Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am 12. November 1809 erließ Andreas Hofer vom Sande im Passeyr aus seinen allerletzten Aufruf zum Kampfe wider die Bayern und Franzosen, die endlich nach dem entscheidenden Gefecht am Berge Isel fast das ganze Tirol unterworfen und mit ihren Heeren überschwemmt hatten.
Am 12. November 1809 erließ der Vicekönig von Italien von Villach aus einen Aufruf, wonach ein Jeder der Todesstrafe verfiel, der noch fünf Tage nach der Bekanntmachung mit den Waffen in der Hand oder mit verborgenen Waffen betreten ward.
Am 13. November im ersten Morgendämmer stand der junge Weinbauer Leopold Scheiner aus dem Dorfe Gries bei Bozen unter dem Fenster seiner Liebsten, der blonden Gretl Erlacher, die am Ende des großen Dorfes am Talferflusse wohnte, da wo der hölzerne Steg nach der Bozener Seite hinüberführt. Er klopfte ans Fenster, sie verstand sein Zeichen, warf sich hastig in die Kleider und trat zu ihm ins Freie.
132 »Was gibt's, Poldl?« fragte sie erschrocken.
»Abschied gibt's,« entgegnete er ernst, »es geht wieder los. Der Sandwirth hat seinen Zettel geschickt. Behüt' Dich Gott, Gretl.«
Sie warf die Hände um seinen Hals und barg still das Gesicht an seiner Schulter. Nach einem langen Schweigen erst fragte sie wieder:
»Ist's auch ganz sicher? Ich hab gemeint und alle Anderen auch, jetzt sei's ganz zu Ende. Wer hat Dir's gebracht?«
»Die Koflerin schickt den Zettel,« versetzte er kurz.
Sie zuckte leise zusammen. »Allemal die Koflerin,« seufzte sie, unmerklich den schlanken Körper zurückziehend.
»Was hast gegen sie?« fragte er etwas scharf.
»Sie hätt' Dich können in Ruh' lassen«, fiel sie schnell ein. »Sie paßt gar so gut auf, was draußen vorgeht. Ihr habt Alle genug gethan. Ihr solltet Ruh' halten. Der Kaiser hat Frieden gemacht, und die Franzosen sind im Land.«
»Drum müssen sie wieder 'naus,« erwiderte er kräftig, »dreimal war der Feind im Land, und dreimal haben wir ihn 'nausgejagt. Jetzt kommt das vierte Mal.«
»Aber jetzt ist Frieden,« warf sie schüchtern ein, »und Ihr seid geschlagen bei Innsbruck und überall. Und der Kaiser will's selbst nicht mehr.«
133 »Der Sandwirth will's. Wir gewinnen wieder, und der Kaiser soll sich erst recht freuen,« sprach er zuversichtlich, »meinst, daß er sein Tirol gern abgäb'?«
»Und wo wollt Ihr schlagen? Wohin willst Du gehen?« fragte sie ängstlich.
»Ueber die Berg' nach Meran,« gab er zur Antwort. »Dahin kommt der Sandwirth. Ich geh' über Jenesien und Mölten. Vor Abend bin ich da.«
»Wo hast Deinen Stutzen?« rief sie plötzlich aufmerkend, »Du hast nichts bei Dir.«
»Meinst, ich werd' hier unten mit dem Stutzen herumlaufen, daß die Franzosen mich aufgreifen? Den hol' ich mir oben.«
»Wo?« rief sie hastig. »Aber ich merk' schon, bei der Koflerin, weil Du da vorbeigehst.«
»Ja,« sagte er mit etwas unsicherer Stimme, »beim Kofler geh' ich vorbei; und da krieg' ich den Stutzen.«
Sie ergriff seine beiden Hände.
»Poldl,« sagte sie mit schmeichelndem und zärtlichem Tone, »lieber Poldl, hätt's nicht angehen können, daß ich Dir das Gewehr hintrüg'? Ich hätt' auch gern etwas für Dich gethan.«
»Du?« fragte er neckend, »thätst Dich nicht fürchten?«
134 »Ist nicht wahr, daß Du das von mir meinst,« versetzte sie ernst und innig, »um Dich hab' ich alleweil Furcht, um mich gar keine. Ich trau' auf die Mutter Gottes, daß mir nichts geschehen kann, was nicht sein soll. Vor keinem Franzosen fürcht' ich mich nicht. Ich könnt' grad' vor ihnen stehen und sie auf mich schießen sehen und wollt' doch nicht ausreißen.«
»Nein,« sagte er freundlich, »gespaßt hab' ich bloß. Du bist keine Furchtsame. Das hast gezeigt, als Du die alte Urschl aus der Talfer gezogen hast. Das war mehr als vorm Feind stehen; es treffen ja nicht gar so viel Kugeln.«
Sie erröthete vor Freude über das Lob.
»Aber Recht hast doch; eins ist mir grauslich: wenn ich sollt' auf die lebendigen Leut' schießen; denn Leut' sind die Bayern ja auch und die Franzosen, und wenn ich ihnen sollt' Steine und Baumstämme auf die Köpf' werfen, wie die Anderen gekonnt haben bei der Oberauer Brücke und bei Pontlatz. Ich könnt's nicht, mir graust's schon vom Hören. Wahr ist's, die Koflerin kann das, die schöne Barbara. Die ist immer voran. Siehst, Muth hat die mehr als ich, und schöner ist sie auch, aber besser ist sie nicht, und wenn sie Dich gern hat, wie die Leut' sagen, ich hab' Dich doch lieber. Und bei ihr ist's Sünd', weil sie einen Mann hat, 135 wenn auch einen alten, und bei mir ist's erst gar kein' Sünd'? – Oder meinst?« fügte sie schelmisch hinzu.
Er zog sie sanft an sich und küßte ihre Stirn.
»Laß die Leut' reden,« sagte er mit einigem Unmuth, »sie wissen immer Böses.«
»Ich lass' sie auch reden,« versetzte sie heiter, »und glaub' nichts, als was wahr ist. Aber Etliches ist wahr. Daß die Barbl eine Wilde ist und eine hoffährtige Art hat, hab' ich lange gewußt. Das ärgert die Leute. Weißt, was sie von ihr sagen? Warum sie den alten Bauern genommen hat? Meinst, aus hitziger Lieb'?«
»Ich mein schon, dem schönen Hof zu Lieb'?« entgegnete er kurz.
»Ja, wegen dem Reichthum,« fügte sie eifrig hinzu, »damit sie Dir zeigen könnt', daß sie auch etwas wär', etwas Feines, und seine Sachen ihr schön stünden. Bloß um Deinetwillen, so sagen die Leute.«
»Laß sie reden, sag' ich,« brummte er verlegen.
»Ich geb' auch nichts darauf,« versicherte sie. »Und dann sagen sie auch. bloß Dir zu Lieb' sei sie mit in den Kampf gezogen, daß sie Dir zeigen könnt', wie sie stark ist und muthig und schön dabei. Und das denk' ich selbst, daß sie schön dabei muß aussehen mit ihren schwarzen Augen, wenn sie so schießt auf die Leute.«
136 Leopold runzelte die Stirn.
»Einmal hab' ich's gesehen,« sagte er gedrückt, »einmal hat sie's gethan. Aber ich möcht's nicht wieder so sehen. Es war mir doch grauslich.«
»Einmal nur hat sie geschossen?« fragte Gretl. »Ich mein' doch öfter.«
»Ich weiß bloß von einem Mal,« sagte er bestimmt, »aber getroffen hat sie. Grad' durch die Stirn dem Kerl, dem sakrischen Bayern. Und die höchste Zeit war es, sonst hatt' ich sein Bajonett im Leib.«
»So, darum war's,« murmelte sie betroffen und heimlich schaudernd.
»Sonst hat sie den Stutzen mir geladen,« fuhr er fort, »das war Alles. Und Steine gerollt bei Brixen in der Klause vom Berg 'nunter; aber das ist anders, da sieht man nicht, wen's trifft, und sieht überhaupt keinen Feind. Das hätt'st Du auch können! Bloß hören nachher thut man's, das Poltern und Krachen, als wenn die Berge zusammenstürzen, und dann das Heulen und Winseln von den armen Ludern da unten.«
Gretl deckte schaudernd die Hand über die Augen.
»Ich könnt's doch nicht,« sagte sie ängstlich. »Und ich wollt' doch, Du gingst nicht wieder in den Krieg. Es ist so garstig das Todtmachen, wenn's auch bloß Feinde sind.« Sie ergriff plötzlich wieder 137 seine beiden Hände. »Poldl,« flüsterte sie mit einem zärtlichen Aufblick, »hast mich noch lieb?«
»Dich wenn ich nicht lieb hätt', wär' ich nicht an Dein Fenster gekommen zum Abschiednehmen,« versetzte er einfach. »Behüt' Dich Gott, Gretl.«
»Hast mich aber noch sehr lieb, Poldl?« fragte sie mit süßer Schelmerei, indem sie sich weit zurückbeugte, als wollte sie sich seiner Liebkosung entziehen. Sie war von unendlichem Liebreiz in dieser Haltung. Es ergriff ihn mit Macht. Er preßte sie so gewaltsam in seine Arme, als ob sie ihm Jemand entreißen wollte.
»Au, Du thust mir weh!« schrie sie leise auf, doch mit einem unsäglich glückseligen Lächeln.
»Sehr lieb, sehr lieb hab' ich Dich, Gretl!« rief er entzückt und streichelte ihre blonden Flechten. »Und ich wollt', ich wär' erst wieder heim, daß ich bei Dir bleiben und Dich heirathen könnt'. Dann wird Alles besser.«
»Das wollt' ich auch,« nickte sie seufzend, »aber gut ist's auch jetzt schon, weil Du mich sehr lieb hast. Weißt, Poldl, daß ich mich vor gar nichts mehr fürcht'? Du kommst mir wieder, und bald. Die gute Mutter Gottes kann das ja gar nicht anders zugeben. Es wär' zu grausam anders; so kann sie nicht sein. Und beten will ich auch fleißig. – Bloß ob ich Dir auch treu bleib', das weiß ich 138 noch nicht,« fügte sie schalkhaft hinzu, »wenn's länger als drei Tag' dauert, mein' ich, wird mir's zu lang. Aber Du, gelt, bleibst mir treu?«
Er drückte sie hastig an sich und küßte stumm ihren Scheitel. Ein leises Stöhnen drang über seine Lippen.
»Eine Bitt' hätt' ich noch, lieber, liebster Poldl,« sagte sie, sich losmachend, »weißt, thu mir die Lieb', geh' nicht beim Kofler vorbei. Ich hab' so einen Aberglauben. Du kannst über Gunschna gehen, das ist auch nicht viel weiter. Holst Dir von meinem Bruder einen Stutzen, der hat so zwei, da gehst dran vorüber.«
Er blickte ihr auffahrend mit einem dumpfen Trotz ins Gesicht. »Geh', Gretl, bist eifersüchtig!« rief er sonderbar auflachend.
Sie neigte den hübschen Kopf schief gegen die Schulter.
»Wie kann denn das sein?« fragte sie mit einem verschmitzten Lächeln. »Mich hast so sehr lieb – kannst doch keine Andere lieb haben? Nein, 's ist nur darum, daß die Barbl eine so Wilde ist, und sie könnt' Dich auch zu wild machen mit ihrem Stutzen, daß Du in eine Gefahr läufst, wo's gar nicht nöthig ist. Und könnt' auch gar sein, daß sie wieder mit Euch geht, und da thät mir der arme, alte Mann gar zu leid in seiner Krankheit. Sonst 139 ist's nichts, Poldl. Eifersucht gibt's nicht. Zwei Mädel kann ein Mann nicht heirathen, gelt? Versprich mir, liebster Poldl.«
Sein Trotz schien gebrochen durch ihre Anmuth. Nach einem kurzen, heftigen Kampfe, der in seinen Zügen sich malte, sprach er scharf und fest: »Ich versprech' Dir's, Gretl. Ich geh' nicht zum Koflerhof.«
Mit einem hellen Jubelruf fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn herzinnig.
»Ich hab's ja gewußt, daß Du mich sehr lieb hast,« rief sie mit ihrer fröhlichen Stimme. »Und jetzt ist mir nimmer bang'; ich weiß, daß Du mir wieder kommst. Maria Joseph, wird das aber schön!«
»Ja, Gretl, es wird sehr schön werden,« sagte er weich und ergriffen, »und wir werden uns sehr lieb haben.«
Nach einem letzten zärtlichen Kusse wandte er sich zum Scheiden. Sie schaute ihm nach, wie seine stolze Gestalt zwischen den Weinlauben eilig dahinschritt und auf die Straße hinaustrat. Sie machte eine Bewegung ihm nochmals nachzueilen, ihn noch einmal zu umfangen. Allein sie bezwang sich. Ein seliges Liebeslächeln verklärte ihre reinen Züge.
Leopold Scheiner ging an den nächsten Häusern hin, tief in sich gesunken, den Blick zur Erde gesenkt. Die Sonne war dem Aufgehen nahe, in herrlichem 140 Goldglanz leuchteten die schönen Felshänge des Mendelgebirges. Er sah es nicht. »Mich hast ja sehr lieb – kannst doch keine Andere lieb haben,« murmelte er düster, Gretls Worte wiederholend. »Ja, ich hab' Dich sehr lieb, ganz von Herzen lieb, Gretl!« stöhnte er leidenschaftlich auf. »Ich könnt' nimmer von Dir lassen.«
Zwischen dem Mauracherhofe und dem alten Ansitz Troyenstein führte ein schmaler Fußpfad zur Rechten in die Höhe. Er stand eine Weile zögernd.
»Es ist doch näher hier als über Gunschna,« sprach er zu sich selbst, »und Zeit übrig hab ich keine. Fünf Stunden sind's auch so noch. Daß ich am Koflerhof vorbeispring', hat nichts zu sagen; Du hast bloß gemeint, Gretl, daß ich nicht da 'nein geh' und die Barbl nimmer seh'. Recht hast, Stutzen find' ich überall, in Jenesien und Mölten und erst recht in Meran. Und die Barbl hat bloß sagen lassen, daß ich hier diesen Weg geh'. Daß ich grad' an ihr Haus komm', hab ich nicht versprochen, das brauch' ich nicht zu halten. – Ich möcht sie nimmer sehen, das wär' schon am besten!« fügte er mit einem tiefen Seufzer hinzu.
Er schlug den Pfad ein, der ihn schnell in eine steil aufsteigende Schlucht brachte; schöne Edelkastanien füllten sie mit dem tiefen Schatten ihrer großblättrigen Zweige. Er kam schnell aufwärts an dem leise 141 rieselnden Bächlein entlang, bis er in einiger Höhe des kühlen Grundes in grüner Verborgenheit ein Kapellchen erreichte, das ganz von den breiten Aesten überdeckt und von Dornengestrüpp dicht umwachsen war. Die Thür stand offen, er trat eilig ein.
Eine tiefe Dämmerung umfing ihn, erst allmählich gewöhnte sich das Auge, daß es das Muttergottesbild deutlicher gewahrte, das aus Holz geschnitzt und sauber bemalt fast lebensgroß in einer tiefen Nische über dem Altare stand. Ein weiter Scharlachmantel aus wirklichem Stoffe umhüllte von den Schultern herab in schweren Falten die ganze Figur, noch weit vor ihren Füßen über den Boden wallend; allerhand kleine Weihgeschenke aus Silberblech waren ihm aufgeheftet, frische Blumen waren in Massen vor ihr hingestreut, und ein Kranz aus weißen Rosen bedeckte ihr Haupt. In einem hängenden Gefäße war Weihrauch angezündet und füllte den beengten Raum mit seinem schweren Gedüft und schwebenden Rauchwolken. Dem jungen Bauern schien es, als ob die starre Gestalt in dem ziehenden Gewölk sich leise bewegte und bedeutsam sich neigte.
Mit einem dumpfen Aufschrei warf er sich auf die Stufen vor dem Altar.
»Muttergottes, mach', daß ich die Barbl heut nicht auf dem Weg treffe!« betete er laut. »Mach', daß ich sie gar nimmer seh' mit meinen Augen! – 142 Aber auch hier innen im Herzen nicht!« fügte er seufzend hinzu; »schaff' sie hier aus dem Herzen, daß ich nicht dran verbrenn'! Ich allein bring's nicht zurecht – und ich hab' doch die Gretl so von Herzen lieb; es wär' mir zu grausam, das liebe Ding so zu betrügen. Wenn Du nicht hilfst, allerseligste Jungfrau, kann's Keiner auf der Welt. Lieber laß mich erschießen von den Franzosen, als daß ich in solche Untreue komm'!«
Ein wenig erleichtert, erhob er sich und stieg in der Morgenfrische kräftig weiter hinauf, bis die Schlucht sich am Berge verlief und der Pfad über steile Matten den Hauptweg erreichte. Hier lag ein Geringes abseits zur Rechten der Koflerhof; der junge Scheiner schritt hastiger aus, ja, er kam in ein Laufen, trotz des starken Anstiegs.
So vermied er den Hof. Allein kaum ward er ihm aus dem Gesicht, als er an der nächsten Wegkrümmung zu Füßen eines Kruzifixes ein Weib sitzen sah, das er mit heißem Herzklopfen sogleich als die Koflerbäuerin erkannte. Es war zu spät, umzukehren oder auch vom Wege abzubiegen; er sah, sie hatte eine Büchse quer über die Knie gelegt, blickte forschend in die Tiefe und wartete ihm entgegen.
Voll schweren Bangens ging er langsam auf sie zu; doch je näher er kam, je schärfer ihre kraftvolle Gestalt in der Morgensonne von den dunkeln Büschen 143 sich abhob, desto mehr schwand sein Zagen in hastigem Verlangen, sie zu begrüßen.
Sie trat ihm nicht entgegen, sie winkte nur mit der Waffe ein müdes Willkommen.
»Grüß Gott, Barbl, da bin ich,« sagte er verlegen und scheu, doch seine Blicke hafteten voll freudigen Entzückens an ihrem glühenden Antlitz.
Sie schlug die Augen unter den prachtvollen Brauen zu Boden und antwortete mit bebender Stimme, aus der eine tief verhaltene Leidenschaft zu klingen schien: »Ich hab's mir wohl gedacht, Poldl, daß Du auf den Hof nicht kommen würd'st. Aber den Stutzen mußt Du haben, darum bin ich hier. Es war besser, ich blieb auch daheim; aber ich konnt' Dich nicht gehen lassen so ohne Abschied; und den Stutzen mußt Du haben. Es ist der, mit dem ich den Bayern am Isel niederschoß – der wird gut für Dich sein. – Aber weißt, was ich am liebsten möcht'?« fragte sie plötzlich aufspringend, und ihre schwarzen Augen wie mit aufflammendem Zorn in die seinen heftend: »Ich hätt' den Kerl gefehlt, und er hätt' uns alle Zwei zusammen aufgespießt, daß wir jetzt mit einander da lägen in der kühlen Erde. – Und jetzt, wenn Du nimmer wieder kommst, ist auch alles gut.«
Er vernahm die wilden Worte mit ruhigem Nicken.
»Am besten wär's«, sagte er dumpf. »Aber 144 warum hat dies so kommen müssen, daß ich Dich nicht ansehen kann anders, als daß die Knie mir zittern und der Athem mir still steht? Ich ruf' alle Heiligen an, daß ich nichts dafür kann. Sie haben Dich zu schön gemacht und zu stolz anzusehen.«
Sie lächelte schwermüthig. »Dich etwa auch? Mir geht's doch grad' so, und ich kann auch nicht dafür. Daß ich keinen besseren Burschen um Bozen kenne, ist doch meine Schuld nicht. – Aber Deine ist's, daß Du mich nicht gleich von Anfang gemocht hast.«
»Ich kannt' Dich nicht wie Du bist,« erwiderte er halb verlegen, halb trotzig, »und dann – und dann –«
»Sag's nur getrost, daß Du die Andere lieber hatt'st,« fuhr sie leidenschaftlich heraus, »und immer noch lieb hast. Sag's nicht anders, Poldl! Ich mag Dich nicht lügen hören; lügen ist feige. Und Du hast mir's nie gelogen.«
Er erwiderte kein Wort, sondern blickte finster vor sich hin.
»Ich schelt' Dich darum nicht,« setzte sie ruhiger hinzu, »Ihr Mannsleute seid so, Ihr könnt zwei Frauen zugleich lieb haben, eine so und eine so, keine mehr und keine weniger. Gott hat Euch so gemacht, und wär' nichts gegen zu sagen, wenn's nicht so arg sündig wär'. Und wenn sich's Eine 145 gefallen läßt! – Wir Frauen können das nicht, wir mögen immer nur Einen. Und den wollen wir allein für uns haben.«
»Du hast doch auch Deinen Mann –« warf er schüchtern ein.
Sie erröthete tief. »Ja, das ist eben die Sünd',« entgegnete sie mit bitterer Ehrlichkeit; »die ist viel größer als Deine. Und ich werd' dran ersticken müssen, wenn's nicht besser wird mit mir hier innen. Aber das Eine kannst nicht sagen, daß ich den Mann lieb hätt', versteh' mich, nicht so, wie man einen jungen Mann lieb hat. Seinen Vater hat man auch gern, aber das ist ganz anders.«
»Du hätt'st ihn nicht nehmen sollen,« versetzte er trübe, »die Sünd' wär' kleiner.«
»Ich mußt' ihn nehmen,« entgegnete sie schroff, »ich wär' dran gestorben, daß mich Einer verschmäht hat.«
»Du bist zu stolz, Barbl,« sagte er mit sanftem Vorwurf.
»Ich bin, wie Gott mich gemacht hat,« fiel sie eifrig ein, »ich kann's nicht vertragen, daß ich klein und verschmäht sein soll, das ist ganz wahr, ich kann's nicht ändern, ich muß was vorstellen. Ganz besonders mußt ich's vor Dir. Und das ist auch jetzt, was mich am meisten wurmt, daß ich eine schmutzige Sünderin sein soll und gemein und feige. 146 Aber ich würd' ihm's Herz brechen, wenn ich ihm etwas von uns sagte; das ist mir zu hart.«
Er seufzte tief auf. »Mir geht's noch härter mit der Gretl,« sagte er leise.
»Und jetzt wünsch' ich, daß Dich die Franzosen ins Herz schießen,« sagte Barbara wild, »wiederkommen darfst nicht, Poldl, sonst gibt's ein Unglück.«
»Und jetzt gehst Deiner Wege, sonst gibt's gleich ein Unglück,« rief er mit gepreßter und dumpf bebender Stimme und faßte sie glühend in seine Arme. Sie rang mit ihm heftig; doch nicht allzu lange; plötzlich faßte sie ihn am Kopf, und ihre zitternden Lippen brannten ihm entgegen. Aber noch hielten sie sich von einander gewaltsam getrennt. Jedes schob das Andere in heimlich qualvoller Angst mit leisem Drucke zurück; nur ihre Augen flammten ineinander mit wildem Begehren.
»Laß mich, Poldl,« stöhnte die Koflerin, »ist noch keine Sünde geschehen. Wenn sie Dich ins Herz schießen, kommst Du rein vor Deinen Herrgott. Und ich kann auch rein bleiben vor Gott und den Menschen.«
»Meinst, daß die mich treffen?« rief er in trotzigem Uebermuth. »Ich weiß, ich komm' zurück. Und dann ist das Unglück doch wieder da. Also ist's besser schon gleich, daß ich im Herzen Ruh' 147 krieg'; es frißt sonst an mir, daß meine Hand zittert beim Schießen.«
»Versprich mir, daß Du mich nachher todtschießen willst, dann kannst jetzt mit mir machen Alles, was Du willst,« rief sie plötzlich mit neu ausbrechender Leidenschaft und drückte ihre Lippen heiß auf die seinen.
Entsetzt fuhr er zurück. »Ich mag nichts versprechen, was ich nimmer halten könnt',« sagte er schwer athmend, und seine heißen Blicke hingen an ihrer blühenden Gestalt. »Du bist zu schön, Barbl, kein Mann könnt' auf Dich schießen. – Jetzt ist's besser, ich geh',« fügte er schnell hinzu und versuchte sich loszumachen.
»Willst Du so gehen, Poldl?« flüsterte sie jammernd und drängte sich fester an ihn.
»Ich muß,« keuchte er ringend, »ich hab' Angst, Du thust Dir ein Leid an.«
Es gelang ihm, sich loszureißen, und den Stutzen ergreifend, stürmte er mit gewaltigen Schritten die Steile hinein. Barbara sank mit der Stirn auf die Stufen des Kruzifixes und blieb da liegen.
* * *
Am 14. November rückte von Bozen her eine französische Kolonne unter Rusca auf Meran und suchte ins Passeyrthal den Eingang zu erzwingen. 148 Am 16. November ward sie von hier und gleichzeitig vom Vintschgau aus durch den Landsturm mit aller Macht angegriffen und geworfen und am 17. November in hastigem Rückzuge bis nach Terlan, nahe Bozen, zurückgesprengt. Der geschlagenen Truppe, die in der Tiefe des breiten Etschthales hinzog, folgten die siegreichen Bauern hoch auf den Bergen zur Seite über Mölten und Jenesien, mit der Absicht, zur rechten Zeit auf die Heerstraße herabzufallen und den Feind völlig zu vernichten. Am 19. November Abends lagerten sie zu Jenesien, schon oberhalb Gries und Bozen, und gedachten am anderen Morgen ihren Flankenangriff auszuführen. Sie fühlten sich so sicher auf ihren Berghöhen, daß sie zur Nachtzeit alle Wachen vernachlässigten und in Frieden ruhten.
Gegen Morgen entstand Lärm. Alarmsignale, Kommandorufe, Schüsse. Die Ueberraschten stürzten in Verwirrung durcheinander. Sie sahen sich eingeschlossen; von zwei Seiten nahte der Feind, von Mölten und von Bozen her über Schloß Rafenstein. Alles war verloren, da gab's keinen Zweifel mehr. Die Verwirrung wuchs. Jeder Widerstand war ein Unding.
Ein Bauer raffte sich auf, Peter Thalguter von Allgund, und stürzte mit dem Rufe: »Mir nach!« auf den Feind. Einige Wenige folgten, unter ihnen 149 Leopold Scheiner von Gries. Thalguter stürzte todt zu Boden, von einer Kugel durchbohrt. Die Anderen stoben zurück. Alles warf sich in die Flucht, vom heftigen Feuer der Franzosen verfolgt.
Nordöstlich waren die ansteigenden Matten frei vom Feinde, dahinter die Wälder; dorthin flohen Alle, um auf stillen Bergpfaden sich weiter zu retten. Und fast Alle entkamen. Nur zwei Landstürmer wurden gefangen und am selbigen Tage in Terlan erschossen.
Auch Leopold Scheiner erreichte den Wald und fand sich in Sicherheit. Er wollte den Stutzen ablegen und so eine Zuflucht suche. Doch er trennte sich zu schwer von ihm. »Ich hab' ihn von Barbl,« stöhnte er, »was nicht mein gehört, darf ich nicht fortwerfen. Sie hat für mich einen Feind damit erschossen, sie muß ihn wiederhaben. Zum letzten Angedenken; nachher seh' ich sie nimmer. Jetzt, wenn ich so sollt' in die fremden Wälder laufen, müßt' ich da zu Grund gehen vor Bangen und Sehnsucht. Lieber doch nun sterben; es wird doch anders nicht gut mit mir.«
Er unternahm die Tollkühnheit. In großem Bogen lief er am Waldrande hin, vorerst noch geborgen; doch kam er der Linie des Feindes immer näher. Sein Gedanke war, auf Umwegen nach Rafenstein durchzuschleichen und vielleicht im Rücken 150 des Feindes freien Weg zu gewinnen. Es gelang ihm, dieses erste Ziel zu erreichen und sich für eine kurze Rastzeit in den verfallenen Räumen der mächtigen Schloßruine zu bergen. Doch von hier sah er den ganzen Weg ins Thal hinab mit einer dichten Postenkette besetzt, an der vorüberzuschleichen auf den baumlosen Felsflächen keine Möglichkeit war. Auf einem neuen weiten Umweg über eine starke Höhe mußte er den Bozener Hauptweg nach Jenesien erstreben, so daß er dieses Dorf dann in einem breitgeschwungenen Halbkreise umgangen hatte. Auch das gelang noch; doch war dieser Weg nicht weniger ungangbar; auch hier Posten an Posten. Das Letzte, was übrig blieb, war, zwischen den beiden Wegen durch Schluchten und Felsgewirr einen gefährlichen Pfad in die Tiefe zu suchen. Auch hier waldloses Gebiet, kaum dürftiges Gebüsch; erst etwas tiefer in den Weinbergen, die ihr gelbes Laub noch trugen, konnte er auf einige Deckung hoffen.
Fast im Angesicht des Feindes begann er den kecken Abstieg. Eine Zeit lang unbemerkt; doch dann brachte er plötzlich durch einen Aufsprung ein Steingeröll ins Rutschen, dessen hallendes Gepolter mehrere Posten aufmerksam machte; Hallohrufen und Schüsse belehrten ihn, daß er entdeckt sei.
Er ließ sich's nicht anfechten und klomm nur dreister seine schroffen Pfade hinab. Die Kugeln 151 waren vorerst nicht gefährlich, die Entfernung vom Hauptwege war schon zu groß. Allein die Feinde kamen in Bewegung; er war Vieler Augen sichtbar; wenn sie planmäßig verfuhren, konnten sie ihn umzingeln.
Auf einmal, als er einen Felsblock überstiegen hatte, sah er einen Franzosen seitwärts von der Höhe her gerade auf sich zueilen, fast schon in Schußweite. Mit einem hallenden Juchzer stürzte er ihm entgegen; im Schrecken der Ueberraschung schoß der Feind zu früh und fehlte; der Scheiner that noch ein paar Sätze und streckte ihn mit einem sicheren Schusse zu Boden.
An dem Leichnam vorüber stürmte er weiter in die Höhe. Er erreichte den Hauptweg und übersah ihn nach unten: er war leer von Posten. Alles war auf der Jagd nach ihm, für den Augenblick war seine Bahn frei. In gewaltigen Sätzen sprang er den gepflasterten Karrenweg abwärts fast wie ein schießender Vogel. Die Feinde nun freilich, die ihn bald entdeckten, mit Schreien und Schießen hinter ihm her. Allein er hatte einen Vorsprung von mehreren Minuten und vergrößerte den stetig durch seine überlegene Sicherheit und Uebung.
Mit schwindelnder Schnelle kam er tiefer und tiefer. Noch immer Feinde nur von oben hinter ihm, deren Schießen keinen Schaden that. Jetzt war 152 er an dem Kreuz, wo er von Barbara Abschied genommen hatte; mit einem Seufzer flog er vorüber: jetzt stand er am Eingang zum Weinberge des Koflerhofes.
Er sprang da hinein und nahte dem stattlichen Hause; zwischen den dicken Pfeilern der Vorhalle standen die Leute des Hofes in aufgeregtem Horchen. Ehe er sie erreichte, war die Koflerin bei ihm.
»Wohin hier, Poldl?« rief sie entsetzt, »hier bist verloren.«
»Ich bring' Dir Deinen Stutzen,« versetzte er stehen bleibend mit fliegendem Athem, »er hat gethan, was er konnt'. Und es kommt Alles, wie Du gewünscht hast. Ich komm' todt heim. Aber ich komm' heim.«
Sie packte ihn an der Hand und riß ihn herum. »'Nunter in die Kastanienschlucht,« flüsterte sie hastig, »in der Kapelle vielleicht kannst Dich verstecken. Die Muttergottes muß helfen.«
Sie hielt seine Hand fest und flog an seiner Seite den Weinberg hinab, dann über eine breite Wiese, bis sie endlich die Schlucht und den Kastanienschatten erreichten. Nur noch eine kurze Strecke in größerer Sicherheit, und sie waren an der Kapelle. Sie lauschten hinaus; ringsum blieb Alles still; nur ganz in der Ferne Schießen und Lärm; es war kein Zweifel, der Feind hatte einstweilen seine Spur verloren.
153 Sie traten mitsammen in den dämmerigen Raum. Beide brauchten eine Weile, bis sie den keuchenden Athem, die zuckenden Glieder ein wenig beruhigten. Nun standen sie gegen einander stumm und zitternd, mit scheu ausweichenden Blicken. Die Weihe des Orts erdrückte jeden heimlichen Seufzer und jedes Verlangen. Und noch eine andere Angst quälte ihre Herzen als die vor dem Feinde draußen.
Beide knieten nieder und blickten betend auf zu dem Gnadenbilde, das mit matten Linien auf der dunkeln Nische über dem Altar hervorschimmerte. Nur die weißen Rosen glänzten etwas lichter. Manchmal schien es in dem schwankenden Lichte, das durch windbewegte Baumwipfel hereinquoll, sich leise zu bewegen. Beide versanken in immer gedrückteres Schweigen, auch nicht mehr murmelnd wagten die Lippen sich zu bewegen.
Jetzt drang von draußen ein Ton herein, ein Schrei oder Zuruf; doch ganz von ferne, und schnell wieder verklingend. Barbara zuckte zusammen.
»Muttergottes, Du mußt helfen,« flüsterte sie inbrünstig. »Du kannst helfen!«
Wieder tiefes Schweigen, und wieder von draußen verworrenes Getöse, vielleicht etwas näher.
»Muttergottes, wenn Du ihn rettest,« begann sie lauter und heißer zu flehen, »so gelobe ich Dir, ich will ihn nie wieder –«
154 »Gelobe nichts, was Du nicht halten kannst, Barbl,« unterbrach er sie hastig, »das gäb' eine Todsünd'. Ich könnt' nichts geloben.«
Sie schwieg erzitternd und barg das Gesicht in die Hände. Das Getöse kam näher, ganz zweifellos näher; laute menschliche Zurufe.
»Ich gelob' doch Alles«, rief sie auffahrend, »mag werden, was will, und wenn's die ewige Seligkeit kostet, – Muttergottes, gib ein Zeichen, daß Du ihn retten willst, und er soll nie wieder –«
Der Lärm ward stärker; schon ein Poltern von Schritten auf Steingeröll.
»Sie will nicht helfen,« sagte Leopold dumpf, »und warum sollt sie auch? Wir sind zwei zu große Sünder. Von der Sünd' muß sie uns ja helfen; und das kann sie bloß, wenn sie mich todtschlagen läßt.«
»Nein! Nein! Nein!« schrie Barbara auf, warf sich jammernd über den Altar und streckte die Arme bis zu den Füßen des Bildes aus. »Noch ist keine Sünd' geschehen, und soll auch keine werden. Bloß leben sollst. – Muttergottes, gib mir ein Zeichen, daß Du ihn retten willst, daß die Mörder ihn nicht finden sollen! Du kannst Zeichen geben, Du hast oft die Augen bewegt und die Hände erhoben, alle Leute sagen's und die geistlichen Herren auch; allerseligste Jungfrau, gib mir ein Zeichen, daß Du 155 die Hände willst über ihn breiten zu seinem Schutz –«
Auf einmal that Leopold einen seltsamen Aufschrei.
»Barbl,« stammelte er stöhnend, »sie hat sich bewegt, sie hat den Kopf geschüttelt, ich hab's deutlich gesehen. Sie kann nicht helfen, da hast Du Dein Zeichen. Wir sind zu große Sünder.«
Sie starrte entsetzt auf ihn und auf das Bild. Jetzt hörte sie die Schritte in größerer Nähe und vernahm lautes Reden in fremder Sprache.
»Wenn sie nicht will, dann helf' ich selber,« rief sie plötzlich wild. »Die Mörder sind da, ich kann nimmer warten.«
Mit einem festen Sprunge schwang sie sich auf den Altar, riß dem Gnadenbilde den Scharlachmantel herunter und warf ihn sich selbst um die Schultern mit all dem wunderlichen Zierrath, der an ihm haftete. Auch die Krone setzte sie sich auf das Haupt und den Kranz von weißen Rosen, und so angethan drängte sie ihre hohe Gestalt vor die dunkle Nische, das hölzerne Bildniß vollkommen verdeckend.
So stand sie als Himmelskönigin hoch auf dem Altar, todtenbleich, starr und regungslos wie in Wahrheit ein steinernes Bild. Leopold staunte sie an wie ein Wunder und warf sich dann mit 156 einem Aufschrei vor ihre Füße auf die Stufen des Altars.
Vier Franzosen stürmten in die offene Thür der Kapelle. Sie stutzten in dem weihevollen Dämmer, schwiegen, bekreuzten sich und thaten ein Stoßgebet. Als sich die Augen gewöhnt hatten an das schwankende Licht, entdeckten sie den Flüchtling und über ihm das bleiche, wunderschöne Bild der heiligen Jungfrau.
Und siehe, das todte Bildniß erhob langsam, feierlich mit einer wunderbar stillen Bewegung beide Hände und breitete sie leise mit einer zarten Gebärde des Schutzes über den verlorenen Mann zu ihren Füßen.
Die Verfolger entsetzten sich, starrten ungläubig, verwirrt auf das ungeheure Wunder, und mußten doch glauben, was ihre Augen erblickten. Zerknirscht fiel Einer auf die Kniee, die Anderen zwang das Beispiel, und so knieten sie Alle und murmelten angstvoll verstörte Gebete. Und dann schlichen sie stumm und zerschlagen aus der grauenvollen Weihestätte.
Sobald sie gegangen waren, brach Barbara zusammen. Leopold sprang auf und wollte ihr zu Hülfe eilen. Doch sie war nicht außer Besinnung, nur übermeistert von schwerer Erschütterung. Nach kurzem Ruhen erholte sie sich, gab Mantel und 157 Krone schweigend dem echten Bilde zurück und stieg vom Altare.
Todtenbleich noch immer, doch hoch erhobenen Hauptes stand sie vor dem Manne; und ihm schien noch ein Abglanz jener himmlischen Hoheit sie zu umschweben. Er war keines Wortes mächtig, weder eines Dankes noch einer Bitte. Sie nahm endlich das Wort und sprach fast unhörbar: »Leopold, das ist nun Alles aus zwischen uns zweien.«
»Ja,« sagte er bebend, »diese neue Sünd' war zu groß; wir müssen alle zwei an der Lästerung zu Schanden werden.«
Sie erhob den Kopf mit einer stolzen Bewegung.
»Wenn's Sünde wär' gewesen,« antwortete sie ruhig, »hätt' die Muttergottes mich nimmermehr leben lassen und Dich nicht gerettet. Sie hat die Mörder verjagt; meine Hände hat sie gebraucht dazu. Aber sieh, meinst nun, nachdem ich so bin geweiht worden, daß die allerseligste Jungfrau durch mich hat gehandelt, meinst, ich könnt' noch wieder so niedrig und schwach werden, daß ich solche Gedanken hätt', wie wir vordem gehabt haben? Nein, Leopold, es ist Alles anders geworden in mir, seit das Große an mir geschehen ist. Und ich mein', Du könnt'st mich auch nimmer so ansehen, wie Du sonst gethan hast, mit so hitzigen Augen. Mit 158 Andacht gleichsam mußt mich jetzt ansehen; sieh, ich selber hätt' so etwas in mir, als wär' ich über und über in ein Weihwasser getaucht, und kann nun nichts Unreines mehr an mich kommen all meine Tage.«
Leopold sah sie an mit einem gläubig bewundernden Blicke, aus dem doch auch eine dumpfe Scheu und heimliches Grauen sprach.
»Ja, Barbara,« sagte er fast ängstlich, »es ist so die Wahrheit, anders geworden ist's auch mit mir. Zuerst als ich Dich da stehen sah mit dem feuerrothen Mantel, da meint' ich, die Hölle wär' in Dich gefahren, und es hat mir gegraust, daß mir die Haar' vor Dir zu Berge standen. Und den Schreck vergess' ich mein Lebtag nicht, und ich mein' gewiß, ich könnt' fortan kein Verlangen mehr zu Dir tragen, auch wenn sonst Alles gut wär' und ich hätte keinen andern Schatz und Du keinen Mann. Was mich vordem so wild auf Dich gemacht hat, das ist alles in mir weggebrannt wie mit höllischem Feuer – ich will sagen, abgewaschen wie mit Weihwasser, weil Du's so lieber hörst; und es ist auch richtiger. Denn es ist wahr, daß die Muttergottes auch das ganz gewißlich durch Dich gethan hat.«
Sie hörte ihn an mit geduldigem Lächeln und trug das schöne Haupt nur höher und würdiger.
»Jetzt will ich Dir sagen, was Du weiter thun 159 sollst,« sprach sie freundlich und huldreich wie zu einem hübschen Kinde. »Den Stutzen läßt hier zum Zeugniß, was geschehen ist; und so gehst ohne Waffe nunter ins Dorf. Kein Franzose kennt Dich von Angesicht und weiß, daß Du dabei warst. Und ein Tiroler verräth Dich nicht, da bist wohl sicher. Und nachher bleibst diese Tage still bei Dir zu Haus, bis Alles ruhig geworden ist im Land. Und dann gehst zu Gretl und bestellst die Hochzeit. Und darfst sie auch von mir grüßen.«
»Und Du?« fragte er schüchtern, »was wirst denn Du machen?«
»Meinen Alten zu Tod' pflegen,« erklärte sie kurz, »und dann sehen, wo ich etwas Großes zu thun find' in Krieg oder Frieden, was ohne Sünd' ist, daß es eine Heilige thun dürft! Die Muttergottes wird schon machen, daß ich mich zurecht find'. – Leb' wohl, Poldl! Vergiß mich gleichwohl nicht ganz.«
»Jesus, Maria, Joseph! Dich auch vergessen!« rief er fast betroffen.
Sie verließ die Kapelle und stieg den Bergpfad aufwärts. Er meinte, eine vornehme Heilige schreiten zu sehen.