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Zehntes Kapitel.

Als Anselmo erwachte, lag er im untern Stock auf dem Bett des Gärtners, neben ihm stand der Graf, zu Häupten des Lagers der Arzt, auf dem Kopf hatte er Eis liegen.

Im Augenblick, wo er die Lider öffnete, hörte er den Arzt sagen: »Es ist ja kein Wunder! Wer in einer Nacht solch' ein Werk geschaffen, dem kann schon eine Ader springen.«

Es war, als gäbe ihm dies Wort alle Kraft zurück – er hob den Kopf und sah die Herren an. Der Graf beugte sich liebevoll über ihn.

»Sind Sie zufrieden mit meiner Arbeit?« war Anselmo's erste Frage.

»Zufrieden?« sagte der Graf; »Sie haben ein Wunder vollbracht – und Sie fragen, ob man zufrieden sei?«

Anselmo setzte sich auf und glitt mit den Füßen zur Erde. Ein heftiges Zittern überlief ihn.

»Ist das wahr – ist's möglich? Könnte ich wirklich ein Künstler werden?«

»Sie sind es schon!« rief der Graf. – »Doctor, hab' ich nicht recht?«

»Ja, bei Gott, das ist eine merkwürdige Leistung!« sagte der Arzt.

Da schlug der arme verkannte, verachtete Geselle die Hände vor das Gesicht und weinte. Alle die lang getragene Knechtschaft, all' die hoffnungslose Entsagung, all' das bescheiden verschwiegene, bittere Weh eines ganzen Lebens, es löste sich in der verschlossenen Seele und ergoß sich in diesen Thränen.

Der Arzt ging hinaus, um seine Rührung zu verbergen.

Der Graf stand geduldig neben ihm.

»O verzeihen Sie mir – ich bin recht ungeschickt –« sagte Anselmo und versuchte, sich zu fassen.

»Weinen Sie nur! Wohl dem, der noch weinen kann! Sie sind der Glücklichste von uns.« –

Anselmo blickte erstaunt auf.

»Ja«, fuhr der Graf fort, »der Glücklichste und der Reichste: Maria's Tod hat einen neuen Menschen aus Ihnen gemacht – mich hat er vernichtet! Die Welt hat nur noch ein einziges begehrenswerthes Gut für mich, und dies mir zu geben, steht allein in Ihrer Macht. Das Modell, das Sie heute schufen, wäre Alles, was ich noch auf Erden zu besitzen wünschte. – Welchen Preis fordern Sie dafür?«

»Herr Graf, wenn es Ihnen Freude macht – so gehört es Ihnen – ich habe ja kein Recht darauf!« sagte Anselmo mit niedergeschlagenen Augen.

»So! Also – Sie schenken es mir?«

»Ja, Herr Graf!« sagte Anselmo erbleichend.

»Und Sie wollen gar nichts dafür, – haben keinen Wunsch an mich?«

»O nein, Herr Graf – ich bin ja so glücklich, daß es Ihnen gefällt! Das ist mehr, als ich je gehofft!« Und Anselmo's Augen füllten sich aufs Neue mit Thränen.

Der Graf ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab. Dann blieb er vor Anselmo stehen.

»Mariens letzter Brief hat Sie mir ans Herz gelegt. Ich habe die Absicht, für Sie zu sorgen. Sie haben mir aber soeben in Ihrem Werk ein Geschenk gemacht, das kein König lohnen kann – ich bin Ihnen gegenüber ein armer Mann! Ich kann Ihnen nur zwei Dinge als Gegengeschenk bieten – einen väterlichen Freund und die Mittel zur Ausbildung Ihres Talents. Das Letztere biete ich dem Künstler – das Erstere dem Menschen, denn – Sie sind ein seltener Mensch!«

Er trat ihm näher und flüsterte ihm ins Ohr: »Sie sind nicht nur der Glücklichste und der Reichste, Sie sind der Größte von uns Allen! Auch Sie liebten Marien – und nicht minder, als wir Alle und Sie sind der Einzige von uns, der schweigend litt und nichts von ihr verlangte!«

Anselmo zuckte zusammen: »Herr Graf – wer sagte Ihnen das Alles?«

»Ihr Werk!« erwiderte der Graf – »denn das kann nur die Liebe!«

Er breitete die Arme aus: »Jüngling – ich liebe Dich um Deiner Entsagung, Deiner stillen Größe willen. Einsam wie ein Abgeschiedener werd' ich fortan durchs Leben gehen; willst Du meinen freudlosen Pfad mit mir wandeln, willst Du Dein Geschick in meine Hände legen? Dann hab' ich noch eine Ausgabe, für die zu leben es sich lohnt!«

Da sank der Ueberraschte, keines Wortes mächtig, dem Retter zu Füßen. Der aber hob ihn mit starker Hand empor und zog ihn an seine Brust.

»Maria!« war Alles, was Anselmo's Lippen in diesem Augenblick zu stammeln vermochten.

Der Graf hatte den Arm um die schlanken Schultern des Jünglings geschlungen: »Ja, – Maria!« sagte er leise und blickte gen Himmel, »das soll fortan unser gemeinsames Gebet sein!«

In dem Augenblick ward eine Gestalt vor dem Fenster sichtbar, – ein verstörtes Antlitz mit zwei dunklen Augen schaute herein – dann verschwand es wieder.

Der Graf fuhr zurück wie vor einem Gespenst und biß sich die Lippen: »Das war er, sicher!« murmelte er vor sich hin. Anselmo verstand ihn und nickte: »Er war's!«

»Geh' hinaus, Anselmo, sag' ihm, daß ich für seine Zukunft sorgen will. Er soll Dir nur mittheilen, auf welche Weise es zu geschehen hat – aber sehen will ich ihn nicht – nie!« setzte er mit finsterer Stirn hinzu.

Anselmo schüttelte den Kopf. »Wie ich den kenne, nimmt er nichts von Ihnen an! Aber ich will es ihm sagen – ich habe ohnehin einen Brief, ein heiliges Vermächtniß für ihn!« Anselmo ging hinaus. Walther hatte sich scheu hinter das Haus zurückgezogen, als er die Thür gehen hörte. Jetzt standen sich die beiden Jünglinge gegenüber.

»Walther, Du armer, unseliger Freund«, sagte Anselmo und reichte ihm die Hand. Walther konnte nicht sprechen – er stand da, wie vor einem unsichtbaren Richter. Die brennenden Augen starrten thränenlos vor sich hin.

»Walther, was brütest Du?« frug Anselmo; »das ist nicht gut! Es wäre besser, Du weintest.«

Walther schüttelte den Kopf; sie gingen, ohne es zu merken, der Stelle zu, wo die Liebenden sich immer getroffen. Die hohen Pappeln winkten von Weitem und schienen zu fragen: »Wo bleibt sie?« Die Amsel flog aus dem Busch auf, die sie so oft mit einander belauscht, und schaute aus nach der lieblichen Gestalt, die sonst mit der Morgenröthe hier erschien. Alle Blumen, die ihre Hand getränkt, alle Vögel, alle rauschenden Zweige schienen zu fragen: »Wo ist sie?«

Plötzlich gewahrte Walther, an welchem Fleck sie angelangt: »Anselmo, hier hat sie noch gestern gestanden und mir gewinkt und gerufen – und ich bin vorbeigefahren und hab' gethan, als hörte ich's nicht – und hab' sie stehen lassen mit dem Tod im Herzen! Ach, Anselmo – wer jemals, seit Menschen lieben und leiden, solches Weh gefühlt, der komme und zeige mir's –!« Und laut aufschreiend, wie der zum Tod getroffene Hirsch, warf sich der Unglückliche mit Gesicht und Händen in den dornigen Zaun, als könne er noch einen Fetzen ihres Gewandes darin erhaschen und die Entschwundene daran festhalten. Die Blätter und Zweige der Hecke färbten sich roth von seinem zerrissenen Gesicht und das schwarze Haar blieb dazwischen hängen wie dunkles Gespinnst; aber der Quell der Thränen wollte nicht fließen, und das fieberglühende Auge irrte unstät wie das eines Verbrechers.

»Anselmo, Du weißt nicht, was geschehen. Ich habe an ihr gezweifelt und sie von mir gestoßen, die für mich gestorben ist. Ich hätte sie vielleicht von ihrem Entschluß abbringen können, wenn ich noch gestern mit ihr gesprochen hätte! Und ich ließ sie rufen und winken und sich – tödten! Und lief wie ein wildes Thier in den Wäldern umher, während sie den letzten Seufzer aushauchte – für mich! Allmächtiger Gott, wer hat je ein größeres Verbrechen begangen? Wer einen himmelschreienden Mord? Anselmo, tritt mich, schlag' mich wie einen Hund, bis ich todt liegen bleibe, und dann wirf mich auf meines Vaters Anger – denn Besseres verdien' ich nicht.«

Anselmo legte dem Rasenden die Hand auf die Schulter: »Zerfleische nicht Dein Herz – Du mußt Dich ehren um ihretwillen, denn sie hat Dich geliebt! – Wenn Du Dich so tief herabsetzest, erniedrigst Du sie mit. Sie fand Dich werth, für Dich zu sterben! Achte sie in Dir – und denke besser von Dir selbst.«

Walther stand auf und wischte sich das Blut von dem zerfetzten Gesicht: »Du hast Recht,« sagte er gefaßter. »Aber wie soll ich's tragen? Anselmo, was beginnen? Wenn ich ihn auch tödte, ihn und mich, was nützt es, was sühnt es?«

»Um Gotteswillen, was brütest Du? Mordgedanken! Verbrechen auf Verbrechen?« rief Anselmo; »Du bist wahnsinnig, Unglücklicher! Hier, hier ist ein Talisman, der Dich, so Gott will, retten wird – lies diesen Brief, mit dem ich Dich gestern vergebens aufgesucht. Lies ihn, und ihr Engelsgesicht wird wieder vor Dir auftauchen und die finstern Mächte bannen, die Dich erfaßt haben!«

Und er gab ihm den Brief.

Walther setzte sich auf den Stein, auf dem er so oft mit ihr gesessen; Anselmo stellte sich neben ihn und sie lasen:

 

»Geliebter! Komm' mit dem Brautwagen und hole die Braut. Es giebt kein anderes Mittel, Dir meinen Eid zu halten, als Dies. Ich bin von allen Seiten umstellt wie ein Wild – ich habe keinen Ausweg, als den Tod! Aber ich weiß, Du wirst mich lieber todt sehen als untreu! Schilt mich nicht wegen der raschen That: Ich habe keine Zeit zu verlieren, was geschehen soll, muß heute geschehen, wo ich noch unbewacht bin – – morgen ist es zu spät! Sei getrost – es ist ja nun gekommen, wie wir es uns gelobt. Gern hätte ich noch einmal an Deiner Brust geruht, gern noch einen Kuß mit Dir getauscht – den letzten – aber Du fuhrst vorüber! Vielleicht findet Dich Anselmo noch und bringt Dich mir, bevor ich sterbe, wo nicht, so sage ich Dir hiermit Lebewohl!

Zürne dem Grafen nicht, er ist edel und groß, zu groß für uns arme schlichte Leute. Seine Liebe ist hereingefluthet wie eine Welle des Lebens auf unsern stillen Friedhof und hat eine Blume von einem Grabe hinweggespült, was kann er dafür! Morgen werdet Ihr Alle Frieden haben, und jeder Mißton wird gelöst sein.

Die Anderen werden sich trösten, Anselmo hat seine Kunst, der Graf seinen starken Geist, Macht und Reichthum – Du, mein armer Walther, hast nichts als mich – und ich weiß es, Du wirst mir bald folgen. Aber lege nicht Hand an Dich – warte geduldig auf die Erlösung.

Ich befehle meine Seele in Gottes Hand – er sieht ja in mein Herz und weiß, daß ich nichts wollte, als treu sein! Er wird mir verzeihen und seine Gnade wird bei uns sein in der schweren Stunde der Trennung.

Lebewohl, Du Armer!

Bis in den Tod
Deine Maria.«

 

Tiefe Stille lagerte über Feld und Garten, mittägliche Ruhe. Hoch oben in den Lüften zog eine wilde Taube über die ehrwürdigen Häupter der Pappeln hin. Ein leiser Südwind streifte die Locken der beiden Jünglinge, die da unten am Fuß der alten Riesenstämme lehnten. Walther hatte das Gesicht auf das beschriebene Blatt gelegt und weinte still. Er hatte den Trost der Thränen gefunden und segnender Thau des Himmels fiel von den bewegten Zweigen auf ihn herab und netzte das heiße Haupt, als weine da oben ein lichtes Auge Thränen des Mitleids über ihn.


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