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Und dann kam auch der Tag heran, da Schöns die große Fete gaben. Frau Antonie hatte sie – seltsam genug, denn die Hauptarbeit machte doch eigentlich die Petzel – von Woche zu Woche hinausgeschoben, sie müsse doch erst zur Ruhe kommen; aber Sonnabend, am letzten Sonnabend im Mai war nun glücklich alles soweit.
Es sollten gar nicht so sehr viele Leute kommen. Erst hatte man alles einladen wollen, was man kannte und nicht kannte; aber Heinrich war dagegen gewesen. Und so waren nur die Nächsten zugezogen worden: Mühlensiefens; zwei, drei Freundinnen von Hannchen; die Tante Mechthildis von Grävenitz; die Eltern von Frau Antonie; Maltitz – und dann waren aus dem Geschäft der alte Müllner und Degebrot nicht zu umgehen. Friedrich Karl von Mühlensiefen, der bis vor wenigen Tagen aus Striegau zu Urlaub in Potsdam gewesen war und auf dessen Uniform mit man Sicherheit gerechnet hatte, war leider durch Regimentsbefehl vor der Zeit in seine Garnison wieder zurückberufen worden und konnte nun nicht mehr sich koloristisch angenehm bemerkbar machen. Heinrich hatte nebenbei nicht sehr viel von seinem zukünftigen Schwager gehabt, der meist mit Kameraden die Abende verbrachte und seinem alten Schulfreund Heinrich Schön, so leid es ihm auch tat, nur einen Abend hatte widmen können, den er dazu benutzte, erst weit zurückliegende Schulerinnerungen aufzufrischen und ihn dann ausgiebig über seine gegenwärtige Finanzlage aufzuklären.
Frau Aurelie von Mühlensiefen meinte zwar, man solle doch statt ihres Sohnes, der nun leider nicht mehr könne, den jungen von Winterfeldt auffordern, aber Heinrich entgegnete, daß er ihn doch nur wenig kenne, was nicht ganz der Wahrheit entsprach, und er den andern – was eher richtig war – ganz fremd wäre und sich so kaum bei ihnen wohl fühlen werde. Man könne ihn ja ein anderes Mal bitten.
Jagor hatte also schon Vormittag geliefert und war mit einem Koch und einem Küchenjungen angerückt, denen sogleich Frau Petzel den Krieg erklärte. Sie kamen gerade recht, denn noch zehn Minuten vorher hätte die Petzel gar keine Zeit zum Krieg gehabt, da sie bis dahin – hochgeschürzt wie eine Diana – zusammen mit der Fercher-Auguste in dem grünen Saal und seiner Umgebung das Unterste zu oberst gekehrt hatte. Ordentliche Stauwehre hatten sie errichtet und Wasserströme die Treppe hinuntergejagt. Und selbst Wilhelm mußte seine Pakete heute hintansetzen und auf Stehleitern herumkriechen und Fenster putzen.
Das merkwürdigste aber an der ganzen Affäre war, daß all das keineswegs nötig gewesen wäre, denn die Petzel arbeitete seit Jahren nach einem so wohldurchdachten Feldzugsplan, daß, ganz gleich, wo und wann immer der andere auch in das Land einfallen mochte, sie ihm stets bis auf den letzten Gamaschenknopf schlagfertig gegenüberstand.
Nun war sie arg unzufrieden, die brave Petzel, als Frau Antonie wagte, dieses oder jenes an der Tafel zu ändern, zum Beispiel die großen silbernen Weinkübel – sie hatten die Form von Urnen, von griechischen Vasen mit breitem Mäander und kühn emporstrebenden grazilen Henkeln – sie, die seit Urgedenken, seit fünfzig Jahren eben als Weinkühler hier gebraucht worden waren, ihrem Berufe zu entziehen und sie, mit Teerosen gefüllt – gefüllt, daß die gelben, schweren Blumenköpfe nach allen Seiten über den Silberrand sanken –, beide einfach mitten auf die Tafel zu stellen. Ja, worin sollte denn nun der Rheinwein oder der Sekt gekühlt werden?
Und auch beim Geschirr stellte Frau Antonie dieses und jenes um, so daß die Prunkstücke von Porzellan zu Porzellan kamen, Kristall mit den geschliffenen langhalsigen, reich vergoldeten Flaschen zum Kristall und daß das Silber zu dem Silber kam, aber daß doch alles beherrscht blieb von den zwei großen Urnen voll von Teerosen. Und die vier hohen, dreiarmigen Silberleuchter, die Girandolen mit den sich kreuzenden Armen, die Frau Petzel als zu altmodisch – man hatte ja oben und an der Wand Kerzen genug – gar nicht mehr auf die Tafel hatte stellen wollen, hatte Frau Antonie aus den Tiefen des Silberschrankes hervorgezogen und wieder zu Ehren gebracht.
Frau Petzel war wirklich sehr ungehalten darüber. Aber sie wagte doch keinen offenen Einspruch oder gar eine Änderung, denn Frau Antonie hatte so eine eigene Art, freundlich zu sein und doch sich nichts zu vergeben, daß Frau Petzel heute noch genauso mit ihr stand wie am ersten Abend und ihr nicht einen Zoll nähergekommen war. Und dazu war nun Frau Petzel doch zu stolz, um zuerst mit Vertraulichkeiten zu beginnen. Und selbst die Fercher-Auguste, eine Kampfnatur, seit Jahren gewohnt, in allen, aber auch in allen Lagen dieses Daseins das letzte Wort zu behalten, selbst sie hatte bisher Frau Antonie gegenüber noch keine Gelegenheit gefunden, sich auszuleben, und sie begnügte sich jetzt auch nur damit, innerlich zu räsonieren und ihrem Unmut durch sanftes Vor-sich-hin-Schimpfen Ausdruck zu verleihen.
Eduard Schön kam dann auch herein, aus dem Geschäft herauf mit der abgeriebenen Lüsterjacke und dem Gänsekiel hinter dem Ohr, als Frau Antonie immer noch mit den großen silbernen Salzfässern – Kristallschalen, von Schwänen getragen – hier und dort herumprobierte (sie waren sehr schön, aber sie störten überall), und er fragte, wie sie zurechtkäme? Wundervoll hätte sie gedeckt, das könne kein Tafeldecker besser. Die Idee mit den alten Weinkühlern fände er geradezu köstlich. Wo sie nur jetzt schon so viele Teerosen herbekommen hätte, da doch der Rosenmonat erst käme? Heinrich hätte sie ihr in Berlin besorgt.
Ach so, Heinrich! Warum hatte sie ihm nicht davon gesprochen?
Ja, es wäre nun aber Zeit, daß sie Toilette mache. Da es so lange hell bliebe, vergäße man leicht, wie spät es sei. Er müsse sich auch noch umkleiden. Sonst würde es ihnen so gehen, wie es jenem Mann gegangen ist, der... Eduard Schön erzählte, wie so viele seiner Jahre, bei vielen Gelegenheiten die Geschichte von dem Mann, der...
Ob sie nicht vielleicht noch nach der Bahn gehen müsse und ihre Eltern holen. Sie könnten nur mit dem Zug sieben Uhr zwölf kommen. Oder wenn sie selbst nicht könnte, sollte man doch wenigstens Wilhelm schicken.
»O nein«, meinte Frau Antonie und drehte sich in der Türe – sie war dabei hinauszugehen – noch einmal um. »O nein«, sagte sie seltsam kühl und mit der geschürzten Oberlippe, deren Bedeutung Eduard Schön schon langsam ergründet hatte, »ich glaube, es ist unnötig. Mein Vater hat schon so oft vordem den Weg hierhergefunden, daß ich annehme, er wird ihn auch heute finden.«
Eduard Schön blieb im halbdunklen Saal zurück und schritt bedächtig an der langen weißen Tafel auf und nieder, rückte hier einen Sessel, zupfte in Gedanken mal da an einer Serviette und verschob dort eine Glaskaraffe, ohne recht zu wissen, was er tat. Ihm gefiel das nicht! Aber dann ging er ganz langsam hinauf, sich umzuziehen: Man mußte doch fertig sein, wenn die Gäste kamen; und Heinrich, der schon nachmittags kommen sollte, war auch noch nicht aus Berlin zurück.