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Sechstes Kapitel
Die Revolte der Masken

1.

Um die Zeit, als Ingjald Illrada König in Schweden war und den Frieden in Värmeland herzustellen trachtete, deutete ein zeitgenössischer Chronist seine Schwierigkeiten mit den Worten an: Inmitten all dieser Siege hatte sich in Nord-Dalekarlien eine drohende Wolke über dem Haupte des Königs geballt. Philipp Collins Chronist kann nichts besseres tun, als diese berühmten Worte zu zitieren, wenn er nun daran geht, zu schildern, was Herrn Collin im Januar 1911 widerfuhr, kurz nach der Affäre mit Herrn Simonides in Korfu.

Philipp und sein getreuer Knappe, Herr Lavertisse, waren via Griechenland weiter südwärts gereist, sie hatten allerhand Menschen gesehen und kennengelernt und waren so allmählich in Kairo in Ägypten gelandet. Unterwegs hatten sie ein paar Erlebnisse gehabt, eines auf Kreta, das die Wahrheit des alten Sprichwortes bestätigte: alle Kretenser lügen; und eines in Alexandria mit einem italienischen Antiquitätenhändler, der Herrn Lavertisse für einen gewöhnlichen Touristen hielt, anstatt einen der hervorragendsten Spezialisten Europas in seinem eigenen Fach. Ein paar Tage nach dieser letzten Affäre kam Philipp Collin mit einem Telegramm in der Hand in das Zimmer seines Freundes.

»Allah ist groß, Lavertisse, und die Welt ist noch voll von den merkwürdigsten Ereignissen. Kennen Sie einen Lord Purbrook?«

»Nicht, daß ich wüßte.«

»Folglich ist Ihnen auch nicht bekannt, von welcher Möbelfirma er seine Schlösser in Irland einrichten läßt?«

»Sind Sie verrückt, Professor? Was meinen Sie?«

»Sie werden es in einer Minute verstehen. Sie wissen, daß wir im November aus England abreisten, um ein bißchen frische Luft zu schnappen und den Detektiv Kenyon nicht allzuoft zu sehen.«

»Das weiß ich. An Bord der Medusa.«

»Nun ja. Aber bevor wir abreisten, deponierte unser trefflicher, beleibter Freund Graham alle meine Effekten in Bakers Lagermagazin in London. Um unnötige Aufmerksamkeit zu vermeiden, sollte er dies unter einem anderen Namen tun als dem, unter dem wir uns offiziell berühmt gemacht haben. Phantasievoll und ein bißchen snobbistisch, wie der gute Graham nun einmal ist, entschied er sich für einen aristokratischen Namen.«

Herr Lavertisse stieß einen Pfiff aus.

»Haha! Lord Purbrook! Jetzt erinnere ich mich.«

»Und in diesem Telegramm, das ich vor zwei Minuten erhielt, benachrichtigt er mich nun, daß unsere sämtlichen Besitztümer, die Früchte jahrelanger mehr oder weniger unredlicher Mühen, kurz nach Neujahr von keinem Geringeren abgeholt wurden, als Lord Purbrook selbst!«

Herr Lavertisse starrte seinen Freund und Arbeitgeber betroffen an.

»Alle unsere – – wie meinen Sie das? Was hat er da angestellt? Gibt es denn überhaupt einen Lord Purbrook?«

»Ich meine genau das, was ich sage, und es gibt einen Lord Purbrook. Ich erinnere mich noch, daß ich Graham danach fragte, als er über seine Maßnahmen Bericht erstattete. Und Graham antwortete: ›Er existiert, und er ist der geizigste Lord in ganz Irland. Ich bin auf seinem Gut geboren. Er ist über siebzig Jahre alt; von dem brauchen wir nichts zu befürchten.‹«

»Da haben wir nun die Bescherung! Lieber Gott, Professor, daß Menschen im Alter von siebzig Jahren so sein können!«

»Empörend, nicht wahr, Lavertisse? In diesem Alter, das man das ehrwürdige nennt, und wo man damit beschäftigt sein sollte, seine Memoiren zu schreiben und alles zu tun, um das Leben wie einen schönen Sonnenuntergang erlöschen zu lassen und sorgsam seine letzten Worte vorzubereiten! Und das ist das Alter, das ein Mensch wie Lord Purbrook geeignet findet, zwei arme Schlucker wie Sie und mich um alles zu bestehlen! Mit Recht sagt ein Landsmann von Ihnen: nur wenige Leute verstehen es, alt zu werden!«

»Ja, aber wie ist das zugegangen? Wie kann er es wagen? Was gedenken Sie zu tun?«

»Sie müssen zugeben, daß die Situation ein wenig verzwickt ist? Wenn man einen gewöhnlichen Menschen bestiehlt, geht er zur Polizei. Aber wenn ich und Sie zur Polizei gehen – na, reden wir lieber von etwas anderem! Eines ist sonnenklar, wir müssen nach England zurückreisen und unsere Gegenaktion augenblicklich beginnen. Heute nachmittag geht ein Dampfer von Alexandria ab. Ich habe Graham schon telegraphiert, daß wir kommen.«

»Aber wie in aller Welt glauben Sie, ist das zugegangen?«

»Ich denke mir, es wird sich so abgespielt haben: Graham hat vergessen, die Miete für die Sachen bei Bakers zu entrichten, und Bakers haben den Lord, unter dessen Namen sie deponiert waren, direkt benachrichtigt. Er hat sich eingefunden, den Zusammenhang ganz oder teilweise verstanden und ohne weiteres Beschlag auf die Beute gelegt. Dann kam Graham und entdeckte das Ganze und mußte bis auf weiteres gute Miene zum bösen Spiel machen. Das ist zum mindesten eine Erklärung.«

» By Jove, ja. Sie haben sicherlich recht! Sie haben einen Kopf! Hol' der Teufel diesen Graham, wie kann man auch –«

»Nun, nun, Lavertisse. Wir können alle kleine Irrtümer begehen. Mein Gott, ja. Packen wir die armseligen Siebensachen, die wir übrig haben, und reisen wir heim, dann werden wir schon sehen, ob wir nicht mit diesem weißhaarigen Verbrecher fertig werden.«

Es war ein sehr reuiger und zerknirschter Mr. Graham, der Philipp und Lavertisse empfing, als sie Montag, den 17. Januar 1911 nach London kamen. Die Begegnung fand in der diskreten Wohnung statt, die Mr. Graham innehatte, seit das Interesse des Detektivs Kenyon für Philipp und seine Freunde so stark geworden war, um Philipp auf die Idee einer Reise ins Ausland zu bringen. Mr. Grahams von Natur phlegmatisches und feistes Gesicht war bekümmert, ja geradezu gefurcht, und seine Zigaretten – die duftstärksten des Marktes – gingen ihm unaufhörlich aus.

»Professor, ich werde verrückt, wenn ich nur daran denke, was ich da angerichtet habe! Und dieser alte Schuft! Daß er sich nicht schämt, so etwas zu tun! Sie wissen, es war anfangs November, als ich die Sachen bei Bakers deponierte. So wahr Gott mir helfe, ich glaubte, in dem Mietkontrakt stehe, die Miete sei jeden dritten Monat zu erlegen, und ich war also der festen Meinung, daß ich bis anfangs Februar bezahlt hatte. Aber diese elenden Bakers rechnen nur nach Kalenderquartalen, und alles, was ich bezahlt hatte – und das war nicht wenig –, reichte nur bis zum 1. Januar. In der ersten Januarwoche war ich von London abwesend – das war damals, als Sie in Korfu waren und mir wie besessen immerzu telegraphierten – und kam erst am 12. zurück. Da fand ich eine zehn Tage alte Verständigung von Bakers, daß die Depotgebühren abgelaufen seien und in längstens einer Woche beglichen werden müßten. Ich stürzte mit Geld versehen zu ihnen hin, aber sie schauen mich ganz erstaunt an und sagen: ›Wofür wollen Sie denn bezahlen? Ihr Herr hat das Ganze selbst geordnet.‹ – ›Was hat er?‹ stammle ich. Ich dachte nämlich, er meinte Sie, Professor, und begann Sie schon für allwissend zu halten. – ›Ihr Herr, Lord Purbrook, hat selbst alles geordnet. Sie brauchen sich nicht weiter zu bemühen. Gestern hat Seine Lordschaft die letzten Sachen holen lassen.‹ Sie hätten mich sehen sollen, Professor, ich machte, Gott helfe mir, ein dümmres Gesicht als ein Zirkusclown. › Sei – Seine Lordschaft hat gestern das Letzte holen lassen!‹ war alles, was ich hervorbringen konnte. Und Bakers, die vermutlich glaubten, daß sie es mit einem Idioten zu tun hätten, was ja auch der Fall war, schnauzten mich ohne weiteres an: ›Ja, Sie hören doch, was wir sagen. Lord Purbrook hat die Miete beglichen und alle Sachen auf sein Gut in Irland expedieren lassen. Sie können ihn ja selbst fragen, wenn Sie uns nicht glauben – und jetzt müssen Sie schon entschuldigen, aber wir sind pressiert. – Ach du mein grundgütiger Schöpfer‹« –

»Nana, Graham! Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen. Wir können alle kleine Fehltritte begehen. Mein Gott, ja! Lassen Sie mich nur eine halbe Stunde über die Sache nachdenken. Da sind ein paar Punkte, die –«

Philipp Collin verstummte und begann mit emporgezogenen Augenbrauen die Wand von Mr. Grahams Wohnzimmer zu fixieren. Es verstrich eine halbe Stunde, dreiviertel Stunden, ohne ein sichtbares Resultat seiner Denktätigkeit. Der Rauch von Mr. Grahams Zigaretten legte sich wie ein Trauerschleier über die Bühne. Endlich erhob Philipp seine Stimme:

»Wie lange ist es her, seit Sie wieder in London sind, Graham?«

»Heute ist der 17. – fünf Tage.«

»Haben Sie viele Bekannte getroffen?«

»Keine Menschenseele.«

»Nicht einmal ihn

»Wen? Kenyon? Den Detektiv?«

»Ja.«

»Nein – das heißt, warten Sie! Getroffen habe ich ihn wohl nicht, aber daß er in London ist, weiß ich. Ich kam vorgestern durch seine Straße und sprach mit dem Mann, der die Bar an der Ecke hat. Er ist in London.«

»So? Das ist ausgezeichnet. Und Sie kamen nicht vielleicht auf die Idee, Bakers zu fragen, ob Lord Purbrook allein war, als er die Sachen auslöste?«

»Allein? Was um Himmels willen meinen Sie, Professor?«

»Nur dies. Sie sagten, daß Lord Purbrook geizig und knickerig ist, und das will ich gerne glauben. Aber wenn der Geiz auch nicht gerade mit der Weisheit Hand in Hand zu gehen pflegt, so pflegt er doch oft in Gesellschaft einer Portion Schlauheit aufzutreten. Und darum wäre es gut, zu wissen, ob Lord Purbrook allein war, als er die Sachen auslöste.«

»Erklären Sie sich doch, Professor! Reden Sie nicht in solchen Orakelsprüchen!«

»Mir scheint, die Sache ist überaus einfach. Lord Purbrook, der ein Geizhals von etwa siebzig Jahren ist, wird plötzlich von einer Firma benachrichtigt, daß er ohne sein Wissen bei ihr Dinge im Werte von etlichen tausend Pfund deponiert hat, für welche Dinge sie Depotgebühren verlangen. Was geschieht nun? Zuerst glaubt er, daß sie sich einen Spaß mit ihm erlauben und ist schon im Begriff, ihnen zu schreiben, daß sie sich zu allen Teufeln scheren sollen. Dann sagt er sich, daß eine große Firma wie Bakers doch schließlich etwas anderes zu tun hat, als die Leute anfangs Januar in den April zu schicken. Sollte es ein Irrtum in der Person sein? Ausgeschlossen, da der Name Lord Purbrook in England einzig ist. Also ist es wahrscheinlich, daß irgend etwas dahintersteckt, etwas Mystisches. Und was tut man, wenn man etwas Mystisches wittert, das nach Geld riecht? Das kommt darauf an. Ist man neugierig und uneigennützig, so geht man und überzeugt sich und die in Frage kommenden Personen davon. Ist man habsüchtig und wittert eine mögliche Einnahme zwischen sieben- und achttausend Pfund, so ist es denkbar, daß man beispielsweise zu einem Detektiv geht, um das Geheimnisvolle der Sache aufklären zu lassen. Aber in einem solchen Falle geht man nicht zu Scotland Yard, man geht zu einem Privatdetektiv.«

»Grundgütiger Himmel, Professor! Sie glauben, daß er zu Kenyon gegangen ist?«

»Kenyon? Hm. Das ist wahrscheinlich und wieder nicht wahrscheinlich. Es ist in diesem Falle unwahrscheinlich, da Kenyon gerade unser Antagonist ist und es doch in London tausend Detektivs gibt. Es ist mehr oder weniger wahrscheinlich, weil einerseits von Kenyon in letzter Zeit mehr gesprochen wurde als von irgendeinem anderen, und er andererseits ein Landsmann des guten Lord ist – sie sind ja alle beide Irländer.«

»Sie werden sehen, daß das Unwahrscheinliche wahr ist, Professor. Lieber Gott! Und was gedenken Sie zu tun?«

»Ich gedenke vor allem in Erfahrung zu bringen, wie alles zusammenhängt. Sie vergaßen, sich bei Bakers zu erkundigen, ob Lord Purbrook allein war. Darum will ich es jetzt bei Kenyon in Erfahrung bringen.«

Lavertisse und Graham sprangen auf und starrten Philipp an, als hätte er ihnen ein Gorgonenschild entgegengehalten.

»Bei Kenyon! Sie gedenken zu Kenyon – zu Kenyon zu gehen und –«

»Und mich zu erkundigen, ob er an der Sache beteiligt ist. Ja, Graham, ganz richtig.«

»Sie sind verrückt, Professor, lichterloh verrückt! Also gut, leben Sie wohl, es wird lange dauern, bis wir uns wiedersehen.«

»Es wird zwei Stunden dauern, lieber Lavertisse.«

Ohne weiteren Wortwechsel verschwand Philipp in Mr. Grahams inneres Zimmer, wo dieser die Utensilien verwahrte, die der Abenteurerberuf erfordert. Nach zwanzig Minuten erschien ein distinguierter älterer Pall-Mall-Herr auf der Schwelle, nickte den beiden Freunden zu, die seinen Gruß zu erwidern vergaßen, und verschwand. Es dauerte genau zwei Stunden, bis er sich wieder zeigte – die Herren Lavertisse und Graham, die alle fünfzehn Sekunden auf die Uhr geschaut hatten, konnten es konstatieren. Er war ein wenig außer Atem, und das erste, was er tat, war, sich einen Whiskygrog zu brauen und ihn auf einen Zug auszutrinken. Dann sank er in einen Fauteuil und betrachtete Lavertisse mit gedankenvoller Miene:

»Sie hätten beinahe richtig prophezeit, Lavertisse. Es hätte wirklich lange dauern können, bis wir uns wiedergesehen hätten.«

»Er hat Sie natürlich erkannt! Was hatten Sie aber auch –«

»Warten Sie ein bißchen! Lassen Sie mich ausreden! Er hat mich nicht erkannt. Ich stellte mich als Lord Peffington vor und bat um seinen Rat in einer höchst seltsamen Affäre. Vor ein paar Tagen hatte ich eine Benachrichtigung von Whites Lagermagazin – ihr wißt doch, die in Tottenham Court Road – bekommen, daß die Miete für eine ganze Masse von mir deponierter Möbel und anderer Effekten abgelaufen sei. Meines Wissens hatte ich jedoch dort nie auch nur soviel wie ein Sofakissen deponiert und – ich kam nicht weiter, unser scharmanter Freund Kenyon schlug mit der Faust auf den Tisch, daß alles dröhnte und sprang von seinem Sessel auf. ›Ja, haben denn diese Schurken ihre Sachen im Namen der ganzen englischen Aristokratie deponiert?‹ rief er. ›Gott sei Dank, daß sie einmal ebenso vergeßlich wie frech waren‹ – nehmen Sie's nicht krumm, Graham! – ›Was meinen Sie, Mr. Kenyon?‹ sage ich. – Nichts anderes, als daß man mir nun schon zum zweiten Male im Laufe einer Woche mit derselben Geschichte kommt! Das vorige Mal war es ein Lord in Irland, der genau dieselbe Verständigung wie Sie von einem anderen Lagermagazin erhielt. Ich half ihm eruieren, wie die Sache zusammenhing. Damals waren die Gegenstände von einem Manne deponiert worden, der Graham heißt und im Dienst eines Professors Pelotard steht, von dem Sie vielleicht nichts gehört haben, der aber vermutlich der größte Schwindler ist, den wir in London haben. Es war nicht eigentlich Diebsgut, sondern Sachen, die sich der Professor für sein erschwindeltes Geld angeschafft hatte, und so überließ ich es dem betreffenden Lord, nach seinem eigenen Ermessen vorzugehen. Er meinte, die beste Strafe für diesen Professor und seine Freunde wäre, wenn sie ganz einfach mit langer Nase abziehen müßten – ich konnte ihm nur lachend recht geben ... Und hier machte ich meine Dummheit, Lavertisse! ›Ach so, Sie waren es, bester Kenyon,‹ rief ich. ›Sie waren derjenige, der den alten Schurken meine Sachen nehmen ließ: Das ist Ihr Dank für die Medusa-Affäre! Nun, merken Sie sich gut, was ich Ihnen sage: in einer Woche werde ich sie zurückhaben – das können Sie Ihrem Freunde, Lord Purbrook, von Lord Peffington sagen, alias Ihrem alten Freund Professor Pelotard!‹ ... Ich gestehe, daß ich daraufhin nicht lange Zeit in seinem Zimmer verweilte, ich schmetterte die Türe zu und stürzte auf die Straße, und ich mußte etliche Hasensprünge vollführen, bevor ich Kenyon los wurde, der sich während der Verfolgung nach einem Schutzmann heiser pfiff. Gott sei Dank, wohnt er ja in einer verkehrsarmen Gegend. Aber ich glaube, wir täten klug daran, unser Quartier zu wechseln, Graham. Haben Sie etwas gegen eine kleine Spritztour nach Irland, um unsere Effekten dort abzuholen?«

»Unsere Effekten abholen? Professor

»Glauben Sie, der Lord wird sie von selber zurückschicken, lieber Graham?«

»Aber – aber wie? ...«

»Ich habe einen kleinen Plan. Ich hatte noch Zeit, mir einige Daten über den guten Lord zu verschaffen. Sie wissen, Lavertisse, daß wir vor einiger Zeit Ihrer Hoheit, der Frau, einen Dienst erwiesen haben. Les petits cadeaux entetiennent l'amitié, wie einer Ihrer Landsleute so richtig sagt – und Sie werden sehen, mit der Frau auf unserer Seite können wir ruhig der Ungerechtigkeit wie der Gerechtigkeit ein Schnippchen schlagen – Lord Purbrook wie Mr. Kenyon!«

2.

Purbrook Hall ist eines der ältesten englischen Schlösser in Irland, von dem Stammvater des Geschlechtes schon zu Cromwells Zeiten erbaut. Es liegt in dem südöstlichen Teil der Insel, in der Grafschaft Wexford, eine halbe schwedische Meile von der Stadt desselben Namens. Wexford ist eine Fabrikstadt, zum größten Teil auf dem Boden der Lords Purbrook erwachsen, zur Befriedigung und Bereicherung dieser Edelleute. Die Bevölkerung dieser Stadt verringerte sich ziemlich stark zur Zeit der großen Auswanderung nach Amerika, nahm aber bald nach der Begründung der Leinenindustrie wieder zu, die nunmehr Wexfords Haupterwerbszweig ist.

Das Geschlecht der Purbrooks hatte schon ein gutes Renommee der Exzentrizität, als der letzte Lord dieses Namens im Jahre 1897 das Gut nach einem kinderlosen Onkel übernahm. Dieser Onkel hatte sich durch eine bis zum äußersten gehende Freigebigkeit gegen alle und jeden bekannt gemacht, ausgenommen seinen Neffen, über den er bis zu seinem letzten Stündlein Äußerungen fällte, die seinen Beichtvater – das Geschlecht war streng katholisch – vor seinen Aussichten drüben erschauern ließen. Er hatte es jedoch nicht verhindern können, daß das Schloß auf seinen Brudersohn überging, weil der einzige Ausweg davor gewesen wäre zu heiraten und seine Ansicht über die Frau in anderen Rollen als der eines dienstbaren Geistes womöglich noch ungünstiger lautete als über seinen Neffen. Doch da ihm diese Möglichkeit verschlossen war, bediente er sich der Auswege, die ihm sonst offenstanden, um seinem Nachfolger das Erbe in möglichst hohem Grade zu schmälern. Dies gelang ihm über alles Erwarten und durch Methoden, die ihn zum populärsten Manne Irlands machten: kein Bettler oder Landstreicher ging ungetröstet von seiner Türe – richtiger gesagt, er ging überhaupt nicht von seiner Türe. Die Anzahl der Tagediebe, die bei seinem Tode auf dem Gute lebte, war ganz unglaublich. Es war infolgedessen ein großes Trauergefolge, das Lord Purbrook in das Grabgewölbe seines Geschlechtes geleitete, und eine vielhundertstimmige Schar von hoffnungsvollen, arbeitslosen Mitbürgern der Stadt grüßte den neuen Lord bei seinem Einzug.

Diese Begrüßung war kurz und unerwidert. Binnen einer Stunde war die ganze Besatzung in wilder Flucht aus ihrer langjährigen Freistatt begriffen, begleitet von Salutschüssen des Lords, wenn sie sich in den Wendungen etwas zu langsam zeigten; und schon am nächsten Tage hatte die Bevölkerung auf dem Gute und in Wexford einsehen gelernt, daß ein Systemwechsel eingetreten war. Kontrakte wurden gekündigt, Mieten gesteigert, Forderungen erbarmungslos eingetrieben. Der neue Lord erwies sich als das gerade Gegenteil seines Vorgängers, in allem bis auf einen Punkt, seinen Gefühlen für das weibliche Geschlecht. Es dauerte nicht viele Tage, so kam es zu offenem Kriegszustand zwischen ihm und dem zahlreichen weiblichen Dienstpersonal des Schlosses, und es dauerte keinen Monat, so waren ihnen samt und sonders die Plätze gekündigt. Der erste Jahreswechsel nach Lord Purbrooks Einzug in das Schloß fand ihn als Herrscher über eine ausschließlich männliche Umgebung – fünf Bediente.

Diese Bemerkungen sind notwendig, um zu erklären, was sich mit Lord Purbrook im Januar 1911 begab.

Lord Purbrook, der das Gut im Alter von etwa sechzig Jahren geerbt hatte, war zu dieser Zeit ein magerer, krummrückiger, graubärtiger einundsiebzigjähriger Herr. Er hatte stechende Augen, buschige, beinahe schnurrbartdicke Augenbrauen und eine einzige Leidenschaft: soviel als möglich zu erraffen und zu besitzen, bevor er das Zeitliche segnete. Er hatte in den ersten siebenundfünfzig Jahren seines Lebens so wenig sein eigen nennen können, daß ein Umschwung das einzige war, das in seinen Augen einigen Glanz hatte. Mit List oder Gewalt war er bestrebt, dieser seiner Leidenschaft zu frönen, und man kann sich daher leicht seine Gefühle anläßlich jener Laune des Schicksals denken, die ihn am 10. Januar 1911 ganz unerwartet zum Besitzer von Möbeln, Antiquitäten und Kostbarkeiten im Werte von sieben- bis achttausend Pfund machte. Er verbrachte eine Woche des ungetrübtesten Glücks seines Lebens damit, sie eine nach der anderen zu besichtigen und abzuschätzen. Da waren Bilder, von denen er nicht viel verstand, aber die Namen trugen, die er kannte; da waren antike Gold- und Silbersachen, alte Möbel, Kuriositäten, Gobelins, alles, was man sich nur erträumen konnte. Da waren schließlich zwei Autos ... Lord Purbrook überlegte gerade, was billiger war, sich einen Chauffeur anzuschaffen oder selbst fahren zu lernen, als er am Nachmittag des 17. Januar ein Telegramm bekam, das ihn mit Besorgnis erfüllte:

Lord Purbrook, Purbrook Hall, Wexford, Irland

Komme morgen mit dem Nachmittagsexpreß.

Kenyon.

Kenyon! Das war ja dieser wunderbar scharfsinnige, wohlmeinende Detektiv, an den er sich in London gewendet und der erklärt hatte, daß er all diese Herrlichkeiten ohne weiteres in Besitz nehmen könne! Konnte sich da etwas geändert haben? Sollte er etwa gar gezwungen werden, etwas zurückzugeben? ... Lord Purbrook verbrachte eine schlaflose Nacht damit, über das rätselvolle Telegramm nachzugrübeln. Der Nachmittag des nächsten Tages brachte Mr. Kenyon die Lösung.

Der Schwindler, dem die Sachen gehörten, war nach London zurückgekehrt und hatte entdeckt, was geschehen war! Haha! Er wollte sie zurückhaben! Haha! Er war bei Mr. Kenyon gewesen und hatte erklärt, daß es seine feste Absicht sei, sie binnen einer Woche wiederzuhaben! Haha! Lieber Gott, was es doch für Leute gab! ... Lieber Gott, der Mann mußte ja rein toll sein! ... Lord Purbrook bog sich bei der Anhörung von Mr. Kenyons Bericht geradezu vor Lachen. Schließlich wischte er sich die Tränen aus den Augen und sah zu seinem Staunen, daß der Detektiv selbst seine Heiterkeit keineswegs teilte.

»Was ist denn los, Mr. Kenyon?«

Kenyon zuckte die Achseln.

»Nichts Besonderes. Es ist ja klar, daß der Kerl nichts ausrichten kann. – Was er da sagte, war natürlich pure Aufschneiderei. Aber ... ich kann Ihnen sagen, Lord Purbrook, ich habe das Vergnügen, ihn seit etlichen Jahren zu kennen. Das ist ein kühner, unternehmender Herr.«

»Aber, lieber Gott, Kenyon, Sie meinen doch nicht, daß Sie ... Was will er denn anfangen?«

»Nein, nein, Angst habe ich ja nicht. Aber es war vielleicht doch unvorsichtig von Ihnen, Beschlag auf die Sachen zu legen. Sie waren unter Ihrem Namen deponiert, und sie waren nicht gestohlen, aber immerhin ... am richtigsten wäre es natürlich gewesen, alles der Behörde zu übergeben.«

»Was! Sie meinen – Sie meinen, ich sollte etwas hergeben

»Ja – vielleicht wäre es –«

»Nie, nie! Die Sachen sind mein! Sie waren auf meinen Namen deponiert. Es ist nichts Gestohlenes darunter! Wer gibt ihm das Recht, in meinem Namen Sachen zu deponieren? Damit erkennt er ja an, daß sie mir gehören! Hätte er sich etwas von mir erschwindeln können, hätte er es sicherlich getan. Ich gebe nicht zurück, was einen Penny wert ist!«

» All right. Aber Sie können überzeugt sein, daß er den Versuch machen wird, sie wiederzuerlangen. Ich kenne ihn, wie ich Ihnen schon gesagt habe.«

»Wie Sie daherreden, Kenyon! Was kann er tun?«

»Wo haben Sie die Sachen?«

»Im östlichen Turmzimmer, natürlich nicht die Autos. Dorthin kann er nur durch mein Schlafzimmer gelangen, und die Türen haben doppelte Patentschlösser und Eisenstangen. Mit mir sind wir sieben Mann im Schlosse. Wir halten natürlich Tag und Nacht Wache.«

»Gut. Er hat sich selbst eine Woche Frist gegeben, und gelingt es ihm in dieser Zeit nicht, so können Sie ruhig sein. Ich kenne ihn. Wenn Sie übrigens wollen, Lord Purbrook –«

»Ja? So bleiben Sie solange hier?«

»Ja. Ich sehe es als eine persönliche Ehrensache an, daß sein Streich mißlingt.«

»Ausgezeichnet! Ausgezeichnet! Und ... der Preis? ... Sie verstehen, da Sie selbst sagen, daß es für Sie eine persönliche Ehrensache ist ...«

Kenyon sah seinen grauhaarigen Kampfgenossen mit einem unwillkürlichen Nasenrümpfen an.

»Natürlich gratis,« sagte er. Lord Purbrook lachte vergnügt – sein Lachen war wie das Kluck-kluck-kluck einer legenden Henne.

»Ausgezeichnet! Ausgezeichnet! Da kann der Schwindler einpacken! Sie und ich und sechs Bediente, das wird wohl unter allen Umständen genug sein, um ihn unterzukriegen. Wie sagten Sie doch, daß er heißt?«

»Professor Pelotard,« sagte Kenyon, »das heißt, eigentlich ist er ein Schwede und heißt Philipp Collin.«

Am Dienstag war Mr. Kenyon auf dem Schloß eingetroffen, es dauerte bis Samstag, bevor etwas geschah. Der Lord und Kenyon wachten abwechselnd in und vor dem Schloß, der Lord immer triumphierender, als Tag um Tag vorbeiging, ohne daß sich etwas ereignete, Kenyon nicht ohne Symptome einer Nervosität, die er sein möglichstes tat, zu verbergen – einer Nervosität, die ihren Grund in derselben Tatsache hatte wie die Siegesgewißheit des Lords: daß nichts geschah. Am Samstagmorgen ereignete sich endlich etwas, aber bedauerlicherweise nichts besonders Bemerkenswertes. Lord Purbrook bekam den Besuch seiner alten Köchin, die er einen Monat nach seinem Einzug in das Schloß verabschiedet hatte.

Der Lord und Mr. Kenyon saßen gerade bei der nicht sehr reich besetzten Frühstückstafel Purbrook Halls, als der alte Bediente James hereinkam und mit verblüfftem Gesichtsausdruck sagte:

»Euer Gnaden, Mrs. Gimpie ist draußen in der Halle.«

» Wer ist draußen?«

»Mrs. Gimpie, Euer Gnaden. Sie sagt, daß sie das Anerbieten Euer Gnaden dankbar annimmt und daß sie ihren Posten schon heute nachmittag antreten kann.«

Lord Purbrook starrte den alten Diener an.

»James, pflegst du schon vor dem Frühstück zu trinken?«

Der Mann errötete.

»Nein, Euer Gnaden,« erwiderte er stramm und richtete sich auf.

»Was zum Teufel also meinst du damit, dich herzustellen und solchen Unsinn zu reden? Wer ist Mrs. Gimpie? Und was zum Geier nimmt sie dankbarst an?«

»Mrs. Gimpie, wenn Euer Gnaden sich nicht darin erinnern, ist Euer Gnaden alte Köchin – und sie sagt, sie hat einen Brief von Euer Gnaden bekommen.«

»Einen Brief von mir! James! Du mußt betrunken oder verrückt sein! Willst du gefälligst weiter servieren und uns mit solchen Dummheiten verschonen.«

»Wie Euer Gnaden befehlen.«

James verschwand in die Halle, aus der man augenblicklich darauf erregte Stimmen hörte. Die des Bedienten wurde plötzlich ganz deutlich.

»Wollen Sie sofort schauen, daß Sie weiterkommen, Mrs. Gimpie. Was fällt Ihnen denn ein, hierherzukommen und mir Unannehmlichkeiten zu machen? Sie haben wohl getrunken?«

Jetzt wurde auch die andere Stimme verständlich. Sie war schrill und erregt.

»Ich soll schauen, daß ich weiterkomme? Ich habe getrunken! Schämen Sie sich nicht, so etwas zu sagen? Ich habe einen Brief vom gnädigen Herrn, daß ich meinen Dienst wieder mit fünfzig Pfund jährlich antreten soll, und da lasse ich mir von keinem alten Bedienten – –«

Hier brach es jäh ab. Man hörte ein heftiges Getrampel aus dem steinernen Fußboden und das Krachen einer gewaltsam zugeschlagenen Türe. Dann erschien James wieder im Speisesaal, etwas erregt.

»Bitte um Entschuldigung, Euer Gnaden. Mußte das unverschämte Weibsbild hinauswerfen.«

»Was war denn das mit dem Brief?« sagte Kenyon. »War sie betrunken?«

»Könnte es nicht sagen, Sir. Gerochen hat sie nicht, wenn Sie das meinen, Sir.«

Lord Purbrook kam ein Gedanke:

»James, bist du sicher, daß das Mrs. Gimpie war?«

»Ja, Euer Gnaden.«

»Ganz sicher? Könnte es nicht jemand in einer Verkleidung gewesen sein?«

Der Bediente starrte seinen Herrn an.

»Jemand in einer Verkleidung?« stammelte er. »Wer in aller Welt sollte sich als Mrs. Gimpie verkleiden und herkommen und –«

»Antworte mir auf das, was ich frage! Bist du sicher, daß es die Kochmadam war?«

Der Bediente sah seinen Herrn noch immer mit aufgerissenem Munde an.

»Sicher? ... Gewiß bin ich sicher. Ich werde doch noch ...«

»Es ist gut. Du kannst gehen.«

James verschwand, und Lord Purbrook beugte sich mit einem schlauen Blick zu seinem Bundesgenossen vor.

»Was sagen Sie dazu, was, Mr. Kenyon? Es steckt an, einen Detektiv um sich zu haben. Mir kam plötzlich die Idee, daß er es sein könnte. Als Späher, wissen Sie!«

Kenyon nickte.

»Hm, ja, an und für sich nicht undenkbar, aber recht unwahrscheinlich. Aber das mit dem Brief kommt mir ein bißchen seltsam vor.«

»Ach was, hier, wo die Leute von früh bis abends Whisky saufen. Die Alte hat einen Schwips.«

Kenyon zuckte die Achseln und erledigte die Sache mit einem all right. Sie beschlossen ihr Frühstück mit einer Debatte über Professor Pelotard, die sich in nichts von all jenen unterschied, die sie schon über den Gegenstand geführt hatten. Immerhin füllte sie die Zeit bis zum Lunch aus, ohne ein besonderes Resultat zu ergeben. Kurz nach dem Lunch unternahmen sie einen Spaziergang rings um das Schloß. Auf dem Heimweg blieben sie, in eine neue Erörterung über den Professor vertieft, an der Auffahrt stehen, als ein eigentümlicher Anblick sie ihrem Gedankenaustausch entriß.

Die Auffahrtsstraße hinauf kam eine Schar Frauen, der arbeitenden Klasse angehörig, vierzehn oder fünfzehn an der Zahl, offenbar mit ihren besten Kleidern angetan, aber große Bündel schleppend. Sie sprachen alle durcheinander, mit einem Geschnatter wie eine Elsterschar. Ihre Schuhe und Röcke zeigten, daß sie eine lange Fußwanderung hinter sich hatten – der Zustand der Wege war nicht der beste. Ein paar von ihnen waren im mittleren Alter, die meisten jedoch schon bejahrt. Als sie Lord Purbrook erblickten, stießen sie laute Freudenschreie aus und eilten herbei, um ihn und Kenyon zu umringen.

»Gott segne Euer Gnaden für Ihr großherziges Anerbieten!«

»Euer Gnaden haben recht getan, es sich zu überlegen! Das hab' ich immer von Euer Gnaden erwartet!«

»Der Himmel segne Euer Gnaden!«

»Euer Gnaden sind gut und freigebig, und das habe ich auch immer von Euer Gnaden gedacht, was die anderen auch gesagt haben.«

»Bekommen wir unsere früheren Zimmer, oder haben uns Euer Gnaden neue herrichten lassen?«

»Euer Gnaden schicken doch die Bedienten weg, jetzt, wo wir da sind?«

Die Rufe waren so schrill, daß es mehrere Minuten dauerte, bis Lord Purbrook sich Gehör verschaffen konnte. Als es ihm endlich gelang, war sein Greisenfalsett fast ebenso schrill wie die Frauenstimmen. Er fuchtelte mit dem Stock herum, als wollte er in die ganze kreischende Horde dreinschlagen, und schließlich gelang es ihm, sie zum Schweigen zu bringen.

»Was sind das für verdammte Geschichten?« brüllte er. »Was zum Geier wollt ihr hier? Verfluchte alte Vetteln, wer hat euch erlaubt, hierherzukommen und mir den Kopf vollzuschreien? Wollt ihr euch sofort packen, sonst werde ich euch – –«

Er kam nicht weiter. Die Frauen hatten ihn wie versteinert angestarrt. Jetzt fand endlich eine der ältesten die Sprache wieder und überschrie ihn mit Leichtigkeit.

»Was das heißen soll?« zeterte sie. »Wollen Euer Gnaden Ihr Wort zurücknehmen? Oho, so leicht geht das nicht!«

Nun erlangte Lord Purbrook wieder die Oberhand.

»Wollt ihr schweigen, ihr verfluchten Hexen? Wollt ihr augenblicklich eure verdammten Mäuler halten? Ihr seid ja besoffen, alle miteinander! Verrückt seid ihr, ihr gottverdammtes Gesindel! Marsch fort, sonst werde ich euch lehren, wie mein Stock schmeckt!«

Die Weiberschar rings um ihn verstummte auf einen Augenblick, wie außerstande, ihren Ohren zu trauen; aber dann brach es in einem Gewittersturm von Ausrufen los. Es war nicht mehr möglich zu unterscheiden, was sie sagten, aber als Lord Purbrook zum zweiten Male den Stock hob, wie um zuzuschlagen, fiel es ihnen offenbar mit einem Male ein, daß Taten beredter sind als Worte. In gesammelter Truppe stürzten sie mit hochgezückten Kleiderbündeln auf ihn los. Ihr Heulen war wie das Geheul einer Schar ausgehungerter Wölfinnen. Kenyon packte seinen Gastgeber beim Arm und zog ihn im Eilmarsch den Weg zum Schlosse hinauf. Zu einer Balgerei mit einem Schock alter Weiber verspürte er ganz und gar keine Lust. Die Frauen, die ihre Jahre ganz vergessen zu haben schienen, folgten in einem schreienden, krächzenden Schwarm und konnten ihren männlichen Antagonisten etliche dumpfe Schläge mit den schweren Kleiderbündeln versetzen, bevor Kenyon das Burgtor hinter sich und dem alten Lord ins Schloß fallen ließ. Lord Purbrook war leichenblaß vor Wut, seine Stimme war kaum vernehmlich, und seine alten Hände zitterten vor Erregung wie Espenlaub. Kenyon, der mit gerunzelter Stirne, die Hand auf der Türklinke, stehengeblieben war, machte eine Reihe vergeblicher Versuche, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, bis es ihm schließlich gelang.

»Lord Purbrook!«

Endlich schien ihn der Lord zu bemerken und beendete seine rasenden Lamentationen.

»Gepeitscht wie ein Hund von einer Rotte alter Satansweiber! Überfallen auf meinem eigenen Grund und Boden! Was zu allen Teufeln soll das heißen? Beim Allmächtigen, die sollen mir alle miteinander ins Gefängnis! Was wollen Sie, Kenyon?«

»Ich will Sie eines fragen: haben Sie einer dieser Furien geschrieben?«

»Ja, sind Sie denn lichterloh verrückt? Sind Sie total übergeschnappt?«

»Bitte, überlegen Sie doch, was vorgefallen ist. Heute morgen erscheint Ihre alte Köchin und sagt, daß sie einen Brief von Ihnen erhalten hat, in dem Sie ihr anbieten, ihren Platz mit fünfzig Pfund Lohn wieder anzutreten. Nur einige Stunden später rückt diese Bande an, und ganz wie sie faseln sie alle zuerst von irgendeinem Anerbieten, das Sie ihnen gemacht haben sollen. Als Sie ihnen erwidern, daß Sie nichts mit ihnen zu schaffen haben wollen, geht es, wie es eben ging. Weiß Gott, sie heulten ja so, daß man kaum eine Silbe verstand. Aber es kam mir doch so vor, als ob sie die ganze Zeit von irgendeinem Brief von Ihnen redeten. Und –«

Kenyon konnte seinen Satz nicht beenden, und die zornige Frage Lord Purbrooks, ob er denn wirklich bei Vernunft sei, ging in einen Schrei über, wie der eines angeschossenen Hasen, einen Schrei, halb wahnwitzige Wut, halb Entsetzen. Die Hallentüren zu den Zimmern im Westflügel sprangen plötzlich auf, und herein stürmte eine heulende Invasion. Zuerst kam das Hauspersonal des Lords, fünf alte Bediente und ein etwa fünfzehnjähriger Küchenjunge, und hinter ihnen in mänadenhaftem Strom die alten Weiber. Ihr Lärm hätte sich mit jedem klassischen Bacchantinnenzuge messen können, aber anstatt der Thyrsosstäbe waren sie mit Besenstielen, Kohlenschaufeln, Knütteln, Schürhaken und allem, was sie sonst auf ihrem Wege an Geräten erraffen konnten, ausgerüstet. Daß sie ihre Waffen nicht vergeblich führten, bezeugte das Aussehen der Bedienten. Sie waren vom Kopf bis zu den Füßen zerbleut, Gesicht und Hände zerkratzt, und hatten den ungleichen Kampf mit den Furien anscheinend schon aufgegeben. Diese hatten sich offenbar durch den Küchentrakt in einem Ansturm, der nicht zum Stehen zu bringen war, Zugang verschafft, und die Halle würde sicherlich nicht der Schauplatz ihrer Niederlage sein. In weniger als einer Sekunde waren die fliehenden Bedienten, Lord Purbrook und Mr. Kenyon von der sich dahinwälzenden Flutwoge hinweggeschwemmt. Sie wurden die Treppen zum oberen Stockwerk hinaufgedrängt. Ein langer Korridor, der durch den westlichen Flügel des Schlosses zum Westturm führte, war in unglaublich kurzer Zeit durchmessen. Am Aufgang der Turmtreppe befand sich ein altes Eichentor, und hier gelang es Kenyon, die verängstigten Bedienten etwas zur Besinnung zu bringen. Das Tor wurde zugeschmettert, gerade noch zur Zeit, um die kreischende Angriffsarmee auszuschließen. Und sie befanden sich für den Augenblick in Sicherheit.

Ja, in Sicherheit, aber einer Sicherheit, die sie nur ganz kurze Zeit zu schätzen wußten. Das Tor, das sie schützte, war bald von außen von den Furien unerschütterlich verbarrikadiert, wie sie sich überzeugten, als sie, von Kenyon angefeuert, einen Ausfall versuchten. Der Turm, der aus dem siebzehnten Jahrhundert stammte, hatte Fenster von dem Typus, wie er zu jener Zeit modern war: der einzige, der dadurch hätte hinausschlüpfen können, war der Küchenjunge, und weder die Drohungen des Lords noch Bitten oder Bestechungen konnten ihn bewegen, dem Burggraben darunter und seinem winterlich kalten Wasser zu trotzen. Keine Rufe oder Signale zu den Fenstern hinaus vermochten irgendwelche Aufmerksamkeit zu erregen. Draußen aus dem Schlosse hörte man ununterbrochen das Schreien und Lärmen der tosenden alten Vetteln, die offenbar ihren Sieg aus Leibeskräften feierten. Erst gegen Nacht nahm das Getöse ab, aber die Hoffnungen, die infolgedessen bei der eingeschlossenen Besatzung erwachten, erwiesen sich als trügerisch. Die grauhaarigen Amazonen hatten sich als wahrhafte Veteranen gezeigt; die Barrikade, die sie errichtet, trotzte den wildesten Anstrengungen, das Eichentor von innen zu öffnen. Halb wahnsinnig vor Wut und Demütigung (gar nicht von einer windelweich zerklopften Rückenpartie zu reden) verbrachte Lord Purbrook Stunde um Stunde damit, von einem Turmfenster zum anderen zu rennen, um Hilferufe auszustoßen und dann wieder lodernde Strafpredigten an seine alten Bedienten zu halten, die sich von diesen Weibsteufeln hatten überrumpeln lassen. Wasser war nicht zugänglich, und so allmählich schwollen die mißhandelten Körperteile der eingeschlossenen Besatzung in allen Farben des Regenbogens an. Kenyon saß in einer Ecke der vollkommen unmöblierten alten Turmtreppe und kaute, ohne ein Wort zu sagen, an seinem Schnurrbart. Hier und da erhob er sich und trat an eines der Fenster, um hinauszusehen. Aber das Winterdunkel war undurchdringlich. Einmal gegen vier Uhr morgens glaubte er, das Surren eines Autos unten zu hören, aber niemand antwortete auf seine und des Lords Zurufe. Kurz darauf schlummerte er auf den Steinfliesen ein, und es dauerte bis gegen acht Uhr morgens, bis er erwachte. Es war ein Zuruf seines Unglückskameraden, der ihn weckte.

»Kenyon! Mir scheint, jemand kommt zu unserem Entsatz!«

Kenyon rieb sich die Augen. Der Tag begann eben anzubrechen, grau und neblig. Von der anderen Seite der Barrikade hörte man Laute, nach einiger Zeit kamen sie näher, wurden deutlicher und wuchsen schließlich zu einem Lärm an, der dem, den die Weiber am Tage vorher verübt hatten, kaum etwas nachgab. Die Barrikade wurde niedergerissen, in der geöffneten Turmtüre zeigten sich endlich sechs helmgeschmückte Gesichter, und die Art des Lärms, den man gehört hatte, wurde nun deutlich und klar: die sechs helmgeschmückten Gesichter grinsten alle in schallendem Gelächter. Und sie lachten noch immer aus vollem Halse, als der errötende Kenyon, die durchgebleuten Bedienten und der vor Wut schnaubende und tanzende Lord Purbrook über die Trümmer der Barrikaden in den Korridor kletterten. Ihr Lachen verstummte erst, als ein Herr in Zivil, offenbar ihr Chef, auf den Lord zutrat und kurz sagte:

»Darf ich um eine private Unterredung mit Eurer Lordschaft bitten? Ich bin der Polizeichef von Wexford.«

Er schien nicht so heiter gestimmt wie seine Untergebenen.

»Sie sind der Polizeichef? Haben Sie diese Teufelsweiber arretiert?« brüllte der Lord. »Die müssen erschossen werden, samt und sonders, so wahr ich Purbrook heiße. Wo haben Sie sie? Wie ist es zu erklären, daß Sie nicht früher gekommen sind?«

»Darf ich Eure Lordschaft bitten, hier durch!« wiederholte der Polizeichef in ebenso kurzem Ton wie zuvor. »Sie kommen mit, Mr. Kenyon.«

»Was soll das heißen?«

»Woher kennen Sie meinen Namen?«

Der Polizeichef beantwortete weder Lord Purbrooks noch Kenyons erstaunte Frage. Mit einer stummen Geste forderte er sie auf, ihm zu folgen. Es ging durch den Korridor, der sie am Tage vorher vor der alten Amazonengarde fliehen gesehen hatte, die Treppe hinunter in die Halle und hinauf zum Ostflügel des Schlosses. Der Polizeichef, der eine Zeichnung ansah, die er in der Hand hielt, führte sie, ohne zu zögern, in einen Raum, der dem Aussehen nach das Schlafzimmer des Lords sein mußte. Mit derselben Entschlossenheit ging er geradeswegs auf eine eisenbeschlagene Türe mit zwei Patentschlössern in der einen Ecke des Zimmers los, zog zwei Schlüssel heraus und hatte, von einem Aufschrei des Lords begleitet, im Handumdrehen die Türe geöffnet. Er warf einen raschen Blick in den Raum dahinter, ein großes, leeres Turmzimmer mit dicken Mauern und vergitterten Fenstern, und wendete sich dann dem Lord zu. Der alte Edelmann stand starr da und blickte in das Gemach; endlich entrang sich ein heiseres Geheul seiner Kehle:

»Fort! Alles! Ah, da hat dieser Schurke seine Hand im Spiele gehabt! Alles! Alles!«

»Lord Purbrook,« sagte der Polizeichef mit einem durchdringenden Blick, »darf ich Sie bitten, diesen Brief zu lesen. Er wurde uns heute frühmorgens von einem Boten überbracht zugleich mit diesen Schlüsseln.«

Er zeigte die Schlüssel, die er beim Öffnen der Tür verwendet hatte.

Der Lord nahm den Brief, den man ihm reichte, mit starrer Hand, seine Blicke irrten noch immer in dem leeren Raum umher, und Kenyon las über seine Schulter hinweg den Brief.

Mr. Stephens, Polizeichef von Wexford.

Hochgeehrter Herr!

Obgleich Ihnen vermutlich unbekannt, gestatte ich mir doch, Ihre Zeit in einer etwas delikaten Angelegenheit in Anspruch zu nehmen. Ich bin überzeugt, daß Ihr oft betätigtes Interesse für Ihren Dienst es Sie nicht bereuen lassen wird, wenn Sie mir ein paar Stunden opfern.

Lord Purbrook auf Purbrook Hall ist ein Herr, dessen Eigenheiten Ihnen einigermaßen bekannt sein dürften.

Im November deponierte ich durch einen Untergebenen eine Anzahl mir gehöriger Gegenstände unter dem Namen des Lords bei der Firma Baker & Sons in London. Warum ich dies im Namen des Lords tat und nicht in meinem, werden Sie verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß die Londoner Polizei und speziell der bekannte Privatdetektiv Kenyon mir zu dieser Zeit eine Aufmerksamkeit widmete, die ich für übertrieben ansah. – Auf eine Weise, über die ich nicht näher berichten zu müssen glaube, entdeckte der Lord sein ungeahntes Guthaben bei Bakers, beriet sich durch einen Zufall mit besagtem Kenyon und ließ dann ganz ruhig meine sämtlichen Besitztümer auf sein Schloß transportieren.

Heute nacht habe ich sie wieder abgeholt. Ich habe mich dabei des kräftigsten Bundesgenossen bedient, den ich finden konnte – Sie werden vielleicht finden, eines allzu kräftigen – der Frau. Im gegenwärtigen Augenblick ist Lord Purbrook mit Mr. Kenyon und seiner ganzen Dienerschaft im westlichen Turmflügel seines Schlosses eingesperrt. Weibeshände sind es, die dies vollbracht haben – nicht die weichen Händchen einer jungen Delila, sondern die Fäuste fünfzehn alter, treuer Dienerinnen, die den blauen Bogen von ihm bekamen, als er das Schloß erbte, und die ich gestern durch eine Anzahl diplomatischer Briefe gegen ihn ins Feuer schickte. Ich habe dafür gesorgt, daß sie für die Hilfe, die sie mir leisteten, schadlos gehalten werden.

Ohne die ethische Seite meines Vorgehens näher zu diskutieren, bitte ich Sie – wenn Sie Lust haben – den Lord zu befreien. Die Bestätigung der Wahrheit meiner Geschichte erlangen Sie durch einen Besuch im östlichen Turmzimmer, wo der Lord meine Sachen deponiert hatte. Es ist nunmehr ganz leer, bis auf einen einzigen Gegenstand. Öffnen Sie es in Gegenwart des Lords, so wird er Ihnen selbst bestätigen, was ich gesagt habe. Beigeschlossen folgt eine Planzeichnung und die erforderlichen Schlüssel.

In Eile
Ihr ergebener
Professor Pelotard.«

»PS. Wenn Sie finden, daß die Gerechtigkeit es erheischt, so gebe ich Ihnen volle Freiheit, Lord Purbrook zu arretieren, wegen vorsätzlichen Vergreifens an fremdem Eigentum.«

Ein Wutgeheul Lord Purbrooks deutete dem Polizeichef an, daß er die Lektüre des Briefes beendet hatte.

»Alles! Pfutsch! Ach, der Schurke, der Schurke! Jetzt müssen wenigstens die alten Hexen in den Kotter, wenn schon nicht er! Verhaften Sie sie sofort, hören Sie, wenn Sie ein Polizeichef sein wollen!«

»Wie es Ihnen gefällig ist. In einer Woche kommt also Lord Purbrooks Klage gegen die fünfzehn alten Weiber, die ihn in seinem eigenen Schlosse eingesperrt haben, zur Verhandlung. Vielleicht können wir sie sogar noch früher ansetzen.«

Lord Purbrook, dessen Augenbrauen wie Vogelflügel auf- und niederzuckten, starrte nervös vor sich hin.

»Alles! Alles! Natürlich hat er auch die Autos genommen,« murmelte er.

»Das wird zweifelsohne eine aufsehenerregende Geschichte, Sie als Inhaber von Diebesgut! Soll ich also den Verhaftungsbefehl ausfertigen?« fragte der Polizeichef.

»Der Teufel soll das Ganze holen! Der Teufel soll ihn holen! Der Teufel soll Sie holen!« brüllte der alte Lord und schoß zur Türe hinaus. »Der Teufel soll diese Satansweiber holen! Ich pfeife auf sie, hören Sie!«

Der Polizeichef machte lächelnd einen Streifzug durch das Turmzimmer und kam mit etwas zurück, das er Kenyon überreichte.

»Seine Lordschaft hat übersehen, daß nicht alles genommen ist,« sagte er. »Das hier war noch da, aber es scheint mir für Sie bestimmt.«

Kenyon riß den Gegenstand, den er ihm reichte, an sich. Es war ein alter Kupferstich, den berühmten Zug der Pariser Frauen nach Versailles darstellend, um einen größeren Mann abzustrafen als Lord Purbrook – König Ludwig XVI.

Und auf der Rückseite stand hastig hingekritzelt:

»Lieber Kenyon! Sie haben schon viele unbedachte Dinge angestellt. Sie haben sich in Angelegenheiten eingelassen, die Ihre Kräfte übersteigen – danken Sie mir, daß Ihnen ein paar davon doch geglückt sind. Sie haben sich gegen mich gestellt: man stellt sich nicht ungestraft gegen mich. Aber in dieser Angelegenheit haben Sie die größte Dummheit Ihres Lebens gemacht: Sie haben es gewagt, sich gegen die Frau zu stellen. Und Sie haben es meiner unerschöpflichen Herzensgüte zu danken, daß ich den Bericht über das Resultat nicht in die Presse bringe!

Nicht wahr? Und jetzt adieu für einige Zeit!

In Eile
Ihr Freund
Pelotard.«


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