Heinrich Hoffmann
Handbüchlein für Wühler
Heinrich Hoffmann

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Drittes Kapitel

Von der Kleidung

Kleider machen Leute. Kleider machen aber noch mehr, sie machen auch Kunstpatrioten. Da nun aber die Kleider bekanntermaßen von den Schneidern gefertigt werden, so ist es wiederum sehr erklärlich, warum die Schneidergesellen den Hauptbestandteil der demokratischen Arbeitervereine ausmachen. Jene Schneider sind gewissermaßen die Großväter aller gemachten Kunstpatrioten und ein französisches Lied singt: Où peut on être mieux, qu'au sein de sa famille? Wenn man ferner Recht hat zu behaupten, daß die Barrikaden von den Pflasterern, die Katzenmusiken mit Zubehör von den Glasern erfunden und betrieben sind, warum sollen die Schneider nicht besonders darauf aus sein, die Röcke zerscheuernden Volksversammlungen zu befördern und zu beleben?

Leider muß ich es nun bedauern, daß meine Vorschriften über Kleidung nicht im finanziellen Interesse der genannten Herren sein können. Volksversammlungen, kleine Straßenkrawalle, Katzenmusiken, Aufzüge und sonstige friedliche »Kraftäußerungen« fanden bei uns bis jetzt nur sommers statt, indem wir noch nicht so weit in der Kultur fortgeschritten sind, so etwas auch, wie die Franzosen, winters fertigzubringen. Daher ist wollen Tuch kein Material für den Kunstpatrioten. Leinen! Steifleinen! Wams! Bluse! Heroisches Steifleinen hat die Kraft, selbst tapfere Gegner einzuschüchtern, wie es denn sogar den männlichen Falstaff mit einer Gänsehaut überzog. Das Leinenzeug kann nun auf doppelte Weise verarbeitet werden, entweder zum grauen Turnwams oder zur farbigen Bluse. Im ersteren Falle eignet sich der Träger mehr zum Mitglied der künftigen provisorischen Regierung, im letzteren tritt er mehr als kommunistischer Apostel auf. Und diese Blusen kleiden recht artig. Ich habe Blusenmänner gesehen, mit zierlichen Manschetten und Falten und Fältchen, so nett und kokett, daß eine reiche Erbin sich sogleich in den Kern der schmucken Hülse hätte verlieben und anbeißen können und müssen. Kurzum, nur der steifleinene Wühler kann etwas leisten.

Eins muß der Volksführer vor allem meiden. Ein echter Freund des eiligen Fortschritts trägt keine Hosenträger, sondern einen Riemen um den Leib; grobes Rindsleder mit derber Schnalle. Mit gegürteten Lenden muß er dastehen, ein rüstiger Kämpe. Frei muß die Brust sein, unbeengt, selbst ohne Elastik. Elastisch soll überhaupt nichts am Volksfreund sein, sondern alles spröd, starr, unnachgiebig. Pfui, Hosenträger!

Er trage ferner den breitrandigen, aufgekrempten Hut, schwarz oder grau; beides ziemlich gleich; doch dürfte der alte graue, vom Regen verwaschene vielleicht der etwas geeignetere sein. Wichtiger als das, was unter den Hut kommt, ist das, was auf demselben getragen wird. Hier gilt im allgemeinen die Regel: Etwas Rotes muß darauf! Die Straußenfeder ist schon zu aristokratisch; am schönsten steht doch die grimme Hahnenfeder. Ein Kokärdchen, ein Stückchen Band oder auch nur Papier tun es auch; am besten alles miteinander zu gleicher Zeit, nur recht grimmig! Schwarz-rot-gold ist die Farbe der Bourgeoisie, der Philisterei.

Gamaschen sind sehr zu empfehlen, sie haben etwas Energisches. Schwere Schuhe, aber nicht gewichst, sondern mit Tran geschmiert.

Nun aber haben wir die wichtigste Toilettenfrage des Wühlers vor uns, den Bart. Ein echter Kunstpatriot muß möglichst Haare auf oder doch um die Zähne haben. Der Mund ist die Schießscharte, aus welcher das Kartätschenfeuer der Volksberedsamkeit hervordonnert. Diese Schießscharte sei angebracht in einer starken Haarbarrikade, darüber als rote Blutfahne eine wein- oder wutglühende Nase, zwei funkelnde Augen als Musketenfeuer und ein struppiges dunkles Haupthaar wie ein schwerer Wetterwolkenhimmel hoch darüber. So ist das Revolutionsgemälde fertig. Fliehe, feiger Bourgeois, und verkrieche dich!

Es wäre interessant, alle Weltverbesserer einmal geschoren zu sehen. Wie manches Löwenhaupt würde zum Lammesantlitz! Man würde sie gar nicht wiedererkennen, sie selbst sich am wenigsten. Es ist ein neues Geschlecht der Simsone aufgestanden. Hütet euch vor der Delila! Zu verwundern ist deshalb, daß in die Grundrechte des deutschen Volkes nicht das Recht des freien Haarwuchses aufgenommen worden ist.

Ich will die Theorie des Bartes in einige wenige Sätze zusammendrängen.

  1. Kein Bart. Philister, Epicier, Bourgeois. Ist der Mensch sehr elegant gekleidet, trägt er gar Glacéhandschuhe, so gehört er unter die diplomatischen Reaktionäre. Sehr gefährlich; kann aber grob behandelt werden.
  2. Kleiner, sorgfältig gewichster Schnurrbart. Kinn glatt. Aristokratischer Reaktionär. Schießt zuweilen gern mit Pistolen; deshalb mit Vorsicht zu behandeln.
  3. Schnurrbart mit kleinem Zwickelbart an der Unterlippe. Dürfte mitunter der Polizei angehören, deshalb gleichfalls mit der nötigen Vorsicht zu behandeln, es sei denn, daß man viele gute Freunde bei sich hat.
  4. Schnurr- und starker Knebelbart ohne Backenbart. Gehört dem linken Zentrum an. Keine entschiedene politische Farbe. Durch etwas Rasieren: Übergang zur Reaktion; durch etwas mehr Wachsenlassen: Übergang zum Kunstpatriotismus. Muß womöglich gewonnen werden, man darf ihm aber nicht zu viel trauen.
  5. Gar nicht rasiert. Bart von einem Ohre zum andern.
    1. Mit der Schere gleichmäßig und kürzer abgeschnitten. Steife Haare, mehr ins Borstenreich spielend. Entschiedener Volksfreund. Mehr in der Praxis als in der Theorie zu verwenden. Charakterisiert die 5te Klasse der Kunstpatrioten.
    2. Naturwuchs. Unberührter Haarurwald. Nie naht ihm ein schneidendes Werkzeug. Herabwallend; meist mehrfarbig. Paßt für die 6te Klasse der Kunstpatrioten. Edler Volksfreund. Kommunistischer Träumer. Radikaler Verbesserer ohne allen historischen Boden, aber zuweilen doch mit praktischer Selbstbestimmung. Messias des vierten Standes; verspricht Wunder zu tun – nächstens.

Aus den aufgestellten Sätzen erhellt zur Genüge, daß Volksdienst und Rasiermesser zwei unverträgliche Dinge sind, und daher erklärt sich die alle Männerkinne plötzlich umwuchernde Bartzucht. Neun Zehntel datieren vom Februar 1848.


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