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Zweiter Akt

Vorsaal im Gasthof zu Ceneda. Der Hintergrund offen auf die Treppe. Rechts zwei Zimmertüren. Links mündet ein Korridor, der zu anderen Gastzimmern führt. In der Mitte des Saales eine lange Wirtstafel, gedeckt für zehn oder zwölf Personen. Vorne links ein kleiner Tisch an der Wand, nicht gedeckt. Abendstunde, kurz vor dem Lichteranzünden. Der alte Romeo und ein Bursche tragen die aus dem ersten Akt bekannten Gepäckstücke nach links hin. Sie kommen später wieder zurück.

 

Florindo

gefolgt von dem Hausknecht, tritt von rückwärts auf. Eilig Den Gartensalon mag ich nicht! Ihr hattet doch immer noch ein nettes Zimmer, wo ich immer mit meinen Gästen zu Abend aß.

Hausknecht

Wie soll ich wissen, wo Sie immer –

Florindo

sieht sich um Dort, richtig!

öffnet die Tür weiter rückwärts rechts.

Ausräuchern da! Die Fenster aufmachen! Einen ordentlichen Spiegel hinein!

Wirtssohn

ist unterdessen von rückwärts eilig gekommen Wenn Sie gehört hätten, Herr Florindo, wie der Vater sich gefreut hat –

Florindo

Eure besten Möbel. Euer bestes Tischzeug. Vier Gedecke! Kerzen, soviel Ihr Leuchter auftreiben könnt.

Hausknecht zeigt auf die Wirtstafel, brummt etwas.

Wirtssohn

halblaut Wie der Herr Florindo befiehlt, so wird's gemacht.

Hausknecht zuckt die Achseln.

Florindo

Dieses Zimmer daneben nehme ich für mich.

Geht hinein, wirft seinen Mantel ab, kommt gleich wieder heraus.

Der alte Romeo und der Bursche sind dazugekommen. Auch noch andere Hausburschen. Möbel werden aus dem rückwärtigen Zimmer heraus und andere in dasselbe hineingeschleppt, Spiegel, Stühle usw.

Florindo

Wasser, ich will mir die Hände waschen.

Hausknecht

übellaunig Wasser gibt's in jedem Zimmer.

Florindo

zum Wirtssohn Welches Zimmer habt Ihr dem Herrn Abbate gegeben?

Wirtssohn

Wie Sie befohlen haben, das Eckzimmer dort hinten im Korridor. Das schöne Fräulein, seine Nichte, hat das Zimmer gegenüber.

Florindo

tritt zurück, sieht hin, dann den Hausknecht packend Ein Waschbecken hierher.

Hausknecht geht in das vordere Zimmer, bringt ein Waschbecken und ein Handtuch. Florindo läßt es ihn halten, wäscht sich die Hände.

Wirtssohn

indessen Wenn Sie gehört hätten, Herr Florindo, wie der Vater sich gefreut hat, daß Sie uns wieder einmal beehren. Wenn ihn etwas gesund machen könnte, hat er gesagt, so wären es solche Gäste. Und was denn diesmal für schöne Damen in Ihrer Begleitung wären, hat er gefragt. Und hat sich halbtot lachen wollen, wie ich ihm sagt habe, daß es ein Landgeistlicher und seine bäurische Verwandtschaft ist, für die Sie das Souper mit Champagner und Fasanen geben. Wenn Sie weiter keine Befehle hätten, so würde ich unterdessen den Wein aus dem Keller holen.

Florindo

trocknet sich die Hände Gut, oder vielmehr, warten Sie. Wie macht Ihr hier den Salat?

Wirtssohn

Sie werden nicht unzufrieden sein.

Florindo

Nichts, Sie sind mir zu jung. Das Küchenmädchen will ich sehen, die den Salat macht. Herauf mit ihr.

Hausknecht trägt indessen das Waschzeug ab, kommt sogleich wieder.

Wirtssohn

Sofort!

Läuft ab.

Florindo

zum Hausknecht Musik brauche ich. Ein Quartett, das sich hören lassen kann.

Hausknecht steht stocksteif.

Der alte Romeo, einen großen Spiegel auf dem Rücken, hat sich diensteifrig genähert, hört zu.

Florindo

zum Hausknecht Vier Musikanten brauche ich! Setze dich in Bewegung.

Schüttelt ihn.

Hausknecht

Gibts hier nicht!

Der Alte Romeo

Lassen Sie mich die Musikanten besorgen. Lassen Sie mich die Ehre haben, Sie zu bedienen. Ich kenne Ihren Geschmack in jeder Beziehung. Sie haben hoffentlich die Güte, sich des alten Romeo zu erinnern?

Florindo

Was, du bist ja der Vater der drei hübschen Mädchen?

Romeo

Zu dienen. Lassen Sie mich die Ehre haben. Ich bringe Ihnen das Quartett zusammen.

Lädt unversehens dem mürrisch dastehenden Hausknecht den Spiegel auf den Rücken.

Der sonst die erste Violine spielt, ist allerdings krank. Aber meine älteste Tochter Lukretia steht unter der Protektion eines herrschaftlichen Kammerdieners, und dieser Herr hat einen Neffen, der ein ganz vorzüglicher Virtuose ist. Ich eile – nur die obligate Flöte, falls Sie diese befehlen, wird schwer zu finden sein.

Florindo

wirft ihm Geld zu Hoffentlich hat deine jüngste Tochter einen obligaten Liebhaber, der die Flöte spielt.

Romeo

Sie scherzen, Hochverehrter. Meine Tochter Annunziata ist im Augenblick nicht in der Lage. Sie hat vor acht Tagen reizenden Zwillingen das Leben geschenkt und befindet sich, den Umständen angemessen, wohl.

Zum Hausknecht.

Sogleich, mein Freund.

Zu Florindo.

Meine Töchter, Herr Florindo, wetteifern in der Verehrung für Sie. Da sie sich alle drei rühmen, Ihre nähere Bekanntschaft genossen zu haben, so geraten sie oft in Streit darüber, welche sich in dieser Beziehung einen Vorzug zuerkennen dürfte. Und meine Tochter Lukretia nennt Sie nie anders als ihren Doyen, und das mit vollem Recht. Denn Sie waren, Herr Florindo, der erste in der Reihe ihrer verehrungswürdigen Beschützer.

Zum Hausknecht.

Sogleich.

Zu Florindo.

Ich eile, Ihnen die Musik der Sphären zu Füßen zu legen.

Eilt ab.

Das Küchenmädchen ist aufgetreten.

Hausknecht, den Spiegel auf dem Rücken, will ihn aufhalten.

Florindo

Halt, jetzt geht der.

Hausknecht, sehr unwillig, entlädt sich des Spiegels, lehnt ihn gegen die Wand.

Küchenmädchen knixt vor Florindo.

Florindo

Du bist es, die den Salat macht. Du bist ja die Agathe.

Küchenmädchen

Immer zu Ihrem Befehl.

Florindo

Du erinnerst dich meiner?

Küchenmädchen

Wie sollte denn das sein –

Florindo

Wie? nicht?

Küchenmädchen

Wie sollte denn das sein, daß ich mich nicht an Sie erinnern täte?

Florindo

Also Agathe, wie wird der Salat für mich gemacht?

Küchenmädchen

Für den Herrn Florindo der Salat, in den kommt das Weiße von acht Eiern, nicht zu fein geschnitten. Den Essig, bevor er auf die Eier kommt, gieße ich auf eine Aromate aus, die ist aus einem Lorbeerblatt, einem Zweiglein Thymian, einer Zehe zerdrückten Knoblauch, einigen zerdrückten Pfefferkörnern –

Florindo

Cayennepfeffer, keinen anderen.

Küchenmädchen

– und eine Prise Salz. Dann mache ich einen feinen Brei, da kommt hinein Pimpernellen, Kerbelkraut, Schnittlauch, Sardellen, spanische Zwiebel.

Florindo

Es ist gut. Du bist ein sehr braves Mädchen.

Küchenmädchen

Bei dem Salat haben Sie mir einmal geholfen, Herr Florindo!

Florindo

Ich hab' es nicht vergessen.

Küchenmädchen

Wie gut Sie sind, danke vielmals.

Florindo

Denke an damals und lasse alle, die davon essen, spüren, daß du ein gefühlvolles Mädchen bist.

Küchenmädchen

Danke vielmals!

Läuft ab.

Hausknecht

Wünschen Sie vielleicht noch jemand vom Personal zu sprechen?

Florindo

Vorläufig nicht, auch du kannst verschwinden.

Hausknecht zuckt die Achseln, geht. Pasca kommt die Treppe herauf, ohne Atem.

Florindo

Die liebe Pasca, und ohne ihr Fräulein!

Pasca

Zu der will ich eben. Und da muß ich einen solchen Schrecken erleben. An mir zittert jedes Glied.

Florindo

Herrgott – Cristina ist etwas zugestoßen?

Pasca

Der? Mir ist er nach, im stockdunkeln Hausflur. Hinter einer Ecke hervor. Die Hinfallende könnte eins bekommen von solchem Schreck.

Florindo

Wer denn? Wer ist Ihnen nach?

Pasca

Wer? Der leibhaftige Teufel! Der Gelbe, von dem wir Ihnen erzählt haben, der von heute Nacht.

Florindo

Pedro? Der aparte Diener des guten Kapitäns? Wie kämen die hierher? Sie müßten Extrapost genommen haben.

Pasca

Meinen Sie, so was braucht den Postwagen? Ich meine, so was fährt durch die Luft in einer Wolke von Stank und Schwefel. – Auf einmal spür' ich, es ist etwas hinter mir. Ich will laufen, ich will die Treppe hinauf, da nimmt's mich von rückwärts, tut seine Arme um mich und grinst mir über die Schulter. Jesus, Maria und Josef, wie ich nur losgekommen bin? Wie ich nur heraufgefunden habe?

Florindo

Die gute Pasca! Wie hat er's gemacht? So? Ich kanns begreifen.

Pasca

Herr Florindo, wenn das ein Christenmensch tut oder gar ein hübscher junger Herr wie Sie, aber so ein Tier! So ein gelber Teufel mit Wolfzähnen.

Florindo

Was das betrifft, der Pedro hat ganz hübsche Zähne und ist getauft wie Sie und ich. Fragen Sie den Kapitän.

Pasca

Da sei Gott vor! Mein Erlöser, was bringen denn die da geschleppt?

Florindo

Die richten das Zimmer her, in dem wir soupieren werden.

Pasca

Gar ein Extrazimmer. Nicht an der Wirtstafel? Geht's so hoch her? Sind wir denn wirklich Ihre Gäste?

Leuchter werden vorbeigetragen, einige angezündet.

Florindo

ruft hin Ich will mehr Kerzen! Unter dem Spiegel, auf die Konsolen.

Bursche

Es kommen noch! Sie können noch zwei Armleuchter haben.

Florindo

Zwei Armleuchter! Ich will ihrer zwei Dutzend. Wenn Ihr sie nicht habt, so schafft sie. Die Stummeln da hier herein in mein Zimmer. Die sind gut für die Musikanten, nicht für meinen Tisch.

Pasca

Musikanten haben Sie auch bestellt? Ja, soll es denn werden wie auf einer Hochzeit, Herr Florindo?

Starrt ihn an.

Florindo

Da hinein die Leuchter! Hier hinein setze ich das Quartett in mein Zimmer.

Pasca

Tafelmusik so mir nichts, dir nichts? Meinen Sie, das Mädel ist eine Gräfin?

Florindo

Ich kenne keine Gräfin, die wert wäre, ihr die Schuhriemen aufzulösen, und für was halten Sie mich, wenn ich eine Dame mit Wein bewirte ohne Musik dazu? Beide zusammen sind sie erst etwas. Beide zusammen freilich sind sie recht viel. – Denn es kommt ihnen nichts darin gleich, wie sie Gottes Geschöpfe einander nahebringen – und Gottes Geschöpfe

Er geht ein paar Schritte auf sie zu, sieht ihr von ganz nahe in die Augen

sind in wundervoller Weise geschaffen, einander nahe zu kommen.

Es werden einige Armleuchter brennend durchgetragen.

So recht. Aber ich will noch mehr. Ich will doppelt so viele. Taghell will ich das Zimmer. Er rührt Pasca leise an.

Pasca, wenn ich denke, daß ich sie noch nie bei Kerzenlicht gesehen habe – ein Tag, Pasca – ein Tag, Pasca. Holen Sie sie mir, liebe Pasca – holen Sie sie doch.

Wirtssohn erscheint draußen mit einem Korb Bouteillen.

Florindo

Nein, halten Sie sie noch auf. Da steht der Wirt mit den Bouteillen, ich habe noch was anzuordnen. Aber dann bringen Sie mir sie. Dann –

Er hält ihre Hand.

Sind das die Hände, mit denen Sie sie aufgezogen haben? Ich muß sie küssen.

Er tut es leichthin, springt ab, kommt gleich wieder.

Sagen Sie ihr nichts von der Musik. Es soll eine kleine Überraschung sein.

Springt ab.

Pasca

Einen solchen Menschen habe ich freilich noch nicht gesehen. Gebe Gott, daß er es ehrlich mit uns meint. – So viel Zimmer und überall Nummern darauf.

Ruft Cristina.

Cristina

kommt von links heraus Bin da! Wo ist er?

Pasca

Der Herr Pfarrer? Ist er nicht zu den Hochwürdigen ins Kloster hinüber?

Cristina

Ich frage nicht um den Onkel.

Pasca

sieht sie an Der Herr Florindo ist dort hinunter.

Cristina will wie schlafwandelnd gegen die Treppe hin.

Pasca ruft sie an, halb unwillkürlich, wie um sie zu wecken.

Du! Du!

Cristina

sieht sie an, wie aus dem Traum, noch halb im Gehen Was?

Pasca

Fragst du? Wohin wollen deine Füße jetzt?

Cristina

Ja so!

Pasca

So hab' ich dich nie geseh'n!

Cristina

nickt Ja! Ja!

Wie im voraus aller Einreden müde.

Jetzt wirst du mir sagen, daß ich ihn erst seit heute Morgen kenne. Daß es ein wildfremder Mensch ist – es steckt gar kein Sinn hinter diesen Redensarten. Oder wenn einer dahinter steckt, so kann ich ihn jetzt nicht herausfinden.

Pasca

Mutter Maria, dich hat's. Wie hättest du dich lustig gemacht noch gestern Abend, noch heute in der Früh – Gebe Gott –

Cristina

Laß! Was hat er mit dir gesprochen?

Pasca

Er sagt ja freilich, daß er mit dem Gedanken umgehe zu heiraten. Daß er schon öfter gesucht hätte, schon öfter ganz nahe daran gewesen wäre.

Cristina

Nicht was er im Wagen gesprochen hat, davon steht jedes Wort vor mir, als wenn ich's gedruckt sähe. Was er jetzt mit dir gesprochen hat, will ich wissen.

Pasca

Allerlei Liebes und Gutes. Denk dir, er hat mir –

Sie sieht auf ihre Hand.

Cristina

Wiederhol nichts. Ein anderer bringt's nicht so heraus wie er. Was war das letzte?

Pasca

Daß er dich noch nie bei Kerzenlicht gesehen hat.

Cristina

Beim Licht einer Kerze –

Sie zittert ein wenig.

Hat er so gesagt?

Sie sieht mit großen Augen ins Licht der einen Kerze, die dasteht auf einem kleinen Gueridon an der Wand rechts. Dann löscht sie sie plötzlich aus, heftig, wie in Angst.

Komm! Ich will fort. Die Leute sollen uns einen Wagen einspannen.

Pasca

Was hast du denn auf einmal?

Cristina

Fort, schnell! Ich will nach Haus.

Pasca

Kind Gottes, morgen früh fahren wir nach Haus, so Gott will. Jetzt übernachten wir hier. Was möchte der Herr Pfarrer denken?

Cristina

Ja, der alte Mann ist müde, der muß hier schlafen.

Ein kleines Schweigen.

Mir ist schwindlig.

Pasca

Das ist kein Wunder in dem Halbdunkel. Komm', wir wollen auf die Luft.

Cristina

Hinunter? Da begegnen wir ihm.

Pasca

Willst ihm denn nicht begegnen?

Cristina

Merk' nicht auf, was ich rede.

Pasca

Also komm' ins Zimmer. Wir machen uns Licht. Setzen uns hin, bis der Herr Pfarrer zurückkommt.

Der Kapitän ist von rückwärts aufgetreten, erblickt Cristina, bleibt diskret an der Eingangstür stehen.

Cristina

Ins Zimmer? Dort ist er nicht. Dort kommt er auch nicht hin. Was soll ich denn dort?

Pasca

zieht sie fort Komm' nur. Er hat Wein bestellt, Champagner, ich weiß nicht was. Daß du mir nicht mehr als ein Glas trinkst.

Cristina

halb für sich Wein? Was soll mir noch Wein tun oder nicht tun?

Sie gehen links ab.

Kapitän ist links vorgekommen, steht ihnen im Weg, macht ehrerbietig Platz.

Kapitän

für sich Die sind da hier. Verdamm mich Gott, das macht mir Vergnügen.

Florindo

schnell von unten, gefolgt von dem Wirtssohn, der ein Licht in der Hand hat, und dem alten Romeo, der einen großen Marktkorb voll Blumen trägt Sind die Geiger noch nicht da?

Romeo

Sie kommen, sie kommen.

Florindo geht nach rechts.

Kapitän

links vorne Was? Der ist auch da?

Florindo, schon in der Tür des Zimmers rechts rückwärts, sieht hin, erkennt den Kapitän, geht aber ins Zimmer.

Erkennt er mich nicht? Oder will er mich nicht erkennen? Den gleichen Gedanken mochte das junge Mädchen über mich gedacht haben. Wie hätte ich mich da schicklich betragen müssen?

Die vier Musiker, geführt vom Hausknecht, kommen herein.

Hausknecht

macht ihnen die Türe des vorderen Zimmers rechts auf Da!

Hinter ihnen ist Pedro eingetreten. Er scheint Pasca nachzuspüren. Sieht seinen Herrn.

Pedro

O, mein Kapitän!

Kapitän

Ich möchte wetten, du weißt, was für Damen da hier sind.

Pedro

grinst Nummer eins, schöne mager-fette Witwenfrau, wo ich letzte Nacht hochachtungsvoll geträumt habe meine Verheiratung auf sie.

Indessen kommt der Pfarrer von rückwärts herein, grüßt höflich die beiden Gestalten, die ihm den Rücken kehren, und geht links ab.

Kapitän

Daß es eine Witwe ist, hat er schon herausbekommen. Aber daß er mir was melden würde, daran denkt die Kreatur nicht. Die Kreatur versteht es nicht besser, sie muß belehrt werden.

Sehr gütig.

Die Damen sind unsere Bekannten seit der letzten Nacht, da sie uns mit ihrem Gespräch beehrt haben. Es ist unter Europäern Sitte, seine Bekannten jederzeit, wo er ihnen begegnet, in schicklicher Weise zu begrüßen. Als mein Diener hast du den Bekannten deiner Herrschaft Reverenz zu erweisen. Solltest du früher als ich ihnen begegnet sein oder sie von weitem wahrgenommen haben, so hast du mich von ihrer Anwesenheit zu verständigen.

Pedro

grinsend Ich habe verstanden.

Florindo tritt mit dem Wirtssohne aus dem rückwärtigen Zimmer rechts, wirft einen flüchtigen Blick auf den Kapitän, geht, als bemerke er ihn nicht, mit dem Wirtssohn redend, rasch in sein Zimmer rechts vorne. Man hört drinnen die Musikanten stimmen.

Kapitän

steht links Es scheint, der junge Herr hat genug von mir. Er will mich partout nicht sehen.

Pedro, sobald er Florindo wahrgenommen hat, winkt und zeigt seinem Herrn eifrig den Bekannten. Da der Kapitän stocksteif stehen bleibt, stößt Pedro vor Ungeduld ein knurrendes »Oh« aus, fast wie ein Hund, und zupft den Kapitän am Ärmel. Dann läuft er zu Florindo hinüber, erwischt diesen, der eben in die Türe treten will, und begrüßt ihn mit Verbeugungen, auf seinen Herrn deutend.

Florindo

mit großer Leichtigkeit

Kapitän – So sind Sie es wirklich? Mir war fast so. Es ist dunkel hier.

Hausknecht kommt von rückwärts, stellt zwei Leuchter auf den Tisch.

Kapitän

Guten Abend, Herr Florindo. – Ja. – Ich wollte Sie nicht stören, Herr.

Tritt weg, gibt Pedro einen Tritt.

So war es nicht gemeint.

Pedro zieht sich verwundert und gekränkt zurück, interessiert sich aber sogleich für die Geräusche, die durch die geschlossene Tür herausdringen.

Florindo

einen Schritt dem Kapitän nach Sie sind mir böse, Kapitän.

Kapitän

Um welcher Sache willen sollte ich das sein, Herr?

Florindo

Ich dächte, das wissen wir beide recht gut. Um der Sache von gestern Abend. Aber ich muß eben sagen: als ich hineinging –

Kapitän

Herr, ich meine, Sie sind hineingegangen, um mir einen freundlichen Dienst zu erweisen. Dafür danke ich Ihnen, Herr.

Florindo

Meiner Seel', so war's und dann –

Kapitän

Dann sind Sie auf eigene Rechnung droben geblieben. Das Frauenzimmer ist verliebt in Sie. Sie sind ein junger Mann, Herr, was soll ich mich da wundern?

Florindo

Das würde mich freuen! Erinnern Sie sich auch nur. Ich rief Ihnen noch zu: Kommen Sie mit!

Kapitän

Erinnere mich. Und dann riefen Sie: Sie hätten mitkommen müssen. Sie hatten immer verdammt recht mit allem, was Sie riefen, Herr.

Florindo

Ja, aber als ich rief: kommen Sie mit, warum um alles in der Welt, Kapitän, sind Sie denn dann nicht mitgekommen?

Kapitän

Die Frage, Herr, kann ich Ihnen beantworten, wenn Sie mich verstehen wollen, Herr. Ich habe fünfunddreißig Jahre lang da drüben gelebt wie ein Vieh, lieber Herr. Aus der Hand in den Mund, wenn Sie begreifen wollen, was das heißt. Und da hatte ich mir vorgesetzt, das sollte ein Ende haben. Hier bin ich in Europa, mir sagt das etwas, Herr! Hier ist eine höfliche Andeutung ebensoviel wert wie drüben ein Messerstich in die Rippen.

Florindo

Aber es war wirklich mein Wunsch –

Kapitän

Immerhin, Herr. Ich habe es verfehlt. Ich werde es noch öfter verfehlen, ich wünsche mir, es lieber nach dieser Seite zu verfehlen als nach der entgegengesetzten, das ist alles, was ich mir wünsche.

Er lacht gutmütig.

Florindo

Wirklich? Sind Sie mir nicht böse? Das freut mich von Herzen, Kapitän.

Kapitän

Herr, die Sache war danach, daß einer unter Umständen hätte ärgerlich sein mögen, und dann wäre er vielleicht versucht gewesen, auf Sie ärgerlich zu sein. Aber ich war ganz und gar nicht ärgerlich, Herr.

Reicht ihm die Hand.

Wollen Sie mit mir zu Nacht essen, Herr?

Florindo

verlegen Mein lieber Kapitän –

Kapitän

Sie haben keine Lust, gut, Herr!

Florindo

Ich habe selbst Gäste, das ist es. Aber –

Kapitän

Sie sollen sich nicht stören, Herr.

Florindo

Auf nachher, wenn ich Sie dann noch finde.

Geht ab, nach links.

Kapitän geht auf und nieder. Zieht seine kleine Pfeife heraus, raucht. Hausknecht stellt Flaschen auf den Tisch. Pedro horcht mit großem Interesse auf das Stimmen. Der Bediente der fremden Herrschaft tritt auf. Er hat ein feistes Gesicht, einem Kirchendiener nicht unähnlich.

Bedienter

Meine Herrschaft läßt fragen, wo für sie gedeckt wird.

Hausknecht weist stumm auf die Wirtschaft.

Wir wünschen nur eine einzige Fleischspeise und etwas Gemüse. Den Wein führen wir selbst mit uns.

Hausknecht schweigt.

Haben Sie mich verstanden?

Hausknecht

Ich bin nicht taub.

Bedienter geht.

Kapitän

zum Hausknecht Was werde ich essen?

Hausknecht

Was kommen wird.

Kapitän

nickt gutmütig Wird es bald kommen?

Hausknecht

Sie werden schon sehen.

Kapitän

nickt Wer ist die Herrschaft, die noch zu Tisch kommen wird?

Hausknecht

Nummer dreizehn.

Kapitän

Was ist Nummer dreizehn?

Hausknecht

Das Zimmer mit zwei Betten über dem Hühnerstall.

Der fremde alte Herr kommt, in das Mädchen eingehängt und von dem Bedienten unterstützt. Er sieht sonderbar und ärmlich, aber vornehm aus. Sie nehmen Platz am rechten Ende der Wirtstafel. Bedienter zieht aus der Tasche ein Fläschchen mit Wein und schenkt dem alten Herrn einen Finger hoch ein, desgleichen dem Mädchen. Der Wirtssohn tritt eilig auf, geht eilig links hinüber.

Kapitän hat höflich seine Pfeife fortgetan, setzt sich ans linke Ende der Tafel. Pedro stellt sich hinter ihn, wie der andere Bediente hinter seinem Herrn steht. Er setzt Brillen auf, die er vorher geputzt hat. Hausknecht stellt eine große Suppenterrine, die er im Treppenhaus in Empfang genommen hat, auf die Anrichte. Pedro serviert seinem Herrn. Wirtssohn kommt eilig von links, läuft ins rückwärtige Zimmer rechts. Gleichzeitig fängt die Musik zu spielen an. Von links kommen Pasca und Cristina, hinter ihnen Florindo, der höflich auf den Pfarrer wartet, der einige Schritte hinter ihm zurück ist. Sie gehen vor der Wirtstafel über die Bühne. Als die Musik anfängt, bleibt Cristina freudig erschrocken stehen und schlägt wie ein Kind die Hände zusammen. Florindo springt vor, ergreift ihre Hand und führt sie aufs Zimmer zu, dessen Flügeltüren aufspringen. Strahlendes Licht fällt heraus. Man sieht den schön gedeckten Tisch, mit Lichtern und Blumen. Kapitän, als er Cristina erblickt, steht auf und verneigt sich.

Pedro

als er des Pfarrers ansichtig wird, hält im Servieren inne. Stellt den Teller, den er gerade in der Hand hatte, auf den Tisch und gibt lebhaft Zeichen von Freude. Da der Pfarrer ihn zuerst nicht bemerkt Oh, die hohe Würde. Ich bin Don Pedro – der junge, christliche Freund.

Ergreift die Hand und schüttelt sie.

Hier ist mein Kapitän. Mein Kapitän wird brüllende Freude empfinden.

Pfarrer

Es ist gut, mein Sohn, ich erkenne Sie wieder. Es ist gut, mein Freund, aber ich muß –

Florindo, Pasca, Cristina in der Tür umgedreht, erstaunt. Pfarrer macht sich los, folgt den andern. Alle gehen hinein.

Pedro

will ihnen nach Die hohe Würde muß sich schütteln mit meinen Kapitän.

Kapitän faßt ihn, zieht ihn zurück. Pedro gekränkt.

Mein großer Freund! Nummer eins, heiliger Mann!

Kapitän

hat sich wieder gesetzt So war es nicht gemeint! Verdamm mich Gott, verdamm mich Gott!

Pedro

salviert sich Der Herr ist meine Bekanntschaft. Ich habe gegrüßt. Ich habe in europäischer Weise zudringliche Freude geäußert.

Wirtssohn

eilt aus dem Zimmer rechts heraus, geht an die Anrichte hin Es soll für hinein sehr schnell serviert werden, befiehlt der Herr Florindo.

Kapitän

an seinem Platze, seufzt Merk auf: wenn jemand verhindert ist, verstehst du mich, beschäftigt, verstehst du mich, in Gesellschaft, verstehst du mich? Kurz und gut – es gibt Mittel genug, in einer schweigenden Weise seine verdammte Hochachtung auszudrücken. Hast du nie etwas von einer stummen Verbeugung gehört? Kann man nicht in hübscher, respektvoller Weise beiseite treten, nicht in einer manierlichen Art andeuten, daß man sehr wohl die Ehre hat – aber nicht zu stören wünsche?

Pedro

nickt, hat aber nur den anderen Bedienten beobachtet, ruft Oh! Meinen Kapitän sein Bratenfleisch.

Läuft dann hin, dem anderen Bedienten, der schon seiner Herrschaft servieren will, die Schüssel zu entreißen.

Indessen servieren der Wirtssohn, hinter ihm ein junger Bursche, hinter diesem der Hausknecht, alle drei dicht hintereinander und sehr eilig ins Zimmer hinein. Pedro serviert seinem Herrn.

Kapitän

neugierig auf eine der Schüsseln, die vorüber eilt Was ist das?

Wirtssohn

ohne sich aufzuhalten Alles extra, alles persönliche Bestellung von Herrn Florindo!

Kapitän

Wenn sie es doch nur ansehen ließen!

Hält ihn auf, entzückt.

Kleine Kürbisse, gefüllt!

Wirtssohn eilt ab.

Die gute Sache! Die hübsche Musik! Der nette Bursche. Wie er an alles denkt, wie er alles einzufädeln weiß.

Pedro und der Bediente raufen um die nächste Schüssel. Zugleich kommen die drei Servierenden aus dem Extrazimmer zurück, eilig.

Der Wirtssohn

bedient den Kapitän Der Herr Florindo lassen bitten, Sie möchten ihm die Ehre erweisen, sich zu bedienen.

Der fremde alte Herr ist eingeschlafen. Die junge Unbekannte stützt den Kopf in die Hand, hat ihren Stuhl vom Tisch weggerückt und starrt traurig ins Leere. Kapitän bedient sich. Die drei Servierenden eilig an die Anrichte, und von dort nachher wieder hinter der Wirtstafel herum ins Extrazimmer. Drinnen sieht man, wie Florindo rasch aufspringt, sich aus dem Nebenzimmer eine Geige geben läßt – das erste Musikstück ist zu Ende – und sich ihrer wie einer Mandoline bedient, sein Liedchen hie und da mit einem Griff begleitend. Singt

Ei, das Vöglein wär' wohl bei Troste,
Daß es dem Käfig möcht' entflieh'n,
Wenn Cristina es nicht koste,
Wär' das Vöglein wohl bei Troste,
Daß es dem Käfig möcht' entflieh'n!

Kapitän

zurückgelehnt Wie hübsch er singen kann. Was für ein Vieh ist unsereins gegen solch einen Burschen.

Florindo

singt

Denn der Stunden sind nicht viele
Für sein Leben ihm gewährt,
Ach, für unsere schönsten Spiele
Sind der Stunden uns nicht viele
Ach, nicht viele uns beschert.

Die drei Servierenden haben mit dem Eintreten an der Türe gewartet, bis er fertig ist, wollen jetzt hinein. Der alte Herr erwacht mit dem Aufhören des Gesanges. Berührt das junge Mädchen am Arm. Sie erhebt sich, führt ihn mit Unterstützung des Dieners ab. Der Hausknecht und der Bursche kommen aus dem Extrazimmer, gehen an die Anrichte.

Wirtssohn

eilig ihnen nach Es wird nichts mehr serviert. Sie stehen vom Tisch auf. Der Herr Pfarrer ist müde und will zu Bett.

Eilt wieder hinein.

Gleich darauf erheben sich drinnen im Extrazimmer alle, treten heraus. Wirtssohn leuchtet ihnen vorne mit einem mehrarmigen Leuchter. Hinter ihm geht der Pfarrer mit Cristina, die eine schöne Blume angesteckt hat. Pasca dicht dahinter. Florindo als letzter. Der Kapitän steht auf, verneigt sich. Die Musik spielt weiter.

Florindo

zum Hausknecht, der mit der Obstschüssel im Wege steht Die besten von den Früchten auf das Zimmer des Fräuleins, zu ihrer Erfrischung.

Cristina

läßt die andern voraus, bleibt zurück, Florindo nachkommen zu lassen: im Gehen zu Florindo über die Schulter Das ist zuviel. Meinen Sie, daß ich in meinem Zimmer zur nachtschlafenden Zeit Mahlzeiten halte?

Florindo

den Blick in ihre Augen Zu viel?

Cristina

senkt den Blick Haben Sie mir nicht schon die schönen Blumen geschenkt?

Florindo

Zu viel?

Cristina sieht ihn an.

Florindo dicht an ihr, flüstert ihr noch etwas zu. Kapitän setzt sich, trinkt sein Glas aus.

Im Ausgang links bleibt Cristina etwas zurück und läßt ihre Hand in der Florindos, der die Hand zweimal küßt, im Rücken des Kapitäns. Dann verschwindet Cristina leise. Florindo steht einen Augenblick regungslos, wie betäubt von Glück. Die Musik hat aufgehört. Die vier Musiker treten hintereinander aus der Tür von Florindos Zimmer.

Florindo

auf sie zu, gibt ihnen Geld Es ist gut, es war schön, ich danke euch, jeder von euch ist wert, Professor zu heißen, es war schön, es war bezaubernd. Ich bin sehr in eurer Schuld.

Die Musikanten verneigen sich.

Kapitän

ist aufgestanden Punsch daher.

Weist auf den Tisch links vorne.

Pedro

zu dem Burschen, der rückwärts steht Punsch für meinen Kapitän! Sehr schnell! Sehr eilig! Laufen, laufen!

Er geht langsam zu dem Tisch, rückt zwei Stühle für den Kapitän und Florindo.

Kapitän

Sie werden mir nicht abschlagen, ein Glas Punsch mit mir zu trinken.

Setzt sich.

Florindo

Was Sie wollen, Kapitän. Setzt sich zum Kapitän.

Da gehen sie hin! Vier arme Teufel. Erbärmliche Existenzen, Gott weiß – und haben mir diese Stunde geschenkt.

Punsch wird gebracht.

Kapitän

gießt ein für zwei Trinken Sie, Herr!

Florindo

Das ist recht.

Trinkt einen Schluck, geht auf und ab. Kapitän setzt sich. Florindo vor sich.

Namenlos. Ich war so unermeßlich glücklich diese halbe Stunde, daß ich sie nicht einmal begehrt habe. Die Musik war genug – der Blick des Mädchens vor sich hin, wenn die Töne zärtlich wurden. Das Gefühl ihrer Gegenwart. Es gibt etwas, das mehr ist als Umarmungen. Setzt sich zum Kapitän.

Kapitän

Sie trinken nicht?

Florindo

Lassen Sie mich nur, mir ist unsagbar wohl zu Mute. Da lebt man so dahin, einer neben dem andern, wofür eigentlich? So scheintot immerfort, wo doch alles zum Leben will. Alles will sich verströmen in Liebe. Und dann ist man mit einem zusammen in dieser Stunde, in einem Gasthaus. Sie sind mir sympathisch, Kapitän. Sie sollen leben, Kapitän!

Der aufwartende Bursche hat schon früher einen der Armleuchter aus dem Extra-Zimmer gebracht, ihn den beiden Herrn auf den Tisch gestellt. Pedro steht hinter seinem Herrn.

Kapitän

Ich danke Ihnen, Herr! Um Vergebung – darf der Mensch da mittrinken? Erlauben Sie das? Danke!

Pedro holt sich ein Glas.

Im Grunde ist er sozusagen schuld daran, daß ich hier sitze und das Vergnügen Ihrer Gesellschaft genießen kann –

Eine Pause

Florindo

Ich hätte sie nicht dürfen fortgehen lassen. Sie hätten weiterspielen müssen, nicht wahr, Kapitän?

Kapitän

Das schuld ich allerdings ihm allein. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe: ich lag nämlich einmal gefangen, unter malaiischen Seeräubern, auf einer recht ekelhaften Dschunke, das dürfen Sie mir glauben, Herr. Zweiundvierzig Tage und Nächte, Herr, ließen sie mich drunten liegen im Gestank, Herr, zusammengeschnürt wie ein Bündel. Dann war ich soweit, da hatte ich mit meinem linken Eckzahn da den Strick durchgenagt und eine Hand freibekommen. Geduld hatte ich, Herr, denn es war immer von vierundzwanzig Stunden nur eine Stunde gegen Morgen, wo ich unbemerkt nagen durfte. Dann kam noch eine recht bewegliche kleine Stunde auf Deck. Da schaffte ich ihrer sechs ins Jenseits. Das war eine nicht gerade unappetitliche, aber harte Handarbeit, Herr. Da lernte ich erstens meine Sorte von Herrgott und zweitens diesen Burschen da kennen. Oder sozusagen beide auf einmal.

Zu Pedro

Da trink, mein Alter, trink, wenn's dir Freude macht.

Zu Florindo

Da wurde mir dieses ziemlich verunglückte Produkt eines überseeischen Europäers verdammt nützlich.

Florindo

Ihr Leben? Dem da? Leben! Wie das zusammengemischt ist aus Vergewaltigung, Unruhe, List, Betrug, Verblendung – was es alles enthält! Und wie dann auf einmal da alles zergeht, hinschmilzt. Was habe ich bei Weibern gesucht? Ich frage Sie! Sagen Sie mir um alles in der Welt, was habe ich gesucht? Ich schäme mich. Es kann natürlich sein, daß ich dieses eine ahnungslos gesucht habe.

Die beiden anderen trinken schweigend.

Daß es solche Wesen gibt! Von denen jeden Augenblick die ganze Fülle der Liebe ausströmt. Die ganz da sind. Ich spreche, als ob man es sagen könnte. Sie sollen sie kennen lernen, Kapitän. Aber nicht eher, als bis sie meine Frau sein wird. Heiraten Sie, Kapitän! Unsere Frauen sollen gute Freundinnen werden.

Kapitän

Darauf wollen wir anstoßen. Um von mir zu sprechen, Herr. Es ist eben das, was ich im Sinne habe. Wer hätte gedacht, daß gerade Sie mir zureden würden?

Florindo

Ja? Sie wollen, Kapitän? Wie klug sind Sie! Was haben wir beide da vor uns! Es muß eine namenlose, endlose Seligkeit sein. Heiraten Sie ein braves Mädchen und bleiben Sie ihr treu.

Kapitän

Was das betrifft, es wird mir leicht fallen. Ich bin leicht doppelt so alt wie Sie, Herr.

Florindo

nimmt seine Hand über dem Tisch Was tut das! Kapitän, was für ein Narr ich war! Ich habe in meinem Leben dreißig oder fünfzig oder hundert Frauen näher gekannt, Kapitän. Alle Frauen sind gleich.

Kapitän

Nun, verdamm mich Gott, Herr –

Florindo

Nichts. Es ist nur unsere schamlose Neugierde, die uns vorspiegelt, sie wären verschieden. Es liegt etwas Bubenhaftes darin, etwas Niederträchtiges.

Kapitän

Nun, da dächte ich doch, Herr –

Florindo

Nichts. Äußerlich sind sie verschieden, natürlich. Aber ist es nicht der Gipfel des Widersinns, sich in den Genuß dieser Verschiedenheit setzen zu wollen, indem man eine nach der andern so schnell wie möglich auf den Punkt bringt, wo sie einander gleichen wie ein Ei dem andern? Zu dieser Einsicht müßte ein jeder Halunke zwischen seinem siebzehnten und dreiundzwanzigsten Jahre gekommen sein, wenn wir nicht größtenteils ausgemachte Dummköpfe wären. Aber nicht einer unter Tausenden, der ahnt, daß jenseits dieses Punktes erst das liegt, was das Leben lebenswert macht!

Kapitän sieht ihn an.

In der Ehe, guter Kapitän! In der Glückseligkeit unverbrüchlicher Treue! – Ahnt Ihnen nicht? – Sind Ihnen nie über die Fabel von Philemon und Baucis die Tränen in den Hals gestiegen? – Sie weiß es, Kapitän, daß ich sie zu meiner Frau machen werde. – Sie weiß es.

Er hat Tränen in den Augen.

Pasca kommt von links, geht nach rückwärts zur Treppe.

Gute Nacht, liebe Pasca, gute Nacht!

Er muß die Augen schließen, so sehr überwältigt ihn etwas in diesem Augenblick.

Pedro ergreift hastig den Leuchter, will Pasca voranleuchten, wie er es früher den Wirtssohn hat tun sehen. Pasca, wie er ihr nach will, stößt einen Schrei aus, ergreift die Flucht.

Florindo

springt Pedro nach, fängt ihn ab Laß das sein, mein Freund. Sie fürchtet sich vor dir.

Wieder am Tisch.

Die gute Person fürchtet sich dermaßen vor dem Burschen da, daß sie durchaus die Nacht lieber im Zimmer ihrer Herrin auf dem Fußboden verbringen wollte

Er gähnt

als unten in ihrem Bett. Es hat Cristina Mühe gekostet, sie zu überreden.

Er gähnt

Ich bin sehr müde, die Wahrheit zu gestehen. Sie nicht?

Kapitän

Mir ist gemütlich, ich sitze gern in einem Wirtshaus.

Florindo

Ich glaube, ich sage Ihnen gute Nacht, Kapitän, mit Ihrer Erlaubnis.

Kapitän

Wann sind Sie abgereist diesen Morgen? –

Pedro

fängt an zu singen Was soll mit dem –

Kapitän

über die Schulter Halt's Maul!

Florindo

schon an der Tür zu seinem Zimmer Beinahe vor Tag. Gute Nacht!

Geht in sein Zimmer.

Hausknecht kommt mit einem alten Besen, fängt an auszukehren.

Kapitän

zu Pedro Schenk' dir ein, es ist dir gegönnt.

Zu dem Hausknecht

Komm her, du!

Vor sich

Ich sitze gern in einem Wirtshaus. Das ist eine schöne, freundliche Einrichtung.

Zu dem Hausknecht, der mürrisch und heftig auskehrt Komm her, du.

Gibt ihm Geld.

Der Hausknecht nimmt es ohne Freundlichkeit, fährt fort zu kehren.

Pedro

singt Was soll mit dem betrunknen Matrosen gescheh'n?

Florindo

öffnet die Tür seines Zimmers Ich sehe Sie jedenfalls noch morgen früh. Gute Nacht.

Schließt zu.

Kapitän

singt halblaut, behaglich

Im Dunkeln geht das Vieh auf seinen Fraß
Und seine Lust,
Trübselig, finster und allein.
Wir aber wollen bei der Kerzen Schein usf.

Hausknecht

hat einen kleinen Handleuchter geholt, stellt ihn vor den Kapitän hin, bläst die Kerze an dem Armleuchter aus Da ist Ihr Leuchter, Herr. Da ist Ihr Zimmerschlüssel. Es wird Zeit, daß Sie schlafen gehen. Es sind noch andere Leute als Sie im Haus.

Kapitän

Gut, gut, du hast recht, freundlicher Junge.

Pedro

singt Was soll mit dem betrunkenen Matrosen geschehn?

Hausknecht legt ihm ohne Gutmütigkeit die Hand auf den Mund. Pedro macht sich frei.

Was soll mit dem betrunkenen Matrosen geschehn?

Dreimal.

Mädchen, ihr Mädchen?

Er soll, er soll sich Neu-Amsterdam beseh'n,

Dreimal.

Mädchen, ihr Mädchen!

Hausknecht

Daß man einem eingefangenen Vieh Menschenkleider anzieht und ihm Punsch zu saufen gibt, hab' ich noch nicht gehört.

Kapitän

Spaßvogel. An dir ist ein lustiger Unterbootsmann verdorben.

Pedro im Abgehen, singt.

Der Hausknecht leuchtet ihm voran und zieht ihn

Was soll mit dem betrunkenen Matrosen gescheh'n?

Kapitän

im Abgehen sich selber leuchtend, singt halblaut Wir aber wollen bei der Kerzen Schein usf.

Gehen ab.

Nur ein schwaches Licht draußen im Treppenhaus. Florindo öffnet leise die Türe, späht, ob alles still ist. Er ist in seinen Mantel gehüllt, drückt sich in die Tür, horcht. Dann läuft er blitzschnell, aber leise nach links hinüber.

 

Zwischenvorhang fällt vor, geht gleich wieder auf

 

Der große Tisch ist abgedeckt. Die Leuchter sind fort. Nur draußen im Treppenhaus ist schwache Beleuchtung von einer Laterne, die irgendwo hängen mag, wovon ein matter Schein hereinfällt. Der Hausknecht putzt beim Licht eines Kerzenstummels Schuhe, deren er einige Paare um sich versammelt hat. Der Bediente der fremden Herrschaft tritt auf, von rückwärts her.

Bedienter

Sie haben mich um zwei Stunden zu früh geweckt.

Hausknecht, stumm, betrachtet den zuletzt geputzten Schuh.

Der Bediente

Die Post geht heute um halb acht von hier ab und nicht um halb sechs.

Hausknecht

Ich weiß. Ich müßte ein Idiot sein, wenn ich das nicht wüßte.

Der Bediente

Und Sie haben mich trotzdem um vier Uhr geweckt?

Hausknecht

Natürlich: denn es war auf dem Brett aufgeschrieben, Nummer 14 um 4 Uhr wecken.

Bedienter

Wer hat das aufgeschrieben?

Hausknecht

Ich, denn Sie haben mir gestern Abend gesagt: wecken Sie mich um vier Uhr, weil meine Herrschaft mit der Post nach Mestre fahren will.

Bedienter

Ich habe Ihnen gesagt, wecken Sie mich um vier Uhr, weil meine Herrschaft mit der Post nach Mestre fahren will.

Hausknecht

Eben, genau, wie ich sage.

Bedienter

Das heißt doch natürlich: weil ich der Meinung war, daß die Post vor sechs durchfährt.

Hausknecht

Das tut sie auch, Montag, Mittwoch und Freitag. Aber heute ist Donnerstag.

Bedienter

Immerhin. Es hätte Ihnen doch aufdämmern können, daß ich mich irre.

Hausknecht

Das war mir ganz klar. Ich bin kein Idiot.

Bedienter

Und da –

Hausknecht

Ich bin nicht Ihr Kurier.

Nach einer kleinen Pause.

Wünschen Sie noch etwas von mir?

Bedienter

gähnt mißmutig Es ist unleidlich, um vier Uhr geweckt zu werden, wenn man nicht abreisen kann.

Hausknecht

Ich weiß das. Ich stehe alle Tage um diese Zeit auf und reise niemals ab.

Bedienter

Übrigens: meine Herrschaft wünscht zu wissen, ob außer ihr noch jemand von den Passagieren hier diesen Morgen nach Mestre fährt. Wenn es etwa eine einzelne Person wäre und es wäre dieser Person genehm, mit meiner Herrschaft eine Chaise auf Halbpart zu nehmen, so würde meine Herrschaft diese Beförderung vorziehen. Ich weiß nicht, an wen ich mich da wenden könnte.

Hausknecht

Ich noch weniger.

Bedienter

Es muß Ihnen kurios vorkommen, daß wir heute wieder nach Venedig zurückfahren, wo wir gestern von Venedig hierher gekommen sind.

Hausknecht

Es interessiert mich nicht.

Bedienter

Ja, darüber, was meine Herrschaft für eine Herrschaft ist und welche Bewandtnis es mit dem Alten und mit der Jungen hat, darüber hat sich schon mancher den Kopf zerbrochen.

Hausknecht

putzt eifrig Ich nicht.

Bedienter

Manche halten sie für die Tochter, manche für sein Mündel, manche für die Mätresse ganz einfach. Und manche, die möchten wieder, daß ganz was Besonderes dahinter stecken sollte.

Hausknecht

Wenn schon!

Bedienter

Am meisten wundern sich die Leute darüber, daß einer wie ich bei einer so pauvren Herrschaft in Diensten steht.

Hausknecht

Mhm!

Nimmt ein frisches Paar Schuhe.

Bedienter

Unangenehmer Mensch.

Er möchte gehen, kann sich nicht entschließen.

Hausknecht

Bestie! stehst du noch immer da?

Mit einem Fußtritt nach einem der Schuhe.

Bedienter

Wie?

Hausknecht

Der Schuh.

Bedienter

Sie wissen also nicht, ob jemand von euren Gästen –

Hausknecht

Von unseren Gästen? Meinen Sie wirklich, daß ich mich darum kümmere, was diese Leute tun? Sie kommen, man weist ihnen ein Zimmer an, sie machen Unreinlichkeit und gehen wieder. Es gibt nichts Dümmeres unter der Sonne als dieses ewige Ankommen und Wiederabfahren. Sie ekeln mich an, alle zusammen. Ich kann ihre Physiognomien nicht ertragen. Ich sehe ihnen niemals ins Gesicht. Aber mit ihren Schuhen muß ich mich, Gott sei's geklagt, abgeben – das genügt. Da habe ich sozusagen den Abdruck ihrer läppischen Existenzen in den Händen. Es ist so widerwärtig, wie wenn ich ihre Gesichter in die Hand nehmen müßte. Wie die Idioten laufen sie einer hinter dem andern her und vertreten dabei in idiotischer Weise ihr Schuhwerk. Als ob alle ihre Wichtigtuerei etwas anderes wäre als der bare Blödsinn. Das kann einem schwer etwas anderes als den tiefsten Ekel einflößen. Sie sehen mich an. Ich bin unrasiert. Allerdings. Es ist mein gutes Recht. Haben Sie noch nie von einem gehört, der sich aus Widerwillen über den gemeinen Anblick solchen Schuhwerks den Hals mitten durchrasiert hat? Meinen Sie nicht, daß der Mann besser getan hätte, unrasiert zu bleiben? Meinen Sie nicht, daß er dadurch ein wahres Zeichen seiner Überlegenheit über dieses Gesindel

Er stößt grimmig mit dem Fuß in die Schuhe

geoffenbart hätte? Ich entwickle Ihnen meine persönliche Religion. Das heißt wahrhaftig Perlen vor die Säue werfen.

Bedienter

Ein unangenehmer Mensch!

Er geht hinunter.

Der Pfarrer kommt aus dem Gange links, vollständig angekleidet, aber ohne Schuhe.

Hausknecht

Noch einer! Sie können sich wieder schlafen legen, Herr Abbate! Die Post geht in drei Stunden. Ich sage Ihnen das, bevor Sie mich fragen.

Pfarrer

Ich danke Ihnen. Aber Sie irren sich, ich bin nicht der Post wegen aufgestanden. Ich fahre in einem eigenen Wagen. Einem kleinen Bauernwagen, der mich abholen kommen wird, mich, meine Nichte und die Magd meiner Nichte. Es ist der eigene Wagen meiner Nichte. Meine Nichte besitzt nämlich eine Gastwirtschaft und eine Posthalterei dazu. Bitte, geben Sie mir meine Schuhe. Es sind diese, die Sie gerade in der Hand haben.

Hausknecht gibt sie ihm.

Pfarrer zieht sie an, indessen der Hausknecht weiterputzt.

Hausknecht

Sie können jetzt kein Frühstück bekommen, es ist niemand auf.

Pfarrer

Ich danke Ihnen, ich will kein Frühstück. Sie müssen nur so gut sein, mir zu sagen, wie ich aus dem Haus herauskomme. Ich muß ins Kloster hinüber. Ich lese dort in der Kapelle eine Messe. Nachher komme ich zurück und hole meine Nichte ab.

Hausknecht

Gut, gut. Ich werde Sie hinauslassen.

Pfarrer

Ich muß Sie aber noch um einen Dienst ersuchen, mein Lieber. Es wird später ein Bursch ankommen und nach mir fragen. Eben mit dem kleinen Wagen wird er ankommen aus dem Gebirg. Der Wagen ist gelb, und es ist ein alter Fliegenschimmel vorgespannt, ein tüchtiges, braves Pferd, nur blind auf dem rechten Auge. Ich sage Ihnen das alles, damit kein Mißverständnis unterläuft. Der Bursche soll nur ruhig warten. Er heißt Domenico. Sie brauchen meine Nichte wegen des Wagens nicht zu wecken, o nein, das Kind soll sich nur ausschlafen. Sie werden das ja gewiß alles recht ordentlich besorgen. Oder soll ich vielleicht noch sonst jemandem im Hause ein Wort darüber sagen? In einem Gasthof ist es immer besser, zu viel als zu wenig zu tun.

Hausknecht

Verlassen Sie sich!

Pfarrer

Gut, gut, ich verlasse mich.

Hausknecht

Warten Sie!

Geht nach rückwärts, pfeift.

Pfarrer

Aber ich muß jetzt gehen.

Hausknecht

geht nach rückwärts Warten Sie!

Pfarrer

Domenico heißt der Bursche; ein kleiner gelber Wagen mit einem Schimmel. Und meine Nichte lassen Sie nur ruhig schlafen.

Jemand kommt draußen die Treppe herauf.

Hausknecht

sieht hin Da ist er. Er sitzt schon seit einer halben Stunde auf der Treppe und wartet. Wenn Sie nicht so viel gesprochen hätten, hätte ich ihn gleich gerufen. Es ist überflüssig, mit mir soviel zu sprechen. Ich bin kein Schwachkopf.

Leuchtet dem Pfarrer bis an die Treppe zurück.

Florindo kommt lautlos und sehr schnell aus dem Gange links.

Mit offenem Haar, in Schuhen und seinen Mantel übergehängt.

Hausknecht kommt zurück.

Florindo

als ob die nächtliche Unruhe ihn aus seinem Zimmer getrieben hätte Wer ist das? Wer geht da?

Hausknecht

Der Pfarrer ist da.

Florindo

Der Pfarrer? Empfängt der jetzt Besuche? Schläft der nicht, jetzt mitten in der Nacht?

Hausknecht

Sie schlafen ja auch nicht.

Florindo

Ich schlafe nicht, weil man mich nicht schlafen läßt. Weil in diesem Gasthaus eine Unruhe ist –

Hausknecht

Jetzt ist der Pfarrer aus dem Haus –

Florindo

Aus dem Haus?

Hausknecht

Messe lesen, und der andere ist auch hinunter gegangen. Jetzt können Sie sich ruhig wieder niederlegen.

Fängt wieder an zu putzen.

Florindo

Und Sie?

Hausknecht

Ich mache hier meine Arbeit.

Florindo

Vor meiner Tür? Dann kann ich kein Auge zumachen. Sie werden Ihre Schuhe wo anders putzen.

Gibt ihm Geld.

Hausknecht betrachtet das Geld beim Licht, zuckt die Achseln, packt sein Zeug zusammen in die Schürze.

Wohin?

Hausknecht

Im Gang da.

Florindo

Dort werden Sie nicht Schuhe putzen.

Hausknecht

Sie wohnen doch hier! Oder wohnen Sie vielleicht auch dort? Sie sind ein sonderbarer Herr.

Florindo

leicht, aber drohend Sie werden sich weder hier noch dort noch überhaupt in diesem Stockwerk aufhalten. Ich habe Kopfschmerzen, ich will hier niemand gehen hören. Keine Fliege will ich hören. Haben Sie mich verstanden?

Hausknecht geht achselzuckend durch die Mitte ab. Florindo Wohin?

Hausknecht

Ich gehe über die Hintertreppe in den Hühnerhof. Wird Ihnen das vielleicht genügen?

Florindo

Ja.

Hausknecht ab.

Florindo

allein Ich habe mich nicht geirrt, als ich meinte, die Stimme des Onkels zu hören. Aber nun ist es um so besser. Wir sind dieser Stunde um so sicherer. Eine Stunde – sechzig Minuten. Sechzig Abgründe unsagbarer Seligkeit. Wiederum Schritte. Ich möchte das Vieh erwürgen, das mir eine von diesen sechzig Minuten stehlen kommt.

Die junge Unbekannte, in einem sehr anständigen Morgenanzug, kommt von rückwärts her, ängstlich und als suchte sie jemand. Florindo drückt sich in die Tür zu seinem Zimmer und hält den Mantel vors Gesicht.

Die Unbekannte

bleibt ziemlich weit rückwärts stehen, ängstlich Wer ist dort? Mantovani, seid Ihr es? Warum bleibt Ihr dort stehen? Der Graf ist auf. Warum laßt Ihr mich um diese Zeit allein?

Sie ringt die Hände.

Mantovani, warum gebt Ihr mir keine Antwort?

Sie tritt näher.

Wo seid Ihr denn?

Florindo

öffnet mit der Hand nach rückwärts greifend seine Tür Was ist das? Was bedeutet das?

Er verschwindet in sein Zimmer und drückt die Türe wieder zu.

Unbekannte

Niemand! Ganz allein in der Welt!

Ringt die Hände.

Der Bediente kommt von unten herauf, sieht sie, ruft sie leise an.

Bedienter

Pst! hier bin ich! Pst!

Unbekannte

dreht sich um Der Graf ist auf. So kommt zu ihm. Schnell!

Sie verschwinden rückwärts.

Florindo öffnet ganz leise, ganz vorsichtig die Tür, tritt dann heraus, horcht. Stille.

Cristina

kommt von links im Negligé, offenes Haar, ein schwarzes Tuch um Da bist du ja, Schatz!

Florindo

Um Gottes willen, was für eine Unvorsichtigkeit!

Cristina

Ich hätte es nicht ausgehalten, noch länger nicht zu wissen, wo du bist.

Florindo

Süßer Engel, wenn uns jemand hier sieht!

Cristina

Bin ich nicht deine Frau?

Florindo

Du Engel!

Cristina

Wie kannst du dich so fortstehlen von mir, Böser, Guter!

Florindo

Du warst eingeschlafen in meinen Armen unterm Sprechen, wie ein Kind! Du warst lieblich, wie kein Wort es sagen kann.

Cristina

Aber du hast so fortgehen können? Ich wachte auf mit einer Angst, einem Herzklopfen! Mein Herz hat gespürt, daß du nicht da warst.

Florindo

Ich hörte hier außen Stimmen. Ich glaubte die Stimme deines Onkels zu erkennen. Mir kam der Gedanke, er könnte an unserer Tür gehorcht haben.

Cristina

Wenn ich das dächte, sänke ich in den Boden. Glücklicherweise kann ich an nichts denken.

Florindo

Es ist alles gut! Er ist aus dem Haus gegangen. Wir sind ganz allein im Haus.

Cristina

So komm. Hab' ich das jetzt gesagt? Hat mein Mund das gesagt? Zu einem fremden Mann?

Bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.

Florindo

Bereust du?

Cristina

schüttelt den Kopf Nur staunen, daß es möglich ist! Kannst du's denn begreifen?

Florindo

So nicht. Aber wenn ich ganz bei dir bin, dann ja.

Cristina

Schau noch einmal, ob niemand kommt. Schau!

Läuft lautlos ab nach links.

Florindo

Niemand, niemand.

Ihr nach.

Eine ganz kurze Stille. Pasca und der Hausknecht kommen die Treppe herauf.

Hausknecht

Pst, pst. Hier geben Sie acht.

Pasca

erschrocken Mein Gott, was ist denn?

Hausknecht

Sie sollen hier acht geben, hier drinnen wohnt ein Herr, der Kopfschmerzen hat.

Pasca

Und wie finde ich zu meinem Fräulein? Es ist finster hier im Gang.

Hausknecht

Sie haben ein kurzes Gedächtnis, gute Frau. Gegenüber dem Zimmer des Pfarrers. Auf Nummer sieben, dort im Gang rechts.

Pasca

Wie kann ich die Nummer sehen, wenn es so finster ist?

Hausknecht

Da nehmen Sie mein Licht und gehen Sie leise hinein, wenn Sie durchaus wollen. Aber ich sage Ihnen, daß der Pfarrer befohlen hat, man solle sie schlafen lassen.

Pasca

Ich werde ihr lieber rufen.

Hausknecht

Das unterstehen Sie sich nicht, gute Frau. Der Herr da drinnen will nicht einmal eine Fliege gehen hören.

Pasca nimmt das Licht zögernd. Hausknecht geht rückwärts ab.

Pasca

Und wenn es um nichts und wieder nichts ist, daß ich mich so ängstige? Ich will bloß an die Tür. In Gottesnamen! Besser bewahrt als beklagt.

Sie geht links hinein. Es dämmert.

Pasca

kommt sogleich wieder verstört herausgestürzt, das Licht in der zitternden Hand O, mein Gott! Meine Ahnung! Was tu ich denn jetzt? Meine entsetzliche Ahnung!

Schlägt das Kreuz.

Das Mädel! Das Kind! Im Gasthaus! Mit dem fremden Menschen. Was tu ich denn? Was tu ich denn?

Florindo

ist gleich hinter ihr herausgetreten Liebe gute Frau, hören Sie mich an, Frau Pasca!

Pasca

In Wut auf ihn zu Du Schuft! Was hast du ihr eingegeben? Was hast du ihr denn ins Wasser geträufelt? Du erbärmlicher Verführer. Ich will nicht selig werden, wenn ihr je ein Mensch auf der Welt schon den Mund geküßt hat. Nicht von mir hätte sie sich auf den Mund küssen lassen, nicht von ihrem alten, leiblichen Onkel. Und du, wer bist du? Von welchem Galgen haben sie denn dich heruntergeschnitten?

Florindo

Sie wecken das Haus auf, liebe Frau. Wird Ihnen dann wohler sein?

Pasca

leise O, mein Gott. So sagen Sie mir doch, wenn Sie ein Mensch sind und kein höllischer Teufel – so reden Sie doch!

Cristina

die sich leise herangeschlichen hat, vortretend, zitternd und doch mutig So sag' ihr doch, daß ich deine Frau bin.

Pasca

Cristina, wenn dich deine Mutter, Gott hab sie selig, so müßte dastehen sehen!

Sie weint.

Cristina

gleichfalls weinend

Pasca! Auch meine selige Mutter, bevor sie hat meine Mutter werden können, hat müssen ihres Mannes Frau werden.

Pasca

Ihres Mannes! Und vergehst du wirklich nicht vor Scham, wenn du das aussprichst? Ich schäme mich vor euch beiden. Wer bist du denn?

Cristina

Jetzt bin ich halt seine Frau, Pasca. Und ich werde in Gottes Namen eine gute Frau werden. Ich war ja gar kein so schlechtes Mädchen. Aber es ist auch nicht sehr viel, ein gutes Mädchen zu sein. Ich hätte nicht im Mädchenstand sterben mögen. Man ist arm und dumm in dem Stand.

Pasca

Daß du dich nicht versündigst!

Cristina

Was ist man denn weiters, wenn man nichts als unschuldig und selbstsüchtig ist? Da bin ich mir lieber das, was du bist und was meine Mutter war.

Pasca

Unterstehst du dich –

Cristina

– Und gehöre mit Leib und Seele einem, den ich lieb habe, und weiß, wofür ich auf der Welt bin, in Gottes Namen.

Pasca

Und der ist es, den du dir ausgesucht hast?

Cristina

Ich habe ihn ausgesucht und er mich.

Pasca

Der hergelaufene Mensch!

Cristina

unter Tränen lächelnd Irgendwo hergelaufen kommt ein jeder. Uns hat schon der Richtige zusammenlaufen lassen.

Pasca

Der Einschmeichler! Der Erzheuchler, der verlogene! Wie er mir vorgelogen hat, er braucht nicht weniger als sechs Monate, um die Seinige kennen zu lernen.

Cristina

Und doch war ihm bei mir ein Tag genug. So viel Mut hat er.

Pasca

Sag, eine Nacht. Bei der Nacht sind alle Katzen grau.

Cristina

Meinetwegen eine Nacht. Auch die Nacht hat unser Herrgott gemacht.

Hast du so viel Übermut? O, mein Gott und Herr! Was soll denn jetzt geschehen?

Cristina

Jetzt müssen wir halt noch für die anderen Hochzeit machen.

Pasca

Und bis dahin soll die Lotterwirtschaft so fortgehen? Das geschieht nicht, solange ich die Augen offen habe. Wir fahren nach Hause und der Herr fährt nach Venedig in dieser Stunde und ordnet seine Angelegenheit und präsentiert sich darauf als Bräutigam dem Herrn Pfarrer, oder er sieht dein Gesicht nicht wieder.

Florindo

verzweifelt Pasca! Pasca! Das ist ja unmöglich! Das geht ja nicht! Das kannst du nicht verlangen.

Pasca

Was? Sogar höchst nötig zu tun hat der Herr in Venedig. Wer täte sich denn um den erzbischöflichen Dispens bewerben? Ein solches Gesuch will vom Bräutigam persönlich betrieben sein.

Florindo

Dispens?

Pasca

Jawohl. Wüßte nicht, wie ohne einen solchen in der nächsten Zeit eine Hochzeit zu bewerkstelligen wäre, und der Herr sieht mir nicht aus, als ob er acht Wochen geduldig warten wollte.

Florindo

Mein Gott!

Somit fährt der Herr Bräutigam nach Venedig, und du sagst ihm: Gott befohlen! und nimmst mit meiner und dem Onkel seiner Gesellschaft vorlieb.

Florindo

Pasca!

Cristina

ganz fest Laß sie. Sie hat recht.

Florindo

Cristina! Von dir weg? In dieser Stunde?

Cristina

Laß. Das muß jetzt sein. So wie das andere hat sein müssen.

Pasca

zusammenschreckend Heiliger Josef, ich höre eine Tür gehen. Es wohnt hier ein Herr, der Kopfschmerzen hat. Die Schande! Ich überleb ja die Schande nicht.

Will Cristina mit sich fortziehen.

Florindo

Beruhigen Sie sich, der Herr mit den Kopfschmerzen bin ich.

Pasca

Das sind Schritte! O Gott im Himmel, wenn es der Herr Pfarrer ist!

Cristina

hängt sich an Florindo Jetzt habe ich Angst!

Florindo

Da ist mein Zimmer, treten Sie ein.

Will nach rechts.

Pasca

reißt sie von ihm Nicht um die Welt! In Ihr Zimmer, das wäre mir das Rechte!

Pedro kommt von rückwärts, nähert sich.

Florindo

Also dort hinüber! In Cristinas Zimmer, in des Pfarrers Zimmer! Wo immer hin!

Pasca

Euch zwei lasse ich in kein Zimmer.

Florindo

Wenn Sie dabei sind?

Will mit Cristina nach links.

Pasca

Du, hiergeblieben! Daraus wird nichts! Jesus Maria! Er hat uns schon gesehen! O mein Gott und Herr! Was wird er sich denken?

Florindo

Wir stehen eben hier. Der denkt sich überhaupt nichts.

Pedro grüßt.

Er wird sofort verschwinden, seien Sie ganz ruhig.

Pedro betrachtet die Gruppe mit Wohlwollen, er grüßt abermals mit deutlicher Absicht, seine Diskretion anzudeuten, mit Lächeln und Händewinken.

Pasca

die sich nicht umzusehen getraut, leise zu Florindo Was macht er denn?

Florindo

ebenso Nur ruhig. Ich kenne ihn ja. Er wird gleich gehen.

Pedro, immer seine Diskretion betonend, nähert sich Pasca mit Galanterie.

Pasca

retiriert angstvoll gegen Florindo zu Was will er denn? Was will er denn?

Pedro

Ich wünsche die sehr beliebte Witwenfrau hier in kleiner Kompanie zu früher Stunde achtungsvoll begrüßen.

Florindo

faßt Pedro energisch, zieht ihn von Pasca weg Es ist gut, Pedro. Du hast achtungsvoll begrüßt. Die Sache ist erledigt.

Pedro

lacht schlau Ich sage: Der Herr Florindo und ein Stück Frau jede Nacht, das ist eine Wenigkeit. Vielleicht zwei Stück Frau jede Nacht.

Florindo

packt ihn derb an der Kehle Du schweigst! Du verschwindest oder –

Pedro

Oh! Nachher sind Sie immer böse auf den armen guten Pedro. Die vorige Nacht war dieselbe Sache. Der arme Pedro macht Ihnen nur seine Glückwünsche.

Florindo

Es ist gut. Aber ich habe jetzt keine Zeit.

Pedro

Das kann ich verstehen. Aber ich frage: hat die schöne weiße Witwenfrau vielleicht Zeit? Das ist, was ich frage.

Florindo

Meine Geduld ist zu Ende! Hinaus mir dir!

Pedro

Sie wollen Ihren Freund nicht helfen? Gut. Ich verstehe. Jetzt könnte vielleicht nicht die geeignetste Stunde sein. Ich weiß: in Europa ist alles vielmals umständlich vorgeschrieben.

Florindo

Das ist es.

Pedro

zutraulich Deshalb muß mir mein Freund, Herr Florindo, helfen. Ich sehe, es ist mir ohne ihn nicht möglich, die schöne Witwenfrau achtungsvoll zu heiraten. Und das ist mein liebenswürdiger Wunsch. Sie haben mich verstanden. In ebensolcher Weise, genau wie Sie gestern und heute geheiratet haben ihre achtenswerten unterschiedlichen Freundinnen.

Florindo

Wir sprechen noch darüber.

Drängt ihn fort.

Pedro

Sie müssen mich belernen. Ich bitte hochachtend.

Florindo

Morgen! Später!

Pedro

Ich verstehe. Ich mache Ihnen noch einmal alle meine Glückwünsche.

Schüttelt ihm die Hand, geht ab.

Pasca

Was will er? Was haben Sie mit ihm verhandelt? Mir ist angst und bang. Jetzt sind wir in dem Kerl seiner Gewalt!

Cristina

Laß jetzt. Soll das sein, wie's will. Zwei Minuten hab ich noch, die will ich ihn für mich haben.

Sie nimmt seine Hand.

Florindo

nachdem er sie zärtlich angesehen Du bist eine reiche Erbin, und ich komme mit nichts zu dir. Weiß du, was ich bin? Ein Tagedieb. Ein Lump. Ein Spieler.

Cristina legt ihm schnell die Hand auf den Mund.

Florindo zieht die Hand sanft fort.

Ich habe zu ihr gesagt, ich hätte ein Amt. Es ist nicht wahr.

Pasca schlägt die Hände zusammen.

Florindo

Ich wollte mir einen braven, bürgerlichen Anschein geben, daß Ihr solltet Zutrauen haben und meine Gesellschaft annehmen. Meinst du, ich hätte nicht noch viel ärgere Lügen vorgebracht, um mich bei dir einzunisten? Meinst du, es wäre mir darauf angekommen?

Cristina

Du hast ja jetzt ein Amt. Wo ich die Wirtin bin, bist du der Wirt und Postmeister dazu. Du bist der Herr, wo ich die Frau bin. Weil du mich aber zur Frau gemacht hast, so hast du dich selber zum Herrn gemacht und bist dein eigener Herr.

Florindo umfängt sie, sie küssen sich.

Pasca

wischt sich die Augen Dazu hat man sie mit Sorgen großgezogen.

Cristina

an seinem Hals in Tränen Schreib mir, so oft die Post geht, und überhole den letzten Brief. Lesen kann ich ja! Mein Gott! Daß ich nicht schreiben kann! In wieviel Tagen kannst du zurück sein? sag!

Pasca

faßt sie an Bis er kommt, ist er da. Ihn muß es treiben.

Cristina

reißt sich los O Gott!

Sie geht nach links ab mit Pasca.

Florindo

weinend Pasca, dir vertraue ich sie an! Gib mir acht auf meine Frau!

Der Hausknecht kommt von rückwärts, Schuhe in der Hand. Florindo wendet ihm den Rücken zu, seine Tränen zu verbergen.

 

Zwischenvorhang fällt vor, hebt sich wieder.

 

Es ist heller Tag. Die Wirtstafel ist wiederum mit einem weißen Tischtuch gedeckt.

Kapitän sitzt beim vorderen Tisch und frühstückt. Er hat den Hut auf dem Kopfe, neben sich seinen Mantel.

Wirtssohn

kommt eilfertig auf ihn zu Guten Morgen, mein Herr. Wünschen Sie Ihr Zimmer zu behalten, mein Herr, oder befehlen Sie eine Fahrgelegenheit?

Kapitän

freundlich Muß ich Ihnen das sogleich sagen?

Wirtssohn

Es wäre allerdings sehr erwünscht, mein Herr, wenn es Sie nicht inkommodiert. Wir haben sehr viele Anfragen.

Kapitän

Ich habe hier einen Bekannten, mit dem wünschte ich noch vorher zu sprechen.

Wirtssohn

Da müssen Sie sich beeilen, mein Herr, der Herr Florindo fahren in der nächsten halben Stunde nach Venedig zurück.

Kapitän

Wie?

Wirtssohn

Sehr wohl. Ich bitte momentan um Vergebung.

Er eilt ab gegen die Treppe, woselbst mehrere, darunter auch der Hausknecht, Gepäck tragen und sonst auch die Unruhe eines Wirtshauses zur Abreisezeit herrscht. Er kreuzt sich rückwärts mit Pedro, der dem Kapitän ein Glas Wasser sowie seine Pfeife bringt. Kapitän zündet sich seine Pfeife an. Indem tritt der Hausknecht ein.

Hausknecht

zum Kapitän in seiner gewöhnlichen Art, nachdem er ihn eine Weile angesehen, daß heißt nicht sein Gesicht, sondern seine Schuhe ärgerlich fixiert Sie wissen also nicht, ob Sie abreisen oder ob Sie hier bleiben wollen?

Schüttelt den Kopf.

Und sonst wünschen Sie nichts? Es ist gut.

Zieht ein Maul, geht wieder.

Kapitän

Ein tüchtiger Kerl, allstunds! Pst!

Hausknecht

über die Schulter Meinen Sie mich oder die Katze dort?

Kapitän

Da.

Gibt ihm Geld.

Hausknecht nimmt es achselzuckend, geht.

Kapitän frühstückt weiter Die Pfeife brennt nicht, Pedro!

Pedro ist ihm behilflich.

Florindo erscheint von rechts im Rücken des Kapitäns. Pedro blinzelt ihm voll Wichtigkeit und Einverständnis zu.

Agathe

das Küchenmädchen, schlüpft von der Treppe herein Herr Florindo!

Florindo wendet sich ihr zu im Rücken des Kapitäns.

Agathe

Nur ob Sie mit dem Salat zufrieden waren.

Florindo küßt seine Finger.

Und war die Dame, wenn ich fragen darf, ebenfalls zufrieden?

Florindo

Ich muß mich für die Dame und für mich erkenntlich zeigen.

Will ihr Geld geben.

Agathe

Nein, nein, nein, so war's nicht gemeint!

Läuft ab.

Pedro

ohne zu bemerken, daß die Pfeife noch nicht brennt, springt zu Florindo Ich bitte hochachtend, meine sehr wichtige Sache nicht zu vergessen.

Kapitän

mit der immer noch nicht brennenden Pfeife, zornig auf Verdamm mich Gott!

Florindo

auf ihn zu Ich muß mich von Ihnen verabschieden, Kapitän!

Kapitän

Was? Ich hatte gehofft, wir würden noch ein Stück Wegs miteinander machen. So gehen Sie nach Venedig zurück mit Ihrer schönen Freundin?

Florindo

Nein, wir trennen uns. Natürlich nur für den Augenblick.

Kapitän

Das muß Ihnen hart sein, Herr, und der jungen Dame auch.

Florindo

Wir haben diese Nacht – ich will sagen diesen Morgen, unsern Entschluß geändert. Es sind gewisse Familienangelegenheiten dazwischen getreten, gewisse Rücksichten. Meine Braut fährt jetzt mit dem Onkel in ihr Dorf zurück. In kurzer Zeit natürlich bin ich wieder bei ihr. Und Sie, Kapitän? Wohin führt Ihr Weg?

Kapitän

winkt mit der Hand die Richtung landeinwärts Ich möchte in meine Heimat, Herr. Das sind die Dörfer da droben, wo auch das schöne Fräulein, Ihre Braut, daheim ist.

Florindo

Sie haben gewiß Anverwandte und Freundschaft?

Kapitän

Keine Seele, Herr. Wenn ich mich morgen in den Mantel da wickle und mein Gesicht gegen die Wand kehre, so erben die Hochgebietenden in Venedig von ihrem unwürdigen Untertan Tomaso ihre acht- bis neuntausend holländische Dukaten, das tun sie, Herr!

Florindo

Das wäre beklagenswert. Sie müssen heiraten, Kapitän. Sie müssen Kinder haben.

Kapitän

Das bin ich willens, Herr, so hab' ich Ihnen gestern gesagt. Sie sehen mich sozusagen auf dem Wege dazu, Herr. Da ist nämlich zuvörderst ein gewisses herrschaftliches Fischwasser, das bin ich willens an mich zu bringen.

Florindo sieht nach rückwärts, wo Leute über die Treppe gehen.

In diesem Fischwasser habe ich als zwölfjähriger und dreizehnjähriger Bube Schleien gefangen, Herr, in großer Leibesnot vor dem herrschaftlichen Flurhüter, der ein roher, gewalttätiger Hund war, das war er, Herr, und hätte mich zuschanden geprügelt, wenn er mich gekriegt hätte. Diese Fischwasser an mich zu bringen und daselbst zu fischen aus eigenem Recht, sei es als Grundherr, sei es als Pächter, diesen Vorsatz habe ich vor fünfunddreißig Jahren gefaßt und trage ihn seitdem in mir. Und jedesmal, Herr, in diesen fünfunddreißig Jahren, wenn ich Löhnung in die Tasche kriegte oder Anteil einstrich, habe ich an dieses Fischwasser gedacht, Herr.

Florindo

Sie sind ein Mann von Ausdauer, Kapitän!

Kapitän

Das bin ich, Herr, wollen wir hoffen.

Das gleiche gutmütige Lachen.

Da ist ferner eine gewisse Person, Herr, die bin ich willens auszuforschen und bedingungsweise gleichfalls, wenn ich so sagen soll, an mich zu bringen. Die Person muss heute so ungefähr in meinem Alter stehen, Herr, aber ich habe den Gedanken, sie muß jünger aussehen. Sie war dazumal die Tochter des Schneiders. Keine Schönheit, aber ein gutes Mädchen, das war sie, Herr. Etliche Jahre nach meinem Abgang hat sie eine Heirat getan, das ist mir bewußt, aber es könnte sein, daß sie heute Witwe wäre.

Florindo

In Ihrem Alter, Herr? Das ist zu alt für Sie. Für Sie paßt eine Junge, Kapitän.

Kapitän

Immerhin, Herr, ich möchte mir die Frau ansehen. Es war ein gutes Mädchen. Immerhin, könnte auch sein, sie hätte eine Anverwandte, die ihr ähnlich wäre. Eine Nichte oder dergleichen. Wenn dem so wäre und die Anverwandte wäre möglicherweise willens, meine Frau zu werden – dann hätte ich meinen Stand daheim, Herr. Damit meine ich nicht die Versorgung oder Anstellung, wie man spricht, Herr. Sie verstehen mich, Herr, sondern meinen festen, sicheren Stand hätte ich eben in diesem Falle. Die Heimat, Herr, das ist nicht wie solch ein alter Mantel da: da liegt er, schmeiß dich drauf hin, wickel' dich ein, er hält dich warm, kommt's wie's kommt. Ein so kommodes, dienstwilliges Stück Tuch ist das nicht. Das hab' ich vordem nicht so gewußt. Das spür' ich, seit ich näher herbei bin, seitdem spür' ich das. Seither nimmt's mich sozusagen beim Hals, Herr.

Florindo sieht sich nochmals nach dem Treppenhaus um.

Sehen Sie, Herr, wenn es keine Zudringlichkeit ist, das zu sagen, ich war mir gestern verhoffend, daß Sie und das schöne Fräulein, Ihre Braut, alle zusammen da hinauf in die Dörfer würden gefahren sein, und daß ich da einen Anschluß würde gefunden haben. Es wäre für mich ein leichteres Einkommen gewesen, das wäre es gewesen, Herr. Nicht um eine Fahrgelegenheit meine ich es, Herr. Sie verstehen mich, Herr.

Florindo verbindlich bedauernd, ohne Worte.

Item, dem ist nicht so. Unter so veränderten Umständen denke ich zunächst einmal hier im Gasthause eine kleine Zeit abzuwarten. Hier wohne ich gut, hier sind Leute, die freundlich und dienstwillig zu mir sind. Es ist natürlich nicht für lange, nur so eine Station auf der vorübergehenden Reise, was weiter? Sollte Ihr Weg Sie in einiger Zeit hier vorbeiführen, so bitte ich, nach mir zu fragen. Es könnte immerhin sein, Sie fänden mich noch hier.

Rückwärts ist der fremde alte Herr, unterstützt von der jungen Unbekannten und dem Bedienten, die Treppe heraufgegangen. Sie sind draußen stehengeblieben. Und der Bediente hat ihnen Florindo gezeigt. Florindo verneigt sich.

Kapitän

Ich sehe, Sie haben noch anderweitige Bekanntschaft.

Florindo

Es sind die sonderbarsten Leute von der Welt. Der alte Herr ist ein ausländischer Edelmann. Er spricht nur lateinisch und braucht den Bedienten als Dolmetsch. Er gibt die junge Person als seine Verwandte aus, ohne daß sie es ist, und auch was man sonst denken könnte, soll keineswegs der Fall sein. Das Mädchen ist sechzehn Jahre alt – haben Sie sie angesehen? Sie hat zuweilen einen Blick, man könnte glauben, sie wäre aus einer andern Welt.

Kapitän

Ich bewundere Sie, daß Sie in Ihrer Lage noch Augen für ein anderes Frauenzimmer haben.

Florindo

Wie denn, Kapitän? Ist ein volles Herz nicht darnach angetan, daß mir eine rührende Gestalt doppelt rührend sein muß? Weil ich liebe und geliebt werde, soll ich darüber stumpf werden?

Kapitän

Da haben Sie wieder recht, Herr!

Florindo

Die Leute haben mir anbieten lassen, die Postchaise mit ihnen zu teilen. Hätte ich ablehnen sollen? Soll ich allein hinunterfahren, wo mir auch in Gesellschaft öde genug ums Herz sein wird? Soll einer, der traurig ist, sich mit Gewalt noch trauriger machen? Das wäre sündhaft. Ich wollte, ich wüßte eine Gesellschaft für meine Braut, daß auch sie nicht allein fahren müßte.

Kapitän

Man will Sie sprechen, scheint mir, Herr!

Florindo eilt hin zu der Gruppe, die ihn auf dem obersten Treppenabsatz zu erwarten scheint. Hausknecht von links herein, mit Gepäck, zuoberst der Vogelbauer.

Kapitän

Pst!

Hausknecht

den Blick auf des Kapitäns Schuhe gerichtet Ich habe wenig Zeit.

Kapitän

Soviel Zeit wirst du wohl haben, um dir hinters Ohr zu schreiben, daß ich fürs nächste hier zu bleiben gedenke und die Zimmer für mich und meinen Bedienten bis auf weiteres behalte.

Hausknecht

Es ist gut!

Geht.

Kapitän

lacht Das ist ein so netter, ordentlicher Kerl, als mir je einer auf Reisen begegnet ist.

Florindo

kommt wieder Kapitän, es liegt mir auf dem Herzen wie Bleigewicht, daß das arme Wesen mutterseelenallein landeinwärts fahren soll.

Kapitän

Das Mädchen dort soll landeinwärts fahren?

Florindo

Nicht die Fremde. Ich spreche von Cristina. Sie ist eine von denen, die man nicht allein lassen darf mit ihrem Herzen. Kapitän, wie wäre es, wenn Sie mit meiner Braut ins Dorf hinaufführen?

Kapitän

rot Die mich nicht kennt?

Florindo

Ich habe ihr von Ihnen erzählt!

Kapitän

Das Fräulein wird sich bedanken. Überhaupt, Herr –

Florindo

Nicht überhaupt. Sie achtet Sie. Sie sagte: den Mann möchte ich kennen lernen.

Kapitän

rot und verlegen Herr! Herr! Ich weiß nicht, Herr –

Florindo

Das arme Mädchen hat einsame Tage vor sich. Gräßlich ist Einsamkeit. Ich falle in Verzweiflung, wenn ich einsam bin. Kapitän, tun Sie mir die Liebe, Kapitän. Sie haben Dinge erlebt, die der Rede wert sind. Es ist ein ernstes, gefühlvolles Mädchen.

Kapitän

Herr! Das will ich glauben, Herr!

Florindo

Wollen Sie ihr nicht von Ihrer Gefangenschaft erzählen? Von Ihrer Flucht? Von den siebzig Nächten im Walde? Sie werden keine undankbare Zuhörerin finden. Tun Sie mir die Liebe, Kapitän, und bringen Sie mir das Mädchen leidlich hinüber, bis ich wieder bei ihr bin.

Kapitän

Herr, ich weiß nicht, was Sie wollen, Herr! Ich weiß nicht, was Sie sich denken, Herr, verdamm mich Gott. Ich bin keine Gesellschaft, Herr.

Stampft nach vorne zu, Florindo stehen lassend.

Ein alter Kerl bin ich, ein alter Matros' bin ich, das ist, was ich bin, Herr!

Florindo

Oh, ganz wie Sie wollen, Kapitän. Es wäre mir ein Gefallen geschehen, das ist alles.

Der alte Romeo steht schon seit einer Weile rückwärts, hat sich verneigt, so oft Florindos Blick auf ihn fiel. Tritt jetzt mit etlichen Verneigungen zu Florindo. Pedro blickt mit großer Unruhe auf seinen Herrn.

Romeo

Wenn ich imstande wäre, Ihnen zu schildern, wie meine Töchter die Nachricht von Ihrer Ankunft aufgenommen haben. Worte vermögen es nicht.

Kapitän

tritt ein paar Schritte näher zu Florindo Herr, was ich sagen wollte: ich bin Ihnen recht sehr dankbar, Herr. Sie haben mir mehrfach aus gutem Herzen Freude gemacht. Ich werde mich immer freuen, Ihnen wieder zu begegnen, aber was das betrifft: ich bin keine Gesellschaft für die Dame, Herr. Ich weiß meinen Platz, Herr.

Florindo

Es tut mir leid, Kapitän, daß Sie mir die Bitte abschlagen.

Kapitän auf und nieder, aufgeregt, murmelt etwas vor sich hin.

Romeo

Diese Seligkeit! Wie, er ist da? riefen sie alle drei aus einem Munde. Dieser deliziöse Herr Florindo! Vater, bring' uns zu ihm, wir müssen ihm unsere Erkenntlichkeit bezeigen. Wir müssen ihn unserer immerwährenden Liebe versichern. Meine Tochter Annunziata, die vorige Woche den Zwillingen das Leben geschenkt hat, war kaum zu beruhigen.

Florindo gibt ihm Geld. Pasca tritt auf von links.

Pedro

springt zu Florindo Ich bitte hochachtend, meine sehr wichtige Sache nicht zu vergessen.

Pasca

leise zu Florindo Sie wartet und wartet. Sie kränkt sich, daß Sie nicht kommen, ihr und dem Onkel Adieu zu sagen.

Florindo

Sie kränkt sich? Und ich stehe auf Kohlen und wage mich nicht hinein! Adieu sagen! Ist es denn möglich, Pasca, daß es sein muß?

Der Bediente

von rückwärts, Romeo introduziert ihn diensteifrig Es eilt, mein Herr! Meine Herrschaft läßt sehr bitten!

Florindo

Sogleich bin ich bei Ihnen. Im Augenblick. In wenigen Minuten, mein Lieber. Ich lasse Ihre Herrschaft um Nachsicht bitten.

Bedienter geht.

Florindo

zu Pasca O Gott, wie ist ihr denn?

Pasca

Sie nimmt sich zusammen.

Kapitän ist stehen geblieben, sieht auf die beiden hin.

Florindo

Sie kränkt sich, daß ich nicht komme. Pasca, gute Pasca! Das Härteste will ich ertragen ohne Murren und will nicht fragen, ob es hat sein müssen, aber dann auch jäh, wie ein Schnitt mit dem Messer. Das langsame Auseinanderreißen, Faser um Faser, die Hängerei, Aug' in Aug' mit halbzerdrücktem Herzen, die Marter für sie und mich! Die letzte, tödliche Sekunde zu einer Stunde auseinanderzuziehen! Nein, Pasca, Pasca, nein! Jetzt hinein und wieder heraus und in den Wagen. Gott! Gott!

Preßt sich die Hand auf die Augen.

Kapitän

rasch auf Florindo zu Jawohl, ich danke Ihnen für alles, Herr. Und wenn es nicht zudringlich ist, so bitte ich, dem Fräulein meine Empfehlung unbekannterweise, jawohl, die bitte ich auszurichten.

Wendet sich.

Florindo

Kapitän, soll ich ihr nicht lieber ankündigen, daß Sie gerne mit ihr hinauffahren werden?

Pasca

Es würde meinem Fräulein sicherlich recht willkommen sein. Wir haben ja schon früher eine Begegnung mit Ihnen gehabt.

Kapitän

Ja, das ist wahr, verdamm mich Gott.

Lacht.

Florindo

Also?

Kapitän

Wie, dabei bleiben Sie, Herr?

Florindo

Das heißt, der Wagen ist klein, und man kann Ihnen drinnen keinen Platz anbieten. Aber Sie fahren hinterher. Auf den Stationen haben Sie doch Gesellschaft.

Kapitän

Ja, wenn ich denn wirklich, Herr – darf ich denn die Erlaubnis der Dame voraussetzen?

Florindo

Das dürfen Sie, das nehme ich auf mich.

Pedro freut sich.

Kapitän

Dann will ich gern neben dem Wagen der Dame reiten, Herr. Das will ich, so wahr ich ein alter Seemann bin, Herr. Sie soll ein berittenes Gefolge haben, wie eine Standesperson.

Florindo

Gut! Schön!

Schnell ab nach links mit Pasca.

Kapitän

sehr vergnügt zu Pedro Lauf, sie sollen auf der Stelle ein Reitpferd satteln für mich, für dich einen Maulesel. Wenn sie's nicht haben, sollen sie's schaffen, es wird bezahlt.

Pedro

sehr erfreut Mein Freund! Nummer eins geschickter Ansprecher.

Kapitän

Vorwärts!

Pedro läuft ab.

Kapitän vorne auf und nieder. Singt mit sehr vergnügtem Rhythmus.

Auf, auf, du Bootsmann, und auf, du Jung,
Auf nach Bilbao!

Ruft.

He! Pst! Den Hausknecht! Das brave, tüchtige Faktotum! Hierher!

Romeo

diensteifrig Ich werde den Mann sogleich zu Ihrer Verfügung stellen, mein Herr.

Kapitän

singt Auf, auf, du Bootsmann, und auf, du Jung usw.

Hausknecht

kommt von rückwärts, von Romeo präsentiert, zwei Taschen in der Hand Was wünschen Sie? Wollen Sie mir vielleicht noch einmal sagen, daß Sie bis auf weiteres hier bleiben und Ihr Zimmer behalten wollen? Das weiß ich bereits. Sie haben mir es vor fünf Minuten mitgeteilt.

Florindo kommt eilig von links, geht rasch durch, läuft die Treppe hinunter.

Kapitän

Und jetzt teile ich dir mit, daß ich in fünf Minuten abreisen werde.

Hausknecht

stellt seine Taschen nieder. Lacht höhnisch Das muß man sagen, Sie sind immer entschlossen, Herr, Sie wissen nur nicht zu was.

Cristina kommt von links, geht rasch durch, bleibt oben auf der Treppe stehen, sieht hinab übers Geländer gebeugt. Kapitän sieht hin, wird ganz still, vergißt den Hausknecht.

Sie fahren also nach Venedig zurück? Es ist gut. Ich werde Ihr Gepäck auf die Chaise von Nummer zehn aufladen lassen.

Kapitän

Im Gegenteil! Ich fahre mit dem Herrn Abbate und der jungen Dame, die gestern in Gesellschaft des Herrn Florindo angekommen sind, hinauf ins Gebirge, während Herr Florindo mit dem fremden, alten Herrn hinunter nach Venedig fährt.

Hausknecht

Sie fahren mit Nummer sieben

Zeigt nach links

hinauf, während er

Zeigt nach rechts

mit Nummer dreizehn

Zeigt nach rückwärts

hinunterfährt.

Grimmig.

Eine Wirtschaft.

Kapitän

Was maulst du da?

Hausknecht

mit einem Laut zwischen Husten und Hohnlachen Hah!

Eilt ab mit seinen Taschen.

Kapitän sieht ihm gutgelaunt nach.

Cristina steht noch immer übers Treppengeländer gebeugt, einem nachsehend, der längst fort ist.

 

Vorhang fällt sehr schnell.


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