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»Nach meiner Rückkunft aus Italien,« schreibt Goethe in den »Annalen« vom Jahre 1794, wo er über sein erstes Anknüpfen mit Schiller berichtet, »wo ich mich zu größerer Bestimmtheit und Reinheit in allen Kunstfächern auszubilden gesucht hatte, unbekümmert, was während der Zeit in Deutschland vorgegangen, fand ich neuere und ältere Dichterwerke von großem Ansehen, leider solche, die mich äußerst anwiderten; ich nenne nur Heinse's »Ardinghello« und Schillers »Räuber«. – Bei den Männern von Talent verargte ich nicht, was sie unternommen und geleistet, – das Rumoren aber, das im Vaterlande dadurch erregt, der Beifall, der jenen wunderlichen Ausgeburten allgemein, so von wilden Studenten, als der gebildeten Hofdame gezollt ward, der erschreckte mich. – Und was mich am meisten schmerzte, alle mit mir verbundenen Freunde schienen mir gleichfalls gefährdet. – Man denke sich meinen Zustand! Die reinsten Anschauungen suchte ich zu nähren und mitzutheilen; und nun fand ich mich zwischen »Ardinghello« und »Franz Moor« eingeklemmt. – Ich vermied Schiller, der sich in Weimar aufhaltend in meiner Nachbarschaft wohnte. Alle Versuche von Personen, die ihm und mir gleich nahe standen, lehnte ich ab, und so lebten wir eine Zeit lang neben einander fort. – An keine Vereinigung war zu denken.«
Und Schiller schrieb an seinen Freund Körner in dieser frühesten Zeit seiner Bekanntschaft mit Goethe: »Endlich kann ich dir von Goethe erzählen. – Ich zweifle, ob wir einander je nahe rücken werden. Vieles, was mir jetzt noch interessant ist, hat seine Epoche bei ihm durchlebt. Er ist mir, an Jahren weniger als an Lebenserfahrungen und Selbstentwickelung so weit voraus, daß wir unterwegs nie mehr zusammentreffen werden. – Seine Welt ist nicht die meine, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden.« Und ferner: »Oesters um Goethe zu sein, würde mich unglücklich machen; – ich glaube in der That, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade. – Er macht seine Existenz wohlthätig kund, aber nur wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben. – Eine ganz sonderbare Mischung von Haß und Liebe ist es, die er in mir erweckt hat.« Und endlich: »Dieser Mensch, dieser Goethe, ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so oft, daß das Schicksal mich hart behandelt hat. Wie leicht ward sein Genie von seinem Schicksal getragen, und wie muß ich bis auf diese Minute noch kämpfen!«
Das war der Eindruck, den die beiden größten Geister der Nation und der ganzen neueren Zeit zuerst von einander empfingen und durch den sie, anscheinend für immer, von einander fern gehalten wurden. In den Jugenddramen Schillers brauste Goethe noch einmal der alte Sturm und Drang in ungestümer, aller Schranken spottender Genialität entgegen, den er selber längst überwunden hatte und auf dessen Ausgeburten er mit voller Ueberlegenheit, ja mit Mißachtung hinabschaute. Und diese Ausgeburten wurden wiederum von Deutschland angestaunt, und seine eigenen neuen höheren Schöpfungen fanden nur den mäßigsten Beifall! – Während dessen sah Schiller aber nur den »Götterliebling« vor sich, dessen Leben von jeher auf den sonnigsten Bahnen des Glücks schattenlos zu verfließen schien; und er selber hatte nicht nur von Jugend auf mit der Noth und dem Drucke des Daseins zu kämpfen gehabt, sondern mußte auch jetzt noch, wo sein Ruhm schon jeden anderen zu übergipfeln begann, mühselig genug mit diesem Dasein und um dasselbe ringen! – Und trotz alledem wurde von den beiden grundverschiedenen, nur in der Kunst und ihren höchsten Zielen einigen Männern nach sechs Jahren jener Freundschaftsbund geschlossen, der in der Geschichte der Literatur einzig dasteht und selbst in derjenigen der Menschheit überhaupt kaum seines Gleichen hat. Ihn konnte selbst der Tod nicht lösen, denn der Ueberlebende blieb dem Geschiedenen mit höchster Treue und Liebe zu eigen bis an seine letzte Stunde.
Aber mit gleicher Treue und Liebe ist auch die Nation ihrem von früh auf vielgeliebten Dichter ergeben geblieben bis auf den heutigen Tag. Wie jener Freundschaftsbund, so ist auch diese Liebe des deutschen Volkes eine einzige Erscheinung. Wohin wir anderwärts sehen, finden wir im gleichen Falle wohl die höchste Bewunderung und Verehrung, die in ungeschwächter Kraft jahrhundertelang einem großen Dichter in allen gebildeten Kreisen seiner Nation gewidmet werden, und den Stolz aus ihn, den man den Seinen nennen darf. Allein über diese Bewunderung und Verehrung und diesen Stolz hinaus geht, was Deutschland seinem Schiller widmet. Er ist unser nationalster Dichter und unser vertrautester gewesen und geblieben, und wir glauben nicht, daß wo es überhaupt in einer deutschen Familie eine kleine Büchersammlung gibt, Schillers Werke darin fehlen. Und das ist um so wunderbarer, als Friedrich Schiller selber von seiner Nation als solcher weder etwas wußte, noch hoffte, und vom deutschen Publikum so gering dachte, wie irgend möglich. –
Johann Christoph Friedrich Schiller Von den zahlreichen Biographien des großen Dichters erwähnen wir hier nur der ausführlichen Schrift E. Palleske's, »Schillers Leben und Werke«, welche 1872 schon in 5. Auflage erschienen ist. wurde am Martinstage den 11. November 1759 in der kleinen württembergischen Stadt Marbach geboren, wo seine Mutter während der Abwesenheit des im Militärdienst stehenden Gatten bei ihren Eltern lebte. Sein Vater – er hieß wie derjenige Goethe's Johann Caspar, war Chirurg und hatte als Feldscheer den österreichischen Erbfolgekrieg in einem bairischen Husarenregiment mitgefochten, nahm nach dem Aachener Frieden seine Profession wieder auf und heirathete im Jahre 1749 Elisabeth Dorothea Kodweis, die Tochter des Löwenwirths in Marbach. Der Ertrag seines Handwerks war jedoch so gering, daß er beim Ausbruch des siebenjährigen Krieges Soldat wurde und als Fähnrich und Regimentsadjutant mit ins Feld zog. Zwei Jahre darauf, als sein großer Sohn geboren wurde, war er zum Lieutenant avancirt, und nach dem Abschluß des Hubertsburger Friedens finden wir ihn als Hauptmann in Ludwigsburg endlich wieder mit seiner Familie vereint. – Dieser Vater war ein Mann von großer Klugheit, Gewandtheit und Umsicht, von Kraft und rastloser Thätigkeit, ordnungsliebend und streng, aber auch gerecht und voll Unparteilichkeit, – mit einem Wort, ein tüchtiger, braver und rechter Mann. Und ebenso war die Mutter, die auf den Sohn ihre schlanke, hohe Statur und die Gesichtsbildung vererbte und während seiner ersten vier Lebensjahre ihn fast allein erzog, eine rechte Frau, von unbeschränkter Herzensgüte und ächter Weiblichkeit, voll Milde, Sanftmuth und Empfindung – alles Eigenschaften, welche den Mangel einer höheren Bildung im vollsten Maße ersetzten.
Zwei Jahre später kam der Hauptmann Schiller als Werbeoffizier mit den Seinen nach Lorch, und hier erhielt der Sohn den ersten Unterricht, der vom Jahre 1768 ab wieder zu Ludwigsburg in der Lateinschule fortgesetzt wurde. Hier wohnte er zum erstenmale Theatervorstellungen, und gleich recht glänzenden, bei und wurde durch sie so erregt, daß er sich schon mit Plänen zu Trauerspielen getragen haben soll. Auch entstand bereits um das Jahr 1770 sein erstes deutsches Gedicht. Inzwischen wurde der Vater als Oberaufseher aller Gartenanlagen und Baumpflanzungen bei dem Lustschloß Solitude hieher versetzt und bald daraus erhielt der Sohn eine Freistelle in der militärisch zugeschnittenen Lehr- und Erziehungsanstalt, welche Herzog Karl auf der Solitude gegründet hatte. Die militärische Einrichtung und Zucht drückten den Körper und Geist des Knaben, und seine wissenschaftlichen Fortschritte waren äußerst gering; wurde er doch des Griechischen z. B. nie so weit mächtig, daß er die Werke der alten Autoren anders als in Uebersetzungen hätte lesen können. 1775 wurde die Erziehungsanstalt nach Stuttgart verlegt und zur »hohen Karlsschule« erhoben. Schiller, der ihr auch jetzt angehörte, entschloß sich, bei der von jedem Zögling verlangten Berufswahl, zum Studium der Medizin.
Die Werke der deutschen Dichter, welche den Karlsschülern auf das strengste verboten waren, wurden von Schiller und seinen Freunden heimlich desto eifriger studirt, und Klopstock, Bürger, Uz, Schubart, Gerstenbergs »Ugolino«, »Julius von Tarent« von Leisewitz, die Stücke Klingers und endlich und vor allem Goethe, vorzüglich mit seinem »Götz,« enthusiasmirten die jungen Köpfe. Und um den Eindruck noch zu vertiefen und den Dichter noch entschiedener von der Lyrik zur Dramatik hinüberzuziehen, gelangte nun auch die Wieland'sche Uebersetzung der Shakespeare'schen Dramen in seine Hände. – Unter solchen Anregungen entstanden seine ersten dramatischen Versuche: »Der Student von Nassau« und »Kosmus von Medicis«, die jedoch beide alsbald wieder vernichtet wurden. Vom Jahre 1778 an beschäftigte er sich aber mit den »Räubern« und ließ dieselben 1781 auf seine eigenen Kosten drucken, – jenes Stück, in welchem er, voll von den gährenden und treibenden Ideen der Sturm- und Drangzeit, und eingezwängt in die starrsten und drückendsten Verhältnisse, sich knirschend aufbäumt gegen den Zwang und die ganze Kraft des Geistes wild sich ausschäumen und sein »Herz in eine Ideenwelt hinausschweifen« läßt. »Aber unbekannt mit der wirklichen,« sagt er selber schon ein paar Jahre später davon, »unbekannt mit den Menschen; unbekannt mit den Neigungen freier, sich selbst überlassener Wesen; unbekannt mit dem schönen Geschlecht; unbekannt mit Menschen und Menschenschicksal – mußte mein Pinsel nothwendigerweise die mittlere Linie zwischen Engel und Teufel verfehlen. – Wenn von allen unzähligen Klagschriften gegen die Räuber eine einzige mich trifft, so ist es diese, daß ich zwei Jahre vorher mir anmaßte, Menschen zu schildern, ehe mir noch einer begegnete.«
Das Stück machte alsbald das größte Aufsehen, und der uns schon bekannt gewordene Intendant des Mannheimer Theaters, Freiherr Wolfgang Heribert von Dalberg, forderte den Dichter zu einer Umarbeitung für die Bühne auf. Zu der Aufführung reiste Schiller, der inzwischen die Karlsschule absolvirt hatte und in Stuttgart als Regimentsmedicus angestellt war, heimlich nach Mannheim. Der Erfolg war ein glänzender und regte die Productionskraft des jungen Dichters ungemein an. Gegen Ende des Jahres 1781 war bereits, anonym gleich den »Räubern«, ein Musenalmanach, »Anthologie für das Jahr 1782«, erschienen, der meistens nur seine eigenen, später völlig veränderten oder ganz verworfenen Jugendgedichte nebst wenigen Beiträge seiner Freunde enthielt. Nun begann er den Plan zur »Verschwörung des Fiesko« zu entwerfen und ein »Württembergisches Repertorium der Literatur« herauszugeben, in welchem er, wiederum anonym, die »Räuber« selbst kritisirte.
Seine Lage ward jedoch unerträglicher von Tag zu Tag, alle Verhältnisse gestalteten sich immer mißlicher. »Die Räuber« hatten freilich ein außerordentliches Aufsehen gemacht, aber auch Veranlassung zu Verdruß und Aergerniß gegeben. Herzog Karl verbot dem Dichter, andere als medicinische Schriften drucken zu lassen und mit dem »Auslande« zu verkehren. Eine zweite heimliche Reise nach Mannheim wurde entdeckt und mit vierzehntägigem Arrest bestraft. Da unterlag auch der Rest des Vertrauens auf allmälige Aenderung und Besserung, und im September 1782 entfloh er in Begleitung des ihm befreundeten jungen Musikus Streicher nach Mannheim.
Es folgten Jahre voll Trübsal, voll des mühseligsten Ringens, voll sich häufender Verlegenheiten und nackter Noth, voll Enttäuschungen und Irrungen, voll Gefahren aller Art, wie nur wenige Menschen sie jemals zu bestehen haben und noch weniger sie ungeschädigt an Leib und Seele zu bestehen vermögen. In Mannheim nicht grade freundlich aufgenommen, ging er nach Frankfurt weiter, siedelte sich aber bald in dem benachbarten Oggersheim an, vollendete rasch »Die Verschwörung des Fiesko« und begann das »bürgerliche Trauerspiel« – »Louise Millerin«, das erst später von Iffland den jetzigen Titel »Kabale und Liebe« erhielt. Als Dalberg den »Fiesko«, welcher den Mannheimern zu schwach erschien, achselzuckend zurückwies und dem Armen jede Unterstützung – hauptsächlich wohl aus Angst vor dem Zorn des Herzogs Karl – versagte, verkaufte Schiller das Stück um ein Spottgeld an den Mannheimer Buchhändler Schwan, der es 1783 erscheinen ließ. Und da der Dichter sich zu Oggersheim vor seinem Landesherrn nicht mehr sicher hielt, so zog er sich im November 1782 nach dem Wolzogen'schen Gute Bauerbach bei Meiningen zurück – ein junger Wolzogen war sein Mitschüler gewesen. Da lebte er den Winter über in tiefster Einsamkeit, vollendete die »Louise Millerin«, die erst 1784 als »Kabale und Liebe« gedruckt wurde, und begann seinen »Don Carlos«. Im Sommer 1783 berief ihn der jetzt weniger ängstliche Dalberg nach Mannheim als Theaterdichter zurück. Seine Stücke wurden aufgeführt und, zumal »Kabale und Liebe«, mit Enthusiasmus aufgenommen.
Zur Charakterisirung dieser drei Jugendstücke haben wir wenig hinzuzufügen. In den »Räubern« stehen wir auf völlig erdichtetem Boden und begegnen nur Gestalten der ausschweifenden Phantasie. Trotzdem trägt das Stück eine gewisse Wahrheit in sich, die uns noch heute ergreift und mit fortreißt, und dieser Eindruck wird durch die Lebhaftigkeit der Handlung, durch die unleugbare Fülle der Empfindung und durch die zwar übertriebene, aber gewaltige Sprache noch um vieles erhöht. – Im »Fiesko«, dem republikanischen, politischen Trauerspiel, finden wir allerdings historische, gewissermaßen greifbare Gestalten und Charaktere. Allein grade dies Stück zeigt es am deutlichsten, wie vollständig es dem jungen Dichter noch an historischer Bildung und Lebenserfahrung fehlt: es treten uns Nebelbilder oder Karikaturen entgegen und die Sprache ist nicht selten bis zur vollen Unnatur gesteigert. So ist es wohl erklärlich, daß das Publikum den »Fiesko« verhältnißmäßig kalt ausnahm und daß selbst die Freunde Schillers in dem Stücke, trotz des sogenannten festeren Kerns, eher nur einen Rückschritt finden zu müssen glaubten. – »Kabale und Liebe« tritt entschiedener als die beiden ersten Arbeiten in das wirkliche Leben ein; es ist die Gegenüberstellung der in Liederlichkeit und Despotismus schwelgenden, französirten Hofwelt und der mißhandelten und verachteten, verzweifelnden Mittelstände. Aber auch hier rächt sich die Unerfahrenheit des Dichters und wir stoßen überall wieder auf die grassesten und unnatürlichsten Gegensätze, eine unmögliche Nichtswürdigkeit und eine nicht weniger unmögliche, edle Hochsinnigkeit – alles zusammengenommen eine Karikatur der unerquicklichsten, ja abstoßendsten Art. Allein trotz aller solcher und anderer zahlreicher Fehler, trotz aller Unklarheit und Formlosigkeit, trotz aller Unnatur, Uebertreibung und Grellheit, standen diese Stücke doch schon fast allen übrigen dramatischen Producten der Sturm- und Drangzeit selbst durch die Anlage und Ausführung weit voran und überragten dieselben noch mehr durch die »Genialität des Gedankengehalts, durch die Größe der Gesinnung und die erschütternde Wirkung auf das gesammte deutsche Publikum«.
Inzwischen arbeitete er am »Don Carlos« fort, dessen erste drei Acte in der anfänglichen, prosaischen Bearbeitung noch ganz und gar der wilden und formlosen Sturm- und Drangzeit des Dichters angehörten, und begann sie in der von ihm eben gegründeten, hauptsächlich dem Schauspiel und Theater gewidmeten Zeitschrift, der »Rheinischen Thalia«, allmälig zu veröffentlichen. Seine Lage besserte sich indessen nicht, sondern wurde eher noch drückender. Die Schulden mehrten sich, Dalberg zeigte sich kaltsinnig und unzuverlässig; die Schauspieler wurden ihm wegen seiner Urtheile über das Theater feind; und wenn es auch an kleinen Glücksfällen nicht ganz fehlte – die »kurpfälzische deutsche Gesellschaft« nahm ihn als Mitglied auf, und Karl August, « dem er zu Darmstadt am Hofe den ersten Act des »Don Carlos« vorlesen durfte, verlieh ihm den freilich sehr unfruchtbaren Weimar'schen Rathstitel –, so wurden auch diese wieder durch allerhand andere Mißlichkeiten paralysirt. Der heißblütige, unerfahrene junge Mann gerieth von einer eingebildeten und unglücklichen Neigung in die andere und endlich, grade zu dieser Zeit, in eine Verbindung der leidenschaftlichsten Art. Seit dem Sommer 1784 weilte Charlotte von Kalb in Mannheim, da die französische militärische Etikette ihr den Aufenthalt bei ihrem in Landau stehenden Gatten nicht gestattete. Diese Frau, eine geborene Marschalk von Ostheimb, ist gewissermaßen ein Musterbild der damaligen vornehmen, von den Zeitideen erfüllten und fortgerissenen Gesellschaft. Ungewöhnlich begabt, voll Esprit, ja Geist, voll Excentricität im Fühlen, Denken, Handeln und Reden und endlich von den freieren Grundsätzen ihrer Zeit, war sie ganz dazu angethan, nicht bloß den jugendlichen Schiller so gut, wie später den schwärmerischen reizbaren Jean Paul fortzureißen, sondern selbst auf ernstere Männer einen vorübergehenden freilich, aber für den Augenblick bestrickenden Eindruck zu machen.
Alle diese und ähnliche Verhältnisse verwirrten Schiller, verleideten ihm Mannheim und trieben ihn in die Ferne, wo sich wahre Freunde und ein ruhigerer Hafen für ihn finden zu wollen schienen. Christian Gottfried Körner hatte im Juni 1784 voll schwärmender Anerkennung von Leipzig aus an ihn geschrieben, ihm kleine Geschenke und die Portraits seiner selbst, seiner Braut Minna und ihrer Schwester Dora Stock und des uns schon bekannt gewordenen C. F. Huber geschickt. Darauf hatte Schiller spät geantwortet und gedankt, auch seiner üblen Lage gedacht, wo Körner ihn dann einlud, es bei ihnen in Sachsen zu versuchen. Dieser Einladung folgte er gegen Ende März 1785, und es begann jener Freundschaftsbund mit Körner – das Verhältniß mit Huber löste sich bekanntlich durch dessen Schuld bald –, der nie gelockert wurde und für Schiller in jeder Richtung von den allersegensreichsten Folgen war. Die anmuthige, wohlgeordnete Häuslichkeit des Freundes, sein nüchtern klares, immer ehrliches und offenes, grundbraves und tüchtiges Wesen, seine gründliche Bildung, seine Liebe und Treue, seine thätige Hülfe endlich, – das alles kam dem sich langsam herausarbeitenden Schiller, zumal jetzt nach all den Wirren, Irrungen und Quälereien der Mannheimer Zeit unausgesetzt und auf das uneigennützigste zu Gute und ließ ihn langsam Fuß fassen im geordneten Leben und nicht unterliegen bei dem schweren Kampf, der ihm noch bevorstand.
Denn von einem leichten Leben war auch jetzt noch immer für ihn keine Rede. Zuerst in Leipzig und dem nahen Gohlis hausend, folgte er im September dem in Dresden angestellten Freunde hieher und weilte bis in den Sommer 1787, bald in Dresden selber, bald auf Körners Weinberge zu Loschwitz, unermüdlich und auf das angestrengteste arbeitend. Während dieser Zeit wurde vor allem der »Don Carlos« vollendet, die drei früheren Akte, welche ursprünglich noch ganz und gar der Sturm- und Drangzeit angehörten, überarbeitet und mit den beiden jetzt geschriebenen letzten nach Kräften in Einklang zu bringen versucht. Das ist dem Dichter allerdings kaum recht gelungen und die Ebenmäßigkeit fehlt dem Stücke auch heute noch. Das ursprünglich beabsichtigte Familiengemälde mit der Zerrüttung im eigenen Hause, mit der Opposition des Sohnes gegen die Tyrannei des Vaters, ist auch heute noch nicht genug verwischt, um nicht überraschend von Posa, seinem Weltbürgerthum, seiner Begeisterung für Völkerfreiheit und seinen republikanischen Träumereien abzustechen, welches alles durch den, anfänglich für Carlos, später für Posa begeisterten Dichter erst später in das Stück hineingearbeitet wurde. Dadurch mußte diese Schöpfung nothwendig auf das empfindlichste geschädigt werden. Die Exposition wurde durch die Bearbeitung und Abkürzung nicht bloß übermäßig zusammengedrängt, sondern auch unklar, die Handlung überstürzt sich und ermangelt nicht selten der genügenden Motivirung, die Charaktere erscheinen häufig unsicher, ja voll innerer Widersprüche. Dazu geht das Stück auch jetzt noch über alles Bühnenmaß hinaus und eignet sich bei weitem mehr zur Lectüre als zur Darstellung. Aber die glanzvolle, nur hin und wieder allzusehr gesteigerte Sprache und der hinreißende Vortrag dieser Freiheits- und Völkerbeglückungsideen, das Weltbürgerthum und die Freundschaftsschwärmerei, ließen den »Don Carlos« zumal der Jugend ans Herz wachsen und verbreiteten des Dichters Ruf auch im Auslande: der französische Convent schickte dem Monsieur »Gilles« den französischen Bürgerbrief. Literarhistorisch ist der »Don Carlos« auch um dessentwillen von Bedeutung, weil Schiller nach Lessings Vorgang im Nathan hier zuerst den fünffüßigen Jambus wählte und damit diese Form als die herrschende in der Tragödie einführte.
Außerdem gehören dieser Zeit, neben den später noch zu erwähnenden Gedichten, das Bruchstück eines Drama's, »Der Menschenfeind«, die Erzählung »Der Verbrecher aus verlorener Ehre«, der Anfang des unvollendet gebliebenen Romans »Der Geisterseher«, und die »philosophischen Briefe« an. Auch die beiden erzählenden Stücke zeichnen sich in der damaligen Literatur vortheilhaft aus und fanden viel Beifall, ohne jedoch, künstlerisch angeschaut, den Ruhm des Dichters eigentlich zu erhöhen: zum Erzähler fehlte Schiller die Leichtigkeit, Ungezwungenheit und Natürlichkeit der Composition so gut wie der Ausführung und Darstellung, wie nicht minder der ungezwungene und behagliche Fluß der einfachen Sprache.
Nunmehr tritt eine Pause der poetischen Production ein. Vom Juli 1787 an weilte Schiller in Weimar und widmete sich vorwiegend historischen Studien und, wie früher in Mannheim, den französischen Tragikern, jetzt auf des ihm freundlich entgegenkommenden Wieland Treiben der Lecture der griechischen Dichter, die er übrigens nur in Uebersetzungen las. Daraus ergaben sich eine – nach der lateinischen Version gearbeitete – Uebersetzung der »Iphigenia in Aulis« und einzelner Scenen aus »den Phönizierinnen« des Euripides, – und einzelne Gedichte, wie die hinreißend schönen, viel angefeindeten »Götter Griechenlands« und »Die Künstler«.
Als Ergebnisse seiner historischen Studien führen wir die beiden größeren Werke, »Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung«, und die erst in Jena geschriebene »Geschichte des dreißigjährigen Krieges« an. Daneben entstanden noch einzelne kleine historische Stücke, erschien ein Band »Geschichte der merkwürdigsten Rebellionen und Verschwörungen«, und gab er eine »Sammlung historischer Memoires vom 12. Jahrhundert bis auf die neuesten Zeiten« heraus, die er indessen bald seinen Mitarbeitern weiterzuführen überließ. Diese seine historischen Schriften fanden den unbegrenztesten Beifall, und. wenn sie denselben auch als wirkliche Geschichtswerke nicht verdienten, so rechtfertigten sie ihn desto mehr als die ersten Beispiele einer freieren Auffassung und Behandlung des historischen Stoffs und durch eine glänzende, nicht selten von fast dramatischem Leben erfüllte, freilich aber auch hin und wieder sich zum Pathetischen steigernde Darstellung.
Inzwischen hatte er, bei einem Besuch seiner, an den Meiningischen Bibliothekar Reinwald verheiratheten Schwester Christophine in Meiningen die schon in Mannheim angeknüpfte Bekanntschaft mit der Frau von Lengefeld und ihren beiden Töchtern Caroline (Frau von Beulwitz, später von Wolzogen) und Charlotte erneuert und fühlte sich durch die letztere so angezogen, daß er bald an eine Verbindung mit ihr dachte. Im Sommer 1788 lebte er in ihrer Nähe und in regem Verkehr mit der Familie auf dem Dorfe Volkstädt, und in diese Zeit fällt seine erste Begegnung mit Goethe, die beiden Männern, wie wir oben gehört haben, einen so wenig günstigen Eindruck hinterließ. Trotz dieser Abneigung vermittelte Goethe, da das Verhältniß zu Lotte Lengefeld ein immer innigeres wurde und der arme Dichter sich nach einer festen Stellung sehnte, 1789 seine Anstellung als außerordentlicher Professor – fürs erste ohne Gehalt! – in Jena. Seine Vorlesungen eröffnete er unter dem außerordentlichsten Beifall, und als ihm der Herzog ein Jahrgehalt von 200 Thalern bewilligt hatte, führte er zu Anfang des Jahres 1790 (22. Februar) die Geliebte heim. Er lebte sehr glücklich und meinte, nun habe alle Noth ein Ende.
Schon in den letzten Tagen dieses Jahrs bekam er auf einer Reise zu Erfurt einen sehr heftigen Krankheitsanfall, der sich nach der Rückkehr in Jena so schwer wiederholte, daß man das Schlimmste fürchtete. Und wenn auch dieser überwunden wurde und Schiller wieder genas, so war doch von einer völligen Wiederherstellung nie mehr die Rede: mit Schillers Gesundheit war es auf immer vorüber, und nicht nur, daß der Arme seine Vorlesungen nicht wieder aufnehmen konnte, nein er konnte auch nicht mehr recht arbeiten und verdienen, wie es der junge Hausstand verlangte. Es drohten die sorgenvollsten Zeiten. Da kam Hülfe aus dem fernen Dänemark. Der Dichter Jens Baggesen (1764-1826) hatte Schiller auf einer Reise kennen gelernt. Es drangen jetzt Gerüchte vom Tode des Armen zu ihm, und er veranstaltete mit zwei anderen Verehrern, dem Herzog Christian Friedrich von Holstein-Augustenburg und dem Minister Grafen von Schimmelmann und ihren Gattinnen eine Art von Todtenfeier. Als dann die Nachricht von seinem Leben anlangte, man aber auch von seinen drückenden Verhältnissen erfuhr, setzten ihm der Herzog und der Graf für drei Jahre ein Jahrgehalt von 1000 Thalern aus, damit er sich in Muße erholen könne.
Nun hatte er Zeit zu sammeln, zu lernen und sich weiterzubilden und warf sich, nachdem er die »Geschichte des dreißigjährigen Krieges« beendet hatte, mit voller Kraft auf das Studium der Philosophie und besonders Kants. Diese Richtung war für ihn allerdings keine neue. Seiner »philosophischen Briefe« haben wir schon erwähnt und in Jena hatte er neben seinen historischen auch Vorlesungen über Aesthetik gehalten. Nach der schweren Krankheit aber warf er sich ganz auf diese Studien und schrieb kleine, noch jetzt bemerkenswerthe Abhandlungen, »Ueber den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen«, »Ueber die tragische Kunst«, »Ueber Anmuth und Würde«, »Ueber das Pathetische« u. s. w.
Dagegen feierte die Poesie so gut wie ganz. Er übersetzte nur, in einer Art von Wettstreit mit Bürger, der ihn 1789 in Jena besucht hatte, zwei Bücher von Virgils Aeneis in Ottaverime, und trug sich mehrfach mit dem Plane zu einem großen epischen Gedicht, zu dessen Helden er bald Friedrich den Großen, bald Gustav Adolf, bald Wallenstein wählen wollte, das jedoch bekanntlich nie auch nur begonnen wurde. Endlich beredete er, da er bei einem längeren Aufenthalt in Schwaben (1793-1794) den Tübinger Buchhändler Johann Georg Cotta kennen gelernt hatte, mit diesem den, gleichfalls schon länger gehegten Plan einer neuen großen Zeitschrift, an der sich die besten Köpfe Deutschlands betheiligen sollten. Das sind »Die Horen«, welche vom ersten Januar 1795 an erschienen, gewidmet »der schönen Welt zum Unterricht und zur Bildung, und der gelehrten zu einer freien Forschung der Wahrheit und zu einem fruchtbaren Umtausch der Ideen«.
Am 13. Juni 1794 lud Schiller Goethe zur Mitarbeiterschaft ein und schickte ihm den vom gleichen Tage datirten Prospect der »Horen«, – und am 24. Juni sprach Goethe in seiner Antwort seine Bereitwilligkeit aus: »er werde mit Freuden und mit ganzem Herzen von der Gesellschaft sein«. Und als nun Beide einander bald auch persönlich begegneten, ward der Bund unzerreißbar geschlossen. »Schillers Anziehungskraft war groß,« sagt Goethe, »er hielt alle fest, die sich ihm näherten«.
Als Goethe aus Italien zurückkam, wurde ihm nach seinem Wunsch die Last der eigentlichen Staatsgeschäfte abgenommen – er war fortan mehr nur der Freund und Beirath seines Fürsten. Bloß die Leitung der Bergbaucommission und die Aufsicht über alle, der Kunst und Wissenschaft gewidmeten Anstalten, sowie des Theaters, blieb ihm übertragen, und er erlangte eine verhältnißmäßige Freiheit damit, wie er sie daheim kaum jemals genossen hatte und wie sie ein erneutes, frohes dichterisches Schaffen nur begünstigen zu können schien. Davon zeigte sich indessen einstweilen nichts. Der Abstand zwischen dem, was er draußen genossen hatte und verlassen mußte, und dem, was er daheim wieder fand, war allzu groß, als daß er sich bald aus der Weite in die Enge, vom Großen zum Kleinen hätte zurückgewöhnen und zu einem gewissen Ausgleich zwischen der leidenschaftlichen Liebe zur Fremde und zur antiken Welt und der fast feindseligen Stimmung gegen die Heimat und ihr modernes Leben und Streben hätte gelangen können. Wie man ihn äußerlich ernst, steif und kalt fand, so schien es auch in seinem Innern auszusehen: es war, als habe mit dem Abschluß des »Tasso« die Poesie von ihm Abschied genommen. Selbst den »Faust« vollendete er nicht mehr, sondern gab ihn, wie wir wissen, als Fragment.
Es gesellten sich freilich grade in den nächsten Jahren zahlreiche äußere und innere Störungen und Zerstreuungen hinzu. Schon im Juli 1788, wenige Wochen nach seiner Rückkehr, schloß er seine Verbindung, – oder, wie man es wohl richtiger heißen muß, Gewissensehe mit Christiane Vulpius (geb. 1764, gestorben 1816), der Mutter seines Sohnes August, die er stets, wie er selber sagt, für seine rechte Frau angesehen und als solche gehalten hat, wenn er auch erst im October 1806 sich mit ihr trauen ließ. Diese Verbindung zerriß das ohnehin schon gelockerte Band zwischen ihm und Frau von Stein vollständig und erregte, wenn auch nicht bei einzelnen Vorurtheilsfreien, wie z. B. dem Herzog selber, Herder, Knebel und Anderen, doch in der großen Weimar'schen Gesellschaft gewaltigen Anstoß und machte Goethe's Stellung zu einer ziemlich unbehaglichen. – Im Frühling 1790 wurde er der von ihrer italienischen Reise zurückkehrenden Herzogin Amalia nach Venedig entgegengesendet und hatte, wieder daheim anlangend, dem Herzog, welcher in Schlesien bei der preußischen Armee war, nachzureisen. Im Jahre 1792 endlich folgte er seinem Fürsten wiederum zur sogenannten Campagne in Frankreich und hatte die ganze Misere dieses Feldzugs und des bösen Rückzugs mitzubestehen. Dafür bot allerdings die Rückreise rheinaufwärts und durch Westfalen Ersatz: zu Pempelfort verlebte er mit F. H. Jacobi gute Tage und stellte nun erst das gestörte Verhältnis zu dem alten Freunde wieder her; und zu Münster erneuerte er die Bekanntschaft mit der Fürstin Galizin und ihrem Kreise und genoß auch hier, unter den seltsamen, aber doch auch hoch interessanten Menschen, genußvolle Stunden und lebhafte Anregung. Aber im December zurückkehrend hatte er schon im nächsten April zur Belagerung von Mainz wiederum den Fürsten zu begleiten. Und erst, als auch dies überstanden war und Karl August den preußischen Militärdienst verlassen hatte, trat verhältnißmäßige Ruhe ein.
Unter solchen Umständen darf es uns wohl Wunder nehmen, daß noch überhaupt so viel entstand, wie es während dieser Zeit trotzdem der Fall war. Von dem inneren, wirklich poetischen Werth, geschweige denn von einer der Größe Goethe's würdigen Höhe, ist da freilich noch weniger zu reden. Was in diesen Jahren auf dichterischem Gebiete neu entstand und unternommen wurde, ist entweder nicht vollendet worden, oder als ein Fehlgriff zu betrachten. Davon sind nebst wenigen Liedern (unter ihnen vor allen das reizende »Ich ging im Walde so für mich hin«) die »Venetianischen Epigramme«, etwa jene Schilderung des »Römischen Carnevals«, vor allem aber die »Römischen Elegien« auszunehmen, jene Dichtungen, welche ihre Entstehung der Verbindung mit Christianen verdankend, von großer, für Viele abstoßender Sinnlichkeit, durch innige Vermählung des antiken und modernen Geistes und künstlerische Vollendung einen höchsten Platz in unserer gesammten neueren Poesie beanspruchen dürfen.
»Der Groß-Cophta«, ursprünglich zu einer Oper angelegt, ist durch die Häufung des Abenteuerlichen und Mysteriösen ein nicht nur schwaches, sondern geradezu widerwärtiges, diesen Eindruck kaum durch den einen oder anderen Zug versöhnendes Stück. »Der Bürgergeneral« und das Fragment »Die Aufgeregten«, suchten die gewaltige Wirkung der großen französischen Revolution durch eine nichts weniger als angenehme, possenhafte, ja frivole Behandlung abzuschwächen und zu verspotten. – Die »Unterhaltungen der Ausgewanderten« mögen ernster sein, leiden jedoch an einer bis zur Langweiligkeit sich steigernden Breite und Leblosigkeit. In dem Romanfragment »Die Reisen der Söhne Megaprazons«, verräth sich bereits die Lust zu symbolisiren und allegorisiren, welche die Alterswerke beeinträchtigte. Und endlich die Bearbeitung des »Reineke Fuchs«, welche Goethe, wie er selbst gesteht, nicht am wenigsten versuchte, weil er sich im deutschen Hexameter üben wollte, muß uns schon um dieser, dem urdeutschen Stoff und Gedicht aufgezwängten, völlig widerstrebenden Form willen als ein vollständiger Mißgriff erscheinen.
So schien die poetische Ader völlig bei ihm »aufzutrocknen«, und da wir seiner eifrigsten Arbeiten, der naturwissenschaftlichen und seiner hieher gehörigen Schriften, des »Versuchs die Metamorphose der Pflanzen zu erklären« und der »Beiträge zur Optik«, hier nur eben zu erwähnen haben, so würden wir aus dieser Zeit überhaupt nichts Tröstliches melden können, müßten wir nicht anführen, daß im Jahre 1794 die neue endgültige Bearbeitung des »Wilhelm Meister« ernstlich fortrückte und schon zum Druck befördert wurde. Und so war denn der Schein nicht Wahrheit. Es ruhte bei dem Dichter alles nur wie in einer Art von Winterschlaf, bis es ihm wieder warm im Leben wurde. Mit der Verbindung mit Schiller hob ein »neuer Frühling« für Goethe an, »in welchem alles froh neben einander keimte und aus aufgeschlossenen Samen und Zweigen hervorging«.
Schillers Sache war es nicht, an der Außenseite zu haften und sich mit Aeußerlichkeiten zu begnügen. Jetzt da das Wort gefallen und die Anknüpfung erfolgt war, faßte er den neuen Freund sogleich in seinem Kern. Schon am 23. August schrieb er an Goethe jenen wunderbaren Brief, in welchem er es ausspricht, daß er schon längst, ob auch aus der Ferne den Gang des Goethe'schen Geistes beobachtet habe, mit freundschaftlicher Hand, wie Goethe's Antwort dankend anerkennt, »die Summe seiner Existenz zieht« und ihn durch solche Theilnahme zum lebhafteren Gebrauch seiner Kräfte aufmuntert. Wie scharf und wie dauernd seine Beobachtungen gewesen und wie gründlich und mit welchem Erfolg er Goethe's Weg verfolgt hatte, bezeugen die späteren Briefe, in denen er sich über die eben erscheinenden »Wilhelm Meisters Lehrjahre« ausführlich und eingehend ausspricht. Wir finden in ihnen das Beste, was über diesen Roman bis auf den heutigen Tag geschrieben worden ist und überhaupt zu sagen sein dürfte, ob es auch in unserem Sinne hin und wieder fast allzu günstig erscheinen mag.
Denn was und wie viel Schiller auch im Einzelnen und Ganzen an dieser »inkalkulablen Production«, zu der Goethe selber später »der Schlüssel« fehlte, auszusetzen und zu erinnern haben mag, für uns, die wir uns nur an das Gegebene halten und nichts hineindemonstriren, noch herausgrübeln wollen, reicht es nicht aus. Das »reiche und mannigfaltige Leben, das an unseren Augen vorübergeht«, ist freilich, wie Goethe selber meint, »auch ohne ausgesprochene Tendenz etwas«. Es ist sogar viel! Was der Roman davon enthält, bleibt von unvergänglichem Reiz und, abgesehen von allen übrigen, fast durchweg meisterhaft gezeichneten Gestalten, wird Mignons phantastische Erscheinung, trotz all dieser Phantasterei, stets eine der lieblichsten und zauberhaftesten bleiben, welche Geist und Herz eines Dichters jemals heraufbeschworen haben. Allein es ist eben nicht alles »reiches und mannigfaltiges Leben« in dem Werk. Im Gegentheil! Diese Verherrlichung der Schauspielkunst, mit allem, was sich daran schließt; dieser zu einer in Wirklichkeit gar nicht vorhandenen Bedeutung erhobene Geheimbund, diese Erziehungstheorie, welche in den letzten Büchern uns vorgetragen wird, – sie alle drängen anspruchsvoll sich hervor und auf uns ein und beeinträchtigen den Eindruck jener lebensvollen Partien dermaßen, daß der Reiz des Einzelnen nicht mehr zur Wirkung zu gelangen vermag und das Ganze uns fast nur noch als veraltet erscheinen kann.
Dagegen sind grade die hieher gehörenden Briefe Schillers von bleibendem Werth und hoher Bedeutung, und zwar nicht bloß durch das sich in ihnen allerwärts offenbarende tiefe und liebevolle Verständniß Goethe's und seines Werkes, das, um es zu wiederholen, niemals einsichtsvoller erfaßt und beurtheilt worden ist, sondern auch durch die Offenbarung des Schiller'schen Geistes selber, seiner wunderbaren Entwickelung und der Höhe, zu der er sich bereits aufgeschwungen hatte. Hier nicht minder als in den beiden Abhandlungen, welche er in den »Horen« veröffentlichte, »Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen«, und »Ueber naive und sentimentalische Dichtung«, zeigte es sich, wie förderlich ihm jene, so häufig bekopfschüttelten philosophischen Studien und die fleißige Beschäftigung mit den großen Alten, besonders den Griechen, geworden war. Er hatte freilich das Glück gehabt, nach seiner Rückkehr aus Schwaben in Jena der Gesellschaft Wilhelms von Humboldt auf längere Zeit zu genießen und im täglichen Umgang mit dem engbefreundeten, geistvollen und gründlich gebildeten Manne seine Kenntnisse zu vermehren, seine Einsicht in das Wesen der Kunst zu steigern, seinen Kunstverstand weiterzubilden und seine eigene Kunsttheorie sich immer klarer und sicherer entwickeln zu sehen. So war er jetzt in aller Stille und auf seinem eigenen Wege zu der gleichen Höhe gelangt, aus der Goethe bisher so gut wie völlig einsam geweilt hatte, und schwang sich jetzt rasch mit ihm zur höchsten Spitze empor.
Die »Horen« machten den Eindruck nicht, den Schiller und die Seinen allzu sanguinisch erhofft hatten: sie setzten voraus und verlangten eine Höhe der Bildung und eine Geläutertheit des Geschmacks, von denen im damaligen deutschen Publikum nichts zu finden war und, wenn man gerecht sein will, auch gar nichts zu finden sein konnte. Es kam dazu, daß das Blatt von Anfang an nicht wenig bot, was selbst dem engsten Kreise nicht genügen konnte. Goethe's »neuer Frühling« verrieth sich hier leider noch nicht. Die schon erwähnten »Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten«, der Aufsatz »Literarischer Sansculottismus«, das überfrostige, gekünstelte »Märchen« und selbst die im nächsten Jahrgange beginnende Uebersetzung vom Leben des »Benvenuto Cellini«, konnten selbst dem Nächsten kaum erfreulich erscheinen, und die »Römischen Elegien«, die »Episteln« waren und blieben trotz aller Vollendung und künstlerischen Höhe für viele, ja die meisten eher zurückschreckend als anziehend. – Schillers eigene Beiträge, wie jene beiden oben genannten Abhandlungen, waren gleichfalls häufig nur für einen engen Kreis, und seine glänzend geschriebene »Belagerung von Antwerpen« und Gedichte wie »Das Ideal und das Leben«, »Der Spaziergang« u. s. w. konnten für den übrigens oft nur allzu dürren Inhalt nicht entschädigen und das Journal nicht im Gange erhalten. Es ging nach drei Jahren zu Ende.
Bessern Erfolg hatte der »Musenalmanach«, den Schiller zugleich gründete und vom Jahre 1796 an in fünf Jahrgängen erscheinen ließ. Schillers eigene Beiträge, wie »Die Macht des Gesanges«, »Würde der Frauen« u. s. w. zeigten ihn, nach langem Feiern, zur Poesie wirklich zurückgekehrt. Goethe's Beisteuer, »Nähe des Geliebten«, »Der Besuch«, »Meeresstille«, »Glückliche Fahrt« und andere, ließen auch ihn als erwacht erkennen, und auch unter den übrigen Beitragspendern, deren wir später gedenken werden, fanden sich der Berufenen manche. – Indessen konnte dieser Erfolg den bösen Eindruck, den die schlechte Aufnahme der »Horen«, zumal auf Schiller gemacht hatte, nicht mildern. Er war gradezu erbittert und erklärte das deutsche Publikum, seinen Geschmack und das öffentliche Urtheil für die denkbar rohsten und verächtlichsten. Und nicht zufrieden mit solchem privaten Verdammungsurtheil, vereinigte er sich mit dem allerdings kaltblütigeren und humoristischeren, aber kaum freundlicher urtheilenden Goethe zur Dichtung der »Xenien«, d. h. jener Epigramme, in denen über Zeitschriften, Bücher, Menschen und literarische Zustände von den beiden Dichtern ein schonungsloses Strafgericht erging. Der Lärm, den sie erregten, und die Erbitterung gegen die »hochmüthigen« Richter, welche sie hervorriefen, waren außerordentlich und ließen eine ganze Flut von Gegenschriften entstehen, in denen sich freilich die gerügte Armseligkeit der Gegner auf das unwiderleglichste documentirte. Die beiden Dichter kehrten sich nicht daran. Und hatten sie schon in diesem Jahrgange des Almanachs neben die »Xenien« Gedichte gestellt, wie die wundervolle Idylle »Alexis und Dora«, »Musen und Grazien in der Mark« u. s. w. von Goethe; »Das Mädchen aus der Fremde«, »Die Klage der Ceres« und andere von Schiller, – so gaben sie nun sozusagen einander selbst das Wort, fortan Schöpfungen folgen zu lassen, welche ihre beanspruchte sogenannte Oberhoheit aller Welt bewiesen.
Und sie hielten es. Die nächsten Jahrgänge des Musenalmanachs bringen von Beiden das Größte und Schönste, was sie in dieser Richtung wenigstens geschaffen, und damit das Größte, was wir, wiederum in dieser Richtung, in unserer Poesie überhaupt besitzen. Hier finden wir von Goethe neben dem »neuen Pausias« »Amyntas« und »Euphrosyne«, den »Zauberlehrling«, den »Schatzgräber«, »Die Braut von Corinth«, den »Gott und die Bajadere«, »Das Blümlein Wunderschön«, »Der Edelknabe und die Müllerin«; »Der Müllerin Verrath« und, um doch auch eines von den Liedern und zwar eines der köstlichsten zu nennen: »Erinnerung« – »Wenn die Reben wieder blühen«. – Und Schiller begegnet uns mit den meisten der großen Balladen: dem »Ring des Polykrates«, dem »Kampf mit dem Drachen«, den »Kranichen des Ibykus«, dem »Gang nach dem Eisenhammer«, dem »Taucher«, dem »Ritter Toggenburg«, dem »Eleusischen Fest«, und außer den zahlreichen anderen, in »Des Mädchens Klage«, »Nadowessische Todtenklage«, »Worte des Wahns« und jenem großen, vielleicht größten deutschen Gedicht, »Die Glocke«.
Aber was sie hier geschaffen hatten und schufen, genügte Beiden nicht; sie erhoben sich, jeder zu einem großen Werk, das nicht nur, wenn wir Goethe's »Faust« ausnehmen, die Krone ihrer eigenen Schöpfungen wurde, sondern auch, jedes in seiner Art, das größte geworden ist, was wir überhaupt in unserer schönen Literatur besitzen.
In der Zeit vom Herbst 1796 bis zum Sommer 1797 dichtete Goethe, der schon durch »Alexis und Dora« auf das epische Gebiet gelockt war, »Hermann und Dorothea«, klein angelegt, aber alsbald sich erweiternd, da der Dichter nach Beginn seiner Arbeit rasch von dem Stoffe und seiner Aufgabe ergriffen und fortgezogen wurde und es erkannte, daß er hier »ein Sujet gefunden habe, wie man es in seinem Leben vielleicht nicht zweimal findet«. Um uns den Stoff und die Wahl desselben klar zu machen, müssen wir vor allen Dingen uns daran erinnern, daß zu dieser Zeit die französische Emigration sich immer tiefer in Deutschland hinein ausbreitete, selbst Thüringen anfüllte und jedem Aufmerksamen Gelegenheit über Gelegenheit zu Beobachtungen aller Art bot. Als Goethe dabei ähnlicher früherer Züge und Verhältnisse gedachte, mußte ihm wohl die Auswanderung der Salzburger Lutheraner ins Gedächtniß kommen, welche siebzig Jahre früher gleichfalls durch diese Gegenden gezogen waren. Dabei fand er in einem der alten Berichte die Erzählung von der Liebe des Bürgersohns und der jungen Emigrantin und nahm sie zum Stoff seiner Dichtung. Goethe hat diesen Stoff in die Gegenwart gerückt und das einfachste und alltägliche, bürgerliche und häusliche Leben in einer kleinen Stadt auf das vollendetste zur Darstellung gebracht. So weit steht das Gedicht auf dem gleichen Boden, wie etwa Vossens »Louise«, und wer nicht weiter zu sehen vermag, wie es damals Vielen und selbst sonst Einsichtigen passirte, möchte immerhin über den Vorzug der einen oder anderen Dichtung in Zweifel sein können. Aber was die Kurzsichtigen und Neidischen nicht begriffen oder nicht begreifen wollten, und was dennoch grade »Hermann und Dorothea« nicht nur über die »Louise«, sondern auch über alles Aehnliche erhebt und die Dichtung von Schiller als »den Gipfel aller Goethe'schen und aller modernen Kunst« begrüßen ließ, das ist dieser Hintergrund der gewaltigen Zeitbegebenheiten, von dem sich das kleine, stille Einzelleben so wundervoll klar abhebt, das ist die Wiederspiegelung der ersteren in dem letzteren und die meisterhafte Verschmelzung beider zu dem einzig schönen, schlichten und friedlichen Ganzen. – Auf ein weiteres Eingehen haben wir an dieser Stelle zu verzichten und unsere Leser zur besseren Instruction auf Wilhelm von Humboldts eindringende Zergliederung und Beurtheilung zu verweisen.
Inzwischen war in Schiller der Plan zu einer neuen dramatischen Arbeit herangereift und hatte er sich nach langem, selbst während der schon begonnenen Arbeit sich noch wiederholendem Schwanken endlich 1796 endgültig für den »Wallenstein« entschieden. Die Arbeit wurde nicht mehr aufgegeben, aber allerdings häufig durch andere Beschäftigungen und leider auch durch die traurigen, stets sich wiederholenden Krankheitsanfälle unterbrochen und verzögert. Nach unendlicher Mühe und Arbeit, nach zahlreichen Veränderungen im Einzelnen wie im Ganzen, gelangten endlich das »Lager« am 18. October 1798, die »Piccolomini« am 30. Januar, und »Wallensteins Tod« am 20. April 1799 zur ersten Darstellung in Weimar. Die Aufnahme war, nach einer anfänglichen gewissen Befremdung – denn was man hier, zumal im Lager, vor sich hatte, war ja allerdings etwas völlig Neues! – die glänzendste, die jemals einem Bühnenwerk in Deutschland zu Theil geworden, und der Beifall, den das Stück auf der Bühne und die Buchausgabe fanden, ein unerhörter, alle Klassen mit fortreißender, so daß Schiller, wenn er gerecht sein wollte, von seinem Mißmuth über das deutsche Publikum wohl hätte zurückkommen dürfen.
Auch hier haben wir von einer eingehenderen Darlegung und Beurtheilung dieser »Trilogie« abzustehen, – dieses Werkes, das nach Stoff und Behandlung als die größte dramatische Schöpfung Schillers und daher überhaupt der deutschen dramatischen Kunst anzusehen ist. Schon die Wahl des Stoffes selber darf als die glücklichste bezeichnet werden, die Schiller jemals gelungen ist. Es ist eine historische, große Persönlichkeit, auf dem Hintergrunde einer tief bewegten, wilden Zeit, hervorgegangen aus ihr und untergehend in ihr; eine Persönlichkeit, welche auf die Zeitgenossen aller Parteien den tiefsten Eindruck gemacht hatte und in der Erinnerung des Volkes auch zu Schillers Zeit noch mit düsterer Größe weiterlebte. Und was die Behandlung angeht und die Sorgfalt und Einsicht, mit der alles erwogen, alles geordnet und gestaltet wurde, so verweisen wir unsere Leser hier auf den Schiller-Goethescheu Briefwechsel, der grade während dieser Jahre sein höchstes Interesse und seine höchste Bedeutung erreicht. – Wenn von einem Fehler des Werkes überhaupt die Rede sein kann, so ist es der, daß Wallenstein nicht durch die Gewalt der Verhältnisse, sondern nur durch den eigenen Fehler zu Fall kommt, was allerdings die tragische Theilnahme beeinträchtigen muß. Der zweite Vorwurf dagegen, den man zu erheben Pflegt, die Einführung der Nebenhandlung, d. h. der Liebesepisode zwischen Max und Thekla, mag künstlerisch noch so gerechtfertigt erscheinen: das Herz und die Empfindung seiner Zuschauer und Leser sprechen den Dichter von ihm frei. Idealeres freilich, aber zugleich auch Lieblicheres und Ergreifenderes ist von Schiller nicht gedichtet worden. Hat ihm doch, wie wir wissen, bei der Schöpfung des Ganzen grade diese Episode selber die reinste und höchste Freude gemacht, was bei keinem Dichterwerke und am wenigsten bei einem von unserem Schiller, gering angeschlagen werden sollte.
Es würde uns nur natürlich erscheinen können, wenn nach solchen Schöpfungen und solcher Thätigkeit eine Zeit der Ruhe eingetreten wäre, wo der Eine und der Andere sich sozusagen erholt und zu neuen Werken gestärkt und vorbereitet hätte. Eine solche Pause trat indessen nicht ein: Schillers große Dramen folgen einander Jahr auf Jahr bis an seinen Tod, und dazwischen fehlte es nie an anderen Arbeiten, welche den Geist gleichfalls in Spannung erhielten. Und auch Goethe entwickelte während dieser Jahre eine Thätigkeit, welche seiner gewohnten nicht nachstand, vielmehr dieselbe fast noch überbot, wenn es auch in Ansehung seiner eigenen dichterischen Schöpfungen meistens nur bei Anläufen und Kleinigkeiten blieb und er nur mit einem einzigen größeren Werke in die Oeffentlichkeit trat.
Seine naturwissenschaftlichen und Kunst-Studien gingen unausgesetzt fort und die letzteren führten zu der Zeitschrift »Die Propyläen«, welche er ein paar Jahre lang im Vereine mit seinem alten römischen, jetzt bei und mit ihm in Weimar lebenden Freunde H. Meyer (1759-1832), dem sogenannten »Kunscht-Meyer«, Verfasser einer geschätzten »Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen«, und »Uebersicht der Geschichte der Kunst bei den Griechen«, herausgab. Dazu gesellten sich Kunstausstellungen in Weimar, welche durch die Aufstellung von Aufgaben und durch die Beurtheilung der Concurrenzwerke neue Förderung und Unterhaltung boten und zu einer neuen Thätigkeit Veranlassung gaben. Die Aufsicht über die Universität und die wissenschaftlichen Institute zu Jena, wo es grade während dieser Jahre zu zahlreichen mißlichen Verhältnissen, Verdrießlichkeiten und Störungen aller Art kam, verlangte gleichfalls Goethe's unausgesetzte Aufmerksamkeit. Und endlich nahm die Leitung des Theaters und die Durchführung seiner dramatischen und theatralischen Principien und – Grillen, trotz Schillers treuer Hülfe, eine unendliche edle Zeit und Mühe in Anspruch.
Solchen Ansprüchen und solchen Zerstreuungen gegenüber, wozu sich noch die Anforderungen des Hofes und der Gesellschaft, Reisen – in die Schweiz 1797, nach Pyrmont 1801 u. s. w. – eine lebensgefährliche Krankheit 1801, und wer weiß, was noch sonst alles gesellten, mußte die dichterische Thätigkeit wohl zurückstehen. Und dennoch fehlte es auch an ihr nicht, wenn sie es gleich, wie wir schon sagten, nicht zu bedeutenden Schöpfungen brachte. So begegnet uns in den letzten neunziger Jahren, außer mehreren Plänen zu epischen Dichtungen – wie: »Die Jagd« und »Tell«, das Bruchstück der »Achilleis«. Zum »Faust« entstanden die »Zueignung«, der »Prolog« und »Oberons und Titania's goldene Hochzeit«, wozu sich ein paar Jahre später auch die »Helena« gesellte. Zum Geburtstag der Herzogin Amalia am 24. Oktober 1800 schrieb er das kleine Festspiel »Paläophron und Neoterpe,« und zur Eröffnung des Theaters in Lauchstädt 1802, in übelster Stimmung, das Vorspiel »Was wir bringen«. – Dazu kamen, weil Karl August nun einmal eine große Vorliebe für die französische Tragödie bewahrte und die Weimar'schen Schauspieler unter Goethe's Leitung sich zu Experimenten aller Art zu bequemen hatten, die Uebersetzungen des Voltaireschen »Mahomet« und »Tancred«, Bearbeitungen des »Götz« und der »Stella«, die völlig mißriethen, und endlich im April 1803 »Die natürliche Tochter«, jenes auf der einen Seite vergötterte, und andererseits auf das härteste angegriffene Stück, unendlich breit in der Anlage, ohne Lebensfrische und Kraft, durchweg symbolisch, ganz Kunst, wie Schiller sagte, aber ohne alle Natur, – »marmorglatt und marmorkalt«, nach A. W. Schlegels Bezeichnung.
Aber neben diesem allem her geht nun, zum hohen Troste, dennoch wiederum eine Reihe der anmuthigsten und heitersten Gesellschaftslieder, wie das »Tischlied«, das »Stiftungslied«, das »Hochzeitslied« u. s. w. und finden wir in dem mit Wieland auf das Jahr 1804 herausgegebenen »Taschenbuch«, jene Perlen der Goethe'schen Dichtung: »Schäfers Klagelied«, »Bergschloß«, »Trost in Thränen«, »Frühzeitiger Frühling«, »Wanderer und Pächterin«, »Der Rattenfänger«, »Nachtgesang«, »Sehnsucht« u. s. w., von denen freilich manche ihre Entstehung früheren Zeiten zu verdanken scheinen. Und so offenbarten sich auch jetzt wieder diese herrliche Natur und dieser gewaltige Geist, denen spielend und nebenher gelang, was die Anderen nur im ernsten, mühsamen Ringen zu erreichen vermochten und als Hauptwerk und Hauptgewinn ihres Lebens anzusehen hatten.
Bei Schiller war es, wie bemerkt, anders. Auch bei ihm fehlte es freilich nicht an Zerstreuungen und Ablenkungen. Die Krankheit, welche den Freund nur von Zeit zu Zeit einmal packte und niederwarf, war sein steter, finsterer Begleiter und er hatte mit ihr zu ringen unausgesetzt, heute unterliegend, morgen sich wieder aufraffend, jede Stunde des Schaffens mühsam dem Feinde abstehlend und mit erneuter Qual und Schwäche büßend. Mit dem Schlusse des Jahres 1799 siedelte er nach Weimar über, um dem Theater näher zu sein, dem ja fast seine ganze Thätigkeit gewidmet war, und indem er sich fortan in die Leitung desselben mit Goethe theilte, ging er getreulich auf all die Grillen und Experimente des Letzteren ein und verfiel gleich ihm in den Grundirrthum, daß die Bühne kein allgemeines Bildungsinstitut und nicht für das gesammte Publikum da sei, sondern nur zur Belehrung der Leiter und Dichter selber, zur Erprobung und Anwendung ihrer Kunstideen und für den kleinen Kreis derjenigen gepflegt werden müsse, welche vermöge ihrer Bildung sich zu gleicher Höhe und Einsicht zu erheben vermöchten. So hat auch er viel edle Zeit verschwendet an die Bearbeitung fremder Stücke, des »Macbeth« von Shakespeare, der »Turandot« des Gozzi, der »Phädra« des Racine und der beiden französischen Lustspiele »Der Parasit« und »Der Neffe als Onkel«.
Allein seine eigentliche Thätigkeit war und blieb doch immer nur der Bühne zugewendet. Seit er den Musenalmanach aufgegeben hatte, wurden der kürzeren Dichtungen immer weniger. Aus diesen Jahren stammen nur einige gesellige Lieder, wie »Die vier Weltalter«, das »Punschlied«, »An die Freunde« u. s. w., andere wie »Der Jüngling am Bache«, »Der Alpenjäger«, »Sehnsucht«, die Balladen »Hero und Leander«, »Der Graf von Habsburg«, sodann »Das Siegesfest« und »Kassandra«, die schönen Räthsel in der »Turandot« und was dergleichen noch mehr. Er concentrirte seine ganze Kraft auf das dramatische Gebiet und hatte allen Grund dazu. Denn als der Termin, den er selber dieser Thätigkeit gesetzt, kaum abgelaufen war, da stand auch sein Herz still im Tode und schwang sein Geist sich auf zu den reinsten Höhen, nach denen er voll Sehnsucht in allen seinen Schöpfungen schon immer emporgerungen.
Nur durch solche Concentration und die Anspannung aller nicht nur geistigen, sondern auch körperlichen Kraft, konnte es Schiller gelingen, die Reihe von Werken in verhältnißmäßig so kurzer Zeit zu schaffen, die im Verein mit dem »Wallenstein« ihn als größten dramatischen Dichter Deutschlands und der gesammten Neuzeit erscheinen lassen. »Maria Stuart« wurde im Mai 1800 beendet und im Juni aufgeführt. – Im April 1801 war »Die Jungfrau von Orleans« vollendet, die indessen zu Weimar erst nach zwei Jahren zur Aufführung gelangte, weil der Herzog in einer Weise gegen das Stück eingenommen war, welche bis auf den heutigen Tag und obgleich der Hauptgrund der Abneigung nicht grade verborgen blieb, jedem Unbefangenen räthselhaft erscheinen muß. Während dessen hatte das Stück, ein überaus merkwürdiger Versuch auf dem Gebiete der Romantik und, in Ansehung der poetischen Fülle und Schönheit, vielleicht die reichste und erhabenste Schöpfung des Dichters, überall anderwärts den glänzendsten Erfolg gehabt; ja der Enthusiasmus, den es erregte, war ein gradezu unbeschreiblicher, und als Schiller im September 1801 einer Aufführung in Leipzig beiwohnte, wurde er vom Publikum in einer Weise begrüßt und gefeiert, wie es vor ihm noch keinem deutschen Dichter jemals zu Theil geworden war. – Um ihn für die Zurücksetzung und Nichtbeachtung, die er in Weimar erfuhr, einigermaßen zu entschädigen, – es ist bemerkenswerth genug, daß die sogenannte gute Weimar'sche Gesellschaft, sich im Allgemeinen gegen Schillers Schöpfungen auf das kälteste und ablehnendste verhielt, – wurde ihm im Herbst 1802 vom Herzog der Reichsadel verschafft, der für ihn freilich nur um seiner Familie und der geselligen Verhältnisse willen einen Werth hatte.
Auf die »Jungfrau« folgten jetzt einige jener schon erwähnten Bearbeitungen und ein langes Schwanken zwischen älteren und neueren Plänen, den »Maltesern« und dem »Warbeck«, bis er sich im Sommer 1802 für »Die Braut von Messina« entschied, welche im März 1803 zur Aufführung kam. Das Stück ist unzweifelhaft die schwächste von den letzten großen Schöpfungen des Dichters und die erste jener unglückseligen Schicksalstragödien, welche später durch Werner, Müllner und Grillparzer zur Herrschaft auf der Bühne und in der Literatur gelangten. Aber in Ansehung der Sprache ist es ebenso unzweifelhaft das Glänzendste und Prachtvollste, was Schiller oder irgend ein anderer Dichter im Deutschen jemals geschaffen hat. – Endlich folgte nun im Anfang des Jahres 1804 der »Wilhelm Tell«, dessen Stoff Goethe 1797 von seiner Schweizer-Reise mit zurückgebracht und Schiller später überlassen hatte. Man pflegt dem Stücke den Vorrang vor allen übrigen Schillers zuzugestehen. Man hebt es hervor, daß er in Ansehung der Exposition und Oekonomie des Werkes, in den Motiven und in der Durchführung der Idee hier mehr geleistet habe, als in irgend einer anderen Schöpfung. Es gesellten sich dazu die prächtige Detailschilderung, die glänzende Localfärbung, vor allem aber jener Freiheitshauch, der jeden besticht und mit sich fortreißt. Dagegen wird es schwerlich geleugnet werden können, daß durch die Sonderstellung Tells selber die Einheit der Handlung zerstört wird. Dazu kommt, daß er, der angebliche Träger des Ganzen, durch seine Trennung von der Volkssache und dem Bunde, ganz entschieden an Interesse für uns verliert und gewissermaßen auf den zweiten Platz zurücktritt. Endlich ist die Ermordung Geßlers weder genügend motivirt, noch stimmt diese That zu dem vom Dichter geschaffenen Charakter.
Im November 1804 schrieb Schiller in wenigen Tagen zum Einzug der jungen Erbprinzessin das kleine Festspiel »Die Huldigung der Künste«, und machte sich sodann, nach schweren Krankheitsstößen und unter nie endenden Leiden, an die »Phädra« des Racine und die Dichtung seines »Demetrius«, der nach den vorhandenen Bruchstücken zu schließen, vielleicht das wirklich größte Werk des Dichters und unserer dramatischen Literatur geworden wäre. Allein dieß Werk sollte nicht mehr vollendet werden. Schillers Gesundheit wurde immer hinfälliger; einer frischeren und freieren Stunde folgte eine Reihe von desto elenderen Tagen. Am 9. April, im Begriff ins Theater zu gehen, traf er noch einmal mit Goethe zusammen, der ebenfalls gefährlich krank gewesen war. Vor dem Hause schieden sie, um sich nicht wieder zu sehen. Denn an diesem Abend erkältete sich Schiller, erkrankte von neuem, und am 9. Mai 1805 schied sein Geist von der Erde und den Seinen.
In Weimar hatte man kaum jemals gewußt, was man an dem großen Manne besessen, und verstand es jetzt nicht, was man an ihm verlor. Die Trauer war eine ziemlich mäßige: auf den Wunsch des Theaterpersonals erst, oder vermutlich nur, weil Karoline Jagemann sich zu spielen weigerte, wurde das Theater wenigstens am Begräbnißtage geschlossen, und dies Begräbniß selber war ein sehr stilles. Der Hof betheiligte sich gar nicht daran, die Behörden und die Stadt gleichfalls nicht, nur ein paar Freunde gaben dem Geschiedenen in der späten Abendstunde das Geleit. – Goethe hütete, von neuem erkrankt, das Haus. Man hatte nicht das Herz, ihm die Todesnachricht zu bringen. Als er am Morgen des 10. Mai das Unglück dennoch erfuhr, sagte er nichts als: »er ist todt!« und deckte die Hände über's Gesicht. – Es war der härteste Schlag, der ihn getroffen hatte und treffen konnte – er verlor mit Schiller »die Hälfte seines Daseins«.
Was sollten auch wir hier, gleich so vielen Anderen, noch von neuem charakterisiren, unterscheiden, vergleichen! Was sollten wir versuchen, Schiller eine Stelle anzuweisen, wo er die höchste im Reiche der Poesie und im Herzen seiner Nation schon von jeher eingenommen hat und behaupten wird auch immerdar! Was sollten wir in jenen thörichten und häßlichen Streit eintreten, ob Schiller, ob Goethe der größere Dichter sei. Wir freuen uns vielmehr, daß, wie Goethe selber es derb ausspricht, »überhaupt ein paar Kerle da sind, über die man streiten kann«. Und wir halten an dem Einen fest, daß nicht Goethe allein und nicht Schiller allein auf der höchsten Höhe der Dichtung und Bildung, der Kunst und des Lebens erscheint, sondern daß sie vor uns stehen, eng verbunden, Eins bis ins Herz hinein, im Leben, wie in der Literatur und ihrer Geschichte.
Während das prächtige Doppelgestirn sich rasch zum Zenith emporschwang und das ganze Firmament mit seinem strahlenden Glanz erfüllte, erhob sich plötzlich ein anderer Stern, der bisher kaum beachtet, ja fast nicht bemerkt, tief drunten am Horizont gestanden, mit jähem Schwung und flog ihnen nach, ein zartes und schwermüthiges und auch wieder unstät funkelndes Licht, zusammensinkend und wieder aufflammend fast im gleichen Augenblick, angestaunt und bewundert, von enthusiastischem Beifall begleitet und emporgetragen von demselben noch weit über die wirklich erreichte Höhe hinaus. Zu halten vermochte er sich freilich nicht. Denn als der Enthusiasmus sich gab und die Augen wieder klar wurden, rückte er schnell auf seine wirkliche Stelle zurück, ja sank auch von dieser wieder herab und begann für die Blicke der meisten Beobachter mehr und mehr, ja so sehr zu erbleichen, daß die Heutigen ihn kaum noch recht wahrnehmen wollen. Müssen wir es noch aussprechen, daß wir Jean Paul meinen, jenen Schriftsteller, der in gleich verkehrter Weise von seinen Zeitgenossen und Bewunderern weit über seine wirkliche Größe und sein wirkliches Verdienst hinaus erhoben und gefeiert, und von den abgekühlten und ihm fremd gewordenen Nachkommen auf das gleichgültigste zur Seite geschoben worden ist.
Johann Paul Friedrich Richter, denn so heißt er, der sich selber als Schriftsteller nur Jean Paul nannte, und den die Meisten von uns niemals unter einem andern Namen kennen lernen, wurde am 21. März 1763 zu Wunsiedel im Fichtelgebirge geboren, wo sein Vater Lehrer an der Schule und Organist war. Nicht lange darauf erhielt der Vater eine Pfarrstelle zu Joditz, einem Dorfe bei Hof, und in solchem Stillleben wuchs der Knabe still und innerlich auf und vergaß sein Lebenlang nicht dieser Jugendzeit und dieser Verhältnisse. Schon hier begann, wo ihm nur irgend ein Buch zur Hand kam, eine leidenschaftliche Lectüre und dehnte sich, seit der Vater 1776 nach Schwarzenbach versetzt wurde, immer weiter und über alles aus, was ihm zugänglich ward; er begann Auszüge zu machen und sie in eigenen Heften zusammenzutragen, eine Neigung, der er gleichfalls stets treu geblieben ist, und die sich in seinen Werken so auffällig, auf das überraschendste hier und auf das unerquicklichste und verwirrendste dort, widerspiegelt. Nachdem er das Gymnasium zu Hof bezogen hatte, verlor er bald den Vater, und die Familie gerieth damit in die tiefste Armuth. Trotzdem ging Jean Paul 1781 auf die Universität nach Leipzig, um Theologie zu studiren; er hatte mit den bittersten Nahrungssorgen zu kämpfen und führte auch hier wieder das einsamste, nur durch Lectüre erheiterte Leben: wir wissen, daß wie früher zu Hof schon Hippels »Lebensläufe«, so jetzt vorzüglich Rousseau und die englischen Satiriker und Humoristen den tiefsten Eindruck auf ihn machten. Im Jahre 1783 erschien sein erstes Buch, die aus kleineren satirischen Stücken zusammengesetzten »Grönländischen Prozesse«. Kaum beachtet, verbesserte er seine Lage nicht; im Gegentheil, da er das Studium aufgab und ganz der Schriftstellerei zu leben beschloß, verschlimmerte sich dieselbe immer mehr und er verlebte trostlose Jahre bei seiner armen Mutter in Hof, bis er 1787 eine ärmliche Hauslehrerstelle in der Nähe erhielt. 1789 erschien, wiederum unbeachtet, »Auswahl aus des Teufels Papieren«, und seine Lage besserte sich erst einigermaßen, als er 1790 eine Art von Privatschule in Schwarzenbach errichtete und nun auch mehr mit der Gesellschaft und gebildeten Menschen, man möchte sagen: mit dem Leben in Verkehr kam. 1792 brachte ihm sein erster (unvollendeter) Roman »Die unsichtbare Loge«, dem Moritz in Berlin einen Verleger verschaffte, das erste namhafte Honorar und lenkte die Aufmerksamkeit des Publikums auf ihn. Der folgende Roman, »Hesperus oder 45 Hundsposttage«, begründete seinen Ruhm und gewann ihm zumal die Frauen. Fortan folgten kleinere Stücke, »Das Leben des Quintus Fixlein«, »Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin«, endlich eines seiner besten Werke, »Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvocaten Siebenkäs«.
Im Jahre 1796 folgte er einer dringenden Einladung der für ihn schwärmenden Charlotte von Kalb nach Weimar und wurde hier von den Herder, Wieland, Knebel und besonders den Damen auf das begeistertste aufgenommen, während Goethe und Schiller sich kühl und ablehnend verhielten. Er ging wieder heim und knüpfte, weltunerfahren, erregbar und betäubt vom Beifall, wie er nun einmal war, bald ein neues Verhältniß mit einer enthusiastischen Frau von Berlepsch. Nach dem Tode seiner Mutter, 1797, siedelte er auf den Wunsch der Geliebten nach Leipzig über, hielt jedoch wieder nicht aus, sondern zog ein Jahr später, Herder zu Liebe, nach Weimar und probirte es, von neuer Unruhe erfaßt, nicht lange nachher bald in Gotha, bald in Hildburghausen, wo er den Titel eines Legationsraths erhielt. Inzwischen hatten »Der Jubelsenior« und das »Campanerthal« die Zahl seiner Verehrer vergrößert, und 1800 ließ er den ersten Band seines »Titan« erscheinen, dem die weiteren drei Bände und zwei Anhangbändchen bis zum Jahre 1803 folgten. Von Ruhe war jedoch auch während dieser Zeit keine Rede. Er hatte schon wieder eine Weile in Berlin gelebt und dort geheirathet, war dann mit der Frau nach Meiningen gezogen und versuchte es darauf in Koburg. Erst 1804 fand er in Bayreuth einen Platz, wo es ihm gefiel, und er ist denn auch dort bis an seinen Tod geblieben, der am 14. November 1825 erfolgte.
Seine Fruchtbarkeit war, besonders zu Anfang des Jahrhunderts, groß. An den »Titan« schlossen sich unmittelbar die »Flegeljahre«; auf diese folgten das wider die Censurzustände gerichtete »Freiheitsbüchlein«, und die »Vorschule der Aesthetik«, ein geistvolles Buch, voll der feinsten Bemerkungen, aber dennoch seinen Verfasser als Naturalisten kennzeichnend. Dann kam seine gefeierte »Levana oder Erziehlehre«: 1809 erschienen die patriotischen »Dämmerungen für Deutschland«, und das witzige und humoristische Stücklein, »Dr. Katzenbergers Badereise«. Von den sehr zahlreichen kleinen Arbeiten dieser und der folgenden Zeit sei hier nur die freisinnige »Friedenspredigt für Deutschland« erwähnt und neben ihr des grillenhaften, unendlich weitschweifigen Buchs »Ueber die deutschen Doppelwörter« gedacht. Sein letzter großer, unvollendet gebliebener Roman war »Der Comet oder Nikolaus Markgraf«.
Von einer fortschreitenden Entwickelung ist bei Jean Paul und seinen Schriften in Wirklichkeit so gut wie nichts zu entdecken: er wurzelt in der Empfindsamkeitsperiode des vorigen Jahrhunderts und hat sie bis an seinen Tod nicht überwunden. Die Liebes- und Freundschaftsschwärmerei in höchster und zugleich zart-duftigster Potenz bleiben permanent; die unklaren und seligen Glücksträume der Jugend und ihre ebenso unklaren, selbstquälerischen Zweifel; die Ekstase des Hoffens, Wünschens und Planens und die unendlich genügsame Bescheidung bei der allerschlichtesten Wirklichkeit und in allerbescheidenstem Dasein; das Lachen und Weinen, das Aufjauchzen und das sanfte, wehmüthige Hinschmachten; die zarteste Unschuld, die weichste Sehnsucht, die süßeste Innigkeit – das alles begegnet uns und begleitet uns, vor wie nach, auf Steg und Weg, und dazwischen, und darum zuckt und wirbelt und prasselt ein Feuerwerk auf von jäh aufflammenden und empor und durcheinander schießenden tollen, glänzenden, spottenden, satirischen, pikanten und genialen Einfällen, Gedanken, Bildern, Bemerkungen, Notizen, und der Himmel weiß, wovon noch sonst. Durch alle solche Stimmungen hier, durch alle solche Absprünge und Einfälle da, mit einem Wort, durch die Einzelheiten und Einzelzüge von – das ist nicht zu leugnen! – häufig bezaubernder Schönheit blendet Jean Paul und reißt er fort, zumal die Jugend und die Frauen: er redet ihnen gradeswegs zu und aus dem Herzen. Den ernsten und nüchternen Leser freilich verwirrt und betäubt er eher durch die unermeßliche Masse von Stoff aller, selbst der widersprechendsten Art, die er anhäuft und weder zu ordnen und zu gliedern, noch künstlerisch zu beherrschen versteht. Aus diesem Wirrwar und diesem endlosen Gerede das vereinzelte Gute, Schöne und Herrliche herauszufinden, ist überall ein mühsames, häufig erfolgloses Unternehmen und an etwas wie einen reinen, dauernden Genuß ist nicht zu denken.
Haben wir uns aber dennoch diese Mühe gemacht und sehen ab von den glänzenden Schilderungen, den unübertrefflich schönen Seelengemälden und Stimmungsbildern, mit einem Wort wiederum von diesen Einzelheiten, die in jedem Zuge den großen Dichter verrathen, und blicken wir nun einmal auf das Ganze der größeren und kleineren Werke, auf das, was solche Schöpfungen überhaupt erst zu Kunstwerken erhebt, so werden wir nothwendig bald immer strenger denken und urtheilen müssen. Wir finden kaum jemals etwas wie eine geschlossene, harmonisch durch- und ausgebildete Composition, sondern fast stets nur ein bunt und willkürlich zusammengewürfeltes Allerlei. Das bischen »Geschichte«, das uns geboten wird, ist theils so zersplittert, theils so obenhin angefaßt und dargestellt, daß wir es fast immer mehr nur errathen müssen. Die Personen, welche sich überdies im Grunde beinah' alle merkwürdig gleichsehen, treten selten hervor und erheben sich ebenso selten zum Handeln, zum eigenen, selbstständigen Leben. Jean Paul schildert sie, erzählt von ihnen, beobachtet, denkt, empfindet für sie und kümmert sich gewöhnlich sehr wenig darum, ob das alles nun auch zu ihrem Character und zu ihrer Lage paßt. Und dazu gesellen sich nun die schrankenlose Phantasie mit ihrem häufig völlig willkürlichen, capriziösen, ja erkünstelten Spiel und der nur gar zu oft sich bis zur Karikatur steigernde »Humor«.
Bei dem Wirrwarr der Gefühle, der Zerfahrenheit, ja Rohheit des Geschmacks und der Unklarheit der künstlerischen und allgemeinen Anschauungen, wie sie am Schluß des vorigen und im Anfang unseres Jahrhunderts nicht nur das große Publikum beherrschten, sondern selbst in manchen »Gebildeten« spukten, kamen solche Mängel und Schwächen wenig in Betracht: man ließ sich blenden und mit fortreißen. Als man jedoch allmälig klarer und einsichtiger wurde und häufiger einen künstlerischen Maßstab an die Dichterwerke anzulegen begann, verschwand der Zauber, und der Enthusiasmus schlug rasch in eine stets zunehmende Gleichgültigkeit um. Auf der einen Seite ist dies kein Wunder: Jean Paul ist, ob auch erst 1825 gestorben, vorwiegend der Dichter des 18. Jahrhunderts und den Ideen und Anschauungen, dem Leben desselben nicht entwachsen. Auf der anderen Seite aber ist diese Gleichgültigkeit ein Unrecht. Denn er ist nicht nur einer der großen, ja größten Dichter seiner Zeit, sondern auch eine der eigenartigsten und interessantesten Erscheinungen, denen wir im ganzen Bereiche unserer Literatur begegnen. Allein seine Gestalt ist auch eine einsame in dieser Literatur. Nicht sowohl wegen der Größe, als wegen der Eigenartigkeit seines Talents, seiner Begabung und seiner Weise, hat er, obgleich die letztere sich nicht selten bis hart an die Manier steigerte, dennoch kaum jemals eigentliche Nachfolger und Nachahmer gefunden. Von einzelnen Versuchen der nackten Unfähigkeit und Verkehrtheit reden wir nicht. An solchen fehlt es in Deutschland nie, wo irgend ein Erfolg blendet und lockt.
Von gleichzeitigen Schriftstellern besserer Art sind hier nur zwei zu nennen. Ernst Wagner, geboren 1769 im Meiningschen und gestorben, nach vieljährigen schweren Leiden, zu Meiningen 1812, gehört durch einige von seinen Werken zu unseren guten Autoren und ist nur mit Unrecht fast völlig vergessen worden. Sein erster Roman, »Wilibalds Ansichten des Lebens«, lehnt sich zwar eingestandenermaßen an Goethe's »Wilhelm Meister«, aber ersichtlich genug auch an Jean Paul an, dessen zugleich sentimentalisirende und idealisirende Grundrichtung sich denn auch in den späteren Werken wiederfindet. Als bestes von ihnen erscheinen die »Reisen aus der Fremde in die Heimat«, mit dem Anhange »Historisches ABC eines vierzigjährigen, hennebergischen Fibelschützen«. Es finden sich in dem ersteren Buch Jugenderinnerungen von ungemeiner Schönheit und Natürlichkeit, die den Leser, welcher etwa zufällig diese Blätter liest, auf das angenehmste überraschen müssen.
K. Chr. E. Graf von Benzel Sternau, geboren 1767 zu Mainz, Minister in Baden und des Fürsten Primas, gestorben 1849, erlangte durch Romane, Erzählungen, auch einige dramatische Sachen einen gewissen Ruf, den die Heutigen kaum noch verstehen werden. Denn zu Anfang stellt er sich noch zu den älteren Humoristen und ist voll breiter Lehrhaftigkeit und unerquicklicher Empfindelei, während er später, wie z. B. im »steinernen Gast«, in eine ganz und gar unleidliche Nachäfferei Jean Pauls und seines Stils geräth. Sein bekanntester und auch bester Roman ist »Das goldne Kalb«.
Zur Zeit, als Goethe's und Schillers Bund der allerherzlichste war und Jean Paul's Ruhm bereits von aller Welt verkündet wurde, fand sich in Jena eine Zahl von jungen Männern zusammen, welche wir als die Begründer und Häupter der sogenannten romantischen Schule kennen lernen.
Ohne uns bei der Entstehungs- und Entwickelungsgeschichte derselben aufzuhalten, gehen wir sogleich auf das Thatsächliche über, das heißt, auf die Wirksamkeit und den sowohl günstigen, als nachtheiligen Einfluß, den diese Schule auf unsere Literatur und Bildung ausgeübt hat. Hierbei ist es von vornherein zu constatiren, daß bei diesen ersten und eigentlichen Romantikern viel weniger Gewicht auf die eigene poetische Thätigkeit und die eigenen derartigen Schöpfungen zu legen ist, als auf den gewaltigen Anstoß, den sie nicht nur der Literatur, sondern auch dem gesammten Leben und der gesammten Bildung nach allen Seiten hin und auf allen Gebieten gegeben haben. Theils erreichten sie dies allerdings durch Schöpfungen von irgendeinem der Ihren; theils aber und zwar meistens durch die unermeßliche Masse von neuem Stoff, den sie von allen Seiten herbeischafften: durch eine ganz ungemeine literarische Rührigkeit, durch ein rastloses Verkündigen und Verherrlichen ihrer Principien und Tendenzen, ihrer Anschauungen und ihrer dichterischen und literarischen Suprematie, und endlich durch die sich hier anschließende kritische Thätigkeit, die sich rücksichtslos und ungestüm allem entgegen warf, was nicht zu ihnen schwor und sich ihren Maßen nicht fügte.
Indem sie Poesie und Leben für eins, die Phantasie für die einzig berechtigte und allgebietende Macht erklärten und die Willkür des Dichters zum ersten und letzten, für ihn bindenden Gesetz erhoben, eroberten diese neuen Stürmer und Dränger der Poesie allerdings einen viel breiteren Boden, als dieselben ihn jemals bisher besessen. Sie erlösten sie aus den beengenden Schranken einer gesteigerten Bildung und, wenn man so sagen will, popularisirten sie. Wir müssen wohl zugestehen, daß sie durch eine solche Lehre, welche alles eben wieder Gewonnene und mühsam Aufgebaute von neuem gefährdete und jedermann gewissermaßen zu seinem eigenen Führer und Richter machte, der Talentlosigkeit, der Anmaßung, der Selbstüberhebung und der Träumerei ins Blaue hinein Thür und Thor noch viel weiter öffneten, der Literatur eine Unmasse von unfähigen und unklaren Köpfen zuführten und dieselbe von einer schier überwältigenden Fluth der unreifsten, überschwänglichsten, unklarsten, aller Natur und Wahrheit entbehrenden Phantasie-Produkte überschwemmen ließen. Aber wir werden auch anerkennen müssen, daß von den Romantikern aus auf allen Gebieten des Lebens, in der Poesie und Literatur, in der Kunst und in der Wissenschaft, eine Regsamkeit und eine Thätigkeit, ein frischer, fester Fortschritt anhob, denen selbst die rasche und glänzende Entwickelung während der letzten Hälfte des abgelaufenen Jahrhunderts bei weitem nicht zu vergleichen war.
Durch ihr Zurückgehen aus der – angeblich – flachen und verdorrten Gegenwart zu dem – wiederum angeblich – gemüthstiefen, poesievollen, glaubensinnigen und glänzenden Mittelalter mit seinem alles erfüllenden und erhebenden Katholicismus, zogen sie freilich gleichfalls wieder eine große Zahl von unfähigen Köpfen sich nach, die noch viel unklarer als sie selbst, auch noch weniger vom Mittelalter und Katholicismus verstanden als sie und noch tiefer sich in die Irrwege und Phantasiegebilde verloren. Aber sie lenkten auch, fast zum erstenmale, eine wirkliche, ernste und folgenreiche Aufmerksamkeit auf diese Zeit und ihre Zustände, und es begann jene rastlose, wirkliche und ernste Literatur-, Sprach- und Geschichts-Forschung, welche zu so glänzenden Resultaten geführt und uns das Mittelalter in seiner wirklichen Größe und Herrlichkeit, seiner ganzen Wahrheit erst wiedergewonnen hat. Ja sie haben, um auch dessen hier zu gedenken, durch ihr Weiterdringen in den Orient und besonders Indien, in gleicher Weise auch den Grund zur vergleichenden Sprachforschung gelegt. – Aber, was für uns wichtiger ist, durch ihre Beschäftigung mit dem Mittelalter wurde auch unsere Volkspoesie, gleichfalls im Grunde zum erstenmale, wieder ans Licht gezogen und in ihre Rechte eingesetzt – ein Verdienst, das ihnen nie genug gedankt werden kann und ihnen niemals vergessen werden wird.
Ein kaum geringeres Verdienst haben sie sich endlich, nach dem Glauben Vieler, dadurch erworben, daß sie, wiederum fast zuerst, in die ältere Poesie und Literatur der romanischen Völker, vorzüglich der Italiener und Spanier eindrangen, sie uns bekannt machten und durch die leidenschaftliche Einführung und Nachbildung ihrer Formen unsere poetische Sprache, durch die Einbürgerung ihrer Ideen und ihres Geistes unsern Ideenkreis und Geist zu erweitern und zu bereichern suchten. Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Anschauung, so wie die Vortheile oder Nachtheile dieses Erwerbs, wollen wir dahingestellt sein lassen, wenn wir auch nicht umhin können, daran zu erinnern, daß ein Götzendienst, wie er zumal den Spaniern gewidmet worden ist, einer – hier unserer – Poesie und Literatur niemals zum Vortheil gereichen kann. Aber das muß man auch hier wieder den Romantikern danken, daß im Grunde sie erst die Uebersetzungs kunst geschaffen haben – Johann Heinrich Voß steht mit seinem Homer fast völlig vereinzelt da. Schlegels und Tieck's Shakespeare-Uebersetzung, welche den großen Dichter geistig und sprachlich zu unserem vollen Eigenthum macht, hat in keiner anderen Sprache ihres Gleichen.
Blicken wir hiernach noch auf die ungemein lebhafte, ja ungestüme und hervorragende kritische Thätigkeit der Schule, welche allerdings die Verherrlichung Goethe's und seiner Poesie hauptsächlich ins Auge faßte, daneben aber auch, wie wir oben schon andeuteten, in Selbstverherrlichung und Anpreisung der Romantiker und ihrer Anhänger auslief, – so erhalten wir bereits hier eine Erklärung des außerordentlichen Einflusses, den sie auf die Zeitgenossen und die Literatur gewonnen. Es ist nicht das erste Beispiel gewesen und nicht das letzte geblieben, wie betäubend dreiste Selbstgefälligkeit, kecke Anmaßung und die stets wiederholte Versicherung, daß man allein die rechte Einsicht und das volle Verständniß besitze, auf die stets vorhandenen, zahllosen schwachen Köpfe unter den Zeitgenossen wirken. Dazu kommt, daß für solche Köpfe nichts bestechender und verlockender ist als gerade die, mit hohen Worten und schönen Redensarten verhüllte und verbrämte Unklarheit, Verworrenheit und Ziellosigkeit, da jedermann sich dabei alles denken und daraus alles entnehmen kann, was er sich überhaupt zu denken und zu entnehmen vermag. Einer solchen Unklarheit und Verworrenheit, einer solchen Unsicherheit, Ziellosigkeit und Formlosigkeit begegnen wir aber, wo wir tiefer und unbefangen in die kritischen und auch schönwissenschaftlichen Schriften der Romantiker hineinsehen, fast auf allen Ecken und Enden. Sie reißen nur ein, ohne im Grunde auch nur einmal wieder aufzubauen, und während sie allen falschen Richtungen und aller Unnatur der Zeit, des Lebens, der Bildung, des Geschmacks und der Literatur auf das schonungsloseste den Krieg machen, verfallen sie selber einer anderen, nicht geringern, sondern eher noch größeren und verderblichem Unnatur und Geschmacklosigkeit.
Das Allerübelste ist und bleibt aber, daß man nirgends das Mißtrauen gegen die Wahrheit und den Ernst des Kritikers und seiner Kritik, ja hin und wieder selbst des Dichters und seiner Dichtung, zu überwinden vermag. Wir begegnen statt dem Ausdruck wahrer Empfindung und eigener Ueberzeugung, nur gar zu häufig einem blitzenden und schillernden, sogenannten geistreichen Spiel mit Phrasen, Redensarten, Witzen und Einfällen, das sich zuweilen gradeswegs über den zur Schau getragenen Ernst und unsern Glauben an denselben lustig zu machen scheint. Wir finden selbst die Einheit der künstlerischen Composition und die reine Wirkung des Kunstwerks durch allerhand ähnliche willkürliche und fremdartige Einschiebsel und Anhängsel oft genug völlig aufgehoben und empfangen auch hier zuweilen wieder den Eindruck, als mache der Dichter überhaupt nur Spaß und glaube selber am allerwenigsten an seinen Stoff und die kunstvoll ausschattirte Herrlichkeit, als versuche er sich etwa nur einmal Vergnügens halber in dieser Weise und probire, wie weit allenfalls seine Kraft reichen möge. Mit einem Wort, was wir finden, was uns mißtrauisch macht und uns, jeden Glauben und jeden Genuß zerstörend, nicht selten sogar mit Widerwillen erfüllt, das ist die Ironie, die in den meisten Werken der Romantiker ihr unheilvolles und unleidliches Spiel treibt und nicht am wenigsten charakteristisch für diese Richtung, oder sage man: Schule ist. Von ihr freilich können zwar allerhand pikante und capriciöse – gelegentlich auch fratzenhafte –, aber niemals ächt künstlerische, wahrhaft werthvolle und bleibende Schöpfungen ausgehen.
Der bedeutendste, einsichtigste und verständnißvollste, einflußreichste und, wenn man so will, wohlthätigste Kritiker und Aesthetiker dieser Gruppe ist der durch seine gründliche klassische Bildung getragene August Wilhelm Schlegel, geboren zu Hannover 1767, gestorben 1845 zu Bonn, wo er seit 1818 an der Universität lehrte. Ueber seine kritische und ästhetische Thätigkeit, über seine literatur- und kunstgeschichtlichen und besonders orientalischen (indischen) Studien haben wir nicht weiter zu reden, sondern können nur anführen, daß hier überall seine Verdienste keine geringen sind. Für uns kommt er vorzüglich nur als gewandter und geschmackvoller Uebersetzer aus dem Italienischen, Spanischen und Portugiesischen – »Blumensträuße« und »Spanisches Theater«, und durch seine Uebertragung Shakespeare'scher Stücke in Betracht, welche letztere seinen Ruhm zu einem bleibenden macht. Von seinen eigenen dichterischen Schöpfungen ist seine antikisirende Tragödie »Jon«, trotz Goethe's Protection, spurlos vorübergegangen. Seine Gedichte zeichnen sich weniger durch den dichterischen Gehalt, als durch die reine und schöne Form und Sprache aus. Doch verdienen seine Balladen – unter ihnen die bekannteste »Arion«, – auch heute noch mit Ehren genannt zu werden.
Eine nicht weniger einflußreiche, in Wirklichkeit aber viel unbedeutendere, ja gradezu unerquickliche Erscheinung ist August Wilhelms jüngerer Bruder, Friedrich Schlegel, geboren 1772 und, nachdem er mit seiner Gattin zu Köln schon in den ersten Jahren des Jahrhunderts zur katholischen Kirche übergetreten und später im österreichischen Staatsdienst angestellt gewesen war, gestorben zu Dresden 1829. Ein wirkliches Verdienst hat er sich indessen durch die erstmalige, wissenschaftliche Behandlung der Literaturgeschichte erworben – »Geschichte der alten und neuen Literatur«. Seine Uebersetzungen aus dem Altspanischen und Indischen – »Sprache und Weisheit der Inder« – sind gleichfalls verdienstlich und seine Bearbeitungen mittelalterlicher Gedichte noch immer bemerkenswerth. Unter seinen, meistens phrasenhaften oder süßlichen lyrischen Gedichten finden sich nur einzelne von einem gewissen Duft, wie z. B. jenes wirklich schöne: »Bei Andernach am Rheine – Liegt eine tiefe See«. – Sein Trauerspiel »Alarkos« dagegen läßt sich fast nur als einen unsinnigsten Einfall auffassen: es wurde zu Weimar bei der Aufführung auch geradezu ausgelacht. Und sein Roman »Lucinde«, den der berühmte F. E. D. Schleiermacher (1768-1834) trotz all seiner Frivolität oder richtiger Lascivität in Schutz zu nehmen versuchte – »Vertraute Briefe über F. Schlegels Lucinde« – entzieht sich der Beurtheilung und bleibt mit Recht als ein Monstrum der Vergessenheit überlassen.
Der von der Schule, seinen Freunden und sehr vielen seiner Zeitgenossen unendlich gefeierte, ja in einer Art von Heiligenschein erblickte Friedrich von Hardenberg, bekannter unter seinem Schriftstellernamen Novalis, geboren 1772, gestorben 1801, wird trotz seines frühen Todes und trotz der geringen Zahl von zudem meistens fragmentarischen Schöpfungen, ohne Widerspruch als der bedeutendste eigentliche Dichter unter den älteren Romantikern anerkannt werden müssen. Als Lyriker übertrifft er nicht nur den sogleich zu nennenden L. Tieck, sondern auch die meisten Gleichzeitigen durch Tiefe der Empfindung, Natürlichkeit, Wohllaut der Sprache und durch Reinheit und Einfachheit der Form. Ja, unter seinen Marien- und übrigen geistlichen Liedern finden sich einzelne, wie jene bekannten – »Wenn ich ihn nur habe«, oder »Wenn alle untreu werden«, – die sich dem Schönsten anreihen, was in unserer Sprache jemals gesungen worden ist. Novalis ist gewissermaßen der Repräsentant der Romantiker und der romantischen Schule. Sein gesammtes dichterisches Schaffen, ja man kann beinahe sagen, selbst sein Leben geht von ihren Principien aus und wird von ihnen erfüllt und getragen; er übertrifft sie alle an Unklarheit und Dunkelheit, an Sibyllinismus und an einer Traumseligkeit, welche sich in die Mystik verliert, und hat in dieser Hinsicht überhaupt in unserer Literatur kaum seines Gleichen. Um ihn von dieser Seite kennen zu lernen, muß man den unvollendet gebliebenen mystischen Roman »Heinrich von Ofterdingen« und einzelne Stücke des fragmentarischen, meistens nur aus Aphorismen und Sentenzen bestehenden Nachlasses lesen. Als Kunstwerk ist der Roman völlig mißlungen, ja im Grunde nicht mehr noch weniger als das reine Nichts. Und es ist bezeichnend nicht nur für die Romantiker selber, sondern auch für ihre Zeitgenossen und Anhänger, daß man die wunderliche Schöpfung trotzdem lange Zeit für eines der genialsten und tiefsinnigsten Dichterwerke auszugeben und als solches anzustaunen liebte.
Wilhelm Heinrich Wackenroder, geboren 1773 und gestorben schon 1798 zu Berlin, hat durch seine uns freilich seltsam erscheinenden, aber interessanten und sehr lesenswerthen »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« einen unleugbar großen Einfluß auf die Ausbreitung und Erstarkung der Romantik in der Poesie, vor allem aber in der Kunst, sowie auf die ganze Entwickelung derselben ausgeübt. Von nicht geringerer Bedeutung war seine Wirkung auf den eng mit ihm verbundenen Tieck, den er erst zur Romantik hinüberzog und über dem er – es ist noch heute nicht ausgemacht, was in einigen Schriften dieser Zeit dem Einen oder Anderen gehört – vergessen worden ist.
Und nun kommen wir schließlich zu dem, der als Haupt und Führer nicht bloß der Romantiker, sondern auch der gesammten, freilich überall mehr oder weniger von denselben beeinflußten schönen Literatur in den ersten dreißig Jahren unseres Jahrhunderts anerkannt und als Dichter von vielen neben, ja in ziemlich unverblümter Weise auch wohl über Goethe gestellt worden ist, und in dem man, mag man im Uebrigen von seinem Schaffen und seinen Schöpfungen halten, was man will, unzweifelhaft eines der größten Talente zu erkennen und zu schätzen hat, denen man überhaupt in der Geschichte unserer Literatur begegnet. Das ist Johann Ludwig Tieck, geboren zu Berlin am 31. Mai 1773.
Von seinem Vater, der das Seilerhandwerk betrieb, wird uns versichert, daß er ein Mann von einer in seinem Stande ungewöhnlichen Bildung, von Kenntnissen und von lebhaftestem Interesse für die Poesie überhaupt, besonders aber für die, vom Anfang der siebziger Jahre an sich rasch einander folgenden, groß- oder doch neuartigen Dichterwerke gewesen sei. Dies würden wir auch schon um seiner drei Kinder willen glauben, welche sich alle als reich angelegte und hochbegabte Naturen erwiesen und von denen Ludwigs jüngerer Bruder als Bildhauer nicht geringen Ruhm erlangte, während die Schwester Sophie, verheirathete Bernhardt, später von Knorring, als Dichterin und Romanschriftstellerin zwar keine hervorragende Stellung einnimmt, aber doch wenigstens zu den besseren der schriftstellernden Zeitgenossen zu zählen ist.
Bei Ludwig regte sich der poetische Sinn früh und gewannen schon während seiner Schuljahre, nach Goethe's »Götz von Berlichingen«, Shakespeare's Werke und der Don Quixote des Cervantes auf ihn den tiefsten Einfluß; ja selbst die Italiener, und von ihnen vor allem Tasso, wurden ihm bereits bekannt. Dazu gesellten sich das rege Geistesleben der besseren Berliner Gesellschaftskreise, in welche er bald hineingelangte, theatralische und musikalische Genüsse durch Vermittelung des bekannten Componisten und Kapellmeisters Reichardt, und endlich die Vorträge von K. Ph. Moritz über Alterthümer und Kunstgeschichte. Bei solchen Vorbereitungen und Anregungen war es erklärlich genug, daß der angeborene Schöpfungstrieb alsbald zum Durchbruch kam und bereits in den frühsten Jünglingsjahren dichterische Versuche entstanden, denen dann wenig später die ersten wirklichen Werke folgten. Von seinem Lebensgange können wir in aller Kürze berichten. Seine Studien zu Halle, Göttingen und Erlangen waren hauptsächlich den bildenden Künsten und der schönen, auch bereits der älteren Literatur der Deutschen und Engländer zugewendet. Darauf mehrere Jahre in Berlin lebend, wo er sich auch verheirathete, gab er sich ganz literarischen Beschäftigungen hin, und es entstammen dieser Zeit die gewaltsamen, leidenschaftlichen und ausschweifenden Erstlingsromane »Abdallah« und »William Lovell«, der humoristische und bereits romantisirende »Peter Leberecht«, und die ähnlich geartete Erzählung »Die sieben Weiber des Blaubart«, das gleichfalls romantische Trauerspiel »Karl von Berneck«, und die beiden polemisirenden Stücke, das Märchen »Das Ungeheuer und der verzauberte Wald« und das »historische« Schauspiel »Die verkehrte Welt«. Seinem Umgange mit dem kunstbegeisterten Wackenroder verdankt der unvollendete, an »Wilhelm Meisters Lehrjahre« erinnernde Künstlerroman »Franz Sternbalds Wanderungen« seine Entstehung, ein Werk voll mittelalterlich frömmelnder Kunstbetrachtungen und endloser, ermüdender Reflexionen. –
Es folgen nun, während Tieck seinen Aufenthalt in den nächsten zwanzig Jahren häufig wechselte und bald zu Jena, zu Dresden, auf dem Gute eines Freundes, Ziebingen bei Frankfurt a. O., u. s. w. lebte, bald Reisen machte, wie 1805 nach Italien und später, 1818, nach London, und dazwischen von schwerer Krankheit heimgesucht und fast völlig gelähmt wurde – bald einige seiner besten Dichtungen, die an die bekannten Volksbücher sich anlehnenden Dramen »Leben und Tod der heiligen Genoveva«, »Fortunat« und »Kaiser Octavianus«, die polemisirenden, dramatisirten Märchen »Der gestiefelte Kater«, »Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Geschmack«, vom »Kleinen Däumling« u. s. w., dann die im »Phantasus« gesammelten theils bearbeiteten, theils eigenen Märchen und Erzählungen. Nebenher gehen seine eigenen Gedichte, eine Auswahl altdeutscher Minnelieder, Ulrichs von Lichtenstein »Frauendienst«, und Uebersetzungen, wo denn außer anderen zahlreichen Werken besonders des Don Quixote und der Shakespeare'schen Stücke zu gedenken ist.
Von 1819 an lebte er in Dresden als sächsischer Hofrath und in Folge seiner Theaterkritiken – »Dramaturgische Blätter« – alsbald als Dramaturg am Theater angestellt, berühmt und immer berühmter in Kurzem, bei Einheimischen und Fremden, durch den als meisterhaft gerühmten Vortrag dramatischer Werke. Während der folgenden zwanzig Jahre erschienen seine zahlreichen Novellen, die als Meisterstücke dieser Gattung und der Erzählungskunst gepriesen wurden, »Der Aufruhr in den Cevennen«, »Dichterleben«, »Die Wundersüchtigen«, »Die Gemälde«, »Die Reisenden«, »Die Gesellschaft auf dem Lande«, und nebst vielen anderen die späteren »Die Vogelscheuche«, »Der junge Tischlermeister«, und endlich der Greisenroman »Vittoria Accorombona«. – Seit 1846 lebte er, vom König Friedrich Wilhelm IV. berufen, in Berlin und Potsdam und starb am 28. April 1853.
Sehen wir uns diesen, wohl einmal so geheißenen »romantischen Goethe« näher und im Ganzen an, so müssen wir von vornherein zugestehen, daß er als Dramaturg und Uebersetzer, trotz der gelegentlichen Grillen des Ersteren, unangefochten einen der ersten Plätze in unserer Literatur behauptet. Schauen wir aber auf den Dichter Tieck und seine Schöpfungen, von den ersten leidenschaftlichen Jugendarbeiten an, durch die romantisirenden, polemisirenden und nach Volksthümlichkeit strebenden dramatischen Dichtungen und Märchen, bis zu den späteren »Novellen«, und zwar mit unseren, der Heutigen Augen – ein wahrhaft großer Dichter bleibt in den Augen aller Nachkommen groß! –; lassen wir uns nicht durch den Enthusiasmus, die Verehrung, das Staunen der Anhänger, der Schüler und der Mehrzahl der Zeitgenossen blenden und einnehmen: – dann wird diese ins Ungemessene hinaufgesteigerte Größe und dieser fast alle anderen überfliegende Ruhm auf ein, zwar noch immer nicht geringes, aber um vieles bescheidneres Maß zurücksinken.
Gehen wir seine Werke durch vom ersten bis zum letzten, so finden wir nur ganz ausnahmsweise einmal jene liebevolle und innige Hingabe an den Stoff und das selbstlose Aufgehen in die Schöpfung, welche den Dichter erst zum Künstler und seine Dichtung zum Kunstwerk erheben. Wir sehen Tieck sich nur ganz ausnahmsweise mit der eigenen, inneren Poesie seines Stoffes begnügen; er ist vielmehr stets mit Zuthaten bei der Hand, welche, ehrlich gesagt, der ersteren nicht oft zum Vortheil gereichen? sondern sehr häufig sie auf das empfindlichste schädigen, ja fast zerstören. Tieck betrachtet und erfaßt die Natur, das Leben, den Menschen wiederum nur ausnahmsweise mit dem Auge und dem Sinn des unbefangenen, natürlichen und warmherzigen Beobachters; er verliert sich viel lieber in jenen zugleich träumerischen und schwelgerischen Mondscheindämmer, den keiner vor oder nach ihm mit so phantastischem, zauberhaftem Reiz zu erfüllen und auszumalen verstanden hat, und ist ein außerordentlicher Liebhaber des »Wunderlichen« und Absonderlichen, mit einem Worte, alles dessen, was seiner Phantasie freien Spielraum? läßt und ihn nicht sie zu zügeln zwingt. Jene Fehler und Schwächen der Romantiker, das künstlich Mystische, das sentimental Frömmelnde, das zuweilen völlig Planlose und – auch in der Form – Zerflossene und Willkürliche, das angeblich geistvoll, in Wirklichkeit aber häufig genug schier kindisch Spielende und Witzelnde, das wiederum angeblich Humoristische und Satirische endlich, das jedoch häufig, ja meistens nichts als die gefährliche, zweischneidige Ironie ist – dies alles und zumal das Letztere findet sich in Tieck und der Mehrzahl seiner Schöpfungen nicht schwächer, sondern meistens noch schärfer ausgeprägt als in fast allen übrigen Romantikern.
An Verstand fehlt es Tieck keineswegs, derselbe ist vielmehr voll Schärfe und Feinheit; aber es fehlt ihm an warmem und reinem Gefühl und, mag man sagen, was man will, an ächtem künstlerischem Geschmack. Darum stoßen wir so häufig in seinen Dichtungen auf das Widerwärtige und gradezu Häßliche; daher finden wir jenen, schon von A. W. Schlegel hervorgehobenen Mangel an dramatischer so gut, wie an metrischer Technik, eine Formlosigkeit, die, wie nicht am seltensten in den lyrischen Gedichten, schier bis zur Verwilderung geht, und in der Diction eine Verschwommenheit oder Gesuchtheit, die kaum ihres Gleichen haben möchte. Dazu gesellen, darüber ergießen sich nun jene schon erwähnte, gefährliche Ironie, phantastische Absprünge, rein willkürliche – zuweilen völlig geschmacklose Zuthaten aller Art, karikirende Züge, »wunderliche« Allotria, breite Reflexionen und wer sagt's, was noch sonst? – meistens wohl nur, um die Beschränktheit der Erfindungsgabe und die Schwäche der Gestaltungskraft einigermaßen zu verdecken. Sind doch seine »Novellen« zum großen Theil nichts als Tendenzstücke, – ein schmaler Rahmen von Erzählung und Handlung um einen breiten, wohl geistvollen, aber auch spitzfindigen Dialog, in dem die grade auftauchenden socialen, die künstlerischen, die Zeit- und Bildungsfragen des Tages abgehandelt werden.
Daß es in Tieck's Schriften nicht an hohen dichterischen Schönheiten fehlt und daß er selber ein ächter und großer Dichter ist, – wer wird das leugnen wollen? – Lese man nur einmal in die »Genoveva« und den »Octavian« hinein, suche man nur einmal die Märchen und Erzählungen des »Phantasus« auf! Lerne man Tieck überhaupt nur einmal dort kennen, wo der traumselige Romantiker und – wir halten dies für einen Hauptpunkt! – das witzelnde Berliner Kind dem wahren Dichter Platz machen, wo dieser sich, wie wir oben sagten, wirklich einmal seinem Stoffe hingibt und in seiner Schöpfung aufgeht: das Urtheil wird schon günstig lauten müssen. – Aber freilich, wer hat heutzutage noch Lust, Zeit und – leider! – auch nur Verständniß genug, solche einzelne Perlen aus dem Haufen von leeren Schalen hervorzuklauben?
Die Uebersicht der Literatur und der Schriftsteller, welche, bald im Anschluß an Schiller und Goethe oder an die Romantiker, bald und zwar nur in seltenen Fällen mit einer gewissen Selbstständigkeit während der siebzehn Jahre dieses Abschnitts hervortraten, wird uns dadurch nicht wenig erleichtert, daß sie wie das gesammte literarische Leben und die gesammte Bildung der Zeit in Weimar-Jena eine Art von Mittelpunkt haben. Mögen sie im Uebrigen noch so weit auseinander bleiben, hier begegnen wir ihnen allen einmal, sei es persönlich, sei es in ihren Beiträgen zu Schillers »Hören« und seinem »Musenalmanach«, sei es in den »Xenien«, sei es endlich in allerhand bald schärferen, bald schwächeren Anfeindungen gegen die Dichterfürsten und ihren Kreis.
Aber erleichtert wird uns die Uebersicht auch dadurch, daß, wie gewaltig auch die Geistesarbeit auf allen Gebieten damals sein mochte und wie außerordentliche Geister allerwärts glänzend hervortraten, dennoch von diesen letzteren auf dem Gebiete der schönen Literatur, außer den bisher schon genannten größeren und größten, nicht einer erschien noch zu irgend einer Bedeutung gelangte. Zwischen denen, die uns interessiren, fehlt es nicht an Regsamkeit und Strebsamkeit; es fehlt nicht an Ernst, es fehlt nicht an dem einzelnen Guten und Schönen. Ja, es stößt uns sogar die eine oder andere Erscheinung aus, die vom Geschmack des Tages hervorgehoben, sich eine Weile neben dem Größten behaupten zu wollen schien, allein fest ins Auge gefaßt, bald wieder auf ihren wirklichen, hin und wieder sehr bescheidenen Platz zurückwich. So sehen wir wohl einmal einen großen Erfolg und einen überwältigenden Eindruck, allein von Dauer war weder der eine, noch der andere. Mit einem Wort, was wir hier finden, sind alles, zum Theil gar achtungswerthe Nebenpersonen und Statisten und lassen sich, ohne daß man ihnen Unrecht thäte, mit wenigen Worten abfertigen.
Der Bedeutendste und Größte von allen, aber auch der Unglücklichste, ist der nach dem glänzenden Anfang seiner Bahn jäh versinkende J. Ch. Friedrich Hölderlin, geboren 1770 zu Lauffen am Neckar, gestorben zu Tübingen, nach vieljähriger Wahnsinnsnacht erst 1843. Tiefer als er drang nicht einer der Neueren in den antiken Geist und das antike Leben Griechenlands ein. Er verstand nur diesen Geist und dieses Leben, er wußte nur von ihnen und wollte nur sie; nur ihnen galt seine Leidenschaft, während er der Gegenwart feindselig gegenüberstand – ein Conflict, wie man wohl sagen darf, an dem er erliegen mußte. In seinen Dichtungen, dem Roman »Hyperion«, der Tragödie »Empedokles«, den großartigen Hymnen, den Oden und Elegien, den Liedern an Diotima und seinen, nicht selten hinreißend schönen Naturdichtungen, finden wir einen Schwung, eine Begeisterung, eine Tiefe der Empfindung, vor allem aber eine Formenschönheit und ein plastisches Gestaltungsvermögen, welche ihn unseren Größten an die Seite gestellt haben würden, wäre er jemals zur Klarheit und Ruhe und zur Herrschaft über sich durchgedrungen.
Nach ihm nennen wir den von ihm grundverschiedenen, aber seiner Zeit schier vergötterten, neben, ja über Schiller und Goethe gefeierten Ch. August Tiedge, 1752-1840, dessen »Urania« durch die blühende Darstellung und ihre angebliche Tiefsinnigkeit es aller Welt, zumal den Frauen, anthat, während sie und auch seine übrigen »Gedichte«, »Elegien«, »Episteln«, welche an Gleim und seine Halberstädter Schule erinnern, heutzutage mit vollem Recht zu den abgethanen Literaturacten gelegt sind. Erwähnt sei hier noch seine langjährige intime Verbindung mit der Kurländerin Elise von der Recke, 1754(?)-1833, die sich außer einer Schrift über Cagliostro, auch durch geistliche Lieder bekannt machte und sogar als Mitarbeiterin in den »Horen« zu finden ist. –
Vergessen wie die »Urania«, aber mit weniger Recht, ist das in Hexametern geschriebene Lehrgedicht »Der Gesundbrunnen«, von Val. Wilhelm Neubeck, 1765-1827, das in diesem Genre noch heute als eines der besten anzuerkennen ist.
K. L. von Knebel, 1744-1834, zuerst Offizier in Potsdam, von wo aus er in Verbindung mit Ramler, Nicolai und den übrigen Berlinern trat; von 1774 an Erzieher des Prinzen Constantin von Weimar, und seit dieser Zeit einer der treusten Genossen des dortigen Hof-, Gesellschafts- und Dichterkreises. Er hat sich weniger durch seine eigenen, wohlgemeinten, aber ein wenig altfränkischen Gedichte, als durch seine Uebersetzungen des Properz und Lucrez bekannt gemacht. Für uns ist er am interessantesten durch seinen ausgebreiteten Briefwechsel mit fast allen Mitgliedern des Weimar'schen Kreises, von dem einige Theile veröffentlicht worden sind. – An ihn schließen wir füglich den wunderlichen, jovialen, hypochondern, zerstreuten Genossen des Weimar'schen Kreises Friedrich Hildebrand von Einsiedel, 1750 bis 1828, von dem es neben kleinen eigenen Possen und Lustspielen auch Uebersetzungen von Stücken des Terenz gibt – Arbeiten, zu denen im Anfang des Jahrhunderts, wegen der theatralischen Experimente auf der Weimar'schen Bühne, von Goethe und Schiller alle Welt ermuntert wurde. Lieferte doch auch der seinerzeit berühmte Pädagog, Kanzler A. H. Niemeyer, 1754 bis 1828, eine solche Uebersetzung der »Andria« des Terenz ein.
Gleichfalls weniger durch seine eigenen, übrigens nicht werthlosen Gedichte, als durch seine, für die damalige Zeit hochverdienstlichen, noch heute schätzbaren Uebersetzungen des Tasso, Ariost, Calderon u. s. w. gewann sich den angesehensten Namen J. D. Gries, 1775-1842, geboren und gestorben zu Hamburg, während der längsten Zeit seines Lebens jedoch in Jena und Weimar hausend. Seine anonym erschienene Biographie ist für die Geschichte des Weimarschen, d. i. deutschen literarischen Lebens jener Zeit ein höchst werthvolles Buch.
Eine düstere Erscheinung ist Franz von Sonnenberg, geboren 1779, im Jahre 1805 sein Leben durch einen Sturz aus dem Fenster endend. Sein großes Epos in Hexametern, »Donatoa«, das vom Weltuntergang handelt, ist im Geiste Klopstocks und seiner Messiade abgefaßt. – Ebenfalls in den Bahnen Klopstocks und J. H. Voß' finden wir L. K. Th. Kosegarten, 1758 bis 1818, der sich jedoch auch in allen möglichen anderen Weisen versuchte. Seine Dichtungen, unter denen die beiden, an die »Luise« sich anlehnenden Idyllen, »Jukunde« und »Die Inselfahrt«, heben sich trotz aller Schwäche noch immer aus der großen Masse hervor. Am höchsten steht er in seinen, meist völlig übersehenen Romanen. »Ida von Plessen« zum Beispiel, und »Ewalds Rosenmonde«, beides Bearbeitungen des gleichen Stoffs, sind zwei Werke, die auch heute noch wohl unsere Aufmerksamkeit und Theilnahme zu fesseln vermögen. – Von gleichem Einfluß war Voß durch seine »Luise« auf den Hallischen Buchhändler A. G. Eberhard, 1769-1845, dessen Idylle, »Hannchen und ihre Küchlein« zumal in Norddeutschland, bis tief in unser Jahrhundert hinein eine der beliebtesten und gelesensten Dichtungen war.
Der Däne Jens Baggesen, 1764-1826, dichtete in deutscher Sprache, gleichfalls der »Luise« folgend, das idyllische Epos »Parthenais« und, mehr an Wieland's leichte Manier erinnernd, das humoristische »Adam und Eva«. Von seinen ebenfalls deutschen Gedichten ist etwa nur das eine: »Als Vater Noah in Becher goß – Der Traube trinkbares Blut«, im Gedächtniß der deutschen Studenten geblieben. – Auch ein Schwede, K. G. von Brinkmann, als Dichter Selmar geheißen, 1764-1848, hat damals zahlreiche empfindsame und schwärmerische Gedichte, Epigramme u. s. w. geschrieben, ohne dadurch etwas Anderes als die Vergessenheit zu erlangen.
Ein wirklicher Dichter dagegen trat in dem Schweizer Johann Gaudenz von Salis-Seewis, 1762-1834, auf. Seine nicht zahlreichen Gedichte sind, meistens von einer gedämpften, ja wehmüthigen Stimmung, voll Wohllaut und Einfachheit und lange Zeit zum Theil Lieblingslieder unseres Volks geblieben. »Das Grab ist tief und stille«, »Wann, o Schicksal, wann wird endlich«, »Wie schön ist's im Freien« sind ein paar von diesen, ihrerzeit vielgesungenen Stücken. Auch zwischen seinen Naturgedichten finden sich einzelne ansprechende. Dagegen werden andere, wie auch einige seiner Elegien, durch eine, damals freilich sozusagen in der Luft liegende, gesuchte Klassicität für uns unerquicklich.
Nach Schwaben führen uns K. Ph. Conz, 1762-1827, ein Mitarbeiter des Schiller'schen Musenalmanach, mit lyrischen Gedichten der besseren Art, Romanzen, Schwänken, dem Trauerspiel »Conradin von Schwaben«, Uebersetzungen aus dem Aeschylos, Aristophanes, Tyrtäos u. s. w. – J. Chr. Fr. Haug, 1761-1829, ein Jugendfreund Schillers, einer unserer witzigsten Epigrammatisten. Am bekanntesten sind seine, zum Theil unvergleichlichen »Hyperbeln auf Herrn Wahls große Nase«. – Endlich der zu Berlin 1766 geborene, aber seit 1807 in Stuttgart angesiedelte G. Reinbeck, gestorben 1849, welcher sich nicht ohne Glück in Trauer-, Schau- und Lustspielen versuchte.
Von den unendlich vielen Anderen, welche sich bald als Dichter, bald als Dramatiker, Erzähler oder auf allen diesen Gebieten zugleich versuchten, nennen wir wenigstens einige der Besseren und zu ihrer Zeit Beliebtesten. F. A. Krummacher, 1768-1815, ein Nachfolger von Herder und Claudius, machte durch seine »Parabeln« ein verdientes Aussehen. – G. Ph. Schmidt, gen. von Lübeck, 1766-1849, hat sich durch seine Lieder bekannt gemacht, von denen einzelne, wie »Fröhlich und wohlgemuth«, oder »Von allen Ländern in der Welt« u. s. w. durch ganz Deutschland gesungen wurden. Friedrich Rochlitz, 1769-1842, besonders als Kritiker und Theoretiker auf dem Gebiete der Musik bekannt, gewann sich durch kleine Lustspiele, Romane und Erzählungen Beifall. – Julius von Voß, 1768-1832, schrieb Possen, »Farcen«, Lustspiele, Erzählungen und Romane, letztere nicht ohne Verdienst, aber häufig durch eine fast unglaubliche Leichtfertigkeit entstellt. – A. E. Freiherr von Steigentesch, 1774-1826, wurde vorzüglich durch seine Lustspiele bekannt, hat sich indessen auch in Erzählungen und Gedichten nicht ganz ohne Glück versucht. – Stephan Schütze, 1771 bis 1839, war um seiner kleinen, recht lesbaren Erzählungen und heiterer dramatischer Werke willen seinerzeit weit bekannt und beliebt. –
Eine besondere Stellung nimmt der Danziger, in Weimar angesiedelte Johannes Falk, 1770-1826, ein. Er wurde als Satiriker – »Die Helden«, »Die heiligen Gräber zu Rom« u. s. w. – überaus hochgestellt. Indessen ist er als solcher völlig vergessen, hat jedoch durch seine rastlose Thätigkeit für verwilderte und verlassene Kinder ein gutes Andenken hinterlassen. Seine bekannteste Schrift, »Goethe aus näherem, persönlichem Umgange dargestellt«, ist zwar reich an interessanten Mittheilungen, aber nur mit äußerster Vorsicht zu benützen.
Von den schriftstellernden Damen, an denen es während dieser Periode keineswegs fehlt, finden wir die nennenswerthen gleichfalls in den »Horen« oder im Musenalmanach Schillers beieinander.
Karoline v. Wolzogen, 1763-1847, die Schwester von Schillers Gattin und mit dem Dichter in herzlichster Verbindung, schrieb einen Roman »Agnes von Lilien«, der zu den gefeiertsten seiner Zeit gehörte und sogar von ersten damaligen Kritikern lange für eine Schöpfung Goethe's gehalten wurde. Von höherem Interesse als dies verschollene Buch sind für uns das »Leben Schillers« und der »Literarische Nachlaß« der gleichen Verfasserin. – Amalie von Imhof, später von Helwig, 1776-1831, lieferte außer anderen, freundlich aufgenommenen Beiträgen, ein idyllisches Epos »Die Schwestern von Lesbos«, welches Schillers und Goethe's Beifall errang. Ihre späteren Schöpfungen hielten sich nicht auf der Höhe der ersten. – Friederike Brun, 1765-1835, die Freundin Matthissons, gewann einen, für den Geschmack der Zeitgenossen beschämenden Ruf durch Gedichte von kaum glaublicher Empfindsamkeit und erschreckender Armseligkeit. – Desto vorzüglicher und wirklich poetisch, voll Phantasie und schöner Darstellung, dürfen auch uns noch die Dichtungen von Sophie Mereau, 1770-1806, erscheinen. Die Dame wurde, von ihrem ersten Manne getrennt, im Jahre 1803 die Gattin Clemens Brentano's. Auch ihre Erzählungen und Uebersetzungen zeichnen sich Vortheilhaft aus. – Luise Brachmann, 1777-1822, in welchem Jahre sie den Tod in der Saale suchte und fand, muß als ein schönes Talent, voll Empfindung und Formgewandtheit, anerkannt werden. Ihre Liebeslieder rechtfertigen den Beinamen einer »deutschen Sappho«, den man ihr hin und wieder gegeben hat. Auch sie hatte einmal wieder das Loos, aus Armuth um das tägliche Brod schreiben zu müssen, und erlag daran schon vor ihrem Tode.
Allein wir müssen enden, ohne doch kaum ein Ende finden zu können. Denn diese wunderbare Zeit, voll einer niemals wieder beobachteten Regsamkeit und Strebsamkeit auf allen geistigen Gebieten, zeichnet sich nicht am wenigsten auch dadurch aus, daß ihre Männer und Frauen, unter denen uns allerwärts die ersten unseres Jahrhunderts, ja der ganzen neueren Zeit begegnen, nicht bloß große und erhabene, sondern auch schöne Geister, im edelsten Sinne des oft mißbrauchten Wortes, waren, – voll einer Bildung, die nicht höher und zugleich freier gedacht werden kann, voll des tiefsten Verständnisses und der treusten Liebe für alles Hohe und Herrliche auf den Gebieten der Poesie und der Künste. Wohin wir sehen, begegnen uns diese Menschen, welche durch ihre Stellung, ihren Beruf, ihre Wissenschaft, nach alten Begriffen der Poesie und Kunst, der schönen Literatur ferngestellt, ihnen jetzt die lebhafteste Theilnahme widmeten, den tiefgreifendsten Einfluß auf sie erlangten, ja nicht selten sich selber mit mehr oder weniger Glück schaffend auf diesen Gebieten versuchten.
Gehen wir an den Ersteren, wie dem Philologen und Alterthumsforscher Friedrich August Wolf, 1759-1824, dem Theologen und Kanzelredner Friedrich Ernst Schleiermacher, 1768-1834, dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 1770-1831, dem Historiker Johannes von Müller, 1752-1809, und anderen kaum weniger großen Geistern vorüber und sehen uns nur nach einigen der Letzteren um, so finden wir, um zuerst der älteren zu gedenken, schon von der Mitte der siebziger Jahre her und bis in unser Jahrhundert hinein, drei Brüder, die Freiherren von Dalberg, Karl Theodor, 1774-1817, Statthalter von Erfurt, später Erzbischof von Mainz und endlich Fürst Primas; Wolfgang Heribert, 1749-1806, Badischen Minister und Leiter des Mannheimer Theaters, und Johann Friedrich Hugo, 1760-1803, Domkapitular zu Trier, alle drei in Verbindung mit dem Weimar'schen Kreise und unseren großen Dichtern, Verfasser von beifällig aufgenommenen philosophischen, ästhetischen und kunsttheoretischen Schriften, dramatischen Versuchen und Uebersetzungen, z. B. des Sanskrit-Drama's »Gita Govinda«. – In den neunziger Jahren tritt Wilhelm von Humboldt, 1767-1835, auf, groß als Staatsmann und Sprachforscher, von hoher Bedeutung als Aesthetiker und als Dichter von Elegien und Sonetten, welche sich durch höchste Formvollendung auszeichnen. Selbst sein noch größerer Bruder Alexander von Humboldt, 1769 bis 1859, von dessen Schriften hier nur die »Ansichten der Natur« und der »Kosmos« erwähnt werden mögen, erscheint einmal in den »Horen« mit einer kleinen didactischen Erzählung, »Die Lebenskraft oder der Rhodische Genius«. –
Der Philosoph F. W. J. Schelling, 1775-1854, schrieb außer anderen dichterischen Versuchen unter dem Namen Bonaventura seine »Letzten Worte des Pfarrers zu Drottning auf Seeland«, in Terzinen von einer Vollendung, die selbst der Meister in dieser Versgattung, Chamisso, nicht überboten hat. – Der namhafte Philologe Friedrich Jacobs, 1764-1847, lieferte musterhafte Uebersetzungen aus der griechischen »Anthologie« und versuchte sich daneben, freilich ohne Glück und seltsamerweise im allerweichlichsten Tone, auf dem Gebiet der Erzählung – »Rosaliens Nachlaß« war lange Zeit eine Art von deutschem Familienbuch! – Dem Historiker K. L. v. Woltmann, 1770-1817, werden wir später als dem Verfasser eines merkwürdigen und ausgezeichneten Romans begegnen. – Endlich sein Fachgenosse, Johann Wilhelm von Archenholz, 1745-1812, schrieb außer seiner, fast zum Volksbuch gewordenen »Geschichte des siebenjährigen Krieges« eine auch stilistisch mustergültige Reisebeschreibung, »England und Italien«.
Wir brechen ab, denn es drängt sich, wie gesagt, in einer Zahl und mit einem Glanze heran, vor denen wir in diesem Abriß der Literaturgeschichte bescheiden zurückweichen.