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Wo sich der Weg nach Osten hinaus von der Stadt in die Ebne
Wendet, am untersten Hange der mitternächtigen Berge
Ueber der Fläche des Sees, war nur in den sommerlich heißen
Monden von früh bis spät die gepflasterte Straße lebendig.
Denn in unendlicher Windung umkreis'te sie lang des Gebirges
Schluchtenzerrissenen Fuß, der felsig und schroff in das Bergland
Wurzel geschlagen. Und wer im Herbst und im thauenden Frühling
Sei's von Phrygien kam, sei's von Kappadocien, lieber
Rudert' er über den See, der weit in die Niederung austrat,
Bis an die äußersten Hütten Ikoniums. Aber im Sommer
Schwanden die Wasser zusammen, ein mäßiges Becken erfüllend,
Rings durch Sümpfe getrennt von der Stadt. Dann hoch auf dem Landweg
Zogen zum Markt Kaufleute, beladene Mäuler, ein buntes
Volk, und das Leben erklang um die schweigenden Stätten des Todes.
Denn hier standen in Reih'n unzählbar hüben und drüben,
Von Uralters errichtet die Gräber der Stadt, an den Stirnen
Lange vergessene Namen und halbverwittertes Bildwerk,
Manche den Einsturz drohend. Denn rasch aufgrünende Triebkraft
Nahe gepflanzter Cypressen und Aloewurzeln und Epheu
Drängte sich zwischen die Fugen und sprengte geräuschlos wühlend
Stein von Stein. Rings aber, die Ehren der Gruft zu behüten,
Wurden die Todten versöhnt durch reiche lebendige Kränze
Ewigen Grüns, das wuchernd die steinernen Trümmer bedeckte.
Hier in der einsamen Frühe den Felsdenkmälern vorüber
Lief mit schläfrigem Fuß, doch munteren Auges, ein Knabe.
Kraus umwehte das Haar sein kluges Gesicht und der Mantel
Flatterte lustig ihm nach, und der eignen Ermüdung spottend
Klang von den blühenden Lippen ein fröhliches jüdisches Liedchen.
Sternlos graute der Himmel, und weit und breit in der Landschaft
Rührte sich weder ein Mensch, noch wacht' ein Vogel. Im Ost nur
Dämmerte streifiges Weiß und ein zuckender Schimmer des Morgens.
Jetzt von der Stadt, der singend der Knabe sich näherte, krähte
Deutlich der Hahn. Da hob er die Augen empor, in die Ferne
Spähend, wie weit er noch habe. Und sieh, still hält er auf einmal
Mitten im Lauf und Gesang und reibt sich zweifelnd die Augen.
Doch da kam's leibhaftig heran und eilt' ihm entgegen,
Eine verhüllte Gestalt. Hell aus dem Gewande, dem dunklen,
Blickt das Gesicht nur vor und die weißen und schmächtigen Hände,
Kaum im Schreiten der Fuß. Sie ist's, ruft freudig der Knabe,
Thekla, du bist's! Und in Sprüngen erreicht er sie. Kennst du mich, Thekla?
Marcus bin ich, Nathanael's Sohn. Mich schickte der Vater,
Wie dir's gehe, zu forschen. Er weiß schon, daß du gerettet.
Unsere Mirjam nämlich, die Schaffnerin, ging mit dem Zuge
Bis zum Amphitheater und wartete draußen am Thore;
Denn sie getraute sich nicht, dein Ende zu sehn mit den Augen.
Aber sobald sie von fern dich sah an der Seite des Prätors
Frei dem Gerüst entsteigen, da lief sie zurück und erzählt' uns,
Wie Gott dein sich erbarmt. Wir lachten und weinten zusammen;
Und ich sollt' in die Stadt, dir Grüße zu bringen, und plötzlich
Stehst du nun selbst vor mir!
O sprich, wo weilen die Eltern?
Fiel ihm Thekla ins Wort. Denn sie nur such' ich. Im Hause
Ward mir gesagt, wie treu sie dem heiligen Manne gefolgt sind,
Als er die Marter erlitt. Und wißt ihr es auch schon, Marcus,
Daß ich die Mutter verlor?
Da streichelte leise der Knabe
Theklas Schulter und sprach: Wir wissen es. Aber du darfst nicht
Fürchten, verlassen zu sein. Bei uns nun wohnst du in Zukunft,
Sagte der Vater. Es soll an nichts dir fehlen. Wir haben
Früchte genug im Garten, ein Bad und was du nur wünschest.
Und ich bin dein Bruder und lehre dich schöne Gesänge,
Richte dir Vögelchen ab. Du hast mir immer gefallen,
Wenn ich am Fenster dich sah, und ich wünschte so oft mich hinüber.
Doch nun komm zu dem Gräbergewölb, da findest du Tryphon
Nur mit den Eltern allein. Die Anderen von der Gemeinde,
Die das Geleit ihm gaben, entließ er drüben am Thor schon.
Also gingen die Zwei, an der Hand sich fassend, gen Aufgang
Zwischen den Gräbern dahin. Links stieg in die Höhe die Bergwand,
Aber zur anderen Hand lag still Lycaoniens Ebne.
Und sie sprach zu dem Knaben: Erzähle mir, wie es sich zutrug.
Hattet ihr Salben bereit und sorgtet ihr, ihn zu verbinden?
Ach, unseliger Spur bin ich am Wege begegnet,
Roth im Sande verspritzt. Wie Gräßliches mußt' er erdulden!
Da antwortete Marcus: Es war sein Blut. Auf dem grauen
Boden erkennt man's freilich, versprengt in einzelnen Tropfen.
Denn sobald ihn die Schergen hinaus in die Straße gestoßen
Ueber die Schwelle der Stadt, da empfingen wir ihn, und die Mutter
Fleht' ihn, niederzusitzen und nicht sich der Pflege zu weigern.
Doch er schüttelte schweigend das Haupt. Um die blutigen Schultern
Schlug er den Mantel und ging. Auf einmal stand er und bat uns,
Daß wir allein ihn ließen und nach dir forschten. Er wolle
Hier auf offener Straße die Todesboten erwarten.
Doch wir sandten die Magd und wichen ihm nicht von der Seite,
Denn wir sorgten, er möchte zurück sich wagen, im Circus
Dich zu suchen. Doch er: O rette sie, rief er, o rette,
Herr, dies Kind! und warf in den Staub sich nieder und stöhnte,
Und wir schrieen zum Himmel und beteten. Nimmer im Leben
Hab' ich irgend um was zum Herrn so herzlich gebetet.
Dann als dunkel das Wetter heranzog, trieb uns der Vater
In die verfallene Gruft, die geräumigste unter den Gräbern,
Wo wir früher gebetet in Jahren der Noth und Verfolgung.
Siehst du die Schlucht, die links in den Berg einschneidet? Nur wenig
Aufwärts liegt das Gewölb. Man sagt, einst hätten sich Räuber
Dort am Tage versteckt und den Raub in den Urnen verborgen.
Dahin flüchteten wir und horchten dem Sturm, und der Regen
Prasselte laut in die Löcher des Dachs. Nie graus'te so sehr mir.
Plötzlich geschah ein Blitz, taghell ward's drinnen im Grabmal,
Und ein entsetzlicher Donner erschütterte Fels und Gemäuer.
Hell auf schrie ich vor Angst. Da hört' ich den Heiligen rufen:
Ehre sei Gott in der Höhe! Getrost, ihr Lieben! die Seele
Weissagt mir, es erbarmte der Herr sich dieser Gerechten.
Doch wir glaubten es nicht. Er betete laut und ich sah sein
Antlitz unter den Blitzen und muthiger ward ich auf einmal.
Dann ging Alles vorüber, der Sturm und das grause Gewitter,
Und wir traten hinaus. Mir klopfte das Herz, und der Vater
Ging auf die Straße zurück entgegen der Magd. Und am Ende
Kam sie und nun du selbst! Wie werden sie staunen und jauchzen,
Bring' ich dich ihnen hinein und sage: Sie lebt und da ist sie.
Komm! hier lenken wir ab von dem Hauptweg. Zwischen den Föhren
Sieht dir das Grabmal schon mit dem obersten Giebel entgegen.
Sprach's. Da bogen sie ein in die Enge der felsigen Waldschlucht,
Noch von Dunkel erfüllt, da draußen im Land sich gemach schon
Helle des Morgens ergoß. Hier standen verlorene Gräber
Theils in den Felsen gehau'n, theils nur an die Bergwand lehnend
Ihr vorspringend Gebälk. Ein wildes Gebüsch an den Seiten
Engte den Fußweg ein, und herab vom Rande des Hohlwegs
Hing um die Wurzeln der Fichten Gestrüpp von Dornen und Brombeer.
Aber ein größerer Bau, wie ein schmal aufsteigender Tempel,
Zeigte sich jetzt unfern auf der Höhe des Wegs. Und der Knabe
Deutete winkend voraus und flüsterte: Siehe, da sind sie.
Warum zauderst du nun?
Sie stand lautpochenden Herzens;
Doch als hätt' in den Augen sich all ihr Leben gesammelt,
Blickte sie leuchtend hinan. An der vorderen Mauer des Grabmals
Lehnte, die Arme gekreuzt, mit sinnendem Haupte der Jünger.
Und wie sie jetzt sich ermannt, die Strecke des Wegs zu vollenden,
Wendet er sich und erkennt sie; ein bebender Ruf des Entzückens
Bricht aus der Seele des Freunds, und die Arme der Nahenden öffnend,
Schließt er das Mädchen darein, das wortlos ihm an die Brust sank.
Und noch standen sie so, in heftigem Schluchzen die Waise,
Auf sie niedergebeugt sein stilles Gesicht, und der Knabe
Mit ihr weinend. Da trat zu den dreien Nathanael. Langsam
Richtete Thekla sich auf und bot ihm die Hand, und ein Lächeln
Grüßt' ihn sanft aus den Thränen. Mein Kind, du Geliebte des Himmels!
Rief, sie umfangend, der Alte. Du lebst! Mit dem Kusse des Friedens
Darf ich die Stirn dir küssen. Gelobt sei Gott! Er erhob dich
Herrlich aus Tiefen der Noth. Und was du verlorst und beweinest –
Er wird Stärke verleihen, das herbe Geschick zu ertragen.
Doch nun komm zu der Mutter. Sie schläft dort innen. Die Kräfte
Zehrte der Gram ihr aus; nun aber erneut sie die Freude.
Sprach es, und seitwärts ging er voran zu der niedrigen Pforte
Und ihm folgten die Andern. Sie traten hinein in das Grabmal,
Schwach von oben erhellt durch Lücken des Marmorgebälkes.
Und man sah in den Nischen der Wand die zertrümmerten Urnen
Drin Nachtvögel genistet. Erschreckt beim Nahen der Menschen
Schwirrten sie flüchtig hinaus und verbargen sich draußen am Giebel.
Hier auf der Bank im Schlummer, die Stirn auf die Kniee gesunken,
Saß des Nathanael Weib. Nun starrte sie auf in die Dämmrung,
Schob von den Augen das Tuch und erkannte sie. Mutter, sie selbst kommt,
Sagte der Mann. Hier ist sie. Wie oft schon, wenn du von fern sie
Sahest, verlangte dich nicht, das freundliche Kind zu umarmen,
Das von den Ihrigen allen allein nicht feindlich uns ansah.
Sättige nun dein Herz. Von heut an ist sie die Unsre,
Unser gerettetes Kind und herzlicher Liebe bedürftig.
Während er sprach, lag Thekla schon am Halse der Alten;
Mütterlich weinte die Gute und hielt sie, zärtlich umarmend,
Ganz wie ein Kind im Schooß und streichelt' ihr küssend die Wangen.
Still saß Thekla und schwieg und Niemand sprach von den Andern;
Denn sie sahen den Freund in der dämmrigen Enge des Grabmals
Auf und ab sich ergehen mit unruhvoller Geberde.
Manchmal trat er zur Thür und wandte sich wieder und neigte
Tiefer das Haupt auf die Brust. Da hörten sie draußen den Knaben
Rufen. So kommt doch heraus und sehet es! Ganz wie im Feuer
Stehen die Büsche da vorn und die Gräber, und roth ist die Ebne,
Und hell funkelt der See!
Da erhob sich die Frau und sie traten
Alle zusammen hinaus. Mit plötzlich geblendeten Augen
Sahn sie den Hohlweg nieder und weit in die goldene Frühe.
Doch der Apostel begann: Tag ist es geworden, ihr Lieben.
Welch ein Tag uns Allen! In meinem verzagenden Herzen
Dacht' ich, freudigen Muths nie wieder die Sonne zu schauen.
Nun in die Wonne des Tags, der den Wiedervereinigten aufgeht,
Träufet der Abschied nur die verfliegenden Tropfen der Wehmuth.
Denn mich treibt es, zurück nach Laodicea zu wandern,
Und an den Seeen entlang die pisidischen Freunde zu grüßen,
Ehe der Winter den Weg überhäuft mit unendlicher Schneelast.
Doch ihr lenket die Schritte nach Haus und genießet des Friedens,
Der euch jetzo erblüht. O dürft' ich ihn theilen! Hinfort auch
Walte getreu der Gemeinde, Nathanael! Wahrlich es ahnt mir,
So an Zahl wie an Muth die gedoppelte findst du sie heute,
Seit uns Gott von neuem bezeugt hat, daß er der Herr ist.
Und Nathanael sprach: Ist's wahr? So gehst du nun von uns?
Und wann kehrst du uns je? Mir ist, dich scheiden zu sehen,
Wie wenn plötzlich im Hause die Lampe verlischt und des Oeles
Nicht vorräthig im Krug. Da nutzt man die kärgliche Helle,
Welche der Mond noch gönnt, um dies und das zu beschicken;
Aber das Lesen gelingt nicht mehr, und die eignen Gedanken
Zehrt man kümmerlich auf, bis Schlaf uns endlich erwünscht ist.
Nicht also, mein Geliebter! erwiederte Tryphon. Verbanne
Dies kleinmüthige Leid. Es entlockt dir herzliche Freundschaft
Worte der Furcht, die wenig den Kindern Gottes geziemen.
Wenn ihr den Boten verliert, bleibt nicht auf ewig die Botschaft
Tröstend bei euch? Und wer ist Tryphon, daß man ihn misse,
Wo nur der Geist fortwirkt? So gehe nun heim, mein Bruder,
Geh und grüße die Unsern. Und wenn von ferne gesendet
Künftig ein Brief uns sagt, wie getreu wir einander gedenken,
Gieb mir Kunde von Allen, und weniger werd' ich getrennt sein.
Dann – wie wird mein Herz sich erfreu'n, von dir zu erfahren,
Theuerstes Kind! O reiche die Hand mir scheidend noch einmal.
Segne dich ferner der Herr! Du gingst in die Nacht, in den Kerker,
Mich zu befreien, und sieh, du befreitest die eigene Seele.
Sei denn fröhlich und sorge, den Schatz im Busen zu mehren,
Denn ein Leben ist lang und vieles bedürfen die Tage.
Und so scheid' ich von euch. Wer weiß, ob wieder der Fuß mich
Herträgt, daß ich des Blicks aus liebenden Augen mich freue.
Denn fern über das Meer in hellenisches Land zu den Heiden
Treibt mich der Ruf vom Herrn und weiter vielleicht, an der Erde
Grenzen. So lebt denn wohl, und Friede mit euch und dem Wandrer!
Da entließ er die Hände der Jungfrau sanft aus den seinen,
Und noch einmal umarmt' er Nathanael. Aber der Knabe
Hing sich an ihn und strebte hinauf zu den Lippen des Jüngers;
Küssend umfing ihn Tryphon und legt' ihm die Hand auf die Locken,
Winkte noch einmal zurück und wandte sich ab. Still trauernd
Blickte die Mutter ihm nach; dann faßte sie seufzend des Knaben
Hand, an den Heimweg denkend. Es folgt' ihr der Mann, und die Letzte
Kehrte sich Thekla hinweg und ging mit den schweigenden Freunden.
Aber sobald sie hinaus in das Frühroth kamen und rechtshin
Gegen Ikonium zu auf der breiteren Straße sich wandten,
Stand sie still und begann mit heimlich bebender Stimme:
Geht ihr immer voraus, und laßt mich, Theure, noch einmal,
Mich allein, zu dem Freunde zurück; ich hab' ein versäumtes
Wort ihm noch zu vertrauen, bevor wir ewig getrennt sind.
Denn im jähen Momente des Abschieds stockte die Rede
Mir in der Brust. Nicht war ich gefaßt, ihn schon zu verlieren.
Doch nun fühl' ich, es soll dies Wort mein Leben entscheiden,
Und nicht Ruhe gewinn' ich, verschweig' ich es, da es noch Zeit ist.
Und Nathanael sprach: Wie könnt' ich, Theure, dich halten?
Geh, wenn mahnend das Herz dich treibt. Noch sind wir ihm nahe.
Und wir wandern indessen gemachsam weiter und harren,
Holst du uns nicht mehr ein, im Haus auf deine Zurückkunft.
Bring uns Grüße von ihm und sag' ihm, wie er geliebt wird!
Kaum mehr hört sie das Letzte. Sie wendet sich rasch, ihr erglühtes
Antlitz nicht zu verrathen, und schreitet zurück, sich verklagend,
Daß sie die Redlichen täuschte mit halben verschleierten Worten.
Weiß sie es doch, nie wird sie die Heimath wieder betreten,
Nie zu den Harrenden kehrend mit Tryphons Gruß sie erfreuen.
Doch als einsam wieder die Schlucht sie umgiebt, da entschwindet
Jegliches andre Gefühl vor innerster Angst der Entscheidung.
Zögernden Fußes zuerst, doch dann wie beflügelt, den Gräbern
Eilt sie vorbei, und weiter den sanft ansteigenden Waldpfad.
Jetzt um die Felswand biegend, erblickt sie ihn, der in der Ferne
Steht mit gewendetem Haupt, wie ein Wartender. Traurig empfängt sie
Sein weitblickendes Auge. Doch sie, vom Sturme der Schmerzen
Zu ihm gejagt, zu den Füßen des Schweigenden stürzet sie nieder,
Und sein Knie umklammernd ergießt sie die Fülle der Klagen:
Tryphon! Gehst du hinweg? Und ich soll bleiben und leben,
Wenn du dich ganz mir entziehst? Ach, warum denkst du von Thekla
Herrlicher, als sie verdient! Sie ist nur ein schwaches, verzagtes,
Mitleidwerthes Geschöpf, wenn du sie verlässest. Du sollst mir
Nicht ihn wehren, den Platz zu deinen Füßen, die Arme
Nicht losreißen von dir; hier will ich liegen und klagen,
Bis du mich aufstehn heißest und sprichst: Wir wandern gemeinsam.
Ist denn Trennung so hold, daß wir von treuen Gefährten
Grausam eilig uns scheiden, die glücklichen Stunden verkürzend?
O und muß ich es sagen, wie viel, wie ich Alles verliere,
Wenn du gehst? Ich verarme zur Bettlerin. Was ich besessen,
Gab ich dahin um dich, und werthlos ward mir das Leben.
Niemals will ich zurück in die Stadt, die einzig des Todes
Bleiches Gespenst mir zeigt und Schatten vergangenen Glückes.
Hast du mich Freundin genannt und kannst nun furchen die Stirne,
Und mit strengem Gesicht mir die einzige Bitte versagen,
Dir so gering zu gewähren und mir so reich zu erhalten?
Bin ich dir irgend im Weg, wenn du nur das mir gestattest,
Neben dir hinzuschreiten? Ich will ja schweigen, als wandle
Dir zur Seit' ein stummes Geständ', ein Felsen, ein Vogel.
Aber entfährt dir ein Wort aus überfließender Seele,
Das sonst Winde verwehn und der Berg unwissend zurückwirft,
Das nur laß mich empfangen und tief im Busen bewahren.
Siehe, verweigerst du das und stoßest mich fort – doch niemals
Kehr' ich zurück in die Stadt. Nein, hier in der Oede der Hügel
Will ich den Tod abwarten, bis ihn mein Kummer heranweint.
Ernst sah Tryphon herab auf Thekla's Flehen. Mir ahnt' es,
Sprach er bewegt. Ich las auf deinen verschlossenen Lippen
Unten im Grabmal schon, was bang dir im Innersten wogte.
Aber ermanne dein Herz und richte dich auf. Es geziemt nicht,
So vor Menschen im Staub um menschliche Güter zu bitten.
Sieh, du vertraust mir, weiß ich, und wirst mich willig verstehen,
Wenn erst deinem Gemüth nachdenkliche Stille zurückkam.
Denn jetzt schwärmst du, verwirrt vom Wunder der Nacht, und verblendet
Wider das Heil in dir, von Anderen hoffst du den Frieden.
Was nur bittest du mich? Mit mir, dem Verkünder des Wortes,
Willst du die Fremde der Welt auf drohenden Wegen durchwandern?
Du, ein Mädchen, dem Manne gesellt? dem Mann, der die Freude
Nicht soll schmecken, den Leib am eigenen Herde zu wärmen?
Christo bin ich geweiht, ein kämpfender Bote des Heilands,
Und wer zieht in die Schlacht von weiblichen Schritten begleitet?
Um der Gefährtin willen entzög' er vielleicht in der Stunde
Großer Entscheidung das Haupt der Gefahr und wiche der Pflicht aus.
Laß mich einsam gehen, bedürfnißlos und besitzlos;
Denn der Besitz macht feig und hindert die That, das Bedürfniß
Kettet uns an den Genuß. Wer treu will bleiben, verzichte!
Alles für Alle zu werden, versag' ich Vieles dem Einen,
Allen das Ganze zu sein, vom Einzelnen trennt mich die Stunde.
Muß ich es sagen, wie viel nun
diese Stunde mich kostet,
Welch ein schweres Gewicht an des Wanderers Fersen sich heftet,
Ihn zum Bleiben verlockend? – Genug! was frommt es, zu wünschen!
Also bescheide dich auch und banne die innige Selbstsucht,
Welche den Geist dir trübt. O mußt du mit Händen umspannen,
Was ein Besitz dir scheint? Die Hand welkt wieder dem Staub zu;
Nur was ganz du dem Geist aneignetest, nenne dein eigen,
Dein auch über die Schranke der Zeit. Sieh, dort an den Hügeln
Wandelt sie kräftig herauf, die lebenerweckende Sonne,
Jeglichem nah, und zugleich unnahbar Allen, vereinsamt
Ueber dem frohen Gewühl der geselligen Erdengeschöpfe.
So geht Jeder von uns mit der Leuchte des himmlischen Wortes
Seine gewiesene Bahn; so einsam wandl' ich die meine.
Feierlich sprach es der Freund. Es stand mit niedergesenkten
Augen die Jungfrau da, in erglühenden Wangen und wortlos.
Und er faßte die Hand der Verstummten und sprach, sie getröstend:
Deine Gedanken, o Kind, wie treten sie rasch dir ins Antlitz!
Kämpf' ihn muthig zu Ende, den heiligen Kampf, und erobre
Dir dein Banner zurück, das plötzlich verzagt du hinwegwarfst:
Christi Willen in dir, der Eins mit dem deinigen werde.
Doch fern sei es von dir, nun scheu mein Auge zu meiden,
Weil du das Herz hingabst und die lautere Tiefe mir zeigtest.
Laß einander uns kennen. Und wer mißkennte die Seele,
Die sich am eignen Besitz nicht läßt in der Jugend genügen,
Sondern die Welt zu umfassen begehrt und alles Geliebte
Sich zu vereinigen trachtet in eifersüchtiger Treue!
O, nicht hat sich die deine verirrt. Was
mir sie genähert,
War es das Herrlichste nicht, nach dem wir schmachten und sehnen,
Das, in Fülle genossen, den Wunsch doch nimmer ersättigt?
Darum blicke du frei mir ins Antlitz wieder. Du wirst noch
Lange vielleicht mich entbehren und dann dich besinnen auf einmal,
Daß du mich besser besitzest und völliger, als du geahnt hast.
Senkt' ich des Heilands Bild dir nicht in die ahnende Seele?
Sieh, mich hast du in ihm, denn in ihm nur leb' ich und bin ich,
Und dich hab' ich in ihm. Wer will uns scheiden in Zukunft?
Da erst blickt sie empor. Aus freudestrahlenden Augen
Tritt der gewonnene Sieg ihm triumphirend entgegen.
Und sie sprach: O Meister, ich schäme mich, daß ich verzagt war,
Nicht, daß du es gesehn. Ja, gehe nur! Wo du auch hingehst,
Finden dich meine Gedanken, und stärkt sich an dir mein Glaube.
O, wer raubte dich mir? Ich habe dich, höre die Stimme,
Die mir den Himmel erschloß, und seh' im Geiste die Augen,
Die nur winkten – da ward mein innerstes Wesen verwandelt.
Nicht viel Tage bedarf's, mich deß zu besinnen, wie thöricht
Ich um ein Weniges bat, da mir schon Alles geschenkt ward.
Nein, ich darf es bekennen, ich weiß: was immer die Zukunft
Bringt und versagt – an das Eine vermag kein Wechsel zu rühren,
Daß du mich Freundin genannt, daß Leid und Lust wir gemeinsam
Litten, und Himmel und Erde mich dir zur Seite gesehn hat.
Daran, wie mich dereinst auch Noth und Kümmerniß heimsucht,
Werd' ich den Geist aufrichten; und wenn einst Alter das Haar mir
Bleicht und das Auge sich trübt und die Kraft der Glieder verwelkt ist,
Wird beim Denken an dich die verschwundene Jugend mir aufblühn,
Und im Winter der Zeit mich ein Frühlingsodem erquicken.
Doch nun laß mich hinaus in die Welt; denn dringend gemahnt michs,
Nicht in der Stille den Schatz, den du mir zeigtest, zu hüten,
Sondern den Dürftigen allen vom stets nachquellenden Gute
Mitzutheilen, so viel ich vermag. Wohl bin ich gering nur,
Unwerth, daß ich des Wortes Verkünderin sei vor den Menschen.
Aber auf dich hinweisen, als Botin wandern des Boten,
Und zu den Zweifelnden sagen: Vertraut ihm! und zu den Tauben:
Hört auf ihn! Dies that er an mir, dies wird er an euch thun! –
Dazu wird mich der Herr mit der Weihe des Wortes begaben,
Bin ich ein Weib auch nur, das sonst vor Männern verstummte.
Und so wollen wir scheiden, und denkst du zurück an Thekla,
Stelle dir nicht mein Bild sich dar in Thränen der Schwäche,
Nein mit erhobener Stirn und Dank in den Zügen und Freude.
Da antwortete Tryphon und sprach: Was kann ich erwiedern,
Als aus Tiefen der Brust die erlösende Liebe zu preisen,
Die an uns sich erwiesen mit tausendfältiger Gnade.
Nein, nicht darf ich dich halten, die so allmächtig berufen
Sich von der Heimath scheidet, der irdischen, und der verheißnen
Ewigen Wohnung gewiß am Heerde der Seligen rastet.
Geh, du Geliebte! der Geist wird siegende Worte der Wahrheit
Auf die Zunge dir legen, die er so herrlich gelöst hat.
Wende dich aber zuerst nach Derbe hinab in die Ebne,
Wo mir ein Gastfreund wohnt, Chrysostomos. Er und die Seinen
Kennen den Herrn; sie werden die Jüngerin freudig empfangen.
Grüße die Treuen von mir und bestärkt euch Eines am Andern,
Und dort harre des Rufs vom Herrn, wohin er dich weise,
Ferner zu zeugen von ihm. Er segne dich, segne die Wege,
Die du wandelst, die Hand, die freundliche Gabe dir reichet,
Segne das Haus, darin du dein Haupt wirst betten zur Nachtzeit,
Wie er den Tag an mir reich segnete, da wir uns fanden! – –
Sprach's, ihr die Hand auflegend mit stillem Gebet. Kein Wort mehr
Tauschten sie. Horch, da erklang vom Grund aufsteigend ein Hufschlag
Und um die Felswand sahn sie, ein Maulthier führend am Zaume,
Eilig Olympas nahen, der den Dienst an der Pforte verlassen.
Denn kaum hatt' er im Hause die schmerzliche Kunde vernommen,
Daß nie wiederzukehren die junge Gebieterin fortging,
Als ihn das Herz antrieb, ihr nach in die Fremde zu folgen.
Und jetzt stand er von fern und harrte des Winks der geliebten
Herrin. Noch einmal blickte der Freund ins Auge der Jungfrau,
Dann mit männlicher Stärke verließ er sie rasch und sie sah ihn
Rüstig den Weg hinschreiten die Hügel hinauf zum Gebirge.
Schweigend bestieg sie das Thier und zurück in die Straße der Gräber
Lenkte der Sklav. So ritt sie dem leuchtenden Morgen entgegen
Mit taghellem Gemüth, und hinter ihr blieben die Schatten.