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(1902)
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Die Freifrau Maximiliane von Rittberg erhob sich, sah auf die Uhr, die sie im Gürtel trug, und sagte zu dem weißbärtigen alten Herrn, der neben ihr im Sopha saß: Verzeihen Sie mir, werthester Freund, aber ich muß Sie wegschicken und kann Ihnen nicht einmal vorher noch eine Tasse Thee oder ein Glas Wein anbieten. Ich erwarte aber in zehn Minuten den Besuch meiner armen jungen Freundin Armande, die, wie Sie vielleicht gehört haben, vor anderthalb Jahren ihren Mann verloren hat, den Hauptmann von Fircks, einen sehr liebenswürdigen jungen Artillerieoffizier. Es war ein so erschütternder Fall, beim Versuchsschießen sprang ein Geschütz, und ein Splitter verwundete Fircks am Oberschenkel. Er selbst nahm die Sache zu leicht, auch war nicht gleich der Arzt bei der Hand, nach vier Tagen trat der Brand hinzu, und die arme junge Frau, die den Mann leidenschaftlich liebte, war eine Wittwe. Seitdem hat sie immer noch in fassungslosem Schmerz hingelebt, weder ihre Eltern, die sie nach dem Unglück bei sich aufnahmen, noch ihr liebes Kind, ein Mädchen von drei Jahren haben nur im Geringsten vermocht, sie ans Leben zurückzugewöhnen. Nun habe ich sie zu mir eingeladen, hier auf dem Lande, und da sie sehr an mir hängt als ihrer treuen Pathin, hoffe ich etwas Macht über sie zu gewinnen, daß sie diese schwere Schickung mit Fassung ertragen lernt. Sie wollte auch auf mein Zureden bisher nicht hören und lehnte meine herzlichsten Bitten, sich zu mir zu flüchten, ab. Endlich gab sie doch nach, aber ich mußte ihr feierlich versprechen, daß sie keinem fremden Gesicht begegnen würde, wie sie auch bei ihren Eltern wie eine Zellengefangene gelebt hat. Nun habe ich ihr den Wagen an die Station entgegengeschickt, wollte sie auch nicht abholen, da ich Niemand zum Zeugen unseres traurigen Wiedersehens machen möchte, und erwarte sie hier jeden Augenblick mit ihrem Kinde. Sie begreifen, bester Freund –
Der alte Herr war ebenfalls aufgestanden. Wie können Sie so viel Umstände machen, theuerste Freundin! sagte er. Ich muß vielmehr selbst um Entschuldigung bitten, daß ich Ihnen so lange zur Last gefallen bin, obwohl ich doch gemerkt hatte, daß Sie zerstreut waren und mich wohl schon lange zu allen Teufeln gewünscht haben. Na, ich dachte eben, Sie hätten irgend welche Haus- oder Wirthschaftssorgen, da macht' ich mir kein Gewissen daraus, Sie für mich selbst in Beschlag zu nehmen; am Ende, dacht' ich, rückten Sie noch selbst mit dem heraus, was Ihr Gemüth molestirte. So was freilich ahnte ich nicht. Hm, hm! Das arme junge Frauchen! Na, Sie werden sie schon wieder zurechtkriegen, ich hab' ja schon öfter erlebt, daß Sie mit den Menschen anfangen können, was Sie wollen, freilich wollen Sie nicht immer, was den Menschen das Liebste wäre – hm! ja! – so nun wieder mit unserem armen Reizenstein, den haben Sie ja ganz auseinandergebracht mit Ihrem Brief, Sie Grausame!
Ein leichte Röthe flog über das immer noch jugendliche Gesicht der stattlichen Frau, in deren braunem Haar nur erst wenige graue Fäden sichtbar wurden.
Sie wissen darum? fragte sie.
Aber natürlich, theure Freundin! Heut' früh kriegte er die Hiobsbotschaft, und schon um Elf war er damit bei uns. Sie wissen, er verehrt meine Elisabeth wie seine zweite Mutter, hat auch Grund dazu. Sie hat aus dem wilden Jungen durch ihren Einfluß einen respectablen Menschen gemacht, ihm dann auch vor zehn Jahren zu seiner guten Frau verholfen, na, und wie er mit der gelebt hat bis an ihr allzu frühes seliges Ende, darüber ist ja nur Eine Stimme. Dann hat er Sie kennen gelernt – damals lebte Ihr Mann noch – da fing er gleich Feuer, meine Alte hatte genug zu thun, ihm auf die unsinnige Verranntheit einen Dämpfer aufzusetzen – es war ja auch die baare Tollheit – nicht daß er sich verliebte – Sie waren ja danach, selbst einem so alten Ehekrüppel, wie ich, den Kopf zu verdrehen – aber mit so einer hoffnungslosen Schwärmerei herumzugehen – an was Unmoralisches natürlich überhaupt kein Gedanke, auch wenn Sie nicht diesen besten Mann besessen hätten – kurz und gut, er nahm Raison an und wurde aus Desperation der famose Landwirth, für den er allgemein angesehen wird. Als dann aber Ihr Mann starb – Sie selbst noch so eine junge Wittwe, kaum sechsunddreißig –
Achtunddreißig, lieber Freund!
Na, die zwei Jahre thun's auch nicht. Und man weiß ja, la femme de quarante ans – da kommt noch 'mal eine ganz neue Jugend, und er, unser Reizenstein, bloß ein Jahr älter als Sie und das Bild von Kraft und Gesundheit, das er ist, dabei ein perfecter Cavalier, und kinderlos, und hat seine erste Frau auf Händen getragen –
Sie mußte nun doch ein wenig lächeln.
Sparen Sie die Mühe, bester Freund! sagte sie. Auch wenn ich jetzt mehr Zeit hätte, Sie anzuhören, jedes Wort wäre umsonst. Wenn er Ihnen meinen Brief gezeigt hätte –
Aber er hat ihn uns ja gezeigt, liebste Frau, 's ist auch ein Brief, wie nur Sie ihn schreiben können, Sie sagen ihm eben Alles, was ihn zurückschrecken soll, mit so schonenden und liebenswürdigen Worten, daß Sie ihm nicht verdenken können, wenn er dadurch nur erst recht in seiner Liebe bestärkt worden ist. Öl ins Feuer, liebe Beste! Und wie gesagt, er war wie vor den Kopf geschlagen, es hätte Sie selbst erbarmt, wenn Sie den guten Menschen in seiner Verzweiflung gesehen hätten. Meine Meinung, wenn Sie sie wissen wollen, ist auch, daß der Brief, so schön er war, doch sehr – wie soll ich sagen? – sehr unvernünftig war. Daß Sie mit Ihren achtunddreißig Jahren, die Ihnen kein Mensch ansieht – auch wenn Sie eine so selten glückliche Ehegattin gewesen sind – sich selbst zu ewiger Wittwenschaft verurtheilen – verzeihen Sie mir altem Freunde, der ich Ihr Vater sein könnte, das ehrliche Wort: das hat keinen Sinn und Verstand und das können Sie vor Gott und Menschen nicht rechtfertigen.
Das Gesicht der Freifrau war sehr ernst geworden.
Es ist hübsch von Ihnen, theurer Freund, daß Sie so warm den Fürsprecher für Ihren Schützling machen, sagte sie. Ich glaube auch, Ihre liebe Frau wird es mir sehr verdenken, wenn ich Sie unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren lasse. In solchen Fällen hat aber Jeder es mit sich selbst abzumachen, was er thun und lassen muß. Manches, was vor den Menschen eine Thorheit scheint, ist vor Gott ein unbedingtes Gebot der Pflicht, die Jeder gegen sich selbst zu erfüllen hat. Und damit lassen Sie es genug sein! In fünf Minuten erwarte ich mein armes junges Pathenkind. Nehmen Sie Ihren Hut, lieber Onkel Botho, wie ich Sie ja wohl auch ferner nennen darf, wenn Sie jetzt auch böse auf mich sind und noch eine Weile schmollen werden, und glauben Sie mir, auch wenn Sie mit Engelszungen redeten, ich könnte nur immer antworten: Hier stehe ich, Gott helfe mir! Ich kann nicht anders!
Der alte Herr seufzte tief auf, bückte sich auf die Hand herab, die sie ihm hinhielt, drückte einen ehrerbietigen Kuß darauf und verließ mit dem etwas schleppenden Gang seiner gichtischen Füße das Zimmer.
*
Es war erst sechs Uhr Nachmittags, im Zimmer aber schon so dunkel, als sollte alsbald die Nacht hereinbrechen. Denn unter dem Herbsthimmel draußen zogen schwere Regenwolken dahin, und der rauhe Wind, der um das herrschaftliche Landhaus strich, schüttelte die Wipfel der hohen Ulmen, machte die Fenster klirren und fuhr zu den Schornsteinen herein, daß aus dem Kamin im Zimmer der Freifrau, in dem ein kleines Feuer angezündet war, von Zeit zu Zeit die rothen Flammen hereinzüngelten und die Scheiter knisternd zusammenbrachen.
Frau Maximiliane, nachdem der alte Herr gegangen war, stand, die Arme über der vollen Brust gekreuzt, eine Weile unbeweglich und blickte in die Glut hinab. Allerlei Spukbilder vergangener Zeit schienen an ihrer Seele vorüberzuziehen, die sie der Gegenwart entrückten. Sie schreckte aus ihrem Sinnen auf, als eine alte Dienerin mit einem brennenden silbernen Armleuchter eintrat und meldete, man höre schon den Wagen in der Allee heranrollen.
Da besann sich die Herrin, hieß die Alte den Leuchter auf den Kaminsims stellen und schritt rasch hinaus. In dem geräumigen Eßzimmer nebenan war der Theetisch gedeckt, zwei große Lampen brannten darauf und spiegelten ihr Licht in dem reichen Silbergeschirr. Die Frau warf einen raschen Blick darauf, gab der Dienerin, die ihr gefolgt war, noch einen Auftrag und trat dann in den Flur hinaus, der sich auf die Rampe am Hause öffnete. Eben hielt der verschlossene Wagen vor derselben, ein Bedienter sprang vom Bock, um den Wagenschlag zu öffnen, und eine dunkle jugendliche Frauengestalt sprang heraus, in die Arme der alten Freundin, die sie mit einem leisen Freudenausruf an ihr Herz drückte.
Sie standen einen Augenblick innig umschlungen, die junge Frau in leidenschaftliches Weinen ausbrechend, bis die Ältere sich sanft aus der Umarmung losmachte. Komm! sagte sie. Fasse dich! Du darfst hier im Winde nicht stehen bleiben. Wo ist Lilli?
Durch die enge Wagenthür wand sich ein umfangreiches weibliches Wesen, das ein in Tücher dicht eingehülltes schlafendes Kind in den Armen trug. Sie schläft! flüsterte sie. Sie ist schon auf der Eisenbahn eingeschlafen und wird noch nicht gleich aufwachen, wenn ich sie in ihr Bettchen bringe. Wenn gnädige Frau mir sagen wollten –
Die junge Mutter trocknete flüchtig ihre Augen und nahm dem Kindermädchen das kleine Packet ab, um es selbst ins Haus zu tragen.
Wir wollen gleich in deine Zimmer gehen, mein Liebling, sagte die Freifrau. Es ist ein wenig geheizt. Und auch für ein Kinderbett ist gesorgt. Die Frau Pfarrerin hat mir ihres geliehen. Ich denke, obwohl du in ein kinderloses Haus kommst, sollst du doch nichts vermissen.
So stiegen sie schweigend die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf und traten in das behaglich warme, hell erleuchtete Zimmer, das zum Schlafzimmer der jungen Frau eingerichtet war. Neben dem Bett der Mutter stand das Kinderbettchen, in das die schlafende Kleine, behutsam aus ihren Tüchern herausgeschält, hineingelegt wurde. Die Lampe war sogleich ausgelöscht worden, nur ein Nachtlicht verbreitete hinter dem seidenen Schirmchen einen grünen Schein über dem Kopfkissen des Kindes, das nur einmal träumend die zarten Lider halb öffnete, die Mutter anlächelte und gleich wieder fest einschlief.
Dann verließen die Frauen auf den Zehen das Gemach, während die dicke Wärterin sich daranmachte, geräuschlos Lilli's Siebensachen auszupacken und sich häuslich einzurichten.
*
Nun komm, Liebe, sagte Frau Maximiliane, als sie, den Arm um die schlanke junge Gestalt gelegt, das Eßzimmer unten betrat. Nimm dein Hütchen ab und mache dir's hier im Sessel bequem. Der Thee wird gleich fertig sein.
Die Junge ließ die großen, feuchten Augen im Zimmer herumgehen, mit einem ängstlichen Blick.
Nein, Tante Maxe, sagte sie, ich kann nichts genießen. Der Hals ist mir wie zugeschnürt von verschluckten Thränen. Und hier ist's zu hell. Ich kann das Licht nicht ertragen, seit ich im Schatten des Todes sitze. Du siehst, ich hatte nur zu Recht, als ich mich dagegen sträubte, deiner liebevollen Einladung zu folgen. Du hast es so gut gemeint, aber du weißt nicht, wie mir zu Muth ist, ich bin ein trauriger Gast am Tisch des Lebens. O Tante Maxe, es ist zu furchtbar, was über mich verhängt ist, ich habe kaum die Kraft, in tiefster Einsamkeit mich aufrecht zu erhalten, und nur um Lilli's willen – denn sonst – glaube mir, hundert Mal habe ich mir gewünscht, Gott hätte mich abgerufen an demselben Tage, wo ich meinen Fritz verlor, ohne den ich im Leben herumgehe wie eine Bettlerin, die nicht einmal den Muth hat, die Hand auszustrecken, daß man ihr ein Almosen hineinwirft, ihren Hunger zu stillen!
Sie schlug die Hände vors Gesicht und drückte, in neue Thränen ausbrechend, ihren Kopf gegen die Schulter der stillen, ernsten Freundin.
Wir wollen dort hineingehen, sagte diese. Da ist es dunkler und heimlicher. Aber überwinde dich ein wenig, armes Herz! Bedenke, du bist es deinem Kinde schuldig, mit diesem heftigen Gram dich nicht selbst zu zerstören.
Ach, Liebste, Theuerste, rief die Trauernde, indem sie sich an dem hellen Tische vorbei in das Nebenzimmer führen ließ und in einen Sessel am Kamin sank, du mußt es doch begreifen! Alles hier erinnert mich an die glücklichste Zeit meines Lebens. Hier saßen wir, als wir euch auf unserer Hochzeitsreise besuchten, so wie heut' brannte das Feuer im Kamin, ich sehe noch, wie Fritz mit deinem Mann im Eßzimmer auf und ab ging, während ich mein Herz, das von Glück überfloß, vor dir ausschüttete. Und heut', nach vier kurzen Jahren – so beraubt – so furchtbar aus all meinen Himmeln gestürzt, so ganz verarmt –
Ganz? Und der Schatz, der dir geblieben ist – den rechnest du für Nichts?
Lilli! Meine süße Lilli! Ach wohl, wenn ich das Kind nicht hätte – ich sagte dir's ja, ich würde Gott täglich anflehen, sich meiner zu erbarmen, mich zu erlösen von der Qual dieser Erinnerung und der verzehrenden Sehnsucht. Dir, nur dir darf ich's gestehen – selbst das Kind ist mir oft eine Qual. Es hat dieselben Augen, die mich selig gemacht und jetzt so elend, da sie sich für immer geschlossen haben!
Du versündigst dich! sagte die Freundin sehr ernst. Wenn Gott dich strafen wollte und beim Wort nähme –
Ich weiß es ja, es ist eine Sünde, das nur zu denken, aber siehst du, es ist eben Alles in mir wie zerstückt und zerstört, und eben darum habe ich gezögert, zu dir zu kommen. Wie soll ich irgend ein fremdes Auge, und wäre es das gütigste, in das Irrsal meines Inneren blicken lassen! Meinen Eltern verberge ich's aufs Ängstlichste. Du aber, Tante Maxe – vor dir habe ich nie etwas geheim halten können, und nun mußt du in der ersten Stunde erfahren, was für ein schwaches, armseliges Geschöpf dein unglückliches Pathenkind ist!
*
Sie glitt von ihrem Sessel herab vor die Füße der edlen Frau, deren Kniee sie umschlang, während sie ihre überströmenden Augen gegen ihren Schooß drückte.
Liebes, armes Kind, sagte die Freifrau, sanft das weiche blonde Haupt streichelnd, weine nur, wenn Thränen dich erleichtern können. Aber versuche auch zu hören, was deine treueste Freundin dir sagt. Nein, fürchte nicht, daß ich so thöricht sein möchte, dich trösten zu wollen mit den frommen Sprüchen, mit denen Tausende in deiner Lage ihren brennenden Schmerz beschwichtigen. Deine gute Mutter – wir waren schon im Institut verschiedenen Glaubens, und Jede von uns hat sich seitdem in dem ihrigen bestärkt. Du hast mir ja aber geschrieben, daß du den Gedanken eines Wiedersehens nach dem Tode nicht fassen könnest, und wäre das auch ein Trost? Wie wenn man einem vor Durst Verschmachtenden sagte, in acht Tagen werde man ihn aus einer Quelle trinken lassen, die er von ferne rauschen hört. Wir leben ja, wenn wir so schwer getroffen sind, unser Leben auf der Erde fort und müssen sehen, wie wir hier und jetzt das Blut stillen, das aus unserer Herzenswunde fließt. Wenn uns das nicht gelingt, wenn wir krank und elend uns Jahre um Jahre hinschleppen, – keine ewige Seligkeit kann uns das, was wir in der Zeit gelitten haben, vergüten.
Aber glaube mir, mein Liebling, es giebt Heilmittel für solche Wunden, vielleicht nicht für Alle; denn Mancher, der nicht von den Feigsten und Schlechtesten ist, wird von seinem Schicksal in tödtliche Verzweiflung getrieben. Wie sich das mit einer sittlichen Weltordnung, mit einer gerechten Vorsehung reimen läßt, hat noch kein Weiser und Prophet ergründet, so viel sie auch reden mögen. Dein Geschick aber, theures Kind, so trostlos bitter es dir erscheint, ist nicht von der Art, daß ein tapferes Herz, das sich nicht weichlich fallen läßt, es nicht mit der Zeit überwinden könnte.
Die junge Frau hatte sich von den Knieen erhoben und war wieder in ihren Sessel zurückgesunken. Das blasse, reizende Gesicht starrte in die Flammen, sie schüttelte leise den Kopf, es kam aber kein Laut von ihren zusammengepreßten Lippen.
Ich kenne dich von deinen Kinderjahren an, fuhr die Andere mit innigem Tone fort. Du warst immer ein richtiges Kind deines Vaters, der ein so muthiges Soldatenherz in seiner schlichten Brust trägt. Nun, wenn der Feind, mit dem wir zu kämpfen haben, das Schicksal ist, so muß es unser Stolz und unsere Pflicht sein, ihm tapfer die Stirn zu bieten, ihm nicht unsere Waffen auszuliefern, uns nicht unterkriegen zu lassen. Dann mag kommen, was da will, wir stehen aufrecht, auch wenn man uns in Fesseln schlägt. So lange wir mit unserm Herzen im Bunde bleiben, sind wir unbezwinglich, so viel Opfer an dem, was man Glück nennt, wir auch bringen müssen. Und siehst du, Kind, wenn uns Alles genommen wird, was wir an Gütern des Lebens und an Herzensfreuden besessen haben, Ein Glück können wir nie verlieren, das Glück, andern Menschen, die elend sind wie wir, aber schwächer als wir, wohlzuthun und in ihren Nöthen ihnen beizustehen. Der ärmste Bettler findet einen, der ärmer ist als er, mit dem er die am Wege gefundene Brodrinde theilen kann.
So, Liebste, habe auch ich mir zu helfen gelernt in all dem Schweren, was über mich verhängt war. Und so mußt auch du den Kopf wieder heben und deine Thränen versiegen lassen, wenn du um dich blickst und siehst, daß Anderen noch viel Härteres auferlegt ist, du aber hast die Macht, ihr Schicksal zu lindern, wär' es nur durch ein warmes Wort und einen theilnehmenden Händedruck. Die Last, die die arme Menschheit zu tragen hat, wäre erdrückend, wenn nicht Alle die Schultern unterstemmten.
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Sie war aufgestanden und in großer Bewegung, wie von ihren Erinnerungen erschüttert, an das Fenster getreten. Man hörte draußen den Wind sausen, und die Flammen im Kamin zischten und sprühten hoch auf.
Eine Weile war's still zwischen den beiden Frauen. Dann sagte die Jüngere mit leisem, schüchternem Ton: Ach, Tante Maxe, du denkst zu gut von mir. Ich habe nicht deine große Seele, nur ein kleines sehr egoistisches Herz, das war ganz ausgefüllt von seinem Glück und ist jetzt nicht mehr werth als ein leeres Etui, aus dem der Schmuck weggestohlen wurde. Wem kann ich irgend etwas sein, da ich mir selbst nichts mehr bin? Wie soll ich stolz sein auf meinen Muth und den Kopf hoch tragen, da ich am Boden liege und die Kraft nicht habe, mich nur auf den Knieen aufzurichten, um zu Gott zu beten, daß er sich meines Elends erbarmen möchte? Vielleicht in Jahren – es heißt ja, die Zeit lindere Alles – aber du darfst auch nicht vergessen, daß du so viel vor mir voraus hattest, wenn du es tapferer überstandest, deinen Mann hingeben zu müssen. Du hast ihn ganze vierzehn Jahre besessen, ich nur arme vier! Du hast den Durst nach Liebesglück so lange stillen können, mir wurde der Becher vom Munde gerissen, da ich kaum noch recht begriffen hatte, wie süß und berauschend der Trank war, wenigstens erst jetzt ist es mir voll zum Bewußtsein gekommen. Und wenn ich jetzt in den langen einsamen Nächten wach liege, an Alles zurückdenke, was nie, nie wiederkehren soll –
Die Thränen, die wieder vorbrechen wollten, erstickten ihre Stimme.
Da wandte sich die Freifrau am Fenster um und kam langsam auf sie zu geschritten. Sie stand erst noch eine Weile vor dem Kamin und schien mit einem Entschluß zu kämpfen. Dann sagte sie ruhig: Ich sehe, es hilft nichts, ich darf dich nicht, wie alle anderen Menschen, in dem Wahn lassen, daß ich ein Leben hinter mir hätte, dem kein Wunsch unerfüllt blieb, bis auf den einen, ein Kind besessen zu haben, das ich unter dem Herzen getragen. Du sollst wissen, daß diese vierzehn Jahre, um die du mich beneidest, eine Kette von Prüfungen waren, mit denen verglichen der Verlust des geliebtesten Menschen eine so sanfte und natürliche Fügung des Himmels erscheint, wie daß auf einen kurzen Sommer ein langer Winter folgt.
Die junge Frau sah rathlos erschrocken zu ihrer mütterlichen Freundin auf. Tante Maxe! rief sie, was sagst du? Unglücklich, du, in diesen vierzehn Jahren, wo du die geliebte, verehrte, vergötterte Frau des edelsten, vornehmsten Mannes warst, den Alle, die ihn kannten, für einen Elitemenschen erklärten, den du aus Liebe geheirathet hattest – es ist undenkbar! Ich selbst – habe ich nicht, wenn ich hier auf dem Lande bei euch zum Besuch war, schon als ganz junges Mädchen das Gefühl gehabt, eine Ehe wie die eure werde unter Tausenden nicht wieder gefunden, so innig sah ich euch verbunden, so leuchtete sein Auge, wenn er dich nur ins Zimmer treten sah, so rührend war mir's, wie du ihm jeden leisen Gedanken, jeden Wunsch am Gesicht ablasest, eh' er ihn noch ausgesprochen? Auch zu Hause bei meinen Eltern hatte ich ja nur Frieden und Einklang erlebt. Ihr aber erschient mir als höhere Naturen, und ich sagte mir seufzend, so etwas würde ich nie erleben können, und habe es nun doch erlebt, aber nicht so lange wie du, und soll nun glauben –
Nicht glauben, Kind, wissen sollst du's. Komm, wir wollen wieder ruhiger werden, Beide. Es liegt ja auch hinter mir, ich bin ganz und gar damit fertig geworden, so schwer ich mir's erkämpft habe, das Verzichten ein für allemal auf das höchste Glück eines armen sterblichen Wesens, jenes Liebesglück, das den Menschen, wenn es ihm gewährt wird, so beseligt, daß er mit keinem Gott tauschen möchte. Ich – kenne es nur von Hörensagen, ich meine, von der Stimme der Sehnsucht in mir, die mir dies Zauberlied vorsang, so taub ich mich dagegen machen wollte. Und nicht einmal mit den ersten grauen Haaren ist es ganz verstummt.
Sie hatte sich Armande gegenüber wieder auf ihren Stuhl niedergelassen und sah düster in die nun leise verglimmenden Brände im Kamin. Dann sagte sie: Ich brauche dich nicht zu bitten, oder gar durch ein feierliches Versprechen zu verpflichten, von dem, was du hören wirst, nie einer Menschenseele ein Wort zu verrathen. Du hast mich lieb genug, um mir nachzufühlen, wie bitter es mir sein würde, wenn man mich mit der Miene des Mitleids, der Befremdung über mein tristes Schicksal betrachtete. Auch das Unglück wird entweiht durch die Neugier der Welt, die in Allem, was Menschen Seltsamtrauriges erleben, nur Stoff zu ihrem Geplauder sehen. Ich bin überzeugt, Ähnliches ereignet sich öfter, als man vermuthet. Aber nie, außer in Gerichtsverhandlungen, die für mich immer etwas Empörendes hatten, ist mir eine Beichte dieser Art gemacht worden. Es ehrt unser Geschlecht, daß die Leidensgefährtinnen sich nicht entschließen können, kalte fremde Augen in so unselige Geheimnisse blicken zu lassen.
Ja, Kind, es ist Alles wahr, was du von Onkel Constantin gesagt hast. Er war ein Elitemensch, an Geist und Seele, und was er von der Natur an seltenen Gaben empfangen, hatte er mit dem hingebendsten Ernst und Fleiß unermüdlich weiter ausgebildet. Als ich ihn kennen lernte, war ich selbst trotz meiner zweiundzwanzig Jahre noch ziemlich unreif. Du weißt ja, wie wir in unseren Kreisen erzogen werden. Unser bischen Institutsbildung geht nirgend in die Tiefe, das empfand ich selbst und wandte alle Zeit, die mir das gesellschaftliche Leben und Treiben und der mancherlei standesgemäße Sport übrig ließen, heimlich daran, die Lücken meiner Bildung auszufüllen. Ich fühlte aber, wie ich im Dunkeln tappte. Ich hatte Niemand neben mir, der mir sagen konnte, worauf es ankam, was Schale und was Kern sei. So las ich halbe Nächte lang, oft, nachdem ich eben vom Theater oder Concert nach Haus gekommen war, Bücher, die ich nur halb verstand, und seufzte darüber, daß ich von widersprechenden Stimmen hin und her gezogen und mehr verwirrt als erleuchtet wurde.
Da lernte ich Constantin kennen, in einer Soirée, wo ich seine Tischnachbarin wurde. Nach den ersten zehn Minuten erkannte ich so klar, wie wenn ein Mensch, der eine Fiebernacht hinter sich hat, die Sonne aufgehen sieht, daß dieser Mann Alles besaß, was mir fehlte.
Und er, nicht wie andere bedeutende Männer, die sich's merken lassen, daß sie es für verlorene Liebesmüh' halten, ein confuses Mädchengehirn aufzuklären – aufs Liebenswürdigste ließ er sich zu mir herab, und wir waren, als man von Tisch aufstand, in einem so ernsten Gespräch begriffen, daß wir, ohne es zu bemerken, noch allein sitzen blieben, bis aus dem Salon nebenan Töne drangen, die uns daran erinnerten, daß die Hausfrau versprochen hatte, nach dem Essen uns noch etwas Musik zum Besten zu geben.
Gleich am anderen Tag besuchte er uns. Er hatte um die Erlaubniß gebeten, mir ein Buch bringen zu dürfen, von dem er gesprochen hatte. Seitdem kam er oft, zuweilen jeden dritten Tag, meist gegen Abend, eine Stunde vor dem Theater, das er selbst selten besuchte. Er litt, wie er sagte, an nervösen Kopfschmerzen, die ihn plötzlich mit Heftigkeit überfielen, wenn er lange in hell erleuchteten Räumen aushalten mußte. Darum ließ er sich auch selten in eine Abendgesellschaft laden. Wenn er zu uns kam, sorgte ich dafür, daß nur eine einzige Lampe brannte. Da setzte er sich zu mir, und wir waren bald in einem eifrigen Gespräch, an dem auch die Mutter gewöhnlich Theil nahm, während mein Vater erst später erschien, wenn er seine Acten erledigt hatte. Damals war er erst vor Kurzem an das Kammergericht versetzt worden und hatte noch weniger Zeit, sich mit mir abzugeben.
Das überließ er nun um so lieber Constantin, den er von Anfang an in hohem Grade schätzte. Die Mutter vollends schwärmte für ihn. Sie ließ es sich deutlich gegen mich merken, daß sie sich keinen Anderen so gern zum Schwiegersohn ausgesucht hätte. Und ich konnt' es ihr wahrlich nicht verdenken.
Denn auch mir war nie ein Mann begegnet, den ich mehr bewundert, zu dem ich mit so unbedingtem Vertrauen aufgeblickt hätte. Er erschien mir geradezu als ein Bild aller männlichen und menschlichen Vollkommenheit, und den tiefsten Eindruck machte mir bei all seinen Vorzügen, daß er selbst sich ihrer kaum bewußt zu sein schien. Vielmehr lag eine leise Schwermuth über ihm, als genüge ihm von Allem, was er an äußeren und inneren Gaben besaß, Nichts so sehr, um daran Freude zu haben.
Er hatte Jura studiert und alle Examina bestanden. Papa gab ihm nach einigen juristischen Gesprächen das Zeugniß, daß er ein gründlich beschlagener Jurist sei. Er war aber weder in die Staatscarrière eingetreten, noch hatte er Lust gehabt, sich als Anwalt zu etabliren. Sein Kopfleiden, sagte er, mache ihm die Ausübung eines Amtes dieser Art unmöglich. Dagegen hatte er sich, ohne rechte Neigung, der Bewirthschaftung seines Gutes angenommen, das seit dem Tode seiner Eltern verpachtet gewesen war. Er stand nun ganz allein, hatte weder Geschwister noch nahe Verwandte und war dreißig Jahre alt geworden, ohne an Heirathen zu denken. Man war der Meinung, er werde Junggeselle bleiben und früh ein Sonderling werden.
Hier aber auf dem Gut, wenn er auch an den Jagden, den Trink- und Scatparthien seiner Nachbarn nicht Theil nahm und die einsamen Abende mit historischen und volkswirthschaftlichen Studien ausfüllte, schloß er sich doch nicht gegen das Leben und die Menschen ab, immer freilich auf seine still beschauliche Art, und die Bauern und Dienstleute, mit denen er zu thun hatte, sangen sein Lob in den höchsten Tönen. Denn eine Milde und Menschenfreundlichkeit war ihm eigen, die ihm alle Herzen gewinnen mußte. Alle die wohlthätigen Anstalten und Einrichtungen, die ich dann später mit ihm verwaltete und weiter ausbilden durfte, stammen von ihm allein her.
Wenn aber die ländlichen Arbeiten ruhten, kam er in die Stadt und lebte da im Verkehr mit Männern der Wissenschaft und der Politik, die ihn alle schätzten und Großes von ihm erwarteten. Auch ich war naseweis genug, ihn zu fragen, ob er nicht heimlich an einem großen Buch arbeite. Er lächelte trübsinnig. Dazu habe er zu wenig Ehrgeiz und zu viel Kopfschmerzen. Auch mache er Jahr für Jahr solche Fortschritte, daß ein Buch, das er heute herausgegeben, übers Jahr ihm schon veraltet vorkommen würde, so daß er viel Geld dran wenden müßte, die ganze Auflage dann zurückzuziehen und einstampfen zu lassen.
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Wie du mich kennst, Liebste, wird es dir nicht seltsam scheinen, daß es nicht lange dauerte, bis dieser ungewöhnliche Mann mein ganzes Herz besaß, nachdem er meinen Verstand in der ersten Stunde sich unterworfen hatte.
Ich war nicht so eitel, mir einzubilden, daß ich es werth wäre, seine Frau zu werden. Nie war ich mir unfertiger, unbedeutender vorgekommen, als neben ihm, und ich zuckte die Achseln, wenn die Mutter ihre Zukunftsträume vor mir ausbreitete. Aber daß er eine Neigung zu mir gefaßt hatte, daß der Umgang mit mir ihm mehr und mehr zum Bedürfniß geworden war, konnte ich mir nicht verhehlen, und endlich hörte ich auch von anderen Seiten, daß man uns Zwei für ein stillschweigend verlobtes Paar ansah.
Wie glücklich mich das machte, kannst du denken. Ich hoffte nun auch, es werde dazu kommen, daß er seine Zurückhaltung überwände und sein Herz gegen mich öffnete.
Es geschah aber nicht. Vielmehr wurde er von Woche zu Woche ernster und melancholischer, kürzte seine Besuche ab und blieb zuweilen eine ganze Woche aus, unter sehr nichtigen Vorwänden. Als die Zeit kam, wo ihn seine landwirthschaftlichen Pflichten wieder auf das Gut hinausriefen, und er nur mit einem kurzen, wenn auch herzlichen Billett sich von uns verabschiedete, ein eiliges Geschäft vorschützend, brach das Luftschloß meiner verliebten Träume unaufhaltsam zusammen. Ich ging mit dem Brief in mein Zimmer, riegelte mich ein und weinte, wie ich nie in meinem Leben geweint hatte.
Dann verging eine Woche, da kam wieder ein Brief, aus einer ganz anderen Tonart. Er könne sich des traulichen Verkehrs mit mir nicht so rasch entwöhnen und bitte um die Erlaubniß, mir dann und wann schreiben zu dürfen, wenn er auch schwarz auf weiß nicht »von Staats- und gelehrten Sachen« mit mir plaudern wolle, was pedantisch herauskommen würde; es mache ihm aber Vergnügen, dem Stadtkind einen Einblick in die Welt, die ihn jetzt umgebe, zu eröffnen, die zwar unbedeutend erscheine, aber für den Menschenforscher und Menschenfreund auch ihre Reize habe. Dabei wisse er ja, daß ich auch Thierfreundin sei, und werde sich erlauben, mich auch mit seinen vierfüßigen und gefiederten Nachbarn und Freunden ein wenig bekannt zu machen, bis ich mit den Eltern einmal käme und die Bekanntschaft in Person fortsetzte.
Dieser Briefwechsel, der nun begann, belebte all meine Wünsche und Hoffnungen. Überdies zeigte sich darin der heimlich Geliebte von einer ganz neuen Seite, von einem reizenden, gedämpften Humor, der mich vollends bezauberte. Ich antwortete, so gut ich konnte, und lebte diese Frühlingsmonate in einer Art von seelischem Taumel, ganz ausgefüllt von dieser Liebe, die ich nun auch vor der Mutter nicht mehr zu verbergen vermochte.
Was mich noch besonders beglückte, war, daß er schrieb, er fühle zum ersten Mal den Einfluß der Landluft so wohlthätig, daß er hoffen dürfe, sein Nervenleiden vielleicht ganz zu überwinden. Er wolle daher auch dem Rath seines Arztes folgen, einen Monat an der See zuzubringen.
Auch von daher schrieb er mir, regelmäßig jede Woche, und immer einen langen Brief. Die Gerichtsferien des Papa's fielen in dieselbe Zeit. Ich hätte nichts lieber gewünscht, als daß die Eltern sich ebenfalls nach dem Seebade aufgemacht hätten, wo Constantin sich befand. Der Vater aber wollte aus Zartgefühl gerade darum Nichts davon hören, so sehr die Mama in ihn drang, und so reis'ten wir in die Schweiz, wohin mich meine ersehnten Briefe immer erst nach drei langen Tagen erreichten.
So schön dieser Sommer war, begrüßte ich doch die ersten gelben Blätter mit Freude. Nun stand das Wiedersehen nahe bevor, und die Entscheidung konnte nicht lange ausbleiben.
Ich hatte mich aber noch bis zum November zu gedulden. Und zu meinem größten Kummer war ich ausgegangen, als er zum ersten Mal wieder an unsere Thür geklopft hatte, da er mich hatte überraschen wollen.
Nur die Mutter war zu Hause gewesen. Bei der hatte er eine Stunde gesessen, mich aber nicht abwarten können. Wie er ausgesehen, was er gesprochen habe, ob er bald wiederkommen werde? Er habe eine so frische Farbe gehabt, wie nie zuvor, sei sehr heiter gewesen, dann aber plötzlich wieder in seine dunkle Stimmung zurückgesunken, und wann und ob überhaupt er wiederkommen werde, sei die Frage.
Denn da er im Gespräch so hingeworfen habe, er rechne bestimmt darauf, uns im nächsten Frühjahr bei sich auf dem Gute zu sehen, habe sie sich ein Herz gefaßt, ihm gerade heraus zu sagen, davon könne nicht die Rede sein. Es werde ohnehin über seine häufigen Besuche in unserm Hause mehr gesprochen, als ihr im Interesse ihrer Tochter lieb sein könne. Ein Gastbesuch bei einem Gutsherrn, der unverheirathet sei, würde zu den anzüglichsten Deutungen Anlaß geben. Sie fühle sich verpflichtet, ihn, der so ganz arglos sei, darauf aufmerksam zu machen, und so weiter.
Darauf habe er eine Weile stumm in tiefem Sinnen dagesessen, dann plötzlich sich erhoben und mit einer kurzen verlegenen Entschuldigung das Zimmer verlassen.
Ich war todunglücklich, als ich dies hörte. Nun ist Alles aus! sagte ich mir immer wieder, die ganze schlaflose Nacht hindurch. Wenn er es ernst meinte, jetzt hätte er sich erklären müssen.
Am anderen Morgen aber, als ich mit trüben, verwachten Augen in das Frühstückszimmer trat, sah ich ihn am Fenster stehen. Der Schrecken lähmte mir die Glieder. Er aber wandte sich um, kam langsam auf mich zu und fragte mich, während er meine Hand ergriff, die zitternd herab hing, ob ich den Muth hätte, es mit ihm zu wagen und seine Frau zu werden.
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Der Winter, den ich nun als seine Braut verlebte, war die glücklichste Zeit meines Lebens, ja, ich darf sagen, die einzige ganz glückliche Zeit.
Ich habe die verhängnißvolle Gabe, Alles, was mir an Freude und Leid beschert wird, voll auszukosten, jeden Tropfen im Becher, süß oder bitter, zugleich überschwänglich und bedächtig mit allen Sinnen in mich aufzunehmen. So blieb ich mir über den ganzen Tag der Beseligung bewußt, daß dieser Mann, den ich hoch über alle Männer stellte, mich erwählt hatte.
Und er blieb sich in Allem, was ihn mir liebens- und verehrungswürdig gemacht hatte, nicht nur gleich, sondern das Glück, daß seine Liebe so hingebend erwidert wurde, schien ihn gleichsam zu verjüngen, und auch sein Ernst erhielt einen Reiz und Glanz, wie nie zuvor, während er Stunden einer fast übermüthigen Heiterkeit hatte, in denen er vollends unwiderstehlich war.
Zuweilen freilich fiel auch wohl wieder ein Schatten über ihn, der mich plötzlich ängstigte, als ob etwas Unheimliches hinter ihm lauerte, etwas Feindseliges, das uns unser Glück beneidete. Er wußte mich aber immer rasch zu beruhigen: es sei noch ein Rest seines alten Kopfwehs; eine neue Badekur an der See werde auch das für immer beseitigen, um so mehr, da ich dann neben ihm sein würde.
Wie zart er bemüht war, auf all meine Stimmungen einzugehen, jedes Steinchen des Anstoßes mir aus dem Wege zu räumen, kann ich nicht schildern.
Doch zärtlich in dem Sinne, wie andere Verlobte sich gegen ihre Braut betragen, war er nur selten. Die Mutter, die das vollste Vertrauen zu ihm hatte, ließ uns oft Stunden lang allein. Er machte sich aber diese Gunst nicht zu Nutze, mich mit Liebkosungen zu überhäufen. Kaum daß er beim Kommen und Gehen mich herzlich umarmte. Neben mir zu sitzen, zuweilen meine Hand zu fassen und an seine Lippen zu drücken, das schien seiner Sehnsucht zu genügen.
Der meinigen nicht so ganz. Ich war ohne jeden Schatten einer verstohlenen Liebschaft dreiundzwanzig Jahr geworden, hatte Niemand kennen gelernt, der mein junges Blut in Wallung gebracht hätte. Aber ich war kräftig aufgeblüht, und die Natur fing an, ihre Rechte geltend zu machen. Ich gestehe dir, daß ich manchmal an mich halten mußte, meine Arme nicht um seinen Hals zu schlingen und so recht nach Herzenslust ihn zu küssen. Er gefiel mir so ganz und gar, sein feines, liebes Gesicht, »sein hoher Gang, seine edle Gestalt« – ich wäre dankbar gewesen, wenn ich auf seinem Schooß hätte sitzen dürfen und mein Gesicht an das seine drücken.
Dann aber entschlug ich mich all solcher Wünsche und rechnete ihm auch diese Zurückhaltung zum Verdienst an. Er betrachtet mich noch als ein geliehenes Gut, sagt' ich mir, das er schonend behandeln muß, bis er es ganz in Besitz genommen hat.
Die Hochzeit sollte erst im Mai stattfinden. Auch das befremdete mich, daß er keinen Widerspruch erhob, als die Mutter ihm diese Wartezeit ankündigte. Da sie ganz unter seinem Zauber war, hätte sie sich auch darein gefunden, mich schon zu Weihnachten hinzugeben, wenn er nur den leisesten Versuch gemacht hätte, Einspruch zu thun. Er sagte mir freilich, er brauche diese Zeit nur allzu nöthig, um die Zimmer in seinem alten Hause auf dem Gut neu in Stand setzen zu lassen, an die seit dem Tode seiner Eltern keine Hand angelegt worden sei. Und da ich einen unbedingten Respect vor Allem hatte, was er wünschte und wollte, so fand auch ich mich, ohne länger darüber nachzudenken, in den Aufschub der Hochzeit, zumal der Mai auf dem Lande mir für dies hohe Fest die richtigste Zeit zu sein schien.
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Sie kam dann endlich heran, diese »schönste Feier«, der ich trotz meiner großen Liebe dennoch mit einem bangen Gefühl entgegen sah. Ob eine Ahnung im Spiele war, oder nur die stille Sorge, was wie ein unbegreiflich süßer Traum gewesen war, könne unmöglich, wenn das wache Leben angebrochen sei, so beglückend fortdauern?
Wir hatten eine ganz kleine, stille Hochzeit, er bestand darauf, keine große Gesellschaft zu laden, in Allem waren wir nur neun nah befreundete Menschen, die sich zu einem Frühstück an den Tisch meiner Eltern setzten. Auch wurden keine Reden gehalten, außer dem Segensspruch, den mein theurer Vater uns mit auf den Weg ab. Er und die Mutter, die in Thränen zerfloß, nahmen im Hause von uns Abschied. Auch von den Gästen durfte uns Niemand nach der Bahn begleiten, und alle Blumen wurden in einem großen Korbe unter anderem Gepäck uns nachgefahren.
Der Einzige, der mit uns fuhr, war Constantin's alter Bedienter, ein Erbstück von seinen Eltern, schon ein Graukopf. Nun, du hast den guten Lorenz ja auch hier kennen gelernt. Er hat seinen Herrn nicht lange überlebt, und ich vermisse seine treuen Dienste und sein anhängliches Gemüth oft genug. Damals schien es mir wunderlich, daß er wie der Schatten seines Herrn ihm überallhin folgte. Sogar auf die Universität hatte er ihn begleitet, und in diesem Punkt schien Constantin, der sonst die einfachsten, bürgerlichsten Lebensgewohnheiten hatte, den Aristokraten, der sich immer bedienen lassen muß, nicht verleugnen zu können. Als ich ihn einmal damit neckte, erröthete er. Der treue Mensch sei ihm von seiner Mama als eine Art männlicher Kinderfrau beigesellt worden und nun so daran gewöhnt, für ihn zu sorgen, daß es ihn schwer kränken würde, wenn man ihn abdankte.
Es war der schönste Frühlingstag; unter einem strahlenden Sonnenhimmel fuhren wir durch den bekränzten Triumphbogen, den die guten Leute im Dorf errichtet hatten, um ihrem geliebten Gutsherrn und seiner jungen Frau eine Ehre anzuthun. Die ganze Bevölkerung stand Spalier bis an das Hofthor, und drinnen empfingen uns die Dienstleute mit einem Böllerschuß, während die Schuljugend unter der Leitung des Lehrers »Nun danket alle Gott!« sang und die Glocke des Kirchleins dazu läutete. Ich war so bewegt, daß ich durch meine überfließenden Augen hindurch kein Gesicht deutlich erkannte und den Großknecht statt des Schulzen anredete, der neben ihm stand. Dann hielt der Wagen, und wir waren – zu Hause.
Mein Mann hob mich aus dem Wagen, dankte allen Versammelten für die schöne Bewillkommnung und führte mich hinein. Er freute sich, daß ich Alles in den verschiedenen Zimmern, was er angeordnet hatte, schön und behaglich fand. Kein Wunder freilich, da wir auch in unserem Geschmack stets übereinstimmten. Nur als er mich die Treppe hinaufgeführt hatte zu den Zimmern, die für meinen besonderen Gebrauch bestimmt waren, konnte ich meine Betroffenheit nicht verbergen, da ich im Schlafzimmer nur ein einziges Bett sah, freilich so reich mit Spitzen und seidenen Decken ausgestattet, daß eine Prinzessin es nicht verschmäht hätte, wie denn auch alle Möbel und Geräthe bei der vornehmsten Einfachheit viel eleganter und zierlicher waren, als ich es aus meinem Elternhause gewohnt gewesen war.
Er bemerkte mein Erstaunen und sagte: Es ist zu deinem Besten, geliebtes Herz, daß ich im Zimmer nebenan schlafe, wie es schon mein lieber Papa gehalten hat. Er hatte dieselbe schlechte Gewohnheit, wie sein Sohn, daß er oft viele Stunden wach lag und dann lesen mußte, um endlich einschlafen zu können. Da hätte er meine Mutter gestört, wenn er die Lampe neben seinem Bett hätte brennen lassen. Und dann, zu manchen Zeiten, nöthigten ihn seine landwirthschaftlichen Pflichten, schon lange vor Thau und Tage aufzustehen. Das wäre wieder eine Störung gewesen. Wir sind ja aber doch beisammen, und die Thür zwischen uns bleibt offen.
Ich fand kein Wort der Erwiderung, fühlte mich sogar gewissermaßen erleichtert durch diese Einrichtung, die mir über die mädchenhafte Scheu hinweghalf. Und doch blieb eine leichte Befangenheit über mir, die ich mir selbst nicht erklären konnte, da Alles, was ich sonst hier sah und erlebte, dazu angethan war, mir ein frohes, herzerquickendes Leben zu verheißen.
Wir tranken unten nur flüchtig eine Tasse Thee. Dann fragte er mich, ob ich nicht zu ermüdet sei, einen Rundgang durch das Gut zu machen, was ich lachend verneinte. Nun führte er mich erst auf dem Hof herum und zeigte mir Ställe und Scheunen und stellte mir seine Lieblingskühe vor und die schönen, gut gepflegten Pferde und freute sich, daß ich für den Hühnerhof besonderes Interesse sehen ließ; dann gingen wir durch den Obst- und Gemüsegarten und weiter zu den Feldern hinaus, bis in den Wald, der auch noch zu dem Gute gehört und jetzt im ersten Frühlingsgrün stand und voll Gesang nesterbauender Vögel war. Ich verlor unter all dem Lieblichen und Heiteren, was ich sah, die beklommene Stimmung, die mich oben im Hause angewandelt hatte, und sang Mendelssohn's »Wer hat dich, du schöner Wald« recht aus voller Brust in die Wipfel hinauf, worin ich unterbrochen wurde, da er mich plötzlich umfing und – zum erstenmal wie ein leidenschaftlich Liebender – mit Küssen auf Mund und Hals und Wangen stumm machte.
Zurückgekehrt in unser Haus machte ich mit dem Mädchen Bekanntschaft, das mich persönlich bedienen sollte, und ließ mir von ihr die Schränke zeigen, in die sie meine vorausgeschickte Aussteuer schon ordentlich eingepackt hatte. Dann meldete Lorenz, das Abendessen sei servirt, und wir setzten uns in bester Stimmung zu Tische, doch mit einer etwas künstlichen Munterkeit, durch die wir die heimliche Aufregung unserer Herzen vor uns selbst verhehlen wollten.
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Das Gespräch kam aber bald ins Stocken. Ich konnte auch nur gerade so viel essen, um die Köchin nicht zu kränken, wenn ich, nachdem sie ihr Bestes gethan, meinen Teller immer leer wieder hinausschickte. Als Constantin sich dann seine Cigarre angezündet hatte, setzte ich mich an den herrlichen Flügel, eins seiner Hochzeitsgeschenke und mir lieber als aller Schmuck, und spielte seine Lieblingsstücke, während er mit unhörbaren Tritten rauchend auf und ab ging. Dann trat er ans Fenster, öffnete beide Flügel und ließ die frische Nachtluft hereinströmen.
Es wird Zeit, schlafen zu gehen, sagte er. Der Tag wird dich doch angegriffen haben. Ich will dich hinaufbegleiten.
Ich nahm seinen Arm und ließ mich die Treppe hinaufführen. Dabei war mir ein leichtes Zittern seines Arms auffallend und der gespannte Blick, mit dem er vor sich nieder sah. Ist dir nicht wohl? fragte ich. Ganz wohl, erwiderte er. Ich muß nur die leichten Tropfen nehmen, die mir der Arzt verschrieben hat, damit ich einen Anfall meines Kopfwehs coupire. Gewiß, liebes Herz, es ist Nichts. Nur die Beklommenheit durch das übergroße Glück. Ich lasse dich zehn Minuten allein, dann erlaubst du mir wohl, noch zu kommen und dir eine gute Nacht zu wünschen.
Das Alles, statt mich zu beruhigen, schnürte mir das Herz zusammen. Ich hörte, wie er die Thür zwischen unseren beiden Schlafzimmern leise zumachte und drinnen auf und ab ging. In einem Seelenzustand, den du dir wohl vorstellen kannst, machte ich meine Nachttoilette und setzte mich dann an das Fenster, das nach dem Garten hinausging. Der lag still und feierlich.schwarz mir gegenüber, eine schwache Mondsichel kam eben über den Wipfeln herauf, kein Ton war ringsum vernehmlich, ich glaubte wahrlich, mein eigenes Herz klopfen zu hören, wenigstens siedete mir das Blut in den Ohren, und mit jeder Minute über die zehn hinaus, die ich hatte warten sollen, wuchs meine Aufregung.
Wie lange ich so gesessen, weiß ich nicht. Plötzlich aber fuhr ich in die Höhe. Nebenan hörte ich ein seltsames Geräusch, wie wenn ein schwerer Körper auf dem Boden hingeschleift wird, dann ein rauher Ton aus einer gepreßten Menschenkehle, ein Stöhnen und Knirschen, jetzt wieder ein dumpfer Schall wie von einem aufstoßenden Ellenbogen – ich wollte hinein und konnte kein Glied rühren, ein kalter Schauer überlief mich, mit gewaltsamer Anstrengung riß ich mich endlich vom Fenstersims los und war mit drei Schritten durchs Zimmer und riß die Thür auf und sah – –
Was ich sah, ist in mein Gedächtniß heute noch so tief eingegraben, wie in jenem ersten furchtbaren Augenblick und wird nie darin verlöschen! –
Sie schwieg eine Weile. Es schien sie einen Kampf zu kosten, den Schleier von dem so lange bewahrten grauenhaften Geheimniß wegzuziehen. Die junge Frau ihr gegenüber saß athemlos, in sich zusammengesunken, die Augen von der älteren Freundin abgekehrt, wie um sie nicht daran zu erinnern, daß sie eine Zuhörerin hatte.
Dann sagte die Freifrau, während sie die Hände fest im Schooß zusammen gepreßt hielt: Mein geliebter, herrlicher Mann – mein Abgott – am Boden lag er, auf den er vom Sopha herabgesunken war, in einem Krampf, der seine schlanken Glieder krümmte und schüttelte, den todblassen Kopf starr zurück gebogen, die Augen unter die halb geschlossenen Lider hinaufgezogen, so daß nur das Weiße sichtbar war, und aus dem fest verbissenen Munde, an dem der Schaum stand, kamen durch die knirschenden Zähne jene stöhnenden und röchelnden Töne, die mich im Nebenzimmer aufgeschreckt hatten.
Im ersten Entsetzen wollte ich mich zu ihm niederbücken und versuchen, ihn aufzurichten. Er schlug aber mit den Fäusten, in denen die Daumen eingeschlagen waren, besinnungslos um sich, ich fuhr zurück und blickte rathlos umher, irgend etwas zu finden, womit ich dem Unglücklichen zu Hülfe kommen könnte, da öffnete sich die Thür, und der treue Lorenz trat hastig herein.
Mit einem Gesicht, auf dem alles Mitleiden mit seinem armen Herrn und dessen noch viel ärmeren Frau zu lesen war.
Bitte, gehen Sie hinaus, gnädige Frau! flüsterte er. Ich weiß ja Bescheid, was zu thun ist. Aber daß die gnädige Frau dazu kommen mußten – der Herr hatte mir ja schon geklingelt, er merkt es immer vorher, wenn der Anfall kommen will – und nun war's doch zu spät – und grad am Hochzeitstag –
Er drängte mich fast mit Gewalt hinaus und schob hinter mir den Riegel vor.
Ich stand an die Thür gedrückt, wie gelähmt. Ich wollte Alles wissen, was in solchem Fall geschehen mußte, konnte aber nichts hören. So wankte ich endlich nach dem Sopha und brach darauf zusammen.
O Kind, die Qual dieser Stunde! Eben noch das Gefühl, zum höchsten Glück auserlesen zu sein, wie selten ein Weib, und jetzt – aus all meinen Himmeln gestürzt, in ein ödes, graues, hoffnungsloses Leben hinaus blickend, eine Wittwe, eh' ich noch Weib geworden war. – –
Es giebt Stunden, wo vor einem unfaßbaren Schicksal alle Denkkraft erlischt, alles Gefühl erstarrt, das arme kleine Ich wie in einen Abgrund versinkt, immer tiefer und tiefer, da er bodenlos ist, und man nur den einen Wunsch hat, es möchte immer so fort gehen, daß man nie wieder auf einen festen Grund käme, wo man sich besinnen und den ganzen Umfang seines Verlustes und Verzichts überblicken müßte.
Wie lange ich in diesem Zustand blieb, weiß ich nicht. Es hätte mich so erleichtert, wenn die Thränen gekommen wären. Aber seltsam genug: auch als die erste Starrheit von mir wich, ließ das unsägliche Mitleid, das ich mit ihm empfand, zuerst noch kein Gefühl in mir aufkommen, das Alles gehe ja mich selber an. Es war wie eine unheimliche Geschichte, die ich mir erzählen ließ, von einer jungen Frau, die in ihrer Hochzeitsnacht entdecken mußte, daß zwischen ihr und ihrem Gatten wie in der alten Sage ein Schwert lag, das nie hinweggenommen werden konnte.
Ich wußte ja nichts Genaueres über die schauerliche Krankheit, nicht einmal ob sie unheilbar sei, nur, daß sie sich auf die Kinder vererbt, die aus der Ehe mit einem so Belasteten entsprungen sind. Und der Gedanke, so wie ich meinen armen Mann vor mir am Boden gesehen, könne ich auch ein Kind, dem ich das Leben gegeben, in Krämpfen sich winden sehen, sträubte mir das Haar.
Es war nebenan Alles still geblieben. Ich fühlte die Pflicht, nun endlich selbst nachzusehen, wie es um meinen Kranken stand, und erhob mich mühsam vom Sopha, da ging die Thür auf, und er trat langsam mit unsicherem Gang und scheuem Blick herein.
Ich wollte ihm entgegeneilen, ihn umarmen, ihm sagen – ja, was wollte ich ihm sagen? Was konnte ich ihm sagen, das ihn ein wenig getröstet hätte? Aber er ersparte mir's, er stürzte vor mir nieder und umfaßte meine Kniee, stumm und zitternd, mit einem so unsagbar unglücklichen, flehenden Blick zu mir aufschauend, daß mir nun endlich die Thränen aus den Augen stürzten und ich ihn mit beiden Armen umfaßte und an mein Herz hinaufzog.
Aber er entzog sich mir entschieden und sank neben mir auf das Sopha. Da saßen wir erst eine Weile sprachlos und wagten nicht uns anzusehen. Erst nach einiger Zeit legte ich meine Hand auf die seine und wandte mich zu ihm. Ein trostloseres Gesicht, auf dem Schmerz und Jammer und ein düsteres Schuldbewußtsein so erbarmungswürdig ausgedrückt waren, kann Niemand sich vorstellen.
Ich bin gekommen, sagte er endlich, indem er mir seine Hand entzog, um mein Urtheil von dir zu hören. Mein Verbrechen ist so groß, daß an eine Verzeihung, geschweige an eine wirkliche Sühne nicht zu denken ist. Ich habe dein Leben an mich gerissen, ohne dir zu bekennen, welch ein Fluch auf dem meinen ruht. Du hast das volle Recht, dich von dem Elenden, der dich betrogen hat, zu scheiden. Ich erwarte auch nichts Anderes. Nur über die Form, in der dies geschehen soll, müssen wir berathen. Es wäre eine Verschärfung deines unschuldigen Leides, wenn die kalten, hämischen Augen der Welt in dieses tragische Schicksal eindringen könnten. Also überlege, welche Buße du mir im Stillen auferlegen willst. Ich werde dich kein Wort des Widerspruchs hören lassen. Wenn du mir etwa vorschreibst, mich aus der Welt zu schaffen, auf eine unauffällige Weise, etwa auf der Jagd zu verunglücken, oder –
Ich ließ ihn nicht ausreden. Seine Stimme, sein tief verstörtes Gesicht, die Verzweiflung, die aus jedem seiner Worte sprach, gingen mir so zu Herzen, daß jedes Gefühl des Unrechts, das an mir begangen worden, darin erstickt wurde.
Ich faßte wieder seine Hand und hielt sie trotz seines Sträubens fest. Dann redete ich ihm mit den innigsten Worten zu, sich zu beruhigen und das Unglück nicht zu vergrößern, indem er das, was er dabei verschuldet, vor seinem Gewissen übertrieb und für unsühnbar erklärte. Und wie es auch sei, ich hätte vor Gott gelobt, in guten und bösen Tagen treu zu ihm zu stehen, das wolle ich halten, bis an den Tod, und nichts Anderes solle uns jemals scheiden können.
Er schüttelte düster den Kopf.
Nein, was ich gelobt, sei ungültig, da ich es einem Menschen gelobt, der sich anders dargestellt habe, als er in Wahrheit sei. Ein solches Gelübde könne nicht binden. Das Einzige, was er zur Milderung seines Verbrechens anführen könne, sei nicht sowohl die Macht der Leidenschaft, die ihn dazu getrieben, trotz alledem mein Leben an das seine zu knüpfen, sondern die Hoffnung, eben durch das Glück meines Besitzes den ererbten Fluch zu überwinden. Darin habe ihn der Arzt, den er im Seebad befragt, bestärkt. Zudem sei das ganze Jahr vergangen, ohne daß der Anfall wiedergekommen. Eine gänzliche Heilung, habe er sich sagen lassen, sei nicht ausgeschlossen, zumal die entsetzliche Krankheit in seiner Familie noch nicht eingenistet gewesen und er der erste damit Belastete sei.
Und nun, da er sich mehr und mehr von seiner Erschütterung erholte, erfuhr ich, was er mir so lange verschwiegen hatte.
Das Unheil stammte von seiner Mutter, die eine überzarte, hysterische Frau gewesen war, an allerlei Nervenzuständen gelitten hatte, nicht aber in der entsetzlichen Form, die erst beim Sohne hervortrat. Sie hatte, da sie in der Hoffnung war, einmal auf der Straße ein Kind von einem schweren Wagen überfahren und mit zerschmettertem Kopf vor sich liegen sehen. Den furchtbaren Schrecken hatte dann das Kind, das sie zur Welt brachte, entgelten müssen.
In seinem dritten Jahre brach es aus und steigerte sich dann von Jahr zu Jahr an Heftigkeit, doch immer in großen Pausen. Da sie auf dem Lande lebten, war es möglich, den Zustand des Knaben vor den Leuten zu verheimlichen. Später, als er selbst zur Erkenntniß seines Unglücks kam, und vollends nach dem Tode der Eltern in seinem neunten Jahr nahm sich ein kluger und liebevoller Vormund seiner an, und da es nicht möglich war, ihn wie bisher auf dem verwaisten Gut von einem Hauslehrer unterrichten zu lassen, gab er ihn einem wackeren kinderlosen Ehepaar in Stargard in Pension, damit er dort das Gymnasium besuchen konnte und doch vor den Aufregungen einer großen Stadt geschützt sei. Seine Pflegeeltern sorgten aufs Getreuste für den Zögling, der ihnen durch seine Liebenswürdigkeit und durch sein Unglück bald theuer wurde wie ein eigenes Kind. Sie sorgten auch dafür, daß das Geheimniß streng gewahrt blieb.
Dazu half vor Allem der Umstand, daß immer eine Viertel- oder halbe Stunde vor Eintreten eines Anfalls ein deutliches Vorgefühl dessen, was kommen würde, sich des Knaben bemächtigte. Er konnte sich dann, wo er auch war, zeitig genug zurückziehen, um seinen Dämon sich austoben zu lassen, ohne neugierigen Augen ein Schauspiel zu bieten. Und sein treuer Lorenz, der ihn dann wie eine barmherzige Schwester zu behandeln verstand, war ihm auch auf der Schule zur Seite geblieben und folgte ihm später nach der Universität.
So habe ich die vielen Jahre hingelebt, schloß er seine Erzählung, und war endlich mit meinem Loose fast ausgesöhnt. Das Beste im Leben, die Liebe eines treuen Weibes und das Glück, Kinder um mich aufwachsen zu sehen, blieb mir freilich versagt. Aber die Welt hat so viel Schönes, das auch der Einsame genießen kann; statt der Liebe, die man nicht empfangen soll, bleibt so viel Liebe, die man geben kann – ich wäre mir als ein Undankbarer erschienen, wenn ich mich murrend und den Schöpfer anklagend zurückgezogen und einer trostlosen Verbitterung überliefert hätte.
Erst als er mich kennen gelernt – und nun schüttete er in einer schlichten, durchaus nicht überschwänglichen Weise sein Herz vor mir aus, mit allen Schätzen des innigsten Gefühls, die ich bisher kaum so ganz geahnt hatte, nicht um mich zu rühren oder milde zu stimmen, sondern wie wenn er von einem Verstorbenen spräche, dessen Vermächtniß er mir nicht vorenthalten dürfe, daß ich nur um so tiefer ergriffen wurde und ihm endlich um den Hals fiel und ihn beschwor, sich aus der Verzweiflung aufzurichten, ich würde ihm unauflöslich verbunden bleiben, und wer weiß, mit der Zeit könne noch Alles gut werden.
Er schüttelte trübe den Kopf und stand auf. Ich danke dir für all deine himmlische Liebe und Güte, sagte er, aber ich habe es zu schwer gebüßt, daß ich mich und dich täuschen konnte. Hinfort will ich vor jedem Selbstbetrug auf der Hut sein. Laß uns heute nicht weiter davon sprechen. Der nächste Tag und so viel folgende Tage werden lang genug sein, über das nachzusinnen, was immer von Neuem das Herz zerfleischen wird. Ich nehme Nichts zurück von Allem, was ich dir vorgestellt habe, und erwarte, wenn du ernstlich mit dir zu Rathe gegangen sein wirst, deine Entscheidung.
Er bückte sich und drückte einen Kuß auf meine Hand. Dann ließ er mich allein.
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In den vierzehn Jahren, die ich nach dieser traurigen Nacht an seiner Seite gelebt habe, hat er nie anders als mit einem solchen Kuß auf meine Hand mir gute Nacht! gesagt.
Du siehst so erschrocken zu mir auf, Liebste, als schwebte dir die Frage auf den Lippen, wie ich ein so großes Unglück habe ertragen können.
Nein, Kind, unglücklich durfte ich mich nicht fühlen, nachdem ich erkannt hatte, daß ich neben meinem armen, geliebten Manne stand wie eine treue Schwester, die Kraft und Trost darin finden mußte, ihm den Schmerz einer unheilbaren Wunde zu lindern. Doch freilich, zuweilen fühlte ich, daß es uns weniger schwer wird, ein volles großes Unglück standhaft zu ertragen, als nicht glücklich zu sein, nicht so ganz mit Leib und Seele seinen Durst nach Glück stillen zu dürfen.
Schon in jener ersten Nacht ahnte mir, was mir bevorstand. Ich nahm aber mein Herz in beide Hände und erneuerte mein Gelübde, dem so furchtbar Heimgesuchten eine treue Gefährtin zu bleiben. Es gelang mir auch, am anderen Morgen ihm mit einem heiteren Gesicht entgegenzutreten und es mit unbefangener Freundlichkeit so weit zu bringen, daß auch er aus seiner Verdüsterung sich nach und nach aufrichtete.
Die Sache selbst wurde zwischen uns mit keiner Silbe erwähnt, so wenig wie an den beiden folgenden Tagen. Erst am dritten, da wir Mittags von Tisch aufstanden und ich mich zu einer kleinen Siesta von ihm verabschieden wollte, hielt er mich fest und fragte, die Worte mühsam hervorbringend, ob ich mir nun unsere Zukunft bedacht und welchen Entschluß ich gefaßt hätte.
Ich erwiderte, seine Hand herzlich ergreifend, es sei da nichts zu bedenken gewesen, an dem Beschluß des Himmels zu rütteln, würde nur frevelhaft scheinen, der Gedanke, von ihm getrennt zu leben, sei mir völlig unfaßbar, und ich bäte ihn, nie wieder eine solche Frage an mich zu richten, sondern die Zukunft Gott anheimzustellen und der Zeit Zeit zu lassen. Denn ich hätte die feste Hoffnung, es werde sich noch Alles zum Besten wenden.
Ich sah, wie eine tiefe Glut der Freude und Rührung ihm in die Wangen stieg. Gleich darauf schwand diese Wallung wieder, und eine düstere Falte erschien zwischen seinen Brauen.
Du meinst es so gut mit mir, wie ein Engel, sagte er dumpf. Aber du weißt nicht, was du auf dich nimmst, und ich – vielleicht kann mir für mein Verbrechen an dir keine härtere Buße auferlegt werden.
Ich verstand ihn noch nicht ganz. Was mich selbst betraf, so kam mir in dieser ersten Zeit, die man sonst die Honigwochen nennt und die für uns so bitter waren, Vieles zu Hülfe, mich nicht ganz zur Besinnung kommen zu lassen.
Das Leben auf dem Lande war mir neu. Ich nahm es sehr ernst damit, mich in meine Pflichten als Gutsherrin einzugewöhnen. Auch war, so gütig Constantin sich gegen seine Untergebenen stets gezeigt hatte, Mancherlei zu thun, wozu sich eine Frau besser schickte. Bald, nachdem ich mich ein wenig orientirt hatte, richtete ich ein Kinderkrankenhaus ein, dann eine Arbeitsschule für kleine Mädchen, wo ich Preise für die Fleißigsten aussetzte, eine Singstunde an jedem Sonnabend Abend. Ich hatte von jeher Kinder leidenschaftlich geliebt; er wußte es, und ein schwermüthiger Seufzer entfuhr ihm oft, wenn ich ihm von meinen Bemühungen um die Dorfjugend berichtete. Für Alles, was ich in solcher Weise unternahm, ließ er mir freie Hand und freie Verfügung über seine Kasse.
Auch sonst gab es Nichts, was er mir versagt hätte, und er errieth meine geheimsten Wünsche. Daß die Leute mich weit und breit als ihre gütige Vorsehung verehrten, war ihm eine stolze Freude. Denn ich konnte, so wenig eitel ich war, die Befriedigung über den Erfolg meines guten Willens nicht verhehlen und bildete mir mit der Zeit wirklich ein, daß es ein voller Ersatz für versagtes eigenes Glück sein könne, Andere glücklich zu machen.
Übrigens fand ich auch noch Zeit genug, meine kleinen Talente weiter zu pflegen, mein Klavierspiel und das bischen Zeichnen und Aquarelliren, zu dem ich in der landschaftlichen Umgebung unseres Hauses, so bescheiden sie auf den ersten Blick erscheint, die mannichfaltigste Anregung fand. Manchmal begleitete mich mein Mann auf meinen Wanderungen in die Hügel- und Waldreviere, wo ich ein hübsches Motiv gefunden hatte. Er trug dann meine Staffelei und den Malstuhl und führte mich am Arm die heiteren Wege, die er seit seinen Knabenjahren kannte, und erzählte allerlei Jugend- und Jagdgeschichten, über die wir oft zu lachen hatten.
Wer uns so traulich dahinwandeln sah, hätte uns für das beneidenswertheste junge Ehepaar von der Welt gehalten! – –
Als im Herbst die Feldarbeiten aufhörten, zogen wir in die Stadt, wo wir eine feste Wohnung gemiethet hatten. Du hast uns ja oft darin gesehen. Auch deine lieben Eltern verkehrten mit uns und viele gute Freunde, und Alle waren der Meinung, nichts fehle zu unserem vollkommnen Glück, als Kindersegen. Doch da wir Beide noch jung seien –
Und dann kamen auch erfahrene Mütter mit ihren gut gemeinten Rathschlägen, die ich mit erheucheltem Dank hinnehmen mußte.
Wie es um das, was uns trennte, stand, erfuhr ich kaum. Er sorgte dafür, daß ich nie wieder Zeuge seines Unglücks wurde, und der treue Lorenz unterstützte ihn darin. Im nächsten Sommer ging er wieder an die See, während ich mit meiner Mama und einer jungen Freundin eine Reise durch die Schweiz machte. Auch in den folgenden Jahren trennten wir uns zuweilen auf kurze Zeit. Sein nervöses Kopfweh gab den Vorwand dazu. Jedesmal, wenn wir uns dann wiedersahen, leuchtete etwas wie Hoffnung aus seinem Blick mir entgegen. Es war immer ein trügerischer Schein. – –
So vergingen volle zehn Jahre. Ich hatte nach und nach mich so ganz in mein seltsames Loos gefunden, daß ich kaum je daran dachte, wie unnatürlich dies Leben im Grunde sei, und mir nichts Besseres wünschte, als daß es ohne Störung so fortgehen möchte.
Meinen Mann liebte und verehrte ich von Jahr zu Jahr inniger, und auch er schien es endlich verwunden zu haben, um welchen Preis ich ihm angehörte. Er war Landrath geworden. Wenn seine Amtspflichten ihn in die Kreisstadt führten, begleitete ich ihn, und Alles interessirte mich, Personen und Geschäfte, die ich kennen lernte. Hin und wieder fand sich irgend ein junger Provinz-Don Juan, der sich verpflichtet fühlte, mir etwas auffallend den Hof zu machen, aber bald einsah, daß es verlorene Liebesmühe sei. Eine ernstlichere Neigung wagte sich nicht an mich heran, da ich im Rufe stand, meinen Mann anzubeten, und für mich selbst entstand nie eine Gefahr. Ich hatte einmal einen etwas gefährlicheren Verehrer in seine Schranken zurückzuweisen, einen jungen Gutsnachbarn, der wirklich in allem Ernst in mich verliebt war. So sehr ich für unnahbar galt, sprang ihm doch einmal in einer unbewachten Stunde das Herz über die Lippen. Ich brachte ihn mit ein bischen kaltem Wasser, das ich ihm angedeihen ließ, bald wieder zur Vernunft. Wir blieben gute Freunde, und er heirathete bald darauf ein liebes blondes Mädchen, das ihm leider schon nach wenigen glücklichen Jahren starb.
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So war ich dreiunddreißig Jahre alt geworden, hatte nur mit Kopf und Herzen gelebt und hielt mich schon für eine alte Frau, die vor leidenschaftlichen Jugendthorheiten geschützt sei.
Da fügte es der Zufall, daß ich in einer Gesellschaft einem jungen Maler begegnete, dessen munteres Wesen und anmuthiges Gesicht mir sogleich gefielen. Er war etwa fünf Jahre jünger als ich und hatte sich eben erst durch ein paar sehr hübsche Landschaften bekannt gemacht. Bei Tische neben mir erzählte er, wie glücklich es ihn mache, daß er nun so weit sei, seine arme alte Mutter unterstützen zu können, die sich die größten Opfer auferlegt habe, ihren einzigen Sohn Maler werden zu lassen. Dann sprach er von dem, was er noch zu lernen hätte, von dem Ideal, dem er nachstrebe, das Alles mit einer so schönen, echt jugendlichen Wärme, die heutzutage so selten geworden ist, daß ich großes Wohlgefallen an ihm fand, doch nur wie eine Mutter an einem wohlgerathenen Sohn.
Ich hatte mir entschlüpfen lassen, ich sei eine eifrige Landschaftspfuscherin, worauf er mich einlud, ihn in seinem Atelier zu besuchen und seine Studien anzusehen. Das thaten wir denn schon am nächsten Tage, da auch Constantin sich für ihn interessirte, und während wir seine Mappen und Skizzenbücher durchblätterten, sagte mein Mann plötzlich: Es würde für meine Frau gewiß eine Freude sein und sie in ihren künstlerischen Bestrebungen sehr fördern, wenn sie einmal eine Zeit lang unter der Leitung eines wirklichen Meisters arbeiten könnte. Gerade an Ihren Aquarellen würde sie lernen, was ihr noch fehlt, um alle technischen Mittel zu benutzen. Könnten Sie sich nicht vielleicht entschließen, ein paar Frühlingsmonate auf unserm Gute zuzubringen? Ich bin überzeugt, abgesehen von dem Dienst, den Sie meiner Frau erweisen, würden Sie die Zeit nicht als verloren betrachten und eine Menge interessanter Studien mit fortnehmen.
Der gute junge Mensch ergriff den Vorschlag mit Begeisterung. Auch als er uns dann besuchte und ich ihm Einiges, was ich gemacht, gezeigt hatte, bereute er nicht, darauf eingegangen zu sein, erklärte, nachdem er dies und das noch auszusetzen gefunden, daß ich sehr viel Talent hätte, und daß es jammerschade wäre, wenn ich es nicht ernstlich ausbildete.
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Es war gegen Ende des Winters. Ein paar Wochen später traf er bei uns ein, noch etwas zu früh, um lange im Freien zu malen, doch fand er an allen Ecken und Enden auch im Hause, auf den, Hof und in der Kirche etwas Malerisches, das er dann zugleich mit mir in Angriff nahm. Diese Interieurs, an die ich mich machte, boten auch einfachere Aufgaben, als die freie Natur, und er war sehr erfreut, daß sein Unterricht von mir so gelehrig aufgenommen wurde, während er selbst ein paar reizende Kabinetsstücke zu Stande brachte.
Nur ein paar Tage dauerte es, da war er nicht nur der Liebling des ganzen Hauses, sondern auch im Dorf mit Alten und Jungen wie ein guter alter Freund. Er hatte eine unwiderstehliche Gabe, Jedem Zutrauen einzuflößen, ganz ohne alle aufdringliche Liebenswürdigkeit, nur mit seiner warmen Heiterkeit, die Jedem wohlthat. Zumal die Kinder zog er an, sie liefen zu ihm, wo er sich blicken ließ, gaben ihm die Hand und beantworteten alle seine Fragen, so scheu sie sonst fremden Gesichtern auswichen.
Mein Hausmädchen, die Dore, war vollends bis über die Ohren in ihn verliebt, konnte ihn nicht genug gegen mich rühmen und sprach dann nie mehr von ihm, da sie seinen Namen nicht nennen hörte, ohne bis an die Stirn roth zu werden. Sie war ein sehr hübsches Mädchen, du entsinnst dich ihrer wohl, sie ist jetzt die Frau des Dorfschmieds und hat einen Haufen Kinder. Damals war sie erst achtzehn Jahre und konnte einem Malerauge wohl reizend erscheinen. Auch Valentin betrachtete sie manchmal, wie wenn er sie studieren wollte, betrug sich aber tadellos gegen sie. Er ist für einen Künstler merkwürdig sittenstreng, fast wie ein unschuldiger Juvenil, sagte mein Mann. Auch habe ich keinen Zug von Eitelkeit oder Koketterie an ihm bemerkt, so hübsch er ist, und trotz seiner frühen Erfolge spricht er immer noch so bescheiden von seiner Kunst und geräth nur in Feuer, wenn von den großen Meistern die Rede ist.
Meinen Mann hatte er völlig erobert. Das größere Wunder aber war, daß auch jener Gutsnachbar, von dem ich dir erzählt, der sonst auf Jeden, den ich begünstigte, eifersüchtig war, mit unserem jungen Gast sich sogleich auf einen freundschaftlichen Fuß stellte. Er lud ihn in sein Haus ein, zeigte ihm die ziemlich geringen landschaftlichen Schönheiten seines Besitzthums und war ihm dankbar, daß er gewisse intime Reize der kahlen Gegend malerisch fand.
Bei uns hier war schon mehr, was ihn anzog. Er machte mich auf Motive aufmerksam, an denen ich bisher achtlos vorübergegangen war, und wir saßen manchen Tag auf unseren Malstühlchen vor einem kleinen umbuschten Hügel oder einem Birkenwäldchen, die sich dann auf dem Papier in seiner flotten und doch feinen Aquarellmanier sehr hübsch ausnahmen.
Du kannst denken, Liebste, daß das Leben für mich durch diesen täglichen Verkehr mit dem liebenswürdigen Menschen einen neuen Reiz gewonnen hatte. Seine jugendliche Frische und Munterkeit steckten mich an. Ich hatte mich schon gewöhnt, mich zu den Alten zu zählen, da Constantin, so viel Sinn für fremden Humor er hatte, in seinem eigenen Gemüth doch den Druck seines schweren Schicksals nicht überwinden konnte, und selten lachte. Das war nun gerade das Talent unseres jungen Freundes. Zumal mit Kindern konnte er Possen treiben, als gehöre er noch zu ihnen, und allerlei drollige kleine Erlebnisse so erzählen, daß die Zuhörer nicht aus dem Lachen kamen. Desto reizender erschienen dann seine melancholischen Stimmungen, wenn er an seinem Talent verzweifelte und der Natur gegenüber das Unvermögen empfand, mit ihrem Zauber zu wetteifern.
Mit jedem Tage fiel von meinem entsagenden Herzen ein Reif ab, der mich, ohne daß ich ihn schwer empfunden hätte, eingeschnürt und die Jugend darin fast erstickt hatte. Nun lebte sie wieder auf, ich fühlte mein ganzes Wesen erfrischt und gleichsam beflügelt und gab mich dieser glücklichen Stimmung um so argloser hin, da auch mein Mann sie zu theilen schien.
Wie es aber in den Hochsommer hineinging, war es, als legte sich die Schwüle, die über Feld und Garten lagerte, auch auf die Gemüther. Constantin wurde einsilbiger, mir selbst war wunderlich beklommen zu Muth, daß ich mich oft darauf betraf, zu seufzen ohne einen erkennbaren Anlaß, und Valentin's Lachen klang nur noch selten und gezwungen. Wir setzten zwar unsere Landschaftsstudien fort, mit noch größerem Eifer sogar, als in der ersten Zeit, da wir uns nicht wie früher durch Geplauder störten, es war aber kein rechter Segen dabei. Er sprach auch öfter davon, daß es endlich Zeit sein möchte, in die Stadt zurückzukehren, er sei uns schon zu lange zur Last gefallen, auch warte sein angefangenes großes Bild in seinem Atelier auf ihn. Doch war es ihm nicht ganz Ernst damit, er ließ sich rasch wieder bereden, noch ein paar Wochen zuzugeben, gewisse malerische Punkte sollten ja auch noch erledigt werden, aber so willenlos er nachgab, er zeigte deutlich, daß er nicht so viel Freude wie zuerst an dem Aufenthalt unter unserm Dache hatte.
Jedes Mal nach einem solchen Gespräch kam es mir zum Bewußtsein, wie sehr ich mich schon an ihn gewöhnt hatte, wie ich mir nicht vorstellen konnte, was aus meinem Leben werden sollte, wenn ich ihn nicht mehr sähe. Doch hatte ich immer noch keinen ernstlicheren Verdacht gegen mein Herz, als ob es tiefer durch dies Gefühl ergriffen sei. Es war mir nur eine liebe Gewohnheit geworden, die ich ohne Schmerz nicht mehr entbehren könnte. Eben so schwer, dacht' ich, würde ich die Trennung von einem jüngeren Bruder oder einer Freundin empfunden haben.
*
Dieser Zustand hatte ein paar Wochen gedauert, als eines Abends, da wir auf der Terrasse am Garten im Mondschein saßen, wieder einmal in einer Unterhaltung, die sich stockend hinschleppte, mein Mann plötzlich aufstand und sagte: Ich muß mich heute früher zu Bett legen, da ich morgen mit dem Frühsten fort will. Die landwirthschaftliche Ausstellung in Rostock interessirt mich nicht sonderlich. Ich treffe aber dort ein paar alte Freunde, mit denen ich gewisse Änderungen auf unserem Gut besprechen möchte. Sie werden inzwischen meiner Frau Gesellschaft leisten, lieber Valentin; in ein paar Tagen denke ich zurück zu sein. Von dir, liebes Kind, möchte ich mich gleich jetzt verabschieden, um dich nicht, da ich mit dem Fünf-Uhr-Zug fahren will, so früh aus dem Schlaf zu stören.
Ich war sehr betroffen. Von einem solchen Vorhaben hatte mir Constantin kein Wort gesagt, obwohl er alles Andere mit mir zu besprechen pflegte. In Gegenwart unseres Gastes aber mochte ich ihn nicht weiter befragen, ob es wirklich sein Ernst oder nur ein Vorwand sei, vielleicht weil er einen schweren Anfall seiner Krankheit befürchtete. So nahm ich seinen Kuß auf meine Hand stillschweigend hin, Valentin stand auf, ihm die Hand zu schütteln, und wir blieben in der lauen Nachtluft allein.
Nicht lange. Denn nun fand erst recht Keines von uns die Unbefangenheit, den losen Faden der Unterhaltung fortzuspinnen. Ich erhob mich bald und sagte, ich müsse noch zu meinem Manne, und ging in großer Verstörung in mein Zimmer hinauf.
Es kam aber nicht mehr zu einer Aussprache zwischen uns. Durch die geschlossene Thür hörte ich ihn seinen Koffer packen und erhielt auf meine Frage, ob er sich unwohler als sonst fühle, nur die Antwort, ich könne mich völlig beruhigen, er wünsche nur ein paar Tage von der Arbeit auf den Feldern auszuspannen, da ihm die Augusthitze nicht zuträglich sei, vielleicht gehe er auch noch auf einen Sprung an die See, ein paar Bäder zu nehmen.
Dabei mußte ich mich beruhigen.
Als ich am anderen Morgen aufwachte, war er längst zur Bahn gefahren. Lorenz hatte er, wie gewöhnlich, mitgenommen.
Ich blieb den Vormittag für mich, ich wollte Valentin nicht begegnen, was mich abhielt, wußte ich selber nicht. Mir sei nicht ganz wohl, ließ ich ihm sagen, und ich könne heut' nicht arbeiten.
Mittags aber konnte ich ihm nicht ausweichen.
Wir fühlten Beide einen gewissen Zwang, den wir uns bemühten durch eine aufgeregte Munterkeit vor uns selbst zu verläugnen, was nur nothdürftig gelang. Als wir von Tisch aufstanden, sagte er: Ich hätte eine Bitte an Sie, gnädige Frau. Ich bin hier so überaus gütig aufgenommen worden, es liegt mir am Herzen, mich in irgend einer Art gegen Ihren Herrn Gemahl erkenntlich zu zeigen. Dazu weiß ich keinen anderen Weg, als wenn ich ihn bei seiner Rückkehr mit Ihrem Portrait überrasche. Ich bin ja nicht eigentlich Menschenmaler, aber ich hoffe doch, es soll kein ganz schlechtes Bild werden, auf jeden Fall ein ähnliches, da ich jeden Zug Ihres Gesichtes mir eingeprägt habe. So werde ich Sie auch nicht mit vielen langen Sitzungen quälen, und für Ihre eigenen Studien verlieren Sie nichts, da ich ohnehin vorschlagen wollte, solange diese tropische Hitze dauert, das Malen im Freien einzustellen.
Ich war etwas betroffen durch diesen Vorschlag, ich wußte nicht, warum. Da ich aber keinen plausiblen Einwand ersinnen konnte, willigte ich ein. Gleich am anderen Morgen wurde ein nach Norden gelegenes Zimmer im oberen Stock zum Atelier eingerichtet, und die Sitzungen begannen.
Das peinliche Gefühl, mich von den leuchtenden jungen Augen so lange unverwandt anstarren zu lassen, schwand mit der Zeit. Ich fühlte mich freilich unter diesem Blick wie magisch gebannt; aber es war eine Verzauberung, die mich mit einer heimlichen süßen Gewalt umfing. Dabei hörte ich seine junge Stimme, wenn er, in großen Pausen, einen Anlauf zu einem bischen Conversation zu nehmen suchte, und zuweilen, wenn ich ihn eifrig malen sah, warf ich einen raschen Seitenblick auf ihn, und seine offene Stirn, die schönen weichen Haare, der energisch geschwungene Mund gefielen mir überaus. Ich hätte mir sagen müssen, daß ich noch jung genug war, um mich alles Ernstes in einen so reizenden Mann zu verlieben, daß, wie Emilia Galotti sagt, auch meine Sinne Sinne seien und es klüger gewesen wäre, nicht mit dem Feuer zu spielen. Aber die Gefahr war zu lockend, ich hatte zu lange in einer unnatürlichen Askese gelebt, die mißhandelte Natur durfte ihre verkannten Rechte in Anspruch nehmen. Und wenn ich nur streng mich im Zügel hielt und mir keinen Schritt aus meiner Pflicht hinaus erlaubte, wer konnte mich tadeln, daß ich in Gedanken und Träumen einmal meinem Herzen den Zügel schießen ließ!
So vergingen drei Tage in einem Zustand von heimlichem Glück und besinnungsloser Weltvergessenheit, wie ihn ganz junge Menschen erfahren, über die eine erste Liebe gekommen ist. Nein, ich hatte mir nicht vorzuwerfen, daß ich nichts that, um dieses Gefühl in mir zu ersticken. Ich verletzte dadurch das Gelübde nicht, das ich meinem Mann gethan. Etwas Schönes zu lieben, sich ihm in inniger Verzückung hinzugeben, wie man für ein herrliches Bild, eine göttliche Musik sich ganz in Begeisterung auflös't, das konnte nicht Sünde sein. Und wie lange würde dieser Zustand dauern! Ein paar Wochen noch, und wir waren getrennt, vielleicht für immer.
Er selbst schien ja zu befürchten, daß es für ihn bedenklich werden könnte, mein Gesicht noch länger zu studieren. Daß das Bild für meinen Mann bestimmt war, verscheuchte nun freilich jeden unerlaubten Nebengedanken.
Und so hatte ich mich am Morgen des vierten Tages eben wieder zur Sitzung hinaufbegeben, wo ich ihn schon damit beschäftigt fand, Farben auf die Palette zu setzen – heute schon sollte das Bild, das sehr gelungen war, bis auf kleine Nacharbeiten an Kleidung und Hintergrund fertig werden, da kam meine Dore mir nach und meldete, der Herr Baron – eben jener Gutsnachbar, der sich für Valentin interessierte – sei geritten gekommen und lasse mich auf einen Augenblick herunter bitten.
Ich ging rasch hinunter, um ihn wieder fortzuschicken, da ich übermorgen schon meinen Mann zurück erwartete und das Bild vorher fertig werden sollte. Doch sah ich gleich, daß es nicht bloß auf einen flüchtigen Morgenbesuch abgesehen war, sondern daß er etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte.
Er kam mir mit einem verlegenen Gesicht entgegen, entschuldigte sich, daß er vielleicht indiscret erscheinen werde, aber seine Verehrung für mich nöthige ihn, offen mit mir zu sprechen. Ich wisse, wie große Stücke er auf unseren jungen Gast halte, auch seine Elisabeth – damals lebte seine junge Frau noch – halte ihn für einen trefflichen jungen Mann, aber eben darum, da es ihnen Beiden betrüblich sei, ihn in diesem Zustand zu sehen –
In welchem Zustand? fragte ich noch ganz ahnungslos.
Nun grad heraus: in einer leidenschaftlichen Neigung zu seiner schönen Gastfreundin, die er ja selbst als völlig hoffnungslos erkenne, aber trotzdem nicht so weit bekämpfen könne, um durch die Flucht sein Herz in Sicherheit zu bringen.
So bestürzt ich war, hatte ich doch noch so viel Selbstbeherrschung, daß ich mich zum Lachen zwingen und erwidern konnte, er und seine liebe Frau sähen Gespenster. Ob sie irgend einen Beweis für ihre abenteuerliche Vermuthung hätten.
Den allertriftigsten, sein eigenes Geständniß. Natürlich habe er es ihnen nicht freiwillig abgelegt, sondern da Elisabeth ihn scherzend gewarnt, sich in Acht zu nehmen vor gewissen Augen, an denen sich schon mancher Andere verbrannt habe – sie wußte natürlich von der längst verjährten Thorheit ihres eigenen Gatten –, da sei er blutroth geworden, habe eine verworrene Erklärung gestammelt, davon könne ja keine Rede sein, ich stünde wie ein Wesen aus höheren Regionen über ihm, und er würde sich selbst für den verächtlichsten aller Menschen halten, wenn er in einem Hause, wo er so gütig aufgenommen worden sei, es sich in den Sinn kommen lasse – nun, was man in solchen Fällen an tugendhaften Betheuerungen noch weiter zum Besten geben mag.
Er – Reizenstein – ich sehe nicht ein, warum ich dir den Namen verschweigen soll – habe seiner Frau einen Wink gegeben, das Thema nicht weiter zu verfolgen, hernach aber bei der Cigarre unter vier Augen sich den armen Sünder vorgenommen und ihm ernstlich ins Gewissen geredet. Es sei kein Verbrechen, diese Frau zu lieben, das sei schon Anderen passiert, aber unnahbar, wie sie sei, könne man nicht eilig genug den Kopf aus der Schlinge ziehen und dafür sorgen, sich eine Beschämung zu ersparen. Sich selbst als warnendes Exempel aufzustellen, habe er nicht für nöthig befunden, die Sache aber so eindringlich behandelt, daß der gute Junge den Kopf immer tiefer habe auf die Brust sinken lassen und endlich aufgesprungen sei mit der Betheuerung seines Danks gegen den getreuen Eckart und dem Gelöbniß, den guten Rath schleunigst zu befolgen.
Seitdem aber habe er sich noch immer nicht loszureißen vermocht, und die Gefahr sei noch gewachsen, da mein Mann uns allein gelassen und, wie er höre, ein Portrait von mir in Angriff genommen sei. Und darum –
Darum? fragte ich und bemühte mich, mit meinem ruhigsten Gesicht anzudeuten, wie ungefährlich mir die ganze Sache erscheine. Je nun, man wisse freilich, wie leicht entzündlich so ein Malerherz sei, zum Glück aber gehe es niemals tiefer, als durch die Netzhaut des Auges, und solcher Reden mehr, an die ich selbst nicht glaubte. Denn das Herz klopfte mir ungestüm, und es beseligte mich, von einem Dritten bestätigt zu hören, was ich selbst mir nur schüchtern einzugestehen gewagt hatte.
Reizenstein sah mich aber sehr ernst und kummervoll an. Liebe gnädige Frau, sagte er, nehmen Sie die Sache nicht so leicht. Unser junger Freund ist bei all seiner Munterkeit eine tiefere Natur, als Sie glauben, und Sie, verehrte Freundin, sind nicht die erste beste schöne Frau, sondern – nun, ich kann ja ein Lied davon singen, wie lange man es büßen muß, wenn man so toll war, Ihnen zu lange in die Augen zu sehen, mit dem Pinsel in der Hand oder als ein simpler Krautjunker. Davon, daß die werthen Nachbarn und ihre besseren Hälften darüber Glossen machen, daß Constantin auf eine Thierschau geht und Sie mit diesem jungen Berliner Löwen allein läßt, will ich nicht einmal reden. Solch dummes Geschwätz können Sie natürlich verachten, denn eben dadurch beweist Ihr Mann, daß er Sie hoch über alle Dutzendweiber stellt. Aber um des armen Teufels willen, der hier in seinem irdischen Himmel an allen Höllenqualen leidet, sollten Sie einen raschen Entschluß fassen und mit einem schicklichen Vorwand für seine Rettung sorgen, eh' er ganz zu Kohle verbrannt ist. Sie sind ja auch über der Weiberschwäche erhaben, sich an den Schmerzen eines armen Opfers zu weiden. Und nun verzeihen Sie, daß ich mich eingemischt habe. Ich that's hinter dem Rücken meiner Elisabeth, die möchte am Ende gar denken, eine ganz egoistische Eifersucht habe mich dazu getrieben.
*
Ich gab dem guten Freunde die Hand und dankte ihm für seinen redlichen Eifer. Übermorgen erwartete ich meinen Mann. Es würde auffallen, wenn unser Gast vorher sich verabschiedete. Dann aber wolle ich keine Stunde zögern, seinen Rath zu befolgen.
Er verließ mich, nicht ganz zufrieden mit diesem Aufschub. Ich aber mußte eine halbe Stunde mir Mühe geben, meiner Aufregung Herr zu werden.
Warum es mich so erregte, zu hören, was mir ja nichts Unerwartetes sein konnte, war mir selbst räthselhaft. Aber freilich, die Bestätigung aus dem Munde eines unverdächtigen Zeugen glich fast einer directen Liebeserklärung, und so jung, wie ich mich nun wieder fühlte, nachdem ich lange mit allem Jugendglück abgeschlossen zu haben glaubte, brachte diese Gewißheit mein Blut in eine stürmische Wallung.
Ich faßte mich endlich und ging wieder in das Atelierzimmer hinauf, wo ich Valentin schon an seiner Staffelei verlassen hatte. Auf meine Entschuldigung wegen der langen Unterbrechung erwiderte er nichts, ich setzte mich sogleich auf meinen Stuhl, der ein wenig erhöht stand, und nahm die Portraithaltung, die Augen zum Fenster hinaus gerichtet, wieder ein.
So blieb es eine Weile still zwischen uns, so still, daß ich deutlich hören konnte, wie er schwer athmete. Ich gab mir Mühe, Mitleid mit seinem beklommenen Herzen zu fühlen, konnte mich aber einer süßen Genugthuung nicht erwehren, daß er um mich ein schweres Herz hatte – wahrlich nicht wie ein eitles Weib, das über eine Eroberung triumphiert, sondern weil es in mir nicht anders aussah und auch ich den Mund nicht öffnen konnte, um nicht mein Innerstes wenigstens durch Seufzer zu verrathen.
Auf einmal hörte ich ihn sagen: Sie sind heut' anders frisiert als gestern, gnädige Frau. Ich seh' es eben, da ich noch ein paar Lichter auf dem Haar aufsetzen will. Könnten Sie wohl die Güte haben, das Haar an der Stirn etwas anders zu ordnen?
Ich zog ein Taschenkämmchen heraus und fuhr damit über den Scheitel.
Nein, sagte er. So geht es noch nicht. Wenn Sie mir gestatten wollten –
Damit stand er auf und trat an mich heran. Ich fühlte seine kühlen, zitternden Finger an meiner Stirn, während ich unverwandt an ihm vorbei gegen den wolkenlosen Himmel starrte. Die Berührung seiner Hände überrieselte mich wie die zärtlichste Liebkosung, ich hätte eine Stunde lang ihr still halten mögen und bewegte kaum die Augenlider.
Da fühlte ich plötzlich meinen Kopf von seinen beiden Händen ergriffen, mein Gesicht zu ihm hingewendet, und Augen, Wangen und Mund mit leidenschaftlichen Küssen bedeckt, die ich abzuwehren die Kraft nicht hatte, ja, laß es mich gestehen, als sie an meine Lippen rührten, selbstvergessen in einem Taumel von nie gekanntem Glück erwiderte.
Ein Ton draußen vom Garten herauf riß mich aus dem Abgrund, in den ich hülflos versunken war. Ich stieß ihn zurück, nicht in heftiger Entrüstung, sondern wie bittend, daß er mich schonen solle, stand hastig auf und eilte aus dem Zimmer, eh' er noch ein Wort hatte vorbringen können. Ich sah nur noch, daß er, die Hände vors Gesicht geschlagen, vor dem Sessel, auf dem ich gesessen, zusammensank.
Draußen mußte ich eine Weile an den Thürpfosten gedrückt stehen bleiben, bis sich meine Kniee von ihrem Beben so weit erholt hatten, daß ich taumelnd weiter gehen konnte. Ich stieg mühsam die Treppe hinab und trat in den Garten. Die warme Sommermorgenluft, die mir entgegen wehte, konnte mich nicht von dem Rausch ernüchtern, den ich noch im Blute fühlte. Meine Lippen brannten in einer süßen Glut, ich fühlte seine zarten Hände an meinen Schläfen, – das, das war das Glück, das ich die langen Jahre hindurch, ohne es zu kennen, ersehnt hatte, und eine solche Seligkeit, die über alle anderen irdischen Freuden hinausging, sollte Sünde sein? Das mächtigste, allgemeinste Gebot der Natur, die Seele eines theuren Menschen ihm von den Lippen zu trinken, eine Auflehnung gegen den Willen Gottes und das Gesetz engherziger Menschen?
Ich war in eine Laube getreten und auf eine Bank gesunken. In einer fieberhaften Gedankenflucht ging Alles an mir vorüber, was ich in den zehn Jahren meiner Ehe erlebt, gelitten, auch an Freuden, die ich jetzt neben der neu erlebten so arm und trügerisch fand, erfahren hatte. Nein, sagte ich mir, jetzt, da mir die Schuppen von den Augen gefallen sind, kann ich sie nicht wieder verschließen und mich in meine graue Dämmerung zurückfinden. Bin ich es nicht auch werth, wie Andere, mich an der Sonne zu wärmen? Muß ich, was in meinem Blut nach Erlösung schreit, einem kahlen Pflichtbegriff zu Liebe ersticken? Was nehme ich dem, dessen Weib ich vor Gott und Menschen bin, wenn ich einem Anderen gebe, was er nie besessen hat? Und er – hat er nicht selbst eingestanden, daß er sich schwer an mir vergangen, mich wie ein Dieb um das höchste irdische Glück betrogen hat? Ja, er ist edel und unglücklich, und ich habe ihm von Herzen verziehen. Aber eine Thörin war ich, seine Buße, die er mir anbot, zurückzuweisen, mich nicht von ihm zu trennen. Es wäre jetzt längst verwunden, er hätte sich in sein Schicksal ergeben, und ich könnte glücklich sein und glücklich machen.
Und es ist ja noch nicht zu spät. Ich bin dreiunddreißig Jahr, wie lang kann mein Leben noch sein! Und vielleicht –
Ich wagte nicht, mir ganz deutlich zu gestehen, daß es einen Weg gebe, meinem Herzen den Zügel schießen zu lassen, ohne den Schein der Pflichtverletzung zu erregen und meinen Mann zu kränken, wenn ich einfach thäte, was ich nicht lassen konnte, und meinen Mund versiegelte. Und doch – wie konnte ich sonst so trefflich schmählen, wenn von Frauen die Rede war, die den Muth ihrer verbrecherischen Leidenschaft nicht besessen, ihren Mann nicht gebeten hatten, sie freizugeben! Und jetzt hüllte ich mein eigenes Bewußtsein in einen Nebel ein, der mich nicht klar sehen ließ, nur um mich dem Gefühl hinzugeben, das Schicksal mit mir machen zu lassen, was ihm beliebe, jedem eigenen Entschluß zu entsagen und endlich einmal nur dem Machtgebot der Liebe zu gehorchen, die höher ist als alle Vernunft.
Ich erhob mich endlich, ins Haus zurückzugehen. Ich fürchtete gar nicht, meinem Mitschuldigen und Leidensgefährten wieder zu begegnen. Ja mich verlangte danach. Ich wollte, ohne die Augen vor ihm niederzuschlagen, ihm sagen, daß ich ihm verziehen hätte, daß er sich selbst nicht zürnen solle, in einem unbewachten Augenblick sich vergessen zu haben, wir wollten – ja, was wollten wir? Nun, was das Herz uns ferner eingeben würde – und dergleichen wilde, dunkle Gedanken mehr, die ich mit einem gewissen herausfordernden Trotz mir durch den Sinn gehen ließ.
Als ich mich dem Hause näherte, kam meine Dore mir entgegen, einen Brief in der Hand, den der Postbote eben gebracht hatte, – einen Brief »vom Herrn«!
Ich fühlte einen Schlag aufs Herz, als ich ihn ihr abnahm. Er war gewohnt, wenn er sich auch nur wenige Tage von mir entfernte, mir täglich zu schreiben. Obwohl er schon übermorgen zurückkehren wollte, mußte ich doch auch heute noch ein Wort von ihm erwarten. Und doch erschreckte mich's, seine Handschrift zu sehen, als träte er selbst vor mich hin und sähe mich fragend und strafend an und nähme mich bei der Hand, da ich mich eben in eine blühende Wildniß hätte verirren wollen, mich auf den geraden, steinernen, nüchternen Weg der gemeinen Alltagspflicht zurückzuführen.
Gut! Möge er kommen! Es muß ja wohl sein. Aber bis übermorgen sind noch zwei Tage, die sollen mein sein, da will ich wie ein Vogel, dem das Thürchen seines Käfichs einmal offen gestanden hat, mich meiner Flügel bedienen, mich in Luft und Licht hinausschwingen, aus jedem Bach trinken und von jeder Traube, nach der mich gelüstet, ein paar Beeren naschen, bis mein »Herr« kommt und mich in mein Gefängniß wieder einsperrt.
Ich kehrte in die Laube zurück und setzte mich wieder, immer den Brief in der Hand, unentschlossen, ob ich ihn überhaupt lesen sollte. Ich wußte voraus, daß er meine überschwängliche Stimmung niederschlagen würde, auch wenn er nur Gleichgültiges enthielt und die gewöhnlichen liebevollen Worte. Aber es konnte ja darin stehen, daß er schon früher zurückkehren werde, das mußte ich wissen, mich darauf gefaßt zu machen. Also riß ich das Couvert auf und las mit klopfendem Herzen –
O liebes Kind, wenn er mich aus der Ferne hätte sehen, mit kluger Berechnung all meine frevelhaften Vorsätze hätte vereiteln wollen, er hätt' es nicht geschickter anfangen können.
Er werde übermorgen nicht zurückkehren, auch nicht überübermorgen, überhaupt nicht eher, als bis ich ihn riefe. Ich habe klar erkannt, schrieb er, wie es um dein Herz steht, daß eine Leidenschaft darin aufgeglüht ist, die ich wohl begreife und darum nicht verdammen kann. Auch daß sie erwidert wird, ist mir nicht entgangen, und auch das ist mir nur allzu verständlich. Nur das geht über meine Kraft, daß ich das Schicksal, das über uns herein gebrochen ist, mit offenen Augen mit ansehen soll, oder mich auf ein Recht berufend, das von Anfang an erschlichen war und auf das ich, wenn ich nicht verblendet gewesen wäre, längst hätte verzichten sollen, jetzt dazwischen treten und wie ein Wahnsinniger für zehn Jahre der edelsten Aufopferung dir durch ein brutales Machtwort lohnen.
Und so sei er entschlossen, mich frei zu geben, unter irgend einer Form, für die ich mich entscheiden würde. Wenn ich auf einer formellen Scheidung bestehe, sei er auch dazu bereit und werde dafür sorgen, daß auf mich kein Schatten einer Schuld falle. Sollte ich davor zurückschrecken, so rathe er mir, irgend wohin zu reisen, unter dem Vorwand, einen Kurort aufzusuchen, je weiter fort, je besser, an einen Ort, wo man mich und den, der mir folgen würde, nicht kenne. Ob und wann ich von dort zu ihm zurückkehren möchte, stelle er mir völlig anheim. Er brauche nicht zu betheuern, daß nie ein Wort des Vorwurfs über seine Lippen kommen werde, und daß er auch alle Folgen dieses Schritts auf sich nehme! Von heut' an betrachte er mich als das, was ich ja während der ganzen Zeit unserer Scheinehe thatsächlich gewesen, als seine Freundin und Schwester, für deren Glück zu sorgen ihm die heiligste Pflicht hätte sein sollen, eine Pflicht, die er in leidenschaftlicher Selbstsucht so lange vernachlässigt hätte.
*
Ich hatte den Brief in wachsender Erschütterung gelesen. Als ich zu Ende war, brach ich in Thränen aus.
Aus welcher Quelle diese Thränen flossen, hätte ich nicht zu sagen gewußt. Das scharfe Gefühl, daß es mir jetzt unmöglich sei, dem Manne, der so großherzig an mir handelte, abtrünnig zu werden, da ich wohl wußte, was ihn das Opfer, das er mir brachte, kostete, – Reue und Beschämung über den Verrath, den ich an ihm hatte begehen wollen – und, um mich nicht besser zu machen, als ich bin, heftiger Schmerz darüber, daß das ersehnte Glück, das ich schon mit Händen zu greifen gedacht, nun wieder und jetzt für immer vor mir entschwunden sei – all diese verworrenen, anklagenden, jammernden und verzweifelnden Stimmen wogten ungestüm in meinem Inneren durcheinander, und ich hätte es als eine Gnade des Himmels betrachtet, wenn sie meine arme Brust gesprengt und meinen Körper aufgelös't hätten.
Es gelang mir endlich, mich aufzuraffen. Was ich zu thun hatte, stand klar vor mir, und ich zauderte keinen Augenblick, es auszuführen.
Über alle dem war die Mittagsstunde herangekommen. Als ich in das Eßzimmer trat, kam Dore mit der Meldung von Herrn Valentin, er lasse sich entschuldigen, wenn er nicht zu Tisch käme, er sei nicht ganz wohl. Bald darauf brachte sie mir einen Brief von ihm. In tiefster Zerknirschung bat er mich um Verzeihung für ein Vergehen, das er sich selbst nie werde verzeihen können. Es sei über ihn gekommen, wie wenn eine dämonische Macht ihn dazu getrieben, nun werde er den Frevel eines selbstvergessenen Augenblicks durch eine lebenslange Reue büßen, er verachte sich selbst, daß er das edelste Vertrauen, das man ihm geschenkt, die gütigste Gastfreundschaft, mit so schwarzem Undank belohnt habe – er bitte nicht mehr um ein Wort der Gnade, nur daß ich es ihm nachfühlen möchte, wenn er den Muth nicht hätte, sich nach einer so schweren Beleidigung in Person von mir zu verabschieden.
Ich antwortete ihm sogleich, ohne auf seine Selbstanklagen einzugehen. Auch ich müsse darauf verzichten, ihn noch zu sehen. Ich hätte einen Brief von meinem Mann erhalten, der mich nöthigte, sofort zu ihm zu reisen, da er über eine wichtige Angelegenheit sich mündlich mit mir zu besprechen wünsche. Er – Valentin – möge sich aber nicht dadurch bestimmen lassen, nun ebenfalls das Haus so rasch zu verlassen, sondern das Bild erst fertig machen und auch sonst, was er etwa von Landschaftsstudien noch vorgehabt hätte. Meine Leute seien angewiesen, aufs Beste für ihn zu sorgen. Ich grüßte ihn, zugleich im Namen meines Mannes, und dankte ihm, daß er uns so lange eine freundliche Gesellschaft geleistet habe.
*
Noch denselben Nachmittag bin ich zu meinem Manne gereis't. Ich habe ihm Alles gebeichtet, was in seiner Abwesenheit vorgegangen war. Wie er es aufnahm, zeigte mir, daß er trotz seines edelmüthigen Entschlusses die Trennung von mir nie verschmerzt haben würde.
Auch ich nicht. Ihm gegenüber wurde ich mir bewußt, daß mein Herz unauflöslich an ihn gebunden war, daß ich ein wahres Glück, dem er das seine zum Opfer gebracht hätte, nie genossen haben würde.
Dann habe ich ihn noch fünf Jahre besessen und viel Gutes und Schönes mit ihm getheilt. Wir haben große Reisen gemacht, ich habe gesehen, wie viel Herrliches die Welt einem Menschen noch zu bieten hat, wenn er auch auf ein volles Glück hat verzichten müssen. Und als ich ihn verlor, hatte ich auch mit meinem Leben abgeschlossen. Ich thue seitdem meine Schuldigkeit, so gut ich kann. Aber wie ich einmal irgendwo gelesen habe: so recht eigentlich lebe ich nicht mehr, ich lasse mich leben. – – –
*
Die junge Frau schlang ihre Arme um den Hals der mütterlichen Freundin, küßte sie unter stillen Thränen und sagte nach einer langen Pause: Ich danke dir, Tante Maxe, daß du mir diese traurige Geschichte erzählt hast. Ich begreife Alles, auch daß du an das, was hinter dir liegt, nicht mit so innigem Gefühl zurückdenken kannst, wie ich an mein verlorenes allzu kurzes Glück, und daß ich Unrecht hatte, dich zu beneiden. Aber Eins verstehe ich nicht: warum hast du mit deinem Leben abgeschlossen, wie du sagst? Du bist – nein, laß es mich sagen – noch so schön und lebensvoll und liebenswerth, ist es nicht möglich, daß du noch einmal das volle Glück findest, das dir ein grausames Schicksal bisher versagt hat?
Frau Maximiliane strich mit einem schwermüthigen Lächeln über das Haar der jungen Frau und sagte: Nein, mein Liebling! Ein volles Glück, wie es Jede von uns träumt, kann man nur in der Jugend genießen, und ich, wenn ich auch noch Anderen durch mein Äußeres jugendlich erscheinen mag trotz meiner achtunddreißig Jahre – über die Zeit, in der man an eine Illusion grenzenloser Hingabe glaubt, bin ich hinaus. Vorliebnehmen aber – in allem Anderen, was das Leben bringt, mag es weise sein: in der Liebe ist es jämmerlich. Lieber Durst leiden, als den schal gewordenen Rest eines edlen Weins über die Lippen bringen. Mit dir ist's etwas Anderes – nein, ich will dich nicht verletzen – aber du wirst begreifen, daß ein Unterschied ist zwischen einer Seele, die ihre beste Liebeskraft unfruchtbar hat hinwelken lassen, und einer mitten im schönsten Glück beraubten. Und dann, auch wenn du in alle Zukunft einsam bleiben müßtest, hast du nicht ein Kind, dessen Augen dich täglich an das Beste, was das Leben dir geboten hat, erinnern werden?
Die Antwort wurde der jungen Mutter erspart. Sie hörten ein Klopfen an der geschlossenen Thür des Eßzimmers und eine feine Kinderstimme, die ungeduldig Mama! rief. Als Frau Maximiliane die Thür öffnete, stürzte ein rosiges kleines Geschöpf mit rothgeschlafenen Bäckchen herein und warf sich der Mutter ungestüm an den Hals. Lilli hat ausgeschlafen und sich nicht halten lassen, bis ich sie hinunterführte, sagte die Kinderfrau entschuldigend.
Die Freifrau bückte sich zu der lieblichen Kinderstirn hinab und drückte einen langen Kuß auf das kleine blonde Haupt. Dann wandte sie sich nach dem Fenster und sagte mit mühsamer Stimme: Ich will etwas Luft herein lassen. Findest du nicht, Liebste, daß es schwül im Zimmer ist?
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