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»Ferner erzählt man, o glückseliger König, daß der Chalife Hārûn er-Raschîd eines Tages den Tribut seiner Länder musterte und fand, daß der Tribut in jenem Jahr aus allen Ländern und Himmelsstrichen bis auf Basra ins Schatzhaus eingegangen war. Da beraumte er um dieser Sache willen einen Diwan an und sprach: »Her zu mir mit dem Wesir Dschaafar!« Als dieser vor ihm erschien, sagte er zu ihm: »Aus allen Provinzen ist der Tribut ins Schatzhaus eingegangen mit Ausnahme des Tributs von Basra, von wo nichts gekommen ist.« Dschaafar erwiderte: »O Fürst der Gläubigen, vielleicht ist dem Vicekönig von Basra etwas zugestoßen, was ihn daran gehindert hat, den Tribut zu schicken.« Der Chalife versetzte jedoch: »Vor zwanzig Tagen hätte der Tribut eintreffen müssen; was für eine Entschuldigung kann er dafür haben, daß er während dieser Zeit weder den Tribut noch eine Entschuldigung schickte?« Da sagte Dschaafar: 65 »O Fürst der Gläubigen, so du willst, wollen wir einen Boten zu ihm schicken;« worauf Hārûn er-Raschîd sagte: »Schick' den Tafelgenossen Abū Ishâk von Mosul.« Dschaafar erwiderte: »Ich höre und gehorche Gott und dir, o Fürst der Gläubigen.« Alsdann ging er nach Hause und ließ Abū Ishâk vor sich kommen, worauf er ihm einen ChattischerîfKabinettsorder. Das Wort ist in der persisch-türkischen Form gegeben. ausstellte und zu ihm sagte: »Geh' zu Abdallāh bin Fâdil, dem Vicekönig von Basra, und schau, was ihn behindert hat den Tribut zu schicken. Laß ihn dir voll und ganz einhändigen und bring' ihn schleunigst her. Der Chalife musterte nämlich den Tribut der Provinzen und fand, daß allein der Tribut von Basra noch nicht eingetroffen ist. Wenn du aber siehst, daß der Tribut noch nicht bereit ist, und er sich entschuldigt, so bring' ihn mit dir, daß er dem Chalifen selber seine Entschuldigung vorbringen kann.« Abū Ishâk erwiderte: »Ich höre und gehorche,« und machte sich mit einem Reitertrupp von fünftausend Mann vom Heer des Wesirs auf den Weg, bis er nach der Stadt Basra gelangte. Als Abdallāh, der Sohn des Fâdil, von seiner Ankunft vernahm, ritt er ihm zum Empfang mit seinen Truppen entgegen und zog mit ihm ein ins Schloß von Basra, während die übrigen Truppen außerhalb der Stadt ihr Lager bezogen, wo der Sohn des Fâdil sie mit allem Erforderlichen versorgte. Als dann Abū Ishâk den Diwan betreten und sich auf den Thron gesetzt hatte, ließ er Abdallāh bin Fâdil an seiner Seite Platz nehmen, und die Großen setzten sich ihrem Rang entsprechend rings um ihn; alsdann sprach der Sohn des Fâdil nach dem Salâm zu ihm: »Mein Herr, hat dein Kommen zu uns einen Grund?« Abū Ishâk versetzte: »Jawohl, ich kam nach dem Tribut; der Chalife fragte nach ihm, da die Zeit seines Eintreffens verstrichen ist.« Da entgegnete der Sohn des Fâdil: »O mein Herr, hättest du dich doch nicht bemüht und dich der Beschwerlichkeit der Reise unterzogen! Der Tribut 66 ist voll und ganz zur Stelle, und ich war entschlossen ihn morgen abzusenden. Da du nun aber hergekommen bist, will ich ihn dir einhändigen und ihn nach dreitägiger Bewirtung am vierten Tage vor dich bringen. Doch geziemt es uns jetzt dir in teilweiser Erwiderung deiner Güte und der Güte des Fürsten der Gläubigen ein Geschenk zu machen.« Abū Ishâk versetzte: »Das kann nichts schaden.« Hierauf hob er den Diwan auf und begab sich mit ihm in ein Obergemach in seinem Palast, das nicht seinesgleichen hatte, wo er für ihn und sein Gefolge das Mahl auftragen ließ. Nachdem sie dann gegessen und getrunken hatten und fröhlich und vergnügt gewesen waren, wurde der Tisch fortgetragen, worauf sie sich die Hände wuschen; dann wurden Kaffee und Scherbetts aufgetragen, und sie saßen da und plauderten miteinander, bis das erste Drittel der Nacht verstrichen war, als man für Abū Ishâk ein elfenbeinernes, mit gleißendem Gold eingelegtes Polster zum Schlafen zurecht machte. Abū Ishâk legte sich darauf zur Ruhe, und der Vicekönig von Basra legte sich auf einem andern Polster an seiner Seite nieder, doch vermochte Abū Ishâk nicht einzuschlafen, sondern begann über Metren und Verskompositionen zu meditieren, da er nicht nur einer der erlesensten Tafelgenossen des Chalifen war, sondern auch das Dichten und Erzählen seiner Anekdoten aus dem ff loshatte. Bis Mitternacht hatte er bereits wach gelegen und Verse gemacht, als sich mit einem Male Abdallāh bin Fâdil erhob und, seinen Gurt umbindend, eine Lade öffnete, aus der er eine Geißel nahm; dann langte er nach einer brennenden Kerze und ging hinaus zur Thür des Gemachs, im Glauben, daß Abū Ishâk schliefe.
Neunhundertundneunundsiebzigste Nacht.
Abū Ishâk verwunderte sich hierüber und sprach bei sich: »Wohin mag nur Abdallāh bin Fâdil mit der Geißel gehen? Will er vielleicht jemand züchtigen? Jedoch muß ich ihm folgen und sehen, was er heute Nacht treibt.« Hierauf 67 erhob sich Abū Ishâk und folgte ihm ganz sacht Schritt für Schritt, daß er ihn nicht sähe, und gewahrte nun, wie Abdallāh eine Kammer öffnete und aus ihr einen Tisch mit Tellern voll Fleisch und Brot und einem Krug Wasser nahm, worauf er mit dem Tisch und dem Krug weiter ging. Abū Ishâk folgte ihm heimlich, bis Abdallāh bin Fâdil einen Saal betrat, wo sich Abū Ishâk hinter die Thür stellte und durch einen Spalt spähte. Er sah nun, daß der Saal geräumig und prächtig eingerichtet war, und gewahrte mitten in ihm ein Polster aus Elfenbein, plattiert mit gleißendem Gold, an dem zwei Hunde mit goldenen Ketten angebunden waren. Nachdem Abdallāh den Tisch in einen Winkel gestellt hatte, streifte er die Ärmel über seine Hände zurück und band den einen der beiden Hunde los, der in seiner Hand ungebärdig ward und seine Schnauze auf den Boden legte, als ob er die Erde vor ihm küssen wollte, indem er dabei leise winselte. Dann band er ihm die Füße zusammen und warf ihn auf die Erde, worauf er die Geißel schwang und erbarmungslos auf ihn losprügelte, während der Hund vor ihm zappelte, ohne loskommen zu können. Erst als das Wimmern des Hundes erstarb und er bewußtlos dalag, hörte er auf ihn zu peitschen, worauf er ihn wieder anband, um sich nun den zweiten Hund vorzunehmen und mit ihm in gleicher Weise zu verfahren. Alsdann holte er ein Tuch hervor und, ihnen die Thränen abwischend, gab er ihnen gute Worte und sprach zu ihnen: »Nehmt es mir nicht übel; bei Gott, es geschieht nicht mit meinem Willen, und es fällt mir nicht leicht; aber vielleicht giebt euch Gott in dieser Not einen Trost und Ausweg.« Dann betete er für sie, während bei alle dem Abū Ishâk der Tafelgenosse dastand und Ohren- und Augenzeuge war, sich höchlichst über diesen Vorfall verwundernd. Nun aber setzte Abdallāh den Hunden den Speisetisch vor und stopfte ihnen die Bissen ins Maul, bis sie satt waren, worauf er ihnen die Schnauzen abwischte und ihnen aus dem Krug zu trinken gab. Dann nahm er den Tisch, 68 den Krug und die Kerze und wollte wieder hinausgehen, als Abū Ishâk ihm zuvorkam und sich unbemerkt auf sein Polster niederlegte, so daß er nichts davon merkte, daß er ihm gefolgt war und ihn belauscht hatte. Nachdem er dann den Tisch und den Krug wieder in die Kammer gestellt hatte, trat er in den Saal, öffnete die Lade und legte die Geißel an ihren Platz, worauf er seine Sachen auszog und sich schlafen legte.
Soviel von ihm; Abū Ishâk aber verbrachte den Rest der Nacht in Gedanken und vermochte in seiner Verwunderung nicht einzuschlafen, indem er in einem fort bei sich sprach: »Was mag nur der Grund hiervon sein?« Am andern Morgen erhoben sie sich dann und verrichteten das Morgengebet, worauf ihnen das Frühstück gebracht wurde, und sie aßen und Kaffee tranken. Dann begaben sie sich in den Diwan, doch weilten Abū Ishâks Gedanken den ganzen Tag über bei dieser sonderbaren Geschichte, ohne daß er Abdallāh nach ihr zur Rede stellte, sondern die Sache bei sich behielt. In der zweiten Nacht verfuhr Abdallāh mit den Hunden in gleicher Weise, indem er sie erst schlug und dann freundlich zu ihnen war und ihnen zu essen und trinken gab, während Abū Ishâk ihm wieder gefolgt war und ihn belauschte; und ebenso verfuhr er in der dritten Nacht. Am vierten Tag übergab er dann Abū Ishâk den Tribut, der sich, ohne etwas darüber zu ihm verlauten zu lassen, sofort auf den Weg machte und ununterbrochen reiste, bis er nach Bagdad gelangte, wo er dem Chalifen den Tribut übergab. Als der Chalife ihn fragte, weshalb er den Tribut so spät schickte, erwiderte er: »O Fürst der Gläubigen, ich fand, daß der Gouverneur von Basra den Tribut bereits zur Hand hatte und ihn absenden wollte; und hätte ich mich nur um einen Tag verspätet, so hätte er mich unterwegs angetroffen; jedoch sah ich bei Abdallāh bin Fâdil eine so wunderbare Begebenheit, wie ich dergleichen mein Lebenlang nicht schaute, o«Fürst der Gläubigen.« Da fragte der Chalife: »Was ist's, 69 Abū Ishâk?« worauf er versetzte: »Ich sah das und das,« und ihm erzählte, was er mit den Hunden drei Nächte hintereinander gethan hatte, während er unbemerkt Augenzeuge davon gewesen wäre. Der Chalife fragte ihn: »Hast du ihn nach dem Grund hiervon gefragt?« Er erwiderte: »Nein, bei deines Hauptes Leben, o Fürst der Gläubigen!« Da sagte der Chalife: »Abū Ishâk, ich befehle dir hiermit nach Basra zurückzukehren und Abdallāh bin Fâdil mit den beiden Hunden herzubringen.« Abū Ishâk versetzte: »O Fürst der Gläubigen, überhebe mich dieser Sache; denn siehe, Abdallāh bin Fâdil nahm mich mit größter Auszeichnung auf, und ich kam nur zufälligerweise und ohne Absicht hinter diese Geschichte, worauf ich sie dir mitteilte. Wie sollte ich daher zu ihm zurückkehren und ihn vor dich bringen? Kehrte ich zu ihm zurück, so könnte ich ihn aus Scham nicht ansehen; es ist daher besser, daß du einen andern mit einem Schreiben von deiner Hand zu ihm schickst, daß er ihn mit den beiden Hunden zu dir bringt.« Der Chalife erwiderte jedoch: »Wenn ich jemand anders zu ihm schicke, so leugnet er vielleicht die Sache ab und sagt: «Ich habe keine Hunde.« Schicke ich dich aber, und sprichst du zu ihm: »Ich sah dich mit meinem eigenen Auge,« so kann er es nicht abstreiten. Du mußt also unbedingt zu ihm hin und ihn mit den beiden Hunden herbringen, oder es geht dir an den Kragen.«
Neunhundertundachtzigste Nacht.
Da entgegnete Abū Ishâk: »Ich höre und gehorche, o Fürst der Gläubigen; Gott ist unser Genüge und der beste Sachwalter. Und wahr hat der gesprochen, der da sagt: »Des Menschen Unheil kommt von seiner Zunge her.« Ich sündigte wider mich selbst, daß ich dir davon Mitteilung machte; schreib' mir jedoch den Chattischerîf, ich will zu ihm gehen und ihn dir bringen.« Da schrieb er ihm den Chattischerîf, worauf er sich wieder nach Basra aufmachte. Als er bei dem Gouverneur von Basra eintrat, sprach dieser zu ihm: 70 »Gott soll hüten, daß deine Rückkehr Schlimmes bedeutet! O Abū Ishâk, weshalb kommst du so schnell wieder? Fehlt etwa am Tribut etwas, daß der Chalife ihn nicht annehmen will?« Abū Ishâk versetzte: »O Emir Abdallāh, ich kehre nicht zurück, weil irgend etwas am Tribut fehlt; er ist vollkommen, und der Chalife hat ihn angenommen. Ich hoffe jedoch, du wirst nicht böse auf mich sein, denn ich sündigte wider dich, und dieses mein Vergehen war von Gott, dem Erhabenen, vorherbestimmt.« Da fragte er: »Und worin hast du dich vergangen, o Abū Ishâk? Erzähl' es mir, denn du bist mein Freund, und ich nehme es dir nicht übel.« Nun sagte Abū Ishâk zu ihm: »Wisse, als ich bei dir war, folgte ich dir drei Nächte hintereinander, als du dich jedesmal um Mitternacht erhobst, die Hunde zu züchtigen, und dann wieder zurückkehrtest. Ich verwunderte mich hierüber, schämte mich jedoch dich danach zu fragen; hernach sprach ich zufällig und ohne Absicht mit dem Chalifen hierüber, worauf er mir den Befehl gab zu dir zurückzukehren; und hier ist sein Handschreiben. Hätte ich gewußt, daß die Sache diesen Ausgang nehmen würde, so hätte ich ihm nichts gesagt, doch hat es das Schicksal so verhängt.« Alsdann hob er an Entschuldigungen vorzubringen, während Abdallāh ihm erwiderte: »Da du ihm dies mitgeteilt hast, will ich ihm deine Worte bestätigen, damit er dich nicht für einen Lügner hält, denn du bist mein Freund. Hätte es ihm jedoch ein anderer als du mitgeteilt, so hätte ich es abgestritten und ihn für einen Lügner erklärt. Ich will dich zu ihm begleiten und will die beiden Hunde mitnehmen, und sollte es auch mein Leben kosten und den Ablauf meines Termins herbeiführen.« Abū Ishâk erwiderte: »Gott wird dich verhüllen, wie du mein Antlitz vor dem Chalifen verhüllt hast.« Alsdann nahm er ein Geschenk, wie es sich für den Chalifen geziemte, sowie die beiden Hunde, von denen er jeden auf ein Kamel setzte und mit einer goldenen Kette festband, und machte sich mit Abū Ishâk auf den Weg, bis sie nach Bagdad gelangten, wo er 71 bei dem Chalifen eintrat und die Erde vor ihm küßte. Der Chalife erlaubte ihm sich zu setzen, und, als er dies gethan und die beiden Hunde vor ihn geführt hatte, fragte ihn der Chalife: »Was sind das für Hunde, Emir Abdallāh?« Die Hunde aber küßten nun ebenfalls die Erde vor ihm und wedelten mit den Schwänzen und weinten, als beklagten sie sich vor ihm, so daß sich der Chalife darüber verwunderte und zu ihm sprach: »Sag' mir, was es mit diesen Hunden auf sich hat, weshalb du sie schlägst und hernach wieder freundlich behandelst.« Abdallāh erwiderte ihm: »O Chalife Gottes, dies sind keine Hunde, sondern zwei junge Männer, reich an Schönheit und Anmut und von schönem Wuchs und Ebenmaß; es sind meine Brüder und die Söhne meines Vaters und meiner Mutter.« Da fragte ihn der Chalife: »Wie kam's, daß sie Menschen waren und zu Hunden verwandelt wurden?« Er erwiderte: »Wenn du es mir verstattest, o Fürst der Gläubigen, so will ich dir die Geschichte der Wahrheit gemäß berichten.« Der Chalife versetzte: »Erzähl' es mir und nimm dich in acht zu lügen, denn das ist der Heuchler Weise; sprich vielmehr die Wahrheit, denn das ist die Arche der Rettung und der Braven Zeichen.« Abdallāh entgegnete: »Wisse, o Chalife Gottes, wenn ich dir die Geschichte dieser Hunde erzähle, so werden sie Zeugen wider mich sein, indem sie, wenn ich lüge, mich der Lüge bezichtigen, und, wenn ich die Wahrheit spreche, diese bestätigen werden.« Da sagte der Chalife: »Dies sind doch Hunde, die nicht reden und antworten können; wie sollen die da für oder wider dich Zeugnis ablegen können?« Abdallāh sagte jedoch nun zu den Hunden: »Meine Brüder, wenn ich ein Wort der Lüge spreche, so hebt euern Kopf und blickt starr; spreche ich aber die Wahrheit, so lasset den Kopf hängen und senkt die Augen zu Boden.« Hierauf hob er an: »O Chalife Gottes, wir waren drei Brüder von einer Mutter und einem Vater, und der Name unsers Vaters war Fâdil, ein Name, den er daher führte, daß seines Vaters Mutter Zwillinge gebar, von denen der 72 eine sogleich starb, während der andere übrigblieb, weshalb ihn sein Vater FâdilDer Überbleibende. nannte. Sein Vater erzog ihn aufs beste, bis er herangewachsen war, worauf er ihn mit unserer Mutter vermählte und dann starb. Zuerst gebar unsere Mutter diesen meinen Bruder, den unser Vater Mansûr nannte; dann ward sie zum zweitenmal schwanger und gebar diesen andern, den unser Vater Nâsir nannte; als sie dann zum drittenmal schwanger ward und mit mir niederkam, nannte mich unser Vater Abdallāh. Er zog uns auf, bis wir herangewachsen und mannbar geworden waren, worauf er starb und uns ein Haus und einen Laden voll bunter Stoffe aller Art, indische, griechische, chorasanische und dergleichen Stoffe, hinterließ nebst sechzigtausend Dinaren. Wie nun unser Vater gestorben war, wuschen wir ihn und bestatteten ihn in einem prächtigen Grabmal zur Barmherzigkeit seines Herrn, worauf wir für sein Seelenheil Gebete sprechen ließen, Koranverlesungen veranstalteten und Almosen spendeten, bis die vierzig Tage der Trauer verstrichen waren, worauf ich die Kaufleute und Vornehmen zu mir einlud und ein Fest für sie anrichtete. Nach dem Essen sprach ich dann zu ihnen: »Ihr Kaufleute, die irdische Welt ist vergänglich und allein das Jenseits bleibend. Preis Ihm, der ewig lebt, auch wenn seine Geschöpfe vergangen sind! Wisset ihr aber, zu welchem Zweck ich euch an dem heutigen gesegneten Tag zu mir eingeladen habe?« Sie versetzten: »Preis sei Gott, der das Verborgene weiß!« Nun sagte ich zu ihnen: »Mein Vater starb unter Hinterlassung einer Summe Geld, und ich fürchte, es könnte jemand einen Anspruch an ihn haben, sei es wegen einer Schuld oder eines Pfandes oder dergleichen, weshalb ich meines Vaters Verpflichtung den Leuten gegenüber tilgen möchte. Wer daher einen Anspruch an ihn zu erheben hat, der sage: »Er schuldet mir so und so viel,« worauf ich es ihm zahlen will, um meines Vaters Verpflichtungen 73 zu tilgen.« Die Kaufleute antworteten mir hierauf: »O Abdallāh, fürwahr, irdisches Gut wiegt nicht das Jenseits auf, und wir sind keine Betrüger, sondern wissen alle das Erlaubte vom Verbotenen zu unterscheiden, indem wir Gott, den Erhabenen, fürchten und uns enthalten das Gut der Waisen zu verzehren. Wir wissen, daß dein Vater – Gott hab' ihn selig! – sein Geld bei den Leuten stehen ließ und niemals in jemandes Schuld blieb; und wir hörten ihn auch immer sagen: »Ich fürchte mich vor dem Eigentum der Leute.« In seinen Gebeten pflegte er immer zu sprechen: »Mein Gott, du bist mein Vertrauen und meine Hoffnung; laß mich nicht in Schulden sterben!« Wenn er jemand etwas schuldete, so pflegte er es ihm ungemahnt zu bezahlen, und wenn ihm jemand etwas schuldig war, so drängte er ihn nicht, sondern sagte zu ihm: »Nach deiner Bequemlichkeit.« War sein Schuldner arm, so erließ er ihm seine Schuld, und war er nicht arm und starb, so pflegte er zu sagen: »Gott erlasse ihm, was er mir schuldete!« So bezeugen wir alle, daß er keinem etwas schuldig war.« Da sagte ich: »Gott segne euch!« Alsdann wendete ich mich zu diesen meinen Brüdern und sprach zu ihnen: »Meine Brüder, unser Vater schuldete keinem etwas und hinterließ uns dieses Geld und Zeug und das Haus und den Laden. Nun sind wir unser drei, und jedem von uns gebührt ein Dritteil. Wollen wir uns einigen, nicht zu teilen und unser Geld gemeinschaftlich zu besitzen und zusammen zu essen und trinken, oder wollen wir das Zeug und Geld unter uns teilen und ein jeder von uns seinen Teil nehmen?« Und sie erwiderten: »Laß uns teilen.« Hierauf wendete er sich zu den Hunden und fragte sie: »Ist's nicht so gewesen, meine Brüder?« worauf sie den Kopf senkten und die Augen, es bejahend, zu Boden schlugen. Dann fuhr er fort: »So ließ ich denn einen Erbteiler vom Kadi kommen, o Fürst der Gläubigen, der das Geld und Zeug und die gesamte Hinterlassenschaft unseres Vaters unter uns teilte, wobei mir das Haus und der Laden für einen entsprechenden Teil des auf 74 mich kommenden Geldes zufiel. Wir waren zufrieden hiermit und, während mir also Haus und Laden zufielen, nahmen meine Brüder ihr Geld und Zeug. Ich öffnete den Laden, that das Zeug hinein und kaufte von meinem Geld, das außer dem Haus und Laden noch auf mich gekommen war, anderes Zeug, bis der Laden voll war, worauf ich dasaß und kaufte und verkaufte, während meine Brüder sich Zeug kauften und ein Schiff heuerten, mit dem sie den Strom hinauszogen ins Land der Menschen. Ich sprach: »Gott helfe ihnen! Was mich anlangt, so kommt mein Brot zu mir, und Ruhe ist unbezahlbar.« Nachdem ich in dieser Weise ein volles Jahr zugebracht hatte, während welcher Zeit mir Gott die Pforten öffnete, so daß ich großen Gewinn erzielte und ebenso viel besaß als uns unser Vater hinterlassen hatte, da traf es sich eines Tages, daß, als ich in meinem Laden in zwei Pelzröcken dasaß, einem Zobel und einem grauen Eichhornpelz, – denn es war Winter und die Zeit der größten Kälte, – da kamen mit einem Male meine beiden Brüder an, den Leib nur mit einem zerlumpten Hemde und nichts weiter bedeckt, und mit vor Kälte weißen Lippen und schauernd an allen Gliedern. Als ich sie sah, ging mir dies ans Herz, und ich bekümmerte mich so schwer über sie, –
Neunhundertundeinundachtzigste Nacht.
daß mir der Verstand fast aus dem Kopf flog. Dann eilte ich ihnen entgegen und umarmte sie weinend, dem einen den Zobelpelz und dem andern den Eichhornpelz anziehend, worauf ich sie ins Bad führte und jedem von ihnen dorthin einen Anzug schickte, wie er einem Kaufmann, der seine Tausend hat, wohl ansteht. Nachdem sich beide gebadet und ihren Anzug angelegt hatten, nahm ich sie mit nach Hause. Da ich aber sah, daß sie halbverhungert waren, setzte ich ihnen den Speisetisch vor und aß mit ihnen, sie voll Zärtlichkeit behandelnd und ihnen Trost zusprechend.« Hierauf wendete er sich wieder zu den beiden Hunden und fragte sie: »War's 75 so, meine Brüder?« worauf sie den Kopf senkten und die Augen niederschlugen. Alsdann fuhr er fort und sprach: »O Chalife Gottes, als ich sie nunmehr fragte, wie dies gekommen und wo ihr Gut geblieben wäre, da versetzten sie: »Wir fuhren den Strom hinauf, bis wir nach Kufa gelangten, wo wir das Stück Zeug, das uns einen halben Dinar gekostet hatte, für zehn Dinare und das, was uns einen Dinar gekostet hatte, für zwanzig Dinare verkauften, so daß wir ein sehr gutes Geschäft machten. Dann kauften wir persische Stoffe ein, für zehn Dinare das Stück Seide, das in Basra vierzig Dinare kostet, worauf wir nach der Stadt El-KarchEl-Karch ist als Quartier von Bagdad des öfteren vorgekommen. zogen, wo wir ebenfalls kauften und verkauften und viel verdienten, so daß wir eine Menge Geld bei uns hatten.« In dieser Weise zählten sie mir die Städte auf und nannten mir ihren Profit daselbst, so daß ich schließlich zu ihnen sagte: »Wenn es euch so gut erging und ihr soviel Freude erlebtet, wie kommt's denn, daß ihr nackend heimkehrt?« Da seufzten sie und sagten: »O Bruder, sicherlich muß uns das böse Auge getroffen haben, und aufs Reisen ist kein Verlaß. Nachdem wir dieses Geld und Gut zusammengebracht hatten, verfrachteten wir unsere Waren auf einem Schiff und stachen in den Strom, um nach Basra heimzukehren. Drei Tage lang waren wir bereits gereist, als wir am vierten Tage den Strom steigen und fallen und toben und schäumen und branden und sich bäumen und wild einherwogen und Funken wie feurige Lohe aus den Wogen sprühen sahen. Die Winde kehrten sich wider uns und warfen uns mit dem Schiff auf ein Felsenriff, daß das Schiff zerbrach und wir mit all unserer Habe ins Wasser sanken. Nacht und Tag über kämpften wir auf dem Wasser, bis uns Gott ein anderes Fahrzeug sandte, dessen Mannschaft uns aufnahm, und dann zogen wir bettelnd von Stadt zu Stadt und lebten vom Ertrag unserer Bettelei, bis wir uns nach großen Kümmernissen und, nachdem wir 76 nach und nach unsere Kleider verkauft und von ihrem Erlös uns ernährt hatten, Basra näherten und in die Stadt gelangten, nachdem wir tausend Bitternisse geschluckt hatten. Wären wir mit allem, was wir besaßen, heimgekehrt, so hätten wir königliche Schätze mitgebracht; jedoch war dies von Gott über uns verhängt.« Da sagte ich zu ihnen: »Meine Brüder, grämt euch nicht, denn das Geld ist das Lösegeld fürs Leben, und Unversehrtheit ist Gewinn. Dieweil Gott euch unter die Geretteten verzeichnet hat, ist dies des Wunsches Ziel, da Armut und Reichtum nichts weiter sind als Truggebilde; und gesegnet von Gott ist der Mann, der da sprach:
Wer seinen Kopf aus dem Verderben errettet hat,
Dem ist sein Geld nur ein Nagelschnipsel.«
Alsdann sagte ich zu ihnen: »Meine Brüder, wir wollen annehmen, unser Vater sei erst heute gestorben und habe uns alles Gut, das in meinem Besitz ist, hinterlassen; denn ich bin gewillt, es zwischen uns in gleiche Teile zu teilen.« Hierauf ließ ich einen Verteiler vom Kadi kommen und legte ihm all mein Gut vor, das er zwischen uns verteilte, so daß jeder von uns ein Dritteil empfing. Dann sagte ich zu ihnen: »Meine Brüder, Gott segnet eines Menschen Brot, wenn er in seiner Heimat ist; drum thue jeder von euch einen Laden auf und sitze darin, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und wem etwas im verborgenen Ratschluß bestimmt ist, der gewinnt es unbedingt.« Alsdann half ich jedem bei der Eröffnung seines Ladens und der Anfüllung desselben mit Waren und sagte zu ihnen: »Verkauft und kauft und hütet euer Geld, daß ihr nichts von ihm ausgebt, denn alles, was ihr an Speise und Trank und dergleichen bedürft, sollt ihr von mir haben.« Und von nun an bewirtete ich sie, und sie kauften und verkauften am Tage, worauf sie die Nacht in meinem Haus verbrachten, ohne daß ich sie etwas von ihrem Geld ausgeben ließ. So oft ich aber mit ihnen dasaß und mich unterhielt, rühmten sie mir die Fremde, indem sie mir ihre Reize aufzählten und mir den Gewinn, den sie erzielt 77 hatten, vorhielten, um mich dadurch anzureizen, mit ihnen ins Land der Menschen zu ziehen.«
Dann fragte er die Hunde: »War's nicht so, meine Brüder?« worauf sie den Kopf senkten und die Augen bestätigend niederschlugen. Hierauf fuhr er wieder fort: »Und so, o Chalife Gottes, ließen sie nicht nach, mein Verlangen rege zu machen, indem sie mir den hohen Gewinn und Verdienst, den sie in der Fremde gefunden hatten, vorhielten, und forderten mich zum Reisen auf, bis ich schließlich zu ihnen sagte: »Ich muß mit euch reisen euch zu Gefallen.« Alsdann assoziierte ich mich mir ihnen, worauf wir uns allerlei kostbare Zeuge beschafften und ein Schiff heuerten, das wir mit allerlei Handelsware befrachteten. Nachdem wir dann alles erforderliche aufs Schiff geschafft hatten, segelten wir von Basra ab hinein ins wogende, wellenbrandende Meer, in dem jeder, der hineinsteuert, verloren ist und neugeboren, wer aus ihm herauskommt. Wir fuhren unverdrossen, bis wir zu einer Stadt gelangten, in der wir verkauften und kauften, und wo wir viel Profit machten. Dann zogen wir nach einer andern Stadt weiter und zogen so von Flecken zu Flecken und Stadt zu Stadt, kaufend, verkaufend und profitierend, bis wir viel Geld einbekommen und großen Verdienst gehabt hatten, als wir zu einem Gebirge gelangten, wo der Kapitän die Anker auswarf und zu uns sagte: »Ihr Fahrgäste, steigt ans Land, daß ihr der Plage dieses Tages entgeht, und sucht auf dem Berg nach Wasser; vielleicht findet ihr etwas.« Da verließen alle das Schiff, und wir suchten nach Wasser, während jeder von uns eine andere Richtung einschlug. Ich selber stieg auf den Gipfel des Berges, als ich mit einem Male eine weiße Schlange sich flüchten sah, verfolgt von einem schwarzen Drachen von häßlicher Gestalt und scheußlichem Aussehen. Der Drache hatte sie bald eingeholt und in die Enge getrieben, worauf er sie am Kopf packte und seinen Schwanz um ihren Schwanz wand, so daß sie schrie und ich sah, daß er sie mißhandeln wollte. Da erfaßte mich 78 Mitleid für sie, und ich langte nach einem Stück Granit im Gewicht von fünf Pfund oder noch schwerer und zerschmetterte ihm damit den Kopf. Ehe ich mich's aber noch versah, hatte sich jene Schlange zu einem jungen Mädchen, strahlend in Schönheit und Anmut, Eleganz und Vollkommenheit und prangend in ebenmäßigem Wuchs, gleich dem leuchtenden Vollmond, verwandelt, das nun an mich herantrat und zu mir sagte, indem es mir die Hand küßte: »Gott schütze dich mit doppeltem Schutz; einmal vor der Schande in dieser Welt und zum andern Mal vor dem Feuer im Jenseits am Tag der großen Auferstehung, am Tag, da weder Geld noch Söhne frommen als allein ein reines Herz!« Hierauf sagte sie: »O Mensch, du hast meine Ehre geschützt und mir einen großen Dienst erwiesen, so daß es mir geziemt ihn dir zu lohnen.« Dann winkte sie mit der Hand nach der Erde, worauf sich dieselbe spaltete und wieder schloß, nachdem sie in ihr verschwunden war. Hieraus erkannte ich, daß sie eine Dschinnîje war; was den Drachen aber anlangt, so war das Feuer in ihm entflammt und hatte ihn zu einem Aschenhaufen verbrannt. Verwundert hierüber, kehrte ich zu meinen Gefährten zurück und erzählte ihnen, was ich geschaut hatte, worauf wir zur Nacht ruhten. Am andern Morgen lichtete der Kapitän wieder die Anker, rollte die Segel auf und wickelte die Seile zusammen, worauf wir weiter segelten, bis das Land unsern Blicken entschwand. Zwanzig Tage lang segelten wir so, ohne das Land oder auch nur einen Vogel zu sehen, so daß unser Wasser ausging und der Kapitän sprach: »Ihr Leute, das Süßwasser ist uns ausgegangen.« Da versetzten wir: »Wir wollen ans Land gehen, vielleicht finden wir Wasser.« Der Kapitän entgegnete jedoch: »Bei Gott, ich bin vom Wege abgeirrt und weiß nicht, auf welchem Weg wir zum Land gelangen.« Da wurden wir von großer Sorge erfaßt, und wir weinten und beteten zu Gott, dem Erhabenen, uns auf den rechten Weg zu führen, worauf wir die Nacht in übelster Verfassung verbrachten. 79 Doch gesegnet von Gott ist der Mann, der das Wort sprach:
»Wie viele Nächte verbracht' ich in Kümmernis,
Daß ein Säugling hätte ergrauen müssen!
Doch ehe des Morgens Schimmer mir tagte,
War mir Hilfe genaht von Gott und Sieg.«
Denn als der Morgen anbrach und es licht ward und tagte, sahen wir zu unserer Freude einen hohen Berg und beglückwünschten uns hierzu. Als wir dann zu jenem Berg gelangt waren, sagte der Kapitän: »Ihr Leute, steigt ans Land und laßt uns nach Wasser suchen.« Da stiegen wir alle ans Land und suchten nach Wasser, ohne jedoch etwas finden zu können, so daß wir wegen des Wassermangels schwer bedrückt wurden. Als ich nun aber auf den Gipfel des Berges stieg, gewahrte ich hinter ihm ein weites rundes Thal, das eine Stunde oder mehr von uns entfernt sein mochte. Ich rief deshalb meine Gefährten zu mir und sagte zu ihnen: »Schaut jenes Thal hinter diesem Berg, ich gewahre dort eine hochgebaute und starkgegründete Stadt mit Mauern, Türmen, Hügeln und Wiesen, die zweifellos weder an Wasser noch an sonstigen guten Dingen Mangel leiden wird. Laßt uns deshalb nach jener Stadt gehen und von ihr Wasser holen und einkaufen, was wir an Wegzehrung, Fleisch und Früchten bedürfen, um dann wieder zurückzukehren.« Sie erwiderten jedoch: »Wir fürchten, daß die Bewohner jener Stadt Kâfirs sind, die neben Gott andere Götter setzen, und Feinde des Glaubens, die uns ergreifen und gefangen nehmen oder gar erschlagen könnten, so daß wir selber Schuld an unserm Tod sind, indem wir uns in dieses Verderben und schlimme Unternehmen begeben. Waghalsigkeit ist niemals rühmenswert, da sie sich immer in Gefahr von irgend einem Unheil befindet, wie einer der Dichter sagt:
»So lange die Erde Erde und der Himmel Himmel ist,
Soll man den Waghalsigen nicht rühmen, auch wenn er entkommt.«
Wir wollen nicht tollkühn unser Leben wagen.« Da sagte ich zu ihnen: »Ihr Leute, ich habe keinen Befehl über euch, 80 doch will ich mit meinen beiden Brüdern zur Stadt gehen.« Meine Brüder versetzten jedoch auch: »Wir fürchten uns hiervor und wollen nicht mit dir gehen.« Da sagt' ich: »Nun, ich bin entschlossen zur Stadt zu gehen und vertraue auf Gott, zufrieden mit dem, was Gott über mich beschließt. Wartet deshalb auf mich, bis ich wieder zu euch zurückgekehrt bin.«
Neunhundertundzweiundachtzigste Nacht.
Hierauf verließ ich sie und marschierte drauf los, bis ich zum Stadtthor gelangte und gewahrte, daß es eine Stadt von wunderbarem Bau und seltsamer Architektur mit hohen Mauern, festen Türmen und ragenden Burgen war, deren Thore aus chinesischem Eisen bestanden und in sinnverwirrender Pracht vergoldet und ciseliert waren. Beim Eintreten ins Thor, erblickte ich eine steinerne Bank, auf welcher ein Mann saß, der an seinem Arm eine Kette aus Messing mit vierzehn Schlüsseln hängen hatte. Ich ersah daraus, daß er der Pförtner der Stadt war, und daß die Stadt vierzehn Thore hatte, weshalb ich mich ihm näherte und ihm den Gruß »Es-Salâm aleikum« – der Frieden sei auf euch! – entbot. Da er mir jedoch keine Antwort gab, grüßte ich ihn zum zweiten- und drittenmal, und, als er auch jetzt noch nicht antwortete, legte ich meine Hand auf seine Schulter und sagte zu ihm: »Du da, weshalb erwiderst du mir nicht den Salâm? Schläfst du oder bist du taub, oder bist du kein Moslem, daß du mir den Salâm nicht erwiderst?« Er gab jedoch keine Antwort und rührte sich auch nicht, so daß ich ihn nun scharf ins Auge faßte und sah, daß er aus Stein war. Da sprach ich: »Das ist ein wunderbarlich Ding; dieser Stein ist nach dem Bild eines Menschen geformt, und nichts fehlt ihm als die Sprache.« Hierauf wanderte ich durch die Straßen jener Stadt, so oft ich aber einen Menschen gewahrte und an ihn herantrat und näher zusah, fand ich, daß er aus Stein war. Dann stieß ich auf ein altes Weib, das 81 aus seinem Kopf ein Bündel Kleider zum Waschen trug; bei näherem Zusehen fand ich jedoch, daß sie und das Bündel Wäsche auf ihrem Kopf ebenfalls aus Stein bestand. Hierauf ging ich auf den Bazar, wo ich einen Ölhändler mit aufgestellter Wage sah, vor dem allerlei Waren, wie Käse und dergleichen, lagen, alle ebenfalls aus Stein. Und so sah ich alle Krämer in ihren Läden sitzen, und Männer, Weiber und Kinder, teils stehend, teils sitzend und alle aus Stein. Von hier ging ich auf den Bazar der Kaufleute, wo ich alle in ihren Läden, die mit Waren angefüllt waren, sitzen sah, ebenfalls alle aus Stein, und die Stoffe sahen wie Spinnengewebe aus. Ich besah mir alles, so oft ich aber ein Stück Zeug anfaßte, zerfiel es zwischen meinen Händen zu feinem Staub. Ferner gewahrte ich Kisten und fand in einer, die ich öffnete, Gold in Beuteln; als ich aber die Beutel anfaßte, zerfielen sie ebenfalls in meiner Hand, während das Gold blieb, so daß ich soviel Gold, als ich tragen konnte, zu mir nahm, indem ich bei mir sprach: »Wenn doch meine Brüder bei mir wären, so könnten sie von diesem Gold nach Belieben zu sich stecken und sich in Besitz dieser herrenlosen Schätze setzen.« Hernach trat ich in einen andern Laden, in dem ich noch mehr Gold sah, jedoch konnte ich nicht mehr tragen, als ich mir bereits aufgepackt hatte. Dann verließ ich diesen Bazar und ging in einen andern und von dort in einen dritten, wobei ich mich an all den verschiedenen Geschöpfen ergötzte, die bis zu den Hunden und Katzen aus Stein bestanden, bis ich schließlich zum Bazar der Goldschmiede gelangte, in dem ich die Goldschmiede in ihren Läden sitzen sah, und bei ihnen ihre Waren, von denen die einen in Körben lagen, während sie die andern in ihren Händen hielten. Als ich dies sah, o Fürst der Gläubigen, warf ich alles Gold fort und lud mir von den Schmucksachen, soviel als ich tragen konnte, auf. Alsdann ging ich vom Bazar der Goldschmiede zum Bazar der Juweliere, wo ich die Juweliere in ihren Läden sitzen sah, während vor jedem ein Korb mit 82 allerlei Edelsteinen stand, als Hyazinthen, Diamanten, Smaragden, Ballasrubinen und dergleichen Steinen von allerlei Art; doch waren die Ladeninhaber wiederum alle von Stein. Da warf ich alle Schmucksachen fort und lud mir so viel Juwelen auf als ich zu tragen vermochte, bedauernd, daß meine Brüder nicht bei mir waren und so viel Juwelen, als sie wollten, sich aufladen konnten. Vom Bazar der Juweliere gelangte ich dann zu einem großen, vergoldeten und aufs schönste verzierten Portal, in welchem Bänke standen, auf denen Eunuchen, Garden, Trabanten, Krieger und Magistratspersonen saßen, alle in den prächtigsten Kleidern, jedoch samt und sonders aus Stein. Als ich einen derselben zur Probe betastete, fielen ihm die Kleider wie Spinngewebe vom Leib. Durch das Portal eintretend, gewahrte ich nun einen Serâjpalast, unvergleichlich, was seinen Bau und die kunstvolle Arbeit in seiner Ausführung anlangt. In jenem Palast sah ich einen Diwan angefüllt von Großen, Wesiren, Vornehmen und Emiren, sitzend auf Thronen, doch jeder aus Stein. Dann gewahrte ich einen Thron aus rotem Gold, besetzt mit Perlen und Edelsteinen, auf denen ein Mensch in prächtigster Gewandung saß, der auf seinem Haupt eine Chosroenkrone trug, die mit kostbaren Juwelen besetzt war, deren Glanz licht war wie der Tag; als ich mich ihm aber näherte, fand ich, daß er ebenfalls aus Stein war. Dann wendete ich mich vom Diwan zur Haremsthür und trat durch dieselbe ein, worauf ich nun einen Diwan von Frauen sah, in welchem ebenfalls ein Thron aus rotem Gold, besetzt mit Perlen und Edelsteinen, stand, auf dem eine Königin mit einem mit kostbaren Juwelen besetzten Diadem auf dem Haupt saß, umgeben von Frauen gleich Monden, die auf Thronen saßen und in Kleider von den mannigfachsten Farben gekleidet waren. Auch standen dort Eunuchen mit auf der Brust gekreuzten Händen, als warteten sie auf; und mit all seinem Goldprunk, seiner wundersamen Malerei und prachtvollen Ausstaffierung verwirrte der Diwan des Beschauers Sinne. Die strahlendsten 83 Hängelampen aus klarstem Krystall hingen in ihm, und an jedem Krystallknauf hing ein kostbares, unbezahlbares Juwel. Da warf ich alles, was ich bei mir hatte, fort, o Fürst der Gläubigen und lud so viel von diesen Juwelen auf, als ich zu tragen vermochte, ratlos, was ich aufpacken und was ich zurücklassen sollte, da mir der ganze Raum wie ein Städteschatz vorkam. Hierauf gewahrte ich eine kleine offenstehende Thür, hinter welcher eine Stufenflucht aufwärts führte; ich trat deshalb durch sie ein und stieg vierzig Stufen empor, als ich eine menschliche Stimme in sanftem Tonfall den Koran hersagen hörte; da schritt ich auf jene Stimme zu, bis ich zur Thür des Obergemachs kam, vor der ich einen seidenen mit goldenen Schnüren bestickten Vorhang sah, an denen Perlen, Korallen, Hyazinthen, Stücke von Smaragden und andere Edelsteine aufgereiht hingen, die wie Sterne glitzerten. Da die Stimme hinter jenem Vorhang ertönte, trat ich an ihn heran und hob ihn auf, worauf ich eine vergoldete, die Gedanken mit ihrer Pracht verwirrende Thür erblickte, durch die ich in einen Raum schritt, der einem Zauberhort auf der Erdoberfläche glich, in dem sich ein Mädchen befand gleich der leuchtenden Sonne am lachenden Himmel. Sie war in die prächtigsten Kleider gekleidet und mit den kostbarsten Juwelen geschmückt; und dabei war sie von wunderbarer Schönheit und Anmut und herrlichstem Wuchs und Ebenmaß, voll feinster Eleganz und Vollkommenheit, mit schlanker Taille und schwerem Gesäß; ihres Mundes Seim konnte den Kranken heilen und müde träumten ihre Lider, als ob das Dichterwort auf sie gemünzt wäre:
»Meinen Salâm der Gestalt in jenen Kleidern
Und den Rosen im Garten ihrer Wangen!
Es ist, als ob die Plejaden an ihrer Stirne hingen
Und die andern Gestirne der Nacht als Schnur auf ihrer Brust.
Wenn sie ein Kleid aus lautersten Rosen trüge,
So würde der Rose Blatt, gepflückt von ihrem Leibe, Blut ziehen.So zart nämlich ist ihre Haut. 84
Wenn sie ins Meer spützte, in die salzige Flut,
So würde des Meeres Geschmack süßer als Honig werden,
Und wenn sie einen Greis am Stab mit ihrer Huld beglückte,
So würde der Greis am andern Morgen Löwen zerreißen.«
Als ich, o Fürst der Gläubigen, dieses Mädchen sah, verliebte ich mich leidenschaftlich in sie; näher an sie herantretend, gewahrte ich dann, daß sie auf einem hohen Teppichsitz saß und die Schrift Gottes, des Mächtigen und Herrlichen, auswendig hersagte, wobei ihre Stimme wie der Klang der Pforten Edens, wenn Ridwân sie öffnet, ertönte, und ihre Worte zwischen ihren Lippen wie Juwelen hervorperlten, während ihr Antlitz von wunderbarem Liebreiz erstrahlte, leuchtend und weiß wie Blüten, wie der Dichter von ihr sagt:
»O die du mit deiner Stimme und deinen Eigenschaften die Menschen entzückst,
Meine Sehnsucht und mein Verlangen nach dir wachsen immer mehr.
Zwei Dinge in dir lassen jeden Liebenden hinschmelzen,
Das ist Davids Gesang und Josephs Schönheit.«
Als ich ihren melodischen Vortrag des erhabenen Korans vernahm, citierte mein Herz, getroffen von ihren tödlichen Blicken, das Wort: »Frieden, ein Wort von einem erbarmenden Herrn.«Sure 36, 58. Jedoch stotterte und stammelte ich beim Sprechen und konnte den Salâm nicht ordentlich hervorbringen, da mir Sinn und Auge verwirrt und geblendet waren. Dann aber wappnete ich mich wider die Schrecken der Sehnsucht und sprach zu ihr: »Der Frieden sei auf dir, wohlbehütete Herrin und wohlverwahrtes Juwel! Gott lasse dauern deines Glückes Fundament und erhöhe deines Ruhmes Pfeiler.« Da versetzte sie: »Und auf dir sei der Frieden von mir, der Willkomm und die Ehrung, o Abdallāh, Sohn des Fâdil! Willkommen, von Herzen willkommen, mein Liebling und Trost meines Auges!« Ich sprach nun zu ihr: »Meine Herrin, woher kennst du meinen Namen, wer bist du, und wie kommt es, daß das Volk dieser Stadt zu Stein verwandelt ist? 85 Sag' mir doch, wie es sich in Wahrheit hiermit verhält, denn ich verwundere mich über die Stadt und ihre Bewohner und bin voll Staunen darüber, daß ich niemand weiter als dich antraf. Um Gott, gieb mir den wahren Sachverhalt hiervon an.« Da sagte sie zu mir: »Setz' dich, Abdallāh, ich will es dir, so Gott will, der Erhabene, erzählen und will dir vermelden, was es mit mir und der Stadt und ihren Bewohnern auf sich hat; und es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Als ich mich dann an ihre Seite gesetzt hatte, hob sie an: »Wisse, o Abdallāh, – und Gott erbarme sich dein! – ich bin die Tochter des Königs dieser Stadt, und mein Vater ist der, den du im Diwan auf dem hohen Thron sitzen sahst, umgeben von den Großen seines Reiches und den Vornehmsten des Königreiches. Mein Vater war ein Herr von gewaltiger Macht und gebot über tausendmal tausend und einhundertundzwanzigtausend Streiter. Die Anzahl der Emire seines Reiches betrug vierundzwanzigtausend, von denen alle Gouverneure und Würdenträger waren; und in seinem Gehorsam standen tausend Städte außer den Flecken, Landgütern, Burgen, Festen und Weilern, während unter seiner Hand tausend Beduinenemire standen, von denen jeder über zwanzigtausend Berittene gebot, und außerdem besaß er an Geldern, Schätzen, Edelsteinen und Juwelen, was kein Auge sah und kein Ohr vernahm.
Neunhundertunddreiundachtzigste Nacht.
Die Könige zwang er nieder und die Kämpen und Degen vertilgte er auf dem Blachgefild in der Schlacht, so daß die Recken ihn fürchteten und selbst die Chosroen sich vor ihm demütigten. Bei alledem war er jedoch ein Kâfir, der Gott andre Götter zur Seite stellte und Götzen diente anstatt seines Herrn; ebenso waren alle seine Heerscharen Kâfirs, die den Götzen dienten an Stelle des allwissenden Königs. Da traf es sich, daß er eines Tages auf dem Thron seines 86 Königreiches saß, umgeben von den Großen seines Reiches, als mit einem Male eine Gestalt zu ihm eintrat, deren Angesicht mit ihrem Glanz den ganzen Diwan erstrahlen ließ. Mein Vater schaute nach ihr und sah, daß sie in ein grünes Gewand gekleidet war; sie selber war hochgewachsen, ihre Hände reichten bis unter die Kniee, und sie war ehrfurchtgebietend und heilige Scheu einflößend, und Licht strahlte aus von ihrem Angesicht. Und nun sprach sie zu meinem Vater: »O Rebell und Tyrann, wie lange willst du noch in verblendetem Trotz den Götzen dienen und die Anbetung des Allwissenden Königs hintanlassen? Sprich: »Ich bezeuge, daß es keinen Gott giebt außer Gott, und bezeuge, daß Mohammed sein Knecht und Gesandter ist.« Werde Moslem, du und dein Volk, und wende dich ab vom Dienst der Götzen, denn sie frommen dir nichts und legen keine Fürsprache ein. Niemand verdient Anbetung als allein Gott, der die Himmel hoch aufgerichtet hat ohne Säulen, und der die Erden hinbreitete aus Barmherzigkeit für seine Diener.« Da fragte ihn mein Vater: »Wer bist du, o Mann, der du die Anbetung der Götzen verwirfst und also sprichst? Fürchtest du dich denn nicht vor ihrem Zorn?« Er erwiderte: »Siehe, die Götzen sind Stein und schaden mir weder mit ihrem Zorn noch nützen sie mir mit ihrem Wohlgefallen. Bring' den Götzen, dem du dienst, her zu mir und befiehl jedem einzigen in deinem Volk seinen Götzen zu bringen. Wenn dann alle eure Götzen da sind, so laß sie mich mit ihrem Zorn treffen, und ich will sie mit dem Zorn meines Herrn treffen; und dann sollt ihr den Zorn des Schöpfers von dem Zorn der Geschöpfe unterscheiden. Denn eure Götzen, ihr habt sie geformt, und die Satane kleiden sich mit ihnen und sprechen aus dem Leib der Götzen zu euch; eure Götzen sind nur Geschöpfe, mein Gott aber ist ein Schöpfer, dem nichts unmöglich ist. Wenn euch die Wahrheit offenkund wird, dann befolgt sie, und, wenn euch die Lüge offenkund wird, dann gebt sie auf.« Da riefen sie: »Gieb uns einen Beweis 87 für deinen Herrn, damit wir ihn sehen;« worauf er entgegnete: »Bringt mir Beweise für eure Herren.« Hierauf befahl der König jedem, der einen Götzen als Herrn anbetete, ihn zu bringen, worauf seine gesamten Heerscharen ihre Götzen in den Diwan brachten. Ich aber saß hinter einem Vorhang, von wo ich meines Vaters Diwan überschauen konnte, und ich hatte einen Götzen aus grünem Smaragd in Menschengröße. Als mein Vater nach ihm verlangte, schickte ich ihm den Götzen in den Diwan, wo sie ihn neben meines Vaters Götzen aufstellten, der aus Hyazinth war, während der Götze des Wesirs aus Diamant bestand. Die Götzen der Häupter der Truppen und Unterthanen bestanden teils aus Ballasrubin, teils aus Karneol, teils aus Korallen, teils aus Komoriner Aloe, aus Ebenholz, aus Silber oder aus Gold, indem jeder seinen eigenen Götzen entsprechend seinen Mitteln hatte; das gemeine Volk unter den Truppen und Unterthanen aber hatte Götzen, die teils aus Stein, teils aus Holz oder aus Töpfererde und Lehm waren; und alle Götzen hatten verschiedene Farbe, sei es gelb, grün, rot, schwarz oder weiß. Alsdann sprach jener Mann zu meinem Vater: »Laß deinen und die andern Götzen wider mich zornig werden.« Da ordneten sie die Götzen in der Weise eines Diwans, indem sie meines Vaters Götzen auf einen goldenen Thron auf den Ehrenplatz setzten, mit meinem Götzen zur Seite, und die andern Götzen alle auf die Plätze derer stellten, die ihnen dienten. Dann erhob sich mein Vater und sprach zu seinem Götzen, sich vor ihm niederwerfend: »Mein Gott, du bist der gütige Herr, und es giebt unter den Götzen keinen größeren als dich; du weißt, daß dieser Mensch zu mir kam, deine Gottheit beschimpfend und dich verspottend, indem er behauptet, er hätte einen Gott, der stärker als du wäre, und uns auffordert deine Anbetung aufzugeben und seinem Gott zu dienen. So triff ihn mit deinem Zorne, o mein Gott!« Wie sehr er aber auch zu ihm betete, gab ihm sein Götze jedoch keine Antwort noch sprach er ein Wort zu ihm, so daß 88 er zu ihm sagte: »Mein Gott, das ist doch sonst nicht deine Art? So oft ich sonst zu dir sprach, gabst du mir Antwort. Was bist du jetzt stumm und redest nicht? Bist du etwa unachtsam oder schläfst du? Wach' auf, komm' mir zu Hilfe und sprich zu mir!« Hierauf winkte er ihm mit der Hand, ohne daß er gesprochen oder sich von seinem Platz gerührt hätte. Da fragte der Mann meinen Vater: »Warum redet denn dein Götze nicht?« Er erwiderte: »Ich glaube, er giebt nicht acht oder er schläft.« Da rief der Mann: »O du Feind Gottes, wie kannst du einem Gott dienen, der nicht spricht und der zu nichts Macht hat? Warum betest du nicht meinen Gott an, der nahe ist und erhört, der anwesend ist und nicht abwesend, und der nie achtlos ist und nimmer schläft, den keine Vorstellungen erreichen, der sieht und nicht gesehen wird, und der über alle Dinge Macht hat? Dein Gott dagegen ist ohnmächtig und vermag keinen Schaden von sich abzuwehren, und nur ein gesteinigter Satan kleidete sich mit ihm, um dich zu verführen und zum Irrtum zu verleiten. Jetzt ist der Satan entwichen, und deshalb diene du nun Gott und bezeuge, daß es keinen Gott giebt außer ihm, daß niemand außer ihm anbetungswert und würdig ist, und daß es kein Gutes giebt außer seinem Guten. Was aber diesen deinen Gott anlangt, so vermag er sich vor keinem Übel zu schützen, wie also könnte er dich schützen? Schau mit deinen eigenen Augen seine Ohnmacht.« Alsdann trat er an ihn heran und gab ihm einen Schlag in den Nacken, daß er auf die Erde fiel. Da ergrimmte der König und rief den Anwesenden zu: »Dieser Gottesleugner hat meinen Gott geschlagen; schlagt ihn tot!« Sie aber vermochten sich nicht zu erheben, und keiner konnte sich von seinem Platze rühren. Hierauf unterbreitete er ihnen den Islam, und, als sie sich weigerten Moslems zu werden, sagte er: »Jetzt will ich euch den Zorn meines Herrn zeigen.« Sie versetzten: »Zeig' ihn uns.« Da breitete er seine Hände aus und betete: »Mein Gott und mein Herr, du bist mein Vertrauen und meine 89 Hoffnung; erhöre mein Gebet wider dieses Volk von Frevlern, die dein Gutes essen und einem andern dienen, o du, der du die Wahrheit bist, o Allgewaltiger, o Schöpfer der Nacht und des Tages, ich flehe dich an, verwandle dieses Volk zu Stein, denn du bist allmächtig, und nichts ist dir unmöglich, dieweil du Macht hast über alle Dinge.« Da verwandelte Gott das Volk dieser Stadt zu Stein; was mich aber anlangt, so ward ich, als ich den offenkundigen Beweis sah, gläubig zu Gott, so daß ich dem Verderben, das sie betraf, entrann. Alsdann trat jener Mann zu mir heran und sprach zu mir: »Dir ward von Gott Glückseligkeit vorausbestimmt, und er verfolgte damit einen Zweck.« Dann unterwies er mich und nahm mich in Eid und Gelöbnis. Ich aber war damals sieben Jahre alt und zähle jetzt dreißig Jahre. Dann sagte ich zu ihm: »Alles, was sich in der Stadt befindet, und alle ihre Bewohner sind auf dein frommes Gebet hin zu Stein geworden, und ich allein entkam, indem ich durch deine Hände den Islam annahm, wodurch du mein ScheichLehrmeister. wardst. Sag' mir deshalb deinen Namen, steh mir mit deiner Hilfe bei, und gieb mir etwas, wodurch ich mein Leben fristen kann.« Da sagte er: »Mein Name ist Abul Abbâs el-Chidr«Hier haben wir wiederum den »ewigjungen« Propheten., und pflanzte mir eigenhändig einen Granatbaum, welcher sofort wuchs und grünte und blühte und eine Granate trug. Dann sagte er: »Iß, was dir Gott, der Erhabene, beschert, und diene ihm, so wie es ihm gebührt.« Hierauf lehrte er mich die Vorschriften des Islams, die Vorschriften des Gebets und den Weg der Anbetung sowie die Recitation des Korans, und seither hab' ich Gott an dieser Stätte dreiundzwanzig Jahre lang gedient. Jeden Tag trägt mir dieser Baum einen Granatapfel, und ich esse ihn und ernähre mich dadurch von einem Tag zum andern. An jedem Freitag aber kommt El-Chidr – Frieden sei auf ihm! – zu mir, und er war's auch, der mir deinen Namen sagte und mir 90 die frohe Kunde brachte, daß du bald an diesen Ort kommen würdest, indem er zu mir sagte: »Wenn er zu dir kommt, so nimm ihn ehrenvoll auf; gehorch' ihm, ohne ihm zu widersprechen, und werde sein Weib, dem du als deinem Ehgemahl überallhin folgst, wo er will.« Wie ich dich nun sah, erkannte ich dich; und dies ist die Geschichte dieser Stadt und ihrer Bewohner; und der Frieden sei auf dir!« Alsdann zeigte sie mir den Granatbaum, an dem ein Granatapfel hing, von dem sie die eine Hälfte aß, während sie mir die andre zu essen gab; und niemals aß ich etwas süßeres, aromatischeres und schmackhafteres als diesen Granatapfel. Hierauf fragte ich sie: »Bist du zufrieden mit dem, was der Scheich El-Chidr – Frieden sei auf ihm! – dich hieß, nämlich mein Weib zu sein, während ich dein Ehgemahl bin, und mir nach meinem Land zu folgen, daß ich mit dir in der Stadt Basra wohne?« Sie versetzte: »Jawohl, so Gott, der Erhabene, will. Ich höre auf dein Wort und gehorche deinem Befehl ohne Widerspruch.« Nachdem ich hierauf Eid und Gelöbnis von ihr abgenommen hatte, führte sie mich in die Schatzkammer ihres Vaters, wo wir so viel, als wir zu tragen vermochten, aufluden, worauf wir die Stadt verließen und zu meinen Brüdern zurückkehrten, die bereits nach uns suchten und nun zu mir sprachen: »Wo bist du gewesen? Du bliebst lange aus, so daß unsere Herzen um dich voll Unruhe wurden.« Der Kapitän aber sprach zu mir: »O Kaufmann Abdallāh, der Wind war seit geraumer Zeit günstig für uns, und du hindertest uns an der Fahrt.« Ich versetzte: »Das schadet nichts; Versäumnis ist unter Umständen Gewinn, denn mein Ausbleiben brachte uns Nutzen und trug mir der Hoffnungen Erfüllung ein. Schaut nur, was mir dieses Ausbleiben eingebracht hat.« Hierauf zeigte ich ihnen die Schätze, die ich bei mir hatte, und erzählte ihnen, was ich in der Stadt von Stein alles gesehen hatte, indem ich hinzufügte: »Wenn ihr mich gehört hättet und mit mir gegangen wäret, so hättet ihr dadurch eine Menge hiervon gewonnen.« 91
Neunhundertundvierundachtzigste Nacht.
Sie versetzten: »Bei Gott, wären wir auch mitgegangen, so hätten wir doch nicht den Mut gehabt, bei dem König der Stadt einzutreten.« Da sagte ich zu meinen Brüdern: »Hat nichts zu sagen, was ich bei mir habe, genügt für uns alle; dies ist unser aller Teil.« Hierauf verteilte ich alles unter uns in gleiche Teile, indem ich meinen beiden Brüdern und dem Kapitän je einen Teil gab und den vierten für mich behielt, nachdem ich den Dienern und Matrosen auch etwas gegeben hatte, die mich hocherfreut segneten. Alle waren mit dem, was ich ihnen gab, zufrieden bis auf meine Brüder, die sich ungebärdig stellten und die Augen rollten. Als ich sah, daß die Gier sie in die Hände bekommen hatte, sagte ich zu ihnen: »Meine Brüder, mir scheint es, daß ihr mit dem, was ich euch gab, nicht zufrieden seid? Wir sind jedoch Brüder, und es ist kein Unterschied zwischen uns; mein Gut ist euer Gut und, wenn ich sterbe, soll mich kein anderer als ihr beerben.« In dieser Weise gab ich ihnen gute Worte. Dann brachte ich das Mädchen auf die Galeone und führte sie in die Kabine, worauf ich ihr etwas zu essen schickte. Als ich dann mit meinen Brüdern plaudernd dasaß, fragten sie mich: »Bruder, was willst du mit jenem wunderhübschen Mädchen thun?« Ich versetzte: »Sobald ich nach Basra gekommen bin, will ich mich mit ihr gesetzmäßig verbinden und eine prächtige Hochzeit anrichten, worauf ich sie heimsuchen will.« Da sagte einer meiner Brüder: »Mein Bruder, wisse, dieses Mädchen ist von wunderbarer Schönheit und Anmut, und mein Herz ist so von Liebe zu ihr erfaßt, daß ich sie von dir haben möchte, um sie selber zu heiraten;« worauf der andere erwiderte: »Und mir ergeht es gerade so; gieb sie mir, damit ich sie heirate.« Ich entgegnete ihnen: »Meine Brüder, sie nahm mir Eid und Gelöbnis ab, sie zu heiraten; wenn ich sie nun einem von euch gebe, so bin ich eidbrüchig, und vielleicht bricht ihr das Herz darüber, da sie 92 nur unter der Bedingung, daß ich sie heiratete, mit mir kam. Wie kann ich sie also mit einem andern verheiraten? Wenn ihr sagt, daß ihr sie liebt, so liebe ich sie um vieles mehr, da sie mein Findling ist. Sie einem von euch zu geben ist ein ganz unmöglich Ding, jedoch will ich, wenn wir wohlbehalten in Basra eingetroffen sind, euch zwei Mädchen aus den besten der Töchter Basras aussuchen und für euch um sie anhalten; und die Brautgabe will ich von meinem Geld zahlen und will ein einziges Hochzeitsfest anrichten, daß wir alle drei in einer Nacht unsere Frauen heimsuchen. Von diesem Mädchen aber kehrt euch ab, denn es ist mein Anteil.« Da schwiegen sie, und ich glaubte schon, sie wären mit meinen Worten zufrieden. Wir reisten nun weiter nach Basra, und ich schickte ihr fort und fort zu essen und trinken, ohne daß sie die Kabine verließ, und schlief des Nachts zwischen meinen Brüdern auf dem Deck der Galeone. Vierzig Tage lang waren wir in dieser Weise gefahren, und bereits bekamen wir Basra in Sicht und freuten uns, es wieder erreicht zu haben; da aber, als ich voll Vertrauen auf meine Brüder und mich vor ihnen sicher haltend, – denn niemand kennt das Verborgene als allein Gott, der Erhabene, – in jener Nacht zwischen ihnen in tiefem Schlaf lag, ward ich plötzlich, ehe ich mich's versah, von ihnen hochgehoben, indem mich der eine an den Beinen und der andre an den Armen packte, da sie sich verabredet hatten mich wegen des Mädchens ins Meer zu werfen. Als ich mich in ihren Händen hochgehoben sah, rief ich: »Meine Brüder, weshalb thut ihr mir dies an?« Sie versetzten: »Ungebildeter, wie willst du unsere Liebe für ein Mädchen verkaufen? Wir wollen dich deshalb ins Meer werfen.« Und so thaten sie es. – Hierauf wendete er sich zu den beiden Hunden und fragte sie: »Sind meine Worte wahr, meine Brüder, oder nicht?« Da senkten sie ihre Köpfe zu Boden und heulten, als ob sie seine Worte bestätigten. Der Chalife verwunderte sich hierüber, Abdallāh aber fuhr nun fort: »Als sie mich, o Fürst der Gläubigen, 93 ins Meer geworfen hatten, sank ich auf den Grund; dann aber hob mich das Wasser wieder zur Meeresoberfläche empor, und, ehe ich mich's versah, fuhr ein großer Vogel in der Größe eines Menschen auf mich nieder, packte mich und stieg mit mir wieder hoch in den Luftraum empor. Als ich meine Augen öffnete, fand ich mich in einem stark gegründeten und hoch gebauten Schloß, das mit prächtigen Malereien bedeckt war und Lüstres hatte, geschmückt mit Juwelen von allerlei Form und Farbe. In dem Schloß befanden sich Sklavinnen, die mit auf der Brust gekreuzten Händen dastanden, und unter ihnen saß auf einem mit Perlen und Edelsteinen besetzten Thron aus rotem Gold eine Frau in einem Kleid, bei dessen Juwelenglanz man geblendet die Augen schließen mußte. Um ihre Taille trug sie einen Juwelengurt, der nicht mit Geld zu bezahlen war, und auf dem Haupt hatte sie eine dreifache Krone, die den Verstand und die Gedanken verwirrte und der Beschauer Herzen gefangen nahm. Und mit einem Male verwandelte sich der Vogel, der mich entführt hatte, in ein Mädchen gleich der strahlenden Sonne, in dem ich dasselbe Mädchen wiedererkannte, das ich auf dem Berg als Schlange gesehen und von dem Drachen befreit hatte. Alsdann fragte sie die Frau, die auf dem Thron saß: »Weshalb hast du diesen Menschen hierher gebracht?« Sie versetzte: »Meine Mutter, das ist der, welcher meine Ehre unter den Töchtern der Dschânn schützte.« Dann fragte sie mich: »Weißt du, wer ich bin?« Ich erwiderte: »Nein.« Da sagte sie: »Ich bin die, die du auf dem und dem Berg von dem schwarzen Drachen befreitest, der mit mir kämpfte und mir meine Ehre nehmen wollte.« Ich entgegnete: »Ich sah bei dem Drachen nur eine weiße Schlange;« worauf sie versetzte; ich bin jene weiße Schlange; jedoch bin ich die Tochter des roten Königs, des Königs der Dschânn; mein Name ist Saîde, und sie, die dort sitzt, ist meine Mutter und heißt Mubârake, die Gattin des roten Königs; der Drache aber, der mit mir kämpfte und mir die Ehre nehmen wollte, 94 war der Wesir des schwarzen Königs, Darphîl geheißen, und war von häßlicher Gestalt. Es traf sich, daß er mich sah, worauf er sich in mich verliebte und bei meinem Vater um mich anhielt. Mein Vater ließ ihm jedoch ansagen: »Was bist du denn, du Abschaum von Wesir, daß du Königstöchter heiraten willst?« Da ergrimmte er und schwur einen Eid mich meinem Vater zum Trotz zu schänden, worauf er meiner Spur nachging und mir auf Schritt und Tritt folgte. Zwischen ihm und meinem Vater fanden deshalb gewaltige Fehden und vielerlei Drangsalierungen statt, jedoch vermochte mein Vater ihn nicht zu bezwingen, da er voll Trutz und List war; und so oft mein Vater ihn auch in die Enge trieb und im Begriff war, sich seiner zu bemächtigen, wußte er ihm doch zu entrinnen, so daß mein Vater schließlich ratlos war. Ich aber nahm von Tag zu Tag neue Gestalt und Farbe an; so oft ich mich jedoch in eine neue Gestalt verwandelte, verwandelte er sich in ihr Gegenteil und, in welches Land ich auch flüchtete, so roch er mich doch und folgte mir dorthin nach, so daß ich schwere Drangsal durch ihn auszustehen hatte. Wie ich mich nun in die Gestalt einer Schlange verwandelt hatte und nach jenem Berg geflohen war, nahm er die Gestalt eines Drachen an und verfolgte mich, bis ich in seine Hand fiel, worauf wir miteinander rangen, bis ich ermattete und er auf mich stieg, um sein Begehr an mir zu stillen. Da aber kamst du und warfst ihn mit dem Stein tot, worauf ich mich wieder zu einem Mädchen verwandelte und dich mich sehen ließ, indem ich zu dir sprach: »Ich bin dir für einen Dienst verpflichtet, der nur an Dirnensöhnen verloren ist.« Als ich nun deine Brüder dich hinterlistig ins Meer werfen sah, eilte ich zu dir und errettete dich vor dem Verderben; und nun gebührt dir Ehre von meinem Vater und meiner Mutter.« Hierauf sagte sie: »Mutter, thu' ihm die Ehre an, die ihm für den Schutz meiner Ehre gebührt.« Ihre Mutter versetzte darauf: »Sei willkommen, Mensch, du hast uns einen Dienst erwiesen, für den dir Ehre gebührt.« 95 Alsdann befahl sie mir einen märchenhaft schönen Anzug zu bringen, der eine Menge Geld wert war, und schenkte mir obendrein eine Menge Juwelen und Edelsteine, worauf sie sprach: »Nehmt ihn und führt ihn vor den König.« Da nahmen sie mich und führten mich in den Diwan, wo ich den König umgeben von den Mâriden und Aunen auf dem Thron sitzen sah; doch ward mein Blick von den Juwelen, die er an sich hatte, geblendet. Als er mich erblickte, erhob er sich, worauf sich seine Streiter, ihm zu Ehren, ebenfalls erhoben. Dann hieß er mich willkommen und begrüßte mich unter den höchsten Ehrenbezeugungen, indem er mir von dem, was er an guten Dingen bei sich hatte, Geschenke machte. Dann sprach er zu einigen aus seinem Gefolge: »Nehmt ihn und führt ihn zu meiner Tochter, daß sie ihn zu dem Ort bringt, von wannen sie ihn geholt hat.« Da nahmen sie mich und führten mich wieder zu seiner Tochter Saîde, die mich nun auflud und mit mir und meinen Schätzen fortflog. Soviel von mir und Saîde. Als nun aber der Kapitän der Galeone von meinem Fall ins Meer aufwachte, fragte er: »Was ist ins Meer gefallen?« Da weinten meine Brüder und riefen, sich vor die Brust schlagend: »Ach über den Verlust unsers Bruders! Er wollte an der Seite der Galeone ein Bedürfnis verrichten und fiel dabei ins Meer.« Hierauf legten sie ihre Hände an mein Gut; wegen des Mädchens aber entzweiten sie sich, indem jeder von ihnen sagte: »Ich will sie haben,« und haderten in einem fort miteinander, ohne weiter an ihren ertrunkenen Bruder zu denken und ihn zu betrauern. Als sie jedoch in dieser Weise miteinander stritten, ließ sich mit einem Male Saîde mit mir mitten auf die Galeone nieder.
Neunhundertundfünfundachtzigste Nacht.
Sobald mich meine Brüder erblickten, umarmten sie mich in heuchlerischer Freude und sagten: »Ach, Bruder, wie ist es dir ergangen? Unser Herz war in Unruhe über dich.« 96 Da sagte Saîde: »Wenn euer Herz sich irgendwie um ihn bekümmert hätte oder wenn ihr ihn geliebt hättet, so hättet ihr ihn nicht ins Meer geworfen, als er schlief; wählt euch jedoch den Tod aus, den ihr sterben wollt.« Alsdann packte sie meine Brüder und wollte sie töten, worauf sie schrieen und riefen: »In deinem Schutz, o Bruder!« Da legte ich mich ins Mittel und sprach zu ihr: »Ich bitte dich bei deiner Ehre, töte meine Brüder nicht.« Sie entgegnete: »Ich muß sie töten, da es Verräter sind.« Ich gab ihr jedoch so lange gute Worte und suchte sie zu besänftigen, bis sie sagte: »Dir zuliebe will ich sie nicht töten, jedoch will ich sie verzaubern.« Hierauf holte sie eine Schale hervor und füllte sie mit Meerwasser, worauf sie unverständliche Worte darüber sprach und dann sagte: »Gebt eure menschliche Gestalt auf und nehmt die Gestalt von Hunden an.« Alsdann besprengte sie sie mit dem Wasser, und alsbald verwandelten sie sich in Hunde, wie du sie schaust, o Chalife Gottes.« Dann wendete er sich zu ihnen und fragte sie: »Sind meine Worte wahr, meine Brüder?« und sie senkten die Köpfe, als bestätigten sie es. Hierauf fuhr er fort: »O Fürst der Gläubigen, nachdem sie meine Brüder in Hunde verzaubert hatte, sagte sie zu den Leuten, die sich auf dem Schiff befanden: »Wisset, Abdallāh, der Sohn des Fâdil, ist mein Bruder geworden, und ich werde ihn täglich ein- oder zweimal besuchen und mit jedem von euch, der sich ihm widersetzt oder seinem Befehl nicht gehorcht oder ihm mit Hand oder Zunge ein Leid zufügt, ebenso wie mit diesen beiden Verrätern verfahren und ihn in einen Hund verwandeln, daß er sein Leben in Hundegestalt beschließt, ohne Erlösung zu finden.« Da entgegneten ihr alle: »Meine Herrin, wir alle sind seine Sklaven und Diener und wollen ihm nicht widersprechen.« Alsdann sagte sie zu mir: »Wenn du nach Basra kommst, so mustere all dein Gut, und, wenn irgend etwas davon fehlt, so laß es mich wissen. Ich will es zu dir bringen, bei wem und an welchem Ort es sich auch befinden mag, und den, der es dir 97 entwendet hat, den will ich in einen Hund verzaubern. Wenn du dein Gut aufgespeichert hast, so leg' um den Hals eines jeden dieser Verräter ein Joch, bind' sie an den Fuß eines Sofas und sperr' sie ein. In jeder Mitternacht aber steig' hinunter zu ihnen und gieb jedem eine Tracht Prügel, bis er bewußtlos wird; und, so du eine Nacht verstreichen lässest, ohne sie zu prügeln, komme ich zu dir und gebe dir zuerst ein Futter Prügel und dann ihnen.« Ich erwiderte ihr: »Ich höre und gehorche.« Dann fuhr sie fort: »Leg' ihnen einen Strick an, bis du nach Basra kommst.« Infolgedessen legte ich um den Hals eines jeden von ihnen einen Strick und band sie an den Mast, worauf sie verschwand. Als wir dann am andern Tage in Basra eintrafen, kamen die Kaufleute uns zum Empfang entgegen und begrüßten mich, ohne daß sich jemand nach meinen Brüdern erkundigt hätte; nur, als sie die Hunde sahen, fragten sie mich: »Du da, was willst du mit diesen Hunden thun, die du da mitgebracht hast?« Ich erwiderte ihnen: »Ich zog sie unterwegs groß und hab' sie mitgebracht.« Da lachten sie über die Hunde, ohne zu wissen, daß es meine Brüder waren. Hierauf sperrte ich sie in einer Kammer ein und beschäftigte mich die ganze Nacht über mit Unterbringung der Zeug- und Juwelenballen, während die Kaufleute bei mir weilten, mich zu begrüßen, so daß ich zu beschäftigt war, sie zu schlagen und anzuketten. Ohne ihnen ein Leid zuzufügen, legte ich mich schlafen, als mit einem Male unversehens die Tochter des roten Königs Saîde erschien und zu mir sprach: »Hab' ich dir nicht befohlen, Ketten an ihren Hals zu legen und jedem von ihnen sein Futter Prügel zu verabfolgen?« Hierauf packte sie mich und gab mir, eine Geißel hervorziehend, eine solche Tracht Prügel, daß ich das Bewußtsein verlor. Hernach ging sie zu dem Raum, in dem sich meine Brüder befanden und gab jedem sein Futter mit der Geißel, bis sie dem Tode nahe waren, worauf sie zu mir sagte: »Gieb jedem Nacht für Nacht solche Tracht Prügel wie diese, und wenn du es in einer Nacht 98 unterlässest, so prügele ich dich.« Ich versetzte: »Meine Herrin, morgen werde ich sie an Ketten legen und in der kommenden Nacht prügeln und hinfort in keiner Nacht verschonen.« Und sie schärfte mir dies noch einmal ein. Da es mir jedoch nicht leicht fiel, sie in Ketten zu legen, ging ich am nächsten Morgen zu einem Goldschmied und befahl ihm zwei goldene Halsbänder zu machen, worauf ich sie ihnen um den Hals legte und sie anband, wie sie es mich geheißen hatte; in der Nacht prügelte ich sie dann wider meinen Willen. Diese Sache aber trug sich in der Zeit des Chalifen El-Mahdī, des dritten Abbasiden, zu, mit dem ich dadurch befreundet wurde, daß ich ihm Geschenke schickte, worauf er mich mit dem Gouvernement bekleidete und mich zum Vicekönig von Basra machte. Nachdem ich nun eine Zeitlang in solcher Weise zugebracht hatte, sprach ich bei mir: »Vielleicht ist ihr Zorn jetzt abgekühlt,« und unterließ es sie in der Nacht zu schlagen. Da aber erschien sie und gab mir eine Tracht Prügel zu schmecken, deren brennende Schmerzen ich mein Lebenlang nicht vergesse; und von jener Zeit an prügelte ich sie während des Chalifats El-Mahdīs Nacht für Nacht. Als dann El-Mahdī das Zeitliche segnete und du nach ihm zur Regierung kamst und zu mir schicktest, mich als Gouverneur von Basra bestätigend, habe ich sie seitdem nunmehr zwölf Jahre lang Nacht für Nacht wider meinen Willen geschlagen; wenn sie aber ihre Prügel erhalten haben, tröste ich sie und entschuldige mich bei ihnen und gebe ihnen zu essen und trinken. Sie blieben eingesperrt, und keines der Geschöpfe Gottes, des Erhabenen, wußte etwas von ihnen, bis du Abū Ishâk den Tafelgenossen wegen des Tributs zu mir schicktest und er hinter mein Geheimnis kam und es dir mitteilte; dann schicktest du ihn zurück zu mir mich und sie zu holen, worauf ich antwortete: »Ich höre und gehorche,« und sie vor dich brachte. Als du mich dann nach dem Sachverhalt fragtest, erzählte ich dir die Geschichte, und das ist sie.« 99
Der Chalife Hārûn er-Raschîd verwunderte sich über die Bewandtnis, die es mit den beiden Hunden hatte und fragte: »Hast du nunmehr deinen Brüdern vergeben, was sie gegen dich verbrachen, und ihnen verziehen oder nicht?« Abdallāh entgegnete: »Mein Herr, Gott vergebe es ihnen und spreche sie frei von Schuld im Diesseits und Jenseits! Ich bin's, der ihrer Vergebung bedarf, da ich sie nunmehr zwölf Jahre lang Nacht für Nacht geschlagen habe.« Da versetzte der Chalife: »O Abdallāh, so Gott will, der Erhabene, will ich mich um ihre Erlösung bemühen, auf daß sie wieder Menschen werden wie zuvor, und will Frieden zwischen euch stiften, daß ihr den Rest eures Lebens als liebende Brüder verbringt; und, wie du ihnen vergeben hast, so sollen sie auch dir vergeben. Nimm sie nun mit dir in deine Wohnung und schlag' sie heute Nacht nicht; und morgen soll alles gut sein.« Abdallāh erwiderte: »Mein Herr, bei deines Hauptes Leben, wenn ich sie auch nur eine Nacht nicht schlage, so kommt Saîde zu mir und schlägt mich; und mein Leib verträgt keine Prügel.« Der Chalife versetzte jedoch: »Fürchte dich nicht, ich will dir ein Schreiben von meiner Hand geben, das du Saîde überreichen sollst, wenn sie zu dir kommt; hat sie es gelesen, und vergiebt sie dir, so ist die Güte auf ihrer Seite. Gehorcht sie jedoch meinem Befehle nicht, so stell' deine Sache Gott anheim und laß dich von ihr schlagen als hättest du die Prügel dafür bekommen, daß du vergessen hättest die Hunde in einer Nacht zu schlagen. Widerfährt dir dies jedoch und gehorcht sie mir nicht, so will ich, so wahr ich der Fürst der Gläubigen bin, die Sache mit ihr ins reine bringen.« Alsdann schrieb der Chalife an sie auf einem zwei Finger langen Stück Papier und versiegelte es, worauf er sagte: »Abdallāh, wenn Saîde zu dir kommt, so sprich zu ihr: »Der Chalife, der König der Menschen, hat mir befohlen sie nicht zu schlagen und mir diesen Brief für dich geschrieben; und er entbietet dir den Salâm.« Dann übergieb ihr das Mandat und fürchte kein Leid.« Nachdem 100 er dann noch von Abdallāh Eid und Gelöbnis abgenommen hatte, die Hunde nicht zu schlagen, kehrte dieser mit ihnen nach seiner Wohnung zurück, indem er bei sich sprach: »Was mag der Chalife nur mit der Tochter des Sultans der Dschinn thun wollen, wenn sie ihm nicht gehorcht und mich heute Nacht durchprügelt? Jedoch will ich heute Nacht mein Futter Prügel hinnehmen und meine Brüder verschonen, wiewohl ich um ihretwillen Qualen erleiden werde.« Alsdann versank er für eine Weile in Gedanken, und sein Verstand sprach zu ihm: »Wenn sich der Chalife nicht auf eine mächtige Hilfe verließe, so hätte er dir nicht untersagt sie zu schlagen.« Hierauf ging er in seine Wohnung und nahm seinen Brüdern mit den Worten das Halsband ab: »Ich vertraue auf Gott.« Dann hob er an sie zu trösten und sprach zu ihnen: »Euch soll nichts zuleide geschehen, denn der Chalife, der fünfte der Abbasiden, hat sich für eure Erlösung verpfändet, und ich habe euch vergeben. So Gott will, der Erhabene, ist nun die Zeit gekommen, und werdet ihr in der heutigen gesegneten Nacht befreit werden; freut euch deshalb und seid fröhlich.« Als sie diese Worte vernahmen, hoben sie an zu heulen, wie Hunde heulen, –
Neunhundertundsechsundachtzigste Nacht.
und rieben ihre Backen an seinen Füßen, als segneten sie ihn und demütigten sich vor ihm, während er bekümmert ihren Rücken streichelte, bis der Abend hereinbrach. Als sie dann den Tisch auftrugen, sprach er zu ihnen: »Setzt euch,« worauf sie sich an den Tisch setzten und mit ihm aßen, so daß seine Leibwachen verdutzt waren und, verwundert darüber, daß er mit Hunden aß, sprachen: »Ist er verrückt oder blödsinnig? Wie kann der Vicekönig der Stadt Basra mit Hunden essen, er, der größer als ein Wesir ist? Weiß er denn nicht, daß Hunde unrein sind?« Dann sahen sie den Hunden zu, wie sie mit ihm gleich Dienern aßen, ohne zu wissen, daß es seine Brüder waren, bis sie ihr Mahl beendet 101 hatten, worauf Abdallāh sich die Hände wusch, und die Hunde ebenfalls ihre Pfoten ausstreckten und sie sich wuschen, so daß alle, die dabei standen, über sie lachten und verwundert zu einander sprachen: »Unser Lebenlang sahen wir nicht Hunde essen und sich hernach die Pfoten waschen.« Hierauf setzten sich die Hunde auf die Teppichsitze neben Abdallāh, den Sohn des Fâdil, und niemand wagte ihn danach zu fragen. Gegen Mitternacht entließ er dann die Diener und legte sich schlafen, während sich die Hunde ein jeder auf ein Sofa legten. Die Diener aber sprachen zu einander: »Siehe, er hat sich schlafen gelegt, und die Hunde schlafen bei ihm.« Andere wiederum sagten: »Wenn er mit den Hunden an einem Tisch aß, so schadet es auch nichts, wenn er mit ihnen schläft; so thun nur Verrückte.« Und sie aßen nichts von dem Essen, das auf dem Tisch übrig geblieben war, indem sie sprachen: »Wie können wir essen, was die Hunde übrig gelassen haben?« Dann nahmen sie das Tischtuch mit dem Speisenrest und warfen ihn mit den Worten fort: »Das ist unrein.«
Soviel in Bezug auf sie; ehe sich's aber Abdallāh, der Sohn des Fâdil, versah, spaltete sich mit einem Male die Erde, aus der Saîde emporstieg und sprach: »Abdallāh, weshalb hast du die Hunde heute Nacht nicht geschlagen, und warum nahmst du ihnen das Halsband ab? Hast du das aus Trotz gethan und aus Geringschätzung meines Befehls? Jedoch will ich dich jetzt dafür schlagen und wie sie in einen Hund verwandeln.« Er erwiderte ihr: »Meine Herrin, ich beschwöre dich bei der Schrift, die in den Ring Salomos, des Sohnes Davids, – Frieden auf beide! – graviert ist, gedulde dich, bis ich dir den Grund hiervon mitgeteilt habe, und, was du dann mit mir thun willst, das thue.« Da sagte sie: »So erzähl' es mir,« worauf er anhob: »Was den Grund anlangt, daß ich sie nicht schlug, so befahl mir der König der Menschen, der Chalife und Fürst der Gläubigen Hārûn er-Raschîd, sie heute Nacht zu verschonen und nahm mir Eid und Gelöbnis daraufhin ab. Auch entbietet er dir den Salâm 102 und gab mir ein eigenhändiges Handschreiben, das ich dir übergeben sollte. So gehorchte ich seinem Befehl, denn dem Fürsten der Gläubigen Gehorsam zu leisten ist Pflicht und Schuldigkeit; hier ist das Mandat, nimm es, lies es und hernach thu' mit mir, was du willst.« Da sagte sie: »Gieb es her.« Er reichte es ihr nun, worauf sie es öffnete und las und folgendes darin geschrieben fand: »Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen! Vom König der Menschen Hārûn er-Raschîd an Saîde, die Tochter des roten Königs. Des Ferneren: Dieser Mann hat seinen Brüdern vergeben und sein Anrecht auf sie fallen lassen, und ich habe ihnen befohlen sich zu versöhnen. Wenn aber Versöhnung stattgefunden hat, so ist die Strafe aufgehoben; und, so ihr unsern Geboten entgegentretet, werden wir auch euern Geboten entgegentreten und eure Vorschriften zerreißen; gehorcht ihr aber unserm Gebot und helft ihr unsere Befehle auszuführen, so wollen wir es mit euern Befehlen ebenso halten. Deshalb gebiete ich dir ihnen kein Leid zuzufügen und, so du an Gott und seinen Gesandten glaubst, so geziemt dir der Gehorsam und mir der Befehl. Wenn du ihnen verzeihst, so will ich's dir lohnen, wie mein Herr mich dazu in stand setzt; und daran werde ich deinen Gehorsam erkennen, daß du von diesen beiden Männern den Zauber fortnimmst, so daß sie morgen befreit vor mir erscheinen. Willst du sie jedoch nicht befreien, so werde ich's dir zum Trotz mit Gottes, des Erhabenen, Hilfe thun.«
Als sie den Brief gelesen hatte, sagte sie: »O Abdallāh, ich will nicht eher etwas thun, als bis ich zu meinem Vater gegangen bin und ihm das Mandat des Königs der Menschen gezeigt habe, worauf ich schnell mit der Antwort zu dir zurückkehren will.« Alsdann winkte sie mit der Hand nach der Erde, die sich spaltete, worauf sie in dieselbe hinabfuhr. Nach ihrem Verschwinden aber ward Abdallāh vor Freuden leicht ums Herz, und er sprach: »Gott stärke den Fürsten der Gläubigen!« Inzwischen trat nun Saîde bei ihrem Vater ein 103 und übergab ihm das Handschreiben des Fürsten der Gläubigen, indem sie ihm den Vorfall vortrug. Da küßte es ihr Vater und führte es an sein Haupt, worauf er es las. Nachdem er seinen Inhalt begriffen hatte, sagte er: »Meine Tochter, das Geheiß des Königs der Menschen hat über uns Macht und sein Befehl erstreckt sich über uns, so daß wir ihm uns nicht widersetzen dürfen. Geh' deshalb sofort zu diesen beiden Männern und befreie sie, indem du zu ihnen sprichst: »Ihr seid durch die Fürsprache des Königs der Menschen erlöst.« Denn, wenn er sich wider uns erzürnt, so vernichtet er uns samt und sonders; leg' uns daher nicht auf, was wir nicht zu thun vermögen.« Da versetzte sie: »Mein Vater, was kann uns denn der König der Menschen thun, wenn er sich wider uns erzürnt?« Er entgegnete ihr: »Meine Tochter, er hat aus verschiedenen Gründen Macht über uns. Zum ersten ist er ein Mensch und hat deshalb den Vorrang vor uns;Die Reihenfolge der Geschöpfe ihrem Wert nach ist folgende: Menschen, Engel, Dschinn. zweitens ist er der Chalife Gottes, und drittens betet er ohn' Unterlaß das Frühgebet der zweimaligen Beugung; würden sich deshalb auch alle Scharen der Dschinn aus den sieben Erden wider ihn zusammenscharen, so würden sie ihm kein Leid zufügen können. Wenn er sich jedoch wider uns erzürnt, so braucht er nur das Gebet der zweimaligen Beugung zu verrichten und einen einzigen Schrei gegen uns auszustoßen, und wir müßten uns alle gehorsam vor ihm versammeln, wie Schafe vor dem Schlächter. Nach seinem Belieben kann er uns dann befehlen unsere Heimstätten zu verlassen und nach einem öden Land zu ziehen, in dem wir nicht zu bleiben vermögen, oder uns befehlen uns selber zu töten, worauf wir selber einander umbringen würden. Wir vermögen deshalb nicht uns seinem Befehl zu widersetzen, denn, thäten wir es, so würde er uns alle verbrennen, ohne daß wir eine Zuflucht vor seinen Händen fänden. Und so verhält es sich mit jedem Diener Gottes, der beharrlich das Frühgebet der 104 zweimaligen Beugung verrichtet; sein Befehl hat Macht über uns. Sei deshalb nicht zweier Männer wegen die Ursache zu unserm Verderben, sondern geh' hin und befreie sie, bevor uns der Zorn des Fürsten der Gläubigen trifft.«
Da kehrte sie zu Abdallāh, dem Sohn des Fâdil, zurück und teilte ihm ihres Vaters Worte mit, indem sie hinzusetzte: »Küß für uns die Hände des Fürsten der Gläubigen und erbitte für uns sein Wohlgefallen.« Alsdann holte sie die Schale hervor und that Wasser in sie, worauf sie dieselbe mit unverständlichen Worten besprach; dann besprengte sie die Hunde mit dem Wasser, indem sie zu ihnen sprach: »Gebt die Hundsgestalt auf und nehmt menschliche Gestalt an;« und alsbald wurden sie Menschen wie zuvor, befreit von ihrem Zauber, und sprachen: »Ich bezeuge, daß es keinen Gott giebt außer Gott, und bezeuge, daß Mohammed der Gesandte Gottes ist.« Hierauf fielen sie mit Küssen über Hand und Füße ihres Bruders her und baten ihn um Vergebung, während er zu ihnen sprach: »Verzeiht ihr mir;« und beide bereuten in aufrichtiger Reue und sprachen: »Uns hatte der verruchte Iblîs bethört, und Habgier verführte uns; unser Herr lohnte uns nach Verdienst, und Vergebung ist das Zeichen der Edeln.« Dann hoben sie an ihm zu schmeicheln und weinten und bejammerten reuig ihre Unthaten, worauf er sie fragte: »Was habt ihr mit meiner Gattin gethan, die ich aus der versteinerten Stadt mitgebracht hatte?« Sie versetzten: »Als uns der Satan verführte und wir dich ins Meer warfen, entstand Streit zwischen uns, indem sie jeder von uns heiraten wollte. Sobald sie aber unsere Worte hörte und unsern Streit sah und merkte, daß wir dich ins Meer geworfen hatten, kam sie aus ihrer Kabine heraus und sagte: »Streitet euch nicht um mich, ich werde keinem von euch angehören; ist mein Gatte ins Meer gegangen, so will ich ihm folgen. Alsdann stürzte sie sich ins Meer und ertrank.« Da sagte Abdallāh: »Fürwahr, sie starb als Märtyrerin! Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei 105 Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Alsdann beweinte er sie bitterlich und sagte zu ihnen: »Es war nicht recht von euch mir dies anzuthun und mich meiner Gattin zu berauben!« Sie erwiderten: »Siehe, wir sündigten, doch vergalt unser Herr uns unser Thun. Gott hatte es so über uns verhängt, bevor er uns noch erschaffen hatte.« Abdallāh nahm ihre Entschuldigung an, Saîde aber sagte zu ihm: »Haben sie dir alles dies angethan, und du vergiebst ihnen?« Er erwiderte: »O meine Schwester, wer die Macht, sich zu rächen, hat und vergiebt, der findet bei Gott seinen Lohn.« Da versetzte sie: »Hüte dich vor ihnen, denn sie sind Verräter.« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich von ihm und verschwand.
Neunhundertundsiebenundachtzigste Nacht.
Abdallāh verbrachte nun den Rest der Nacht mit seinen Brüdern bei Speise und Trank und in Freude und Fröhlichkeit. Am andern Morgen führte er sie ins Bad und kleidete einen jeden beim Verlassen des Bades in einen Anzug, der ein Stück Geld wert war, worauf er den Speisetisch bestellte. Als sie ihm denselben vorsetzten, aß er mit seinen Brüdern, und, wie nun die Diener die beiden sahen und erfuhren, daß es seine Brüder waren, begrüßten sie sie und sprachen zum Emir Abdallāh: »Unser Herr, Gott erfreue dich durch die Vereinigung mit deinen teuern Brüdern! Wo waren sie die ganze Zeit über?« Er erwiderte ihnen: »Es waren die beiden Hunde, die ihr bei mir saht; und gelobt sei Gott, der sie von Kerker und Foltersqual erlöste!« Alsdann nahm er sie und begab sich mit ihnen in den Diwan des Chalifen Hārûn er-Raschîd; bei ihm eintretend, küßte er die Erde vor ihm und wünschte ihm langes Leben, Ruhm und Glück und des Unheils und Zornes Ende, worauf der Chalife zu ihm sprach: »Willkommen, Emir Abdallāh, erzähl' mir, was dir widerfahren ist.« Da erzählte er: »O Fürst der Gläubigen, – Gott stärke deine Macht! – als ich meine Brüder mit nach Hause nahm, war mein Herz um 106 ihretwillen in Frieden, da du dich verbürgt hattest, sie zu erlösen, und ich sprach bei mir: »Könige erreichen, um was sie sich bemühen, zumal wenn der Himmel ihnen hilft.« Alsdann nahm ich ihnen das Halsband ab und aß mit ihnen, auf Gott vertrauend, zusammen am Tisch. Als mich jedoch meine Diener mit Hunden zusammen essen sahen, spotteten sie über meinen Verstand und sprachen zu einander: »Er ist wohl verrückt; wie kann der Vicekönig von Basra mit Hunden zusammen essen, er, der größer als der Wesir ist?« Dann warfen sie den Rest des Mahls mit den Worten fort: »Wir essen nicht, was Hunde übrig gelassen haben,« und erklärten mich für blödsinnig, während ich ihre Worte anhörte, ohne ihnen eine Antwort zu erteilen, da sie ja nicht wußten, daß es meine Brüder waren. Als dann die Schlafenszeit kam, entließ ich sie, und legte mich schlafen, als sich mit einem Male die Erde spaltete, und Saîde, die Tochter des roten Königs, ergrimmt wider mich, mit Augen wie Feuer hervorkam.« Und so erzählte er dem Chalifen alles, was sich mit ihr und ihrem Vater zugetragen hatte und, wie sie die Hunde wieder entzaubert und zu Menschen verwandelt hatte, und schloß mit den Worten: »Hier stehen sie vor dir, o Fürst der Gläubigen.« Da wendete sich der Chalife zu ihnen und, als er nun sah, daß es zwei Jünglinge gleich Monden waren, sprach er: »Gott lohne es dir mit Gutem an meiner Statt, o Abdallāh, daß du mich mit einer nutzbringenden Eigenschaft bekannt machtest, die ich bisher nicht kannte! So Gott will, werde ich, so lange ich lebe, das Gebet dieser beiden Beugungen vor Anbruch der Morgenröte nimmermehr unterlassen.« Alsdann schalt er seine Brüder wegen ihrer früheren Vergehen gegen ihn, worauf sie sich vor dem Chalifen entschuldigten, der nun zu ihnen sprach: »Legt eure Hände zusammen und vergebt einander; und Gott vergebe das Vergangene!« Hierauf wendete er sich wieder zu Abdallāh und sprach zu ihm: »Abdallāh, mach' deine Brüder zu deinen Gehilfen und laß sie dir angelegen sein.« Dann ermahnte er 107 sie, ihrem Bruder Gehorsam zu leisten, und beschenkte sie reich, worauf er ihnen befahl, nach der Stadt Basra abzureisen. Und so verließen sie getröstet den Diwan des Chalifen, während dieser sich über die Kraft freute, die er aus diesem Verfahren, nämlich der steten Verrichtung des Gebets der zweimaligen Beugung vor dem Morgenrot, gewonnen hatte, und sagte: »Der hat recht, der da sprach: Das Unglück des einen ist des andern Glück.«
Abdallāh, der Sohn des Fâdil, reiste nun mit seinen Brüdern, sie ehrend, auszeichnend und im Range befördernd, bis er in die Stadt Basra einzog, wo ihm die Großen und Vornehmen zum Empfang entgegenkamen und sie in die festlich geschmückte Stadt in unvergleichlichem Zug geleiteten; und all das Volk rief ihm laute Segenswünsche zu, während er Gold und Silber unter sie ausstreute. Keiner aber bekümmerte sich um seine Brüder, so daß Eifersucht und Neid in ihre Herzen einkehrte, wiewohl Abdallāh sie pflegte, wie man ein Triefauge pflegt. Je freundlicher er sie aber behandelte, desto mehr wuchs ihr Groll und Neid. Er schenkte nicht nur einem jeden ein Mädchen, das seinesgleichen nicht hatte, sondern gab ihnen auch Eunuchen, Diener, Sklavinnen und schwarze und weiße Sklaven, vierzig von jeder Art; dann schenkte er ihnen fünfzig Prachtrosse von edelm Geblüt und Trabanten und Gefolge; ferner setzte er ihnen Einkünfte und Gehälter fest und machte sie zu seinen Gehilfen, indem er zu ihnen sprach: »Meine Brüder, ihr und ich, wir sind eins, zwischen mir und euch ist kein Unterschied –
Neunhundertundachtundachtzigste Nacht.
und nächst Gott und dem Chalifen ist der Befehl der meine und eure. Regieret in Basra während meiner Abwesenheit und Anwesenheit, und euer Befehl soll Kraft haben; waltet jedoch in Gottesfurcht und hütet euch vor Tyrannei, die zerstört, wenn sie anhält; lasset euch vielmehr Gerechtigkeit angelegen sein, die anbaut, wenn sie anhält. Tyrannisiert 108 nicht die Diener Gottes, daß sie euch nicht fluchen, und daß euer Treiben dem Chalifen nicht zu Ohren kommt, und mich und euch Schande trifft. Trachtet deshalb nicht nach irgend eines Bedrückung, und, so ihr nach dem Geld der Leute lüstern seid, nehmt es von meinem Geld und nehmt noch mehr, als ihr bedürft. Es ist euch nicht verborgen, was die Schrift an unverbrüchlichen Versen über die Unterdrückung überliefert, und gesegnet von Gott ist der Mann, der die Verse sprach:
»In des Mannes Seele lauert Tyrannei,
Die nur das Unvermögen zurückhält.
Der Verständige erhebt sich zu keinem Werk,
Bis er die rechte Zeit gekommen sieht.
Des Weisen Zunge wohnt in seinem Herzen,
Und des Thoren Herz in seiner Zunge.
Wer nicht größer ist als sein Verstand,
Den bringt die geringste Sache um.
Eines Mannes Ursprung mag verborgen sein,
Doch offenbart sein Thun, was er verbirgt.
Wer von keiner guten Herkunft ist,
Von dem wird nichts Gutes offenbar.
Wer Thoren mit seiner Sache betraut,
Der handelt selbst den Thoren gleich.
Wer den Leuten sein Geheimnis kund thut,
Der erweckt seine Feinde wider sich.
Der Mann begnüge sich mit seinen Sachen
Und lass' dahinten, was ihn nicht angeht.«
So ermahnte er seine Brüder, ihnen Gerechtigkeit anempfehlend und Unterdrückung verbietend, bis er glaubte, sie würden ihn wegen der guten Ratschläge, die er ihnen in so reichem Maße gab, lieben; und voll Vertrauen auf sie wußte er sie nicht genug auszuzeichnen. Je mehr Ehren er ihnen aber erwies, desto mehr wuchs ihr Neid und Groll gegen ihn, bis sie eines Tages zusammenkamen und Nâsir zu Mansûr sagte: »Mein Bruder, wie lange sollen wir noch unserm Bruder Abdallāh gehorchen, der solche Macht und Herrschaft besitzt? Nachdem er ein Kaufmann gewesen war, ist er 109 ein Emir geworden und ward aus einem Kleinen zu einem Großen, während wir nicht groß werden und für uns weder Ansehen noch Wert übrig geblieben ist. Siehe, er lacht uns aus und macht uns zu seinen Gehilfen. Was hat das zu bedeuten? Sind wir nicht seine Diener und Untergebenen? So lange es ihm gut ergeht, wird unser Rang nie erhöht werden, und nie werden wir etwas zu bedeuten haben; unser Wunsch wird nicht eher erfüllt sein, als bis wir ihn umgebracht und sein Gut an uns gebracht haben, was ohne seine Beseitigung nicht möglich ist. Haben wir ihn aber umgebracht, so werden wir Herren und nehmen alle Juwelen, Edelsteine und Schätze, die sich in seinen Schatzkammern befinden, und teilen sie unter uns, worauf wir ein Geschenk an den Chalifen herrichten und von ihm das Gouvernement von Kufa erbitten wollen; du sollst dann Vicekönig von Basra sein, und ich will als Vicekönig in Kufa residieren oder umgekehrt. So kommt jeder von uns zu Macht und Ansehen, doch erreichen wir dies nur durch seinen Tod.« Mansûr versetzte: »Du hast recht; wie sollen wir es aber anstellen, daß wir ihn umbringen?« Nâsir erwiderte: »Wir wollen bei einem von uns ein Gastmahl anrichten und ihn dazu einladen, worauf wir ihn aufs aufmerksamste bedienen wollen. Dann wollen wir die Nacht mit ihm verplaudern und wollen ihm Geschichten, Späße und Anekdoten erzählen, bis sein Herz vom Wachen hinschmilzt, worauf wir ihm ein Bett zum Schlafen zurecht machen. Schläft er aber, so wollen wir auf ihn knieen, ihn erdrosseln und in den Strom werfen. Am nächsten Morgen wollen wir dann sagen: »Seine Schwester die Dschinnîje kam zu ihm, als er mit uns plaudernd dasaß, und sprach zu ihm: »Du Abschaum von Mensch, was bist du, daß du dich über mich beim Fürsten der Gläubigen beklagst? Glaubst du etwa, daß wir uns vor ihm fürchten? Wie er ein König ist, so sind wir auch Könige, und wenn er sich nicht gegen uns anständig beträgt, so werden wir ihn auf die schimpflichste Weise töten. Nun aber will ich dich 110 töten, damit wir schauen, was der Fürst der Gläubigen gegen uns unternehmen wird.« Hierauf packte sie ihn und verschwand mit ihm in der Erde, während wir angesichts dessen in Ohnmacht sanken, bis wir wieder zu uns kamen, ohne zu wissen, was mit ihm geschehen ist. Dann wollen wir zum Chalifen schicken und es ihm mitteilen, worauf er uns an seiner Stelle einsetzen wird; später wollen wir ihm dann ein kostbares Geschenk schicken und von ihm die Verwaltung von Kufa erbitten, worauf der eine von uns in Basra und der andre in Kufa leben mag. So soll uns das Land angenehm sein, und wir wollen die Unterthanen zurechtsetzen und unsern Wunsch erreichen.« Mansûr entgegnete: »Dein Rat ist trefflich, mein Bruder.« So kamen sie überein ihren Bruder zu ermorden, und Nâsir richtete ein Gastmahl an und sprach zu seinem Bruder Abdallāh: »Mein Bruder, wisse, ich bin dein Bruder, und ich wünschte, daß ihr beide, du und mein Bruder Mansûr, mich erfreutet und in meinem Hause ein Mahl einnehmet, auf daß ich mich deiner rühmen kann, und damit es heißt: »Der Emir Abdallāh ist bei seinem Bruder Nâsir zu Gast gewesen.« Hierdurch wird mein Herz erfreut werden.« Abdallāh versetzte: »Laß dich's nicht bekümmern, mein Bruder; es ist kein Unterschied zwischen mir und dir, und dein Haus ist mein Haus. Wo du mich jedoch eingeladen hast, weist nur ein Lump Gastschaft ab.« Hierauf wendete er sich zu seinem Bruder Mansûr und fragte ihn: »Willst du mit mir in das Haus deines Bruders Nâsir gehen, ein Gastmahl bei ihm einzunehmen und sein Herz zu erfreuen?« Mansûr versetzte: »Mein Bruder, bei deines Hauptes Leben, ich will nicht eher mit dir gehen, als bis du mir schwörst, nach Verlassen des Hauses meines Bruders Nâsir in mein Haus zu treten und von mir ebenfalls ein Gastmahl anzunehmen. Ist etwa Nâsir allein dein Bruder und ich nicht? Wie du sein Herz erfreust, so erfreue auch das meinige.« Da versetzte er: »Das kann nichts schaden, freut mich und ehrt mich; wenn ich das Haus deines Bruders 111 verlasse, will ich in dein Haus kommen, denn ebenso, wie er mein Bruder ist, bist du's auch.« Da küßte Nâsir seinem Bruder Abdallāh die Hand und verließ den Diwan, worauf er das Gastmahl anrichtete. Am nächsten Tage saß dann Abdallāh auf und ritt mit militärischem Gefolge und mit seinem Bruder Mansûr zum Haus seines Bruders Nâsir. Dort eingetreten, setzte er sich mit seinem Gefolge und seinem Bruder, worauf Nâsir den Tisch auftrug und sie willkommen hieß; dann aßen und tranken sie und waren fröhlich und vergnügt, bis die Tische und Schüsseln fortgenommen wurden und sie sich die Hände wuschen. So verbrachten sie den Tag mit Schmausen und Zechen und in Freude, Fröhlichkeit und Scherz bis zur Nacht und verrichteten nach dem Abendessen das Sonnenuntergangs- und Abendgebet, worauf sie sich wieder zum Wein setzten, wobei bald Mansûr bald Nâsir eine Geschichte erzählte, während Abdallāh ihnen zuhörte. Sie befanden sich aber allein im Schloß, da das Gefolge an einem andern Ort untergebracht war; und so erzählten sie Späßchen, Geschichten und Anekdoten, bis das Herz ihres Bruders Abdallāh vom Wachen hinschmolz, und ihn der Schlaf überkam.
Neunhundertundneunundachtzigste Nacht.
Da machten sie ihm das Lager zurecht, worauf er seine Sachen auszog und sich schlafen legte, während sie sich neben ihn auf ein anderes Lager legten und warteten, bis er in tiefem Schlaf lag. Sobald sie dies aber merkten, erhoben sie sich und knieten auf ihn. Da erwachte er und fragte sie, als er sie auf seiner Brust knieen sah: »Was soll das, meine Brüder?« Sie erwiderten: »Wir sind weder deine Brüder noch kennen wir dich, du ungebildeter Mensch! Der Tod ist besser für dich als das Leben.« Hierauf legten sie ihre Hände an seinen Hals und würgten ihn, bis er das Bewußtsein verlor und sich nicht mehr regte, so daß sie ihn für tot hielten. Da aber das Schloß nahe bei dem Strom war, warfen sie ihn in den Strom hinein; Gott jedoch machte ihm einen 112 Delphin dienstbar, der an jenes Schloß zu kommen pflegte, da seine Küche mit einem Fenster zum Strom hinausging und sie von den geschlachteten Tieren den Abfall durch jenes Fenster ins Wasser warfen, worauf dann der Delphin kam und auflas, was auf dem Wasser schwamm. So hatte er sich an jenen Ort gewöhnt, und an jenem Tage gerade hatten sie des Gastmahls wegen eine Menge Abfall in den Strom geworfen, so daß der Delphin mehr als sonst gefressen und davon Kraft bekommen hatte. Und, wie er nun den Fall ins Wasser hörte, kam er schnell herbeigeschwommen, und angesichts eines Menschen leitete ihn der rechte Leiter dahin, daß er ihn auf seinen Rücken nahm und mit ihm mitten durch den Strom schwamm, bis er ans andre Ufer gelangte, wo er ihn ans Land warf. Nun lag jener Platz aber an der Landstraße, und bald darauf kam eine Karawane des Weges und fand ihn am Stromufer liegen, so daß die Leute sagten: »Hier liegt ein Ertrunkener, den der Strom an den Strand gespült hat.« Unter den Neugierigen aber, die sich aus der Karawane um ihn versammelten, befand sich auch der Scheich der Karawane, ein braver Mann, der nicht nur in allen Wissenszweigen Kenntnisse besaß, sondern auch in der Medizinerei beschlagen und nebenbei ein heller Kopf war. Auf seine Frage, was los wäre, antworteten sie ihm: »Hier liegt ein Ertrunkener.« Da trat er an ihn heran, sagte aber, als er ihn näher ins Auge gefaßt hatte: »Ihr Leute, dieser junge Mann hat noch Leben in sich; zudem gehört er zu den Angesehenen und ist vornehmer Leute Kind und in Ehren und Wohlleben aufgewachsen; und, so Gott will, der Erhabene, ist noch Hoffnung vorhanden.« Alsdann kleidete er ihn an und wärmte und pflegte ihn und mühte sich um ihn drei Tagesreisen über, bis er wieder zu sich kam; doch überkam ihn Zittern und außerordentliche Schwäche. Der Scheich der Karawane pflegte ihn mit Kräutern, die er kannte, und so reisten sie dreißig Tage lang weiter, bis sie sich um diese Strecke von Basra entfernt hatten und nach 113 einer Stadt, Namens Audsch, in Persien gelangten, wo sie in einem Chân einkehrten und ihm ein Bett zurecht machten, in dem er die ganze Nacht über stöhnend dalag, so daß die Leute dadurch gestört wurden. Am andern Morgen kam deshalb der Pförtner des Châns zum Scheich der Karawane und sprach zu ihm: »Was ist das für ein Kranker, den du da bei dir hast? Er raubt uns die Ruhe.« Der Karawanenscheich erwiderte: »Ich fand ihn unterwegs am Stromufer halb ertrunken und pflegte ihn, doch vermochte ich ihn nicht wieder herzustellen.« Da sagte der Pförtner: »Bring' ihn zu der Scheichin Râdschicha.« Der Scheich fragte nun: »Und wer ist die Scheichin Râdschicha?« Der Pförtner versetzte: »Bei uns ist eine jungfräuliche Scheichin, ein hübsches Mädchen, die Scheichin Râdschicha geheißen, zu der jeder Kranke gebracht wird; und hat er eine Nacht bei ihr zugebracht, so ist er am andern Morgen gesund als ob ihm nie etwas gefehlt hätte.« Da sagte der Scheich der Karawane: »Führ' mich zu ihr;« worauf der Pförtner erwiderte: »So lad' deinen Kranken auf.« Nachdem er dies gethan hatte, schritt der Pförtner des Châns ihm voran, bis er zu einer Einsiedelei gelangte, wo er das Volk in Menge hineingehen sah Gelübde darzubringen und ebenso in Menge fröhlich herauskommen sah. Der Pförtner des Châns trat hier ein, bis er zum Vorhang gelangte, wo er sprach: »Mit Verlaub, Scheichin Râdschicha, nimm diesen Kranken.« Sie versetzte: »Bring' ihn hinter den Vorhang,« worauf der Pförtner zum Kranken sagte: »Tritt ein.« Da trat er ein und, wie er sie nun anschaute, sah er, daß es seine Gattin war, die er aus der versteinerten Stadt mitgenommen hatte. Beide erkannten sich und begrüßten einander, worauf er sie fragte: »Wer hat dich hierher gebracht?« Sie erwiderte: »Als ich sah, daß dich deine Brüder ins Meer geworfen hatten und über mich stritten, stürzte ich mich ebenfalls ins Meer, wo dann mein Scheich El-Chidr Abul-Abbâs seine Hände nach mir ausstreckte, um mich nach dieser Einsiedelei zu bringen. Er gab 114 mir Erlaubnis jeden Kranken zu heilen und ließ in dieser Stadt ausrufen: »Jeder, der an einer Krankheit leidet, gehe zur Scheichin Râdschicha.« Dann sagte er zu mir: »Bleib' an dieser Stätte, bis die Stunde naht und dein Gatte zu dir nach der Einsiedelei kommt.« Und von da an knetete ich jeden Kranken, der zu mir kam, worauf er am andern Tag gesund war, so daß sich der Ruf von mir unter dem Volk ausbreitete, und die Leute mir Gelübde brachten, wodurch ich viel Gut erhielt. So lebe ich hier in Ruhm und Ehren, und alles Volk dieses Landes verlangt nach meinem Gebet.« Alsdann knetete sie ihn, und durch Gottes, des Erhabenen, Allmacht ward er gesund. Nun pflegte aber El-Chidr – Frieden sei auf ihm! – in jeder Nacht zum Freitag zu ihr zu kommen, und die Nacht, in der Abdallāh mit ihr zusammentraf, war gerade die Freitagsnacht. Als sie deshalb, nachdem sie die feinsten Speisen zum Abend gegessen hatten, nach Anbruch der Nacht dasaßen und auf El-Chidr warteten, da währte es auch nicht lange, daß er plötzlich erschien und, beide aufladend, aus der Einsiedelei forttrug und in Abdallāh bin Fâdils Palast in Basra absetzte, worauf er sie wieder verließ und verschwand. Am andern Morgen betrachtete Abdallāh den Palast und sah, daß es sein eigener war; und, da er großen Lärm draußen hörte, blickte er aus dem Fenster, wo er nun seine beiden Brüder gekreuzigt sah, einen jeden an einem besondern Holz. Dies hatte sich aber so zugetragen: Als sie ihren Bruder ins Meer geworfen hatten, hoben sie am andern Morgen an zu weinen und sprachen: »Die Dschinnîje hat unsern Bruder geraubt.« Dann machten sie ein Geschenk zurecht und schickten es dem Chalifen, indem sie ihm den Vorfall mitteilten und von ihm die Verwaltung Basras erbaten. Der Chalife ließ sie daraufhin vor sich entbieten und befragte sie, worauf sie ihm das Obenerwähnte mitteilten. Da ergrimmte der Chalife gewaltig und betete in der Nacht vor Anbruch der Morgenröte wie üblich das Gebet der zweimaligen Beugung, indem er dabei die Scharen 115 der Dschinn herbeirief. Gehorsam erschienen sie vor ihm, und, als er sie nun nach Abdallāh befragte, schworen sie ihm, daß ihm niemand etwas zuleide gethan hätte, und daß sie nichts von ihm wüßten. Dann aber erschien Saîde, die Tochter des roten Königs, und teilte dem Chalifen den wahren Sachverhalt mit, worauf er die Dschinn entließ. Am andern Morgen ließ er Nâsir und Mansûr so lange prügeln, bis sie wider einander Bekenntnis ablegten, worauf der Chalife ergrimmt befahl: »Nehmt sie nach Basra und kreuzigt sie vor Abdallāhs Schloß.«
Soviel mit Bezug auf sie; Abdallāh aber ließ nun seine Brüder bestatten und setzte sich hernach auf und ritt nach Bagdad, wo er dem Chalifen von Anfang bis zu Ende erzählte, was ihm seine Brüder angethan hatten. Verwundert hierüber, ließ der Chalife den Kadi und die Zeugen kommen und den Ehekontrakt zwischen Abdallāh und der Prinzessin der versteinerten Stadt aufsetzen. Hierauf suchte Abdallāh seine Gattin heim und lebte mit ihr in Basra, bis der Zerstörer der Freuden und der Trenner der Vereinigungen zu ihnen kam. Preis dem Lebendigen, der nimmer stirbt!