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Auch unter den grössten Tierfreunden wird man wohl selten einen treffen, der eine besondere Sympathie gerade für Hyänen hat. Und doch habe ich einmal von jemand gehört, der in den Besitz einer jungen Hyäne gekommen war, sie grossgezogen und jahrelang um sich gehabt hatte. Sie war nach ganz kurzer Zeit völlig zahm geworden, war ihm auf Schritt und Tritt, und sogar auf langen einsamen Wanderungen im ostafrikanischen Busch wie ein treuer Hund gefolgt, hatte nie einen Menschen oder ein Tier angefallen und nie etwas gestohlen; er wusste schlechthin nur Gutes und Rühmenswertes von dem Tiere zu berichten. Bei mir ist leider das Gegenteil der Fall, und ich glaube, aus guten Gründen.
Ich kenne die Hyäne von Ostafrika her, und zwar beide Arten, die gefleckte und die gestreifte. Von der letztgenannten hört und sieht man in der Wildnis selten etwas. Sie ist sehr viel scheuer als ihre gefleckte Base, und viele eingeborene Jäger kennen sie überhaupt nicht, trotzdem sie ebenso häufig ist, wie die andere Art. Jener jedoch ist besondere Scheuheit keineswegs zuzusprechen. Sie dringt nicht nur in alleinstehende Hütten und unbewachte Eingeborenendörfer ein, sondern man konnte sie, einzeln und auch in ganzen Rudeln – wenigstens in den Jahren vor dem vorigen Kriege war es noch so – sogar in Nairobi, der Hauptstadt der englischen Kenya-Kolonie, allnächtlich beobachten, wie sie mit dem Unrat auf den Strassen aufräumte. Ich war noch nicht lange im Lande und sah deshalb mit begreiflicher Verwunderung einmal abends kurz vor zehn Uhr zwischen dem Bahnhof und dem grössten Hotel der Stadt eine mit einer gestohlenen Speckseite auf der Strasse entlanggaloppieren, und ehe ich mir noch recht klar geworden war, ob ich da soeben einen Hund oder wirklich eine Hyäne beobachtet hatte, huschte eine zweite, die die nahrhafte Spur aufgenommen hatte, gerade durch den Lichtkreis einer elektrischen Lampe und behob bei mir alle Zweifel über Art und Sippe der Erscheinung.
Später lernte ich diese feigen, schleichenden Räuber etwas näher kennen, aber desto weniger lieben. Denn Räuber sind sie – nicht ausschliesslich Aasfresser, wie Kulturmenschen allgemein annehmen. Die Neger kennen den wahren Charakter dieses Tieres und fürchten es dementsprechend. Wenn die Umstände günstig sind, wie in den dunklen Nächten der Regenzeit, und vor allem, wenn keine Gefahr damit verknüpft, das Objekt ihres Angriffs etwa schläft, krank oder sonstwie wehrlos ist, bricht die Hyäne in Viehhürden oder Hütten ein, packt ein Tier, reisst einem Weibe den Säugling von der Brust, oder schnappt mit ihrem furchtbaren Gebiss einem einsam Schlafenden ein Glied ab und verschwindet mit der Beute wieder lautlos und schattenhaft im Dunkel der Nacht.
Ich war während des Krieges zweimal Zeuge von solch heimtückischen Überfällen dieser Bestien und einmal dann selber zum Opfer ausersehen. Das erste Mal handelte es sich um einen unserer schwarzen Soldaten. Ein dichtbewachsenes Tal unterhalb meiner Feldwache hatte eine Zeitlang allnächtlich von dem Geheul und dem unheimlichen Gelächter ganzer Rudel von Hyänen widergehallt, die dort unten ihre greulichen Schmäuse mit den nur notdürftig verscharrten Leichen gefallener indischer Soldaten hielten. Nach und nach waren aber auch die letzten Knochen blank und weiss genagt, und die Leichenräuber fanden den Tisch nicht mehr so üppig gedeckt. Eines Nachts – es stand ein Gewitter am Himmel, die Atmosphäre war stickig, drückend und pechschwarz – stand ich gegen Mitternacht auf, um die vorgeschobenen Posten draussen zu revidieren. Da hörte ich aus der offenen Halle, in der meine Askari schliefen, einen Aufschrei, ein Stimmengewirr, ein Hin- und Herlaufen. Ich rannte hinüber und fand den Mann, der sein Lager als letzter in der Reihe hatte, stöhnend auf seiner Decke sitzen. Seine Hände umkrampften den linken Fuss, durch das Leder des Schuhs quoll Blut.
Ich dachte an einen Überfall durch einen Leoparden, von denen es ebenfalls immer einige drunten in der grünen wuchernden Wildnis des Tales gab, aber ein anderer Mann hatte das Tier wegspringen sehen und behauptete, es wäre eine Hyäne gewesen. »Fissi – eine Hyäne?« fragte ich und schüttelte den Kopf. Damals glaubte ich noch an die Lehre vom reinen Aasfressertum der Hyäne. Aber die Spuren draussen im feuchten Erdreich bestätigten einwandfrei, dass der Mann recht gesehen hatte.
Das Raubtier hatte dem Askari mit einem einzigen heimtückischen Biss aus der Dunkelheit heraus den Fussknöchel zermalmt. Nur dem Umstand, dass er bestimmt war, mit mir auf Patrouille zu gehen, und deshalb mit angezogenen Schuhen schlafen gegangen war, hatte er es zu verdanken, dass der Fuss überhaupt noch am Bein war. Und dass der Fuss auch daran blieb, dem anderen Umstand, dass das Lager mit dem Stabsarzt in der Nähe war, und der Verletzte dadurch vor Blutvergiftung bewahrt wurde, die fast stets als Folge einer von Raubtieren verursachten Wunde eintritt. Trotzdem ist der arme Kerl sicherlich für Lebenszeit lahm geblieben.
Viel grauenhafter noch war ein anderer Überfall durch einen dieser vierbeinigen Marodeure, den ich anfangs 1916 miterlebte. Da war ich mit der recht wenig erfreulichen Aufgabe betraut, ungefähr hundertundzehn Askarifrauen von der Front zurück ins Hinterland zu schaffen. Unsere schwarzen Soldaten zogen ja, so urgeschichtlich es anmutet, mit Weib und Kind in den Krieg. Mit Beginn des genannten Jahres aber traten Schwierigkeiten in der Lebensmittelzufuhr an die kämpfenden Truppen ein. Nichtkämpfende Esser mussten aussortiert werden. Trotz Tränenströmen, und gellenden Protesten der mehr oder weniger verehelichten dunklen Schönen und trotz den mürrischen Gesichtern ihrer Gebieter wurde der lamentierende und widerspenstige Haufen eines Morgens unter meinem Oberbefehl in Marsch gesetzt. Mir waren nur drei Askari mitgegeben worden, und wir vier hatten die ersten zwei Tage, an welchen der Weg durch offene lichte Baumsteppe führte, alle Hände oder eigentlich mehr alle Beine voll zu tun, unsere Herde am Ausbrechen oder Zurücklaufen zu verhindern.
Am Nachmittage änderte sich dann der Charakter der Gegend, Dornbüsche traten an die Stelle der Bäume, und schliesslich wand sich der Pfad in einen viele Kilometer breiten Gürtel von Elefantengras hinein. Das Gras heisst nicht so, weil seine maishalmdicken holzigen Stengel etwa von Elefanten gefressen würden, sondern weil es an Höhe sogar noch diese Riesen des Tierreiches übertrifft. Zwei meiner Askari nahmen hier die Spitze, und als endlich die letzte der Frauen in dem dunklen schmalen, von brütender Hitze und wütenden Moskitos erfüllten Gewölbe verschwunden war, das den Pfad durch diese Pflanzenmassen bildete, setzte ich mich mit dem dritten Askari an den Schluss des Zuges. Hier brauchten wir unsere Schäflein nicht mehr zu umkreisen, und konnten es auch gar nicht, denn im Elefantengras weicht freiwillig kein Mensch vom Wege ab.
Die Frauen mit ihrem Wasser und Proviant, mit ihrem kümmerlichen Hausrat, ihren Kindern und mit ihrem grossen verständlichen Kummer beladen, waren müde. Und trotzdem ein Nachtlager auf einem Schotterhaufen oder in einer Schneewehe einem solchen im Elefantengras ohne weiteres vorzuziehen ist, willigte ich auf ihre Klagen hin ein, dass wir hier kampierten. Ich glaube, dieses Lager war einen halben Kilometer lang, denn anders als einer hinter dem anderen konnten wir auf dem kaum fussbreiten Pfade ja nicht liegen. Ich selber legte mich übrigens gar nicht erst, ich kannte den Spass schon, und war überzeugt, dass die Weiber selber noch vor Mitternacht zum Weitermarschieren drängen würden.
Die ersten Stunden der Nacht vergingen, ohne dass Ruhe eintrat. Die Frauen klagten über die Hitze und die Moskitos, wälzten sich schwitzend und stöhnend herum, zeterten auch einmal miteinander, die Kinder wimmerten und quäkten, und in den dunklen reglosen Rispen des Grases summten Myriaden von Moskitos und geigten Hunderttausende von Zikaden ihre schrillen Melodien. Zuletzt siegte doch die Müdigkeit über alle sonstige Qual, es wurde stiller auf dem Pfade. Auch ich war, neben einem schwelenden Feuerchen hockend, ein wenig eingenickt. Da drang aus der Ferne ein gellender Schrei durch die brütende Finsternis. Wir beide fuhren hoch, verschlafene Köpfe erhoben sich vom Boden, Fragen und Antworten murmelten die endlose Reihe der Liegenden entlang. Dann hörte ich weit vorne im Dunkel die Askari der Spitze meinen Namen rufen und aufgeregte Frauenstimmen gaben ihn weiter. Schwitzend, stolpernd und fluchend zwängte ich mich daraufhin neben den Lagernden durch die starren knackenden Grasmassen vorwärts, schrille Stimmen fragten, klagten, zeterten durcheinander und ein Askari rief mir von vorn immer und immer wieder etwas zu, was ich nicht verstand. »Kelele! – Ruhe!« brüllte ich wütend und endlich erfasste ich es: »Bwana, komm schnell, komm schnell – sie verblutet – hierher, Bwana! – Fissi! – Lo, sie blutet sehr!«
Unsere Safarilaterne wurde von einem Arm erhoben und was ihr Licht beschien, war fürchterlich – es war eine noch junge Frau, die mir wimmernd die gespreizten Hände entgegenstreckte, ihr Körper bäumte sich in furchtbarem Krampf vom Boden auf – eine Hyäne hatte ihr die linke Brust glatt abgebissen. Neben ihr lag ein Zicklein, das die Frau mitgeführt hatte, ein Strom von Blut rann über sein weissflockiges Fell.
In diesem Dschungel war keine Fährte zu erkennen, niemand auch hatte das Tier gesehen, aber es gibt keines in all den Wildnissen von Afrika, das auf solche Art seine Beute macht wie die Hyäne ...
Ich konnte die Unglückliche nicht retten, konnte die Blutung nicht zum Stehen bringen, ich hatte ja nichts bei mir, um mit solch einer Wunde fertig zu werden.
Wieder ein Jahr später durchlebte ich eine andere Nacht mit einer Hyäne als einzigem unheimlichem Gefährten. Man hatte mich mit schwerem Fieber in einer Hängematte verpackt nach einem Hospital bringen wollen. Ein Flieger hatte unsere Safari entdeckt, war tief heruntergekommen und hatte mit einem Maschinengewehr in die Träger hineingeschossen. Es war den wehrlosen Negern nicht zu verdenken, dass sie mich hingeworfen hatten und in panischem Schrecken in alle Winde zerstoben waren. Ich fand mich in kühler, stiller, sternenklarer Nacht am Rande eines Mangrovensumpfes wieder. Wie ich da hineingekommen war, wusste ich nicht. »Maji! – Wasser!« murmelte ich, rief ich dann, wiederholte es, immer aufs neue, rief den Namen meines Boys, rief mit gewaltiger Anstrengung lauter und dringender. Meine Kehle war wie verbrannt von den Flammen des Fiebers – nichts als lautloses Schweigen antwortete. Eine unendliche Schwäche überkam mich wieder, der Kopf sank mir zurück: Der Flieger, ja ... hat er mich eigentlich in die Beine geschossen? ... Sie sind so schwer und voller Schmerzen. – Ist auch gleichgültig – wenn ich bloss etwas zu trinken hätte, bloss einen einzigen Schluck Wasser – Fundi! Eh Fundiii! ...
Nichts. Tiefe, tiefe Stille ringsum.
Da raschelt etwas, ganz leise. Dann wieder Stille. Ich wende den Kopf dahin, horche. Da, wieder etwas, ein leiser zögernder Tritt – eine Pause – und wieder der fast unhörbare Laut eines Trittes – Und da sehe ich auch etwas – zwei schwach glimmende Augen hinter einem dunklen Mangrovenzweig, drei oder vier Schritt von mir entfernt. Langsam, langsam klärte sich in meinem dumpfen Gehirn, dass dort ein Raubtier stand. Mit einem Ruck richtete ich mich auf, verschwunden waren für einen Moment Fieber, Durst und Gleichgültigkeit. War es ein Löwe? Unwillkürlich hakte ich mit dem Daumen nach der Schulter, nach dem Gewehrriemen – Jaso, da war ja kein Gewehr, ich war ja schon viele Tage krank ... Taumelnd stand ich auf, da knurrte das Tier, sprang zurück, sein Fuss kratzte an einer Wurzel, und im Nu war mir klar, dass das kein Löwe, keine Katze war, die gehen mit eingezogenen Krallen; nur eine Hyäne konnte es sein! Grauen und Wut peitschten mein Gehirn auf, als ich mich bückte, eine Handvoll Schlamm zusammenraffte und mit einem gellenden Schrei nach der Bestie warf.
Wieder ein Knurren und Fauchen, ein Aufleuchten weisser Zähne, ein Beiseitespringen und Verschwinden in der Schwärze des Laubes, und nach langer atemloser Pause dann aus einer ganz anderen Richtung ein kurzes Aufheulen, das in dem schrecklichen wiehernden Lachen der Hyäne endigte. Nochmals eine lange unheimliche Stille, bis ich auf einmal wiederum den bleichen grünlichen Glanz des Augenpaares in dem Schatten mir gegenüber entdeckte. Mir brach der kalte Schweiss auf der Stirn aus, wenn ich jetzt der Fieberschwäche meines Körpers nachgab, konnte mir ein ähnliches Schicksal wie damals dem Askari und der Frau im Matetegras blühen! ... Der Bestie war irgendwie bewusst, dass ich krank und wehrlos war. Todesangst ist stärker noch als die schwerste Malaria. Ich raffte nochmals Schlamm auf, schwankte direkt auf ihren Standort zu und warf nach ihr. Schnarrend und zähnefletschend wich sie zurück, und ich drang ihr durch das Gewirr von verschlungenen Mangrovenwurzeln nach, kam dabei plötzlich auf die weisse Sandfläche eines Krieks und bemerkte droben auf dem höheren Lande ein schwaches rotes Glühen. Da erinnerte ich mich auf einmal, dass der Flieger dort Brandbomben in die Hütten geworfen hatte, in denen wir gerade rasteten, als er am Himmel erschien.
Hinauf an das Feuer dort, an das schützende Feuer! Aber erst musste ich einmal rasten, nur einen Augenblick, die Beine gaben unter mir nach. Ich hockte mich nieder, die schwere fieberheisse Stirn sank mir vornüber, wie Nebel wogte es in meinem Gehirn. Auf einmal riss mir irgend etwas den Kopf wieder hoch, ich weiss nicht, ob ich eine Minute, oder vielleicht eine ganze Stunde gesessen hatte, zusammenschreckend sah ich mich um – und blickte wieder in das hungrig wartende, grünlichschimmernde Augenpaar hinein – Das trieb mich aufs neue an.
Zitternd, schweissüberströmt, auf Händen und Knien zuletzt, kam ich endlich an der rauchenden Brandstätte an, stiess Laub und Gras und halbverkohlte Stangen in die Glut, blies und wedelte, bis endlich, endlich eine leuchtende, tröstende Flamme hochschlug. Neben ihr verbrachte ich dann die Nacht, eine der längsten Nächte meines Lebens. Ungezählte Male wollte ich in Schlaf und Betäubung versinken, aber immer wieder riefen mich die leise schleichenden Tritte, die lauernden, phosphoreszierenden Augen meines Belagerers zum Wach- und Wachsamsein zurück. Glut- und Kälteschauer überjagten mich abwechselnd, ein brennender, rasender Durst peinigte mich, und um mich herum wanderte unentwegt bis zum ersten bleichen Morgenlicht ein grauenvoll lachender grünäugiger Tod.
Es war schon völlig hell, als ich von einer fernen ängstlichen Menschenstimme den Ruf: »Bwana Haya! – Bwana Haya!« hörte. Auf einmal stand Fundi mein Boy neben mir, ich griff nach der Feldflasche an seiner Seite, trank und trank, und wie ein Stein in den Abgrund, fiel ich sofort in Schlaf und Vergessen hinab.
Dieses Erlebnis mit jenem im Dunkel schleichenden Marodeur – es war das letzte für lange Zeit, für volle acht Jahre, denn bald danach musste ich als Kriegsgefangener Ostafrika verlassen – war natürlich nicht dazu angetan, meine Gefühle den Hyänen gegenüber freundlicher zu machen. Es wurde und blieb das einzige Geschöpf, das ich nicht anders als mit unüberwindlichem Hass und Abscheu und einem stets bereiten Schusse bedachte, wo immer ich mit ihm später zusammen traf. Wie sehr ich mich auch bemühte, in mir diesen ungerechten Hass gegen ein Tier, das schliesslich nur seiner Natur folgt und seine Existenzberechtigung wie alles andere Lebendige hat, auszurotten – es ist mir nie gelungen.
Ganz anders waren und blieben meine Gefühle den Schakalen gegenüber, obwohl man sie mit den Hyänen zusammen gewöhnlich in einem Atem nennt. Es hat seinen Grund wohl darin, dass sie sich, wenn auch uneingeladenerweise, fast stets an deren nächtlichen und überwiegend sehr unappetitlichen Schmäusen beteiligen. Auf jeden Fall sind beide Arten, der gestreifte wie auch der schöne Schabrackenschakal, völlig harmlose, und durch ihr unwählerisches Wegputzen jedwelchen Unrates auch ausgesprochen nützliche Geschöpfe. Mit ihrem unaufhörlichen heiseren Gewinsel und Gekläff haben sie mir zwar manche Nachtruhe gestört. Im Anfang meiner afrikanischen Laufbahn hat einer sogar einen tadellosen Pürschstiefel, den ich in meiner Unkenntnis nach ihm warf, einfach mitgenommen und wahrscheinlich aufgefressen, denn das Wurfgeschoss konnte schon fünf Minuten später nirgends mehr gefunden werden. Und ein junger, der mir späterhin lebend gebracht wurde, hat mich bei meinen geduldigen Zähmungsversuchen nach und nach in jeden meiner zehn Finger gebissen, sich nach vollendetem Werke dann durch die massive Hartholzkiste genagt, in der ich ihn nachtsüber aufbewahrte, hat mir gemeinerweise noch einen Haufen vors Bett gesetzt, sodann ein Loch unter der Tür hindurch gegraben und ist entwichen.
Andererseits habe ich immer wieder Freude an dem drolligen Gebaren dieser, von ewigem Hunger geplagten kleinen Kerle gehabt. Wenn ich irgendwo ein Stück Wild geschossen hatte, tauchten sie unfehlbar, wie aus dem Nichts herausgezaubert, plötzlich hinter jedem Stein und Grasbüschel auf und sahen mich, die Löffel gespitzt, die Nasen gierig schnuppernd und eine Pfote stets fluchtbereit erhoben, erwartungsvoll an. Machte ich dann nur eine einzige rasche Bewegung, so war alles in der Runde auf einen Schlag wiederum wie ins Nichts weggezaubert – wohin sie eigentlich immer so unfassbar schnell verschwanden, habe ich nie herausfinden können.
Hyänen benehmen sich ihnen gegenüber stets ausgesprochen gehässig und neidisch und schnappen unaufhörlich nach ihnen, selbst wenn der Frass in einem ganzen Elefanten besteht. Löwen dagegen sind, wie ich öfters Gelegenheit hatte zu beobachten, den Schakalen viel freundlicher gesinnt als den Hyänen. Ich habe mehrfach gesehen, dass sich Schakale zu beiden Seiten eines fressenden Löwen an dessen Beute ebenfalls gütlich taten und von dem Simba überhaupt nicht beachtet wurden. Derselbe Simba fuhr aber gleich darauf grollend auf eine Hyäne los, die zögernd bis auf ein Dutzend Schritt herangekommen war.
Zuguterletzt ist freilich ein Schakal die Ursache gewesen, dass ich von meiner letzten Afrikareise viel früher als ich geplant hatte, zurückkehren musste. Und das ist so gekommen: An einem besonders heissen Nachmittage sah ich etwas durch eine Talmulde in der Geraragua-Steppe wackeln, etwas ganz Unsinniges – nämlich einen alten Gnubullen, der keine Beine hatte. Ihm folgten einige Kühe und Kälber: den Beschluss bildeten noch ein paar Bullen, und alle hatten keine Beine! Nur die Oberkörper schwammen durch den Dunst – Luftspiegelungen! Mein Boy Derengia hatte sie auch erspäht und machte hungrige Stielaugen. »Bwana, Nyama!« Das Wort heisst in Kisuaheli »Wild« und bezeichnenderweise auch zugleich »Fleisch«. Mir war von der Hitze und einem langen Marsch schon elend zumute, aber wenn heute abend meine Neger brummend vor leeren Töpfen sässen, würde mir noch viel elender sein. – So stülpte ich mir den abgenommenen Filz seufzend wieder über den Schädel und stieg dem »Nyama« nach.
Als ich nach einer halben Stunde leise wie ein Indianerhäuptling gerade um einen dicken Granitblock herumschlich, guckte ich auf einmal in das kaum dreissig Schritt entfernte, vollbärtige und sehr erstaunte Gesicht eines alten Bullen der Herde. Er hat sein Erstaunen mit in die Ewigkeit hinübergenommen. – Zehn Minuten darauf lag er ausgeweidet in der Steppe, und daneben stand Derengia, hielt in der Linken ein Stück der Leber hoch, säbelte mit der messerbewehrten Rechten kleine Appetitbissen ab und liess sie sich in den Mund fallen.
Plötzlich wurden seine verzückten Augen starr, und die blutbeschmierte Hand deutete stumm in die Steppe hinaus. Ich folgte der Richtung und sah den prachtvollsten Oryxbock, der mir je vor die Augen gekommen ist, auf dem Kamm einer Kuppe in einem Rudel stehen und uns aufmerksam betrachten.
Und diesem Oryxrudel war ich doch den lieben langen Tag vergebens nachgerannt, um eine Aufnahme von ihm zu machen. – Bei dem Anblick des Bockes waren sogleich Müdigkeit, Hunger und Durst vergessen. Wie ein Alaskawolf in der Winternacht preschte ich über Stock und Stein dem Bocke nach, umschlich Felstrümmer auf den Zehenspitzen, zwängte mich durch Stachelbüsche, kollerte auf rollenden Steinen in trockene Regenschluchten hinunter, drückte mich an sonnenbestrahlten Hängen hin, kroch auf dem Bauche schwitzend wie ein Kohlentrimmer über den Steppenboden, der die Temperatur einer gutgeheizten Ofenplatte hatte, stach mir Dornen in Knie und Hände, sprang in Sichtdeckung auf und sauste Schweisstropfen sprühend in Bodensenken dahin, spähte dazwischen nach den Tieren aus, bis mir die Augen übergingen. Jetzt sah ich sie auf der nächsten Bodenwelle stehen, schob mich daraufhin nochmals eine halbe Stunde bäuchlings dahin, lugte wieder aus, wischte wütend die Schweisstropfen von der Brille – und sah aufs neue den Prachtbock stehen, mich mit inniger Anteilnahme betrachten und wiederum betrug die Distanz fünfhundert Meter!
Dieses erfreuliche Spiel setzte sich so etwa zwei Stunden lang fort. Immer aufs neue drückte ich mich an die scheinbar ahnungslos äsenden Tiere heran, immer vorsichtiger und behutsamer, und immer wieder, wenn ich für eine Aufnahme nahe genug war, sah ich dann gerade noch die weissen Bürzel freundlich in einer davonschiessenden Staubwolke wedeln. Zuletzt fiel ich in einen Dornenbusch, schlug mir die Ellenbogen und eine Augenbraue auf, senkte darauf mein Antlitz gottergeben zur Erde nieder und blieb einfach liegen, wo ich lag. Als Derengia, der unentwegt hinterhergesetzt war, mich an einem Bein aus dem Dornengestrüpp ziehen wollte, trat ich, zu meiner Schande sei's gesagt, auch noch nach ihm aus.
Als wir dann, mit wackelnden Knien dahinstolpernd, im Abendsonnenschein endlich die Versammlung von Geiern und Marabus sahen, die zu einer Sitzung über meinen Gnubullen zusammengekommen waren und sich jetzt schimpfend in die Lüfte erhoben, blieb Derengia plötzlich stehen, berührte meinen Arm, riss das Maul auf und machte sein allergeistvollstes Gesicht.
»Tazama Bwana, huju njumbu bado kufa! – Guck mal, Herr das Gnu lebt noch!« sagte er und blieb stehen.
»Du hast'n Klaps, mein Sohn!« antwortete ich milde und stiefelte weiter.
»Kweli, Bwana – das Gnu lebt noch!«
Jetzt holte ich schweigend zu einer Watschen aus.
»Herr, schlag nicht, es ist wahr! Ich sehe es ganz deutlich, das Gnu wackelt noch immer mit dem Bauch!«
Ich guckte ihn kummervoll an, aber schliesslich musste der Kerl doch irgend etwas sehen, so nahm ich das Glas vor die Augen, schaute hindurch, setzte es ab, guckte darauf meinen Mohren mit hochgezogenen Augenbrauen an und überlegte, ob wir alle beide Halluzinationen haben könnten. Das bereits vor fünf Stunden ausgeweidete Tier wackelte tatsächlich noch mit dem Bauche! ... Nochmals spähte ich hinüber – und da hatte ich's herausgefunden: Aus dem kugelrunden Gnubauche hing ein leise wippender fremder Schweif, und der Besitzer dieses Schweifes steckte im Bauch drin und schien darin herumzufressen. Der kam mir gerade recht in meiner Wut!
Ich nahm das Gewehr schussfertig in die Hand und ging mit schnellen Schritten auf den Kadaver zu. Doch der Fresser – ein Schakal, wie ich sah – war so vertieft, dass er meinen leisen Tritt in den gummibesohlten Pürschstiefeln nicht hörte. Ich war dem Wackelschweif bereits auf fünf Schritt nahe gekommen – da kam mir der blödsinnigste Einfall meines Lebens! Ich legte leise das Gewehr hin und schlich noch leiser weiter, um ihn lebendig zu fangen. Mir schwebte dunkel etwas von zweihundert Mark vor, die mir Hagenbeck einstmals für einen guten Schakal versprochen hatte.
Doch im letzten Moment witterte er Unrat, fuhr heraus und mir zwischen den Beinen durch. Ich packte geschwind zu und erwischte noch die buschige Rute, aber im nächsten Augenblick auch zwei blitzschnelle Bisse in den rechten Fuss. Daraufhin liess ich ihn, und damit auch jene zweihundert Mark fahren, zog gleich den Stiefel aus und betrachtete die Wunden. Sie waren nur winzig klein und gar nicht tief, aber – Schakale sind eben Aasfresser und ihre Gebisse wahre Reinkulturen von Streptokokken. Ich drückte aus Leibeskräften, aber es kam kaum Blut, und gerade das war bedenklich!
So schickte ich Derengia mit dem Auftrag weg, so schnell wie möglich meinen Medizinkasten aus dem Lager herbeizuholen. Es war gar nicht weit bis zu unserem Camp, er konnte in höchstens einer Stunde zurück sein.
Auf dem gewölbten Bauch meines schicksalschweren Gnubullen sitzend, sah ich den Tag sterben, so wie er in afrikanischen Steppen stirbt, in Blut und Feuer, und hörte die Symphonie des wilden, heissen, hungrigen Lebens der afrikanischen Nacht beginnen. Alles, was in einem Umkreis von zehn Kilometern Reisszähne hatte, kam jetzt auf meinen Bullen zugeschlichen und zugerannt und hub an, als ihm die stumme Gestalt des Wächters ruchbar wurde, zu jaulen, zu winseln, zu heulen, zu röcheln und zu brüllen – ein jegliches nach seiner Art.
Der Gewitterturm über den Bergen erglühte in züngelnden Blitzen, ferner Donner grollte über das schwarze Land. Der Viertelmond, auf dem Kiele liegend wie ein Boot, schwamm noch ein Stückchen über klaren schwarzblauen Himmelsgrund, dann wurde er von der Wetterwolke eingeholt und wenige Minuten darauf entlud sie sich auch über meinem müde herabgebeugten Haupt. Meine Leute hätten nunmehr längst da sein müssen und mir wurde klar, dass sie in dieser Finsternis die Richtung verloren hatten. So feuerte ich alle paar Minuten einen Signalschuss ab und tat das solange weiter, bis ich gewahr wurde, dass ich nur noch drei Patronen besass. Die musste ich mir auf alle Fälle aufsparen, denn rechts wie links von mir grunzten Löwen in immer grösserer Nähe.
Es mochte gegen zehn Uhr sein, als ich endlich einen tanzenden Feuerfunken in der Dunkelheit erspähte und ihn mit meinen letzten drei Schüssen herbeirief. Es war, die Sturmlaterne in der Hand, Derengias. Bei ihrem Schein behandelte ich noch sofort die kleinen Bissmale mit Sublimat, obgleich mir klar war, dass es nach so langer Frist wohl nutzlos sein würde.
Bis zum nächsten Morgen ging alles gut, dann fingen die Wunden an zu jucken, zu brennen, zu schmerzen und anzuschwellen, immer dicker und dicker. Gegen Mittag sah mein Fussrücken schon aus wie eine überreife Tomate. Da wusste ich, was es geschlagen hatte, packte in Eile alles ein, liess Stangen zu einer Bahre abhauen, setzte zwei Wachen an Zelt und Lasten, wälzte mich mit zusammengebissenen Zähnen in die Bahre und schaukelte auf den Schultern von vier Trägern – vier weitere trabten zum Abwechseln nebenher – durch die Geraragua-Steppe davon, Moschi und dem Hospital entgegen.
Von den folgenden Tagen und Wochen kann ich mit den Worten der Bibel nur sagen: »Und siehe, sie gefielen mir nicht.« Die beiden englischen Ärzte huben mit der Zeit mehreremale an, von Amputation zu sprechen, doch das lehnte ich mit dem Hinweis ab, dass mein blessierter Huf zum Abmarsch in die ewigen Jagdgründe immer noch brauchbar sei. Worauf sie mir wiederum Morphium und irgendwelche Antitoxine einspritzten und den Fussrücken aufs neue kreuz und quer aufschnitten.
Ich hatte in den vielen langen und schmerzensreichen Tropennächten, die ich in dem Spital verbrachte, Gelegenheit alle Sünden und Torheiten meines Lebens zu bedenken. Und besonders die, Schakale, das Stück zu zweihundert Mark, zu fangen. Diese katastrophale Dummheit hat mich beinahe meinen rechten Fuss, fast vier Monate Zeit und fast viertausend Franken für Spitalbehandlung gekostet.