dein Mann!
»Wie eine Vision greifbar deutlich stand die einsame, regenüberschwemmte Landstraße vor meinen Augen mit den sturmgepeitschten Bäumen zur Seite und auf ihr das zertrümmerte Gefährt, das tote Pferd, der tote Mann. Und in diesem Augenblick ward mir bewußt, wie furchtbar das für mich sei, wie ich ja ohne ihn nicht mehr leben könnte, wie lieb, wie herzlich lieb ich diesen einfachen pflichttreuen Mann hatte, immer gehabt hatte – ohne zu wissen! Alles andere war plötzlich verblichen vor dem schrecklichen Gedanken, daß er mir genommen sei, bevor ich ihm gesagt, wie ich ohne ihn, ohne meinen treuesten Freund, mein Leben mir nicht weiter denken könnte.
»Unwillkürlich falteten sich meine Hände zum Gebet. Lieber Gott, laß ihn mir, laß ihn mir! Aufstöhnend legte ich meinen Kopf auf den Tisch in meine verschränkten Arme, und in das Toben und Tosen des Gewitters scholl mein fassungsloses Schluchzen.
»Ich hatte es überhört, daß ein Wagen kam, daß bald darauf meine Tür ging, ich fuhr erst empor, als seine Stimme mein Ohr traf: ›Aber Helene, ängstigst du dich denn so sehr?‹ Und da lag ich im nächsten Augenblick an seiner Brust, und meine 298 Arme klammerten sich um seinen Hals. ›Ja, ja!‹ schrie ich fassungslos ihm zu, ›um dich, um dich!‹
»›Um mich?‹ Er fragte es ganz ungläubig staunend. ›Sag's noch einmal, Helene, um mich?‹
»Ich konnte nicht mehr sprechen, ich nickte nur heftig.
»›Helene, du hast mich also doch lieb?‹ fragte er leise. Und da nickte ich noch einmal.
»Wie ich das alles hier so erzähle, das gibt kein Bild von dem, was in mir vorging. Als habe die Liebe für euren Vater schlafend gelegen in meinem Herzen, als habe die Angst um ihn sie plötzlich aufgerüttelt, daß sie dastand wie eine Streiterin, die rief: Platz für mich, ich bin da, nichts andres hat Raum neben mir! – so war es in mir.
»Und dann drängte ich ihn in sein Zimmer, daß er sich trocken kleiden sollte, und lief in die Küche und bereitete Tee für ihn.
»Wie wir dann ein Weilchen später an dem Tisch saßen, lächelte die Sonne am klaren Himmel. Arg hatte das Wetter getobt. Ein Mann, der sich vom Felde nach dem Dorf retten wollte, war auf der Straße vom Blitz getroffen worden. Die Obsternte war vernichtet, die lieben Blumen lagen alle zerschlagen auf der Erde, unser Gärtchen glich, wie alles rund umher, einer Wüste. Aber über den Bergen stand ein Regenbogen, 299 und wir sahen zu ihm hinüber Hand in Hand. Unser Glück war erblüht unter ihm und ist mir treu geblieben bis zu dieser Stunde! –
»Wie es dann weiter kam, wie Vater das Dorf zu eng wurde für seine Tätigkeit, wie wir nach I. übersiedelten, wie er dort nach und nach zu der größten Berühmtheit der Universität wurde, das hast du ja eigentlich alles miterlebt. Du hast einen großen, seltenen Mann als Vater, Kind!
»Glaube und vertraue ihm nun auch in der traurigen Sache, die wir leider nicht von dir abwenden konnten. Du bist noch jung, und das Glück macht zuweilen auch Umwege, wie Vater scherzend sagt. Man glaubt, es oft für immer verloren zu haben, und plötzlich zeigt es sich, wo man es nie vermutete. Man kann auch lieben lernen, kann von der starken Liebe eines anderen so ergriffen werden, daß man sie zuletzt teilt und glücklich dadurch wird. Aber behüte mich Gott davor, dir zureden zu wollen! Man muß das in sich selbst, im eigenen Herzen erfahren.«
Und dann küßten sich Mutter und Tochter und suchten ihr Lager auf.
Am anderen Tage wanderten sie noch einmal alle drei in das kleine Doktorhaus und die junge Braut meinte: »Gott sei Dank, Mama, daß man heute nicht mehr so entsetzlich primitiv zu wohnen braucht. Mir ist unser hübsches Quartier schon lieber. Es hat einen Erker und das Herrenzimmer ist mit Eiche getäfelt. Armes Muttel, du dauerst mich heute noch. Weiße Dielen! Es muß ja entsetzlich gewesen sein!«
»Aber das Glück ist darüber geschritten mit leisen Füßen, das liebe einfache Glück von dazumal. Ich wollte, ein ähnliches zöge mit dir ein in deine feinen Stuben, Lori!«
Die ernsten Augen von Anne Dore suchten die der Mutter.
»Das liebe, einfache Glück!« wiederholte sie leise. Auch sie will es einladen in ihr Haus dereinst. Sie hofft, daß es noch kommen und wohnen wird mit ihr und einem, der sehnsüchtig an sie denkt und dem Anne Dore so gar keine Hoffnung gemacht hatte hisher.
300 »Du lächelst ja, Anne Dore! Mutter, sieh doch, Anne Dore lächelt!« rief Lori verwundert.
Und sie stand über und über erglühend, die schöne Anne Dore, und die Mutter rief: »Nun kommt, wir wollen auf den Kirchhof zu den Großeltern und dann auf den Bahnhof! Ich weiß, wir werden alle drei sehnsüchtig erwartet.«