Hugo von Hofmannsthal
Die Frau ohne Schatten
Hugo von Hofmannsthal

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Dritter Aufzug

Unterirdische Gewölbe, durch eine querlaufende dicke Mauer in zwei Kammern geteilt. In der rechten wird Barak sichtbar in düsterem Brüten auf dem harten Stein sitzend, zur Linken die Frau, in Tränen, mit aufgelöstem Haar. Sie wissen nicht voneinander, hören einander nicht. Die Frau zuckt zusammen.

Im Orchester ertönen die Stimmen der ungeborenen Kinder wie im ersten Aufzug.

Frau
Schweiget doch, ihr Stimmen!
Ich hab' es nicht getan!
– – – – – – – –
Barak, mein Mann,
oh, daß du mich hörtest,
daß du mir glaubtest
vor meinem Tode!
– – – – – – – –
Dich wollt' ich verlassen,
o du, den zuvor
niemals ich sah!
Dich wollt' ich vergessen
und meinte zu fliehen dein Angesicht:
dein Angesicht,
es kam zu mir –
O daß du mich hörtest,
o daß du mir glaubtest. –
Dich wollt' ich vergessen –
da mußte ich dich denken:
und wo ich ging
verbotene Wege,
dein Angesicht...
es kam zu mir
und suchte mich
zuvor die Seele die Tat getan!
Ein fremder Mann,
ich zog ihn her,
er war mir nah –
aber nicht völlig –
Barak, Barak,
dich weckt' ich doch,
weißt du es nicht?

Barak (für sich)
Mir anvertraut,
daß ich sie hege,
daß ich sie trage
auf diesen Händen
und ihrer achte
und ihrer schone
um ihres jungen Herzens willen!

Frau (teilweise zusammen mit ihm)
Dienend, liebend dir mich bücken:
dich zu sehen!
atmen, leben!
Kinder, Guter, dir zu geben! –

Barak
Mir anvertraut –
und taumelt zur Erde
in Todesangst vor meiner Hand!
Weh mir! Daß ich sie einmal noch sähe
und zu ihr spräche:
Fürchte dich nicht.

Stille.

Eine Stimme (von oben, auf Baraks Seite)
Auf, geh nach oben, Mann, der Weg ist frei!

Es fällt zugleich mit der Stimme ein Lichtstrahl von
oben in Baraks Verlies; die Stufen einer Wendeltreppe,
in den Fels gehauen, werden sichtbar.

Barak richtet sich auf und beginnt hinaufzusteigen.

Frau
Barak, mein Mann!
Strenger Richter,
hoher Gatte!
Schwängest du auch
dein Schwert über mir,
in seinem Blitzen
sterbend noch
sähe ich dich!

Ein Lichtstrahl fällt von oben in ihr Verlies, der Schein
in Baraks leerer Kammer ist erloschen.

Eine Stimme (auf der Linken)
Frau, geh nach oben,
denn der Weg ist frei.

Die Frau eilt nach oben.

Verwandlung

Das Gewölbe versinkt. Wolken treten vor, teilen sich, enthüllen eine Felsterrasse, jener gleich, die während des Schlafes der Kaiserin sichtbar wurde. Steinerne Stufen führen vom Wasser aufwärts zu einem mächtigen tempelartigen Eingang ins Berginnere. Ein dunkles Wasser, in den Felsgrund eingeschnitten, fließend gegenüber.

Die Tür zum mittleren Eingang offen. Auf der obersten Stufe der Bote, wartend. Dienende Geister rechts und links.

Ein Kahn kommt auf dem Wasser geschwommen, ohne Lenker. Die Kaiserin liegt darin, schlummernd, die Amme kniet neben ihr hält sie umschlungen, bewegt um sich schauend, wohin der Kahn treibe.

Der Bote hat das Herankommen des Kahnes abgewartet. Der Kahn hält an.

Dienende Geister
Sie kommen!

Bote
Hinweg!

Er tritt ins Innere zurück, die Geister zugleich, die
eherne Tür schließt sich hinter ihnen.

Die Kaiserin erwacht.

Die Amme sucht sie zurückzuhalten, mit dem freien
Arm den Kahn vom Ufer wegzustoßen, vergeblich.

Die Gegend erhellt sich.

Die Kaiserin erhebt sich, blickt um sich, will ans Land.

Amme (drückt sie nieder hastig, aufgeregt)
Fort von hier!
Hilf mir vom Fels
lösen den Kahn!
    (leise)
Übermächte
spielen mit uns!
Zum greulichsten Ort
eigenwillig
strebt das Gemächte
aus bösem Holz!
Wär' ich nicht gewitzigt,
was würde aus dir!

Kaiserin
Der Kahn will bleiben –
siehst du denn nicht?
Die Treppe, schau!

Amme (gibt's auf den Kahn vom Ufer zu stoßen, treibend, mit
    fieberhafter Ungeduld)

So laß den Kahn!
Nun fort
von hier!
Ich weiß den Weg,
Mondberge sieben
sind gelagert,
dies ist der höchste:
ein böser Bereich!
Geschürzt dein Kleid
und hurtig die Füße:
ich führ' dich hinunter,
ich finde hinaus!

Kaiserin (ist auf die Treppe hinausgetreten)
Hier ist ein Tor!
    (sinnend, suchend)
Einmal vordem
sah ich dies Tor!

Posaunenruf wie aus dem Innern des Berges

Hörst du den Ton?
Der läd't zu Gericht!
    (leise, etwas beklommen)
Mein Vater, ja?
Keikobad? Sag?
Lang sah ich ihn nicht,
doch weiß ich wohl:
er liebt es zu thronen
wie Salomo
und aufzulösen,
was dunkel ist.
Hoch ist sein Stuhl
und abgründig sein Sinn –
    (rein und mutig)
doch, ich bin sein Kind:
ich fürchte mich nicht.

Amme ängstlich, späht nach der Seite, ob sich ein Ausweg
finden ließe.

Die Posaune ruft abermals, stärker.

Kaiserin (die Hände erhoben, angstvoll)
Mein Herr und Geliebter!
Sie halten Gericht
über ihn
um meinetwillen!
Was ihn bindet,
bindet mich.
Was er leidet, will ich leiden,
ich bin in ihm,
er ist in mir!
Wir sind eins.
Ich will zu ihm.
    (wendet sich, hinaufzuschreiten)

Amme (angstvoll)
Fort mit uns!
Ich schaff' dir den Schatten!
So ist es gesetzt
und so beschworen!
Du bleibst die gleiche,
Töchterchen, liebes,
und durch deinen Leib
gleitet das Licht –
allein des Weibes
trauriger Schatten,
dir verfallen,
haftet der Ferse!
Ihresgleichen
scheinst du dann
und bist es nicht:
doch du erfüllst,
was bedungen war!
    (schmeichelnd)
So hab' deinen Liebsten
und herze ihn!
Ich helf' dir ihn finden,
ich will es tragen,
daß ich ihn sehe
in deinen Armen
auf Jahr und Tag
und bleibe die Hündin
in seinem Hause!
    (resigniert seufzend, nicht heftig)
Wehe mir!
    (sehr stark)
Nur fort von hier!
Fort von der Schwelle,
sie zu betreten,
ist mehr als Tod!

Kaiserin
So kennst du die Schwelle?
So weißt du, wohin
dies Tor sich öffnet?
Antworte mir!

Amme (dumpf)
Zum Wasser des Lebens.

Kaiserin
Antworte mir!
    (plötzlich erleuchtet)
Zur Schwelle des Todes!
So scholl der Ruf.
Steh mir Rede!
Du weißt das Geheime
und kennst die Bewandtnis.
Antworte mir!

Die Amme schweigt.

Kaiserin
Schweigst du tückisch?
Willst du mit Fleiß
den Sinn mir verdunkeln?
Hell ist in mir!
Hell ist vor mir!
    (leidenschaftlich)
Ich muß zu ihm!
Wasser des Lebens,
ich muß es erspüren,
ihn besprengen –
Wasser des Lebens –
ist es das Blut
aus diesen Adern?
Fließe es hin,
daß ich ihn wecke!
    (Sie wendet sich entschieden dem Eingang zu.)

Amme (wirft sich vor sie hin, faßt sie am Gewand)
Hab' Erbarmen!
Du verfängst dich:
tausend Netze,
Gaukelspiel,
greulicher Trug!
Wasser des Lebens,
greuliches Blendwerk –
müßt' ich darüber
mein Blut hingeben –,
halte ich ab
von deiner Seele
und deinem Herzen!
Ein Wasser springt
wirklich im Berge.
Leuchtend steigt es,
goldene Säule,
aus dem Grund:
Wasser des Lebens!
Wer daran
die Lippen legte –
einer der unsern,
von Geistern stammend –
mehr als Tod,
greulich unsagbar
teuflisches Unheil
schlürft er in sich
rettungslos.

Die Kaiserin ist auf die oberste Stufe getreten.

Amme (in höchster Angst)
Hörst du mich nicht?
Fürchterlich
ist Keikobad!
Was weißt du von ihm!
Du bist sein Kind
und hast dich gegeben
in Menschenhand
und dein Herz vergeudet
an einen von den Verwesenden!
Fürchterlich
straft er dich,
wenn du fällst in seine Hand.
Denn er kennt kein Greuel
über diesem,
daß eines spiele
mit den Verhaßten
und sich mische
mit den Verfluchten!
Weh über sie,
die dich gebar,
und Menschensehnsucht
dir flößte ins Blut!
Weh über dich!

Kaiserin (verklärt, entschlossen)
Aus unsern Taten
steigt ein Gericht!
Aus unserm Herzen
ruft die Posaune,
die uns lädt. –
    (entschieden, die Hand gegen sie ausstreckend, gebietend)
Amme, auf immer
scheid' ich mich von dir.
Was Menschen bedürfen,
du weißt es zu wenig,
worauf ihrer Herzen
Geheimnis zielet,
dir ist es verborgen.
    (sehr feierlich und groß)
Mit welchem Preis
sie alles zahlen,
aus schwerer Schuld
sich wieder erneuern,
dem Phönix gleich,
aus ewigem Tode
zu ewigem Leben
sich immer erhöhen –
kaum ahnen sie's selber –
dir kommt es nicht nah.
Ich gehöre zu ihnen,
    (mächtig)
du taugst nicht zu mir!
    (Sie tritt ans Tor das sich lautlos öffnet, sie tritt hinein,
    das Tor schließt sich.)

Amme (will ihr nach, wagt sich nicht in den Bereich,
    verzweifelnd auf der Treppe)

Was Menschen bedürfen?
Betrug ist die Speise,
nach der sie gieren.
Betrüger sie selber!
Fluch über sie!
Das ewige Trachten,
Vorwärts ins Leere,
der angstvermischte
gierige Wahnsinn –
hinübergeträufelt
in meines Kindes
kristallene Seele!
Fluch über sie!

Es dunkelt, rötlicher Nebel tritt herein.

Die Stimme Baraks (im Wind)
Ah!

Die Stimme der Frau (von der anderen Seite)
Ah!

Die Stimme Baraks
Daß ich dich fände!

Die Stimme der Frau (klagend)
O mein Geliebter!

Die Stimme Baraks
Fürchte nichts!
Sieh, o sieh!

Die Stimme der Frau (zugleich)
Finde mich,
töte mich!

Beide
Weh, weh, o weh!

Amme
Menschen! Menschen!
Wie ich sie hasse!
Wimmelnd wie Aale,
schreiend wie Adler,
schindend die Erde!
Tod über sie!

Barak (im Nebel herein, von rechts)
Ich suche meine Frau, die vor mir flieht.
    (erkennt die Amme, angstvoll, gepreßt, fast stöhnend)
Hast du sie nicht gesehn –
O meine Muhme?

Amme (zeigt nach links aufwärts)
Dort hinüber!
Dort hinauf!
Sie verflucht dich
in den Tod!
Strafe sie –
räche dich –
schnell!

Barak (ab nach links aufwärts)
Zu ihr! Zu ihr!

Frau (erscheint von links weiter unten)
O du – o du – wo ist mein Mann? O du –
ich will zu ihm!

Amme (zeigt nach rechts)
Dort hinüber!
Dich zu töten
mit seinen Händen.
Rette dich,
flieh!

Frau (eilt nach rechts in den Wind und Nebel, wild entschlossen)
Barak! Hier!
Schwinge dein Schwert.
Töte mich
schnell!
    (verschwindet rechts; es dunkelt)

Amme
Wehe, mein Kind,
ausgeliefert,
Gaukelspiel
vor ihren Augen,
Fallen und Stricke
vor ihrem Fuß!
Sie ist hinein!
Sie trinkt! Das goldne,
flüssige Unheil
springt auf die Lippen,
wühlt sich hinab!
Ihr Gesicht
greulich zuckt,
ein menschlicher Schrei
ringt sich aus
der wunden Kehle!
Ihr zu Hilfe!
Müßte ich sterben!
Keikobad!
    (Sie will ans Tor)

Bote (tritt aus dem Tor, ehern)
Den Namen des Herrn?
Hündin, zu wem
hebst du die Stimme?
Fort mit dir
von der Schwelle!
Pack dich, für immer!

Amme (wie wahnsinnig vor Erregung)
Mir anvertraut –
du selber, Bote!
Drei Tage lang!
Ich hab' sie gehütet,
ich rang mit ihr –
sie stieß mich von sich –
sie kennt mich nicht mehr –
Keikobad!
Er muß mich hören!
    (will an ihm vorbei)

Bote (vertritt ihr den Weg; ehern)
Sie ist vor ihm!
Wer bedarf deiner?
Niemand.
Such dir den Weg!

Amme
Keikobad!
Deine Dienerin
schreit zu dir –
Strafe sie, aber
verwirf sie nicht
ungehört!
Mir übergeben,
ich steh' dir Rede!
Keikobad!

Der Nebel tritt herein, wird immer dichter Gewitter und
Sturm nehmen zu an Heftigkeit. Es dunkelt mehr und
mehr. Im Sturm tönen die Stimmen der Färbersleute,
die einander vergeblich rufen und suchen. Zugleich.

Bote (gewaltig, mit einem Anflug von Hohn)
Wer bist du,
daß du ihn rufest?
Was weißt du
von seinem Willen
und wie er verhängt
hat ihr die Prüfung?
Wenn er dich hieß
des Kindes hüten,
wer heißt dich raten,
ob er nicht wollte,
daß sie dir entliefe?
    (immer schrecklicher)
Und trotzdem dich
verwirft auf ewig:
daß du nicht vermochtest,
ihrer zu hüten!

Barak (unsichtbar)
O du!

Frau (unsichtbar)
O du!

Barak
Wo bist du?

Frau
Wo bist du?

Barak
Fliehe nicht!

Frau
Finde mich!

Barak
Komm zu mir!

Frau
Komm zu mir!

Barak
Dich zu sehen – atmen, leben!

Frau
Kinder, Guter, dir zu geben!

Barak
Weh, verloren!

Frau
Weh, vertan!

Barak
Diese Hände –!

Frau
Weh, so jung!

Barak
Dir vergeben, dich erquicken!

Frau
Liebend, dienend dir mich bücken!

Barak
Weh, verloren!

Frau
Hab' Erbarmen!

Barak
Sterben! Sterben!

Frau
Weh, uns Armen!

Barak
Mir anvertraut,
daß ich dich hege
und dich trage
auf diesen Händen.

Amme
Schlage er mich
mit seinem Zorn!
Ich will zu ihr!

Bote
Mit seinem Zorn
schlägt er dich,
daß du ihr Antlitz
nicht wiedersiehst!

Amme
Weh, mein Kind!
Mir verloren!
Fluch und Verderben
über die Menschen –
fressendes Feuer
in ihr Gebein!

Bote (mit Hohn)
Unter den Menschen
umherzuirren,
ist dein Los!
Die du hassest,
mit ihnen zu hausen,
ihrem Atem
dich zu vermischen
immer aufs neu'!

Amme (wie von Sinnen)
Die ich hasse,
mit ihnen zu hausen,
ihrem Atem
mich zu vermischen
immer aufs neu'!
    (Sie drängt sich dicht an den Boten, will an ihm vorbei.)

Bote (faßt sie gewaltig und stößt sie die Treppe hinab)
Auf, du Kahn,
trage dies Weib
Mondberge hinab
den Menschen zu!

Amme
Fressendes Feuer
in ihr Gebein!

Die Amme stürzt im Kahn zusammen, der Kahn löst
sich und treibt jäh hinab. Ihr Schrei, durchdringend,
verhallt.

Bote (ehern)
Verzehre dich!
Dir widerfährt
nach dem Gesetz!

Blitz, Donner, Posaune

Die Stimmen der Färbersleute
Sterben, sterben!
Weh uns Armen!

Verwandlung

Offene Verwandlung. Allmählich erhellt sich, aber noch nicht zu völliger Klarheit, das Innere eines tempelartigen Raumes. – Eine Nische, die mittelste, ist verhängt. Die Kaiserin, allein, steigt von unten empor. Dienende Geister, fackeltragend, ihr entgegen, noch im Dunkel.

1. Geist
Hab' Ehrfurcht!

2. Geist
Mut!

3. Geist
Erfülle dein Geschick!

sie verschwinden

Menschenstimmen (tönen von draußen herein, doch schwächer
    und schwächer, als wären Türen zugefallen)

Weh, verloren!
Hab' Erbarmen! –
Sterben! Sterben!
Weh uns Armen!

Kaiserin (geht auf die verhängte Nische zu)
Vater, bist du's?
Drohest du mir
aus dem Dunkel her?
Hier siehe dein Kind!
Mich hinzugeben,
hab' ich gelernt,
aber Schatten
hab' ich keinen
mir erhandelt.
Nun zeig mir den Platz,
der mir gebührt
inmitten derer,
die Schatten werfen.

Ein Springquell goldenen Wassers steigt leuchtend aus
dem Boden auf.

Kaiserin (einen Schritt zurückgehend)
Goldenen Trank,
Wasser des Lebens,
mich zu stärken,
bedarf ich nicht!
Liebe ist in mir,
die ist mehr.

Eine Stimme (von oben)
So trink, du Liebende, von diesem Wasser!
Trink, und der Schatten, der des Weibes war,
wird deiner sein, und du wirst sein wie sie.

Kaiserin
Jedoch was wird aus ihr?

Die Stimme der Frau
Barak!

Die Stimme Baraks
Wo bist du?

Die Stimme der Frau
Wehe, wo?

Die Stimme Baraks
Herzu mir!

Die Stimme der Frau
Ach, vergebens!

Die Stimme Baraks
Weh! Verloren!

Kaiserin
Baraks Stimme!
Baraks Blick!
Meine Schuld
hier wie dort,
dort wie hier!

Das Wasser fällt langsam.

    (schaudernd)
Sternennamen
rief ich an,
rein zu bleiben
von Menschenschuld!
Blut ist in dem Wasser,
ich trinke nicht!

Das Wasser versinkt gänzlich.

Doch weich' ich nicht!
Mein Platz ist hier in dieser Welt.
Hier ward ich schuldig,
hierher gehör' ich.
Wo immer du
dich birgst im Dunkel –
in meinem Herzen
ist ein Licht,
dich zu enthüllen!
Ich will mein Gericht!
Zeige dich, Vater!
Mein Richter, hervor!

Das Licht hinter dem Vorhang wird stärker und stärker,
endlich ist seine Kraft so groß, daß der Vorhang zum
durchsichtigen Schleier wird. In der strahlend erhellen
Nische sitzt auf steinernem Thron der Kaiser. Er ist starr
und steinern, nur seine Augen scheinen zu leben.

Kaiserin (gesprochen)
Ach! Weh mir!
Mein Liebster starr!
Lebendig begraben
im eigenen Leib!
Erfüllt der Fluch!
Meines Wesens
unschuldige Schuld
an ihm gestraft,
weil er zu sehr
mein Geheimnis geliebt,
um das er mich wählte –
erbarmungslos,
dahingeopfert,
meinem Geheimnis
sein liebendes Herz!
Ungelöst
meiner Seele Knoten
von Menschenhand –
Starr nun die Hand,
die ihn nicht löste –
Versteinert sein Herz
von meiner Härte!
Mein Geschick
seine Schuld!
Meine Schuld
sein Geschick!
Weh, ihr Sterne,
also tut ihr
an den Menschen!
    (Sie nähert sich in Verzweiflung dem Versteinerten.)
Mit dir sterben,
auf, wach auf!
Aug' in Aug',
Mund an Mund
mit dir vereint,
laß mich sterben!

Sie will hervor, den Versteinerten zu umschlingen, und
wagt es nicht. Wie sie in Angst vor dem auf sie gerichteten
Blick nach der Seite zurückgeht, folgen ihr die Augen
des Kaisers nach.

    (in höchster Qual)
Nicht diesen Blick!
Ich kann nicht helfen,
ich kann nicht!

Sie fällt zusammen, bedeckt die Augen mit den Händen.
Die Statue glüht im stärksten Licht, die Augen mit
stummer Bitte auf die Kaiserin gerichtet.

Unirdische Stimmen (dumpfdröhnend wie aus Abgründen)
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!

Die Statue verdunkelt sich wie Blei. Vor ihren Füßen
hebt sich wie früher das goldene Wasser leuchtend empor.

Eine Stimme (von oben)
Sprich aus: Ich will! Und jenes Weibes
Schatten wird dein!
Und dieser stehet auf und wird lebendig
und geht mit dir!
Und des zum Zeichen neige dich und trink!

Kaiserin (in furchtbarem Kampfe auf dem Boden liegend,
    gesprochen)

Versuch mich nicht,
Keikobad!
Ich bin dein Kind!
Laß mich sterben,
eh' ich erliege!

Die Stimme Baraks
Nirgend Hilfe!

Die Stimme der Frau
Wehe, sterben!

Die Kaiserin erhebt sich auf die Knie, ihren Lippen
entringt sich ein qualvoller, stöhnender Schrei, in dessen
Intervallen die Worte –

Ich – will – nicht! –

hörbar sind. – Sogleich, wie diese Worte hörbar werden,
sinkt das Wasser hinab, der Raum, nach einer kurzen
Dunkelheit, erhellt sich von oben. – Von der Kaiserin,
die sich wie unbewußt vom Boden erhoben hat,
fällt ein scharfer Schatten quer über den Boden des
Raumes. – Der Kaiser erhebt sich von seinem Thron
und schickt sich an, die Stufen hinabzusteigen.

Kaiser
»Wenn das Herz aus Kristall
zerbricht in einem Schrei,
die Ungebornen eilen
wie Sternenglanz herbei.
Die Gattin blickt zum Gatten,
ihr fällt ein irdischer Schatten
von Hüfte, Haupt und Haar.
Der Tote darf sich heben
aus eignen Leibes Gruft –
die Himmelsboten eilen
hernieder aus der Luft!«
So ward mir zugesungen,
da ich im Sterben war.
Nun darf ich wieder leben!
Schon kommt die heil'ge Schar
mit Singen und mit Schweben –

Das Licht von der Kuppel herab ist stärker und stärker
geworden. Nun dringen, von oben her die Stimmen
der Ungeborenen hernieder.

Stimmen der Ungeborenen

Einzelne
Hört, wir wollen sagen: Vater!

Andere
Hört, wir wollen Mutter rufen!

Einige
Steiget auf!

Andere
Nein, kommt herunter!
Zu uns führen alle Stufen!

Kaiserin (deutet nach oben)
Sind das die Cherubim,
die ihre Stimmen heben?

Kaiser (von der untersten Stufe)
Das sind die Nichtgeborenen,
nun stürzen sie ins Leben
mit morgenroten Flügeln
zu uns, den fast Verlorenen;
uns eilen diese Starken
wie Sternenglanz herbei.
Du hast dich überwunden.
Nun geben Himmelsboten
den Vater und die Kinder:
die Ungebornen frei!
Sie haben uns gefunden,
nun eilen sie herbei!

Er ist von der untersten Stufe herabgestiegen. Die Kaiserin
will ihm entgegen, deutet nach oben, von wo ein
immer hellerer Schein herabdringt, ein silbernes Klingen
dem Gesang der Ungeborenen präludiert, sie sinkt
in die Knie. Der Kaiser, der Kaiserin gegenüber fällt
gleichfalls auf die Knie. Die Ungeborenen fangen an zu
singen. Die Kaiserin und der Kaiser bergen jedes ihr
Gesicht in den Händen.

Die Stimmen der Ungeborenen (von oben)
Hört, wir gebieten euch:
ringet und traget,
daß unser Lebenstag
herrlich uns taget!
Was ihr an Prüfungen
standhaft durchleidet,
uns ist's zu strahlenden
Kronen geschmeidet!

Der Kaiser und die Kaiserin haben sich, mit Entzücken
aufwärtsblickend, erhoben.

Kaiserin (indem ihre und des Kaisers Hände sich berühren)
Engel sind's, die von sich sagen!
Ihre Stärke will uns tragen!
Ungeboren, preisgegeben,
ohne Anker, ohne Ziel!
Wie sie rufend uns umschweben,
bin ich, bin ich dir gegeben!

Kaiser
Nirgend Ruhe, still zu liegen,
nirgend Anker, nirgend Port,
nichts ist da – nur aufzufliegen
ist ein Ort an jedem Ort,
wie sie rufend uns umschweben
bist du, bist du mir gegeben!

Sie halten einander umschlungen. Helles Gewölk
umschließt sie.

Verwandlung

Eine schöne Landschaft, steil aufsteigend, hebt sich heraus. Inmitten ein goldener Wasserfall, durch eine Kluft abstürzend. Kaiser und Kaiserin werden über dem Wasserfall sichtbar von der Höhe herabsteigend.

Frau (von links auf schmalem Fußpfad)
Trifft mich sein Lieben nicht,
treffe mich das Gericht,
er mit dem Schwerte!
    (eilt vor bis an den Abgrund)

Barak (auf der gegenüberliegenden Seite)
Steh nur, ich finde dich.
Schützend umwinde dich,
ewig Gefährte!

Indem sie ihn gewahr wird, ihm die Amme entgegenstreckt,
fällt ihr Schatten quer über den Abgrund.

Barak (jubelt)
Schatten, dein Schatten,
er trägt mich zu dir!

Frau
Gattin zum Gatten!
Einziger mir!

Die Stimmen der Ungeborenen
Mutter, dein Schatten!
Sieh, wie schön!
Sieh deinen Gatten
zu dir gehn!

Im Augenblick fällt an Stelle des Schattens eine
goldene Brücke quer über dem Abgrund.

Barak und die Frau betreten die Brücke, liegen einander
in den Armen.

Der Kaiser und die Kaiserin sind oben dicht an den
Rand des Absturzes herausgetreten. Sie wenden sich
nach abwärts, die beiden anderen blicken zu ihnen empor.

Barak
Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt,
nun will ich schaffen, wie keiner geschafft,
denn durch mich hin strecken sich Hände,
blitzende Augen, kindische Münder,
und ich zerschwelle
vor heiliger Kraft!

Kaiser (weist hinunter auf die beiden, weiter hinunter auf die
    Menschenwelt)

Nur aus der Ferne
war es verworren bang,
hör es nun ganz genau,
menschlich ist dieser Klang!
Rührende Laute –
nimmst du sie ganz in dich,
Brüder, Vertraute!

Chor (unsichtbar, hineinjauchzend)
Brüder! Vertraute!

Kaiserin und Frau
Schatten zu werfen,
beide erwählt,
beide in prüfenden
Flammen gestählt.
Schwelle des Todes nah,
gemordet zu morden,
seligen Kindern
Mütter geworden!

Schleier vorfallend, die Gestalten und die Landschaft
einhüllend

Die Stimmen der Ungeborenen (im Orchester)
Vater, dir drohet nichts,
siehe, es schwindet schon,
Mutter, das Ängstliche,
das euch beirrte.
Wäre denn je ein Fest,
wären nicht insgeheim
wir die Geladenen,
wir auch die Wirte!

Ende der Oper


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