Heinrich Hoffmann
Die wundersamen Heilungen
Heinrich Hoffmann

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Heinrich Hoffmann

Die wundersamen Heilungen

welche der heilige Rock in Trier
zur Zeit seiner Ausstellung im Jahre 1553
an elf frommen Pilgern erwirkt hat

Getreu nach einer alten,
kürzlich wieder aufgefundenen Handschrift
dargestellt von

Joseph Dunkel

Daß dieser Bericht nichts enthalte, was dem Glauben und den guten Sitten widerstreite, davon kann sich jeder selbst überzeugen.
(Bericht etc.)

Einleitung

Die Fügungen der Vorsehung sind so höchst wunderbar, daß der schwache Erdensohn nichts anderes kann als glauben und vertrauen. Aufklärungssucht und Unglaube der Neuzeit meinten in ihrem Dünkel, sie hätten bereits so viel (falsches oder Irr-) Licht über die Welt gebreitet, daß an eine Wiederkehr der Periode der Wunder nun und nimmermehr gedacht werden könne. Siehe aber, da haben die neuesten merkwürdigen VorgängeVgl. Bericht über die wunderbaren Heilungen, welche sich zur Zeit der öffentlichen Ausstellung des heiligen Rockes unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi in dem hohen Dom zu Trier vom 18. August bis 6. Oktober 1844 an elf frommen Pilgern ereignet. Mit Approbation der geistlichen Obrigkeit. Luxemburg. Verlag der Luxemburger Zeitung. 1844. 8°. (Preis 12 Kr.) in Trier zur Überzeugung bewiesen, wie lügenhaft eine solche prosaische Voraussetzung war, oder wenigstens, wie schlecht es mit der sogenannten Welterleuchtung stehen müsse. Über eine Million Gläubige zog in diesen Herbsttagen von allen Seiten herbei, um der im hohen Dom zu Trier ausgestellten Reliquie ihre Verehrung und der bedürftigen Kirche ihre Opfergaben darzubringen. Und wie wurden ihre Wünsche befriedigt! Nicht allein daß Wankende im Geiste gestärkt, Strauchelnde gestützt, Zweifelnde beruhigt wurden, elf Pilger sahen sich (und wir mit ihnen) durch das heilige Gewand von unheilbaren Gebrechen gänzlich wiederhergestellt; ein Mann, zwei Knaben und acht Weiber oder Mädchen hat die Berührung der gebenedeiten Reliquie von jahrelangem Leiden befreit. Ein Zweifel an der Echtheit dieser Wunder kann unmöglich aufkommen. Als Gewährsmann steht uns der (zwar ungenannte) Korrespondent der Luxemburger Zeitung da, eines Blattes, das nur einen Zweck im Auge hat und unmittelbar unter kirchlichem Einfluß steht, und seine Aussagen werden unterstützt von einigen (uns zwar unbekannten) Pfarrern und Schulmeistern der Umgegend. Wer auffallend finden wollte, daß von den elf Heilungen sich sieben auf unbrauchbar gewordene Beine bezogen haben, dem rufen wir zu: Und wenn auch, sind es deshalb weniger Wunder? Ja, wir sehen darin nur die schöne Bedeutung, daß die Sache des alleinseligmachenden Glaubens mit Riesenschritten vorwärts gehen, und daß selbst in die Schwachen die Kraft gelegt werden soll, der Hyder des Unglaubens und der Zwietracht den Kopf zu zertreten. – Niemand möge sich beirren lassen, daß über jene Ereignisse keine authentischen ärztlichen Zeugnisse vorliegen. Die Doktoren ziehen sich bei solchen Gelegenheiten gern zurück, wo sie doch nur die schwachen Seiten ihrer Kunst bloßgeben müßten. Und welches Gewicht könnten wir auch ihren Worten verleihen, da sie ja doch die Krankheiten nicht durch ihre Taten zu bessern im Stande warenAls dieser Aufsatz mir zukam, war die bekannte ärztliche Hilfsbroschüre noch nicht erschienen, durch welche jene Reliquie eigentlich erst offizinell gemacht werden sollte.. Hunderte von Personen haben die Geheilten wenigstens nach dem Vorgange gesehen; wer darf da noch zweifeln? Und wer zweifelt, der glaubt nicht; und wer nicht glaubt, der ist verdammt und verloren in Ewigkeit!

Einen neuen Beleg für die Wahrheit jener Mitteilungen (obgleich die Wahrheit nicht wahrer sein kann, als sie ist) dürfte nun gegenwärtige Schrift liefern, zu deren Auffindung und Veröffentlichung mich, einen allerdings Unwürdigen, der Himmel ausersehen hat. Jeder weiteren Betrachtung mich enthaltend, will ich vor allem nun einfach erzählen, wie ich zu dem Manuskripte gekommen bin, aus dem das Nachfolgende entnommen ist.

Am 17. September d. J., dienstags abends gegen 7 Uhr, kam ich müde und in einer mir unerklärlichen Weise plötzlich erschöpft, auf der Rückfahrt von Trier, wo ich mit unzähligen andern zum Heile meiner Seele und zur Erbauung meines Herzens bei dem heiligen Rock gebetet hatte, in das Dörfchen Filzen unweit der Mosel. Ich war zu Fuße gepilgert und hatte mir vorgesetzt, an demselben Abend noch Bernkastel zu erreichen; aber meine große Müdigkeit zwang mich für heute, in dem kleinen Dorfe zu rasten. Bald war das einzige unscheinbare Wirtshaus gefunden. Auf die Frage, ob ich hier wohl übernachten könne, wurde mir die Antwort, das Haus sei von Pilgern schon ganz übermäßig besetzt, sogar in der Küche hätten sie ihr Lager aufgeschlagen; wenn ich mich aber mit dem Boden oben behelfen wolle, so sei noch Rat zu schaffen, und ein Strohlager sei schnell bereitet. Da ich nicht zu wählen hatte, war mein Entschluß bald gefaßt, zumal da aus dem unteren Räume des Hauses mir ein wüster Lärm ausgelassener Burschen und laute Tanzmusik entgegenjauchzte, ich auch gar nicht in der Stimmung war, in der Nähe dieses wilden Gesindels die Nacht zu verbringen. Außerdem mußte ich jede Mühseligkeit und Entbehrung ja auch als eine Fügung des Himmels betrachten, womit derselbe mich auf meiner Wallfahrt begnadigen wollte, und die gewiß zur Reinigung meines Herzens von Sünden dienen konnte. Und wie gut hatte es der Himmel mit mir gemeint!

Ich bestellte mein einfaches Abendbrot, und stieg mit dem Wirte die steile Treppe hinan. Er wies mich in eine kleine Dachkammer, in der wegen aufgehäuften alten Hausrates und Wirtschaftzeuges kaum der nötige Platz für ein dürftiges Streulager sich gewinnen ließ. Dies wurde denn auch hergerichtet. Der Wirt brachte mein Essen, und indem er mir eine gute Nacht bot, bemerkte er noch: »Wenn der Herr vielleicht Lust hat zu lesen, so findet er dort in der Kiste allerlei Bücher. Es ist zwar altes Zeug; anders haben wir aber nichts im Hause.« – Ich dankte, verzehrte mein Abendbrot; dachte aber nicht daran, von des Wirtes Anerbieten Gebrauch zu machen, sondern, ermüdet wie ich war, wollte ich versuchen, mich durch Schlaf zu stärken. Das war jedoch nun ganz unmöglich, denn der Lärm, das Geschrei und das Musizieren in der unteren Wirtsstube nahm auf eine so greuliche Weise zu, daß ich kein Auge schließen konnte. So mußte also doch die Bücherkiste heran. Ich zog sie mit einiger Anstrengung unter vielem zerbrochenen Geräte hervor, öffnete sie und hatte nun eine ziemliche Anzahl alter, meist gleichmäßig in Pergament gebundener Bücher vor mir. Es waren meist Werke theologischen Inhalts in lateinischer Sprache, z. B. einige Bände »Baronii annales ecclesiasticae«, ein Teil von Margarin de la Bignès »Magna bibliotheca«, ein Band von »Sancti Augustini opera edit. Erasm. Bas.« und einige andere Kirchenväter, zum Teil sehr wertvolle, aber leider inkomplette Werke. Ferner erinnere ich mich, noch mehrere Bände des großen topographischen Werkes von Merian daselbst gesehen zu haben. Es waren auch noch andere Bücher vorhanden; aber alles dies vergaß ich, so sehr überraschte mich eine Schrift, die mir nun zu Händen kam und mir bald so wichtig schien, daß ich der andern Drucksachen gar nicht mehr gedachte. Es war dies ein mäßiger in rauhes Pergament gebundener Oktavband; er enthielt erstens eine Abhandlung von J. Reinold, welche zu Oxford unter dem Titel erschienen ist:

J. Reinold: De rom. eccles. idolatria libri 2. Oxford. 1596

Zweitens war ein sehr defektes Exemplar des folgendes Buches darin:

J. Musaeus: De usu principiorum rationis et philosophiae in controversiis theologicis etc. Jen. 1644

Von diesem Werke war aber kaum die kleinere Hälfte vorhanden. Außer diesen beiden Büchern aber, die den bei weitem größten Teil, wohl neun Zehntel ausmachten, fand sich nun noch eine Handschrift beigebunden, die, wie ich bald sah, von der allergrößesten Wichtigkeit und von dem bedeutungsvollsten Inhalte war. Sie war auf gelbliches, ziemlich rauhes und mitunter beflecktes Papier mit einer festen, aber doch nicht sehr leserlichen Hand geschrieben. Hie und da war sie leider beschädigt, auch fehlten am Anfang mehrere Blätter, deren Verlust nicht genug bedauert werden kann. Auf der Innenseite des Deckels neben dem Titel des ersten der obigen Bücher stand folgende, augenscheinlich nicht von derselben Hand, wie das Manuskript, herrührende Bemerkung:

3° inest: Descriptio miraculorum undecim exposita sancta tunica Treviris anno Dom. 1553 factorum. Contulit ex narratione testium et quod ipse adspexit Hillinus Wernerus, ludimagister Trevirensis.

(Drittens steht hier innen: Beschreibung der elf Wunder, welche durch den in Trier im Jahr 1553 ausgestellten heiligen Rock geschehen sind. Nach der Erzählung der Augenzeugen, und soweit er sie selbst gesehen hat, stellte sie zusammen Hillin Werner, Schulmeister zu Trier.)

Man kann sich denken, mit welch freudiger Hast ich diese merkwürdigen Blätter durchflog. Ich hatte ein unverwerfliches Zeugnis für die Wunderkraft der heiligen Tunika und ein höchst achtungswertes, bis jetzt unbekanntes Denkmal für die Glaubensstärke früherer Zeiten vor mir. Mehrmals las ich das kleine Heftchen durch, und die Morgensonne traf mich noch wach bei derselben Beschäftigung, und obgleich ich gar nicht geschlafen hatte, so fühlte ich mich doch so sehr gekräftigt und gestärkt, daß ich diese Stärkung selbst fast für ein Wunder anzusehen geneigt sein möchte. Auf mein Befragen erzählte mir nun der Wirt, die Bücher stammten ursprünglich aus der Bibliothek des nahe gelegenen Klosters Clausen. Wirklich fanden sich auch auf fast allen Bänden die Initialen M. E. (Monasterium Eberhardense). Als zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Moselgegend durch die Franzosen heimgesucht worden wäre, sei ein Teil dieser Büchersammlung zerstreut worden; die Bücher auf seiner Kammer aber seien vor sechs Jahren in Besitz eines Pfarrers bei Filzen gewesen, und nach dem Tode dieses Geistlichen seien sie an ihn gekommen, da er sie mit anderem Hausgeräte aus dem Nachlasse für eine unbezahlte Schuld habe annehmen müssen. Längst habe er alles verkaufen wollen, aber es habe ihm die Gelegenheit dazu gefehlt; Bücherfreunde kehrten selten bei ihm ein, und die Kiste nach Trier zu fahren, sei ihm zu kostspielig gewesen. Er bot mir nun den ganzen Vorrat an, ich aber hatte nur mein kleines Büchlein im Auge, was ich ihm denn auch für 5 Silbergroschen abhandelte. Ich bezahlte meine Rechnung und pilgerte weiter meiner Heimat zu.

Das Haus aber, wo dies geschah, heißt Zum schwarzen Fuchs; es ist das sechste von der Kirche an der rechten Seite, wenn man von Trier kommt; der Wirt nennt sich Tobias Rollmann, und bei ihm kann sich jeder nach der Wahrheit dieser Mitteilung erkundigen.

So hatte ich denn ein Kleinod in der Tasche, welches ich nicht um alle Schätze der Welt hergegeben hätte, und das ich sorgfältig bewahrt nach Hause trug. Aber ein solcher Schatz soll nimmer in meiner stillen Kammer vergraben bleiben; das Licht soll auf den Leuchter und nicht unter den Scheffel gestellt werden; alle, die es sehen, sollen sich an seinem Glanze erfreuen und in seinen Strahlen erwärmen. Ob diese Mitteilungen Glauben verdienen, ist eigentlich eine Frage, die gar keine Beantwortung verdient. Ich frage jeden unbefangenen Leser, ob er einen Grund weiß, der ihn in Wahrheit zwänge, von diesen Heilungen aus dem 16. Jahrhundert anders zu denken als von den jüngst in Trier geschehenen. Oder glaubt er, daß, was heutzutag in leider so gottloser Zeit der heilige Rock in Trier vermocht hat, vor dreihundert Jahren unter viel frömmeren Menschen nicht in viel höherem Grade hat stattfinden können? Wenn wir überhaupt einmal eine Wunderkraft zugeben – und wer wagt sie zu leugnen? –, wer gibt uns dann ein Recht zu sagen: Hier ist die Grenze! Wenn durch ein Wunder das für unsern Verstand unmöglich Scheinende, das Unerklärliche geschieht, warum darf nicht auch das Unmöglichste, das Unerklärlichste geschehen sein? Ich bin weit entfernt davon, bei irgendeinem Umstand zu zweifeln, den die aufgefundene Urkunde erzählt; ja, ich sehe vielmehr darin einen wichtigen Beitrag für die Glaubwürdigkeit der neuen Vorgänge.

Und nun noch zuletzt ein paar Worte über die Abfassung und Herausgabe der nachfolgenden Blätter. Wer die Sprache und Ausdrucksweise jener Zeit kennt, wo unser Manuskript abgefaßt worden ist, wird es gewiß natürlich finden, daß ich keinen wörtlichen Abdruck des Urtextes der Öffentlichkeit übergebe. Ein solcher würde für die Mehrzahl der Leser und namentlich der unteren Klassen, für welche solche Schriften ja immer zumeist berechnet sind, fast unverständlich und ungenießbar geworden sein, um so mehr wenn man bedenkt, daß ein Trierer Schulmeister des 16. Jahrhunderts wohl ein glaubwürdiger, aber schwerlich trotz seines Amtes ein sehr korrekter Erzähler sein konnte. So blieb also nur die Wahl, den Bericht ganz und gar zu modernem Stil und gebräuchlicher Redeweise umzuschreiben, oder den Mittelweg einzuschlagen, und nur das Unverständliche und gar zu Schwerfällige zu ändern, im ganzen aber der Darstellung jene eigentümliche Färbung des Alters, die aerugo vetustatis zu lassen, welche dieselbe als unbestreitbar echt charakterisieren muß. Und dies habe ich denn auch getan und hoffe, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Noch will ich hinzusetzen, daß alsbald eine Ausgabe des Urtextes nachfolgen soll, von dessen Übereinstimmung mit dieser Bearbeitung man sich einstweilen leicht bei mir überzeugen kann. Bis ersteres aber geschehen sein wird, möge jeder Zweifler und Leugner Angriffe und Verdächtigung versparen! –

So gehe denn hin in die Welt, mein Büchlein! Und mögen alle, denen du in die Hände fällst, durch dich auf den Weg der Wahrheit und Erkenntnis weiter befördert werden!

Im November 1844 Joseph Dunkel
aus Winkelheim in Westfalen

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